Der Prinz und das Mädchen - Junia Swan - E-Book

Der Prinz und das Mädchen E-Book

Junia Swan

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Beschreibung

Klappentext: Ein Prinz, der alles für den Thron riskiert. Ein Mädchen, das ihm sein Herz schenkt. Eine Intrige, die vor Mord nicht zurückschreckt. In einem fernen Land geraten ein Prinz und ein Mädchen in den Mittelpunkt eines tödlichen Komplotts. Obwohl sie einander nie hätten begegnen dürfen, verflechten sich ihrer beider Leben. Doch ihre zarte Liebe ist zum Scheitern verurteilt, denn der Prinz trifft aus reinem Machtstreben eine folgenschwere Entscheidung und liefert das Mädchen seinen Feinden aus. Inhalt: Rana setzt ihr Leben aufs Spiel, als sie verbotener Weise einem verletzten Mann hilft und ihn für eine Nacht in ihrem bescheidenen Zimmer beherbergt. Sie ahnt nicht, dass es sich dabei um Prinz Aren von Paishalom handelt. Der zeigt sich alsbald für ihre Hilfe erkenntlich und gestattet ihr, in Zukunft auf dem Landsitz des Königs zu wohnen. Kaum hat sie sich eingelebt, bittet man sie, dem Prinzen zu helfen. Sie soll zum Schein für einige Monate seine Frau werden. Nicht ahnend, im Palast in das Zentrum einer tödlichen Intrige zu geraten, stimmt sie zu und begegnet einem Mann, der ihr Herz verzaubert. Doch mit ihm darf es keine gemeinsame Zukunft geben.

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Über dieses Buch
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Junia Swan

Copyright © 2020, Junia Swan

Independently published

Titelbild: trueLOVErlag

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 9783753423562

Über dieses Buch

Ein Prinz, der alles für den Thron riskiert.

Ein Mädchen, das ihm sein Herz schenkt.

Eine Intrige, die vor Mord nicht zurückschreckt.

In einem fernen Land geraten ein Prinz und ein Mädchen in den Mittelpunkt eines tödlichen Komplotts. Obwohl sie einander nie hätten begegnen dürfen, verflechten sich ihrer beider Leben. Doch ihre zarte Liebe ist zum Scheitern verurteilt, denn der Prinz trifft aus reinem Machtstreben eine folgenschwere Entscheidung und liefert das Mädchen seinen Feinden aus.

Inhalt:

Rana setzt ihr Leben aufs Spiel, als sie verbotener Weise einem verletzten Mann hilft und ihn für eine Nacht in ihrem bescheidenen Zimmer beherbergt. Sie ahnt nicht, dass es sich dabei um Prinz Aren von Paishalom handelt. Der zeigt sich alsbald für ihre Hilfe erkenntlich und gestattet ihr, in Zukunft auf dem Landsitz des Königs zu wohnen.

Kaum hat sie sich eingelebt, bittet man sie, dem Prinzen zu helfen. Sie soll zum Schein für einige Monate seine Frau werden. Nicht ahnend, im Palast in das Zentrum einer tödlichen Intrige zu geraten, stimmt sie zu und begegnet einem Mann, der ihr Herz verzaubert. Doch mit ihm darf es keine gemeinsame Zukunft geben.

Für Salome

„Fast hätten sie mich geschnappt“, lachte Prinz Aren, löste einen grobgewebten Stoffschal, den er sich um sein Haupt gewickelt hatte, und ließ ihn achtlos zu Boden fallen.

Bestens gelaunt fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch sein halblanges Haar und zauste es. „Du hättest ihre Gesichter sehen sollen!“

Er warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Dann wandte er sich zu seinem Freund, der einige Meter entfernt stand, und Aren mit gerunzelter Stirn musterte. Wie immer sah er aus, als hätte er einen Stock verschluckt. Die steife Haltung vermittelte den Eindruck, seine Schultern wären breiter, als sie es tatsächlich waren. Tarek war ein gutaussehender Mann und nach ihm der begehrteste Junggeselle des gesamten Königreiches.

„Ihr habt sie betrogen, mein Prinz, und sie um ihren Gewinn gebracht“, merkte der Angesprochene an, doch der Königssohn zuckte gleichgültig mit den Achsen.

„Das habe ich nicht. Es ist verboten, um Geld zu spielen. Gesetz meines Vaters. Demnach dürfen sie es gar nicht besitzen.“

Tarek kam seinem Herren zu Hilfe, als dieser Anstalten machte, sich des armseligen Kittels zu entledigen, den er zurzeit trug.

„Ihr spielt mit dem Feuer, Hoheit“, warnte er und legte sich, ohne eine Miene zu verziehen, das Kleidungsstück über den Arm, während sich Aren aus der Hose kämpfte.

„Dieses Feuer, wie du es nennst, ist das einzige, was in meinem Dasein nicht kontrolliert wird.“

„Das ist mir bekannt, und trotzdem riskiert Ihr zu viel. Jene Männer ahnen nicht, wer Ihr seid. Sie werden keine Gnade walten lassen, wenn Ihr ihnen in die Hände fallt.“

„Ha!“ Aren lachte spöttisch auf. „Das wird nicht passieren.“

„Und wenn doch?“

„Du willst mich des einzigen Spaßes berauben, der mir auf dieser Welt geblieben ist?“, ärgerte sich der Prinz und warf dem Untergebenen die Hose zu, der sie geschickt auffing.

„Ja, Hoheit. Eure geheimen Ausflüge in die Stadt sind zu gefährlich.“

Aren schlüpfte aus dem staubigen Hemd und ballte es in den Händen zusammen.

„Egal. Das ist es mir wert.“

Ohne seinen Freund eines letzten Blickes zu würdigen, stieg er langsam in das riesige Becken hinab und stöhnte genüsslich, als ihn warmes Wasser umspülte. Seufzend setzte er sich auf die am Rand verlaufende Sitzbank und tauchte dabei bis zum unteren Rippenbogen ein.

„Wen soll ich rufen lassen?“, fragte Tarek und wandte sich der Tür zu.

Aren rutschte tiefer, bis ihm das Wasser bis zum Hals reichte. „Hast du nicht heute Morgen von neuen Sklavinnen erzählt?“

„So ist es“, bestätigte sein ernstes Gegenüber und etwas blitzte in seinen Augen auf.

„Warum fragst du dann? Bring mir die Schönste!“

Tarek nickte und beeilte sich, den Befehlen seines Herrn nachzukommen.

Als Aren allein war, lehnte er den Kopf zurück und schloss die Augen. In Gedanken durchlebte er die letzten Stunden ein weiteres Mal und seine Stimmung hob sich. Sein Cousin war ein Miesepeter, wie er im Buche stand. Deshalb wäre sein Freund besser dazu geeignet, die Rolle des Prinzen auszufüllen, als er selbst. Doch das Geburtsrecht verlangte, dass er, Aren, wenn er die Bedingungen erfüllte, eines Tages der König von Paishalom wurde. Tarek hingegen, würde immer der Sohn des Bruders des Königs bleiben und damit keine höhere Stellung erlangen, als die seines persönlichen Beraters.

Rana zog das Tuch um ihren Kopf fester und verhüllte ihr Gesicht, bevor sie angespannt um die Ecke lugte. Die Gasse erstreckte sich ruhig und dunkel vor ihr, einzig ihr gehetzter Atem durchbrach die vorherrschende Stille. Ihre Handflächen waren feucht, wie immer, wenn sie sich um diese Zeit im Freien aufhielt, denn es war Frauen verboten, nach Einbruch der Nacht das Haus zu verlassen. Sollte man sie schnappen, erwartete sie eine schreckliche Strafe, vermutlich sogar das Gefängnis. Aber sie hatte keine andere Wahl, als das Gesetz zu brechen. Da sie nicht verhungern wollte, musste sie das Risiko eingehen. Es war nicht das einzige. Ihr Leben glich einer Aufzählung an Verstößen gegen die herrschende Ordnung.

Rana holte tief Luft und bog in die Gasse ein. Lautlos eilte sie vorwärts, hielt sich im Schatten, und wich den Lichtkreisen der spärlichen Straßenbeleuchtung aus. Bald hatte sie es geschafft und sie könnte diesen Tag für sich abschließen, die Schminke abwaschen, ihren Körper reinigen und sich in ihrem Bett verkriechen.

Vor der nächsten Kreuzung blieb sie stehen und spähte um die Ecke. Hier war es ebenso still, wie auf dem Weg, den sie bisher zurückgelegt hatte. Am anderen Ende der Straße erwartete sie ihr Zuhause, welches aus einem kleinen Raum bestand, in den man direkt von der Gasse aus durch eine alte Holztür gelangte. Nichts rührte sich. Kein Mensch hielt sich im Freien auf und sie war dankbar dafür. Zumindest in den heruntergekommenen Vierteln der Stadt hatte man sich hinter die eigenen vier Wände zurückgezogen. Jetzt waren die Ehefrauen an der Reihe, ihren Männern zu geben, was diese verlangten und Rana hatte ihre Ruhe.

Da sie es nur mehr schwer erwarten konnte, endlich nach Hause zu kommen, setzte sie sich wieder in Bewegung. Wie zuvor war sie darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Ihre Zehenspitzen berührten die dunklen Pflastersteine kaum, als sie die Gasse entlang huschte. Jetzt war sie fast am Ziel. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Tür zu ihrem Zimmer, beschleunigte und war kurz davor, die Hand nach ihr auszustrecken. Doch im nächsten Augenblick verfing sich ihr Fuß an einem Hindernis, weshalb sie durch die Luft flog und hart auf dem gepflasterten Boden aufschlug. Obwohl ein stechender Schmerz sie sekundenlang lähmte, unterdrückte sie einen gequälten Aufschrei. Angsterfüllt lauschte sie, ob jemand etwas gehört hatte. Dann richtete sie sich auf und verengte die Augen, darum bemüht, besser zu erkennen, was sie zu Fall gebracht hatte. Ein dunkler Hügel lag wenige Meter von ihr entfernt, der ein Stöhnen von sich gab und sich bewegte. Sofort war ihr klar, dass es sich dabei um einen Menschen handelte, und sie überlegte panisch, ob sie ihm helfen oder doch lieber fliehen und sich in Sicherheit bringen sollte. Es bestand immer die Möglichkeit, dass derjenige, der hier lag, sie später den Wachen des Königs auslieferte und damit ihren Untergang heraufbeschwor. Insgeheim wusste sie, dass sie die Entscheidung längst gefällt hatte. Es war wie ein Zwang, der sie jedem schlüssigen Argument gegenüber taub machte. Dagegen war sie machtlos.

Schnell kam sie auf die Beine und ignorierte das heftige Pochen in ihren gestauchten Handgelenken. Nervös sah sie sich erneut um und hastete zu dem Elenden zurück. Neben ihm ging sie in die Knie und stupste ihn sanft an.

„Könnt Ihr mich hören?“, flüsterte sie und versuchte, den Liegenden auf den Rücken zu drehen. Er stöhnte und gab ihrem Drängen nach. Wie ein Blitz durchzuckte sie die Erkenntnis, dass es sich bei ihm um einen Mann handelte. Trotz der schwachen Beleuchtung erkannte sie, dass sein Gesicht angeschwollen und blutig war. Ihr Herz begann zu rasen.

Er blinzelte.

„Ich helfe Euch“, flüsterte sie und griff nach seinem Arm. „Vermögt Ihr aufzustehen?“

Statt einer Antwort entwich ihm ein Keuchen, als er versuchte, sich aufzurichten. Rana stützte ihn so gut wie möglich und führte ihn die restlichen Meter bis zu ihrer Haustür. Erleichtert, nicht entdeckt worden zu sein, öffnete sie diese und geleitete ihn in das winzige Zimmer und direkt zum Bett. Der Raum beinhaltete alles, was sie ihr eigen nannte und somit nur das Notdürftigste: einen kleinen Ofen, einen wackligen Tisch mit einem noch instabileren Stuhl, einen Nagel an der Wand, an dem die wenigen Kleidungsstücke hingen, die Rana besaß, einen Eimer, mit dem man hinter dem Haus untertags Wasser holen konnte und eine Waschschüssel. Die einzigen Luxusgegenstände in ihrem Besitz, bestanden aus Puder, Lippenrot und einem feinen Umhängetuch.

Schwerfällig ließ sich der Verwundete aufs Bett fallen und stöhnte dabei laut. Rana legte erschrocken eine Hand auf seinen Mund und hoffte, dass ihn niemand gehört hatte. Denn wenn jemand erfuhr, dass sie einem Mann Unterschlupf gewährte, wäre alles verloren. Dann würde man sie ohne Federlesens ins Gefängnis werfen, auspeitschen und andere grauenvolle Dinge mit ihr anstellen.

Aufgrund ihrer Berührung öffnete der Fremde die Augen. Eines davon war nahezu gänzlich zugeschwollen und Rana nahm an, dass er damit kaum etwas erkennen konnte.

„Pscht“, flüsterte die junge Frau und zog die Hand fort.

Er nickte unmerklich, musterte sie aber weiterhin. Sogar mit einem Auge wirkte er dabei gründlich und Rana befürchtete, er hätte sie längst durchschaut.

„Wollt Ihr etwas trinken, bevor ich Eure Wunden versorge?“, fragte sie schnell, um ihn abzulenken.

„Bitte.“ Seine Stimme war angenehm tief und klang überraschend kultiviert.

Rana eilte zum Tonkrug und goss Wasser in einen Becher. Als sie zu ihm zurückkehrte, bemerkte sie, dass er sich mühevoll aufgesetzt hatte.

Dankbar nahm er ihr das Trinkgefäß ab, roch daran und runzelte die Stirn. Dann musterte er sie misstrauisch. „Was soll das sein?“

Dafür, dass er ihr Gast war, gab er sich ungewöhnlich herrisch und Rana hob die rechte Augenbraue. „Wasser“, erwiderte sie schlicht. „Wenn es Euch nicht passt, könnte ich Euch noch Kuhpisse anbieten. Das dauert aber eine Weile. Müsste erst auf die Suche nach einer Kuh gehen.“

Von ihrer rüden Wortwahl sichtlich schockiert, runzelte er die Stirn und musterte sie streng. Allerdings misslang es ihm, ihr damit Angst zu machen. Trotzig, das Kinn gereckt, wich Rana seinem Blick nicht aus und verschränkte die Arme vor der Brust, um ihn ihre Unbeugsamkeit spüren zu lassen.

„Ich bin außerdem gerne dazu bereit, Euch jederzeit wieder zurück auf die Straße zu stoßen, wenn Ihr die Brühe der Pfützen meinem Angebot vorzieht.“

Ein ungläubiger Ausdruck breitete sich in seiner Miene aus und Rana überlegte, was ihm wohl durch den Kopf ging.

„Wasser tuts auch“, brummte er, setzte das Trinkgefäß an und leerte es.

Dann reichte er es ihr und sie stellte es beiseite. Sie goss Wasser in die Waschschüssel, tauchte ein Tuch ein und trat neben ihn. Schweigend legte er sich zurück und sie beugte sich näher.

„Das sieht mir nach einem Rattenschwanz an Problemen aus“, bemerkte sie und tupfte vorsichtig auf die Beule über seinem Auge. „Das hier schaut aus, wie ein Ei. Für ein paar Tage habt Ihr demnach drei davon.“

Entgeistert öffnete er den Mund, doch fehlten ihm zweifellos die Worte, denn er starrte sie sprachlos an. Das brachte sie zum Lachen. „Wieso seht Ihr mich so an?“, fragte sie amüsiert. „Denkt Ihr, ich weiß nicht, worüber Männer am liebsten sprechen?“

Er räusperte sich und es wirkte, als versuchte er, seine Haltung zurückzugewinnen.

„Für manche mag es wahrhaftig kein besseres Gesprächsthema geben, als das Geheimnis zwischen den Beinen eines Mannes. Doch lasst Euch gesagt sein, dass ich nicht dazugehöre.“

Rana lachte auf. „Gesprächsthema? Und Geheimnis zwischen den Beinen eines Mannes? So drückt Ihr das aus? Verflucht! Wo kommt Ihr denn her? Oder ist in Eurem Kopf etwas durcheinandergeraten?“

„Mag sein“, erwiderte er und schloss die Augen, als sie sich seinem geschundenen Mund widmete.

„Soll ich Euch Hoheit nennen, bis Ihr wieder bei Sinnen seid?“, spottete sie.

„Warum nicht?“

„Ihr träumt wohl schlecht! Vermutlich besteht Ihr darauf, das ich noch mehr für Euch tue. Aber das könnt Ihr gleich vergessen. Außer, Ihr bezahlt dafür. Dann bin ich möglicherweise bereit, meinen redlichen Lebenswandel abzulegen.“

„Wer’s glaubt“, erwiderte er. „Von einer lauteren Lebensführung hast du nicht die geringste Ahnung.“

Erschrocken hielt sie die Luft an und die gesunde Gesichtsfarbe wich aus ihren Wangen. „Was wollt Ihr damit andeuten?“

„Dass du eine Hure bist.“

Rana schrak vor ihm zurück, als hätte sie sich verbrannt.

„Das ist eine gemeine, niederträchtige Lüge! Ich bin so unschuldig wie die Jungfrauen des Prinzen!“

Da lachte er ungläubig auf. „Hältst du mich für weltfremd oder beschränkt? Aber hab keine Angst. Vor mir brauchst du dich nicht zu verstellen. Ich liefere meine Helfer prinzipiell nicht ans Messer. Egal, womit sie ihr Geld verdienen.“

„Sehr edel von Euch, Hoheit. Trotzdem vermute ich, dass Ihr dafür eine Gegenleistung erwartet.“

Verwundert stellte sie fest, dass seine Augen abschätzend über ihren Körper glitten und sie straffte sich unbewusst.

„Nein“, entgegnete er ablehnend. „Dahingehend bin ich bestens versorgt.“

„Heißt das, Ihr seid Euch zu vornehm für eine wie mich?“

„Ganz genau.“

Rana erblasste und warf das Tuch wütend in die Schüssel. „Na los, dann verschwindet doch zu Eurer Gefährtin! Wo ist sie denn, wenn´s darauf ankommt? Hat sich ohne Zweifel bei Eurem Anblick in die Hose gemacht und ist auf und davon.“

„Meine Frauen tragen keine Hosen.“

„Oh.“ Rana sank auf den Stuhl und musterte ihr Gegenüber. „Ihr treibt es offenbar ganz wild. Mit so einem will hingegen ich nichts zu tun haben.“

„Siehst du?“, schmunzelte er. „Somit ist ja alles in bester Ordnung. Reiche mir etwas zu essen und gestatte mir, diese Nacht hierzubleiben und mich zu erholen. Morgen bist du mich los.“

Rana zuckte mit den Achseln. „Meinetwegen.“

Sein Blick ruhte nach wie vor auf ihr. „Allerdings frage ich mich, wo du schlafen wirst“, überlegte er. „Das Gesetz verbietet, dass sich unverheiratete Frauen mit einem Mann im gleichen Zimmer aufhalten.“

„Vor der Tür. Das ist doch klar“, erwiderte sie und verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. „Und dieses vermaledeite Gesetz kann sich der König in seinen Allerwertesten stecken. Das ist reine Schikane, mehr nicht. Deswegen breche ich es mehrmals täglich. So, jetzt kennt Ihr meine Meinung.“

Er verlor deutlich an Farbe. „Kaum zu glauben“, murmelte er, was sie empörte.

„Was brabbelt Ihr da vor Euch hin? Denkt Ihr, Ihr seid besser als ich? Immerhin seid Ihr wie ein Stück Dreck auf der Straße gelandet.“

Einige Sekunden verzogen in angespanntem Schweigen, dann meinte er beschwichtigend: „Und ich bin überaus dankbar für deine Hilfe, obwohl du genau weißt, dass du damit gegen mehrere Regeln verstößt.“

Wieder erblasste sie. „Ihr werdet mich doch nicht verraten?“

„Nein. Wie gesagt, ich gebe niemanden preis, der mir hilft.“

Endlich wandte er den Blick von ihr ab und schloss die Augen. Nicht länger seiner durchdringenden Musterung ausgesetzt, entspannte sich Rana.

„Möchtet Ihr jetzt essen? Ich habe Gemüseeintopf.“

„Ich komme um vor Hunger“, gestand er und Rana öffnete die Tür, welche auf einen dunklen Gang führte. Sie stieg einige Stufen in einen kühlen, winzigen Raum hinab, in dem die Hausbewohner ihre kargen Lebensmittel lagerten. Sie nahm den letzten Rest des Mahles, das sie sich für den Abend aufgespart hatte, und kehrte damit ins Zimmer zurück. Auf dem Ofen erwärmte sie die Speise und füllte sie in den selben Becher, aus dem er zuvor getrunken hatte. Gemeinsam mit einem Löffel reichte sie ihm diesen. Da Hunger an ihren Eingeweiden zerrte, wandte sie sich ab. Um sich abzulenken, zog sie das Tuch von ihrem Kopf, wusch sich das Gesicht und tupfte die Schminke ab. Dann öffnete sie die Haare und strich mit einem dreizinkigen Kamm hindurch. Die ganze Zeit kehrte sie ihrem Gast den Rücken zu und verbannte seine Anwesenheit aus ihren Gedanken. Flink teilte sie die Haarsträhnen und flocht diese. Als sie fertig war, drehte sie sich zu ihm um. Verwirrt stellte sie fest, dass er sie beobachtet hatte.

„Wie heißt du?“, fragte er und reichte ihr den leeren Becher.

Rana wich seinem Blick aus. „Das werde ich Euch nicht verraten. Doch wenn Ihr mich weiterempfehlen wollt, schickt Eure Freunde zur Nachtigall.“

„Zur Nachtigall?“, wiederholte er erheitert.

„Das ist, weil ich so schön singen kann.“

„Ach ja?“

Sie senkte den Kopf, stellte den Becher auf den Tisch und wandte sich ab.

„Damit ist gemeint ...“, sie unterbrach sich und legte eine Hand an die Tür. Mit einem Ruck straffte sie die Schultern. „Die Männer nennen es singen, derweil ist es stöhnen. Versteht Ihr?“ Sie öffnete die Tür. „Ihr müsst nur rufen und ich komme“, erklärte sie, trat ins Freie und zog die Tür hinter sich zu.

Dann ließ sie sich zu Boden sinken. Rana hatte nicht geahnt, dass es ihr schwerfiel, über ihren Broterwerb zu sprechen, wenn sie den Schmutz des Tages abgewaschen hatte. Jetzt wusste sie es.

Mit den Armen umschlang sie ihre Beine und legte die Stirn auf die Knie. Sie schloss die Augen und erinnerte sich an den paradiesischen Garten, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte. Die schwirrenden Flügelschläge der Kolibris (ein vor vielen Jahren von einem Gesandten eines fernliegenden Landes überbrachtes Geschenk an den König. Seitdem hatten sich die Vögel prächtig vermehrt und waren aus Paishalom nicht mehr wegzudenken), welche an lauen Sommertagen die schläfrige Stille durchbrochen hatten, flüsterten wie ein fernes Echo in ihren Gedanken. Jenes Leben lag weit zurück und sie erkannte traurig, dass die Erinnerungen daran, mit jedem Tag, der verstrich, etwas mehr verblassten.

Rana erwachte, als die Tür am frühen Morgen geöffnet wurde. Aufgrund der unangenehmen Haltung schmerzte sie jeder Zoll ihres Körpers. Mit einem Ächzen rappelte sie sich auf und ergriff die Hand des Fremden, die dieser ihr hilfsbereit entgegenstreckte. Schon in der nächsten Sekunde stieß sie ihn zurück ins Innere, warf einen hektischen Blick über die Schulter und schloss die Tür.

„Wir müssen vorsichtig sein“, flüsterte sie und sah zu dem Schurken ihr gegenüber empor.

Eindringlich musterte er sie mit diesem beunruhigenden Ausdruck in dem Auge. Ihre Handflächen wurden feucht und Nervosität vibrierte in ihr.

„Was du für mich getan hast, übersteigt das normale Maß der Hilfsbereitschaft. Dies ist mir bewusst und ich werde mich dafür erkenntlich zeigen.“

Verwirrt rümpfte sie die Nase, dann machte sie eine abwehrende Handbewegung.

„Ich habe einen verflixten Hang, Menschen in Not zu helfen. Bildet Euch nichts ein“, brummte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und hoffte, dass er ihre Selbstsicherheit zur Kenntnis nahm.

Seine Mundwinkel zuckten, im nächsten Moment lächelte er, dabei riss eine seiner Verletzungen auf und füllte sich mit Blut.

Rana stellte verwundert fest, dass sie sein Lächeln mochte. Wie in Trance trat sie zögernd zu ihm, hob ihre Hand und wischte vorsichtig mit ihren Fingerspitzen über die blutende Stelle. Es war eine zärtliche Geste und dies erschütterte sie. Sie zuckte zurück und strich mit den Handflächen verlegen über ihren Rock. Nicht eine Sekunde lang hatte er die Augen von ihr genommen, beobachtete sie schweigend.

„Wie dem auch sei“, stellte er nach einer Weile fest. „Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet. Leider trage ich momentan kein Geld bei mir, das haben mir die zwielichtigen Gestalten gestern abgenommen. Deswegen bleibt mir nur, dich zu vertrösten.“

„Zwielichtigen Gestalten?“, wiederholte sie und ihre Lippen verbogen sich spöttisch und zugleich verwundert.

Doch er ging darauf nicht ein und streckte sich nach der Tür aus. „Du wirst von mir hören“, versprach er und nickte ihr zu. „Bis dahin, sei vorsichtig, kleine Nachtigall!“

„Natürlich, Hoheit!“, spottete sie. „Und grüßt bei Gelegenheit den König von mir!“ Rana sank in einen übertriebenen Knicks.

„Besser nicht“, erwiderte er ungerührt, wandte sich um, öffnete die Tür und lugte prüfend ins Freie.

Im nächsten Moment war er verschwunden.

„Beim Diamanten des Sultans von Mardascha“, keuchte Tarek und starrte seinen Herrn entsetzt an. „Wie seht Ihr denn aus?“

Aren schälte sich aus den zerrissenen Kleidern und knurrte schlecht gelaunt: „Diese verflixten Gauner haben mich bestohlen.“

„Nicht nur das, wie man sieht.“ Tarek musterte den dreckigen Stoffberg und kehrte dann mit seiner Aufmerksamkeit zum Gesicht des Prinzen zurück. „Ich habe das schlimmste befürchtet und war kurz davor, die Wachen zu schicken.“

„Zum Glück hast du dich an unsere Abmachung gehalten.“

Aren trat vor den meterhohen Spiegel und musterte sich, was nicht sonderlich gut gelang, da er sein rechtes Auge kaum zu öffnen vermochte. Doch ihm genügte, was er erkennen konnte. „Verflucht, es ist unmöglich, mich in diesem Zustand zu zeigen.“

„So ist es, Hoheit. Ich schlage vor, dass Ihr Euch auf die Sommerresidenz zurückzieht, bis Ihr Euch selbst wieder ähnlich seht.“

Aren seufzte und stieg ins Wasserbecken hinab.

„Fernerhin gehe ich davon aus, dass Ihr in Eurem jetzigen Zustand weiblicher Gesellschaft entsagt.“

„Gut kombiniert“, brummte der Prinz mürrisch, weil er auf sein Vergnügen verzichten und sich selbst waschen musste. „Veranlasse alles für meine Abreise und schreibe meinem Vater diesbezüglich eine Nachricht.“

„Wie Ihr wünscht, Hoheit.“

Tarek verbeugte sich und zog sich zurück.

Auf dem Weg vom Markt zu ihrem Zimmer, verzehrte Rana ein komplettes Fladenbrot. Da ihr Abendessen am vergangenen Abend ausgefallen war, vermochte sie nicht zu warten, bis sie ihr Heim erreichte. Während sie kaute, malte sie sich die Speisen aus, welche sie außerdem zubereiten wollte, und bog in ihre Straße ein. Es war kaum jemand unterwegs und die beigefarbenen von einer hellen Staubschicht überzogenen Pflastersteine, wirkten fast einladend. Eilig huschte sie in ihr Reich und legte die spärlichen Einkäufe auf den Tisch. Da klopfte es an die Tür. Augenblicklich erstarrte sie. Ihr Herz begann aufgeregt zu pochen und ihre Gedanken überschlugen sich. Wer konnte das sein? Hatte der Fremde sie verraten und der Wache des Königs einen Hinweis auf ihre Gesetzlosigkeit gegeben? Oh, Gott, was hatte sie getan, wieso vermochte sie ihr loses Mundwerk nicht zu halten? Weshalb hatte sie überhaupt so viel riskiert, um ihm zu helfen? Sie war eben eine unverbesserliche Weltverbesserin, die, wie es aussah, niemals aus ihren Fehlern lernte. Das hatte sie nun davon: Ihr war mittlerweile hundeelend und sie war schwach vor Angst.

Wieder klopfte es.

Es wäre sinnlos, es zu ignorieren und vorzugeben, nicht zu Hause zu sein. Zweifelsfrei hatte man sie dabei beobachtet, wie sie zurückgekommen war. Kauend und mit nichts als Essen im Kopf, weshalb sie nicht auf die wenigen Personen geachtet hatte, die auf der Straße herumlungerten.

Sie biss die Zähne zusammen und atmete tief aus, dann öffnete sie die Tür.

Ein edel gekleideter Mann stand vor ihr und taxierte sie herablassend, während sie fühlte, wie alles Blut in ihre Beine sackte. Es lag auf der Hand, dass er ein Gesandter des Königs war. Sein Haar war akkurat geschnitten und seine Gesichtszüge offenbarten seine ausgezeichnete Abstammung, noch bevor er ein Wort gesprochen hatte.

„Ja?“, fragte Rana mit dem letzten, ihr verbliebenen Mut und klammerte sich an den Türrahmen.

„Bist du die Nachtigall?“, begehrte der feine Herr zu erfahren und seine Aussprache war so vornehm und glatt, dass sie befürchtete darauf auszurutschen, wenn sie etwas erwiderte. Doch so schnell gab sie ihrer Angst nicht nach. Sie war eine Kämpferin und würde vor den Pfeilen seiner eindrucksvollen Überlegenheit nicht davonlaufen. In Gedanken hob sie ihr mächtiges Schild, geschmiedet aus Trotz und Kampfgeist, und entgegnete mutig: „Wer will das wissen?“

Er zog die Augenbrauen zusammen und wirkte dadurch überaus einschüchternd. Doch es war offensichtlich, dass seine Pfeile an ihrer Abwehr abgeprallt waren.

„Das geht dich nichts an. Beantworte meine Frage.“

Eine Attacke mit seinem Schwert und ihr Schild entglitt ihren Fingern. Rana schluckte und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an, der ihr zunehmend die Luft abschnürte.

„Ja“, wisperte sie.

„Dann komm mit mir.“ Er machte Anstalten, sich abzuwenden, weshalb sie schnell „Wohin? Und warum?“, hervorstieß.

Der einschüchternde Mann hielt mitten in der Bewegung inne und seine Gesichtszüge verfinsterten sich noch mehr. Ranas Hoffnung, dieser schrecklichen Situation zu entkommen, schwand. Zweifellos hatte sie der Fremde gestern belogen, als er ihr versichert hatte, seine Retter nicht zu verraten. Enttäuschung breitete sich in ihr aus und raubte ihr jegliche Kraft.

„Hör auf, Fragen zu stellen, und folge mir.“

Er klang überaus ungeduldig, machte in der nächsten Sekunde auf dem Absatz kehrt und setzte sich in Bewegung. Rana zog die Tür hinter sich zu und wankte ihm auf wackligen Beinen hinterher. Nie zuvor hatte sich der Weg durch diese Straße derart in die Länge gezogen wie in jenen Minuten.

Als sie einer königlichen Kutsche ansichtig wurde, die sie auf der Hauptstraße erwartete, befürchtete sie, vor Angst zu sterben. Man wollte sie doch nicht in den Kerker werfen und davor foltern? Sie hatte ja nichts gemacht! Nur ein paar unbedeutende Regeln gebrochen, um einem Verletzten zu helfen. Daraus würde man ihr sicherlich keinen Strick drehen! Da fiel ihr wie Schuppen von den Augen, dass sie ihren Mund nicht gehalten hatte und dem Geschundenen, als würden ihre sonstigen Vergehen nicht ausreichen, um sie zu belasten, auch noch von ihrem Broterwerb erzählt hatte. Wie dumm sie doch war! Wie ausgesprochen leichtsinnig! Nun musste sie dafür bezahlen.

Zitternd und innerlich wie gelähmt, ließ sie sich ohne Gegenwehr in die Kutsche helfen und sank auf eine angenehme und weich gepolsterte Sitzbank. Unbewusst schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und senkte den Kopf, in dem die Gedanken wie ein Orkan durcheinanderwirbelten. Warum holte man sie außerdem mit einem derart vornehmen Gefährt ab und nicht mit einem Karren? Weshalb begleitete sie dieser Mann und nicht die Wachen des Königs? Was hatte das zu bedeuten? Verlor sie jetzt den Verstand und träumte sich in eine unrealistische Welt, um die Gegenwart ertragen zu können? Plante man unbeschreiblich Schreckliches mit ihr, weswegen man alles daran setzte, zu vertuschen, dass man sie verschleppte? Oh, Himmel, was geschah hier? Was hatte sie getan? Würde sie heute noch hingerichtet werden?

Wäre Rana nicht dermaßen in ihrer Furcht gefangen gewesen, hätte sie festgestellt, dass sie nie zuvor so komfortabel gesessen war.

Nur nebenbei gewahrte sie, dass ihr Häscher sich ihr schräg gegenüber niederließ. Mit einem Ruck setzte sich das Gefährt in Bewegung und sie bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er seine Aufmerksamkeit ins Freie lenkte.

Schweigend verstrichen die Minuten und Ranas Verzweiflung steigerte sich. Als sie die Ungewissheit ihre Zukunft betreffend nicht länger ertrug, sank sie vor ihm auf die Knie und umfasste die Unterschenkel ihres Peinigers. Unwillig wandte er sich ihr zu, beugte sich vor und versuchte, sie abzuschütteln.

„Bitte, ich tue alles, wenn Ihr mich verschont!“, flehte sie. „Bitte, lasst mich laufen!“

Sein Mund verzog sich abfällig. „Nimm deine Finger von mir, du üble Gestalt! Lass dir ein für alle Mal gesagt sein, dass es für dich keinen Ausweg gibt. Der Prinz wünscht, dich zu sehen.“

„Der Prinz?“ Alle Farbe wich aus Ranas Wangen und sie befürchtete, in Ohnmacht zu fallen. „Oh, bitte nicht! Was will er denn von mir?“

„Das weißt du genau.“

„Nein!“, stieß sie hervor und war nicht länger in der Lage, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Ich habe nichts Unrechtes getan!“

„Hast du doch und du bist dir dessen bewusst! Und jetzt setze dich auf deinen Platz und nimm deine dreckigen Finger von mir!“

Schluchzend kam sie seinem Befehl nach und barg ihr Gesicht in ihren Händen.

„Bitte lasst mich laufen! Ich verspreche, ... ich verspreche, dass ich Euch immer kostenlos zur Verfügung stehen werde, wenn Ihr mir die Freiheit schenkt!“

Er lachte auf, höhnisch, abfällig und abgehackt – es klang wie Schläge, die er auf sie prasseln ließ und ihr wurde eiskalt.

„Denkst du, eine verlauste Person, wie du, führt mich in Versuchung, den Prinzen zu hintergehen?“

Da schüttelte sie vernichtet den Kopf. Ihr war es ja nicht einmal gelungen, jenen Mann, dem sie geholfen hatte, davon zu überzeugen, sie nicht zu verraten. Und dieser war ein Spieler, ein Betrüger gewesen. Der feine Herr ihr gegenüber war indessen von edlem Stand.

„Dann sind wir endlich einer Meinung“, stellte er ungerührt fest und Rana sank weiter in sich zusammen.

Aufgrund ihres Kummers entging der jungen Frau, dass sich die Landschaft veränderte. Die kargen Felsen ihrer Heimat wichen üppigem Grün, das satt in der Sonne leuchtete. Palmen warfen willkommene Schatten, die berührungslos über den Grund strichen, wenn die Wedel sich im Wind bewegten. Ein dunkelblaues Himmelsgewölbe spannte sich über dem malerischen Gebiet wie die Kuppel eines herrschaftlichen Palastes.

Als Rana vor einem weitläufigen, prunkvollen Gebäude Stunden später aus der Kutsche stieg, meinte sie, in eine andere Welt geraten zu sein. Verwirrt suchte sie den Blick ihres Entführers, doch der ignorierte sie und schritt ihr steif voran. Nicht ein einziges Mal vergewisserte er sich, dass sie ihm folgte. Rana war überzeugt davon, zu träumen. Weshalb brachte man sie an einen Ort wie diesen, wenn man sie bestrafen wollte? Sie hatte zweifellos den Verstand verloren. So fühlte sich das also an.

Der Boden im Inneren des Prunkbaus war mit weißem Marmor verkleidet, an den Wänden hingen kunstvoll gerahmte Bilder, goldene Käfige mit paradiesisch buntgefiederten Vögeln standen auf Tischen oder eigens dafür errichteten Goldgestellen. An den Decken erstreckten sich Gemälde und Muster aus winzigen Mosaiken. Bogenfenster ermöglichten einen ausgezeichneten Blick auf liebevoll angelegte Gärten. Rana blinzelte. Warum hatte man sie hierher gebracht? Was hatte sie hier zu suchen? Das konnte unter keinen Umständen ein Gefängnis sein.

Sie durchschritten unzählige Gänge und traten aus dem hinteren Teil des Palastes wieder ins Freie. Ein breiter Kiesweg schlängelte sich zwischen Blumenbeeten hindurch, teilte sich und der edle Herr schlug den rechten ein, welcher wiederum vor dem hohen Tor eines weiteren Gebäudetrakts endete. Dieses öffnete sich wie von Geisterhand und eine vornehme Frau geriet in ihr Blickfeld.

„Geh mit Zan Merizadi und tu, was sie dir sagt“, befahl der Mann und Rana nickte überwältigt.

„Komm mit“, forderte die feine Dame Rana auf und setzte sich in Bewegung.

Das fließende Kleid ihrer Führerin umspielte bei jedem Schritt ihre Knöchel und wehte um ihren Leib, als wollte es einerseits die darunter verborgenen weiblichen Rundungen kaschieren und zugleich hervorheben, indem es sich bei der nächsten Bewegung eng daran schmiegte. Ein zartes Parfum hing in der Luft und Rana war mittlerweile überzeugt davon, die Realität verlassen zu haben. Inbrünstig hoffte sie, niemals zu erwachen. Hier war es tausendmal schöner als in dem heruntergekommenen Viertel ihrer Heimatstadt.

Wieder traten sie ins Freie und schritten erneut einen Kiesweg entlang, der sich ebenso teilte. Diesmal eilten sie geradeaus weiter, bis sie vor einem kleinen, bezaubernden, geschlossenen Pavillon, mit einem Kuppeldach, welches türkis schimmerte, hielten. Ein Diener öffnete für Zan Merizadi die Tür und diese führte Rana in einen großzügigen, verschwenderisch eingerichteten Innenraum. Sofas mit dicken Polstern standen um einen Glastisch mit goldenen Klauenfüßen. Riesige Sitzkissen mit Quasten aus Goldfäden lagen auf weichen Teppichen verstreut. Sie drückte gegen eine weitere Tür und sie betraten ein luxuriöses Bad, in dessen Mitte ein ovales Becken, ausgekleidet mit bunten, kleinen Fliesen, die das Wasser funkeln ließen, eingelassen war.

„Dieses Bad teilst du dir mit den anderen Frauen“, erklärte sie und winkte ein Mädchen herbei, welches sofort zu ihnen kam.

Mit großen Augen sah sich Rana um und atmete den angenehmen Duft tief ein, der wie Nebel von der Wasserfläche aufstieg.

„Das ist Miriam, deine persönliche Dienerin. Sie wird dir helfen.“

Bevor Rana begriff, was hier eigentlich geschah, begann das Mädchen ihr Kleid zu öffnen.

„Aber ... aber, warum bin ich hier?“, rief sie der älteren Frau, die Anstalten machte, sich zurückzuziehen, hinterher.

Ein letzter Blick über ihre Schulter. „Von nun an wohnst du hier“, erklärte sie und streckte sich nach der Tür aus.

„Was? Aber ... ich verstehe das nicht ...“

„Prinz Aren hat es angeordnet. Seine Anweisungen werden nicht in Frage gestellt. Findet Euch damit ab.“ Anmutig wandte sich Zan Merizadi ab und verließ den Raum.

„Das wird mir nicht schwerfallen“, murmelte Rana und sträubte sich nicht, als Miriam ihr das Kleid von den Schultern zog und es auf den Boden fallen ließ.

Obwohl sie sich darüber freute, nicht ins Verlies gesperrt worden zu sein, überlegte sie, weshalb ausgerechnet der Prinz ein Interesse daran hatte, ihr zu helfen. Sie vermutete, dass sie unwissentlich einen seiner Freunde gerettet hatte - es war die einzig sinnvolle Erklärung für seine Großzügigkeit. Bevor jener in der Früh aufgebrochen war, hatte er ihr feierlich versprochen, sie für ihre Hilfe zu entlohnen. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sich Rana eine Entschädigung dieser Art vorgestellt. Die Erleichterung, ihrem tristen Leben und einer verdienten Strafe entronnen zu sein, schwächte sie und sie ließ sich dankbar ins Wasserbecken sinken.

Prinz Aren strich mit dem Zeigefinger über sein rechtes Auge und nickte erleichtert, als er sich im Spiegel betrachtete. Die Schwellung war in den letzten Tagen deutlich zurückgegangen und seine Zeit auf dem Landsitz neigte sich somit dem Ende entgegen. Obwohl es ihm an nichts fehlte, vermisste er die Fallstricke und Intrigen, denen er sich am königlichen Hof täglich stellen musste. Noch vor Ablauf einer Woche würde er endlich nach Massada zurückkehren.

Mit einem Seufzen trat er auf den Balkon vor seinen Gemächern und tauchte ins warme Sonnenlicht ein, in dem die tanzenden Staubkörner golden schimmerten. Doch er nahm diese Schönheit nicht wahr und durchschnitt den hauchzarten Vorhang achtlos mit seinem Leib. Vor der steinernen Balustrade hielt er an, stützte sich darauf ab und blickte in den Garten hinab. Der lag verlassen vor ihm, nur der Wind bewegte hin und wieder halbherzig die glitzernden Blätter hellgrüner Farne. Plötzlich lenkte eine verstohlene Bewegung seine Aufmerksamkeit auf sich und er schirmte die Augen mit einer Hand ab, um besser sehen zu können.

Eine junge Frau, deren weiches, schwarzes Haar wie ein Schleier über ihren Rücken fiel, huschte abseits des Weges direkt auf ihn zu. Er wich etwas zurück, damit sie ihn nicht bemerkte und beobachtete, wie sie sich mehrmals verstohlen umsah. Unter einer Palme, an einer vom Garten aus uneinsichtigen Stelle, hielt sie an und stellte einen kleinen Käfig ab, den er bis jetzt übersehen hatte. Wieder sah sie sich unbehaglich um und Aren runzelte die Stirn. Was hatte sie nur vor? Da sank sie in die Knie und öffnete die Käfigtüre. Ihre Lippen bewegten sich und er nahm an, dass sie flüsterte. Erheitert beobachtete er, wie sie den Finger ins Innere steckte, dabei entging ihm ihre Anmut nicht. Sie war eine Augenweide und er würde am Abend nach ihr schicken lassen.

Schritte hinter ihm, veranlassten ihn dazu, kurz über die Schulter zu blicken. Tarek kam auf ihn zu und hielt neben ihm an.

„Hoheit, ich bringe Neuigkeiten.“

Der Prinz wandte sich wieder dem Schauspiel unter seinem Balkon zu und sah, dass die Frau damit beschäftigt war, den verängstigten Vogel davon zu überzeugen, den Käfig zu verlassen. Der drückte sich in eine Ecke, doch als sie ihre Hand nicht zurückzog, begann er wild zu flattern.

„Die müssen einen Augenblick warten.“

Er deutete auf das Mädchen und Tarek folgte dieser stummen Aufforderung. Er lüpfte die Augenbrauen, als er es ebenfalls entdeckte.

„Wer ist sie?“, begehrte der Prinz zu erfahren.

Sein Berater beugte sich weiter vor, um das Objekt der Begierde seines Herren genauer in Augenschein zu nehmen. „Die Nachtigall, mein Prinz. Keine Frau für Euch.“

Überrascht riss Aren die Augen auf. „Du scherzt! Das kann sie unmöglich sein!“

„Sie ist es, mein Freund, daran besteht kein Zweifel.“

Aren seufzte. „Schade, ich hätte sie heute gerne näher kennengelernt.“

„Es gibt andere Mädchen, die Euren Appetit stillen werden. Doch sie ... ist weniger wert als eine Sklavin. Lasst Euch von ihrem betörenden Schein nicht trügen. Obwohl sie wie Gold schimmert, bleibt sie dennoch immer ein Stück Dreck aus der Gosse. Vergesst das nicht.“

Der Prinz musterte sie ein letztes Mal. „Danke für diese eindringlichen Worte“, meinte er ironisch und stieß sich ab.

Nebeneinander kehrten sie ins Innere zurück.

„Nun lass hören, welche Nachrichten überbringst du mir?“

Aren ließ sich auf eines der Sofas fallen und deutete seinem Cousin, sich ebenfalls zu setzen. Doch dieser schüttelte den Kopf, woraufhin der Prinz gleichgültig mit den Achseln zuckte.

„Es handelt sich um beunruhigende Neuigkeiten. Mir kam zu Ohren, dass Victor ein Komplott schmiedet, um Eure Position zu schwächen.“

„Das ist nicht neu. Er war mir gegenüber schon immer feindselig eingestellt.“

„Das stimmt. Doch was er plant, nimmt besorgniserregende Formen an. Wir müssen ihn dringend überführen und danach vor Gericht stellen.“

Aren verschränkte die Arme vor der Brust. „So sprich! Welch schändliche Intrige spinnt er denn nun?“

„Es betrifft die zukünftige Prinzessin.“

Der Prinz löste die Arme und setzte sich aufrecht hin. Verständnislosigkeit spiegelte sich in seinen Gesichtszügen. „Meine Gemahlin? Bis jetzt habe ich keine gewählt.“

„Was wahrlich ein Vorteil ist. Denn auf sie hat Victor es abgesehen. Noch bevor sie Euch einen Erben geschenkt hat, will er sie ermorden.“

Wie von einer Tarantel gestochen, sprang der Prinz auf. „Das ist unmöglich! So weit würde er nicht gehen! Einen solchen Verrat würde er nicht wagen!“

„Victor behauptete gegenüber meiner Quelle, dass der Tod einer einzigen Prinzessin dem Niedergang eines kompletten Volkes vorzuziehen sei. Er hat keinerlei Vertrauen in Eure Fähigkeiten, Hoheit. Er kennt das Gesetz, welches besagt, dass der Erbprinz innerhalb von zwei Jahren einen Nachkommen vorweisen muss. Wenn man die Brautwerbung einrechnet, könntet Ihr nach dem Tod Eurer ersten Frau diese Frist niemals einhalten, was bedeutet, dass Ihr von der Thronfolge ausgeschlossen wärt.“

Aren schnappte entsetzt nach Luft. „Das ist ein kühner Plan! Doch riskiert er dabei sein eigenes Leben.“

„Oh, er wird es so einfädeln, dass ihn keine Beweise belasten werden. Außer, wir kommen ihm zuvor und darin besteht unsere einzige Chance.“

Aren trat ans Fenster und blickte nachdenklich hinaus. Die Schönheit der Natur, die sich vor ihm erstreckte, nahm er nicht wahr.

„Wie sollten wir? Er wird uns seine Pläne nicht verraten.“

„Das ist mir bewusst.“ Tarek atmete tief durch. „Deswegen ist es unerlässlich, dass wir ihn auf frischer Tat ertappen. Wir müssen ihn überführen, wenn er der Prinzessen das Leben nimmt. Ihr wisst, dass im Fall ihres gewaltsamen Todes, Eure Frist erlöschen und erst wieder mit Eurer erneuten Hochzeit in Kraft treten würde.“

Entgeistert klammerte sich der Prinz ans Fensterbrett, während der Vorschlag seines Beraters in ihm widerhallte. Das klang alles andere als erfreulich.

„Habe ich recht verstanden und du schlägst vor, eine Prinzessin zu opfern und in Kauf zu nehmen, sie unter Umständen nicht retten zu können?“

Tarek nickte ernst. „Es ist der einzige Weg.“

„Das ist unverantwortlich. So etwas kann ich nicht tun.“

Kurz war es still, nur das Zwitschern der Vögel, die in den Baumkronen schwangen, bewiesen, dass die Zeit nicht stillstand. Der Prinz ballte seine Hände und lockerte diese wieder, als ihm bewusst wurde, dass er alles verlieren würde. Den Thron und die damit einhergehende Macht. Seinen Einfluss, seine Würde, seine Ehre. Victor wollte ihn öffentlich demütigen. Aber eine Prinzessin hinterrücks ihrem Schicksal überlassen?

„Ich habe überlegt, einen Köder auszulegen“, durchbrach Tarek die Stille und neue Hoffnung entzündete sich im Erbprinzen. „Bestehend aus einer Person, deren Leben derart wertlos ist, dass es nichts bedeutet, wenn sie stirbt.“

Innere Kälte ließ Aren frösteln. Das klang niederträchtig. „Schwebt dir eine spezielle Frau vor?“

Tareks Lippen verzogen sich zu einem überlegenen Lächeln. „Wie es der Zufall will, ja.“ Er machte eine lässige Bewegung mit dem Kinn in Richtung Garten.

„Die Nachtigall?“, wollte Aren unbehaglich wissen und das zustimmende Nicken seines Beraters traf ihn wie eine Faust in den Magen.

„Ganz genau. Wir werden ihr erklären, dass sie für eine Weile Eure Prinzessin spielen muss und dafür königlich bezahlt wird. Danach erhält sie ein Haus, weitab von Massada. Wir verraten ihr allerdings nicht, dass sie dieses voraussichtlich nie zu Gesicht bekommen wird.“

Aren fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und ignorierte das ungute Gefühl, welches sich angesichts des hinterhältigen Plans in ihm ausbreitete.

„Und wenn einer ihrer Freier sie erkennt?“ Dies war ein unkalkulierbares Risiko. Ob sein Gegenüber darüber schon nachgedacht hatte?

„Sie wird ihr Antlitz in der Öffentlichkeit verhüllen. Abgesehen davon ist es fast ausgeschlossen, dass sie auf Menschen ihres ehemaligen Umfelds trifft.“

Der Prinz strich sich übers Gesicht und massierte dann mit Daumen und Zeigefinger seine Stirn. Ihm war bewusst, dass er mit einer derart heimtückischen Handlung eine unsichtbare Grenze überschritt. Andererseits war er seinem Königreich verpflichtet. Das Wohl seines Volkes stand an erster Stelle. Diese Tatsache erlaubte jegliches Vorgehen und verwandelte eine Schandtat in einen Akt der Nächstenliebe und Aufopferung. Ja, wenn er das Leben dieser Frau opferte, zeigte es seine überschwängliche Liebe zu Paishalom und adelte ihn als den rechtmäßigen Regenten. So war das. Genaugenommen wäre er nicht der erste, der sich unlauterer Mittel bediente, um an die Macht zu kommen und sie zu bewahren. Er musste dem Schwert, welches auf sein Herz zielte, die Kraft rauben, es umlenken und wenn möglich in die Brust seines Feindes bohren.

„Wir haben keine andere Wahl, oder?“, wollte er unbehaglich, doch von seinen Überlegungen bereits getröstet, wissen.

„Nein. Ich habe ausführlich darüber nachgedacht.“

„In Ordnung, dann sprich mit ihr und leite alles, was nötig ist, in die Wege.“

Jeden Tag einen Vogel. Rana lächelte und schloss die Tür des leeren Käfigs. Sie lebte seit drei Wochen hier in diesem Paradies, was bedeutete, dass mittlerweile achtzehn Kanarienvögel ihre neuerworbene Freiheit genossen. Im Laufe der ersten Tage war sie damit beschäftigt gewesen, die neue Situation zu erfassen, und als ihr bewusst geworden war, dass sie für immer hierbleiben durfte, hatte sie begonnen, Pläne zu schmieden. Irgendjemand würde sich finden, dem sie zu einem besseren Leben verhelfen konnte. Das kleine Federvieh war ihr sofort in den Sinn gekommen. Es gab so viele von ihnen, dass ihre Rettungsaktion kaum auffallen würde.

Die junge Frau richtete sich auf, sah sich ein letztes Mal um und huschte zu ihrem Pavillon zurück. Morgen wollte sie den nächsten Vogel aus einem der großen Käfige stehlen und später befreien. Doch bis dahin hatte sie ein nervtötendes Tagesprogramm zu bewältigen. Bald würde Zan Merizadi Rana abholen und in die grundlegenden Regeln der Etikette einweisen. Während dieser Unterrichtsstunden lernte sie, welche Worte nicht ausgesprochen werden durften und wie sie sich im Fall, dass sie dem Prinzen begegnete, zu benehmen hatte. So war es ihr strengstens untersagt, ihn anzusehen oder ihn gar anzusprechen. Es war ihr verboten, sich seinen Befehlen zu widersetzen und ihn zu berühren. Da die junge Frau nicht damit rechnete, ihm jemals zu begegnen – dafür gab es keinen Grund – nickte sie unterwürfig, vergaß die Instruktionen jedoch schon im nächsten Moment. Zan Merizadis Unmut darüber, sich ständig wiederholen zu müssen, stand dieser deutlich ins Gesicht geschrieben. Doch Rana tat ihren Tadel leichtfertig ab und zuckte mit den Achseln.