Mona Lisas Traum - Junia Swan - E-Book

Mona Lisas Traum E-Book

Junia Swan

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Beschreibung

Intrigen, Geheimnisse und das Bestreben nach Macht verwoben mit der Pracht des englischen Königshofes, in dessen Mitte ein fürchterlicher Verrat begangen wurde. Ein kostbares Gemälde aus einem einsam gelegenen Landsitz zu stehlen, sollte für den Kunstdieb Peter Edwards keine Schwierigkeit darstellen. Wäre da nicht eine darunter liegende, ans Bett gefesselte Schönheit. Um nicht von ihr verraten zu werden, nimmt er sie mit sich. Ohne Gegenwehr lässt sich die junge Frau von ihm entführen und einsperren. Ihr ungewöhnliches Verhalten gibt Peter Rätsel auf und er zweifelt an ihrem Geisteszustand, da sie sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern kann. Als Cecil Prime, der Duke of St. Ives, der jungen Frau begegnet, forscht der nach ihrer Identität. Nie hätte er erraten, wer sie in Wahrheit ist – doch als er ihr Geheimnis lüftet, muss er eine folgenschwere Entscheidung treffen, die ihrer aller Leben in Gefahr bringt.

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog
DANKSAGUNG
DIE AUTORIN

 

[email protected]

www.weltenbaumverlag.com

 

 

 

 

 

WELTENBAUM VERLAG

Vollständige Taschenbuchausgabe

06/2022 1. Auflage

 

Mona Lisas Traum

 

© by Junia Swan

© by Weltenbaum Verlag

Rathausstr.3

79588 Efringen-Kirchen

 

Umschlaggestaltung: © 2021 by Magicalcover

Lektorat: Hanna Seiler

Korrektorat: Daniel Greifer

Buchsatz: Giusy Amé

Autorenfoto: Alexandra Fazan

 

 

ISBN 978-3-949640-26-1

 

www.weltenbaumverlag.com

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

Printed in Germany

 

 

 

Junia Swan

 

 

Mona Lisas

Traum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Historischer Liebesroman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Andrea

In Dankbarkeit für die Zeit,

die wir miteinander verbringen durften.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Sie lag inmitten weicher Kissen wie Dornröschen. Der einzige Unterschied zu der jungen Prinzessin in jenem Märchen bestand in ihrem mit Stoffstreifen an den Bettpfosten gefesselten Arm. Außerdem war ihr Haar schulterlang im Gegensatz zur vermutlich wallenden Mähne Dornröschens, das, wie allgemein bekannt ist, über einen Zeitraum von hundert Jahren geschlafen hatte.

Peter verharrte seit er sie entdeckt hatte, wie eingefroren. Nicht der Umstand ihres friedlichen Schlummers erschütterte ihn. Nein. Vielmehr die Tatsache, ihrer Existenz. Dieser Trakt des Schlosses stand seines Wissens leer. Trotzdem hatte er mit überraschenden Hindernissen gerechnet – in seinem Metier durchaus üblich –, aber keinesfalls mit ihr. Seine Gedanken überschlugen sich, tobten wild durch seinen reglosen Körper und bildeten einen scharfen Kontrast zu seiner äußerlichen Ruhe. Wer, verdammt nochmal, war diese junge Frau? Wie kam sie überhaupt hierher? Weshalb hatte man ihm nicht von ihr berichtet? Und, vor allen Dingen, was sollte er jetzt mit ihr anstellen?

Ihr gleichmäßiger Atem beruhigte ihn und er ließ seinen forschenden Blick weiter zu dem Gemälde, das über dem Bett hing, wandern. Darauf war ein Stielleben abgebildet, das er allerdings in der vorherrschenden Dunkelheit nur schemenhaft erkennen konnte. Trotzdem wusste er genau, was es darstellte: Einen Blumenstrauß in einer schweren Tonvase, auf einem rohgezimmerten Holztisch.

Seufzend bewegte sie sich und sein Blick schoss wieder zu ihr. Ratlos überlegte er, wie er es anstellen sollte, das Bild von der Wand zu nehmen, ohne sie dabei zu wecken. Endlich gelang es ihm, die Herrschaft über seine erstarrten Glieder zurückzuerlangen, und schlich näher. Langsam, mit angehaltenem Atem stieg er aufs Bett, wobei er sich am Bettpfosten festhielt. Die Matratze senkte sich unter dem zusätzlichen Gewicht und ihr Oberkörper rutschte auf seinen Fuß zu. Angespannt hielt er inne, wartete eine Reaktion ab. Doch sie atmete gleichmäßig, als könnte nichts sie aus ihrem tiefen Schlaf reißen. Ihr Mund war leicht geöffnet und ihre Wimpern warfen dunkle Bögen auf ihre unnatürlich blasse Haut. Erneut fragte er sich, aus welchem Grund sie hier war und woher sie kam. Ihm war eindringlich bewusst, dass jede weitere Sekunde an diesem Ort ein unnötiges Risiko, entdeckt zu werden, darstellte, deswegen streckte er sich zu dem Bild aus, umfasste den Rahmen und hob es an. Zum Glück war es nur an einem Nagel, anstatt auf einer komplizierten Vorrichtung aufgehängt worden, weshalb es ihm problemlos gelang, es abzunehmen. Einen Augenblick später stand er wieder neben dem Bett und warf einen letzten prüfenden Blick auf die Schlafende. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er feststellte, dass ihre Augen auf ihm ruhten. Er konnte es an ihrem verräterischen Glitzern erkennen. Schreie jetzt nicht!, flehte er in seinem Inneren. Trotz der vorherrschenden Dunkelheit und zu seinem Entsetzen, meinte er, zu bemerken, dass sie überaus verschlafen wirkte – so als hinge ihr Geist nach wie vor in den Netzen nächtlicher Traumwelten fest. Doch ihre Lippen öffneten sich und die Angst vor dem, was sie gleich anstellen würde, durchzuckte ihn. Blitzschnell lehnte er das Bild an den Bettrahmen, beugte sich zu ihr und presste die rechte Hand auf ihren Mund.

»Pscht!«, flüsterte er. »Dir wird nichts passieren, solange du still bist.«

Weder bewegte, noch wehrte sie sich gegen seinen Übergriff, nickte nicht einmal als Zeichen, dass sie verstanden hatte. Mit großen Augen musterte sie ihn und er fluchte innerlich, weil er sein Gesicht nicht hinter einem Tuch verborgen hatte und somit ohne Probleme zu einem späteren Zeitpunkt von ihr enttarnt werden könnte. Sie stellte für ihn nunmehr eine unkalkulierbare Gefahr dar, ein erhebliches Risiko, von dem Diebstahl, eines nicht allzu fernen Tages, eingeholt zu werden. Deswegen führte kein Weg daran vorbei, sie mitzunehmen. Selbstverständlich plante er nicht, ihr wehzutun. Im Gegenteil, sollte diese verfluchte Nacht jemals enden, wollte er versuchen, ihr die Angst vor ihm zu nehmen. Sobald sein Geheimauftrag beendet wäre, beschloss er, sie wohlbehalten hierher zurückzubringen und sich dann in ein fernes Land abzusetzen. Doch bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig, als seine Gefangene zu sein. England zu verlassen, entsprach zwar nicht seinem Wunsch, war aber einem gefristeten Dasein in einer der schimmligen Zellen des Towers of London vorzuziehen. Tja, so schnell konnte sich das Blatt wenden und aus einem angeblich risikolosen Vorhaben ein monströses Unterfangen mit nicht absehbaren Folgen werden.

»Nicht schreien«, beschwor er sie erneut und zog seine Hand prüfend zurück.

Sie bewegte sich nicht, sah ihn nur an und er wunderte sich über ihre fehlende Angst. Schnell, um den Ort endlich hinter sich lassen zu können, beugte er sich über sie und befreite sie von der Fessel. Dann packte er das Bild in eine große Tasche und hängte sich diese um. Hastig schob er seine Arme unter ihren Körper und hob sie auf. Ohne Gegenwehr ließ sie es mit sich geschehen. Im Gegenteil, sie legte in einer vertrauensvollen Geste einen Arm um seine Schultern und lehnte sich an ihn. Von ihrer Reaktion aus dem Konzept gebracht, beobachtete er, wie ihre Augenlider tiefer sanken, um sich sogleich zu schließen. Das kann doch nicht wahr sein! Was stimmt nicht mit dir?

Auf demselben Weg, den er gekommen war, kehrte er ins Freie zurück und eilte mit ihr über den gepflegten Rasen zu einem der Seitentore des weitläufigen Anwesens. Dort erwartete ihn sein Pferd mit gespitzten Ohren und es kostete ihn einige Mühe, es von dem Baumstamm zu befreien, ohne die junge Frau dafür abzulegen. Er setzte sie auf den Pferderücken und als sie in sich zusammensank, befürchtete er, sie könnte jeden Moment hinunterfallen. So schnell er es vermochte, schwang er sich hinter sie in den Sattel und zog sie näher an sich heran. Seufzend lehnte sie sich mit einer verwirrenden Zutraulichkeit an ihn, als wäre er ihr großer Bruder und nicht ihr Entführer. Sie waren noch keine fünf Minuten geritten, als er davon überzeugt war, dass sie wieder schlief.

 

Während sie verschlungenen Waldwegen unter einer Kuppel aus tausenden Zweigen, deren Blattwerk silbrig im Mondlicht schimmerte, folgten, kämpfte er gegen das sich in ihm ausdehnende Empfinden, zu träumen, an. Von dem Augenblick an, als er sie entdeckt hatte, bis zu dem Moment, als er vor seinem eigenen Haus aus dem Sattel glitt, hielt ihn ein Gefühl der Unwirklichkeit gefangen. Die unrealistisch anmutenden Geschehnisse der letzten zwei Stunden ließen ihn befürchten, den Verstand verloren zu haben. Wer sollte ihm eine solche Geschichte jemals glauben? Kein Mensch! Er selbst konnte es ja nicht fassen.

Im Flur stellte er die Tasche ab und trug seine willige Gefangene in eines der Gästezimmer. Dort legte er sie auf ein Bett und deckte sie zu. Ihre Lider zuckten unter dem benommenen Blick. Dann lächelte sie.

»Schlaf jetzt«, murmelte er irritiert. »Dir wird nichts geschehen.«

Leise stöhnend rollte sie sich auf die Seite. Er war sich sicher, dass sie bereits erneut schlief, als er die Tür hinter sich zuzog und verschloss. Nachdenklich kehrte er zu seinem Diebesgut zurück und brachte es an einen sicheren Ort.

 

 

Clara lag reglos mit geschlossenen Augen im Bett und lauschte. Gleich würde er kommen und ihr zu trinken bringen. Danach vermochte sie endlich weiterzuschlafen. Um sie herum war es gespenstisch still, nur ihr Atem war zu hören, weshalb sie die Luft anhielt, um besser hören zu können. Es war vollkommen ruhig – keine Schritte näherten sich ihr. Verwirrt blinzelte sie und öffnete nun doch die Augen. Das erste Morgenlicht stahl sich zwischen den offenen Vorhängen ins Innere und malte ein Rechteck auf den Boden vor ihrem Bett. Es sah, wie sie befremdet bemerkte, wie ein freundlicher, aus Sonnenstrahlen gewobener Teppich aus. Einerlei. Viel wichtiger war die Frage, weshalb es so hell war und das Tageslicht unangenehm in ihre Augen stach. Schlaftrunken setzte sie sich auf. Sogleich explodierte ein pochender Schmerz in ihrem Kopf, der sie zusammenzucken ließ. Eilig griff sie sich an die Stirn, um ihn zu mildern - umsonst. Die anhaltenden Kopfschmerzen bereiteten ihr Angst. Irgendetwas stimmte heute nicht. Nervosität kroch aufgrund der ungewöhnlichen Situation in ihr empor und sie überlegte, was ihn daran hinderte, zu ihr zu kommen. Weshalb half er ihr denn nicht? Verzweifelt lehnte sie sich zurück gegen das Kopfteil des Bettes, versuchte, sich nicht mehr zu bewegen, um dem Leiden entgegenzuwirken. Obwohl sie von ganzem Herzen wünschte, wieder einschlafen zu können, gelang es ihr nicht und sie starrte unverwandt auf den Lichtteppich. Zögernd, als schöpfte er aus einem unendlichen Zeitvorrat, bewegte sich dieser über den Boden, legte sich irgendwann auf sie und wärmte ihr Gesicht. Der Sonnenschein drang unnachgiebig durch ihre geschlossenen Augenlider. Vorsichtig drehte sie den Kopf, um dieser Qual zu entgehen, doch der nahm es ihr übel und antwortete mit einem schrecklichen Ziehen in ihren Schläfen. Sie stöhnte und hörte als Nächstes Schritte, die sich dem Zimmer näherten. Erleichterung ließ sie tief ausatmen. Endlich!

Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Tür daraufhin aufgestoßen. Blinzelnd gewahrte sie einen breitschultrigen Mann, der, mit einem Tablett in den Händen, leise eintrat. Sein Blick fiel auf sie und er hielt mitten in der Bewegung inne. Doch schon im nächsten Moment setzte er seinen Weg fort und stellte das Servierbrett auf einem Nachtkästchen ab. Dann wandte er sich ihr zu.

»Hab keine Angst, dir wird nichts passieren«, versprach er mit einer angenehmen Stimme. »Ich habe dir etwas zu essen gebracht.«

Er trat neben sie und beugte sich herab, um ihr zu helfen, sich weiter aufzusetzen. Obwohl ihr Kopf dröhnte, als wollte er gleich zerspringen, wehrte sie sich nicht. Seine Hände umfassten sie an den Schultern und richteten sie fast senkrecht auf. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen, beobachtete wie er einige Kissen aufschüttelte und ihren Oberkörper daran lehnte. Nicht eine Sekunde lang vermochte sie den Blick von ihm abzuwenden. Ob er ihr jetzt endlich zu trinken gäbe, damit die Kopfschmerzen aufhörten und sie weiterschlafen könnte? Vielleicht würde er außerdem die Vorhänge schließen, eine Handlung, die er offensichtlich am vorigen Abend vergessen hatte. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, griff er nach einem Trinkglas und reichte es ihr. Dankbar nippte sie daran und bemerkte, dass es anders als sonst schmeckte. Da ging heute etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu! Mit gerunzelter Stirn musterte sie ihn abschätzend.

»Es ist nur für eine kleine Weile«, erklärte er, als wäre er ihr Rechenschaft schuldig.

Dabei war es doch egal, ob für kurz oder lang. Hauptsache sie konnte schlafen und diese Kopfschmerzen loswerden!

»Mein Kopf schmerzt.«

Erschrocken von dem rauen Klang ihrer Stimme räusperte sie sich.

»Oh«, erwiderte er überrascht. »Das tut mir fürchterlich leid.«

Sie reichte ihm das Glas zurück, welches er auf das Tablett stellte.

»Das hier schmeckt anders als sonst«, murmelte sie schmollend.

Seine Stirn hob sich, als versuchte er, herauszufinden, was er von ihr halten sollte.

»Ich habe dir Milch gebracht.«

»Milch ...« Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. Milch. Das Wort klang fremd. »Das war kein Wasser?«

»Nein.« Er dehnte das Wort in die Länge, als könnte er sich ihre Frage nicht erklären. Dann zeichnete sich Sorge auf seinem Gesicht ab, soweit sie es beurteilen konnte.

»Warum nicht?«

»Weil ...«, er kratzte sich mit den Fingern der rechten Hand am Kinn, »... ich annahm, dass du Milch zum Frühstück vorziehst.«

Seine Erklärung ergab keinen Sinn.

»Ich wünsche, jenes Wasser zu trinken, das Sie mir sonst immer reichen. Das gegen Kopfschmerzen hilft.«

Jetzt starrte er sie an, als verstünde er nicht, was sie meinte, als spräche sie eine fremde Sprache.

»Ich habe dir nie zuvor Wasser gebracht.« Hilfesuchend sah er sich um.

»Doch. Immer«, bekräftige sie. »So lange ich mich erinnern kann.«

Um sich einen Stuhl heranzuziehen, griff er nach dessen Lehne, wirkte dabei aber überaus fahrig und verfehlte sie mehrmals.

»Weißt du, wo du hier bist?« Offenbar zog er es vor, zu fragen, anstatt zu antworten.

»In meinem Zimmer.«

Sein Blick hing an ihr, als suchte er in ihrem Antlitz nach einer Erklärung. Aber was sollte sie ihm mitteilen, das er nicht schon längst wusste?

»Nur eines ist falsch«, schob sie deswegen eilig nach und ein Funke Hoffnung blitzte in seinen Augen auf.

»Ja?«

»Die Vorhänge sind geöffnet.«

Er atmete tief durch. »Und wer bin ich, deiner Meinung nach?«

Sie zuckte mit den Achseln, presste aber schon seine Sekunde später die Hände auf die Schläfen.

»Du weißt es nicht?«, hakte er nach und klang beunruhigt.

»Ich glaube, mein Onkel.«

Aus dem Augenwinkel verfolgte sie sein heftiges Zusammenzucken. »Das bin ich nicht!«, wehrte er entschieden ab.

»Das ist egal. Ich möchte jetzt wie immer mein Wasser trinken.«

Sofort erhob er sich und verließ den Raum.

Nicht lange und er stand wieder neben ihrem Bett, das gewünschte Getränk in der Hand. »Hier, bitteschön.«

Ihr entging nicht, wie er sie beobachtete während sie das Glas an ihre Lippen führte und trank. Es schmeckte ebenfalls anders.

»Es fehlt etwas.« Enttäuscht reichte sie es ihm zurück.

Diesmal zuckte er die Achseln. »Das liegt möglicherweise an unserer Quelle.«

»Das ergibt keinen Sinn.«

»Doch.«

Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne einen Mucks von sich zu geben.

»Hast du Hunger?«, fragte er.

»Nein.«

Sein Blick wanderte zum Tablett und wieder zu ihr zurück. »Du solltest ein wenig essen. Du wirkst erschreckend kraftlos auf mich.«

»Ich habe Kopfweh.«

»In Ordnung. Dann versuche etwas zu schlafen. Ich werde später erneut nach dir sehen.«

Er half ihr dabei, sich niederzulegen. Bevor er jedoch das Zimmer verließ, schloss er die Vorhänge. Sie lauschte seinen Schritten und dem Geräusch der Tür, welche wieder abgeschlossen wurde. Erschöpft senkte sie die Augenlider und wünschte sich, einschlafen zu können. Doch es gelang ihr nicht.

 

Sie verweigerte das Mittag- und das Abendessen, was Peter mit Sorge erfüllte. Außerdem beunruhigten ihn ihre unübersehbare körperliche Schwäche sowie ihr katastrophaler Geisteszustand - sie wirkte wie ein kleines Kind. Wenn er die Zeichen richtig deutete, hatte sie nicht mal mitbekommen, dass sie entführt worden war und nicht länger zuhause weilte.

Er entsicherte die Tür zu seinem Atelier, ging hinein und schloss sie hinter sich ab. Dann zog er das Gemälde aus der Tasche und stellte es auf eine Staffelei, die er genau für diesen erhebenden Augenblick aufgebaut hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete er die dilettantische Malerei, die ihn an das Resultat einer jener Anleitungen erinnerte, welche alte Damen der gehobenen Gesellschaftsschicht befolgten, um sich die Nachmittagsstunden zu vertreiben. Doch bei seiner Errungenschaft hier handelte es sich um ein getarntes Meisterwerk, für das Sammler, ohne zu zögern, Millionen bezahlen würden, damit sie es ihrem Besitz hinzuzufügen vermochten. So auch der Duke of St. Ives, ein guter Freund von ihm.

Nachdem Peter den vor ihm stehenden, malerischen Angriff auf den erlesenen Geschmack eine Weile betrachtet hatte, legte er das Bild auf den breiten Arbeitstisch und löste es aus dem Rahmen. Danach hob er den Keilrahmen vorsichtig heraus und trennte ihn auf diese Weise von jener Leinwand, auf welcher der Blumenstrauß abgebildet war. Erneut stellte er den Rahmen auf die Staffelei, trat zurück und hielt den Atem an. Eine betörende Schönheit lag auf einer Récamiere und schlief, ihre Haare flossen wie goldgesponnene Seide über dicke, purpurne Kissen, deren Farbe sich auf den Lippen der jungen Prinzessin spiegelte.

»Mona Lisas Traum«, murmelte er andächtig, hob eine Hand und strich zärtlich mit einer Fingerspitze über die meisterhafte Abbildung. »Du siehst reichlich mitgenommen aus. Es ist Zeit, dich endlich wieder aufzuwecken und in neuer Pracht erstrahlen zu lassen.«

Er befeuchtete ein Tuch und begann damit, die Leinwand sachte zu reinigen.

 

Kapitel 2

 

»Es ist weit eindrucksvoller, als ich es in Erinnerung hatte«, stellte Cecil Prime, Duke of St. Ives, erfreut fest und betrachtete das Bild mit konzentriertem Kennerblick. »Wenn du die Restauration abgeschlossen hast, wird es meine Kunstsammlung ausgezeichnet ergänzen.«

Peter lehnte an dem riesigen Arbeitstisch und nickte. »Ich bin fast fertig«, sagte er und beschloss, sein Gegenüber von den zwangsläufig geänderten Plänen in Kenntnis zu setzen. »Vermutlich werde ich England nach Abschluss der Arbeit verlassen müssen.«

»Wie das?« Des Dukes Augenbrauen schossen in die Höhe und er richtete die Aufmerksamkeit auf seinen Freund. Während er Peter eindringlich musterte, verfinsterten sich seine Gesichtszüge zunehmend und der Schatten aufsteigender Sorge spiegelte sich in seinen Augen. Dann stellte er die einzig logische Frage: »Es hat dich doch niemand beobachtet?«

Da Peter nicht widersprach, vertiefte sich die Beunruhigung des Sammlers und wischte die Zweifel gänzlich aus seinen Gesichtszügen. »Wer?«

»Eine junge Frau. Sie schlief auf einem Bett, direkt unter dem Gemälde.«

»Wie bitte?« St. Ives riss die Augen auf und betrachtete ihn ungläubig, so, als befürchtete er, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Du treibst deinen Spott mit mir. Wir beide wissen, dass niemand außer Sir Kenneth in dem Schloss wohnt!«

»Was vermutlich erst jetzt wahrhaftig den Tatsachen entspricht, zuvor aber nicht.«

»Das bedeutet? Verflucht, Peter, sprich nicht länger in Rätseln!«

»Sie erwachte und ich musste sie mit mir nehmen.«

Der Duke taumelte ein paar Schritte zurück, als hätte der Kunstdieb ihm einen Hieb verpasst und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Er erblasste und glich nun mehr einer Leiche, denn einem Lebenden.

»Du hast was?«, keuchte er mühevoll.

»Ich habe sie hierhergebracht. Mir blieb keine andere Wahl.«

»Sie ist hier?« Der Duke strich sich mit zitternden Händen übers Gesicht. »Und was jetzt? Man wird sie gewiss suchen. Wie konntest du ...«

»Diese Befürchtung teile ich mit dir. Dennoch gibt es mehrere ... wie soll ich sagen ... Ungereimtheiten in Zusammenhang mit ihr.«

»Ich frage mich, ob ich das alles wissen möchte.« St. Ives Erschütterung spiegelte seine eigene wider.

Peter stieß sich vom Tisch ab, trat ans Fenster und blickte ins Freie. Weit über dem Meer sank die Sonne langsam tiefer. »Glaube mir, das willst du dir keinesfalls entgehen lassen.«

»Will ich nicht?«, hinterfragte der Adlige zweifelnd und seufzte. »Wohl denn, berichte!«

»Erstens: Sie war an den Bettpfosten gefesselt.«

Der Duke wurde kalkweiß und sein fahles Gesicht wirkte mit einem Mal kränklich. »Verflucht, in welchem Zustand ist sie?«

»Das ist schwer zu sagen.«

Der Adlige ballte eine Hand und schmetterte die Faust auf den Tisch. »Verdammt nochmal, erzähle! Was musste diese arme Frau erleiden? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«

»Ich würde sprechen, wenn du mich nicht ständig unterbrächest.«

St. Ives brummte und sah ihn auffordernd an, ehe Peter fortfuhr. »Zweitens: Als sie die Augen öffnete, erschrak sie nicht. Kein kleines Bisschen. Als wäre es nicht ungewöhnlich, zur Mitternachtsstunde Männerbesuch zu empfangen.«

Dem Duke stand das Mitleid über diese Tatsache ins Gesicht geschrieben. »Wie alt ist das arme Ding? Was denkst du?«

»Ich schätze ihr Alter auf achtzehn oder neunzehn Jahre. Dennoch glaube ich nicht, dass sie dazu diente, Sir Kenneths Lust zu befriedigen. Wobei ...«

»Ja?«, presste der Duke zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»... ich mir nicht sicher bin, was es mit ihr auf sich hat. Wie gesagt, sie fürchtete sich nicht und als ich sie aufhob, schlang sie einen Arm um mich und schlief weiter.«

»Sie schlief weiter? Das ist doch vollkommen unmöglich! So einen Humbug habe ich ja mein Leben noch nicht gehört!«

»Es ist wahr. Ich vermutete selbst, zu träumen. Aber höre, das ist noch nicht alles. Als ich ihr heute das Frühstück servierte, schien sie nicht einmal zu bemerken, dass sie in einem anderen Zimmer war und dass ich ... nun ... sie ... sie meinte, ich sei der gleiche Mann, der ihr immer das Essen bringt.«

»Was?«

»Das Einzige, was sie an ihrer Lage störte, war der Umstand, dass ich ihr Milch statt Wasser reichte.«

Der Duke öffnete den Mund und schloss ihn nach ein paar Sekunden wieder nur um ihn kurz darauf wieder zu öffnen. »Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Ich bestehe darauf, sie auf der Stelle zu sehen!«

»Wie du meinst. Ich bringe dich gerne zu ihr. Danach sollten wir unser weiteres Vorgehen besprechen.«

St. Ives stützte sich auf dem Tisch ab, als er sich schwerfällig erhob. Er wirkte einen flüchtigen Moment lang wie ein alter Mann, den man jeglicher Kraft beraubt hatte. Schweigend verließen die Verbündeten das Atelier, welches Peter sorgfältig absperrte, und betraten kurze Zeit später das Zimmer der jungen Frau.

Sie lag auf der Seite und öffnete bei ihrem Eintreten die Augen. Verunsicherung huschte für einen kurzen Augenblick über ihr Gesicht, als sie den Duke entdeckte. Dieser blieb stehen und starrte sie an, als vermochte er nicht zu realisieren, dass sie tatsächlich hier war.

»Das ist ...« Peter hielt inne, als ihm klar wurde, dass er noch nicht einmal ihren Namen kannte. Und musterte die junge Frau. »Wie heißt du?«

»Clara.«

»Darf ich dir Clara vorstellen? Sie ist mein Gast.«

Clara bewegte sich nicht, sondern ertrug die Musterung der Männer stoisch, obwohl diese mit ihrem reglosen Starren zweifellos keinen nennenswert intelligenten, geschweige denn vertrauenswürdigen Eindruck erweckten.

»Ich kann nicht schlafen«, beschwerte sie sich nach einer Weile und heftete ihren Blick auf Peter. Der zuckte mit den Achseln.

Sein Mund verzog sich kaum merklich. »Das wundert mich nicht. Läge ich den ganzen Tag herum, fiele es mir ebenfalls schwer, in den Schlaf zu finden.«

Blinzelnd erinnerte sie ihn einen Augenblick später mit schmerzverzerrtem Gesicht über ihren Zustand. »Ich habe Kopfweh.«

»Das liegt vermutlich daran, dass du dich weigerst, zu essen.«

»Du musst dringend etwas zu dir nehmen«, drängte der Duke, der zu seiner Stimme zurückgefunden hatte.

»Wer ist das?«, wollte Clara wissen. Peter wunderte sich über den Fakt, dass sie sich für den Duke interessierte, ihn hingegen als selbstverständlich hinnahm.

»Cecil Prime. Der Duke of St. Ives«, stellte sich der Adlige persönlich vor und verbeugte sich steif.

Ein winziger Funken in ihrem Blick flackerte auf, erlosch aber sogleich wieder.

»Und was macht Ihr hier?«, forschte sie weiter und wirkte dabei sogar ein klein wenig neugierig.

»Ich besuche meinen Freund, Mr Edwards, und er erzählte mir von dir.«

Ihre großen Augen ruhten abschätzend auf ihm, während sie nachdachte. »Warum erst heute?«, begehrte sie, nach einem kurzen Schweigen zu erfahren, und sah wieder zu ihrem Entführer. Peter wechselte einen ratlosen Blick mit dem Duke.

»Es ist der frühestmögliche Zeitpunkt«, erläuterte Letzterer geduldig und beobachtete, wie sie schwer schluckte. Diese Bewegung ließ sie noch schutzbedürftiger wirken.

»Wie dem auch sei«, murmelte sie. »Bringen Sie mir jetzt bitte das Wasser! Mir ist übel, mein Kopf dröhnt und außerdem ist mir schrecklich kalt.«

»Leidest du des Öfteren an Kopfweh?« Des Dukes Sorge war unübersehbar und er trat näher.

»Erst seit heute. Vermutlich liegt es an der Milch.«

St. Ives runzelte nachdenklich die Stirn und wandte sich an Peter. »Denkst du, sie verträgt keine Milch?«

»Nicht anzunehmen, aber langsam halte ich alles für möglich.«

»Bitte«, unterbrach Clara die Männer. »Könnten Sie Ihr Gespräch später fortsetzen und mir derweil zuerst helfen? Ich fühle mich grässlich!«

»Selbstredend«, lenkte St. Ives sofort ein und drehte sich zu seinem Freund um. »So hole ihr doch das gewünschte Wasser!«

»Schon unterwegs«, brummte Peter und verschwand.

Als sie allein waren, setzte sich der Duke nach kurzem Zögern an den Bettrand und ergriff Claras Hand.

»Sind wir einander bereits an einem anderen Ort begegnet? Du kommst mir erschreckend bekannt vor.«

Unter halbgesenkten Wimpern sah sie zu ihm auf, als wäre sie zu erschöpft die Augenlider gänzlich zu öffnen und seinem Blick zu begegnen.

»Nein«, erklärte sie erschöpft. »Ich war immer hier.«

»Hier?« Ihre Fehlinterpretation der Umstände erschütterte ihn nachhaltig.

»Ja. In diesem Bett.« Ihre Finger zitterten, als sie langsam über die Decke strich.

Verwirrt massierte er sein Kinn, verzweifelt darum bemüht, zu verstehen, was in ihr vorging. Um das Rätsel zu lösen, beschloss er, ihr einige Fragen zu stellen. »Wann warst du das letzte Mal im Freien?«

Ihre Wimpern flatterten und er befürchtete, dass sie jeden Moment zusammenbrechen könnte, doch sie erwiderte beherrscht: »Nie. Ich schlafe. Nur heute nicht. Irgendetwas läuft gehörig falsch.«

Sie entzog ihm ihre Hand und hob sie in die Höhe, ließ sie jedoch sogleich wieder sinken, bis sie auf der Bettdecke zum liegen kam.

»Seht Ihr? Da ist kein Widerstand mehr.«

Der Duke konnte sich einen Reim auf ihre konfuse Aussage machen. »Meinst du die Fessel?«

Peter kehrte zurück und Clara kämpfte sich in die Höhe, wobei sie angestrengt zu atmen begann. Ihre Hand bebte, als sie das Glas umschloss und mit einem Zug leerte. Als sie es absenkte, suchte sie verzweifelt Peters Blick.

»Weshalb verweigern Sie mir das Wasser, welches ich sonst zu trinken pflege? Was habe ich angestellt, um von Ihnen bestraft zu werden?« Ihr tiefer Kummer war deutlich herauszuhören.

Die Männer wechselten einen ratlosen Blick, als der Duke sich erhob.

»Versuche zu schlafen«, riet Peter. »Ich sehe später wieder nach dir.«

Peter Edwards schloss die Salontür hinter sich und stellte nüchtern fest: »Sie ist verrückt.« Schnurstracks steuerte er die Anrichte an und goss Whisky in zwei bauchige Gläser. Zwanglos reichte er dem Duke eines davon.

»Zweifellos.« Der Duke nickte zustimmend. »Doch irgendetwas lässt mir bei der Sache keine Ruhe.« Er hob eine Hand und massierte sich die Stirn. »Wieso hielt Sir Kenneth sie versteckt? Hast du jemals das Gerücht vernommen, er kümmere sich um eine Irre?«

Peter schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen. »Nein! Wie gesagt, ich bin gestern aus allen Wolken gefallen, als ich sie in diesem Bett vorfand.«

Die Ratlosigkeit der Männer wuchs und einige Minuten lang hing jeder seinen Gedanken nach. St. Ives zerschnitt als Erster die Stille: »Möglicherweise hilft es uns, ihre Identität aufzudecken. Sobald wir wissen, wer sie ist oder woher sie stammt, können wir eine sinnvolle Entscheidung über ihre und deine Zukunft treffen. Sollte sie ernsthaft verrückt sein, besteht kein Grund für dich, das Land zu verlassen.«

Zu dieser Schlussfolgerung war der Kunstdieb mittlerweile ebenfalls gelangt. »Glaubst du, dass Sir Kenneth die Polizei eingeschaltet hat, nachdem er ihr Verschwinden bemerkt hat?«

»Schwer zu sagen.«

Peter stöhnte gequält. »Ich hatte gehofft, dass er den Diebstahl des Gemäldes erst in ein paar Wochen feststellt. Doch da Clara direkt darunter geschlafen hat, wird ihm der Verlust spätestens am nächsten Morgen aufgefallen sein. Was wiederum bedeutet ... meinst du, er hat Kenntnis von dem Bild, das man hinter der Leinwand mit der Vase versteckt hat?«

»Anzunehmen.« Mit einem Zug trank der Duke sein Glas leer und stellte es ab. »Ich werde mich umhören und dich in den nächsten Tagen wieder besuchen. Pass nur auf, dass dein Diebesgut von niemandem entdeckt wird.«

Peters grinste schief. »Damit meinst du das Gemälde und das Mädchen?«

»So ist es.« Mit einem Nicken verabschiedete sich St. Ives.

 

 

»Ich kann nicht schlafen«, wimmerte Clara, als Peter Stunden später zu ihr ins Zimmer zurückkehrte. »Es fühlt sich alles so falsch an. Was ist nur los mit mir?«

Er setzte sich neben sie und betrachtete sie forschend »Das wüsste ich ebenfalls gerne.«

Schniefend suchte sie mit ihren verweinten Augen seinen Blick. »Glauben Sie, dass ich nicht normal bin?«,

»Nun ja. Ich bin mir nicht sicher, wo dein Problem liegt.«

»Es ist das Wasser.«

Er seufzte. »Wasser ist Wasser.«

»Nein. Das Wasser hat sich verändert. Zuerst wurde es zu Milch und dann zu Wasser.«

Da er keinen blassen Schimmer hatte, was er darauf antworten sollte, schwieg er. Die Stille zwischen ihnen dehnte sich aus.

»Hast du unverändert Kopfschmerzen?«, bohrte er nach einer Weile weiter.

»Ja. Es tut fürchterlich weh.«

Zögernd hob er eine Hand und strich mit den Fingerspitzen über ihre Schläfe. »Tut das gut?«

»Mhm.« Sie schloss die Augen und er beobachtete, wie sich ihr Atem beruhigte und die Anspannung langsam von ihr wich.

Nachdenklich verfolgte er, wie sie einschlief und lenkte den Blick auf ihre Brust, die sich gleichmäßig hob und senkte. Mit wachsender Beunruhigung überlegte er, was Sir Kenneth mit ihr angestellt hatte. Immerhin hatte der Mann sie ans Bett gefesselt, was definitiv nichts Gutes besagte. Im Gegenteil. Wie er mittlerweile erkannt zu haben glaubte, war Clara nicht in der Lage, sich an den jeweiligen Vortag zu erinnern. Dies hatte dem Adligen zweifellos ermöglicht, sich ihrer je nach Belieben zu bedienen. Vorsichtig zog er die Decke über den feingliedrigen Körper seiner jungen Gefangenen und stand auf. Die letzte Nacht war zu kurz gewesen, um jetzt lange durchzuhalten.

Er beschloss kurzerhand, den versäumten Schlaf nachzuholen.

 

 

Clara erwachte im ersten Morgengrauen und lauschte angestrengt. Ungeduldig blickte sie zur Tür, erwartete die vertrauten Schritte, die sich wie gewohnt, ihrem Zimmer näherten. Wo blieb er nur mit ihrem Wasser? Beunruhigung breitete sich in ihr aus und sie überlegte, ob sie ihn suchen sollte. Irgendwie war ihr Leben durcheinandergeraten und sie sann darüber nach, was der Grund dafür sein könnte. Mühsam setzte sie sich auf und erinnerte sich daran, dass er ihr das richtige Wasser am vergangenen Tag verweigert hatte. Zudem stellte sie verwundert fest, dass die Kopfschmerzen verschwunden waren. Trotzdem sah sie sich unbehaglich um. Ihre Situation war zu beängstigend. Da verfingen sich ihre Augen an dem Lichtteppich, welcher aufgrund der frühen Stunde wie zusammengerollt einige Meter entfernt neben ihrem Bett lag. Sie meinte, sich zu erinnern, dass er sich erst im Laufe des Vormittags zu seiner vollen Größe entfalten würde. Was war geschehen, dass sie sich dessen entsann? Sie schob die Beine über den Bettrand und stellte die nackten Füße auf den glatten, nackten Boden. Sie starrte auf ihre Zehen und bewegte sie. Versunken in ihrem Tun beobachtete sie, wie sich diese streckten und krümmten. Voller Tatendrang beschloss sie, aufzustehen, und krallte sich am Bettpfosten fest. Ihre Knie wackelten, als sie sich in die Höhe zog und Schwindel sie schwanken ließ. Entschlossen klammerte sie sich an ihrer Stütze fest und hoffte, dass der Raum bald nicht mehr so wild um sie tanzte und sich beruhigte. Immer wieder flackerte Dunkelheit in ihren Augenwinkeln auf und sie atmete tief durch. Als es ihr endlich gelang, die Augen zu öffnen, ohne sich als Zentrum eines Wirbelsturms zu empfinden, entdeckte sie einen meterhohen Spiegel, der dem Bett gegenüber an der Wand lehnte. Langsam, weiterhin gegen die lauernde Bewusstlosigkeit ankämpfend, tastete sie sich zum Bettende hin und streckte sich von dort nach dem Stuhl aus, der zwischen Bett und Spiegel stand. Sie machte einen Schritt und klammerte sich an die Lehne, keuchend nach Atem ringend, als hätte sie den Gipfel eines hohen Berges erklommen. Ihr Puls raste, doch sie ignorierte ihre schlechte körperliche Verfassung und musterte die Frau, welche ihr aus dem Spiegel entgegenblickte. Einen Wimpernschlag lang erkannte sie ihr Gegenüber – Sie trug ein wundervolles, festliches Ballkleid, die honigfarbenen Haare waren zu einer aufwendigen Frisur aufgetürmt und die rosigen Lippen lächelten verhaltenen. Eilends streckte Clara die Arme nach ihr aus. Der aufwallende Schmerz, der in dem Moment ihr Herz verkrampfen ließ, rieb jede ihrer Blutbahnen auf, bis hin zu den Fingerspitzen.

»Mutter«, flüsterte sie erstickt und Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Da löste sich die Erscheinung im Spiegel auf.

»Nein!« Clara blinzelte. Als sie wieder klar zu sehen vermochte, war die vornehme Frau gänzlich verschwunden und hatte sich in ein erbärmliches Mädchen verwandelt. Clara konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals zuvor gesehen zu haben. Unter dem langen Nachthemd zeichneten sich die Kurven einer jungen Frau ab, die sie augenblicklich von ihrem Kummer ablenkten. Voller Neugier zog sie das Kleidchen höher und über ihren Kopf. Achtlos ließ sie es zu Boden fallen, um sich unverwandt im Spiegel zu betrachten. Verwirrt wölbte sie die Hände und legte sie über ihre Brüste, konnte nicht fassen, was sie gerade sah und fühlte. Forschend glitten ihre Fingerspitzen tiefer und strichen durch das helle Dreieck ihrer Schambehaarung. Was war hier nur geschehen? Mit ihr?

Als sich die Tür öffnete, drehte sie den Kopf zur Seite und blickte einem Mann entgegen, der, mit einem Tablett auf einer Hand balancierend, eintrat. Er schloss die Tür, wandte sich um und sah zum Bett. Als er entdeckte, dass es leer war, wanderte sein Blick über den Boden, weiter über das Nachthemd, bis hin zu ihren nackten Knöcheln. Zögernd tasteten sich seine Augen entlang der Waden höher, immer höher, verharrten sekundenlang auf den sahneweißen Hügeln mit den rosa Spitzen, bis sie sich davon losrissen und sie direkt ansahen.

Räuspernd stellte er das Tablett ab und bückte sich nach ihrem Nachthemd.

»Möchtest du ein neues?«, wollte er wissen und sah starr an ihr vorbei.

»Sehen Sie das?« Sie war zu verwirrt, zu aufgewühlt, um seine Frage zu verstehen, und deutete mit ihren Fingern auf ihre Brüste.

Seine Augen folgten ihrer Geste, zuckten aber sofort zur Seite, auf der Suche nach einer unverfänglicheren Stelle.

»Ähm, ja. Was ist damit?«

»Sehen Sie, was Sie angerichtet haben, weil Sie mir das falsche Wasser zu trinken gaben?«

Er war so verblüfft, dass sein Blick zu ihr zurückkehrte und er seine Augen in ihre bohrte. »Was behauptest du da?«

»Und sehen Sie hier?« Jetzt deutete sie auf die Stelle zwischen ihren Beinen. »Mir ist ein Fell gewachsen. Das kommt von der Milch!«

Ihre ganze Körperhaltung strahlte fürchterliches Entsetzen aus. Der brennende Vorwurf in ihren Augen erfüllte ihn mit unübersehbarem Unbehagen.

»Ich befürchte, du bist vollkommen außer dir.« Mit eiserner Selbstdisziplin kämpfte er darum, sich seine Erschütterung nicht anmerken zu lassen. »Lass mich dir helfen! Du solltest dich vor mir nicht nackt zeigen.«

»Ich bin ein Kind«, schluchzte sie da gänzlich verwirrt. »Aber Sie haben mich in eine Frau verwandelt!«

Die Anklage in ihrem Blick traf ihn tief.

»Das habe ich nicht«, versuchte er, sie zu beruhigen. »Ich bin kein Zauberer.«

Sie taumelte und er fing sie schnell auf, kurz bevor sie zu Boden sinken konnte. Jede Stelle ihrer nackten Haut prickelte, an der er sie berührte. Es war ein befremdliches, jedoch köstliches Gefühl, wie sie gestehen musste. Nie hätte sie gedacht, auf diese Weise empfinden zu können. Die neuen Erkenntnisse über sich selbst verunsicherten sie zusätzlich und Panik schnürte ihr die Luft ab. Was geschah hier mit ihr?

»Das ist eine Lüge. Was haben Sie nur mit mir angestellt? Vor ein paar Minuten war mir kalt, jetzt ist mir heiß. Ihre Hände verbrennen mich, nicht nur dort, wo Sie mich halten. Ich spüre Ihre Berührung in meinem Herzen und in meinem Kopf. Mein Bauch krampft sich zusammen.«

Unverzüglich, als hätte er sich verbrannt, legte er sie auf das Bett und zog sich mit erhobenen Händen zurück, wandte die Augen aber nicht von ihr ab. Wie von selbst begann sie sich wie in einem Fiebertraum auf den Laken zu winden, nach wie vor gänzlich entblößt und seinen Blicken preisgegeben.

Sie wusste nicht, wie ihr geschah und auch er wirkte, als würde er sich dazu zwingen müssen, über sie hinwegzusehen, um sie nicht länger zu beobachten.

»Helfen Sie mir«, flehte sie. Ihr Körper schien in Flammen zu stehen und in ihrem Schoss pochte es unaufhörlich. »Was haben Sie nur mit mir gemacht?«

»Um Himmels willen.« Sein Keuchen bestätigte ihre Vermutung und er ballte die Fäuste. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und rann in kleinen Bächen über die Wangen und den Hals. »Ich habe nichts getan!«

Mit weit aufgerissenen Augen fixierte sie ihn und streckte ihm einen Arm entgegen.

»So helfen Sie mir doch! Ich ertrage es nicht länger.«

»Was genau?«

Zögernd reichte er ihr die Hand und ließ sich näher ziehen, sank neben ihr auf die Bettkante.

»Das alles!« Sie deutete fahrig auf sich, strich über ihre Brüste, ihren Bauch und tiefer bis zu ihren Oberschenkeln. »Es ist, als würde ich das erste Mal etwas fühlen.«

Verunsichert wischte er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, hielt seine Augen unverändert konzentriert auf ihr Gesicht gerichtet. In heftigen Stößen hob und senkte sich ihr Brustkorb. Unerwartet zog sie seine Hand höher und legte sie über ihr Antlitz, um es darin zu bergen.

»Helfen Sie mir!«, flehte sie verstört. »Ich vermag mir nicht zu erklären, was mit mir geschieht. Bitte, machen Sie, dass es weggeht! Ich will wieder ein Kind sein!«

Pfeifend atmete er ein. »Das ist unmöglich.« Mit einem Ruck entzog er ihr die Hand und breitete die Decke über ihren nackten Leib aus.

»Iss etwas, damit es dir besser ergeht.«

Sie nickte aufgelöst, krallte aber ihre Finger in seinen Oberschenkel. Minutenlang saßen sie schweigend da. Nur langsam zog sich Claras Panik zurück, bis sie einzig in ihrem Bauchraum wie glühende Kohlen schwelte.

»Wer sind Sie?« Sie sprach so leise, dass er sie kaum hören konnte.

»Peter Edwards.«

»Was habe ich Ihnen angetan, Mr Edwards? Weshalb behandeln Sie mich so schlecht?«

Er stöhnte auf, fuhr sich mit einer beruhigenden Geste übers Gesicht.

»Oh mein Gott.« Es klang wie ein Stoßgebet. »Wie konnte das nur geschehen?«

Er löste sich aus ihrem Griff, stand auf, trat zum Tablett, nahm den Teller, auf dem eine geröstete, mit Butter bestrichene Scheibe Toast lag und hielt ihn ihr auffordernd hin.

»Iss das!«, befahl er statt einer Antwort.

Clara schluckte und setzte sich auf. Als sie nach dem Brot griff, rutschte die Decke auf ihre Hüften hinab. Doch sie bemerkte dies nicht, betrachtete stattdessen das karamellfarbene Quadrat in ihrer Hand, so, als wüsste sie nicht, was sie damit anfangen sollte.

»Iss!«, wiederholte er festentschlossen.

Einem Vögelchen gleich, das etwas Ungewohntes erkundet, beugte sie den Kopf und schnupperte. Wie von selbst sanken ihre Augenlider tiefer und sie fühlte sich in eine Zeit zurückversetzt, die ... Marmelade. Sie blinzelte, als sich der Geschmack auf ihrer Zunge entfaltete. Erdbeermarmelade. Sie bevorzugte diese Sorte. Sogar vor Honig. Langsam öffnete sie die Augen und starrte auf die leere Scheibe. Die Butter war längst geschmolzen und somit unsichtbar - nur ein leichter Schimmer bezeugte, dass sie da war.

»Haben Sie Erdbeermarmelade?«, fragte sie scheu und drehte ihr Gesicht in seine Richtung.

Sein Blick ruhte nach wie vor auf ihr und sie beobachtete, wie seine Augenbrauen in die Höhe schossen.

»Ich denke schon. Möchtest du welche?«

»Ich liebe Erdbeermarmelade.«

»Gut, dann sollst du sie bekommen.«

Ohne ihr seine Gedankengänge zu offenbaren, wandte er sich um und begab sich auf den Weg, um ihren Wunsch zu erfüllen.

 

Kapitel 3

 

Mit geröteten Wangen beobachtete sie, wie er Minuten später das gezuckerte Erdbeermus mit einem Löffel auf das Brot strich und ihr reichte. Plötzliche Begeisterung beschleunigte ihren Puls und sie biss herzhaft hinein.

»Oh ja«, stöhnte sie. »Oh ja, oh ja, oh ja! Ich liebe Erdbeermarmelade!«

Er stieß gequält die Luft aus, doch sie ignorierte ihn und knabberte an dem Brot. Als sie fertig war, jubelte sie: »Das war das Beste, was ich seit Jahren gegessen habe!«

»Möchtest du mehr davon?«

Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt ist es Zeit für das Wasser.«

Sichtlich erstarrt, griff er nach einem bereitstehenden Trinkglas und reichte es ihr.

Prüfend hob sie es höher und musterte es.

»Ist es jenes Wasser, das mir zu schlafen hilft?«

»Ich kann mir nicht erklären, weshalb es das tun sollte. Es ist dasselbe, welches ich dir gestern eingeschenkt habe.«

»Also jener Zaubertrunk, der meine Brüste wachsen ließ?«

»Welch einen Unsinn du redest! Dies vollbrachte allein die Zeit.«

Perplex musterte sie ihn und ihr Mund fühlte sich mit einem Mal trocken an. »Was wollen Sie damit andeuten? Seit wann bin ich denn hier?«

Wieder atmete er angespannt aus. Die Sehnen an seinem Hals traten wie Stahlseile hervor, als er mühsam erwiderte: »Seit vorgestern Nacht.«

Sie schnappte nach Luft, schüttelte störrisch den Kopf. »Das ist eine infame Lüge!«

»Nein. Es entspricht den Tatsachen.«

Sie runzelte grimmig die Stirn und Zorn blitzte in ihren Augen auf. »Sie halten mich wohl für unzurechnungsfähig!«

Peter hob eine Augenbraue und verbot sich ein zustimmendes Nicken.

»Wie können Sie sich unter diesen fadenscheinigen Umständen erklären, dass Sie mir mehrmals täglich zu trinken brachten?« Ihre Lippen bebten.

»Nur damit, dass es ein anderer tat. Nicht ich«, entgegnete er nüchtern. Mittlerweile war es ihm egal, ob sie von ihrer Entführung erfuhr.

Sekundenlang war es derart still, dass man das Knacken der Holzdielen hörte, welche sich unter dem Sonnenlicht behaglich dehnten. Erneut setzte sie das Glas hastig an und trank gierig.

»Es ist das falsche Wasser. Es wird mir nicht helfen. Wieder werde ich mich wach im Bett wälzen!« Tiefer Kummer tränkte ihre Anklage.

»Keine Angst, das wird nicht geschehen.« Betont gleichmütig sah er auf sie herab. »Denn du wirst aufstehen. Untertags wird ab jetzt nicht mehr geschlafen.«

Verwirrt suchte sie seinen Blick. »Nein? Aber was soll ich stattdessen mit all der Zeit anfangen?«

Obwohl Gefühle unterschiedlicher Art über sein Gesicht huschten, gelang es ihr nicht, seine Gedanken zu erraten.

»Zuerst einmal wirst du dich ankleiden. Dann werden wir weitersehen.«

»Ich besitze nur mein Nachthemd«, erinnerte sie ihn geistesgegenwärtig und wunderte sich gleichzeitig über ihren ungewöhnlich klaren Verstand.

»Das ist mir bewusst. Es muss genügen, bis ich dir etwas Geeigneteres besorgt habe.«

Wieder hielt er ihr das Kleidungsstück auffordernd hin. Schicksalsergeben stellte sie das Glas ab und schlüpfte mit den Armen und dem Kopf hinein.

»Fertig.«

Er beugte sich vor, befreite sie von der Decke und hob sie hoch.

»Du bist erschreckend leicht. Viel zu leicht. Man könnte meinen, du hättest wochenlang nur geschlafen.«

Sie blickte ihn mit großen Augen an. Obwohl sein harter Leib sie erschreckte, genoss sie dennoch seine körperliche Nähe. »Vermutlich, aber ich weiß es nicht genau«, murmelte sie und zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Wohin bringen Sie mich jetzt?«

»In den Garten. Die Sonne scheint, es ist ein herrlicher Tag.«

Ohne seinen Worten weiter Beachtung zu schenken, hob sie ihren rechten Arm und betrachtete ihn nachdenklich. Nach einer Weile legte sie diesen zögernd um seinen Nacken, dabei kamen ihre Fingerspitzen auf seiner gegenüberliegenden Schulter zur Ruhe. Als er sich in Bewegung setzte, fühlte sie seine Schritte, genoss das sanfte Schaukeln ihres Körpers und die Sicherheit, welche ihr seine kraftvollen Arme vermittelten. Die Kühle des Flurs strich über ihre Wangen und sie fröstelte. Dann stiegen sie die Stufen in den unteren Stock hinab und der Geruch von geröstetem Brot umwehte sie sekundenlang. Tief einatmend, verfing sich ihr Blick im Muster einer Tapete. Schnörkel. Gewundene Linien, die sich verbanden und wieder trennten, um gemeinsam ein Kunstwerk zu bilden. Doch Mr Edwards beachtete all diese Schönheit nicht, sondern trat ins Freie. Sonnenlicht fing sie ein und Luft vom morgendlichen Tau getränkt, klar und rein, legte sich wie ein frischer Geschmack auf ihre Zunge, bevor sie ihre Lunge ausfüllte und erzittern ließ. Eine leichte Brise kitzelte ihre Zehen und sie krümmte diese, als ein aufsteigendes Kichern in ihrem Hals prickelte. Farben in längst vergessener Intensität durchwoben ihre Netzhaut und bemalten ihr Gemüt: Grün, Blau, Rot, Gelb, Rosa, Schwarz. Ihr Herz vollführte Purzelbäume und sie grub ihre Fingerspitzen in seine Schulter. Am Himmel hing eine fette Wolke – weiß wie ein Federbett. Unwillkürlich klammerte sie sich noch fester an Peter und öffnete staunend den Mund.

»Wo kommt das nur alles her?«, flüsterte sie überwältigt.

»Es war immer schon da.« Seine Stimme klang erneut besorgt, so, als hätte sie etwas Albernes gesagt. Sie konnte sich nur nicht erklären, was genau es war – abgesehen davon war sie zu abgelenkt, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Unter einem Baum vor einem kleinen Teich setzte Mr Edwards sie auf einer Bank ab. Die Wasseroberfläche kräuselte sich gurgelnd, was sowohl tröstlich als auch beruhigend klang. Clara lauschte seinen Schritten und folgte seiner eindrucksvollen Gestalt mit den Augen, als er sich von ihr entfernte, um sich an einen gegenüberstehenden Stamm zu lehnen, um sie reglos zu betrachten. Sein Blick entfachte brennende Verlegenheit in ihr und sie wandte den Kopf, senkte ihr Antlitz und beobachtete ihre nackten Füße, die tastend über die Kieselsteine strichen. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Trotzdem ungewöhnlich angenehm. Abenteuerlustig verlagerte sie Teile ihres Gewichtes darauf. Jetzt piksten sie die Steine in die Fußsohle und sie zog ihre Beine erschrocken zurück.

Indessen fühlte sie Peters Blick unverändert auf ihr, als hätte er ihn mit kleinen Widerhaken darin verankert.

»Weshalb sehen Sie mich so an?«

»Ich versuche, eine logische Erklärung für dein Verhalten zu finden.«

»Was ist daran falsch?« Sie begann nervös mit ihren Fingern zu spielen. Dies alles, die komplette Welt, war beunruhigend, neu, verstörend und zugleich hinreißend. Als wäre dies nicht genug der neuen Eindrücke, verwandelte der fremde Mann ihr Blut in einen reißenden Strom.

»Nichts daran ist falsch, eher ungewöhnlich. Ich überlege, wann du dich das letzte Mal in einem Garten aufgehalten hast.«

Sie warf ihm einen flüchtigen, prüfenden Blick zu. »Ich vermag mich nicht zu erinnern.«

Sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, wie konzentriert er nachdachte. Plötzlich hellten sich seine Züge auf und er fragte: »Kannst du dich entsinnen, was gestern geschah?«

»Verschwommen.« Seufzend wünschte sie, ihm jene Antworten geben zu können, nach denen er so eindringlich forschte. »Zuerst reichten sie mir Milch, die meinen Körper verwandelt hat und danach ein falsches Wasser. Außerdem litt ich unter fürchterlichen Kopfschmerzen.«

Mit zu Schlitzen verengten Augen, taxierte er sie. Als würde er ihre inneren Schichten eine nach der anderen abtragen und ihren Kern freilegen wollen, um darin zu lesen.

»Und vorgestern? Woran erinnerst du dich?«, bohrte er weiter nach.

»Da haben Sie mir das richtige Wasser gebracht.«

»Und davor? Was geschah vor einer Woche?«

»Vor einer Woche?« Unbehaglich sah sie ihn an, durchkämmte ihr Gedächtnis nach einem Erinnerungsfetzen, um ihn ans Tageslicht zu zerren, doch erfolglos. »Ich glaube, da habe ich geschlafen.«

Als er die Augenbrauen zusammenzog, bildete sich ein steiles Gebirge auf seiner Stirn und harte Falten umklammerten seinen Mund. Mit einem Mal wirkte er überaus furchteinflößend und Angst entzündete sich in ihrem Herzen.

»Und davor? Bevor du geschlafen hast?«

Jetzt kam er langsam, wie ein Jäger auf Beutezug, auf sie zu. Unwillkürlich wich sie ein paar Handbreit zurück und drückte sich gegen die Rückenlehne der Bank.

»Ich weiß nicht. Ich vermute, dass ich immer geschlafen habe.«

Zorn blitzte in seinen Augen auf.

»Das ist vollkommen unmöglich!«, brauste er. »Einen größeren Unsinn kann man sich nicht ausdenken! Ich frage mich, was du zu verbergen trachtest!«

Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, während sie sich erschrocken auf die Unterlippe biss und ihn reglos anstarrte. Er setzte sich neben sie, griff nach ihrem Kinn und drehte ihren Kopf, sodass er sie eingehend betrachten konnte.

Ein leises Wimmern löste sich aus ihrer Kehle.

»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen!«

»Erdbeermarmelade«, erwiderte er. »Du hast danach verlangt. Wenn du immer geschlafen hättest, wäre sie dir nicht in den Sinn gekommen.«

Seine Blicke schienen Löcher in ihr Herz zu bohren und sie schluckte, fühlte sich ihm vollkommen ausgeliefert. Ihre Gedanken rasten. Was hatte er jetzt mit ihr vor, da sie ihn zweifellos erzürnt hatte? Würde er sie übers Knie legen? Ihr wurde angst und bange und sie ballte die zitternden Fäuste fester zusammen.

»Bitte bestrafen Sie mich nicht«, flehte sie. »Ich wollte nicht unfolgsam sein!«

Sofort lockerte er den Griff und zog die Hand zurück.

»Fürchte dich nicht.« Ein Teil der Härte schwand aus seinem Gesicht. »Solange du mich mit deinen hanebüchenen Geschichten nicht in Schwierigkeiten bringst, wird dir nichts geschehen. Dennoch solltest du es nicht wagen, wegzulaufen. Du kannst mir vertrauen und ich verspreche, dich zu deiner Familie zurückbringen, sobald die Zeit reif dafür ist. Bis dahin erwarte ich, dass du dieses Anwesen nicht verlässt. Ist das klar?«

Ihre Wimpern flatterten wie Schmetterlingsflügel, als sie blinzelte. Verwirrt versuchte sie, nachzuvollziehen, was er meinte.

»Ich verstehe nicht. Weshalb sollte ich davonlaufen? Und wohin bringen Sie mich? Fort von hier? Aber warum denn nur?«

Ein schweres Seufzen unterstrich seine zunehmende Resignation. »Hör auf, mir etwas vorzuspielen! Was versprichst du dir davon?« Er schüttelte unwillig den Kopf.

Instinktiv spürte sie, dass sie ihn erneut verärgert hatte, und sank mutlos in sich zusammen. Wenn sie doch wüsste, was sie falsch machte! Sie wünschte sich ebenfalls, ihm Antworten auf seine Fragen geben zu können. Aber es fühlte sich an, als dehnte sich in ihrem Kopf ein riesiges Loch aus. Weshalb glaubte er ihr nicht? Ihre Finger zitterten, als sie vorsichtig über die Sitzfläche der rauen Holzbank strich.

»Au!« Etwas Spitzes bohrte sich in ihre Handfläche.

Panisch hob sie die Hand und starrte auf einen winzigen blutigen Schnitt.

»Lass sehen«, forderte er sie lapidar auf und umschloss ihr Handgelenk, um ihre Verletzung eingehend zu untersuchen. »Es ist nur ein Splitter.« Gleichgültig gab er ihre Hand frei. »Ich werde ihn dir später herausziehen.«

»Ich blute!«, keuchte sie entsetzt und ihre Hals wurde schrecklich eng.

»So würde ich es nicht nennen.«

»Doch, ich blute!« Ihre von Erschütterung durchtränkte Stimme überschlug sich. »Ich werde sterben!«

»Wirst du nicht. Es ist nur ein Schiefer.«

Bemerkte er es denn nicht? Sie bekam kaum noch Luft! »Ich werde sterben!«

Er zuckte mit den Achseln und stöhnte. »Ja, das ist wohl wahr. Irgendwann. Aber mit ziemlicher Sicherheit nicht heute.«

Zischend stieß sie den Atem aus. »Nein? Wann dann?«

»Das weiß Gott allein.«

Ihres Erachtens war dies keine ausreichend beruhigende Antwort und neues Entsetzen wallte in ihrem Magen auf. Panisch wandte sie sich ihm wieder zu. »Sie wollen mich sterben lassen!«, kreischte sie mit weit aufgerissenen Augen.

»Keinesfalls.«

»Doch!«

Sie bohrte ihm den Zeigefinger oberhalb seines Herzens in die Brust, woraufhin er eine Hand darüberlegte und sie wegzog.

»Wie kommst du zu diesem lächerlichen Schluss?«

»Weil ich blute und Sie nichts dagegen unternehmen!« Ihr Aufschrei glich dem eines sterbenden Tieres, und sie entriss ihm die Hand und begann im nächsten Moment entsetzlich zu schluchzen. »Außerdem tut es fürchterlich weh!«

»Um Himmels willen«, stieß er entnervt hervor, sprang auf und hob sie auf. »Von mir aus versorge ich deine schwere Wunde sofort! Fehlt nur noch, dass du wegen dieser Banalität in Ohnmacht fällst!«

»Oh nein!« Die Wirkung dieses Wortes breitete sich augenblicklich wie Gift in ihr aus. »Mir wird schon ganz schwindlig und übel! Beeilen Sie sich!«

»Ja, ja.« Er eilte mit ihr den Weg entlang zurück zum Haus.

Im Salon setzte er sie auf einen Stuhl, holte eine Pinzette aus dem angrenzenden Bad und zog ihr den Splitter aus dem Fleisch. Sie schrie vor Schmerz und sämtliche Farbe wich aus ihren Wangen.

»Verdammt, wie kann man sich nur so hineinsteigern?«, schimpfte er verständnislos und schüttelte den Kopf.

Flink fixierte er einen Verband und sah sie prüfend an.

Sie betrachtete das weiße Leinen mit tränenverschleiertem Blick.

»Sie haben mir das Leben gerettet«, hauchte sie. »Ich stehe für immer in Ihrer Schuld.«

Verwundert stellte sie fest, dass seine Mundwinkel zuckten. Schniefend schluckte sie ihren Kummer hinunter und wollte verunsichert erfahren, was angesichts dieser Katastrophe so lustig sei.

»Ach, nichts«, meinte er und machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Und jetzt?«

»Wieder in den Garten.«

»Tatsächlich? Auch auf die Gefahr hin, dass dir der Himmel auf den Kopf fallen könnte?«

Sie erblasste. »Ist das etwas, womit zu rechnen ist?«

Sein leises Lachen beruhigte sie. »Nein, keinesfalls. Es wäre nur das Schlimmste, was dir zustoßen könnte.«

Kurz wog sie die Risiken miteinander ab, dann streckte sie auffordernd ihre Arme nach ihm aus. Vorsichtig hob er sie auf seine Arme und sah auf sie hinunter. Ihre Augen strahlten in einem hellen Blau.

»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Er griff nach einer bereitgelegten Picknickdecke, klemmte sich diese unter den Arm und brachte seine bezaubernde Last dann zurück ins Freie.

 

 

Auf dem dichten Rasenteppich breitete er die Decke aus und setzte Clara darauf ab. In einigem Abstand zu ihr ließ er sich neben ihr nieder. Sie drehte sich auf den Bauch, stützte sich auf die Unterarme, winkelte die Beine ab und spielte mit den Füßen durch die Luft, während sie mit einer Hand verträumt über das Gras strich. Ratlos beobachtete er ihr Verhalten. Als ob sie dies das erste Mal erlebte, doch dergleichen war unmöglich. Weshalb sollte jemand eine junge Frau ans Bett fesseln und von ihr verlangen, unentwegt zu schlafen? Entgegen aller Vernunft und durchaus einleuchtenden Argumente bestätigte ihre fahle Hautfarbe die abstruse Aussage, wochenlang geruht zu haben. Gedankenversunken trommelte er mit den Fingern seiner rechten Hand auf seinen Oberschenkel.

Der Wind trug eine flauschige Vogelfeder auf die Decke neben ihn und er schnappte sie sich mit einer flinken Bewegung, klemmte sie zwischen Daumen und Zeigefinger ein und betrachtete sie sinnend.

»Was ist das?«

»Eine Feder.«

Sie rollte sich auf den Rücken und streckte eine Hand danach aus. »Darf ich?«

Eine flüchtige Idee streifte seine Gedanken und er schüttelte lächelnd den Kopf. »Später. Zuerst möchte ich, dass du die Augen schließt.«

Argwohn verdunkelte sekundenlang ihren Blick, doch dann kam sie seinem Befehl nach. Er rückte näher und beugte sich über sie, wobei sein Schatten auf sie fiel. Sanft strich er mit der Feder über ihre Stirn. Blitzschnell riss sie die Augen auf und blinzelte verwundert.

»Augen zu«, wiederholte er und ihre Lider senkten sich folgsam.

Mit dem weichen Flaum fuhr er ihren Nasenrücken entlang und spielte über ihren Mund, der sich zögernd zu einem Lächeln dehnte. Ein leises Seufzen entrang sich ihrer Kehle und kroch ihm unter die Haut. Bevor er es verhindern konnte, entzündete es einen Funken in seinem Bauch. Er neigte sich tiefer, seine Lippen waren nur mehr einen Fingerbreit von ihren entfernt. Als fühlte sie seine Nähe, öffnete sie die Augen. Erschrocken wich er zurück und zog gleichzeitig die Hand von ihr fort. Mit geröteten Wangen setzte sie sich auf, hielt seinem Blick jedoch stand.

»Warum machen Sie das?«

»Was genau?«

»Das, mit der Feder.«

Er senkte den Kopf und beobachtete, wie er mit der Daune über seine eigene Handfläche strich.

»Weil es ein schönes Gefühl ist. Ich nahm an, du wolltest wissen, wie sie sich auf der Haut anfühlt.«

Sie nickte und streckte die Hand wieder danach aus.

»Jetzt ich!«, forderte sie und er reichte ihr den weichen Flaum. »Legen Sie sich zurück!«

Er schüttelte den Kopf. »Das ist eine schlechte Idee.«

»Warum? Eben war es das nicht.«

Peter stöhnte unterdrückt und ließ sich auf den Rücken zurücksinken.

»Die Augen«, erinnerte sie ihn und er schloss diese ergeben. Für einen Tag hatte er bereits genug gekämpft.

Er fühlte ihren Körper allzu deutlich, als sie näher rückte.

---ENDE DER LESEPROBE---