DER TIGER VON MONTPARNASSE - Ferry Rocker - E-Book

DER TIGER VON MONTPARNASSE E-Book

Ferry Rocker

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Beschreibung

Dieser spannende und in gepflegtem Stil geschriebene Kriminal-Roman spielt in Paris: In den Kreisen von Menschen, welche die Nachtclubs und Spielhöllen beleben, die Gesetze missachten, aber schließlich dank der zielbewussten und scharfsinnigen Arbeit der Pariser Kriminalpolizei wegen ihrer Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Mit gewohnter Meisterschaft zeichnet Ferry Rocker die Charaktere seines Romans, schildert er das Milieu, in dem seine Gestalten leben. DER TIGER VON MONTPARNASSE von Ferry Rocker (eigtl. Eberhard Friedrich Worm - * 8. Februar 1896 in Berlin/† 29. August 1973 ebenda), des Meisters des analytischen und psychologischen Detektivromans, erschien erstmals im Jahre 1948; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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FERRY ROCKER

 

 

DER TIGER

VON MONTPARNASSE

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DER TIGER VON MONTPARNASSE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Eberhard Friedrich Worm/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of Eberhard Friedrich Worm.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Cover: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Dieser spannende und in gepflegtem Stil geschriebene Kriminal-Roman spielt in Paris: In den Kreisen von Menschen, welche die Nachtclubs und Spielhöllen beleben, die Gesetze missachten, aber schließlich dank der zielbewussten und scharfsinnigen Arbeit der Pariser Kriminalpolizei wegen ihrer Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Mit gewohnter Meisterschaft zeichnet Ferry Rocker die Charaktere seines Romans, schildert er das Milieu, in dem seine Gestalten leben.

 

Der Tiger von Montparnasse von Ferry Rocker (eigtl. Eberhard Friedrich Worm - * 8. Februar 1896 in Berlin/† 29. August 1973 ebenda), des Meisters des analytischen und psychologischen Detektivromans, erschien erstmals im Jahre 1948; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur. 

  DER TIGER VON MONTPARNASSE

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Als Roger Braine eines Nachts in Neuilly eine Villa verließ - er verließ sie auf dem etwas umständlichen Wege über die Mauer -, legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter, und Inspektor Fayot sagte in ziemlich gehässigem Ton zu ihm:

»Na, mein lieber Junge, jetzt hast du dich aber in die Tinte gesetzt. Kanone?« Er tastete blitzschnell Braines Taschen ab. »Nein. - Na, das ist klug von dir. Was hast du denn da drin gemacht?«

»Oh«, seufzte Braine und bemerkte mit äußerstem Missvergnügen, dass der Inspektor ein Paar Handschellen aus der Tasche zog. »Sie wollen mir doch nicht etwa diese Dinger anlegen?«

»Ja, das will ich«, nickte Fayot. »Ich bin ein vorsichtiger Mann. Die Nacht ist neblig, und bis zur Polizeistation haben wir mindestens fünfzehn Minuten zu gehen.«

»Ach so, Sie haben Angst!«

Diese Bemerkung verletzte den Inspektor, und er tat das Dümmste, was er tun konnte: er ließ die Handschellen wieder in die Tasche gleiten. Allerdings nicht, ohne in drohendem Tone zu erklären:

»Wenn du ausreißt, pfeffere ich dir ein paar ins Kreuz, und ich glaube nicht, dass du dann jemals noch über eine Mauer klettern wirst.«

Nach dieser menschenfreundlichen Bemerkung fasste er Roger Braine unter den Arm und ging mit ihm fort.

Es war nach Mitternacht, und sie begegneten keinem Menschen, auf dem sich längs dem Bois de Boulogne dahinziehenden Boulevard. Um die Laternen lag rötlicher Nebel.

Ein leichter Sprühregen rieselte herab.

Plötzlich blieb Braine stehen.

»Sie glauben natürlich, dass ich da drin einen Einbruch verübt habe?«

»Wie werde ich so etwas von Ihnen denken«, protestierte der Inspektor und ging, er wusste selbst nicht, warum, zum Sie über. »Ein gut gekleideter Herr wie Sie! Wahrscheinlich wussten Sie, dass die Gitterpforte knarrt, und da Sie die Nachbarschaft nicht im Schlaf stören wollten, kletterten Sie über die Mauer. So machen es in Frankreich alle wohlerzogenen jungen Leute. Na, nun wollen wir aber weitergehen, sonst holen wir uns noch den Schnupfen.«

Der kleine Braine trottete wieder gehorsam neben dem riesigen Inspektor her, der weit davon entfernt war, über die Festnahme des Kletterkünstlers besondere Genugtuung zu empfinden. Er befand sich gar nicht im Dienst, hatte mit einem jungen Mädchen in Neuilly einen angenehmen Abend verbracht und war nun missgestimmt, weil ihm der Zwischenfall mit Braine sicherlich eine Stunde seiner Nachtruhe raubte.

»Bleiben Sie einmal stehen«, grunzte er unfreundlich, drehte den Mann um und stellte ihn gegen die Mauer. »Ich will mir bloß meine Pfeife stopfen. - Es geht gleich weiter.«

Während er sich mit seinem Tabaksbeutel beschäftigte, nahm er den Verhafteten näher in Augenschein. Er sah sofort, dass der Mantel Braines von einem erstklassigen Schneider stammte, er saß wie angegossen. Auch der Hut, den der Mann trug, war keine billige Ware. Der kostete wenigstens seine hundert Francs. Der ist fein beisammen, dachte Fayot. Was mag er gestohlen haben? Solche Burschen lassen gewöhnlich Juwelen mitgehen. Einbruchswerkzeug hat er nicht in den Taschen, höchstens einen Glasschneider. Weggeworfen hat er auch noch nichts unterwegs...

»So, jetzt können Sie sich wieder umdrehen«, sagte er gönnerhaft, nachdem er seine Pfeife angeraucht hatte.

Roger Braine kam der Aufforderung langsam nach, und Fayot konnte sich nicht enthalten, missbilligend den Kopf zu schütteln, denn der Festgenommene lächelte ihn an.

»Wie alt sind Sie eigentlich?«, fragte der Inspektor und sog heftig an der Pfeife, die verstopft zu sein schien.

Braine blickte auf seine Armbanduhr.

»Vor einer Stunde wurde ich dreißig Jahre«, flüsterte er heiter. »Dreißig Jahre. Und ich sehe aus wie zwanzig, nicht wahr?«

»Wie fünfzehn«, korrigierte der Inspektor und schlenkerte die Hand durch die Luft, denn er hatte sich den Finger an dem glühenden Tabak verbrannt. »Und an Ihrem Geburtstag machen Sie solche Sachen?«

»Was für Sachen?«, fragte Braine naiv.

»Na, nun hör’n Sie aber auf!« Fayot wurde wütend, weil seine Pfeife keine Luft hatte. Er schraubte das Mundstück ab und blies mit vollen Backen hindurch.

»Ich an Ihrer Stelle wäre Saxophonbläser geworden«, bemerkte der Verhaftete liebenswürdig.

»Was?«, bellte Fayot entrüstet. »Ich an Ihrer Stelle würde hübsch artig und bescheiden sein. Selbst wenn Sie heute wirklich Geburtstag haben sollten, so hätten Sie noch immer nicht das Recht, sich über einen Polizeibeamten lustig zu machen, der Ihretwegen seine Nachtruhe opfert. - Na, das wird heute doch nichts mehr.« Seufzend steckte er seine Tabakspfeife in die Tasche. »Kommen Sie.«

Aber der Verhaftete rührte sich nicht von der Stelle. »Warten Sie noch einen Augenblick. Ich muss Ihnen etwas erzählen.«

»Aber das können Sie doch auf der Polizeistation machen. Da hören Ihnen dann mehr zu.«

»Ich will es aber bloß Ihnen erzählen, weil Sie mir gefallen.«

»Sie übertreiben...!« Der Inspektor lachte hämisch. »Vielleicht machen Sie mir noch eine Liebeserklärung. Mitten im Regen... unter einer Laterne... sehr wirkungsvoll.«

Der kleine Mann schüttelte lächelnd den Kopf.

»Hören Sie zu, M’sieu 1’ Commissaire.«

»Inspektor...«, stellte Fayot richtig.

»Also gut: Inspektor. Sie sind von der Brigade mondaine?« Fayot war etwas verblüfft. Er nickte.

»Ich kann mich nicht erinnern, Sie schon einmal in Behandlung gehabt zu haben.«

»Nein, das haben Sie nicht.«

Roger Braine zog ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche und hielt es dem Beamten hin.

Fayot zögerte einen Augenblick.

»Nun, bedienen Sie sich schon«, forderte ihn der kleine Mann spöttisch auf. »Das ist keine Bestechung. Oder glauben Sie vielleicht, die Dinger seien vergiftet?«

»Alles schon dagewesen«, brummte der Inspektor, griff aber nicht in das Etui, sondern nahm Braine die Zigarette aus den Fingern, die dieser bereits für sich herausgenommen hatte.

»Sehr vorsichtig«, bemerkte Braine ironisch und hob sein Feuerzeug, um es gegen Fayots Zigarette zu halten. Aber der Inspektor drückte ihm lächelnd die Hand herunter.

»Lassen Sie, ich nehme meine Streichhölzer. Es gibt Feuerzeuge mit Magnesiumkapsel. Blitzlicht ist nicht gut für die Augen.«

Der kleine Mann lachte glucksend und zündete seine Zigarette ebenfalls an Fayots Streichholz an. »Also«, |Sagte er, und blies den Rauch geräuschvoll in die Luft, »als ich vorhin dieser hübschen Villa, vor der Sie mich abfassten, einen Besuch abstattete, fand ich zwar nicht das, was ich suchte, aber etwas anderes. Und dieses andere wird Sie interessieren!«

»Na, da bin ich aber wirklich gespannt«, entgegnete der Inspektor kühl. »Wenn Sie mir hier einen Bären aufbinden, werde ich saugrob.«

Der kleine Mann quittierte die warnende Bemerkung mit einem flüchtigen Lächeln.

»Was ich suchte, kann ich Ihnen nicht sagen«, fuhr er fort. »Aber ich will Ihnen sagen, was ich fand. Ich fand in dem zu ebener Erde liegenden Bibliothekszimmer einen Toten.«

Der Inspektor nickte gleichmütig. »Erzählen Sie weiter.«

»Der Tote war der Schauspieler Bardac von der Montparnasse-Bühne. Der Mann war noch mit seinem Mantel bekleidet, sein Hut lag auf der Erde. Verstehen Sie mich?«

»Ja«, gähnte der Inspektor und warf die halb aufgerauchte Zigarette mit müder Bewegung auf den Boden.

»Der Mann ist erwürgt worden«, fuhr Braine laut und eindringlich fort. »Mord, Inspektor!«

Fayot, der sich gegen die Mauer gelehnt hatte, schloss die Augen. »Erwürgt... Mord...«, wiederholte er schläfrig. Sein Kopf sank schwerfällig vornüber, und plötzlich sackte er in den Knien zusammen und rutschte zu Boden.

Braine legte dem Bewusstlosen den Hut unter den Kopf, zog sein Notizbuch hervor, schrieb einige Zeilen auf einen Zettel und steckte ihn dem Inspektor in die Manteltasche.

Dann ging er den Weg zurück, den er gekommen war.

Eine halbe Stunde später fand eine Polizeipatrouille den bewusstlosen Inspektor und brachte ihn im Auto auf die Station, wo zufällig de? Polizeiarzt anwesend war, der ihn sofort in Behandlung nahm.

»Na, in drei Stunden wird er wieder auf dem Posten sein«, sagte Doktor Monnet. »In welcher Abteilung arbeitet er?«

»Brigade mondaine. Rauschgifte«, antwortete Polizeikommissar Daudin und betrachtete den Inspektor, den er für betrunken hielt, mit einem Gefühl des Neides.

Der Arzt lachte sarkastisch auf. »Rauschgifte. Na, nun weiß er wenigstens, wie sie wirken.«

»Sie meinen... er ist nicht...?« Der Kommissar machte die Bewegung des Trinkens.

»Keine Spur!« Der Doktor schüttelte ernst den Kopf. »Er ist durch eine Zigarette vergiftet... oder vielmehr betäubt worden. Bin gespannt, was er nachher erzählen wird.«

Der Kommissar nahm seine Zeitung und setzte sich neben seinen bewusstlosen Kollegen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Die Geschäfte gehen eben schlecht«, sagte Bercy und knipste die Spitze seiner Zigarre ab. Während er sie anzündete, warf er einen kurzen, forschenden Blick auf seinen Besucher, der sich mit beiden Armen auf die Lehne des Clubsessels stützte, als wolle er sich dadurch vor dem Versinken bewahren.

»Ich frage mich allerdings vergeblich, warum sie schlecht gehen«, bemerkte Marcel Dumont und blickte interessiert auf die Rauchringe, die Bercy kunstgerecht gegen die Decke blies.

»Vergeblich?« Bercy zog seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. »Es ist Ihnen doch wohl nicht unbekannt geblieben, dass der größte Teil unserer Ladungen geschnappt worden ist. Noch schlimmer allerdings ist, dass wir unsere beste Besatzung dabei verloren haben.«

Dumont machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Ihre Handbewegung zeigt mir, dass Sie von dem Geschäft, dem Sie Ihren Lebensunterhalt verdanken, nichts verstehen«, fuhr Bercy in scharfem Tone fort. »Hätten Sie nur jemals in den Betrieb hineingerochen, dann würden Sie nicht so verächtlich von Menschen denken, die stündlich ihr Leben oder ihre Freiheit aufs Spiel setzen, nur damit Sie in Passy Unsummen verspielen können.«

»Ah!« Marcel Dumont legte sich ganz tief in den Sessel zurück. »Sie fangen an, sich für meine Privatangelegenheiten zu interessieren.«

»Nur, soweit ich es muss!«, entgegnete Bercy trocken und betrachtete die Asche seiner Zigarre. »Jedenfalls dulde ich nicht, dass Sie unsere Leute zu Unklugheiten verleiten, weil Sie für Ihre Lebensführung mehr Geld brauchen, als tausend Arbeiter in einem Jahre verdienen.«

Dumonts Verblüffung über diese Redewendung war so groß, dass er einige Zeit brauchte, um eine Entgegnung zu finden. Sein müdes, blasiertes Gesicht belebte sich, und er sagte in höhnischem Ton:

»Ich habe nicht gewusst, dass Sie sich jetzt mit Soziologie befassen, Bercy. Es würde mich nun gar nicht mehr wundern, wenn ich eines Tages erführe, Sie hätten sich aus Reue über Ihren sündigen Lebenswandel in ein Kloster begeben.«

Charles Bercy war ein großer, breitschultriger Mann mit einem ausdrucksvollen Gesicht. Er hatte schmale Lippen, eine große Nase und kühle graue Augen. Sein Haar war an den Schläfen schon etwas ergraut. Seine Bewegungen zeugten von Selbstbewusstsein und Stärke. Für Marcel Dumont brachte er nur ein Gefühl abgrundtiefer Verachtung auf. Es gab Augenblicke, wo er den eleganten, stets nach einem aufdringlichen Parfüm duftenden Marcel Dumont kaltblütig hätte erwürgen können. Ein solcher Augenblick schien jetzt nahe bevorzustehen.

»Wenn Sie glauben, sich über mich lustig machen zu können, werfe ich Sie hinaus«, fuhr er seinen Besucher an. »Sie sind vor einer halben Stunde gekommen und haben die Zeit, die ich für Sie übrig habe, genau um neunundzwanzig Minuten überschritten.« Bercy erhob sich, stellte sich ans Fenster und gab seiner Missachtung deutlich Ausdruck, indem er Dumont den Rücken zukehrte.

Dieser stand ebenfalls auf. Sein gelbes Gesicht verzerrte sich vor Zorn, und er rief mit überschnappender Stimme:

»Diese Behandlung lasse ich mir nicht mehr gefallen. Ich bin nicht Ihr Angestellter, sondern Ihr Teilhaber. Ich weiß, dass Sie mich los sein wollen, ich weiß, dass Sie mir sofort das Doppelte meines Einlagekapitals mit Kusshand gäben, wenn ich mich aus dem Geschäft zurückzöge - aber ich tue es nicht. Bis zu meinem Tode, werde ich im Geschäft bleiben.« Er war so erregt, dass er bei jedem seiner Worte mit den Handschuhen auf den Tisch schlug.

Bercy wandte sich langsam um. »Bis zu Ihrem Tode...«, sagte er langsam und aufreizend ruhig. »Nun, dann brauche ich unter Umständen nicht mehr allzu lange zu warten.«

»Sie drohen mir?«

»Ach was!« Bercy zerdrückte langsam seine halbe Zigarre im Aschenbecher. »Aber Sie kamen soeben darauf zu sprechen: ich würde Ihnen nicht nur das Doppelte, sondern das Vierfache Ihres Einlagekapitals geben. Morgen schon können Sie das Geld haben. Wollen Sie?«

»Nein, ich will nicht«, gab Dumont halsstarrig zur Antwort.

Bercy zuckte die Achseln und machte einige Schritte zur Tür.

»Dann... haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen...« Aber Dumont kam dieser deutlichen Aufforderung, das Zimmer zu verlassen, nicht sofort nach. Er hatte Bercy aufgesucht, um Geld zu fordern, das er dringend brauchte, und er hatte nicht die Absicht, sich auf später vertrösten zu lassen.

»Hören Sie zu«, sagte er einlenkend, »wir wollen uns nicht zanken. Ich muss das Geld haben, wenn ich mir nicht Unannehmlichkeiten zuziehen will. Die Geschäfte werden bald wieder besser gehen, und ich verspreche Ihnen, Sie nicht so schnell wieder aufzusuchen.«

Bercy blieb unbeugsam.

»Nein, Sie bekommen nicht einen Centime von mir. Sie haben in der letzten Nacht zweihunderttausend Francs verspielt, ich weiß es. Sehen Sie zu, wer Ihnen das Geld gibt.«

»Sie wissen nicht, was Spielen heißt, Bercy...«

Bercy unterbrach ihn mit einer brutalen Geste.

»Erzählen Sie mir bloß nichts von dem Dämon, der in Ihrer Brust sitzt. Ich habe gar nichts dagegen, dass Sie spielen. Aber wenn Sie spielen, müssen Sie wenigstens gewinnen. Stattdessen werfen Sie diesen Dummköpfen und Gaunern in Passy Ihr Geld in den Rachen.«

In Dumont stieg wieder der Zorn hoch, aber er versuchte, sich zu beherrschen, obgleich es ihm schwerfiel, seine würdelose Rolle weiterzuspielen.

»Ich will Ihnen entgegenkommen, ich werde versuchen, mich mit hunderttausend Francs zu behelfen«, schlug er zögernd vor. »In vierzehn Tagen...«

»Sparen Sie Ihre Worte. Sie kriegen nichts!«

»Gut!« Dumonts Gesicht nahm wieder seinen blasierten Ausdruck an. »Sie können mir auch nicht sagen, wann ich Geld zu erwarten habe?«

Bercy schüttelte wortlos den Kopf.

»Und Sie haben keine Angst, dass Sie einmal mit der Polizei Schwierigkeiten bekommen könnten?«, fragte Dumont und lächelte ihn höhnisch an. »Sie haben eine Tochter, die Sie vergöttert.« Er verstummte vor dem hasserfüllten Ausdruck in Bercys Augen und hüstelte verlegen. Dann ging er, gebückt wie ein geprügelter Hund, zur Tür, auf die Bercy mit ausgestreckter Hand wies. Er drehte langsam den Kopf, öffnete sie ein wenig und wandte sich noch einmal um, indem er mit erhobener Stimme sagte:

»Jedenfalls merken Sie sich eins, Bercy: wenn ich einmal eines Tages eines unnatürlichen Todes sterben sollte, wird Ihnen die Polizei vierundzwanzig Stunden später einige unangenehme Fragen vorlegen.«

Bercy würdigte ihn keines Blickes.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Inspektor Fayot verzog schmerzlich das Gesicht und presste beide Hände gegen seine Schläfen. »Wie spät ist es denn?«, fragte er stöhnend.

»Gleich sechs Uhr«, erwiderte der Polizeikommissar. »Sie wurden gegen zwei Uhr bei uns eingeliefert. Die Patrouille fand Sie auf dem Boulevard Barres. Unser Doktor ist ein diskreter Mann; er meint, Sie hätten eine vergiftete Zigarette geraucht.«

Sein skeptisches Lächeln bewies, dass er dem ärztlichen Gutachten mit Zweifeln begegnete.

»Eine vergiftete Zigarette?« Fayot stierte verzweifelt vor sich hin. Die Ereignisse der Nacht erschienen ihm wie Traumbilder. »Lassen Sie mich mal fünf Minuten zufrieden«, bat er gequält den Polizeikommissar, der sich erkundigen wollte, wo er sich denn das »Ding« geholt habe.

Und plötzlich kehrte das Erinnerungsvermögen wieder. Der Inspektor entsann sich des Mannes, den er festgenommen, er erinnerte sich des seltsamen Gespräches, das er mit diesem geführt hatte, aber er war nicht mehr in der Lage, sich alle Redewendungen ins Gedächtnis zurückzurufen.

»Dieses Schwein«, erklärte er erbittert. »Hat mir da eine blöde Geschichte erzählt, um mich am Weitergehen zu hindern... und gibt mir eine Zigarette. Hätte ich sie bloß nicht genommen. Ich alter Esel falle darauf rein.«

»Was, Sie sind wirklich betäubt worden?«

»Na, was dachten Sie denn? Glauben Sie, ich lege mich auf die Straße, weil es mir in meinem Bett nicht mehr gefällt?« Der Inspektor erzählte dem Kommissar sein nächtliches Erlebnis. »An der ganzen Geschichte ist natürlich nicht ein Wort wahr«, sagte er zum Schluss. »Sie müssen allerdings feststellen, ob der Bursche etwas in dem Hause gestohlen hat.«

»Wer wohnt Boulevard Barnes Nummer sieben?«, rief der Inspektor in den Nebenraum.

»Albert Rollin«, gab ein Brigadier gähnend zur Antwort. »Ein Geschäftsmann. Hat ein Auto, Dienstboten, ein feiner Mann.«

»Wenn jemand einem Polizeibeamten einen Hundert-Francs-Schein in die Hand drückt, braucht er noch lange kein feiner Mann zu sein, merken Sie sich das«, murrte Fayot und band sich seine Krawatte. Dann zog er seinen Mantel an. Als er in die Tasche fasste, fiel ihm der Zettel in die Hand, den ihm Braine zugesteckt hatte. »Was ist denn das?« Er las ihn mit erstauntem Gesicht und ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen. »Was soll man davon halten? Hier, lesen Sie.«

Auf dem Zettel stand mit flüchtiger, etwas undeutlicher Handschrift geschrieben:

 

Entschuldigen Sie, aber mir blieb kein anderer Ausweg. Hoffentlich entsinnen Sie sich noch dessen, was ich Ihnen gesagt habe. Es handelt sich um Mord.

 

»Ja, was können wir denn da machen?«, fragte Polizeikommissar Tonnac unschlüssig. »Wer soll denn ermordet worden sein?«

»Er hat’s mir gesagt... er hat mir einen Namen genannt... aber ich komme nicht mehr darauf«, sagte Fayot und rieb sich verzweifelt die Stirn. »Jetzt ist es sechs. Was halten Sie davon, wenn wir einmal hinuntergehen?«

Tonnac war von dem Vorschlag nicht sehr erbaut. % »Wir machen uns schließlich bloß lächerlich«, gab er zu bedenken. »Ich kenne Rollin. In dessen Haus passieren solche Geschichten nicht.«

»Unsinn«, erklärte Fayot. »Gemordet wird überall. Wir behaupten einfach, es sei eingebrochen worden - was ja auch stimmen wird -, und dann werden wir schon sehen.«

»Na, meinetwegen«, sagte Tonnac verdrossen, der der Ansicht war, dass man auch leben konnte, ohne sich um die Arbeit zu reißen.

Es war bereits hell, als die beiden Beamten die Station verließen. Im Bois zwitscherten die Vögel, und der Himmel war wolkenlos blau. Über den Bäumen und Sträuchern lag ein grüner Schimmer, und die Tautropfen glitzerten in der Sonne.

Auf dem Boulevard Barres lag noch alles in tiefem Schlummer. Als Fayot und Tonnac vor der Villa Rollins, einem zweistöckigen modernen Bau, angelangt waren, blickten sie erst durch die Gitterpforte und musterten das Haus aufmerksam. Aber sie nahmen nichts Außergewöhnliches wahr. Vor einigen Fenstern in der ersten Etage waren die Jalousien herabgelassen.

Tonnac zog ein Gesicht, als stehe er an einem Wendepunkt seines Lebens, und drückte auf den Klingelknopf. Es verging eine geraume Zeit, bis sich die Tür des Hauses öffnete und ein ergrimmt aussehender Mann langsam den Kiesweg heruntergeschritten kam.

»Was gibt’s, Messieurs?«, fragte er schon von weitem und betrachtete die beiden Beamten argwöhnisch.

»Polizei!«, antwortete Tonnac mit dröhnender Stimme.

»Machen Sie auf!«

Der Hausangestellte beschleunigte seine Schritte und schloss die Gitterpforte auf.

»Bei Ihnen muss in der Nacht eingebrochen worden sein«, ging Tonnac gerade auf sein Ziel los. »Ein Mann wurde beobachtet, wie er hier über die Mauer kletterte.«

Der Diener nahm diese Erklärung mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis. »So? Was hat er denn gestohlen?«, fragte er gähnend.

»Das wollen wir von Ihnen wissen«, ergriff nun Inspektor Fayot das Wort. »Das beste wird sein, Sie zeigen uns einmal das Bibliothekszimmer und wecken Monsieur Rollin.«

»Werde ich schön bleiben lassen«, widersprach der Mann. »Vor zehn darf ich ihn nicht wecken. Das Bibliothekszimmer kann ich Ihnen zeigen. Sie dürfen aber keinen Lärm machen.«

Er ging langsam mit den beiden Beamten auf das Haus zu.

»Da steht ja ein Fensterflügel offen«, bemerkte Fayot.

Aber auch diese Entdeckung brachte den Diener nicht aus der Ruhe. »Wir sind für frische Luft, wenn wir uns nicht im Zimmer befinden«, war seine scherzhafte Antwort. »Aber dieses Fenster gehört zum Bibliothekszimmer. Na, wir werden ja gleich sehen, was da los ist. Treten Sie bitte leise auf.«

Die Beamten gingen auf Zehenspitzen durch die Vorhalle, und Fayot betrat als erster den dunkelgetäfelten Raum, an dessen Wänden schwere Bücherschränke aus Mahagoniholz standen. Der Inspektor blickte sich aufmerksam um, während der Diener die Bücherschränke und den Schreibtisch untersuchte.

»Na, wo liegt denn Ihr Ermordeter?«, fragte Tonnac so leise, dass ihn der Diener nicht hören konnte.

Fayot legte die Finger auf die Lippen. Er hatte das Knarren einer Treppe gehört. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen, und ein mittelgroßer, athletisch gebauter Mann trat über die Schwelle. Er war mit einem grünseidenen Pyjama bekleidet und heftete einen erstaunten Blick auf die im Zimmer stehenden Männer.

»Ich bitte um Verzeihung, Monsieur«, erklärte der Hausangestellte. »Die Herren sind von der Polizei und bestanden darauf, das Bibliothekszimmer zu besichtigen, weil sie vermuteten, dass bei uns ein Einbruch verübt worden sei.«

Fayot schien es, als wenn Albert Rollin erleichtert aufatmete.

»Aber nehmen Sie doch Platz, Messieurs«, lächelte der Hausherr höflich und machte eine einladende Handbewegung. »Es ist noch sehr früh, und ich weiß nicht, was für ein Getränk ich Ihnen anbieten darf...«

Fayot machte eine leichte Verbeugung. »Sie sind sehr liebenswürdig, Monsieur, aber wir wollen Ihre Gastfreundschaft nicht lange in Anspruch nehmen. Heute Nacht wurde ein Mann beim Überklettern der Umfassungsmauer beobachtet. Er wurde festgenommen, aber es gelang ihm, zu flüchten. Wir wollten uns nur erkundigen, ob Ihnen Wertgegenstände abhandengekommen sind.«

»Ich bin Ihnen für Ihren Pflichteifer sehr dankbar und werde nachher sämtliche Räumlichkeiten einer eingehenden Besichtigung unterziehen. Um welche Zeit ist denn der Mann gesehen worden?«

»Um eins!«

»So, um eins«, wiederholte der Hausherr nachdenklich. »Und er wurde verhaftet, sagten Sie?«

»Ja, aber er riss sich los und entkam«, erläuterte Fayot etwas verlegen.

---ENDE DER LESEPROBE---