IN EINER NEBELNACHT - Ferry Rocker - E-Book

IN EINER NEBELNACHT E-Book

Ferry Rocker

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Beschreibung

Ob im Pariser Montmartre, in Münchens Schwabing oder in London, Künstler sind überall gleich: jung und lebenslustig und stets zu Streichen und zu Partys aufgelegt. Das Atelierfest des jungen Lionel aber geht böse aus: Einer der Teilnehmer verschwindet spurlos. Was ist geschehen? War es Unfall oder Mord? Und welcher Teilnehmer könnte Anlass und Gelegenheit zu einem Mord gehabt haben? Detektivinspektor Felkin hat einen schweren Stand, den Fall zu klären. Allzu oft wird ihm die Unwahrheit gesagt, zu viele haben etwas zu verbergen. Und der Leser folgt gespannt dem Geschehen. Erst im letzten Kapitel lichtet sich auf eine überraschende Weise der Nebel, der über diesem geheimnisvollen Tod liegt. IN EINER NEBELNACHTr 1896 in Berlin/† 29. August 1973 ebenda) erschien erstmals im Jahre 1953; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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FERRY ROCKER

 

 

IN EINER NEBELNACHT

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

IN EINER NEBELNACHT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Eberhard Friedrich Worm/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of Eberhard Friedrich Worm.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Cover: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Ob im Pariser Montmartre, in Münchens Schwabing oder in London, Künstler sind überall gleich: jung und lebenslustig und stets zu Streichen und zu Partys aufgelegt.

Das Atelierfest des jungen Lionel aber geht böse aus: Einer der Teilnehmer verschwindet spurlos. Was ist geschehen? War es Unfall oder Mord? Und welcher Teilnehmer könnte Anlass und Gelegenheit zu einem Mord gehabt haben?

Detektivinspektor Felkin hat einen schweren Stand, den Fall zu klären. Allzu oft wird ihm die Unwahrheit gesagt, zu viele haben etwas zu verbergen. Und der Leser folgt gespannt dem Geschehen. Erst im letzten Kapitel lichtet sich auf eine überraschende Weise der Nebel, der über diesem geheimnisvollen Tod liegt.

 

In einer Nebelnacht von Ferry Rocker (eigtl. Eberhard Friedrich Worm - * 8. Februar 1896 in Berlin/† 29. August 1973 ebenda) erschien erstmals im Jahre 1953; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur. 

  IN EINER NEBELNACHT

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Francis Gregg betrachtete sein Spiegelbild, und der Ausdruck der Selbstgefälligkeit, der auf seinem hübschen Gesicht lag, verstärkte sich noch.

Die Farbe der Krawatte passte wirklich ausgezeichnet zu seiner dunklen Gesichtsfarbe, stellte er befriedigt fest. Mit leichter Hand fuhr er über sein gewelltes Haar, drehte sich dann wie ein Pfau - der Anzug saß vortrefflich! Mr. Williams aus der James Street hatte wieder ein Meisterwerk geliefert.

Mit elastischen, ein wenig tänzelnden Schritten ging Francis Gregg an den Tisch, entnahm einem roten Lackkästchen eine Zigarette und zündete sie an. Dann begann er zu trällern. Er gehörte zu jener Sorte junger Leute, die man gemeinhin die Trällerer nennt. Gehen sie auf der Straße, summen sie vor sich hin, befinden sie sich in einer Gesellschaft, springen sie plötzlich auf, gehen ans Büfett und gießen sich trällernd einen Cocktail ein, sitzen sie in der Badewanne, pfeifen sie. Bei der Arbeit trällern diese Leute aus dem einfachen Grunde nicht, weil sie nicht arbeiten. Auch Francis Gregg hatte nie in seinem Leben den Versuch unternommen, sich mit andern Dingen als Liebeleien, Kartenspielen, Tanzen und Wetten zu beschäftigen. Seine Eltern hatten ihm törichterweise eine Menge Geld hinterlassen, und er verplemperte es nun. Er gehörte also zu jenem Typ junger Müßiggänger, die im Mittelpunkt fast jeder Filmhandlung stehen und deren Leben im allgemeinen viel reibungsloser verläuft als das der Zuschauer, die in einer unbegreiflichen Anwandlung von Leichtsinn ein Viertel ihres sauer verdienten Tagelohns opfern, um sich für das Schicksal junger Nichtstuer begeistern zu können.

Francis Gregg verstand es, seine dunklen Augen und seine schmelzende Stimme zu gebrauchen. Unglaublich, wie viele Frauen auf ihn hereinfielen! Nicht nur törichte, nur für ein bestechendes Äußere empfängliche Frauen, sondern auch solche, die bei andern Gelegenheiten bewiesen, dass sie Talmi sehr gut von Qualitätsware unterscheiden konnten. Und der Umstand, dass er ein taktloser, indiskreter und gewissenloser Bursche war, ließ seine Erfolge noch unverständlicher erscheinen.

Die große Uhr schlug halb vier.

Francis blickte auf die Fenster, gegen die sich der Nebel presste. Von dem kleinen Vorgarten war nichts zu erkennen. Die kahlen Bäume, die Sträucher, das Gitter hatte der gelbe Brei verschluckt.

Noch eine halbe Stunde! Francis ging in das Nebenzimmer, knipste das Licht an und betrachtete den Tisch, auf dem die Teemaschine, durchsichtiges Porzellan, leuchtende Blumen und duftendes Gebäck standen. Während er die Jalousien herabließ, klingelte es.

Francis warf noch schnell einen Blick in den Spiegel, dann eilte er in die Halle hinaus und öffnete die Tür. Aber die Person, die zusammen mit einer, Wolke Nebel ins Haus kam, war nicht die, die er erwartet hatte. Es war ein handfester junger Mann mit einem breiten Gesicht, einer kurzen, dicklichen Nase und einem kleinen, hellen Schnurrbart.

»Ah, Mr. Irvin«, sagte Francis Gregg enttäuscht und beunruhigt. »Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber ich muss Ihnen gleich sagen, dass ich keine Zeit habe. Es geht im Augenblick wirklich nicht.«

Harold Irvin klappte seinen Mantelkragen herunter, nahm den braunen Filzhut ab und warf Francis einen wütenden Blick zu.

»Ich muss Sie sprechen!«

»Aber nicht jetzt!« protestierte Francis Gregg und blieb neben der Tür stehen. »Morgen Abend im Club, vielleicht auch morgen Vormittag...«

»Reden Sie keinen Unsinn, Gregg. Ich habe mich nicht gescheut, in diesem scheußlichen Wetter zu Ihnen zu fahren, und nichts soll mich hindern, Ihnen das zu sagen, was ich auf dem Herzen habe.«

Gregg zuckte die Achseln, ging durch die Halle, und der Besucher folgte ihm mit festen Schritten.

»Bitte! Aber ich habe nur fünf Minuten Zeit für Sie.«

Harold Irvin warf sich in einen Clubsessel und wartete, bis Francis Gregg die ins Nebenzimmer führende Tür geschlossen und sich ebenfalls gesetzt hatte.

»Sie können sich wahrscheinlich denken, weshalb ich gekommen bin...«

»Keine Ahnung, Mr. Irvin.«

Harold Irvin betrachtete Gregg mit einem Blick, der größten Abscheu und tiefste Verachtung ausdrückte.

»Richtig, Sie denken wahrscheinlich überhaupt nicht. Nun, dann will ich es Ihnen sagen. Ich bin hergekommen, um die Briefe, die meine Schwester im Zustand der Sinnesverwirrung an Sie schrieb, zurückzuverlangen. Außerdem befinden sich einige verfängliche Fotos in Ihrem Besitz, die Sie mir ebenfalls aushändigen werden.«

Francis Gregg schüttelte mit höchst belustigter Miene den Kopf.

»Mein bester Mr. Irvin«, sagte er näselnden Tones, »ich kann Ihnen die Briefe nicht geben, weil ich sie nicht mehr besitze.«

»Wo sind sie?«

»Vernichtet. Ein Häufchen Asche. Es ist mein Prinzip, Briefe von Damen, mit denen ich gebrochen habe, zu vernichten.«

Harold Irvin betrachtete Gregg eine Weile schweigend. Es war zu sehen, dass er sich den größten Zwang auferlegte, ruhig zu bleiben.

»Zunächst mal eine Richtigstellung: nicht Sie haben mit Dorothy gebrochen, sondern sie hat Sie zum Teufel gejagt, nachdem sie, leider Gottes viel zu spät, dahintergekommen ist, was für ein armseliger Geselle Sie sind.« Irvins Stimme schwoll jetzt an. »Und Ihre Behauptung, dass Sie die Briefe vernichtet hätten, ist eine unverschämte Lüge. Los, heraus mit den Briefen oder ich ziehe andere Saiten mit Ihnen auf. Dann können Sie etwas erleben!«

Aber bevor Irvin sich erheben konnte, war Francis Gregg schon aufgesprungen und zum Schreibtisch geeilt, auf dem das Telefon stand.

»Wie?«, kreischte er leichenblass vor Angst. »Sie drohen mir? Drohen mir in meinem eigenen Haus? Ich soll Sie wohl von meinem Diener hinauswerfen lassen?«

Harold Irvin stand da, die Lippen fest aufeinandergepresst, das Gesicht von der Röte des Zornes überflutet.

»Sie erbärmlicher Kerl!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Glauben Sie, ich weiß nicht, dass Sie allein im Haus sind? Glauben Sie, ich weiß nicht, auf wen Sie warten und für wen Sie sich so lackiert haben? Aber ich sage es Ihnen gleich: Die Person, die Sie erwarten, wird nicht kommen. Sie können also Ihren Lack ruhig wieder abkratzen, Sie Affe! Wollen Sie mir nun die Briefe und Bilder geben oder nicht?« Er trat drohend einige Schritte auf Gregg zu.

Dieser, sinnlos vor Angst, riss den Schreibtischkasten auf, griff nach einem kleinen Revolver und richtete ihn auf seinen Besucher.

»Kommen Sie mir nicht zu nahe!«, rief er mit überschnappender Stimme. »Noch einen Schritt, und ich schieße!«

Harold Irvin kreuzte die Arme über der Brust, um seine Lippen flog ein verächtliches Lächeln.

»Sie zittern ja, Mensch. Der Revolver wackelt ja wie ein Lämmerschwanz.« Er zeigte auf das Fenster. »Da kommt jemand, stecken Sie das Ding weg.«

So dumm Francis Gregg auch sein mochte - in diese plumpe Falle ging er nicht. Er ließ keinen Blick von seinem lästigen Besucher.

»Raus!«, schrie er. »Verlassen Sie sofort meine Wohnung! Ich kann auch das Überfallkommando rufen, wenn Ihnen das lieber ist.«

Irvin schien unentschlossen zu sein, was er tun sollte. Er hatte zwar keine Furcht, aber mit einem Menschen, der eine Schusswaffe in der Hand hat, ist nicht zu spaßen. Francis Gregg würde abdrücken. Darüber war er sich klar. Der Mann war ja toll vor Angst.

»Gut, ich gehe«, sagte er schließlich. »Ich werde Ihnen noch einige Stunden Bedenkzeit geben. Ich gehe in den Sportclub. Aber wenn ich bis heute Abend um neun nicht im Besitz der Briefe und Bilder bin, drehe ich Ihnen den Hals um.« Er schlug seinen Mantelkragen hoch und stülpte sich den Hut auf den Hinterkopf. »Halten Sie das nicht für eine leere Drohung. Ich bin bekannt dafür, dass ich mein Wort halte.«

Francis Gregg antwortete nicht, er folgte seinem Besucher, und als dieser das Haus verlassen hatte, schloss er schnell die Tür hinter ihm ab.

 

Als er sich wieder in seinem Zimmer befand, ließ er sich erschöpft in einen Sessel sinken und tupfte sich mit zitternder Hand den Schweiß von der Stirn. Obgleich Harold Irvin unverrichteter Dinge abgezogen war, empfand Gregg keineswegs das triumphierende Gefühl des Siegers. Nein, er fühlte sich höchst unbehaglich. Einen Augenblick bedauerte er, dass er die Briefe nicht herausgegeben hatte, und hatte das Empfinden, als balle sich Unheil über seinem Kopf zusammen. Aber dann schüttelte er sich wie ein Hund, dessen Fell nass geworden ist, setzte sich auf eine Kante des Schreibtisches, nahm den Hörer ab und drehte die Nummernscheibe. »Verzeihung«, flötete er mit seiner schmelzenden Stimme, »ich hätte gern mal mit Miss Jackson gesprochen. Wie? Sie ist verreist? Können Sie mir nicht die Adresse geben? So, Sie wissen Sie nicht. Na, ich danke Ihnen vielmals.« Er warf den Hörer auf die Gabel und rutschte vom Tisch. Verdammt! Was war da los? Winifred Jackson hatte ihn um vier Uhr besuchen wollen, und jetzt erfuhr er, dass sie verreist sei. Also hatte dieser unverschämte Irvin doch recht. Dieser Bursche musste gegen ihn integriert haben.

Abermals hob er den Hörer ab.

»Hallo, Miss Edith«, schmachtete er in den Apparat.

»Wie? Aber warum sind Sie denn so böse zu mir? Also dann: Miss Cressage. Können Sie sich denken, warum ich Sie anrufe, Miss E... pardon, Miss Cressage? Nein? Nun, was halten Sie davon, mit einem netten jungen Mann den Abend zu verbringen? Wie, Sie können nicht? Aber ich hätte Sie gern gesprochen und zwar wegen... nun, ich möchte das nicht am Telefon sagen. Hm, ja, ja. Aber wohin gehen Sie denn, wenn ich fragen darf? So, Turner hat Sie eingeladen. Werden viele Leute dort sein? Na, jedenfalls wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, Miss Edith. Ich bin sehr betrübt, sehr, meine Liebe. Warum? Nun, das können Sie sich doch wohl denken. Also, auf Wiedersehen, Miss Edith«, hauchte er ergeben in den Apparat.

Hol's der Teufel! Heute ging aber auch alles schief. Dieser ekelhafte Irvin hatte ihm die gute Laune verdorben. Spielte sich da als Hüter der Familienehre auf. Und dabei wusste jeder, dass Harold seine Schwester Dorothy nicht ausstehen konnte.

Francis Gregg nahm einen flachen Schlüssel aus der Tasche, ging in das Nebenzimmer und öffnete eine neben dem Diwan stehende Truhe. In der Truhe befanden sich Stöße sorgsam gebündelter Briefe. Einen Augenblick schaute er voller Stolz auf den Inhalt. Kein General hätte auf seine Orden stolzer sein können als Francis Gregg auf seine Briefsammlung.

Dann zog er ein schmales Bündel Briefe heraus, steckte es in die Brusttasche und schloss die Truhe wieder sorgfältig ab.

Zehn Minuten später verließ er sein Haus in Maida Vale. Seine gute Laune schien er wiedergefunden zu haben, denn er trällerte vor sich hin.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Gelb-braun senkte sich der Nebel herab. Bald waren die Straßen verstopft von Fahrzeugen aller Art, die Scheinwerfer der Autos brachen an der Nebelwand ab wie blitzende Messerklingen an gelbem Stein. Das Rattern der Motoren klang wie heiseres Bellen, und dazwischen gellten die Hupen wie Hilferufe Ertrinkender.

Menschen tasteten sich an den Häuserwänden entlang, prallten zusammen und murmelten ärgerlich kurze Entschuldigungen.

Es war eine geheimnisvolle und verwirrende Welt. Geräusche, die gespensterhaften Ursprungs zu sein schienen, wurden laut. Die Fackeln der Verkehrspolizisten standen wie rote Flecke im Nebel, und die an den Häuserwänden entlangkletternden roten Flammenschriften der Lichtreklamen wirkten wie der Widerschein eines mächtigen Brandes.

Lionel Turner, beide Arme mit Paketen beladen, tastete sich durch die gespenstischen Dunstmauern.

Hatte er alles? Nein, Zigarren und Zigaretten fehlten noch. Lucy rauchte nur ägyptische, und sie war nicht auszustehen, wenn sie sie nicht bekam.

Nanu, wo war denn der Tabakladen? Lionel, der seit Jahr und Tag in dieser Gegend wohnte, sollte sich verirrt haben? Das wäre ja nun nicht weiter verwunderlich gewesen, aber Lionel bildete sich auf seinen Orientierungssinn sehr viel ein, und sein Selbstbewusstsein erlitt daher nur einen ganz leichten Stoß, als er feststellte, dass er sich nicht in der Straße geirrt hatte, sondern nur am Tabakladen vorbeigelaufen war. So etwas konnte sogar einem prämiierten Pfadfinder passieren.

»Guten Tag, Mr. Turner. Scheußliches Wetter heute, wie?«

Mr. Hutchinson, der Tabakhändler, hatte diesen Satz bereits einige Dutzend Male mit Erfolg angebracht, und er sah nicht ein, warum er sich die Richtigkeit seiner Ansicht nicht auch durch Mr. Turner bestätigen lassen sollte.

»Scheußliches Wetter, ja«, antwortete Lionel und legte seine Pakete auf einen Stuhl.

»Wie gewöhnlich, Mr. Turner?«

»Ja, aber dann brauche ich noch zwei kleine Kisten Zigarren und eine Schachtel Ägyptische.«

»Luxor oder Ramses?«

»Luxor. Eine Schachtel zu fünfundzwanzig genügt. Die Zigarren nicht zu schwer, Mr. Hutchinson. Ich bezahl' Ihnen das Zeug aber erst am Montag, habe mich total verausgabt.«

»Ganz, wie Sie wollen, Mr. Turner. Eine kleine Gesellschaft heute?« Aus irgendeinem nicht rechtersichtlichen Grunde kicherte Mr. Hutchinson bei diesen Worten auf eine nachsichtige Art und machte ein Gesicht wie ein Verschwörer.

»Ja.« Lionel warf einen kritischen Blick auf die Zigarren, die ihm Hutchinson unter die Nase hielt. »Die sehen ja ganz vertrauenerweckend aus. Gut, packen Sie alles ein.« Er setzte sich und betrachtete missbilligend seine schmutzigen Schuhe.

Lionel Turner war ein schlanker junger Mann mit einem kräftigen Kinn, einer feinen Nase und tiefliegenden, etwas melancholisch dreinschauenden Augen. Er war untadelig gekleidet und erweckte den Eindruck eines jungen Mannes in guten Verhältnissen.

»Ich hab' neulich im Strand-Magazin Ihre Zeichnungen gesehen«, murmelte Mr. Hutchinson, ein Stück Bindfaden zwischen den Zähnen. »Wirklich ganz exquisit. Ich sagte gleich zu Clara, da sieht man wieder mal, was Kunst ist. Mr. Turner steht seinem berühmten Namensvetter in nichts nach.«

»Oh«, sagte Lionel, sowohl verärgert als auch geschmeichelt. »Da haben Sie aber arg danebengeschossen. Ich finde die Zeichnungen gar nicht gut.«

»Nun, die Hauptsache ist, sie machen sich bezahlt«, erklärte Mr. Hutchinson, der ein außerordentlicher Materialist war. »Was nutzt es Ihnen denn, wenn Sie Ölgemälde malen, und niemand kauft sie Ihnen ab? Heutzutage hat doch niemand mehr Verständnis für Kunst. Warten Sie, ich mache noch einen Griff dran. Kaum, dass man sich noch ein Buch kaufen kann. So, Mr. Turner, hoffentlich finden Sie nach Hause.«

Lionel fand ganz glatt das Haus, in dem er wohnte. Es war ein fünfstöckiger Bau in der Smith Street.

Als er die Haustür aufstieß, kam ihm Knowles, der Hauswart, in seiner schleichenden Gangart entgegen.

»Nanu«, sagte Lionel, mit dem Kopf auf ein am Fahrstuhl hängendes Schild weisend. »Ich denke, der Fahrstuhl sollte heute Vormittag repariert werden.«

Knowles, ein alter Mann mit einem faltigen Gesicht, nahm widerwillig seine zischende und stinkende Pfeife aus dem Mund.

»Das ist so 'ne Sache, Mr. Turner. Die Arbeiter sind nämlich nicht fertig geworden damit. Sie müssen ein neues Kabel besorgen, sagen sie. Ich verstehe ja nichts davon. Jedenfalls wird der Fahrstuhl erst am Montag fertig.«

»Schöne Geschichte! Ich hab' heute Abend eine kleine Gesellschaft. Na, meine Gäste werden sich freuen, wenn sie die fünf Stock hinaufklettern müssen.«

Der Hauswart sog an seiner Pfeife, es hörte sich an, als wenn Wasser kochte.

»Nicht zu ändern, Mr. Turner. Hoffentlich machen Ihre Gäste nicht so viel Krach wie das letzte Mal. Sie wissen doch, dass Mr. Harring sich beschwert hat.«

»Mr. Harring ist gerade der Richtige, sich zu beschweren. Wenn der auf seiner Geige herumkratzt, platzt mir die Farbe von den Ölbildern.«

»Na, nichts für ungut.« Mr. Knowles schlurfte wieder nach hinten, und Lionel kletterte die Stiegen hoch.

Der Fahrstuhl führte nur bis zum vierten Stock, und die beiden im fünften Stock befindlichen Atelierwohnungen waren erst vor drei Jahren umgebaut worden. Früher hatte sich im fünften Stock ein Filmatelier befunden.

Die Mieterin der anderen Atelierwohnung war eine nicht mehr junge Malerin und Bildhauerin namens Agatha Flood. Da sie ihre Bilder nicht loswurde, befasste sie sich hauptsächlich mit der Herstellung von Cocktailpuppen. Sie beschäftigte zwei junge Mädchen und kam oftmals zu Lionel, um sich von ihm etwas Geld auszuborgen. Da sie das Geld pünktlich zurückzahlte, half ihr Lionel stets gern aus der Verlegenheit.

Wenn man Lionels Wohnung betrat, kam man zuerst in einen gefällig eingerichteten Vorraum, auf den drei Türen mündeten. Diese Türen führten in das Badezimmer, in eine kleine Küche und in das Wohnzimmer. Schlaf-, Wohnzimmer und das Atelier lagen nebeneinander, eine Tür des schmalen Schlafzimmers führte in die Küche, die andere ins Wohnzimmer. Ins Atelier konnte man nur durch das Wohnzimmer gelangen; es war ein großer Raum, der ungefähr acht Meter lang und fünf Meter breit war.

Lionel hatte bereits am Vormittag alle in seiner Wohnung vorhandenen Sitzgelegenheiten, Stühle, Sessel, zwei Diwans, in das Atelier geschafft, und jetzt legte er ein langes Brett auf vier Holzböcke. So, das sollte der Tisch sein. Wenn alle gegessen hatten, stellte man das Brett an die Wand, und dann konnten diejenigen, die Gefallen an Gliederverrenkungen fanden, dieser Tätigkeit bei den Klängen eines Grammophons in ausgiebigem Maße frönen. Lionel veranstaltete nicht oft »Budenzauber«, aber wenn er es tat, sollten die Gäste nicht bereuen, seine Einladung angenommen zu haben. Das war sein Ehrgeiz.

Von den zehn Gästen, die Lionel heute erwartete, kannte er einige Personen nur recht oberflächlich. Diese Personen waren: Edith Cressage, Roger Moresby und Nicholas Fraser, Bekannte seines Freundes James Milton. Er hatte sie einladen müssen, weil er in ihrem Beisein eine Wette verloren hatte.

Er hatte gerade den Tisch aufgebaut, als es klingelte.

Die Malerin Agatha Flood stand draußen.

Sie war eine große, kräftige Person, hatte ein breites Gesicht mit hervorspringenden Backenknochen und schwarzem strähnigem Haar, das ihr unordentlich ins Gesicht hing. Sie machte einen verschlampten Eindruck. »Ach, mein Bester«, sagte sie mit ihrer klagenden Stimme, »würden Sie wohl so liebenswürdig sein, mir eine Tube Deckweiß zu leihen. Ich will nicht erst hinuntergehen, es ist so scheußliches Wetter.«

»Aber gewiss. Kommen Sie, Miss Flood.«

»Ach, was sehe ich: Sie geben wohl eine Gesellschaft heute Abend? Haben Sie vielleicht Geburtstag? Brauchen Sie Stühle? Kann ich Ihnen etwas helfen?«

»Sehr freundlich, Miss Flood. Aber ich werde allein fertig.« Er kramte in seinem Malkasten herum und gab ihr die verlangte Tube. »Wenn Sie heute Abend nichts vorhaben, kommen Sie doch herüber.«

»Ach, ich passe doch nicht unter euch junge Leute.«

Miss Flood zog jedes Wort lang, außerdem hatte sie die Gewohnheit, beim Sprechen die Augen niederzuschlagen.

»Sie tun ja grad' so, als wären Sie so alt wie unsere Nationalhymne.«

»Wenn ich an die Enttäuschungen denke, die ich im Leben erlitten habe, komme ich mir vor, als sei ich hundert Jahre alt.«

»Ach was, eines Tages werden auch Sie sich durchsetzen«, sagte Lionel, sehr gegen seine Überzeugung, denn er fand Miss Floods Bilder und Skulpturen weniger als mittelmäßig. »Jedenfalls: wenn Sie Langeweile haben, kommen Sie.«

»Ich werde ganz bestimmt nicht kommen«, sagte Miss Flood zur Tür gehend. »Aber ich danke Ihnen recht herzlich für die Einladung. Sie sind ein netter Mensch.«

»Ich kann Sie natürlich nicht zwingen.« Lionel öffnete die Korridortür, dabei fiel sein Blick auf eine große Kiste, die auf dem Treppenflur stand. »Gehört die Ihnen? Sieht ja aus wie ein Sarg.«

»Ja ich habe sie einem meiner Mädchen geschenkt. Die hat irgendeine Verwendung dafür. Ich habe sie herausgestellt, weil ihr Bruder sie abholen wollte, aber er ist nicht gekommen. Bei dem Wetter kann er ja die Kiste auch nicht durch die Straßen schleppen. Ihre Gäste werden doch hoffentlich nicht darüber fallen... sonst nehme ich sie lieber wieder herein.«

»Meine Gäste haben auf diesem Teil des Flurs nichts zu suchen«, beruhigte Lionel die Malerin. »Lassen Sie sie ruhig dort stehen. Also, auf Wiedersehen, Miss Flood.«

Einige Minuten später rief John Oldshaw an.

»Hör mal zu, alter Junge: sei nicht böse, aber ich kann heute Abend nicht kommen. Die Katze meiner Tante hat den Pips oder so was ähnliches, und die alte Dame würde mir nie verzeihen, wenn ich zum Vergnügen ginge, während ihr Liebling krank in der Sofaecke liegt.«

»John, du bist ein alter Schuft.«

»Nein, ganz gewiss nicht, Lionel. Keine Lüge! Ehrenwort! Aber du weißt: ich muss auf die alte Dame verdammt viel Rücksicht nehmen. Wenn sie mich enterbt, siehst du die drei Pfund, die du mir vorige Woche geliehen hast, nie wieder.«

Schön. John kam also nicht. Sollte er ruhig am Krankenlager der Katze sitzenbleiben und Teilnahme heucheln.

»Wir werden uns jedenfalls amüsieren«, sagte Lionel ingrimmig und stieß den Büchsenöffner so heftig in die Fischdose, dass ihm die Soße ins linke Auge spritzte.

Um sechs Uhr kam Molly Bird.

»Puh, was für ein scheußliches Wetter«, sagte sie, ihren kleinen Hut auf den Haken werfend und somit bekundend, welch prächtiger Laune sie war. »Ich fühle mich wie ein nasser Bindfaden. Bin früher gekommen, weil ich annehme, dass Sie weibliche Unterstützung brauchen.«

Lionel war glücklich, Molly schon bei sich zu sehen. Molly war dreiundzwanzig Jahre alt, hatte ein heiteres Gesicht mit einer Stupsnase und goldbraunen, lebendigen Augen. Sie war nicht hübsch, aber ein prächtiger Kerl. Lionel war verschossen in sie, aber er hatte sich noch nicht getraut, ihr eine Liebeserklärung zu machen. Er hatte Angst, dass Molly ihn auslachen würde.

Sie marschierte sofort in die Küche und betrachtete die Leckerbissen, die er gekauft hatte.

»Was, Gänseleberpastete haben Sie auch? Tun Sie mir den Gefallen, Lionel, und machen Sie den Topf gleich auf. Ich muss die Pastete kosten. Unter Umständen kommt nachher ein Mensch, der den Topf einsteckt... so, ich danke Ihnen, Lionel. Wissen Sie übrigens, dass ich umsonst hierhergefahren bin? Ich habe mich einfach auf den Kühler eines Autos gesetzt. Der Chauffeur konnte mich in diesem Nebel gar nicht sehen.«

»Molly, Sie lügen wie ein Seemann«, sagte Lionel entrüstet.

»Was ist denn das hier? Kenne ich ja gar nicht. Machen Sie doch mal auf.«

Lionel öffnete die Büchse.

»Au verdammt! Ich habe etwas vergessen. Kaviar. Ich springe schnell zur King's Road hinunter. Sie essen doch Kaviar?«

»Ein halbes Pfund, mein Junge«, erklärte Molly und wickelte sich eine Scheibe Lachs um die Gabel. »Wenn Sie wieder heraufkommen, werde ich wohl sterbenskrank im Kohlenkasten liegen.«

Aber als Lionel von seinem Einkauf zurückkam, lag Molly nicht im Kohlenkasten, sondern sie hatte den Tisch im Atelier gedeckt.

»Der ganze Raum ist voller Nebel«, jammerte sie. »Es sieht aus, als hätten vierzig Männer hier geraucht. Hoffentlich finden alle her. Einige kommen doch heute zum ersten Mal zu Ihnen.«

»Ja. Miss Cressage, Mr. Moresby und Fraser. Kennen Sie die Leute näher?«

»Miss Cressage kenne ich gut«, erklärte Molly, an einem Keks knabbernd. »Sie ist ein bisschen überspannt und findet alles furchtbar interessant. Sie wird einmal schrecklich viel Geld erben. Wenn Sie sich bei ihr beliebt machen wollen, müssen Sie so tun, als hielten Sie sie für lasterhaft. Sollten Sie aber zu weit gehen, wird sie schreien.«

»Danke für die Auskunft. Und die beiden Männer?«

»Moresby fährt fabelhaft gut Auto. Er hat schon dicke Preise gewonnen. Ich glaube, er ist hinter Edith her. Sie macht sich aber anscheinend nicht viel aus ihm. Sie schwärmt für Filmschauspieler. Fraser ist Ingenieur und tanzt wundervoll. Wissen Sie, Lionel, ich muss noch eine Käsestange nehmen. Die schmecken ganz ausgezeichnet.«

Daisy und Peter Scott, ein junges Ehepaar, waren die ersten, die kamen. Daisy war schlank, mit einem Puppengesicht, aus dem zwei große dunkle Augen erschrocken in die Welt starrten. Sie war Modezeichnerin. Peter Scott malte Tierbilder. Ein kräftiger junger Mann, der salopp gekleidet ging und dessen Taschen voller Shagpfeifen steckten. Er hatte eine etwas lärmende Art, war aber ein guter Kerl.

Agnes Elliot und James Milton kamen zusammen. Angeblich hatten sie sich vorm Haus getroffen. James Milton, ein gutmütig aussehender Mann Anfang der Dreißig, war Inhaber einer Kunsthandlung und machte verzweifelte Anstrengungen, Lionels Bilder, die er für außerordentlich gut hielt, zu verkaufen. Agnes Elliot, eine kleine, magere, schwarzhaarige Person, war Sekretärin in einem Zeitungsverlag und wusste alles, was sich »im Bau« ereignete. Sie war wie ein mit Wasser vollgesogener Schwamm. Tippte man sie nur an, flossen ihr die Klatschgeschichten aus dem Mund, flossen und flossen...

Ihre kleinen dunklen Augen standen nie still. Für Lionel war sie von großer Wichtigkeit, weil sie es verstand, ihm die besten Illustrationsaufträge zuzuschanzen. Sie tat das übrigens aus reiner Uneigennützigkeit, war auch den beiden Scotts behilflich, wo sie nur konnte.

Kurz nach acht Uhr waren alle Gäste versammelt. Nachdem sich alle darüber einig waren, dass draußen ein schreckliches Wetter herrschte und dass es ein Skandal sei, dass der Fahrstuhl nicht funktionierte, setzten sie sich an den Tisch, und bald herrschte die fröhlichste Stimmung.

Lucy Bronson, eine Medizinstudentin von betont männlichem Auftreten, saß neben Nicholas Fraser, einem Mann mit knochigem Gesicht und tiefliegenden Augen. Er hatte die Gewohnheit, mit schiefem Mund zu lächeln und ein Auge dabei zu schließen. Edith Cressage, die neben dem etwas gelangweilt dreinschauenden Roger Moresby saß, hatte einen schönen Mund und mandelförmig geschnittene Augen. Sie sah äußerst reizvoll aus, hatte aber leider eine etwas blechern klingende Stimme.

»Kinder, hört doch mal zu«, rief sie aufgeregt über den Tisch. »Moresby erzählt mir soeben, er sei neulich in einem Verbrecherkeller gewesen.«

Nun erzielte diese Bemerkung durchaus nicht die Sensation, die Edith Cressage erwartet hatte, aber Lionel war höflich genug, Roger Moresby aufzufordern, der Gesellschaft seine Erlebnisse zu schildern.

»Ach, da gibt's gar nichts zu erzählen. Es war gar nicht aufregend. Ein paar von den Burschen betrachteten mich und meinen Freund zwar etwas misstrauisch, aber keiner belästigte uns. Mein Freund und ich sahen ziemlich verboten aus, ja, ich möchte sagen, wir beide waren die einzigen, die verkommen aussahen. Um zehn Uhr kamen ein paar Matrosen, die waren sternhagelvoll. Aber als sie Streit anfangen wollten, warf sie der Wirt hinaus, wir dachten auch, wunder was wir erleben würden, aber es war nichts damit.«

»Dann waren Sie nicht in der richtigen Kneipe«, stellte Edith Cressage fest. »Ich habe gehört...«

»Was Sie gehört haben, werden Schauergeschichten gewesen sein«, unterbrach Roger Moresby sie mit gutmütigem Spott. »Wir waren in der richtigen Kneipe, verlassen Sie sich darauf. Jim hatte die Adresse von einem Detektiv-Sergeanten bekommen.«

»Aber wie sahen denn die Leute aus? Verheerend, wie?«

»Die meisten waren sehr anständig angezogen und aßen auch mit Messer und Gabel. Sie machen sich ganz falsche Vorstellungen von der Unterwelt, Miss Cressage. Aber ich kann Ihnen noch etwas anderes erzählen; Jim und ich fuhren dann nach Hause, zogen uns um und gingen in einen feudalen Nachtclub in der Brook Street. Und dort benahmen sich die Leute nicht so gesittet wie die Leute in der Spelunke. Einige von Ihnen werden doch sicherlich Francis Gregg kennen - also, wie dieser Bursche sich dort aufführte, spottete jeder Beschreibung.«

Lionel, der Francis Gregg kannte, aber nicht leiden konnte, erfuhr das Ende der Geschichte nicht, weil das Telefon im Wohnzimmer klingelte.

»Hallo, Lionel?«

Eine tiefe Stimme, bei deren Klang der junge Maler freudig überrascht ausrief:

»Nanu, Hubert, alter Junge, bist du's? Ja, wie kommst denn du nach London?«

»Mit der Bahn«, antwortete Hubert Benham trocken. »Ich bin aber nur auf der Durchfahrt hier, fahre heute Nacht wieder weiter. Sag, wollen wir uns nicht irgendwo treffen?«

Lionel hatte Hubert Benham, seinen Jugendfreund, seit drei Jahren nicht gesehen. Beide stammten aus Devonshire. Vor drei Jahren hatte Hubert das Gut seines Onkels in Schottland geerbt, und von diesem Zeitpunkt an war es aus Lionels Gesichtskreis entschwunden. Zuerst hatten sie sich Briefe geschrieben, dann hatten sie nur noch Kartengrüße gewechselt, und zuletzt hatte sich ihre Korrespondenz darauf beschränkt, einander zum neuen Jahr zu gratulieren.

Lionel war daher ehrlich betrübt, als er antworten musste: »Hubert, ich kann jetzt nicht weg. Habe eine kleine Gesellschaft. Aber ich mache dir einen Vorschlag: komm sofort her! Wo steckst du denn augenblicklich? Camden Town? Nimm die Untergrund, steig Charing Cross um und fahr bis zum Sloane Square. Dann gehst du die King's Road hoch.«

»Ja, aber bei diesem verdammten Nebel. Ich werd's jedenfalls versuchen. Hör mal: sind doch nicht etwa zu feine Leute da? Ich bin nämlich ein richtiger Bauer geworden. Ich hab' vorhin meine Schwester besucht, sie war über mein Benehmen entsetzt. Also, bis nachher, alter Junge. Vor zehn werd' ich allerdings nicht da sein.«

Als Lionel ins Atelier trat, waren Molly und Agnes Elliot gerade damit beschäftigt, das Geschirr abzuräumen; mit Müh und Not gelang es ihm, ihnen noch einen mit Esswaren beladenen Teller zu entwinden. Hubert sollte doch auch seinen Anteil haben.

»Kinder, ein alter Freund von mir kommt noch, ein Großagrarier.

---ENDE DER LESEPROBE---