Das Lied der Engel - Junia Swan - E-Book

Das Lied der Engel E-Book

Junia Swan

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Beschreibung

Sein Auftrag: Sie zu retten. Was ihn erwartet: Die Hölle auf Erden. Im Jahre 1820: Der Amerikaner Daniel Robinson begibt sich auf die Suche nach Mila Goranov, die vor Jahren von Osmanen entführt und versklavt wurde. Es gelingt ihm, die junge Frau zu befreien und auf sein Schiff zu retten. Doch er muss erkennen, dass die Krallen des Martyriums Mila nach wie vor gefangen halten. Eine sanfte Stimme lockt Mila aus ihrer Einsamkeit. Wie ein Lichtstrahl aus Hoffnung weist sie ihr den Weg zurück in eine Welt, vor der sie sich verschlossen hat. Daniels Trost nimmt ihr die Angst und schenkt ihr Geborgenheit. Doch an der Küste Englands endet sein Auftrag. Wird sie ihn jemals wiedersehen, wenn er nun in seine Heimat zurückkehrt? Seine Stimme findet mich. Seine Arme tragen mich. Seine Liebe tröstet mich. Doch ich bin nicht die Seine und er wird mich verlassen. Bei dieser Ausgabe handelt es sich um eine Special-Edition mit besonderen Details im Buch.

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Seitenzahl: 799

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Vorwort
Prolog
eins
zwei
drei
vier
fünf
sechs
sieben
acht
neun
zehn
elf
zwölf
dreizehn
vierzehn
fünfzehn
sechzehn
siebzehn
achtzehn
neunzehn
zwanzig
einundzwanzig
zweiundzwanzig
dreiundzwanzig
vierundzwanzig
fünfundzwanzig
sechsundzwanzig
siebenundzwanzig
achtundzwanzig
neunundzwanzig
dreißig
einunddreißig
zweiunddreißig
dreiunddreißig
vierunddreißig
fünfunddreißig
sechsunddreißig
siebenunddreißig
achtunddreißig
neununddreißig
vierzig
einundvierzig
zweiundvierzig
dreiundvierzig
vierundvierzig
fünfundvierzig
sechsundvierzig
Epilog
Fortsetzung geplant ...
Danksagung
Weitere Bücher der Autorin
Leseprobe „Mona Lisas Traum“
Über die Autorin

Das Lied der Engel

Junia Swan

Roman

Copyright © 2022 Junia Swan

Hermogenes Perez Final, Samaipata

Alle Rechte vorbehalten.

Independently published

Für den Einen, dem die Engel Lieder singen

Vorwort

Bei dem hier vorliegenden Roman handelt es sich, wie bei allen meinen Büchern, um eine erfundene Geschichte, die in einer längst vergangenen Zeit spielt. Auch bei „Das Lied der Engel“ geht es mir vorrangig um die Beziehungen zwischen Menschen und ihren Problemen, denen sie sich stellen müssen sowie ihrer persönlichen Entwicklung. Dabei ist es mir wichtig, meine Protagonisten aus ihrem zeitlichen Kontext heraus denken und handeln zu lassen. Während des Schreibens versuche ich mich in ihre Zeit hineinzuversetzen, um ein klitzekleines Bisschen zu verstehen, wie sie die Welt gesehen haben könnten, nach welchem Wissens- und Erfahrungsstand sie handelten. Bei meinen Recherchen ist es mir wichtig, unterschiedliche Aspekte und Gesichtspunkte zu berücksichtigen, um damit neue Perspektiven zu eröffnen und vielleicht auch unseren Blick auf die Gegenwart zu schärfen.

„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft“, schrieb einst George Orwell in seinem dystopischen Roman „1984“.

Das bedeutet, dass alle Informationen, die uns erreichen, uns auch beeinflussen, zu Handlungen bewegen und uns prägen.

Der Sieger einer Schlacht erzählt eine andere Geschichte als der Besiegte, der Angreifer eine andere als der Angegriffene, der Unterdrücker eine andere als der Unterdrückte. Manchmal entstehen daraus Legenden, entsteht ein einseitiges Narrativ, das alle anderen Aspekte und Facetten ausblendet. Es gibt nur mehr wahr oder falsch, eine einzige Sicht auf Ereignisse.

Das macht es für mich umso spannender, zu ergründen, wie das Leben für manche Menschen gewesen sein könnte. Wie sind sie den Herausforderungen ihrer Zeit begegnet? Hat sich seit damals etwas verändert? Und wenn ja, was? Oder was ist noch immer ähnlich und warum?

Mit „Das Lied der Engel“ lade ich Sie herzlich ein, mit mir den Dreimaster „Morningbreeze“ zu besteigen und damit direkt nach Konstantinopel ins Jahr 1820 zu reisen. Ich wünsche Ihnen ereignisreiche, herausfordernde, überdenkenswerte, aber auch hoffnungsvolle und romantische Stunden beim Lesen und Mitfiebern.

Herzlich

Junia Swan

Prolog

Bulgarien 1815

Die Sonne glitzerte golden auf den Wellenkämmen des Schwarzen Meeres, kurz bevor sie sich im blutroten Schein auflöste. Mila Goranov schenkte dem dunklen Umriss einer Fregatte, welche vor einiger Zeit am Horizont aufgetaucht war, keine Beachtung. Einem Geisterschiff gleich, teilte deren Kiel die Wasser der See wie eine scharfe Klinge, bis sie von der einbrechenden Nacht verschluckt wurde.

Glücklich, mit pochendem Herzen stand das Mädchen am Fenster seines Zimmers, die linke Hand ruhte am Fensterbrett, es atmete aufgeregt ein und aus. Vor wenigen Minuten hatte Miron Tomov bei ihrem Vater um Milas Hand angehalten. Endlich, nach all den Jahren ihrer Kindheit, welche von ihrer stillen Bewunderung für Miron geprägt gewesen waren, war sie jetzt am Ziel ihrer Träume angelangt. Von klein auf hatte sie den Tag ihres fünfzehnten Geburtstags herbeigesehnt, hatte mit Begeisterung beobachtet, wie sich ihr Körper von dem eines Mädchens in den einer Frau verwandelte, um schließlich damit Mirons Aufmerksamkeit zu erregen. So hatte sie zumindest gehofft. In Wahrheit hatte sich dies als schwierige Aufgabe herausgestellt, da er sie stets als die kleine Schwester seines besten Freundes betrachtete. Vor einigen Monaten hatte Mila erkannt, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen musste, um Miron für sich zu gewinnen. Fest entschlossen, eines Tages Mirons Ring am Finger zu tragen, hatte sie ihrem Vater beiläufig einen Floh ins Ohr gesetzt. Insgeheim hatte sie sich darüber gewundert, dass er bis dato nie über den Vorteil einer dauerhaften Bindung zwischen ihren Familien nachgedacht hatte. Daher malte sie ihm überschwänglich die schönsten Bilder vor Augen und war erleichtert, dass er mühelos zu überzeugen war. Es dauerte nicht lange, da sah sie Mirons Blick auf sich ruhen. Oh, seine eindringliche Musterung ließ ihren Leib unter wohligen Schauern erbeben! Wenn sie nur daran dachte, wurde ihr schwindlig! Und seine Stimme! Als er sie bei seinem Eintreffen vor einer knappen Stunde begrüßt hatte, klang sie wie weicher Samt und hatte sie wie in einen warmen Mantel eingehüllt. Umso ungerechter empfand sie es, dass ihr Vater sie danach in ihr Zimmer geschickt hatte. Bedauerlicherweise war er trotz ihrer Bitte hart geblieben und hatte ihr, als wäre sie ein kleines Kind, vor Miron nachdrücklich erklärt, dass sie beim Aushandeln der Einzelheiten, die ihren bevorstehenden Ehestand betrafen, unerwünscht sei. Sie wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, doch Mirons anhaltend schmachtende Blicke hatten sie getröstet und sogar mit ihrem Schicksal versöhnt. Wenn alles so geschah, wie sie es sich vorstellte, wäre sie schon vor dem Wintereinbruch seine Gemahlin und nichts vermöge sie jemals zu trennen. Oh, das Leben war wunderbar!

Ausgelassenes Gelächter drang von unten zu ihr empor und ließ sie annehmen, dass man sich, bei etlichen Gläsern Mastika, geeinigt hatte. Die junge Frau verdrehte die Augen. Ein kleines Schlückchen dieses Gebräus, das so herrlich nach Anis schmeckte, könnte sie ebenso vertragen. Ihr schien, dass winzige Blitze ihre Nerven malträtierten, denn ihr Leib prickelte heftig.

Mila seufzte trotz ihrer Aufregung verträumt auf und kam zu dem Schluss, in den nächsten Stunden ganz gewiss nicht einschlafen zu können. Zu belebend wirkten die in ihrem Geist aufsteigenden Bilder der bevorstehenden Hochzeit und befeuerten ihren Puls mit jeder weiteren ersonnenen Einzelheit. Ihr Zimmer schien ihr eindeutig zu klein für die erfüllenden Zukunftsvisionen, die ihren Brustkorb weiteten. Sie beschloss, sich zu ihrer Freundin, die einen Fußmarsch von zwanzig Minuten entfernt wohnte, zu stehlen. Sowohl die Bewegung als auch die frische Luft würden ihr sicher gut tun. Nachdem sie Lana ausführlich von ihren rosigen Zukunftsaussichten berichtet hätte, würde sie zweifellos nach ihrer Heimkehr auch schnell einschlafen können. Leise stieß sie das Fenster auf, kletterte flink auf das Fensterbrett und klammerte sich an den dicken Ast einer alten Steineiche, die ihr schon des Öfteren als Leiter gedient hatte. Ein Glück, dass die Rinde noch so glatt war – zerkratzte Arme und Beine wären für eine Ehefrau sicher nicht sittsam. Da wurde ihr bewusst, dass sie, sobald sie eine verheiratete Frau wäre, auf derlei Vergnügungen würde verzichten müssen. Dies schien ihr jedoch ein schwindend geringer Preis zu sein, den sie liebend gerne zu zahlen bereit war. Weshalb sollte sie das Verlangen verspüren, aus dem Fenster zu klettern, wenn sie stattdessen in Mirons Armen liegen könnte?

Geräuschlos landete sie auf dem harten, sandigen Boden und rieb sich die Hände, um die winzigen Rindenstückchen abzuschütteln. Sie drehte sich ausgelassen im Kreis und lief dann los.

Auf halber Strecke verwob sich die Dämmerung mit der Finsternis, wurde so dicht wie schwerer Samt. Mila stockte. Ihr gelang es kaum, zehn Fuß weit zu sehen. Sekundenlang überlegte sie, umzukehren. Als hätte der Mond ihre Not erkannt, schob er sich hinter einer dunklen Wolke hervor und erhellte wieder ihren Weg. Das Mädchen atmete erleichtert auf. Dennoch heftete sich eine nagende Verunsicherung an ihre Fersen, als wollte diese sie am Weitergehen hindern. Doch nein, sie war zu aufgeregt, um den Besuch bei ihrer Freundin aufzuschieben. Sie musste Lana unbedingt von Mirons Heiratsantrag erzählen! Da sie den Weg in- und auswendig kannte, brauchte sie keine Angst davor zu haben, sich zu verlaufen. Angespannt hastete sie weiter.

Als sie sich dem Grundstück von Lanas Eltern näherte, hörte sie Schreie, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen. Noch bevor sie eine Erklärung dafür finden konnte, sah sie das zuckende Licht unzähliger Fackeln. Einen schmerzhaften Augenblick lang stockte ihr Fuß. Was hatte das zu bedeuten? Warum wurde das Gelände durchsucht? Es musste etwas Schreckliches vorgefallen sein!

Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gedacht, als jemand sie von hinten am Arm packte und herumriss. Ein furchterregender Mann mit dichten, schwarzen Augenbrauen und einem dunklen Turban darüber, grinste ihr ins Gesicht – seine Zähne leuchteten dabei matt auf.

„Araber!“, schoss es Mila durch den Kopf. Panik explodierte in ihr und schnürte ihr den Hals zu. Erinnerungsblitze durchzuckten sie – Warnungen vor den brutalen Überfällen orientalischer Piraten. Ein Hilfeschrei formte sich in ihrer Kehle. Nach Luft ringend öffnete sie den Mund. Da sah sie ihn seine Faust heben.

Ihr Kopf dröhnte, als sie stöhnend erwachte und ihre Sinne zu ihr zurückkehrten. Wo war sie? Zweifellos befand sie sich weder in Lanas Wohnhaus noch Zuhause. Und wie lange war es her, seitdem man sie niedergeschlagen hatte? Ihre Entführer hatten ihre Arme mit einem Seil auf dem Rücken zusammengebunden und die Beine an den Knöcheln verschnürt, weshalb sie sich kaum bewegen konnte. Sie tastete um sich, ihre Hände berührten Holz, das mit einem feuchten Film überzogen war. Da wurde ihr das gleichmäßige Heben und Senken des Bodens unter ihr bewusst. Oh Gott, sie war in einem Schiffsbauch! Obwohl ihr Kopf schrecklich schmerzte, öffnete sie vorsichtig die Augen einen Spaltbreit, blinzelte. Trotz des vorherrschenden Zwielichts, bestätigten die vagen Schemen ihrer Umgebung, was sie in ihrem Inneren schon befürchtet hatte. Grauen überwältigte sie. Ihre schlimmsten Albträume waren zum Leben erwacht. Ihrer Freiheit beraubt, hatten sie skrupellose Barbaren wie ein Stück Holz in den Bauch eines arabischen Sklavenschiffs geworfen. Das Entsetzten über ihre ausweglose Lage lähmte sie und sie kämpfte gegen die aufsteigende Ohnmacht, rang nach Luft. Zugleich biss sie die Zähne zusammen, damit sie nicht vor Angst klapperten. Erzählungen von Plünderungsfahrten der Araber, welche auf brutalste Art und Weise auf Menschenfang gingen, durchpflügten ihren gepeinigten Sinn. Bilder von an schwere Ketten geschmiedete Sklaven, die in elendslangen Reihen von Männern mit Peitschen angetrieben wurden, vermischten sich in ihrem Kopf mit Berichten vom grauenhaften Treiben auf Sklavenmärkten. Nein! Es durfte nicht wahr sein! So unrealistisch es auch erscheinen mochte, klammerte sie sich dennoch an die letzte Hoffnung: ihre Rettung. Sie wollte nicht aufgeben und sich nicht von der Tatsache, dass es für ein Mädchen wie sie, keinen Ausweg aus dieser Hölle gab, in die Knie zwingen lassen.

Verbissen zwang sie sich dazu, an Zuhause zu denken. An die heiße Sonne, die den Boden austrocknete, bis er aufriss und kleine Schluchten bildete. An die winzigen Blätter des Christusdorns und seine roten Blüten, die kugelförmigen Früchte der Drosselbeeren und die scharfen Felsen der Berge.

Nie würde sie ihren Geburtsort Balchik, den wundervollen Blick auf Küste und Meer sowie ihre Familie vergessen. Sie schwor sich mit der Inbrunst einer Todgeweihten, sich stets daran zu erinnern, wer sie war. Niemand vermochte es, ihr die Vergangenheit zu rauben, die Gewissheit, als freier Mensch geboren zu sein.

Als sich Mila auf den nackten Schiffsplanken trotzig an die letzten Reste ihres Muts klammerte, ahnte sie nicht, wie sehr sie sich darin irrte.

eins

5 Jahre später

Die Hitze des Tages hatte sich in den Mauern Konstantinopels gespeichert und verhinderte, dass es nach Sonnenuntergang kühler wurde. Obwohl vom Meer her eine leichte Brise durch die engen Gassen wehte, überzog ein dünner Schweißfilm Daniels Stirn. An den Schläfen sog er sich in den dunklen Stoff des Turbans, den er sich zur Tarnung aufgesetzt hatte. Er passte perfekt zu dem Ruß auf seinen Wangen, welcher seine europäische Abstammung vertuschen sollte. Seit sich Bulgarien gegen das Osmanische Reich erhoben hatte, nistete Unruhe in jedem Winkel und knisterte in der Lunge, wenn man Atem schöpfte. Doch dies war nicht der Grund, weshalb Daniel aufs Äußerste angespannt war. Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte er auf das Haus Mahmud Haddads, eines wohlhabenden, arabischen Kaufmanns. Auf beiden Seiten des stattlichen Tores zuckten die Flammen einer Fackel, als kostete es sie immense Kraft, die vorherrschende Dunkelheit aufzureißen. Daniel ließ das Portal nicht aus den Augen, wischte sich aber mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.

„Komm schon“, drängte er leise, beschwor im Geist seinen Komplizen, und strich sich die feuchten Handflächen an der Hose ab. „Na, los! Worauf wartest du denn?“

Da wurde das Tor einen Spaltbreit geöffnet und Daniel murmelte ein Dankgebet, bevor er darauf zulief. Ein Knabe von rund elf Jahren erwartete ihn im Inneren neben der Tür. Er stand dabei so, dass man ihn von außen nicht sehen konnte. Daniel nickte dem Jüngeren zu, der sich ohne Antwort umdrehte. Lautlos folgte er dem Kind in den hinteren Teil des Hauses, beobachtete, wie es verstohlen einen Riegel zur Seite schob. Dann zeigte er ins Innere des Raums. Die einzige Lichtquelle, welche die spartanische Einrichtung marginal erhellte, war der Schein des zunehmenden Mondes, der, wie die auf der osmanischen Armeeflagge abgebildete Sichel, schief am Firmament hing.

„Ist sie das?“, flüsterte er und deutete mit dem Kinn auf eine schlafende Gestalt, die sich kaum von der Dunkelheit abhob.

Der Knabe nickte bestätigend. Da huschte Daniel zu der jungen Frau, beugte sich über sie und presste ihr eine Hand auf den Mund. Sie wehrte sich nicht, obwohl er sie erschreckt haben musste. Forschend musterte er sie und erkannte am Glitzern ihrer Augäpfel, dass sie wach war.

„Sei leise, ich bringe dich in Sicherheit“, wisperte er dicht an ihrem Ohr, doch sie bewegte sich nicht. Nickte nicht einmal als Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte.

Probehalber gab er ihren Mund frei. Kein Laut löste sich von ihren Lippen. Da schob er die Arme unter ihren Körper und hob sie hoch. Nüchtern stellte er fest, dass sie kaum mehr als einer der Mehlsäcke wog, die er auf seiner Pinasse transportierte. Ihre Schläfe streifte seine Schulter, als er sich, ihren Leib eng an sich gedrückt, dem Ausgang zuwandte. Dabei fiel ihr Kopf zurück in den Nacken, so, als verfügte sie über keinerlei Körperspannung. War ihr merkwürdiges Verhalten das Ergebnis purer Angst? Es wäre kein Wunder. Nach allem, was sie durchgemacht haben musste, gehörte dieses Gefühl zweifellos zu ihrem Alltag. Mit angehaltener Luft huschte er den Weg, den er gekommen war, zurück. Bevor der Knabe die Tür hinter ihm schloss, drückte Daniel ihm den zweiten Teil der zuvor vereinbarten Belohnung auf die Handfläche. Es blieb zu hoffen, dass der Bursche gegenüber Haddad am kommenden Tag eine schlüssige Ausrede für das Verschwinden des Mädchens parat hatte. Aber das sollte nicht seine Sorge sein. Er musste Mila schnellstmöglich von hier fortbringen! Erst nachdem sie das Haus hinter sich gelassen hatten, atmete Daniel auf. Dennoch hielt er nicht an, sondern hastete die verwaiste Straße entlang. Zwei Seitengassen weiter erwartete ihn Bob, der Steuermann seines Handelsschiffes, auf einem Pferdewagen. Vorsichtig legte Daniel Mila auf die Ladefläche und kletterte neben sie. Sogleich setzte sich das Gefährt in Bewegung. Das Trommeln der Hufe zerriss die nächtliche Stille, übertönte vereinzelte Schritte oder Stimmen, die hin und wieder aus den Häusern ins Freie drangen. Er nahm dies alles nur nebenbei wahr, die junge Frau neben ihm beschäftigte seine Gedanken. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er sie, um herauszufinden, wie es ihr erging.

Der Geruch von Kümmel stieg flüchtig in seine Nase, kurz bevor sie sich dem Hafen näherten und Fischgestank die Luft durchtränkte. In dem Fall der willkommene Hinweis, dass sie sich bald in Sicherheit befänden.

Ethan Levi, Erster Maat der Morningbreeze, lehnte an der Reling und sah ihnen entgegen. Daniel gab ihm ein Zeichen und der Seemann verschwand, um ihnen zu helfen. Nicht lange und sie hasteten übers Deck. Beunruhigt musterte Daniel das Gesicht der jungen Frau in seinen Armen. Sie hatte bis jetzt kein Lebenszeichen von sich gegeben, obwohl ihre Augen geöffnet waren. Mit der Schulter stieß er die Tür zur Kapitänskajüte auf und legte sie auf das schmale Bett. Dann schloss er die Tür und entzündete eine Petroleumlampe. Gleichzeitig hörte er, wie die Segel gehisst wurden und spürte, wie das Schiff zu schaukeln begann.

„Los“, feuerte er seine Mannschaft insgeheim an. „Her mit der strammen Windböe!“

Er stellte die Lampe neben dem Bett ab und lauschte auf das Knarren der Seile und Ächzen der Segel. Das klang gut. Wie es aussah, war ihnen das Glück hold und sie würden ohne Probleme entkommen können. Das zunehmende Heulen des Windes bewies ihm, dass sie an Fahrt gewannen. Jetzt konnte er sich beruhigt um Mila kümmern. Eilig rückte er einen Stuhl an die Koje heran, setzte sich darauf und unterzog die blutjunge Frau einer eingehenden Musterung. Die Spitzen ihres honigblonden Haares, welches über das Kissen und die Bettkante floss, berührten den Boden. Ihre Augenbrauen waren sanft geschwungen und überschatteten ihre weit aufgerissenen, blauen Augen. Mila besaß hohe Wangenknochen und eine zarte Nase über wohlgeformten Lippen. Ihr Kinn war lieblich gerundet. Obwohl sein Blick jeden Zoll ihres Gesichts abtastete, bewegte sie sich nicht.

„Hab keine Angst, du bist in Sicherheit“, erklärte er schließlich und hoffte, dass sie ihn verstand.

Ajdin Goranov, ihr Bruder, hatte ihm erzählt, dass er als Kind Unterricht in Englisch gehabt und dass Mila heimlich gelauscht und mitgelernt hätte. Trotzdem war nicht anzunehmen, dass sie sich die Vokabeln, angesichts dessen, was ihr widerfahren und der Zeit, die vergangen war, gemerkt hatte. Ihrer Muttersprache Bulgarisch war hingegen Daniel nicht mächtig. Somit blieb ihm nur zu hoffen, dass die junge Frau am Klang seiner Stimme seine lauteren Absichten erkannte.

„Mein Name ist Daniel. Daniel Robinson und ich bringe dich zu deinem Bruder nach Großbritannien“, fuhr er fort zu erklären, in der Hoffnung, sie zu einer Bewegung zu veranlassen.

Doch nichts deutete darauf hin, dass sie ihn verstand, geschweige denn ihm überhaupt zuhörte. Ihre Augen starrten glasig ins Leere und er überlegte, ob man sie mit Opium betäubt hatte. Womöglich hatte sie bis jetzt gar nicht erfasst, dass er sie aus dem Haus des arabischen Kaufmanns befreit hatte.

„Du bist bestimmt müde“, murmelte Daniel ratlos und griff nach einem Leintuch, das er über ihren Leib breitete. „Schlaf jetzt und sei unbesorgt. Alles wird gut!“

Um sie nicht weiter zu erschrecken, erhob er sich leise und stellte den Stuhl auf seinen Platz zurück. Dann löschte er die Lampe und verließ die Kabine. Als er an die Reling trat, warf er einen Blick auf die hinter ihnen zurückbleibende Stadt. Die vereinzelten Lichter des Hafens waren nur noch als winzige Punkte zu erkennen.

„Wie es aussieht, werden wir es schaffen“, rief er Ethan zu und der nickte.

„Aye, Captain. Es scheint, als wollte jemand, dass diese Mission gelingt!“

Der Wind ließ sie nicht im Stich und als die Morgendämmerung Nebelfelder über das schäumende Meer trieb, hatten sie bereits das griechische Festland hinter sich gelassen – die Straße von Gibraltar stellte das erste Etappenziel ihrer Reise dar. Bevor Daniel in die Kapitänskajüte eintrat, klopfte er leise an. Vorsichtig öffnete er die Tür und lugte ins Innere. Mila lag reglos mit dem Rücken zu ihm, auf dem Bett.

„Darf ich hereinkommen?“, wollte er höflich wissen, doch sie erwiderte nichts.

Ratlos strich er sich mit den Fingern durchs dunkelbraune Haar.

„Schläfst du noch?“

Da sie nicht antwortete, zog er die Tür hinter sich zu, stellte ein Tablett auf dem Tisch ab und trat näher. Neben dem Bett blieb er stehen, bückte sich und stupste sie vorsichtig am Oberarm an. Nichts. Keine Reaktion.

„Ich habe Frühstück für dich gebracht, Mila“, ließ er sie freundlich wissen. „Bist du nicht hungrig?“

Sie bewegte sich nicht. Unschlüssig starrte er auf ihren Hinterkopf, das zierliche Ohr, den Schwung ihres Halses. Auf dem Weg nach Konstantinopel hatte er sich alle möglichen Szenarien, wie sie auf ihre Rettung reagierte, vorgestellt. Doch in keiner von ihnen hatte sie ihn mit einer leblosen Gleichgültigkeit bedacht und er überlegte, wie er sich verhalten sollte. Ratlos traf er eine Entscheidung, schob seine Hände unter sie und setzte sie auf. Ohne Gegenwehr ließ sie es geschehen und er war froh, dass sie sitzen blieb und nicht zurück aufs Bett fiel. Er wertete dies als ersten Erfolg. Behutsam umschloss er ihren Oberarm und zog sie auf die Beine. Sie folgte ihm brav wie ein erstklassig abgerichteter Hund. Nein, dachte er, während er sie zum Stuhl führte, wie ein gebrochener Hund. Wie ein Lebewesen, dem man den eigenen Willen brutal ausgetrieben hatte. Sein Herz zog sich voll Mitgefühl zusammen. Sanft drückte er sie auf die Sitzfläche und sie ließ es geschehen. Er stellte einen Teller vor sie und legte einen Löffel daneben.

„Ich entschuldige mich für das bescheidene Mahl, doch an Bord eines Schiffes haben wir keine große Auswahl, was das Essen anbelangt.“ Er lächelte sie aufmunternd an und schöpfte aus einer Schüssel Suppe auf ihren Teller. „Genau genommen haben wir insgesamt in sämtlichen Belangen kaum Alternativen, aber ich fürchte, bei den Speisen fällt es am ehesten auf.“

Er stellte die Kelle in die Schale zurück und wartete, dass sie zu essen begann. Es irritierte ihn, dass sie nach wie vor an ihm vorbeiblickte und dadurch den Anschein erweckte, gedanklich abwesend zu sein. Daniel setzte sich ihr gegenüber, ergriff ihre rechte Hand und klemmte den Löffel zwischen ihre Finger.

„Bitte, iss!“

Da senkte sie zu seiner Erleichterung ihr Antlitz und begann zu essen. Jeder ihrer Bewegungen folgte er mit Argusaugen.

„Ich vermag zu verstehen, dass dir nicht begreiflich ist, wie dir momentan geschieht“, durchbrach er erneut die zwischen ihnen herrschende beklemmende Stille, welche er kaum ertrug. „Wie ich gestern andeutete, hat mich dein Bruder geschickt, um dich zu retten. Dies war kein leichtes Unterfangen, das kannst du mir glauben. Dich zu finden, war, wie eine Stecknadel in einem Heuhaufen zu suchen. Es hat mich einige Monate gekostet.“ Er schüttelte den Kopf und lachte leise auf. „Aber es ist mir gelungen, nicht wahr? Dabei ging eine schöne Stange Geld drauf.“ Daniel zuckte mit den Achseln. „Nicht, dass deine Befreiung nicht jeden Penny wert wäre. Letztlich kommt ohnehin dein Bruder für alle Spesen auf. Ajdin, du erinnerst dich?“

Sie löffelte ungerührt die Suppe, mechanisch wie eine jener kleinen Aufziehpuppen, die auf Jahrmärkten feilgeboten werden. Er runzelte die Stirn.

„Womöglich fragst du dich, weshalb es so lange gedauert hat, bis dich jemand befreite? Nun, dafür gibt es einen simplen Grund: Dein Bruder, dem es gelungen war, den Piraten zu entkommen, musste sich erst ein neues Leben in Großbritannien aufbauen, um deine Rettung finanzieren zu können.“

Wie zuvor taxierte sie den Teller, als existierte die Welt um sie herum nicht.

„Mila“, murmelte er besorgt und legte eine Hand auf ihren Unterarm.

Sogleich ließ sie den Löffel sinken und dieser kam mit einem dumpfen Laut auf der Tischplatte auf.

„Du bist doch Mila, oder?“

Sie bewegte sich nicht. Sekunden flogen vorbei und Daniel zog seine Hand zurück.

„Ich kann mir vorstellen, dass es dir besser ergehen wird, wenn du ein Bad genommen hast. Ich werde dafür sorgen. Sobald du den türkischen Staub von dir gewaschen hast, wirst du wieder du selbst sein, denkst du nicht?“

Ihre Augen blickten unverändert an ihm vorbei und ihre reglose Haltung erinnerte ihn an die einer Statue.

„Bitte, iss weiter!“ Er machte eine auffordernde Geste und sie gehorchte sofort.

Mittlerweile hatte er eingesehen, dass mit ihr kein Gespräch, in welcher Form auch immer, zustande kommen würde, deswegen ließ er sich zurücksinken, ohne seine Augen von ihr abzuwenden.

Der Anblick ihrer zarten, unscheinbaren, tief in sich zusammengesunkenen Gestalt verkrampfte sein Herz. Brennendes Mitgefühl überwältigte ihn und er schluckte hart. Er wollte sich nicht ausmalen, welches Leid sie erfahren haben musste, welche Tragödien ihr zugestoßen waren.

Als sie aufgegessen hatte, stellte er den Teller zur Seite und hievte einen schweren Bottich in die Mitte der Kajüte. Auf dem Weg zur Kombüse befahl er einem Matrosen, warmes Wasser in den Holztrog zu füllen. Als er nach einer Weile zu Mila zurückkehrte, saß sie genauso, wie er sie verlassen hatte. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte ein Seufzen. Oh, er wünschte, er könnte ihr helfen! Sie irgendwie ins Leben zurückholen!

Nachdem der Matrose den Holzbottich gefüllt hatte, bückte sich Daniel und überprüfte die Temperatur. Zufrieden stellte er fest, dass sein Seemann gute Arbeit geleistet hatte.

„Ich werde dich jetzt allein lassen“, erklärte er zu Mila gewandt, die unverändert apathisch auf dem Stuhl saß und vor sich hinstarrte. „Entkleide und wasche dich. Du wirst sehen, es wird dir helfen. Ganz bestimmt. Beeile dich, bevor das Wasser abkühlt!“

Er drehte sich zur Tür, warf aber einen letzten Blick über die Schulter, wollte sich vergewissern, dass sie ihm zugehört hatte. Doch nicht das flüchtigste Zucken ließ vermuten, dass sie sich in den nächsten Minuten bewegen würde. Ratlos überlegte er, was er tun sollte und entschloss sich, ihr zu helfen. Deswegen kehrte er zu ihr zurück, blieb vor ihr stehen, umfasste sie an den schmalen Handgelenken und zog sie behutsam in die Höhe. Sie ließ es mit sich geschehen.

„Benötigst du meine Hilfe?“

Sie blickte auf Brusthöhe durch ihn hindurch. Daniel runzelte unbehaglich die Stirn.

„Wenn ich dich in Ruhe lassen soll, musst du es nur sagen und ich verspreche, sofort zu verschwinden.“

Nichts an ihr deutete darauf hin, dass es sie ängstigte, mit ihm allein zu sein. Dass die Aussicht, er würde sie entkleiden, ihr Unbehagen bereitete. So weit er das erkennen konnte, beschleunigte sich ihr Puls nicht. Daniel gab sich einen Ruck und hob die Hände. Seine Finger zitterten, als er nach den Bändern griff, welche die Tunika an ihrem Hals zusammenhielten. Während er sie löste, empfand er sich wie einen Dieb, der sich stahl, was einem anderen gehörte. Es ließ sich nicht vermeiden, dass seine Fingerspitzen die weiche Haut ihres Halses streiften, obwohl er sich konzentriert darum bemühte, sie nicht zu berühren. Inbrünstig kämpfte er sein schlechtes Gewissen nieder, das ihm vorhielt, die Situation auszunutzen und sich an einem hilflosen Mädchen zu vergehen. Er hielt sich verbissen vor Augen, dass er ihr helfen und nicht seine Leidenschaft stillen wollte. Wie könnte er eine Frau begehren, die so zerbrochen war, dass ihr Geist die Welt verlassen hatte? Er zog die Hände zurück, trat einen Schritt nach hinten.

„Fertig. Gelingt es dir, das Kleid allein über den Kopf zu ziehen?“

Hoffnungsvoll musterte er sie, wartete, dass sie der Aufforderung nachkam. Doch sie reagierte nicht. Er warf einen abschätzenden Blick zur Wanne. Wenn sie sich nicht bald hineinsetzte, wäre das Wasser kalt.

„Gut, dann ...“ Er krallte resigniert seine Finger in Höhe ihrer Taille in den Stoff. „Heb die Arme!“

Sie tat wie geheißen und er schob ihr das orientalische Kleidungsstück über den Kopf. Er verbot es sich, ihren Körper zu betrachten und warf die Tunika auf den Stuhl. Dann umschloss er die junge Frau, hob sie in die Höhe und stellte sie in den Bottich.

„Und jetzt setz dich hin!“

Ihre Bewegungen waren fahrig, als sie seiner Forderung Folge leistete. Er holte ein Stück Seife und ein Tuch und drückte ihr beides in die Hand.

„Los!“, drängte er sanft.

Da sie sich nicht bewegte, nahm er ihr die Utensilien wieder ab, sank neben der Wanne in die Knie und tauchte die Seife ins Wasser. Er schäumte sie auf und hielt ihr das Tuch hin. Doch sie griff nicht danach. Stattdessen spreizte sie die Beine. Als hätte sie ihm glühende Kohlen ins Gesicht geworfen, fuhr er mit einem erschrockenen Satz zurück, wobei er fast das Gleichgewicht verlor.

„Nein“, wehrte er zutiefst erschüttert ab, „nein, das ist nicht der Grund für dieses Bad. Schließe deine Beine, ich bitte dich!“

Sie tat es, als wäre es ihr einerlei, was er mit ihr anstellte, aber zumindest verstand sie ihn.

„Ich will dich nur waschen, verstehst du? Nur waschen! Wir befreien dich vom Dreck dieser Barbaren. Ja?“

Daniel stellte mit Befremden fest, dass er mittlerweile wie sein ehemaliges Kindermädchen vor sich hin plapperte. Es war eine von Pearls Eigenheiten gewesen, ständig vor sich hin zu schwafeln. Belangloses Zeug. Trotzdem hatte er sie geliebt. Ihre schwarze Hautfarbe war für ihn ein Symbol der Geborgenheit geworden.

Zögernd tupfte er über Milas Hals und entdeckte blaue Flecken unterhalb ihrer Kehle. Himmel, war sie gewürgt worden? Sekundenlang hielt er die Luft an, um die Fassung wiederzuerlangen. Gott, wer hatte das getan? Dieser Kaufmann? Er strich mit dem Tuch ihre Schultern entlang. Ein Brandzeichen auf ihrem rechten Oberarm zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Daniel atmete zischend aus und schalt sich selbst als naiv. Was hatte er denn angenommen? Dass sie an Leib und Seele unversehrt wäre, obwohl sie fünf Jahre lang eine Sklavin, zuerst der Araber, dann der Osmanen und darauf wieder der Araber gewesen war? Hatte er insgeheim auf ein Wunder gehofft? Und nicht nur er? Womit rechneten Ajdin Goranov und Miron Tomov? Wie malten sich die beiden Bulgaren Mila bei ihrem Wiedersehen aus?

Er rückte unbehaglich hinter sie und wusch ihren Rücken. Eine Narbe verlief zwischen ihren Schulterblättern bis hinunter zu ihrem Steißbein.

„Herrgott, was haben sie dir angetan?“, keuchte er unvermittelt und seine Stimme klang ungewohnt rau, so, als hätte er sie nie zuvor benutzt. Er räusperte sich. Nachdem er mit dem Abspülen ihres Rückens fertig geworden war, bat er sie, den Kopf in den Nacken zu legen. Wieder gehorchte sie ohne zu zögern. Er goss Wasser aus einem Krug über ihr Haar, verteilte es mit der freien Hand in der seidigen Fülle. Dann arbeitete er die Seife ein. Wie er feststellte, hatte sie die Augen geschlossen und sekundenlang wirkte sie wie eine normale Frau, nicht wie ein tödlich verletztes Wesen in den letzten Zuckungen. Ihrem leeren Blick für eine kurze Weile zu entgehen, erleichterte ihn. Als er die Seife aus ihrem Haar wusch, kam er ihrem Gesicht so nahe, wie nie zuvor. Ihr Atem streifte, flüchtig wie eine milde Morgenbrise, sein Kinn. Unbeschreiblich sacht tupfte er über ihre Wangen, die Stirn, strich die Nase entlang.

„Du kannst den Kopf wieder nach vorne biegen“, flüsterte er und sie gehorchte.

Als sie die Augen öffnete, hoffte er, ihren Blick einzufangen, doch sie sah unverändert leblos durch ihn hindurch. Langsam senkte er sein Antlitz und beschloss, ihre Brüste zu ignorieren und mit dem Tuch über ihren Bauch zu streifen. Wie er feststellte, war sie nicht schmutzig. Es war weithin bekannt, dass die Mohammedaner ihre rituellen Waschungen penibel ausführten, offensichtlich wirkte sich dieser ebenso auf ihre Sklaven aus. Oder zumindest auf jene Frauen, die ihre Herren mit ihren Leibern zu erfreuen hatten.

Er entdeckte kleine Geweberisse auf ihrer Bauchdecke und fragte sich, woher sie wohl stammten. Vermutlich hatte man Mila auf eine grausame und schreckliche Art, wie er sie sich nicht vorzustellen vermochte, gefoltert. Ihn schauderte. Er konnte sich nicht dazu überwinden, sich ihrem Unterleib zu widmen. Stattdessen konzentrierte er sich auf ihre Oberschenkel und Knie. Zu guter Letzt nahm er ihren rechten Fuß in die Hand und entdeckte einen Zehenring.

„Den werde ich dir abnehmen, ja?“

Fragend suchte er in ihrem Antlitz nach ihrem Einverständnis. Er hätte sich die Mühe sparen können. Vorsichtig, um ihr keine Schmerzen zu bereiten, zog er ihr den Ring von der zweiten Zehe. Nachdem er ihren Fuß wieder ins Wasser gelegt hatte, richtete er sich auf. Er griff nach einem großen Laken und breitete es aus.

„Bitte steh auf!“

Da sie nicht reagierte, warf er sich das Tuch über die Schulter, umfasste sie an den Oberarmen und zog sie sanft in die Höhe. Fürsorglich wickelte er sie in die Stoffbahn ein und hob sie auf. Sofort erschlaffte sie in seinen Armen, als hätte sie das Bewusstsein verloren. Schnell brachte er sie zum Bett, legte sie darauf, zog den Stuhl näher und setzte sich. Tröstend strich er ihr mit dem Zeigefinger über die Schläfe.

„Es wird dir bald besser gehen“, versprach er und hoffte inbrünstig, damit recht zu behalten.

zwei

Doch mit jedem weiteren Tag, der verging, verließ ihn der Mut. Trotzdem machte er es sich zur Angewohnheit, Mila täglich an Deck zu führen, wo er sie im Schutz des Hecks auf eine Bank setzte. Tagelang hatte sie sich während der Stunden im Freien nicht bewegt, hatte reglos und kerzengerade verharrt. Als er nach über einer Woche zu ihr kam, um sich neben sie zu setzen und mit ihr zu plaudern, bemerkte er, dass sie den Kopf an die Wand gelehnt hatte. Ihre Augen, obwohl unverändert glasig, waren auf die Rah gerichtet.

„Wird dir von dem Anblick nicht schwindlig?“, wollte er nach einer Weile wissen, nachdem er das Schwanken des darüber aufragenden Mastes ebenfalls beobachtet hatte. Er strich sich die Handflächen an der Hose ab und senkte den Kopf, ließ die Augen über die blankpolierten Schiffsplanken schweifen. Es war ein sonniger, warmer Tag, perfekt, um in die Straße von Gibraltar einzufahren. Vermutlich würden sie im Laufe des nächsten Tages in den Hafen von Cádiz einlaufen, welches zurzeit von Spanien regiert wurde und erneut auf der Grundlage der liberal orientierten Verfassung La Pepa regen Handel trieb.

„Wir werden morgen die spanische Küste erreichen und für ein paar Nächte an Land gehen“, erzählte er, ohne mit einer Antwort zu rechnen.

Daniel hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, in gewissem Sinne mit sich selbst zu sprechen. Er hätte genauso gut schweigen können. Doch irgendetwas in ihm trieb ihn dazu an, mit Mila zu plaudern, sie Anteil an seinem Leben haben zu lassen, obwohl sie nichts davon zu verstehen schien. Sollte sein Gerede sie ein kleines Bisschen beruhigen, wäre er seinem Ziel schon näher.

„Ich könnte mir vorstellen, dass du dankbar für ein bequemes Bett bist, nach den Wochen auf See und ... davor.“ Unbehaglich strich er sich durchs Haar, zuckte mit den Achseln. „Auf alle Fälle bekommen wir endlich wieder einmal etwas Ordentliches zwischen die Zähne.“ Er rieb sich den Bauch. „Kann es kaum erwarten.“

„Captain?“

Daniel drehte den Kopf und bemerkte, das Ethan neben ihn getreten war.

„Ja?“

„Eine Schlechtwetterfront zieht auf.“

„Tatsächlich?“

Daniel sprang auf und folgte seinem Ersten Maat, der auf einige kleine Wolken zeigte, die sich am Horizont bildeten. Er zog die Augenbrauen zusammen.

„Du hast recht“, stimmte er zu. „Bereitet die Morningbreeze auf das Unwetter vor. Klarmachen zum Kurswechsel. Dreht sie in den Wind, fiert die Leinen, refft die Segel und zieht die Sturmsegel auf!“

„Aye, aye, Captain.“

Während Daniel zu Mila zurückkehrte, schallten die Befehle des Ersten Maats über Deck, die wiederum konzentrierte Geschäftigkeit nach sich zogen. Auf See konnte sich ein Sturm innerhalb von Minuten bilden, deswegen war man gut beraten, schnellstmöglich zu reagieren.

„Komm, Mila, ich begleite dich in die Kabine!“

Daniel umschloss ihren Oberarm und zog sie auf die Beine. Dann hakte er sie unter und nahm sie mit sich.

„Es besteht kein Grund, sich zu fürchten“, beruhigte er sie und führte sie zum Bett. „Dieses Schiff hat bisher jedem Unwetter getrotzt. Es mag sein, dass es etwas heftiger schaukelt, aber das sind nur die Wellen. Die kriegen uns nicht unter. Vergiss nicht, wir reiten auf ihnen, nicht sie auf uns.“ Er löste sich von ihr. „Am besten, du bleibst hier und legst dich hin. Ich sehe später nach dir. Ich muss jetzt zu meiner Mannschaft.“

Er zwinkerte ihr zu, obwohl es vollkommen sinnlos war, doch half es ihm, so zu tun, als wäre sie ein normaler Mensch. Auf dem Weg zur Tür gewahrte er, dass man nach wie vor nichts von dem bevorstehenden Sturm bemerkte. Sein Schiff lag ruhig im Wasser und die Segel flatterten im Wind, weil die Crew begonnen hatte, deren Spannung zu lösen, sie flink zu reffen und sie an den Masten zu fixieren. Daniel schloss die Tür hinter sich und taxierte den Horizont. Die kleinen Wolken hatten sich mittlerweile zu einer Herde fetter Schafe formiert, die schon bedrohlich nähergerückt war. Daniel grinste schief. Er hatte keine Angst vor Schafen.

In den folgenden Minuten half er seinen Matrosen, das Schiff abzuwettern. Nachdem sie alles, was dem Sturm vermutlich nicht standhalten würde, sicher verstaut hatten, befahl er der gesamten Crew, Erster Maat und Steuermann ausgenommen, sich unter Deck zu begeben.

„Dichtet die Luken ab“, rief er ihnen hinterher, dann trat er neben Ethan. „Ich werde mich um die Kleine kümmern. Keine Ahnung, wie es ihr bei einem Unwetter ergeht. Wenn du Hilfe benötigst, schicke Bob zu mir und ich nehme mich des Problems an. Sonst Ablöse um Mitternacht.“

„Aye, Captain.“

Daniel klopfte seinem besten Mann und Freund auf die Schulter, wandte sich um, stieg die Treppe aufs Vorderdeck hinab und eilte leichtfüßig auf die Kapitänskajüte zu. In dem Moment, als er die Tür öffnete, donnerte es. Es hörte sich an, als würde der Himmel entzweireißen. Der dadurch entstandene Druck peitschte die Wellen auf. Daniel verriegelte die Tür und drehte sich zu Mila. Sie lag auf dem Bett, die Knie angezogen, eine Hand aufs Ohr gepresst. Es war das erste Mal, dass ihr Körper etwas über ihre Empfindungen verriet. Mit wenigen Schritten war er bei ihr, setzte sich neben sie und strich ihr beruhigend über den Kopf.

„Es ist alles gut, hab keine Angst. Nur ein Gewitter. Wenn du wüsstest, wie viele ich davon schon überstanden habe!“ Vor seinem inneren Auge huschten Bilder von den heftigsten Unwettern vorbei, denen er und sein Schiff getrotzt hatten. „Eines habe ich in all der Zeit gelernt“, er machte eine Pause, um die Spannung zu steigern, „und das ist Folgendes: Je lauter es knurrt, desto weniger beißt es. Verstehst du? Wie bei einem Hund. Bellende Hunde beißen nicht, schon gehört?“

Mila bewegte sich nicht, dennoch gewahrte er, dass sich ihre Hand entkrampfte. Obwohl sie sonst keinerlei Reaktion zeigte, hatte er trotzdem das Gefühl, dass es ihm gelang, sie durch seine Anwesenheit zu beruhigen. „Und meine Männer sind die besten Matrosen, die man zwischen hier und New Orleans findet. Für sie ähnelt ein derartiges Gewitter einem Wiegenlied. Ich muss ständig aufpassen, dass sie nicht einschlafen.“

Er lachte leise und fragte sich, wie er nur auf solch einen Unsinn kam. Ein Glück, dass Mila nichts davon verstand! Sie würde ihn für einen Idioten sondergleichen halten. Wieder donnerte es und das Schiff wurde sekundenlang in die Höhe gehoben, nur um einen Augenblick später in die Tiefe zu stürzen. Mila wimmerte unterdrückt. Zum ersten Mal vernahm er ihre Stimme und die darin enthaltene Angst schnitt ihm ins Herz.

„Wenn du gestattest, lege ich mich zu dir. Du musst dich nicht fürchten.“

Wie erwartet, antwortete sie nicht, deswegen drängte er sie weiter auf die Schiffswand zu und streckte sich neben ihr aus. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, schob er einen Arm unter ihren Nacken und zog sie enger an sich heran. Um ihr Sicherheit zu vermitteln, drehte er sich auf die Seite und schlang den anderen Arm um ihren Rumpf. Seine Wange ruhte ein paar Fingerbreit oberhalb ihrer Schläfe.

„Es kann uns nichts passieren“, flüsterte er beruhigend und spürte, wie sie sich zunehmend entspannte.

Als es erneut donnerte, zuckte sie zusammen.

„Pscht, es ist alles gut. Wir sind hier in Sicherheit.“

Die Wellen wurden höher und einer der Stühle fiel laut polternd um.

„Das war nur der Stuhl“, erklärte er beruhigend. „Später stelle ich ihn wieder auf. Das ist vollkommen normal.“

Das Klatschen der Regentropfen dröhnte mit voller Lautstärke und ließ die Stille um sie herum explodieren. Es fühlte sich an, als würden sämtliche himmlischen Gießkannen auf einmal entleert.

„Es ist alles gut“, wiederholte er leise.

Nicht lange und das Gewitter war vorbeigezogen und das Trommeln des Regens ging in das flüsternde Gemurmel über, welches Daniel von New Orleans Sümpfen vertraut war. Das Schiff schaukelte nach wie vor heftig – bald würde sich auch die brodelnde See beruhigt haben. Er konnte nicht widerstehen und drückte Mila einen liebevollen Kuss aufs Ohr. Ihr Atem entwich gleichmäßig und tief.

„Du bist eingeschlafen, Kleines?“ Er lächelte. „Da schlummert offenbar ein wackerer Seemann in dir ...“

Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, zog er den Arm unter ihrem Nacken fort und richtete sich auf. Fürsorglich deckte er sie zu.

„Ich werde jetzt überprüfen, ob das Schiff Schaden genommen hat. Ich komme später wieder.“

Sie seufzte leise und drehte sich auf den Rücken. Im Dämmerlicht schimmerte ihr blasses Gesicht wie Perlmutt. Er riss sich von ihrem lieblichen Anblick los und eilte an Deck.

Daniel hatte gehofft, dass das vergangene Gewitter ein Auslöser für Mila wäre, ihren Geist wieder in der Realität zu verankern. Mit großem Bedauern musste er am nächsten Morgen erkennen, dass dies weiterhin ein Wunschtraum bleiben würde. Wie in den Tagen zuvor unterschied sie sich kaum von einer lebensgroßen Puppe.

Ohne weitere Probleme liefen sie wie berechnet im Hafen von Cádiz ein. Hier sollten große Teile der Fracht der Morningbreeze gelöscht und europäische sowie afrikanische Handelsgüter verladen werden. Erfahrungsgemäß würde das Feilschen mit den Händlern ein paar Tage in Anspruch nehmen. Deswegen hatte er einer Hälfte der Mannschaft Landgang gewährt, welche sich am folgenden Tag mit der anderen abwechseln sollte.

„Bleibe dicht hinter mir, Mila“, riet er, als sie an Land gingen.

Die junge Frau folgte ihm auf den Fuß. Als er sich zu ihr drehte, bemerkte er ihren wackligen Gang.

„Es dauert eine Weile, bis man sich wieder an den festen Boden unter den Füßen gewöhnt hat“, erklärte er freundlich. „Geht es?“

Sie hatte den Kopf gesenkt und starrte auf die Pflastersteine. Während Daniel darauf wartete, dass sie ihr Gleichgewicht zurückgewann, blickte er sich um. Unzählige Menschen schoben sich an ihnen vorbei, hasteten über die Docks, priesen hinter teilweise provisorisch errichteten Verkaufsständen ihre Waren an. Mit Beklemmung erkannte er in einiger Entfernung ein Sklavenschiff, von dem just in dem Moment Sklaven jeglicher Hautfarbe an Land geschafft wurden. Er hoffte inständig, dass diese entsetzlichen Vorgänge Mila entgingen. Seine Augen kehrten zu ihr zurück und er musterte sie prüfend. Wie immer hatte sie sich nicht bewegt, trotzdem bemerkte er ihr heftiges Zittern.

„Wovor hast du Angst?“, fragte er besorgt und beugte sich näher zu ihr. „Keiner darf dir etwas anhaben und ich werde dich sicher in das Zimmer eines Gasthofes bringen.“

Er überlegte, ob er überhaupt zu ihr durchdrang, denn ihre Unruhe ließ sie nach wie vor schaudern.

„Ich bin nicht hier, um dich zu verkaufen, verstehst du?“ Vorsichtig umschloss er ihre Oberarme. „Bei mir bist du in Sicherheit. Also, komm! Ich schaffe dich fort von hier!“

Er ließ die Hände sinken und wandte sich um. Langsam schritt er über den breiten Holzsteg, teilte mit seinem Leib den Strom der Entgegenkommenden für sie. Um sich zu vergewissern, dass sie ihm folgte, warf er einen Blick über die Schulter. Überrascht stellte er fest, dass sie sich so nah wie möglich an ihn hielt. Dies vermittelte ihm den Eindruck, dass sie an seinen Schutz glaubte. Als würde sie ihm ein klein wenig vertrauen, sollte sie zu einer derartigen Empfindung überhaupt noch in der Lage sein. Wärme stieg in ihm auf und er lächelte erfreut.

Unterschiedliche Sprachen brandeten zwischen den Marktständen, entlang des Piers aneinander. Deutsch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Italienisch und Arabisch verwoben sich zu einem außergewöhnlichen Klangteppich. Der Geruch nach frischem Fisch vermischte sich mit dem orientalischer Gewürze, süßlichem Parfum, verrottendem Holz und Schweiß. Als ein Pferdefuhrwerk ihren Weg kreuzte, hielt Daniel an, um es vorbeizulassen. Dabei spürte er Mila dicht hinter sich, so, als würde sie sich an ihn drücken. Ein weiteres Mal sah er sich zu ihr um. Er hatte Recht. Die junge Frau drängte sich, so nahe es ohne ihn zu berühren, möglich war, an ihn. Der sie umgebende Trubel, musste schreckliche Erinnerungen in ihr wachrufen. Er schimpfte insgeheim ob seiner Nachlässigkeit, dies nicht bedacht zu haben, mit sich. Aufatmend setzte er sich wieder in Bewegung, nachdem das Hindernis den Weg freigegeben hatte. Er wollte das Getümmel schnellstmöglich hinter sich lassen, um damit Milas Qualen zu verkürzen.

Endlich erreichten sie einen Gasthof, der nicht so heruntergekommen wirkte, wie die Tavernen direkt am Hafen. Zuvorkommend hielt Daniel ihr die Tür auf, legte dann einen Arm stützend um ihre Taille und zog sie mit sich. An der Theke erkundigte er sich nach einem Zimmer. Kurze Zeit später umschloss er einen großen, rostigen Eisenschlüssel, an dem ein ebenso verwittertes Schild baumelte, auf das wiederum die Zahl Drei eingraviert war. Ohne sich länger aufzuhalten, führte er Mila die Treppe in den ersten Stock hinauf.

„Na, was sagst du? Gefällt es dir?“ Er drückte sie auf einen Stuhl und zog die Tür zu. „Ich werde uns etwas zu essen organisieren und dann zu dir zurückkommen. Ich möchte, dass du hinter mir zusperrst.“

Er steckte den Schlüssel von innen ins Schloss und deutete darauf. Sie ignorierte ihn. Ratlos massierte er sein Kinn, während er sein weiteres Vorgehen überlegte. Um sie zu einer Reaktion zu animieren, öffnete er demonstrativ die Tür.

„Ich gehe jetzt. Sperr zu!“

Er schloss die Tür, legte sein Ohr ans Holz und lauschte. Alles blieb still. Deswegen stieß er sie seufzend auf und zog den Schlüssel ab.

„Somit bleibt mir nichts Anderes, als dich zur Sicherheit einzusperren.“

Voller Unbehagen musterte er sie – ein derartiges Vorgehen widerstrebte ihm zutiefst. Ihr leerer Blick war ihm Antwort genug. Er zog die Tür zu und verschloss sie schweren Herzens. Dann begab er sich eilig auf die Suche nach den kulinarischen Köstlichkeiten des andalusischen Landstrichs, welche dank der unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, ermöglicht durch den weltweiten Handel, zahlreich vorhanden waren.

Wie erwartet hatte sich Mila nicht bewegt, als er eine knappe Stunde später zurückkam. Auf zwei Tellern, die er sich vom Wirt ausgeliehen hatte, richtete er frittieren Fisch, Mais sowie Mojama, eine hiesige Spezialität, welche aus einem sonnengetrockneten, gesalzenen Tunfischfilet besteht, an. Auf den zweiten Teller legte er Alfajor de Medina, einen Mandelkuchen, der aus Honig und Gewürzen zubereitet wurde. Er schob ihr beide auffordernd hin.

„Iss!“, forderte er sie sanft auf.

Wie immer folgte sie seiner Bitte anstandslos und aß, ohne eine Miene zu verziehen – als wäre es für sie belanglos, ob es sich bei der Mahlzeit um dünnen Eintopf oder ein Meisterwerk spanischer Kochkunst handelte. Trotzdem musste sie den Unterschied schmecken! Sie musste! Er hoffte es inbrünstig.

Daniel lehnte sich neben dem Fenster an die Wand und sah ins Freie. Wie ein bunter Wurm schoben sich Menschenmassen durch die Gasse aus festgestampfter Erde. Eine dünne Sandschicht überzog Mauervorsprünge und zierliche Simse, welche die Fassaden verzierten. Die Spuren der Araber, die vor einigen hundert Jahren versucht hatten, Europa ihrer Herrschaft zu unterwerfen, waren nicht gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Manchmal war es nur ein winziges Ornament auf einem Fenstergitter, das an die Fremdherrschaft und blutigen Überfälle von einst erinnerte.

Männer und Frauen mit nackten Oberkörpern, miteinander verbunden durch schwere Ketten, welche wiederum, an ihre Arme und Füße umspannende Eisenringe angehängt worden waren, wurden vom Hafen ins Landesinnere getrieben. Daniel biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Wangenmuskeln zuckten. Er wollte sich nicht vorstellen, dass es Mila einst ebenso ergangen war, doch wieso sollte ihr Derartiges erspart geblieben sein? Die Leblosigkeit ihrer Augen zeugte von weit Schlimmerem.

Sobald er Mila in naher Zukunft ihrem Bruder und ihrem Verlobten übergeben hätte, plante er, einem Treffen der Abolitionisten in London beizuwohnen. Das britische Parlament hatte dank des unermüdlichen Einsatzes von William Wilberforce vor mehr als fünfzehn Jahren den „Slave Trade Act“ verabschiedet, der den Sklavenhandel verbot. Schaute man hier auf die Straße, könnte man allerdings meinen, es gäbe ihn nicht. Und so stellte sich die weltpolitische Lage in gewisser Weise dar. Bisher setzten sich nur Frankreich und Großbritannien gegen den Menschenhandel ein. Die restliche Welt war mehr als zufrieden mit dem Status quo. Es erfüllte Daniel mit überwältigender Erleichterung, dass die Südstaaten ebenfalls darüber diskutierten, den Sklavenhandel abzuschaffen.

Er strich sich mit gespreizten Fingern durchs Haar und wandte sich um. Auf den ersten Blick stellte er fest, dass Mila alles aufgegessen hatte. Ein einziger Krümel verriet, dass die Teller mit Köstlichkeiten beladen gewesen waren.

„Wie ich sehe, hat es dir geschmeckt“, lächelte er und stieß sich von der Wand ab.

Neben ihr blieb er stehen und sah auf sie herab. Ihr Scheitel verlief in einem wilden Zickzack und offenbarte ihr mangelndes Interesse an ihrem Äußeren. Er hob die Hand, strich ihr sanft über den Hinterkopf, fühlte die seidige Weiche ihrer Haarpracht. Sie bewegte sich nicht. Nachdenklich zog er die Hand zurück. Er war unentschlossen, ob er sich jetzt für die Nacht verabschieden sollte.

„Kann ich dich allein lassen? Wirst du zu Bett gehen, wenn ich mir ein eigenes Zimmer nehme?“

Nichts. Er seufzte.

„Steh auf, Kleines, wir werden dich jetzt bettfertig machen.“

Erst als er ihren Arm umschloss, flutete so etwas wie Leben in sie und sie kam auf die Beine. Daniel drehte sie so, dass sie direkt vor ihm stand, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. Obwohl sie unverändert durch ihn hindurchsah, klammerte er sich an ihren Blick. Die kornblumenblauen Augen strahlten auf dem Hintergrund ihrer hellblonden Haare.

„Bald wirst du es wagen, wieder in die Gegenwart zurückzukehren“, versprach er ihr. „Warte ab, bis du deinen Verlobten wiedersiehst. Miron Tomov, richtig? Er vermag es kaum zu erwarten, dich zu heiraten. Und dein Bruder ... er ist deinetwegen fast vor Sorge gestorben.“ Sie schluckte, doch sonst veränderte sich ihre Haltung nicht. „Mir nichts, dir nichts, hast du alles vergessen und bist bereit, ein glückliches Leben zu führen.“

Das hoffte er zumindest. Denn Liebe ist wie die gewaltige Kraft, die selbst Asche in Diamanten verwandeln kann. Um eine derartige Veränderung bei Mila hervorzurufen, müsste Miron Tomov sie mit schier unendlicher Geduld inniglich lieben. Dann würde sich der Rest von allein fügen.

Daniel gab ihr Kinn frei und sie senkte ihr Antlitz. Wie jeden Abend öffnete er die Schnüre ihrer Tunika und half ihr aus dem Kleid. Fürsorglich zog er ihr eines seiner Hemden an, führte sie zur Waschschüssel und goss Wasser hinein. Er wusch ihr Gesicht, ihre Hände und tupfte die Nässe von ihrer Haut. Dann umschloss er ihren Arm und brachte sie zum Bett, schlug die Decke auf und sie legte sich nieder. Behutsam steckte er die Tuchent um ihren Körper fest, beugte sich tiefer und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.

„Allmächtiger Gott, wache über Mila“, flüsterte er wie an jedem Abend.

Er beobachtete, wie sich ihre Augenlider senkten.

„Geruhe wohl, Kleines.“

Nach einem letzten, prüfenden Blick glitt er lautlos zur Tür, zog den Schlüssel ab, um ihn von der anderen Seite wieder ins Schloss zu stecken. Er versperrte den Raum und steckte den Schlüssel in seine Tasche. Nachdenklich verharrte er ein paar Sekunden lang, dann stieg er die Stufen zur Schankstube hinab, um sich ein eigenes Zimmer zu nehmen.

drei

Der Eisenring um den Oberarm schmerzt, er schneidet mir ins Fleisch. Aber ich versuche, es zu ignorieren, wie alles andere auch. Verzweifelt klammere ich mich an das Bild meiner Heimat und an die Hoffnung, dass Vater, Ajdin und Miron mich bald retten werden. Sie werden nicht zulassen, dass mir etwas passiert.

Wieder stoßen mich die grausamen Männer, elende Menschenräuber, brutal vorwärts, sodass ich stolpere. Zum Glück gelingt es mir, einen Sturz zu verhindern. Denn sollte ich fallen, reiße ich andere mit mir und das bringt uns höllische Schläge ein. Die Araber sind nicht zimperlich im Umgang mit uns, behandeln uns wie Tiere. Sie treiben uns von den Schiffen fort und zwischen den Ständen eines Bazars hindurch. Egal wohin ich schaue – ich treffe auf gaffende, gierig funkelnde Augen oder verächtlich verzogene Münder. Hin und wieder ruft uns einer „Ungläubige!“, hinterher, als wäre es ein Schimpfwort. Aber ich bin nicht gottlos, nur weil ich ihren Allah ablehne. Was macht er denn aus seinen Nachfolgern und den Städten, die diese in seinem Namen einnehmen? Brutale Monster und wüstes Land, in dem keiner leben will. Alles in mir drängt mich, ihnen die Wahrheit ins Gesicht zu schreien. Sie mit meinen hassvollen Worten zu verätzen. Dennoch bemühe ich mich verzweifelt, mich von den bitteren Anklagen abzulenken und mich zu beruhigen. Es gelingt mir endlich, meine Umwelt auszublenden, bis ich bemerke, dass man mich von der Kette befreit. Sogleich überwältigt mich fürchterliche Angst. Was werden sie jetzt mit mir machen? Ob sie mich wilden Tieren zum Fraß vorwerfen und genüsslich zusehen, wie diese mich zerfleischen? Oder planen sie, meine Haare anzuzünden? Die unzähligen Geschichten über ihre Grausamkeit, die ich gehört habe, lassen mich erstarren. Sind sie meine Zukunft?

Da werde ich vor eine Horde Männer geführt. Ein jeder betrachtet mich eindringlich, abschätzend. Einer von ihnen tritt vor und reißt mit einem Ruck mein Kleid entzwei. Alles in mir erzittert und ich will die Hände heben, um meine Blöße zu verbergen. Aber der Sklavenhändler zerrt sie roh nach hinten. Während ich versuche, mit der verzehrenden Scham zurechtzukommen, packt der Araber mein Kinn und zwingt meine Kiefer auseinander. Es tut fürchterlich weh. Schon spüre ich, wie sich seine dreckigen Finger grob in meinen Mund schieben. Ich würge. Er untersucht meine Zähne, nickt zufrieden. Ich schließe die Augen, will nicht mehr sehen, was um mich herum geschieht, nicht länger fühlen, wo seine Klauen mich berühren. Doch als seine Hände meine Brüste wiegen, fahre ich entsetzt zurück und reiße, ohne es zu wollen, die Augen wieder auf. Dabei treffen sich unsere Blicke und er lacht spöttisch, ruft den anderen Männern etwas Unverständliches zu. Er spricht ein undeutliches Arabisch, trotzdem beginnen alle Umstehenden mich auszulachen. Nie zuvor habe ich mich geschämt wie in diesem Moment. Der Araber fordert den Sklavenhändler auf, mich fester zu halten, denn plötzlich zerrt er meine Arme noch weiter zurück. Gleichzeitig rammt er mir seine Faust ins Kreuz. Sofort krümmt sich mein Rücken und so bieten sich meine Brüste dem Araber dar, ohne, dass ich irgendetwas dagegen tun könnte. Schon greifen seine Finger danach, betasten mich – ich wünschte, ich wäre tot! Alles schmerzt. Vater, Ajdin rettet mich! Miron Tomov hilf mir!

Ein Schrei weckte Daniel, kurz nachdem er eingeschlafen war. Stammte er von Mila? Er lauschte, schob die Füße über den Bettrand und sprang auf. Eilig schlüpfte er in seine Hose und kramte nach dem Schlüssel, während er zum Nebenzimmer hastete. Leise, um keinen der anderen Gäste zu wecken, schloss er auf und trat ein. Milas Atem entwich in abgehakten Stößen ihrem Brustkorb. Ihr ganzer Körper bebte, sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Er zog die Tür hinter sich zu und durchmaß den Raum mit wenigen Schritten. Besorgt beugte er sich tiefer und strich ihr über die Wange, dabei bemerkte er, dass diese nass war. Ihr offensichtlicher Schmerz drang ihm durch Mark und Bein.

„Pscht“, flüsterte er leise, „ich bin da. Hab keine Angst. Es ist alles gut!“

Er gewann nicht den Eindruck, dass er zu ihr durchdrang. In einem fort wiederholte sie wimmernd ein Wort. „He!“, schluchzte sie. „He! He! He! La! La!“

Obwohl ihm die Bedeutung von He unbekannt war, wusste er, was La besagte. Es war Nein auf Arabisch. Zweifellos führte sie einen Kampf gegen jene Männer, die sie überwältigt hatten. Er konnte es nicht ertragen, sie so verzweifelt zu sehen, umschloss sie an den Schultern und schüttelte sie behutsam, um sie aus den Nachtgespinsten zu befreien.

„Mila, wach auf! Mila!“ Da riss sie die Augen auf und starrte ihn an.

Für den Bruchteil einer Sekunde wurde er ihrer gepeinigten Seele ansichtig, bevor sich diese wieder im Nichts auflöste und Milas Leib erschlaffte.

„Erzähle mir von dem Albtraum“, drängte er vorsichtig. „Kleines, vertraue mir, ich werde dir helfen!“

Doch sie bewegte sich nicht mehr. Zumindest befand sie sich nicht länger in der Hölle ihrer Erinnerungen. Nach einer Weile stand er auf und holte ein trockenes Tuch, tupfte ihre Wangen ab. Dann legte er sich neben sie, schob den rechten Arm unter ihren Nacken, genauso, wie er es während des Sturms gemacht hatte. Sollte Miron Tomov jemals von dem wiederholten Körperkontakt erfahren, würde er ihn umbringen, mit viel Glück vielleicht auch nur verprügeln. Mila war schließlich seine Braut und somit sein Besitz. Dennoch brachte Daniel es nicht übers Herz, sie jetzt allein zu lassen. Nicht, nachdem sie sekundenlang aus ihrer Betäubung erwacht war und ihn angesehen hatte. Er strich zärtlich über ihre Schläfe, bis er sicher war, dass sie wieder schlief. Auch auf die Gefahr hin, dass Tomov ihm aufgrund seines Vorgehens eine Kugel durch den Kopf jagen würde, beschloss Daniel, diese Nacht bei ihr zu bleiben.

Entmutigt entschied er am folgenden Morgen, dass es Mila weniger aufwühlen würde, wenn sie tagsüber im Zimmer bliebe. Deswegen sperrte er sie nach dem Frühstück wieder ein und begab sich zum Schiff, um Handelsgüter zu erwerben und zu verkaufen.

Als er ihr zu Mittag etwas zu Essen brachte, saß sie genauso, wie er sie verlassen hatte. Prüfend bohrte er seinen Blick in ihren, auf der Suche nach dem verschreckten Mädchen der vergangenen Nacht. Doch es war in der, unter der Oberfläche ihrer klaren Augen, vorherrschenden schweren Dunkelheit versunken.

Am Abend legte er sich vorsorglich neben sie, um sie vor einem weiteren Albtraum zu bewahren.

Als sie am folgenden Nachmittag zum Schiff zurückkehrten, blieb sie dicht hinter ihm, so nahe, dass nur das Tuch eines feinen Stoffes zwischen ihnen Platz gefunden hätte. Daniel war erleichtert über die Tatsache, dass sie ihn allem Anschein nach als ihren Beschützer akzeptierte.

Die Flut war im Abklingen, deswegen beeilten sie sich, den Hafen zu verlassen. Kaum segelten sie aufs offene Meer hinaus, führte er Mila zur Bank vor dem Heckaufbau und drückte sie darauf nieder. Still und in sich versunken, kauerte sie auf dem harten Holz, den Blick in unendliche Weiten gerichtet. War sie auf dem Weg dorthin verloren gegangen?

Auch auf dem restlichen Weg nach Dover verbesserte sich der Zustand der jungen Frau nicht. Als die Morningbreeze in der Grafschaft Kent anlegte, ragten die Kreidefelsen wie weiße Riesen aus dem Wasser empor und spiegelten sich in der glatten Oberfläche der ruhigen See. Die letzten Meilen hatten sie gebangt, dass der Wind sie so kurz vor dem Ziel im Stich lassen könnte und sich in einer womöglich tagelangen Flaute versteckte. Sie hatten Glück, dass sie sich der Insel in hoher Geschwindigkeit näherten, weshalb es ihnen gelang in den Hafen einzulaufen. Die Morningbreeze verfügte nicht über den Tiefgang einer Galeone oder eines Linienschiffes und vermochte deswegen auch in Dover direkt am Steg anzulegen.

Daniel war nervös. Einerseits drängte es ihn, Ajdin seine Schwester zu übergeben und Zeuge seiner Wiedersehensfreude zu werden, andererseits befürchtete er, dass der Bulgare dergleichen nicht empfinden würde, sobald er Milas Zustand bemerkte. Daniel hatte sie gerettet, so wie Goranov es ihm aufgetragen hatte, doch sie war nicht mehr das Mädchen, welches in seiner Erinnerung lebte. Dies zu verkraften würde unzweifelhaft für keinen der beiden Männer leicht werden.

Der Kapitän führte Mila an Land und winkte eine Mietdroschke herbei. Zuvorkommend half er der jungen Frau beim Einsteigen und nannte dem Kutscher die Adresse. Goranovs Haus lag im Landesinneren, was einen, angesichts seiner traumatischen Vergangenheit, nicht weiter wunderte. Obwohl die britischen Gewässer einwandfrei gesichert waren, vermochte der Einwanderer in letzter Konsequenz nicht darauf zu vertrauen, dass sich nicht doch eine arabische Sklavengaleone eines Tages in diese Gefilde vorwagen würde.

„Ajdin wird überglücklich über deine Rückkehr sein, Mila“, versuchte Daniel seine schweigende Begleiterin und sich selbst zu überzeugen. Er sehnte sich nach einem Wunder und danach, dass Mila bei der Begegnung mit ihrem Bruder aus der Lethargie erwachen würde. Es war nicht auszuschließen. Wenn ihnen das Glück hold war, würde für sie in wenigen Minuten ein neues, wundervolles Leben beginnen. Daniel hoffte es inbrünstig. Mit jeder Faser seines Leibes wünschte er, dass sie für jegliches ihr widerfahrene Unglück entschädigt würde und sich alles, was es an Gutem auf dieser Welt gab, über sie ergießen möge.

Sein Blick streifte das Zentrum seiner Überlegungen und verfing sich an einer Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war. Er beugte sich vor und strich sie ihr vorsichtig auf die Schulter zurück, steckte sie hinter ihrem Ohr fest.

„Und Tomov wird es zweifellos kaum erwarten können, dich vor den Traualtar zu führen“, setzte er damit fort, ihr die Zukunft in den schönsten Farben auszumalen.

Obwohl sie sich nicht rührte, gewann er den Eindruck, sie zöge es vor, im Boden zu versinken. Mit gerunzelter Stirn überlegte er, ob es unerträglich für sie war, nach all der Pein und dem Leid, welches ihr widerfahren war, den ihr nahestehenden Menschen unter die Augen zu treten.