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Ein Verbrechen in der Vergangenheit. Ein Mord in der Gegenwart. Hängen sie zusammen?Seit Regina Dernkamp die Fraueninsel betreten hat, fühlt sie sich von einem unbekannten alten Mann verfolgt. Als er tot im Chiemsee treibt, munkeln die Inselbewohner, man hätte ihn umgebracht...Was hat sein Tod mit den Träumen und Visionen zu tun, die Regina quälen? Können der Archäologe Tobias Hoffrichter oder der Arzt Philipp Menander ihr helfen, das Geheimnis der Fraueninsel zu lösen? Ein mysteriöser Krimi, der Sie immer wieder in die Zeit der Gründung des Klosters Frauenwörth zurückversetzt. Wenn Sie ihn gelesen haben, werden Sie die Fraueninsel mit anderen Augen sehen!
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Seitenzahl: 248
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Angela Waidmann
Das Geheimnis von Frauenchiemsee
Mysteriöser Inselkrimi
1. Auflage 2020
Copyright © 2020 Angela Waidmann
Chiemgauer VerlagshausDahlienweg 5, 83254 Breitbrunnwww.chiemgauerverlagshaus.de
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Susanne Rick
Coverdesign: Constanze Kramerwww.coverboutique.de
Bildnachweise: ©CVH, ©photopixel – stock.adobe.com
EBook Erstellung: Constanze Kramerwww.coverboutique.de
Wie ein Schmuckstück auf blauem Samt lag die Fraueninsel in dem leicht gekräuselten See. Elfenbeinweiß leuchteten die hohen Gebäude des Klosters zwischen den goldenen Kronen der Bäume in ihrem herbstlichen Laub. Dahinter ragten die schneebedeckten Gipfel der Chiemgauer Alpen in den fast wolkenlosen Himmel.
Reginas Herz schlug schneller. Wie hatte sie sich auf diesen Urlaub gefreut. Und nun stand sie an der Reling der Fähre, die sie zu der Insel bringen würde und genoss den Fahrtwind, der in ihren langen, schwarzen Haaren wühlte und Wassertröpfchen auf ihre Wangen zauberte.
An nächsten Morgen schon würde der Meditationskurs im Kloster Frauenwörth beginnen, zu dem sie sich angemeldet hatte, und sie fragte sich, wie sich das Meditieren wohl anfühlen würde. Sie hatte schon so einiges darüber gehört und gelesen, aber am eigenen Leib erfahren hatte sie es noch nicht.
Schaukelnd drehte die Fähre bei und legte sacht an einem hölzernen Steg an, der weit in den See hineinreichte. Als einziger Fahrgast stieg sie aus und ging ohne Eile auf die Insel zu. Ein paar Blesshühner ließen sich zu ihrer Linken von den Wellen auf den mit kiesbedeckten Strand zutreiben, und zahlreiche Enten hatten es sich zwischen den efeubewachsenen, gekrümmten Bäumen am Ufer bequem gemacht, um sich das Gefieder zu putzen.
Sie blieb stehen und schloss für einen Moment die Augen. Wie still es hier war … Kein Autolärm war zu hören, ja nicht einmal Hundegebell oder irgendwelche menschliche Stimmen. Am Ufer bummelten nur wenige Spaziergänger entlang.
Sie stieß einen wohligen Seufzer aus. Nun erst spürte sie, wie erschöpft sie war. Kein Wunder, denn hinter ihr lagen anstrengende Wochen. Noch am Morgen hatte sie vor lebhaften Schülern Unterricht gehalten, die mit ihren Gedanken längst in den Herbstferien waren und sich nur noch leidlich auf den Stoff konzentrierten.
Vor ihr stand das hohe, weiß getünchte Gebäude eines Gasthauses, das ein Schild über dem Eingang als Klosterwirt auswies.
Dort, so beschloss sie, würde sie sich nach der langen Anreise einen Kaffee gönnen. Doch zuvor wollte sie noch ihr Gepäck loswerden. Eingehend studierte sie den Inselplan, der am Ende des Steges aufgestellt war und nahm den Weg am Klosterwirt vorbei hügelaufwärts zum Kloster.
Da erst sah sie ihn. Leicht gebeugt lehnte der alte Mann am Stamm einer ausladenden Linde. Wegen seiner dunklen Kleidung schien er förmlich mit dem Schatten des hohen Baumes zu verschmelzen, und wegen der breiten Krempe seines schwarzen Huts erkannte sie erst, als sie an ihm vorbeiging, dass sein linkes Auge milchig-weiß und blind in seiner tiefen Höhle schwamm. Doch sein gesundes Auge musterte sie mit einem eigenartig intensiven Blick.
Ob er wohl auf jemanden wartete? Allerdings war sie als Einzige hier ausgestiegen.
Ein wenig ratlos sah sie sich nach dem Alten um und bemerkte, dass er ihr mit einem Anflug von Erschrecken oder vielleicht auch Erstaunen hinterherschaute. Unendlich einsam und beinahe zerbrechlich wirkte er. Vielleicht hatte er sich ja auf Besuch gefreut, der jedoch nicht gekommen war.
Nach ein paar wenigen Schritten hatte sie auch schon den gewölbten Durchgang der Klosterpforte erreicht, dessen eisernes Gitter einladend offenstand. Von einer freundlichen Empfangsdame in einem adretten Dirndl bekam Regina ihren Zimmerschlüssel und einen Gebäudeplan, der ihr den Weg zu ihrem Quartier für die nächsten Tage wies. Ihren kleinen Rollkoffer hinter sich herziehend durchquerte sie einen Innenhof mit von Hecken gesäumten Rasenflächen und Rosenrabatten. Sich links haltend erreichte sie den Gästetrakt, ging über knarrendes Parkett einen Flur entlang, dann eine Treppe hinauf in den ersten Stock, wo ihr Zimmer lag.
Die Einrichtung war einfach, aber gemütlich: ein Bett mit einem geblümten Überwurf, ein kleiner, runder Tisch mit zwei Stühlen, ein antiker, sorgsam restaurierter Kleiderschrank und ein bequem aussehender Sessel vor einem großen Fenster, durch das viel Licht hereinfiel.
Ja, dachte sie, hier würde sie sich wohlfühlen.
Während sie ihren Koffer öffnete, ertappte sie sich bei dem Gedanken, am liebsten auf das weiche Bett zu sinken und ein bisschen zu schlafen. Andererseits war sie viel zu neugierig auf diese ganz besondere Insel mit dem uralten Kloster und den wohl ebenso alten sagenumwobenen Linden. Und ein Kaffee im Klosterwirt würde ihre momentane Müdigkeit sicherlich vertreiben. Schnell räumte sie ihre wenigen Sachen in den Schrank, steckte den Reiseführer, in dem sie während der Zugfahrt schon so einiges gelesen hatte, in ihre Handtasche und machte sich wieder auf den Weg.
Unter der Eingangstür des Wirtshauses blieb sie stehen und ließ ihren Blick durch den fast leeren Gastraum schweifen, der unter einer von dicken Säulen getragenen Gewölbedecke lag. Über dem Eingang hatte sie die Jahreszahl 1514 bemerkt, und sie zweifelte keinen Moment daran, dass dieser Raum tatsächlich über 500 Jahre alt war. Bei der Anmeldung hatte sie erfahren, dass sie hier mit den anderen Kursteilnehmern frühstücken und zu Abend essen würde. Das gefiel ihr.
Sie setzte sich auf eine der Holzbänke und bestellte einen Cappuccino. Dann zog sie den Reiseführer aus ihrer Handtasche, las ein wenig darin und überlegte, was sie mit dem Rest des Nachmittags anfangen sollte. Die Insel war weitaus kleiner, als sie sich das vorgestellt hatte, und sie überlegte, diese wenigstens einmal zu umrunden. Allerdings würde es schon bald dunkel werden, und sie wusste nicht, ob es am Ufer Straßenlaternen gab. Daher beschloss sie, sich stattdessen lieber die karolingische Torhalle und vielleicht noch die Klosterkirche anzusehen. Vor allem auf die Torhalle war sie gespannt, denn sie interessierte sich sehr für Kunstgeschichte, und die Torhalle von Frauenchiemsee galt immerhin als eines der ältesten Gebäude in ganz Bayern. Angeblich stammte sie noch aus der Zeit der Klostergründung vor über 1200 Jahren.
Der Kellner brachte ihren Cappuccino. Vorsichtig nippte sie daran und genoss den ersten Schluck. Dann vertiefte sie sich wieder in ihren Reiseführer.
»Hallo!«
Regina zuckte zusammen und schaute hoch. Die Frau, die vor ihr stand, mochte Ende dreißig sein, also ein paar Jahre älter als sie selbst. Mit ihren langen, dunkelblonden Haaren, dem blauen Anorak, ihren lässigen Jeans und sportlichen Sneakern wirkte sie recht locker und sympathisch.
»Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln. »Aber wie ich sehe, sind Sie auch zum Meditationskurs hier.« Dabei deutete sie auf den Flyer über die Klosterseminare, der aus dem Reiseführer ragte.
Regina lächelte zurück. »Richtig. Ich bin erst vor einer knappen Stunde hier angekommen. Ich heiße übrigens Regina.«
»Ich bin Heidrun«, stellte sich nun die Fremde vor. »Darf ich mich zu dir setzen?«
»Klar«, meinte Regina und sah zu, wie Heidrun sich auf der Bank ihr gegenüber niederließ.
»Wie schön es hier ist«, seufzte ihre neue Bekannte. »Diese Insel ist wirklich ein Kraftort.«
Regina runzelte die Stirn. Diesen Begriff hatte sie zwar schon mal gehört, allerdings wusste sie nicht, was genau es damit auf sich hatte. Aber das musste sie ihrer neuen Bekanntschaft ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Darum nickte sie nur bestätigend. »Mhm, ganz bestimmt.«
Heidrun bestellte sich eine Latte macchiato und fuhr schwärmerisch fort: »Dieses sagenhaft alte Kloster und die beiden beeindruckenden Linden … Vor allem der mächtigen Tassilo-Linde sieht man deutlich an, dass sich unter ihr mehrere Kraftlinien kreuzen.«
Kraftlinien. Aha. Vermutlich eine waschechte Esoterikerin, dachte Regina. Menschen dieses Schlags hatte sie bisher erfolgreich gemieden, daher war sie froh, dass der Kellner gerade die Latte macchiato brachte und sie unauffällig das Thema wechseln konnte. Also griff sie nach ihrer Tasse und bemerkte: »Einen wirklich guten Kaffee haben die hier.«
Heidrun nickte, obwohl sie noch keinen Schluck genommen hatte. »Weißt du, unsere Vorfahren hatten noch ein sicheres Gespür dafür, wo sich solche Kraftorte befinden. Es gibt kaum ein altes Kloster, an dem sich nicht mindestens zwei Kraftlinien kreuzen. Bei nicht-christlichen Kultorten ist es genauso. Stonehenge ist ein gutes Beispiel oder Ayers Rock in Australien. Und, was die Klöster angeht, auch die Fraueninsel.«
Vor Reginas innerem Auge tauchten altertümlich gekleidete Menschen auf, die inmitten des Steinkreises von Stonehenge die Wintersonnenwende feierten.
»Was genau bewirkt eigentlich so ein Kraftort?«, fragte sie nun, auch auf die Gefahr hin, sich in Sachen Esoterik als komplette Ignorantin zu entlarven.
Prompt zog ihre Kurskollegin kurz die Augenbrauen hoch. »Na, wie der Name schon sagt: Er verleiht einem Menschen neue Energie. Aber er kann auch beruhigend wirken. Manche Kraftorte führen sogar dazu, das menschliche Bewusstsein zu erweitern.«
Was für ein Bullshit, dachte Regina und nahm noch einen Schluck von ihrem Cappuccino, um das Gehörte zu verdauen. »Und wie genau muss ich mir so eine Bewusstseinserweiterung vorstellen?«, fragte sie leicht provozierend, obwohl sie das nicht die Bohne interessierte.
Heidrun zuckte die Achseln. »Das habe ich selbst noch nicht erlebt. Fest steht aber: Es gibt kaum eine Stelle, an der man so gut meditieren kann wie an einem Kraftort. Die Fraueninsel ist daher der ideale Platz für unseren Kurs.«
»Das Gefühl hatte ich auch, als ich die Insel vom Schiff aus gesehen habe«, gestand Regina.
Endlich nippte Heidrun an ihrem Kaffee. »Stimmt, der schmeckt wirklich gut«, bemerkte sie, bevor sie wieder auf ihr Lieblingsthema zurückkam. »Es ist gut möglich, dass du ein besonderes Talent dafür hast, Kraftorte zu erspüren. Den meisten Menschen erschließt sich deren Wirkung nämlich nicht sofort. Sie müssen lange an so einem Platz stehen, ganz ruhig werden, die Atmosphäre fühlen und sich öffnen.«
Vielleicht brauchen diese Leute aber auch einfach nur Zeit, um ihre Fantasie so weit zu aktivieren, dass sie sich am Ende tatsächlich etwas einbilden können, dachte Regina, behielt den Gedanken aber lieber für sich.
»Viele Kraftorte sind von unsichtbaren Bewohnern wie Elfen und anderen guten Geistern bevölkert«, fuhr Heidrun enthusiastisch fort. »Solche Lichtwesen helfen den Menschen, die sich ihnen rückhaltlos anvertrauen und …«
Zunehmend genervt und nur noch mit halbem Ohr hörte Regina zu, wie Heidrun von Rutengängern, Druiden und Feen schwadronierte und nickte ab und zu, um sich nicht allzu sehr anmerken zu lassen, was sie von solchen Kindermärchen hielt.
Als sie den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte, schaute sie demonstrativ auf ihre Uhr. »Du musst mich jetzt entschuldigen«, erklärte sie Heidrun und gab dem Kellner ein Zeichen. »Aber ich würde mir gern noch schnell die Torhalle ansehen, wenigstens von außen. Draußen wird es ja schon dunkel, und in einer guten Stunde sollen wir wieder zum Abendessen hier sein.«
»Du hast absolut recht«, erwiderte Heidrun. »Leider vergesse ich immer noch, wie früh es jetzt schon wieder dunkel wird.«
Draußen warf Regina zur Orientierung noch einmal einen Blick auf den Inselplan am Bootssteg und zog sich fröstelnd ihren Anorak über. Dann beschloss sie, einen kleinen Umweg zu nehmen, wandte sich nach Norden und schlenderte an den abgeernteten Spalierobst-Reihen des Klostergartens vorbei.
Bald würde es vollkommen dunkel sein. Die wenigen Wolken im Westen glitten schon über einen purpurroten Himmel, und in den Wohnhäusern brannten bereits die ersten Lichter. Vom See her kroch feiner Nebel über die Uferwiesen.
Nach wenigen hundert Metern wandte Regina sich nach links und ging an ein paar Häusern vorbei die leichte Anhöhe hinauf.
Die Torhalle, die nun vor ihr lag, war kleiner, als sie gedacht hatte. Dennoch wirkten die dicken Mauern aus gelblich-grauem Tuffstein auf eine archaische Weise imposant, ja beinahe würdevoll. Das lag vor allem an den schmalen, von Säulen getragenen Rundbögen, die die Schwere des tonnengewölbten Durchgangs aufzuheben schienen. Darüber erhob sich das Obergeschoss mit nur wenigen schmalen Rundbogenfenstern, wie sie typisch für den Baustil des frühen Mittelalters waren.
Wie dunkel es in den Räumen dort oben gewesen sein musste, selbst wenn draußen die Sonne schien, dachte sie. Ob diese schmalen Öffnungen damals wohl schon mit Fensterglas versehen gewesen waren? So weit sie wusste, hatte man in diesen Zeiten auch recht gerne dünne Häute aus Schweinsblasen vor die Fenster gespannt. Sie lächelte, weil der Begriff vom »finsteren Mittelalter« für sie plötzlich eine ganz neue Bedeutung bekam. Aber warum, so fragte sie sich, stand die Torhalle so ganz allein für sich im Gelände? Welchen Zweck hatte sie gehabt, wenn man problemlos rechts und links daran vorbeigehen konnte?
Doch vielleicht war der Klosterbezirk ursprünglich von Zäunen oder hohen Hecken umgeben gewesen. Möglicherweise hatte die Torhalle ja einmal zwischen hohen Steinmauern gestanden.
Sie betrat den dunklen Durchgang und betrachtete ehrfürchtig die massige, gewölbte Decke und die Arkadengänge zu ihrer Rechten und Linken, die das Untergeschoss der Torhalle in drei Räume gliederten. Der mit runden Natursteinen gepflasterte Durchgang gab den Blick auf einen kleinen Friedhof frei, der von der untergehenden Sonne nur noch spärlich erleuchtet wurde. Nebelfetzen glitten schon über die Gräber, wanden sich um altertümliche Metallkreuze und strichen um die Engelsfiguren am Rande des Weges herum. Dahinter ragte das Inselmünster mit seinem freistehenden Campanile in den beinahe schon nachtblauen Himmel.
Hier ist es wirklich totenstill, dachte Regina. Wie ruhig und wie einsam musste das Leben im frühen Mittelalter gewesen sein, als es noch keine Fähre gegeben hatte, die im Sommer unzählige Tagestouristen und Seminarteilnehmer ausspuckte.
Plötzlich vernahm sie ein heftiges Schluchzen. Erschrocken zuckte sie zusammen und sah sich um. Da hörte sie es wieder, und diesmal schien die schluchzende Stimme, die eindeutig von einer Frau stammte, auch noch ihren Namen zu rufen. Aber was um Himmels Willen bildete sie sich da bloß ein? Vermutlich hatten ihr ihre Sinne ganz einfach nur einen Streich gespielt. Doch um ganz sicher zu gehen, rief sie: »Hallo! Ist da jemand?«
Gespannt horchte sie in die Dämmerung. Doch nun war es wieder still. Angestrengt starrte sie in die nebelverhangene Dunkelheit hinein, konnte jedoch niemanden entdecken. Vielleicht war das Weinen auch aus einem der wenigen Häuser gekommen, die in der Nähe der Torhalle standen.
Fröstelnd zog sie den Reißverschluss ihres Anoraks bis zum Kinn hoch und lauschte wieder. Aber da war nichts mehr zu hören.
Achselzuckend setzte sie ihren Weg zum Münster fort. Da kam ihr die alte Inselsage in den Sinn, die sie in ihrem Reiseführer gelesen hatte. Angeblich konnte man in manchen Oktobernächten das verzweifelte Weinen und Klagen einer Frau unter der Torhalle hören.
Ihr Herz machte einen Sprung. Noch war es Oktober, und soeben brach die Nacht herein …
Reiß dich gefälligst zusammen, sagte sie sich, um sich wieder zur Ordnung zu rufen. Sagen hatten zwar oft einen wahren Kern, aber der sah fast immer ganz anders aus als die Geschichten, die die Leute sich erzählten. Wahrscheinlich war es so, dass auch einige Kinder von der Insel die alten Erzählungen kannten und sich nun einen Spaß daraus gemacht hatten, einer einsamen Touristin einen Schrecken einzujagen. Dabei dachte sie an ein paar ihrer Schüler, die es faustdick hinter den Ohren hatten und musste schmunzeln. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Höchste Zeit, zum Klosterwirt zurückzukehren. Die Münsterkirche würde sie sich an einem der anderen Tage ansehen.
Eilig verließ sie den Friedhof, ging am Gasthaus Zur Linde vorbei und bog rechts ab, um auf direktem Weg auf die Klosterpforte zuzusteuern.
Doch schon nach wenigen Schritten drosselte sie ihr Tempo. Da lehnte jemand an der Klostermauer und sah zu ihr herüber. Inzwischen war es allerdings so dunkel, dass sie zunächst nicht viel mehr als vage Umrisse erkennen konnte. Dennoch war sie sich fast sicher, dass es sich bei dieser mageren, gekrümmten Gestalt um den einäugigen Alten handelte, dem sie schon kurz nach ihrer Ankunft auf der Insel begegnet war.
Nun hatte sie ihn fast erreicht.
Ja, er war es. Und sein gesundes Auge fixierte sie mit einem derartig durchdringenden Blick, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.
Was will er bloß von mir, fragte sie sich, während sie einen so großen Bogen um ihn machte, dass sie den Weg verlassen und durchs Gras gehen musste.
Unsinn! Was sollte er schon von ihr wollen. Er kannte sie doch gar nicht, zumal sie nie zuvor hier auf der Insel gewesen war.
Trotzdem schaute sie sich noch einmal nach ihm um.
Er stand immer noch da. Und er sah ihr nach.
*
Die Gaststube des Klosterwirts war hell erleuchtet, als Regina eintrat, und in dem großen Raum herrschte eine erwartungsvolle, ja beinahe fröhliche Stimmung. Einige Seminarteilnehmer standen in Gruppen zusammen, andere saßen bereits an den gedeckten Tischen und unterhielten sich angeregt. Sie hatte den Eindruck, dass sich hier viele schon kannten. Lächelnd grüßte sie nach rechts und links, während sie auf einen von drei freien Plätzen am Ende eines langen Tisches zusteuerte und sich an das Kopfende setzte. Aus einer Karaffe auf dem Tisch goss sie sich ein Glas Wasser ein und trank. Da die beiden Frauen, die ihr am nächsten saßen, in ein Gespräch vertieft waren, lehnte sie sich zurück und ließ ihren Blick durch den Gastraum schweifen.
Frauen waren in diesem Kurs offenbar weit in der Überzahl. Die meisten Teilnehmerinnen schienen Ende dreißig oder Anfang vierzig zu sein, also einige Jahre älter als sie selbst. Doch wo steckte eigentlich Heidrun? Just in dem Moment, in dem sie das dachte, kam Heidrun auch schon zur Tür herein und steuerte ihren Tisch an.
»Hallo! Wie war dein Spaziergang?«
Sichtbar frisch geduscht und bester Laune ließ sich Heidrun auf einen der freien Plätze neben ihr fallen.
»Oh, der war schaurig schön«, antwortete Regina lächelnd. »Erst ging die Sonne unter, dann kam der Nebel … Und die Torhalle ist wirklich beeindruckend.«
»Wie gefällt’s dir sonst so hier?«, hakte Heidrun nach.
»Gut«, meinte Regina. »Mein Zimmer ist gemütlich eingerichtet, und ich habe eine tolle Aussicht auf den Chiemsee. Wenn es morgen früh nicht regnet, kann ich bestimmt die Alpen sehen.«
Heidrun nickte. »Ich kann nur auf den Innenhof schauen. Aber das macht nichts, denn die alten Klostergebäude sind wirklich wunderschön, so würdevoll und erhaben. Andererseits …«, sie beugte sich zu Regina hinüber und senkte ihre Stimme, … herrscht in diesem Kloster doch eine ziemlich merkwürdige Atmosphäre, findest du nicht auch? Wer weiß, welche Schicksale sich hier zugetragen haben. Ganz ehrlich: Ich habe das Gefühl, als würden hier Geister umgehen.«
Regina verkniff sich ein Grinsen. »Bist du etwa schon einem begegnet?«
»Nein, das nicht. Noch nicht«, erklärte Heidrun in einem bedeutungsschwangeren Tonfall. »Aber in alten Gebäuden sind ja fast immer unerklärliche Kräfte am Werk. Außerdem kann man Geister nicht unbedingt sehen. Manchmal ist da nur eine Berührung, leicht wie ein Windhauch, oder eine Vase, die ohne Grund plötzlich umkippt. Oder man hört ein leises Seufzen, ein Flüstern, körperlose, knarzende Schritte auf den Holzdielen …«
Lauter Phänomene, die auf Durchzug schließen lassen, dachte Regina, behielt den Gedanken aber für sich.
»Zum Glück sind die meisten Geister freundlich«, fuhr Heidrun fort. »Weißt du, ich habe eine Kollegin, die lebt in einem über dreihundert Jahre alten Haus und …«
»Guten Abend. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, wurde sie von einer warmen männlichen Stimme unterbrochen.
Regina schaute hoch. Vor ihnen stand ein großer, schlanker Mann mit kurz geschnittenen, dunklen Haaren, die an den Schläfen schon ein wenig grau wurden. Er trug Jeans, einen dunkelroten Wollpullover und darunter ein hellblaues Hemd.
»Ja, natürlich«, erwiderte sie.
Als er sich mit einer fließenden Bewegung auf dem Stuhl rechts von ihr niederließ, bemerkte Regina, dass die beiden Frauen am Tisch ihr Gespräch unterbrachen und ihn interessiert ansahen.
»Darf ich mich vorstellen? Ich bin Philipp, Philipp Menander«, sagte er.
»Heidrun«, kam es kurz und trocken von links.
Lächelnd nickte der Neuankömmling ihr zu.
»Und ich bin Regina«, sagte sie.
Der Neuankömmling sah sie an, vielleicht einen Wimpernschlag länger als Heidrun. In seinen dunklen Augen, so kam es ihr zumindest vor, leuchtete so etwas wie ein intensives, wärmendes Feuer. Aber sie hatte keine Gelegenheit, länger darüber nachzudenken, da in diesem Augenblick auch schon der erste Gang aufgetragen wurde. Kürbiscremesuppe mit gerösteten Kernen und einer Sahnehaube.
»Wie lecker!«, freute sich Heidrun.
»Ja. Und es passt zu Halloween«, stellte Regina fest. »Das haben wir doch bald. Bestimmt stellen auch die Leute hier auf der Insel ausgehöhlte Kürbisse mit Lichtern drin vor ihre Türen.«
»Ich kann mir gut vorstellen, dass die Menschen hier ein bisschen fernab von der Welt leben«, meinte Heidrun und griff nach ihrem Löffel.
»Nicht unbedingt«, widersprach ihr Philipp. »Die Fraueninsel wird jährlich vom Frühjahr bis Anfang Oktober derart von Touristen überschwemmt, dass die Bewohner mit Sicherheit voll auf der Höhe der Zeit sind.«
»Das ist bestimmt auch besser so«, meldete sich seine Tischnachbarin links gegenüber zu Wort, eine rundliche Dame mit kurzen, blond gefärbten Haaren, die Regina auf Mitte vierzig schätzte. »Übrigens: Ich heiße Luisa.«
»Freut mich sehr«, erwiderte Philipp und wandte sich seiner neuen Gesprächspartnerin zu.
Während er sich mit Luisa unterhielt, löffelte Regina schweigend ihre Suppe. Dabei fiel ihr auf, dass Heidrun Philipp immer wieder mit langen Blicken musterte.
Offenbar findet sie ihn besonders nett, dachte sie und warf noch einmal einen prüfenden Blick auf ihre blonde Nachbarin schräg gegenüber. Deren Augen glänzten nicht minder, während sie sich mit Philipp unterhielt. Heidrun war offensichtlich nicht die einzige, die sich für ihn interessierte. Er war ja auch tatsächlich ein gutaussehender Mann, und dazu noch eines der rar gesäten Exemplare des anderen Geschlechts. Aber für ihren Geschmack genoss er das Interesse der Damenwelt ein bisschen zu sehr.
Anscheinend war sein Small Talk mit Luise erschöpft, denn nun wandte er sich wieder ihr zu.
»Woher kommen Sie denn, Regina?«, fragte er und sah sie an.
Seine dunklen Augen hatten wirklich etwas Besonderes, stellte sie fest, während sie ihm erklärte, dass sie in der Nähe von Würzburg wohnte.
»Was für eine schöne alte Stadt! Und sie liegt in so einer hübschen Gegend mit den vielen Weinbergen, den alten Burgen und dem Main«, schwärmte er. »Im vergangenen Sommer war ich das letzte Mal dort, auf einem großen Kongress.«
»Was machen Sie denn beruflich?«, wollte nun Heidrun wissen.
»Ich bin Arzt«, antwortete er. »Genauer gesagt Internist.«
Für einen Moment weiteten sich Heidruns Augen. »Dann müssen wir wohl Doktor zu Ihnen sagen.«
»Himmel, nein! Bloß nicht«, widersprach Philipp. »Dann käme ich mir ja vor wie im Dienst.«
Heidrun scheint wirklich Feuer gefangen zu haben. Sie hatte sogar ihren Löffel aus der Hand gelegt und ließ ihre Kürbiscremesuppe kalt werden.
Das war insofern nicht weiter schlimm, als es auch noch Spaghetti mit Hackfleischsoße und Salat und danach Rote Grütze und Vanillesauce gab. Am Ende tranken sie alle zusammen noch ein Glas Wein, boten sich gegenseitig das Du an und unterhielten sich über dies und das, bis Philipp einen Blick auf seine Uhr warf. »Oha, es ist schon fast halb elf, und ich hab noch nicht mal meinen Koffer ausgepackt.«
»Ich werde mich auch mal zurückziehen«, schloss Regina sich ihm an. »Sonst schlafe ich morgen beim Meditieren noch ein.«
Philipp lächelte belustigt, und zusammen mit Heidrun verließen sie den Speisesaal, spazierten den Weg zum Kloster hinauf und verabschiedeten sich im ersten Stock des Gästetraktes voneinander.
»Schlaft gut«, rief Philipp ihnen zu, bevor er sich auf den Weg in die zweite Etage machte.
»Interessanter Typ, oder?«, flüsterte Heidrun, als er verschwunden war. »Na dann, bis morgen.«
»Träum schön«, antwortete Regina und ging auf ihr Zimmer. Als sie die Türe hinter sich schloss, wurde ihr schlagartig bewusst, wie hundemüde sie war. Sie zog ihren Schlafanzug an, putzte sich die Zähne und ließ sich ins Bett fallen. Keine fünf Minuten später war sie eingeschlafen.
Draußen war es noch dunkel, als der Wecker ihres Smartphones sie aus dem Schlaf riss. Unwillig öffnete sie die Augen, schaltete das nervige Piepsen aus und versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen. Sie hatte so merkwürdig geträumt …
Wieder hatte sie im Schlaf die körperlose, weibliche Stimme gehört. Sie war ganz leise gewesen, hatte jedoch abgrundtief verzweifelt geklungen. Und diesmal hatte sie klar und deutlich ihren Namen gerufen, immer und immer wieder. Der Schrecken am Abend zuvor in der Torhalle war ihr wohl mehr in die Knochen gefahren als gedacht.
Nach einer Weile schaltete sie die Nachttischlampe an, stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus.
Das Licht der Lampe schien auf wabernden Nebel, der die Bäume auf der anderen Seite des schmalen Uferwegs in undeutliche Schatten verwandelte. Doch dann ging auch irgendwo im Erdgeschoss ein Licht an und erleuchtete die kleine Grünfläche vor dem Kloster und die etwa mannshohe Hecke dahinter.
Und Regina sah, dass dort jemand am Wegesrand stand. In dem grauen Nebeldunst wirkte er unwirklich, ja beinahe durchsichtig. Dennoch zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass es sich um niemand anderen als den einäugigen Alten handelte, dem sie tags zuvor schon zweimal begegnet war. Seine dürre, gekrümmte Gestalt hatte sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben.
Er schaute zu ihrem Fenster hoch.
Ärgerlich senkte sie den Kopf. Was wollte er bloß von ihr?
Am liebsten hätte sie sich ihre Jacke übergeworfen und wäre zu ihm hinuntergegangen, um ihn zur Rede zu stellen.
Doch dann fiel ihr ein, dass er vielleicht gar nicht wusste, was er tat. Möglicherweise war er dement, und sein vernebeltes Gehirn trieb ihn dazu, halbe Nächte lang draußen herumzulaufen. Vielleicht erinnerte sie ihn ja auch an jemanden, beispielsweise an seine längst verstorbene Frau …
Nun mischte sich Mitleid in ihren Zorn, und sie sah wieder aus dem Fenster.
Doch der Alte war verschwunden.
*
Als sie eine dreiviertel Stunde später den Klosterwirt betrat, war ihre Laune wieder besser. Und sie war gespannt auf ihre erste Meditation. Leise vor sich hin summend setzte sie sich auf den gleichen Platz wie am Abend zuvor und inspizierte aus der Ferne das Frühstücksbuffet.
»Guten Morgen«, wurde sie von einer rundlichen, auffällig blassen Kellnerin begrüßt, die ein Schild mit dem Namen Traudl Kammbichler am Revers trug. »Was darf ich Ihnen bringen, Kaffee, Tee oder Kakao?«
Sie bestellte Kaffee und stand auf, um sich etwas zu essen zu holen.
Weil sie recht früh dran war, stand sie ganz alleine am Buffet, und eine junge Servicekraft war noch dabei, weitere Platten mit Wurst und Käse aufzutischen.
Regina nahm sich ein Croissant und überlegte, ob sie noch ein Stück von dem herrlich duftenden Mohnzopf auf ihren Teller legen sollte, als die Kellnerin namens Traudl zu der Servicekraft trat.
»Sag mal, Rosi, hast du’s auch schon gehört?«, fragte sie mit merkwürdig wackeliger Stimme.
»Was denn?«, hakte die junge Frau namens Rosi nach.
»Na, das mit dem einäugigen alten Anton«, erklärte ihre Kollegin.
Regina hatte nach dem Mohnkuchen greifen wollen, doch jetzt zuckte ihre Hand zurück.
»Stell dir vor: Er ist in dieser Nacht im Chiemsee ertrunken«, erklärte die Kellnerin.
»Du meine Güte!« Rosi schlug die Hände vors Gesicht.
»Schlimm ist das«, bekräftigte Traudl. »Der Chef hat mir gesagt, dass Anton noch gestern Abend hier im Gasthaus war. Er muss sich lange mit einem Fremden unterhalten haben, am Ende hat er sich sogar richtig mit ihm gestritten. Und er hat wohl zu viel getrunken, denn als er gegen elf Uhr nach Hause gegangen ist, hat er ziemlich geschwankt. Heute Morgen um kurz vor sechs hat mein Nachbar seine Leiche im Wasser treibend gefunden. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was danach bei uns los war!«
»Das ist ja schrecklich!«, seufzte Rosi. »Der Anton war doch so ein lieber Kerl. In den letzten Jahren ist er zwar ein bisschen starrköpfig und wunderlich geworden, aber na ja, so ist das halt, wenn man alt wird. Ich kann mich jedenfalls noch gut daran erinnern, wie er mir als Kind öfter mal eine Semmel mit Räucherfisch in die Hand gedrückt hat.«
Fassungslos schüttelte Traudl den Kopf. »Dass er ausgerechnet ertrinken musste, wo er doch sein Leben lang hier Fischer war.«
Regina nahm ihren Teller und kehrte zu ihrem Tisch zurück. Seltsam, dachte sie. Wie war es möglich, dass sie an diesem Morgen gegen sieben Uhr einen Mann gesehen hatte, der angeblich um sechs Uhr tot im Wasser treibend gefunden worden war?
Bis ihr eine logische Erklärung einfiel, dauerte es eine geraume Weile. Es konnte also gar nicht der einäugige Anton gewesen sein, der vor ihrem Fenster gestanden hatte. Folglich musste das jemand anders gewesen sein, der dem alten Fischer einfach nur verblüffend ähnlich sah. Vielleicht hatte Anton ja einen Bruder oder einen Vetter von der gleichen mageren, gebeugten Statur …
Sie atmete einmal tief durch, schenkte sich Kaffee aus der Thermoskanne ein, die mittlerweile auf dem Tisch stand und biss in ihr Croissant.
Regina hatte noch nicht ganz aufgegessen, als Philipp in die Gaststube kam. Als er sie sah, hob er lächelnd die Hand und kam zu ihr an den Tisch.
»Gut geschlafen?«, begrüßte er sie.
»Und ob«, schwindelte sie.
»Ja, ich auch. Darf ich mich zu dir setzen?«
»Klar«, antwortete sie und schob die fast noch volle Kanne Kaffee zu ihm hinüber.
Als er kurz darauf zum Buffet ging, schloss sie sich ihm an. Sie nahm sich eine Schüssel, füllte sie mit Müsli und Obstsalat und goss Milch darüber. Als sie an den Tisch zurückkam, saß Philipp schon auf seinem Platz und schmierte sich ein Wurstbrot.
»Heute Morgen war mir die Stille auf dieser Insel glatt ein bisschen unheimlich«, erklärte sie und rührte in ihrem Müsli.
Philipp nickte. »Ja, daran muss man sich erst mal gewöhnen. Für mich ist das nichts Neues, weil ich immer wieder mal ein paar freie Tage hier verbringe. Schon als Kind bin ich öfter mit meinen Eltern hier auf der Insel gewesen.«
Regina legte ihren Löffel zur Seite. »Dann kennst du die Inselbewohner bestimmt ganz gut.«
Philipp wiegte den Kopf. »Nicht alle, aber manche schon.«
»Auch den alten Mann, der nur noch ein Auge hat?«, hakte Regina nach.
Für einen Moment schien so etwas wie Überraschung in seinen Augen aufzublitzen. »Meinst du den Anton Grubner?«
»Keine Ahnung«, gestand sie. »Gestern habe ich den Mann nur kurz gesehen, und da fand ich ihn … hmm … sehr ungewöhnlich. Nicht nur wegen seines blinden Auges.«
Philipp runzelte die Stirn. »Das kann tatsächlich nur der Anton sein. Jeder, der öfter auf der Fraueninsel zu Gast ist, kennt ihn. Früher war er mal Fischer. Und er ist ein ziemlicher Einzelgänger.«
Regina nickte. »Mir ist er gleich aufgefallen, als ich von der Fähre kam. Da lehnte er da draußen am Stamm der großen Linde.«