DAS GEHEIMNIS DES TURMES - Ferry Rocker - E-Book

DAS GEHEIMNIS DES TURMES E-Book

Ferry Rocker

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Beschreibung

Der alte Mr. Lawrence hat zwar das Glück, ein steinreicher Mann zu sein, aber das Pech, bis unter die Dachgiebel verschuldete Verwandte zu haben. Kein Wunder also, dass er misstrauisch wird und sich durch seine Angehörigen bedroht fühlt. Denn wie berechtigt die Zweifel an seiner Umgebung sind, erhellt die Tatsache, dass die Verwandten des reichen Onkels die ernste Absicht verfolgen, sich an ihm zu bereichern. Zwei Todesfälle greifen schicksalhaft in den Gang der Ereignisse ein. Liegt Mord vor? DAS GEHEIMNIS DES TURMES von Ferry Rocker (eigtl. Eberhard Friedrich Worm - * 8. Februar 1896 in Berlin/† 29. August 1973 ebenda), des Meisters des analytischen und psychologischen Detektivromans, erschien erstmals im Jahre 1953; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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FERRY ROCKER

 

 

DAS GEHEIMNIS DES TURMES

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DAS GEHEIMNIS DES TURMES 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

Siebenundzwanzigstes Kapitel 

Achtundzwanzigstes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Ferry Rocker/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of Eberhard Friedrich Worm.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Cover: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Der alte Mr. Lawrence hat zwar das Glück, ein steinreicher Mann zu sein, aber das Pech, bis unter die Dachgiebel verschuldete Verwandte zu haben. Kein Wunder also, dass er misstrauisch wird und sich durch seine Angehörigen bedroht fühlt. Denn wie berechtigt die Zweifel an seiner Umgebung sind, erhellt die Tatsache, dass die Verwandten des reichen Onkels die ernste Absicht verfolgen, sich an ihm zu bereichern. Zwei Todesfälle greifen schicksalhaft in den Gang der Ereignisse ein. Liegt Mord vor? 

 

Das Geheimnis des Turmes von Ferry Rocker (eigtl. Eberhard Friedrich Worm - * 8. Februar 1896 in Berlin/† 29. August 1973 ebenda), des Meisters des analytischen und psychologischen Detektivromans, erschien erstmals im Jahre 1953; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur. 

DAS GEHEIMNIS DES TURMES

 

  Erstes Kapitel

 

 

Seit Tagen regnete es unaufhörlich. Ein grauer und dunstiger Himmel hing über London. Alles war schwer, durchtränkt von Nässe, außerdem fegte ein scharfer Wind durch die Straßen und riss das Herbstlaub von den Bäumen, so dass sie schon beinahe kahl waren.

John Harrigan presste das Gesicht gegen die Fensterscheibe. Seine Gedanken waren so trübe wie der Himmel. Es war noch nicht acht Uhr in der Frühe, und man wird zugeben, dass das für einen jungen Menschen, der die Nacht schlafend in seinem Bett zugebracht hat, eine ungeeignete Zeit ist, sich dem Kummer zu überlassen.

Aber John Harrigan hatte gerade den Inhalt seiner Börse nachgezählt und festgestellt, dass er nur noch drei Pfund und einige Pence besaß. Drei Pfund und keine Aussicht zu haben, in absehbarer Zeit zu Geld zu kommen - das sind Dinge, die nur ein unverheirateter Schriftsteller oder Maler mit stoischem Gleichmut erträgt. John Harrigan aber war weder Schriftsteller noch Maler, und so blickte er mit Erbitterung auf die Straße hinunter, deren Bild weder im Frühling noch im Sommer den grünen Halbkreis rechtfertigte, der sich auf dem Londoner Stadtplan im äußersten östlichen Winkel des Stadtteils Bloomsbury befindet.

John Harrigan war ein kräftiger junger Mann mit einem sympathischen, offenen Gesicht, das augenblicklich allerdings von Trübsal überschattet war.

 

John Harrigan war vier Jahre alt, als seine Mutter bei der Nachricht, dass ihr Mann in Flandern von einer Granate zerrissen worden sei, tot umfiel. Er verlebte eine ziemlich trostlose Jugend im Hause seiner Tante, die ihn durch ihre Hartherzigkeit beinahe zu Tode quälte, und er war glücklich, als der Tag kam, wo sich die Exportfirma Ward & Locke bereit erklärte, den jungen Burschen als Lehrling einzustellen. Acht Jahre lang war John bei Ward & Locke tätig, und er stand gerade vor der Beförderung zum zweiten Sekretär des Herrn Locke, als die Firma über Nacht zusammenbrach. Er erhielt ein halbes Monatsgehalt ausgezahlt und ging auf die Stellungssuche. Eines Tages gefiel ihm ein an einem Bretterzaun klebendes Werbeplakat der Königlichen Fliegertruppe so gut, dass er sich einschreiben ließ und dank einiger Empfehlungen auch genommen wurde. Leider stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass John einer jener Flieger war, die ständig vom Pech verfolgt werden. Eine seiner Spezialitäten war, sich die ungeeignetsten Gelände als Landungsplätze auszusuchen. Nachdem er innerhalb eines Vierteljahres auf einem Bahnwärterhäuschen, einem historischen Eichbaum, einem Gewächshaus und inmitten einer Schafherde gelandet war, kamen seine Vorgesetzten überein, ihm keine Apparate der Königlichen Luftflotte mehr anzuvertrauen. Mit einem gebrochenen Nasenbein und zwei silbernen Rippen versehen, verließ John Harrigan die Fliegertruppe und nahm seine Stellungssuche wieder auf. Aber seltsamerweise schien keine Firma in London einen tüchtigen jungen Mann zu brauchen.

Wie neunzig Prozent aller arbeitslosen Kaufleute, Tischler, Schuhmacher und Schneider verfiel John Harrigan schließlich auf die Idee, es mit der Schriftstellerei zu versuchen. Diese Idee kam ihm, als er im Strand-Magazin ein ganzseitiges Inserat las, in dem eine Journalisten-Schule die Behauptung aufstellte, dass das Schreiben von Kurzgeschichten augenblicklich die höchstbezahlte und leichteste Arbeit auf der Welt sei. »Ich habe soeben zehn Guineas für meine erste Kurzgeschichte, die ich nach Ihrer Anleitung schrieb, bekommen. Ich bin überglücklich«, lautete das Dankschreiben eines stellungslosen Ingenieurs. John Harrigan bezahlte zwanzig Pfund, nahm an dem Fernkursus teil und war zum Schluss in der Lage, den Sturz eines Pferdes oder den Reifendefekt eines Autos mit zwei präzisen Sätzen zu beschreiben. Seine Kurzgeschichten, die sich durch Pointenlosigkeit auszeichneten, bekam er von den Redaktionen wieder zurück. Zum Glück vertrat er nicht die weitverbreitete Ansicht, dass Redakteure die Arbeiten von unbekannten Autoren aus Faulheit und Interesselosigkeit nicht läsen, sondern hängte die Schriftstellerei an den Nagel.

Aber der Rest der kleinen Summe, die er von seiner Tante geerbt hatte, ging schnell zur Neige. Obgleich er sehr sparsam lebte, schmolz das Geld immer mehr zusammen, und er sah sich schon vor den Gittern des Hyde Park übernachten, zerlumpt und schmutzig wie all die andern, die die Hoffnung längst aufgegeben haben, sich noch einmal in ihrem Leben emporzuarbeiten... 

Harrigan blickte unruhig auf die Uhr. Jeden Augenblick musste der Postbote kommen. John hatte auf einige Inserate geschrieben, darunter auf eins, das ihm durch seinen ungewöhnlichen Inhalt aufgefallen war und folgenden Wortlaut hatte:

 

Älterer Herr, der inmitten einer ihn begaunernden Familie auf dem Lande lebt, sucht intelligenten, mutigen jungen Mann, der sich vor Tod und Teufel nicht fürchtet, als Sekretär. Anständiges Gehalt und freie Logis. 

 

John Harrigan hatte sich mit ein paar Zeilen, die er für sehr wirkungsvoll hielt, um diesen Sekretärposten beworben und vor einigen Tagen einen mit einer Chiffre unterzeichneten Brief erhalten, indem er aufgefordert wurde, ein Foto und eine ausführliche Schilderung seines Lebenslaufes einzuschicken. Er hatte dieser Aufforderung sofort Folge geleistet und wartete nun auf das Antwortschreiben des verschrobenen Inserenten. Dass der Mann auf dem Lande wohnte, sagte John sehr zu. Er hatte London satt. Denn in London ohne Geld zu leben, ist ungefähr das Bedrückendste, was es auf der Welt gibt.

»Hallo, Mr. Harrigan, Post für Sie!«

Er war so in Gedanken vertieft gewesen, dass er Mrs. Chapmans Klopfen überhört hatte.

Tatsächlich, zwei Briefe! John öffnete zuerst den, der aus London kam. Eine Absage. »Wir sind leider nicht in der Lage...«

Der andere Brief trug den Poststempel eines Ortes in Yorkshire, und John hatte heftiges Herzklopfen, als er den starken Umschlag aufriss. Mit einem energischen Ruck zog er den Briefbogen heraus, faltete ihn auseinander, wobei zwei Banknoten zu Boden flatterten.

Geld! Zwei Fünfpfundnoten! John ließ sie auf dem abgetretenen Teppich der Mrs. Chapman liegen, erst musste er den Brief lesen.

 

Sehr geehrter Mr. Harrigan,

Ihr Bewerbungsschreiben hat mir gefallen. Ich glaube, Sie sind der Mann, den ich suche. Wenn Sie also mutig und verschwiegen sind, so kommen Sie her.

Ich erwarte Sie Dienstagabend. Sie müssen den Zug benutzen, der mittags 12 Uhr 05 Minuten London verlässt. In Northallerton umsteigen. Mein Kutscher wird Sie vom Bahnhof abholen.

Ich biete Ihnen fünfzig Pfund den Monat und freie Station. Reisegeld füge ich bei. Es ist mehr als Sie brauchen. Bezahlen Sie mit dem Rest Ihre Schulden. Bringen Sie nicht zu viel Gepäck mit.

Hochachtungsvoll

Edwin Lawrence.

 

Gott sei Dank! Ein Glücksgefühl durchströmte John Harrigan. Mochte dieser Lawrence aussehen, wie er wollte, mochte er von ihm verlangen, was er wollte - John war vorerst gerettet. Nur wer die deprimierende Wirkung, die die Arbeitslosigkeit ausübt, am eigenen Leibe gespürt hat, kann die Stimmung verstehen, in der sich John befand, als er die zwei Fünfpfundnoten durch seine Hände gleiten ließ.

»Mrs. Chapman! Mrs. Chapman!«, schrie er und stürmte in Mrs. Chapmans Küche. »Denken Sie sich, ich habe die Sekretärsstellung bekommen. Wissen Sie, bei dem alten Mann, der nicht ganz richtig im Kopf zu sein scheint.«

Mrs. Chapman, die gerade beim Gemüseputzen war, schob ihre Brille auf die Nasenspitze und blickte ihren Mieter von unten herauf an.

»Freut mich, mein Junge!«, sagte sie herzlich. »Freut mich wirklich. Ich habe immer das Empfinden gehabt, dass Sie sich wieder hochrappeln werden. Sie sind nicht so wie die andern jungen Leute. Aber dass Sie behaupten, der alte Herr sei übergeschnappt, finde ich nicht recht von Ihnen. Der alte Mann scheint mir sehr klar im Kopf zu sein, sonst hätte er doch nicht bemerkt, dass seine Verwandten ihn begaunern wollen. Na, Sie werden mir mal schreiben. Wann fahren Sie, Mr. Harrigan?«

»Morgen Mittag, Mrs. Chapman.« Der junge Mann errötete. »Viel zu packen hab ich ja nicht. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass ich nun meinen guten Anzug nicht mehr in die Pfandleihe zu tragen brauche.«

Mrs. Chapman schien diese Worte als leichten Vorwurf zu empfinden, denn sie sagte in weinerlichem Ton:

»Sie wissen ja, dass ich es nicht so genau mit der Miete genommen hätte, wenn ich selbst nicht so im Dalles säße. Es ist ein Elend auf dieser Welt.«

Aber John Harrigan empfand das Elend im Augenblick weniger drückend, er überließ Mrs. Chapman ihren Betrachtungen und stürmte in die nächste Lyon-Stube, wo er sich von einem hübschen jungen Mädchen ein Frühstück servieren ließ.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Die Lokalbahn traf mit zwanzig Minuten Verspätung um sieben Uhr abends auf der kleinen Bahnstation ein.

John Harrigan war der einzige Fahrgast, der den Zug verließ, und wurde vom Stationsvorsteher eindringlich gemustert. John grüßte freundlich, und der Beamte rief ihm zu:

»Sie wollen wohl zu Mr. Lawrence?«

John Harrigan blieb stehen und wartete, bis der Beamte das Abfahrtzeichen gegeben hatte.

Der Regen prasselte auf das Bahnhofsdach. Einige Laternen schimmerten durch den Dunst wie gelbe Monde. Ein kleiner, verwahrlost aussehender Köter rannte auf John zu und beschnupperte seine Schuhe.

»Ja, ich will zu Mr. Lawrence. Er hat mir geschrieben, dass er mich vom Bahnhof abholen lassen wollte.«

Der Stationsvorsteher, ein großer, gutmütig aussehender Mann, nahm eine Prise, nieste herzhaft und wies mit dem Daumen auf den Bretterzaun, der den Bahnhof von der Außenwelt abschloss. 

»Der alte Rankin steht schon mit dem Wagen draußen. Ich hoffe, dass Sie heil nach Lawrence Court kommen und nicht unterwegs steckenbleiben. Sie sind Londoner?«

»Ja, das bin ich.«

»Sieht man Ihnen gleich an. Na, viel Abwechslung werden Sie hier nicht haben. Glaube nicht, dass Sie vier Wochen aushalten werden. Kein Kino, kein Theater, noch nicht mal eine anständige Fußballmannschaft. Was wollen Sie denn bei Mr. Lawrence machen, wenn ich fragen darf?«

»Er hat mich als Sekretär engagiert.«

»Als Sekretär?« Der Beamte lachte glucksend und geleitete John zum Ausgang. »Er hat Sie als Sekretär engagiert?«

»Natürlich. Was ist denn daran so merkwürdig?«

Der Stationsvorsteher blickte den jungen Mann mit einem merkwürdigen Lächeln an.

»Na, Sie werden ja sehen, Sir. Möchte übrigens nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen, dass wir ein anständiges Wirtshaus haben.« Er öffnete die Tür mit einem kräftigen Stoß. »Dort steht der Wagen. Ich habe leider keinen Regenschirm hier... Guten Abend, Sir.«

Der Wagen, der vor dem Bahnhof stand, machte einen gebrechlichen Eindruck. Er sah aus, als stamme er aus einem Museum. Und aus dem Museum schien auch das erschreckend dürre Pferd zu sein. Von dem Kutscher konnte John nichts weiter erkennen als eine Nasenspitze, denn der Mann hatte sich eine Decke über den Kopf gelegt.

»Hallo!«, rief John. »Mr. Lawrence erwartet mich!« Er watete durch eine Pfütze und sprang dann mit seinem Handkoffer in den Wagen, der so entsetzlich zu schwanken begann, dass John beinahe auf der anderen Seite hinausgefallen wäre. Der Mann auf dem Kutscherbock, der sich noch im letzten Augenblick an der Seitenlehne festhalten konnte, brummte irgendetwas und fuchtelte mit der Peitsche, während John sich eine Lederdecke über die Knie legte. Leider musste er bald die Wahrnehmung machen, dass das Verdeck, auf das der Regen einen rasenden Trommelwirbel schlug, nicht dicht war.

Das, was John von der Umgebung sehen konnte, machte den denkbar trostlosesten Eindruck und dämpfte seine Begeisterung für das Landleben. Er tröstete sich nur mit dem Gedanken, dass die Landschaft bei schönem Wetter ein erfreulicheres Bild bieten würde. Augenblicklich aber überfluteten Sturzbäche die aufgeweichte Landstraße, und der Wagen fiel von einer Seite auf die andere. Über den Feldern hing dampfender Nebel und Dunkelheit. Der Kutscher führte in brüllendem Tone Gespräche mit dem Pferd, das mutlos den Kopf schlenkerte. John hätte sich gar nicht verwundert, wenn es sich plötzlich hingelegt und mit einem Seufzer seinen Geist aufgegeben hätte.

Nach zehn Minuten Fahrt rollte die Kutsche durch ein Dorf, das völlig ausgestorben zu sein schien. Denn hinter den Fenstern der Häuser schimmerte kein Licht, und aus den Schornsteinen quoll kein Rauch.

Das Ende des Dorfes war bald erreicht. Heftige Windstöße peitschten den Regen in das Innere des Wagens, so dass Johns Mantel bald völlig durchnässt war. Bei dem klatschenden Geräusch, das der Regen verursachte, war es völlig unmöglich, sich mit dem Kutscher zu unterhalten.

Eine Laterne brannte natürlich nicht am Wagen. Aber John war sich vollkommen darüber im Klaren, dass diese sanft ansteigende Chaussee, die mit Granatlöchern übersät zu sein schien, noch niemals von einem Auto befahren worden war. Ein Zusammenstoß war also nicht zu befürchten.

Rums - wieder fuhr der Wagen mit dem rechten Vorderrad in ein Loch. Das Pferd blieb stehen. John sah, dass der vermummte Kutscher eine Bewegung zum Munde machte, und einige Sekunden später bewies ihm der durchdringende Duft von Branntwein, dass der Kutscher jedenfalls nicht zu den Temperenzlern gehörte.

»Haben wir noch lange zu fahren?«, brüllte John.

Aber er erhielt keine Antwort. Der Wagen setzte sich wieder in schlingernde Bewegung und fuhr durch einen Wald, einen undurchdringlich scheinenden Wald, eine geheimnisvolle, finstere Welt.

Nach Johns Berechnung fuhren sie jetzt schon eine halbe Stunde, aber er neigte zu der Auffassung, dass ein rüstiger Fußgänger diesen Weg in kürzerer Frist zurückgelegt hätte. Das Pferd schien auf der Stelle zu treten. Aber plötzlich wieherte es, es wieherte auf eine so grauenvolle, unwirkliche Art, dass John ein Schauer über den Rücken rann.

Einige Minuten später sah der junge Mann, warum das Pferd ein so schauerliches Geheul ausgestoßen hatte: der Wald hörte auf, und der Wagen schwankte nun einen mit Sträuchern eingefassten Weg entlang, an dessen Ende sich die Umrisse eines Hauses, in dem einige Fenster erleuchtet waren, vom Dunkel der Nacht abhoben. Dicht vorm Hause hielt der Wagen, und der Kutscher zeigte mit der Peitsche auf eine Tür, zu der einige Stufen emporführten.

John schlug die Lederdecke zurück, ergriff seinen Handkoffer und sprang mit einem tollkühnen Satz vom Trittbrett des Wagens auf die Treppenstufen. Während die Kalesche weiterfuhr, suchte John nach einem Türklopfer oder einer Klingel. Da er weder das eine noch das andere fand, schlug er mit den Fingerknöcheln gegen die Tür.

Es dauerte eine geraume Zeit - John schmerzten schon beide Hände, mit denen er abwechselnd die Tür bearbeitet hatte bis sich die Tür einen Spalt breit öffnete.

»Wer ist dort?«, fragte eine blechern klingende Stimme.

»John Harrigan aus London. Mr. Lawrence erwartet mich.«

Ein Schlüssel drehte sich kreischend im Schloss, und einige Augenblicke später stand John in einer spärlich erleuchteten Halle und wurde von einem älteren Mann, der einen rübenförmigen Kopf hatte, feindselig gemustert. Der Mann trug eine schmutzige weiße Leinenjacke, sein linkes Auge wurde durch eine schwarze Klappe verdeckt.

»Warten Sie hier!«, sagte er unfreundlich. »Ich werde Mr. Lawrence benachrichtigen, dass Sie hier sind.« Er entfernte sich widerwillig und stieg die im Hintergrund der Halle befindliche Treppe empor.

John setzte sich auf seinen Handkoffer und blickte sich neugierig um. Die Halle machte einen unfreundlichen und düsteren Eindruck. Er sah eine Menge Türen, die aber alle geschlossen waren. Die Tapete war alt und an vielen Stellen geplatzt, der Läufer, der auf dem Parkettboden lag, war so abgetreten, dass man nichts mehr von seinem Muster erkennen konnte. Nein, einen sauberen Eindruck machte dieses Haus nicht.

 

Plötzlich öffnete sich eine der auf der rechten Hallenseite befindlichen Türen, und eine Frau betrat die Halle. Sie war groß, mager, grauhaarig und trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid. Ihre Füße steckten in plumpen Schuhen, ihr Gesicht war hässlich, von einer großen, gebogenen Nase beherrscht, unter der ein spitzes, eckiges Kinn vorsprang.

John Harrigan erhob sich und machte eine Verbeugung, die etwas linkisch ausfiel.

»Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Harrigan, Mr. Lawrence hat mich als Sekretär engagiert.«

Die Frau, die ungefähr in der Mitte der Fünfziger sein mochte, betrachtete den jungen Mann, als müsste sie sich erst überlegen, ob sie ihm überhaupt eine Daseinsberechtigung zugestehen sollte.

»Als was hat mein Bruder Sie engagiert?«, fragte sie mit schriller, höhnisch klingender Stimme.

»Als seinen Sekretär, Miss Lawrence«, antwortete John zaghaft, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mann auf der Welt existierte, der dieses gelbgesichtige Wesen geheiratet hätte. Aber er erfuhr sofort eine Belehrung.

»Ich bin nicht Miss Lawrence, sondern Mrs. Bardwell.«

Plötzlich bewegte sie lauschend den Kopf, drehte sich brüsk um und ging schnell in das Zimmer zurück, aus dem sie gekommen war. Es sah aus wie eine Flucht, wie eine Flucht vor dem grotesken Wesen, das jetzt die Treppe herunterkam. Zuerst dachte John, das Wesen hätte ein Holzbein, aber dann sah er, dass es ein Spazierstock mit eiserner Zwinge war, der das klopfende Geräusch verursachte.

Der Mann, der jetzt auf ihn zu humpelte, sah aus wie ein riesiger Papagei. Sein magerer Körper steckte in einem grellfarbigen wattierten Schlafrock, auf magerem, dünnem Halse saß ein haarloser, hässlicher Vogelkopf. Die Ähnlichkeit mit Mrs. Bardwell war unverkennbar. Der Mann schien sich in rasender Wut zu befinden, denn er schwang drohend den Stock und keifte:

»Was wollte sie von Ihnen? Hat das Weib wieder gegen mich gehetzt? Glauben Sie ihr nichts! Sie lügt. Sie ist tückisch wie ein Pavian.« Er hob den Stock und schmetterte die Krücke mit aller Gewalt gegen die Tür. Es gab einen Knall, so laut wie ein Revolverschuss. 

Der erste Gedanke, der John bei diesem Auftritt durch das Hirn zuckte und ihn an allen Gliedern lähmte, war der, einen gemeingefährlichen Irren vor sich zu haben. Obgleich John mit der Möglichkeit gerechnet hatte, eine Stellung bei einem Sonderling anzunehmen, fand er jetzt seine schlimmsten Erwartungen durch die Wirklichkeit übertroffen.

Mr. Lawrence schien sich um den Eindruck, den er hervorrief, wenig zu kümmern. Er blieb eine Weile regungslos mit gesenktem Kopf in der Nähe der Tür stehen, dann kicherte er plötzlich und ergriff Johns Arm, fuhr aber, als er die Nässe des Mantels spürte, entsetzt zurück und betrachtete seine Hand.

»Ah... was ist das... Sie sind nass... ich hab doch befohlen, dass dieser Idiot von Kutscher Sie abholt... Hat sie wieder meine Pläne durchkreuzt?«

Es sah aus, als wollte der Greis abermals mit dem Stock gegen die Tür schlagen. John beeilte sich daher, in beschwichtigendem Tone zu erklären, dass er ja mit dem Wagen abgeholt worden sei.

Der Greis öffnete den Mund und hackte mit einem langen gelben Eckzahn in die Luft.

»Ah, sehr gut, junger Freund... ich hätte sie umgebracht... kommen Sie, kommen Sie... niemand braucht zu hören, was wir zu besprechen haben... niemand!« Er lachte schrill, schlug abermals mit dem Stock gegen die Tür und zog John mit sich fort.

Auf der Treppe blieb er plötzlich stehen, blickte sich scheu um und flüsterte dem jungen Mann zu: »Erschrecken Sie nicht!« Er machte eine Pause, seine Augen glänzten wie Jettknöpfe. »Erschrecken Sie nicht... in diesem Haus geht der Tod um.«

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Wenn sich John Harrigan nicht in einer so verzweifelten pekuniären Lage befunden hätte und seinem ersten Impuls hätten nachgeben können, so wäre er zweifellos wieder in die Regennacht hinausgerannt. Er war ein gesunder junger Mensch, und das Haus und die vier Menschen, die er bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte, jagten ihm einen Widerwillen ein. Der stumme Kutscher, der Mann mit der Augenklappe, die dürre giftige Mrs. Bardwell und jetzt dieser geifernde Greis mit den tückisch funkelnden Augen... 

Im Gegensatz zur Halle, wo nur eine fünfundzwanzigkerzige Lampe brannte, erstrahlte der Gang des ersten Stockwerkes im Lichte zahlreicher Lampen. Er war fast taghell erleuchtet, und die Schäden und die Verwahrlosung des Hauses traten umso deutlicher hervor. Sicherlich hatte der Gang des ersten Stocks seit Wochen keinen Besen mehr gesehen.

Der Greis blieb jetzt vor der vorletzten Tür, die sich auf der linken Gangseite befand, stehen, schloss sie auf, und John Harrigan folgte ihm in ein großes Zimmer, das ebenfalls grell erleuchtet war. Der Raum war fast quadratisch, und außer einem Schrank, einem breiten Bett, einem einfachen Holztisch mit zwei Stühlen daneben, befand sich nichts darin. Was John aber sofort auffiel, war, dass die zwei Fenster vergittert und mit eisernen Läden verschlossen waren. Die Tür war mit Eisenblech ausgeschlagen und mit vielen Riegeln versehen, die Mr. Lawrence vorschob, als beide Männer im Raum waren.

»So!«, sagte der Greis mit einem Ausdruck des Triumphes. »Jetzt kann niemand mehr herein. Ich werde Ihnen nun Ihr Zimmer zeigen, junger Freund.«

Der alte Mann schob eine Portiere zurück und stieß eine Tür auf, die in ein Nebenzimmer führte, das einen etwas freundlicheren Anblick bot. Jedenfalls war zu sehen, dass sich hier jemand bemüht hatte, es zu reinigen, wenngleich ihm das nur unvollkommen gelungen war. Der Raum war klein, aber behaglich eingerichtet. Im Kamin prasselte ein Feuer. Aber das Fenster und die auf den Gang führende Tür waren ebenfalls mit besonderen Schutzvorrichtungen versehen.

»Nun, junger Freund, ich hoffe, Sie sind zufrieden?«

Mr. Lawrence, der sich vollkommen beruhigt zu haben schien, machte jetzt den Eindruck eines harmlosen alten Mannes, und John erfüllte diese Verwandlung mit großer Beruhigung. Er ging in das kleine Zimmer, stellte seinen Koffer zu Boden und zog seinen nassen Mantel aus.

»Schauderhaftes Wetter, Sir«, sagte er befangen.

»Haben Sie Hunger?«

»Nun, ich bin schon eine ganze Weile unterwegs...«

Der Alte nickte und humpelte in sein Zimmer hinüber. Als er zurückkam, trug er einen großen Blechkasten unter dem Arm, den er auf den Tisch stellte.

»Es sind gekochte Eier darin, Fleisch, Brot und Käse. Ich hoffe, Sie trinken keinen Alkohol...«

»Selten, Sir!« John hätte jetzt allerdings viel darum gegeben, einen kräftigen Schluck Whisky nehmen zu können.

Mr. Lawrence blieb unentschlossen an der Tür stehen, dann zeigte er auf eine Wasserleitung. »Essen Sie erst, ich werde Ihnen nachher sagen...« Er verstummte, beugte lauschend den Kopf. Dann ging er wortlos in sein Zimmer zurück, klinkte aber die Tür nicht ein.

So enttäuscht John auch durch den seltsamen Empfang war, auf seinen Appetit jedenfalls blieb er ohne schädigenden Einfluss. Er nahm einige Teller mit Speisen aus dem Kasten und begann zu essen.

Nach einer Viertelstunde steckte Mr. Lawrence seinen Vogelkopf zur Tür herein.

»Haben Sie gegessen? Gut, kommen Sie her. Lassen Sie das Licht in Ihrem Zimmer brennen.«

John ging in Mr. Lawrences Zimmer, der alte Mann setzte sich, legte seinen Stock auf den Tisch.

»Dort ist ein Stuhl. Rücken Sie dichter heran.« Der Alte lehnte sich über den Tisch und zeigte mit dem gekrümmten Zeigefinger auf den Boden. »Was wollte sie von Ihnen?« Mit diesem sie konnte natürlich nur Mrs. Bardwell gemeint sein. John erklärte daher, dass er mit ihr nur ein paar Worte gewechselt habe.

»Gut, sehr gut, mein Junge. Nehmen Sie sich vor ihr in Acht. Sie ist rachsüchtig und nachtragend. Sie würde Sie kaltblütig vergiften, wenn...« Der Alte hielt sich die Hand vor den Mund und lachte lautlos.

»Das beste wird wohl sein, Sie sagen mir gleich, was meine Pflichten hier sind und nach wessen Anordnungen ich mich vor allen Dingen zu richten habe, Mr. Lawrence.«

»Sie haben nur auf mich zu hören, mein Junge. Merken Sie sich das ein für alle Mal. Niemand außer mir hat Ihnen etwas zu sagen. Sie werden sich alle an Sie heranmachen, sie werden Ihnen einreden wollen, ich sei verrückt.« Der Alte ergriff den Stock und schüttelte ihn drohend gegen einen unsichtbaren Feind. »Sie werden Sie aushorchen wollen. Seien Sie klug, mein Junge, und verraten Sie ihnen nichts. Soll Ihr Schaden nicht sein. Was für ein Gehalt versprach ich Ihnen, mein Junge?«

»Fünfzig Pfund, Mr. Lawrence«, antwortete John, der sich fragte, ob Mr. Lawrence wohl seinen Namen vergessen hätte, da er ihn immer mit ›mein Junge‹ und ›junger Freund‹ anredete.

»Fünfzig Pfund. Ich werde Ihnen... nun, darüber werden wir noch reden. Ich muss erst sehen, ob ich Sie überhaupt brauchen kann. Sie scheinen mir ja ein aufgeweckter junger Mann zu sein, aber die Hauptsache ist: Sie haben Mut! Haben Sie Mut?«

»Ich habe bei der Fliegertruppe gedient«, gab John in gekränktem Ton zur Antwort.

»Richtig, Sie sind ja Flieger. Ich hab’ solche Kerls oftmals über das Haus hinwegfliegen sehen... Sie machen einen fürchterlichen Lärm. Halte nicht viel davon. Wenn Gott haben wollte, dass wir fliegen, hätte er uns Flügel wachsen lassen. Aber schließlich geht’s mich nichts an... pst! Schlich da draußen nicht jemand herum?«

Mit einer Geschicklichkeit, die John dem Alten nicht zugetraut hätte, sprang dieser auf und schlich an die Tür, wo er eine geraume Zeit in lauschender Stellung verharrte.

John hatte mal etwas über Leute, die an Verfolgungswahn litten, gelesen und glaubte, dass Mr. Lawrence zu dieser Kategorie von Kranken gehörte. Sicherlich fehlte in diesem Hause ein Krankenpfleger, aber kein Sekretär.

Nach einigen Minuten kehrte der Alte auf seinen Platz zurück.

»Sie sind gefährlich«, flüsterte er. »Tag und Nacht spinnen sie Ränke.« Er schien Johns Anwesenheit völlig vergessen zu haben, denn er starrte zur Decke empor und bewegte die Lippen in einem stummen Selbstgespräch.

»Verzeihung, Mr. Lawrence...«, brach John das unbehagliche Schweigen.

Mr. Lawrence zuckte zusammen. Sein wilder Blick erlosch, er lachte und tätschelte Johns Arm.

»Müssen keine Angst haben vor mir, mein Junge. Ich bin noch verdammt klar im Kopf, zu klar. Ich sehe und höre alles. Was wollte ich Ihnen denn sagen?«

»Sie wollten mir jedenfalls erklären, was ich zu tun habe.« Der Alte kratzte sich den Kopf.

»Sie werden gar nichts zu tun haben, junger Freund. Gar keine Arbeit, verstehen Sie? Sie sollen bloß aufpassen.« Er zeigte mit seiner dürren Hand auf das Nebenzimmer. »Ich will nachts jemand in meiner Nähe wissen. Wenn ich rufe, müssen Sie kommen. Wollen Sie das tun, junger Freund?« Seine Augen hingen mit einem flehentlichen Ausdruck an Johns Lippen.

»Gewiss«, antwortete John Harrigan zögernd. »Aber Sie werden doch irgendeine Beschäftigung für mich haben. Denn immer nur dasitzen und bloß vor sich hinstarren?«

Der Alte wies mit seinem Spazierstock auf ein großes graues Paket, das in der Nähe des Fensters lag.

»Hab’ ich mir vor ein paar Tagen aus London kommen lassen. Lauter Kriminal- und Abenteuerromane. Nehme an, wird wohl das Richtige für Sie sein. Fünfzig Pfund im Monat kriegen und dafür nichts weiter tun, als Detektivromane lesen - das ist doch eine feine Beschäftigung, nicht wahr?« Der Alte lachte albern.

John Harrigan las zwar sehr gerne gute Kriminalromane, aber er fragte sich, ob sie ihm wohl gefallen würden, wenn er sie sozusagen beruflich lesen müsste.

»Und weiter ist gar nichts zu tun? Ich dachte, Sie hätten Korrespondenz zu erledigen...«

So verrückt Mr. Lawrence auch sein mochte, sah er doch deutlich, dass der junge Mann von seiner neuen Stellung nicht erbaut war.

»Am Tage können Sie natürlich Spazierengehen. Bis zum Abend können Sie mit Ihrer Zeit tun und lassen, was Sie wollen.«

»Von wem werden Sie bedroht, Mr. Lawrence?«

Der Alte verschränkte die Arme über der Brust, seine Augen begannen wieder bösartig zu funkeln.

John, der einsah, dass er mit seiner Frage einen Fehler begangen hatte, ließ Mr. Lawrence keine Zeit, sie zu beantworten, sondern stellte gleiche eine zweite.

»Wohnen außer Ihnen und Mrs. Bardwell noch mehr Personen in diesem Haus?«

Der Alte antwortete nicht. Er erhob sich und humpelte in seinem Zimmer hin und her. John musste bei seinem Anblick an einen lahmen Kakadu denken. Plötzlich blieb Mr. Lawrence vor ihm stehen, seufzte tief auf und sagte mit matter Stimme:

»Gehen Sie jetzt ins Bett, junger Freund. Ich werde Ihnen morgen früh alles Weitere sagen.«

John ging in sein Zimmer, packte seinen Koffer aus und hängte seine Kleidungsstücke in den Schrank. Nein, das war nicht die Stellung, die er ersehnt hatte. Er wollte arbeiten, wollte sich nicht nutzlos fühlen. Und jetzt war er Arbeitsloser mit Gehalt.

John legte seine Oberhemden in den Schubkasten.

Er hörte, wie der Alte nebenan auf und ab ging. Tapp... tapp... tapp... schlug sein Stock auf den Boden.

War Mr. Lawrence wirklich verrückt? Sah er nicht überall Hirngespinste? Oder brütete in diesem Hause tatsächlich ein Unheil, lag hier das Grauen in dunklen Gängen und Zimmern versteckt?

John Harrigan, der gewöhnlich schnell einschlief, lag in dieser Nacht noch lange wach. Obgleich er gesunde Nerven hatte, lastete die Atmosphäre der neuen und ungewohnten Umgebung schwer auf ihm.

Er hörte die Schritte des Alten. Schmerzhaft laut drangen sie an seine Ohren. Ab und zu trieb der Sturm den Regen gegen die Fensterläden, die leise in den Scharnieren winselten. Der Wind heulte.

Es waren lange, klagende Töne, die Schreie einer verdammten Seele, die in der Finsternis umherirrt. Brrr! John zog die Decke über die Ohren, und einige Minuten später lag er in tiefem Schlummer.

 

 

 

 

  Viertes Kapitel

 

 

John fuhr schlaftrunken in die Höhe.

Tiefste Finsternis war um ihn. Wo befand er sich, und was war los?

Bums! Wieder ein Schlag gegen die Tür. Dann Mr. Lawrences keifende Stimme: »Hallo, junger Freund! Es ist zehn Uhr!«

Was? Das war ja nicht möglich! John tastete in der Dunkelheit an der Wand entlang, endlich fand er den Lichtschalter.

Ein Blick auf seine Taschenuhr zeigte ihm, dass es tatsächlich gleich zehn Uhr war.

---ENDE DER LESEPROBE---