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Die Geschichte der alteingesessenen Familie del Valle setzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Chiles scheinbar wohlgeordneter Welt ein und reißt uns mit in einem Strudel politischer Umbrüche und Gewalt, der die persönlichen Schicksale unaufhaltsam bestimmen wird.
Der Erfolg dieses Epos verdankt sich dem hinreißenden Erzähltemperament Isabel Allendes: Mit Phantasie, Witz und mit Zärtlichkeit malt die Autorin das bunte Tableau einer Familie über vier Generationen hinweg.
Ihr erster Roman hat Isabell Allende zu einer Schriftstellerin von Weltrang gemacht.
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Seitenzahl: 841
Eine Familiensaga, die zum Welterfolg wurde: Isabel Allende erzählt die wechselhafte Geschichte der Familie des chilenischen Patriarchen Esteban Trueba und seiner hellsichtigen Frau Clara und führt uns mit der ihr eigenen Fabulierkunst durch eine Zeit, in der persönliche Schicksale und politische Gewalt eng miteinander verwoben sind. Der Erfolg dieses Buches verdankt sich dem hinreißenden Erzähltemperament Isabel Allendes: Mit Phantasie, Witz und Zärtlichkeit malt die Autorin das bunte Tableau einer Familie über vier Generationen hinweg.
»Eine endlose Geschichte von Schmerz, Blut und Liebe.« Süddeutsche Zeitung
Isabel Allende, 1942 geboren, hat ab ihrem achtzehnten Lebensjahr als Journalistin in Chile gearbeitet. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil, wo sie ihren Weltbestseller Das Geisterhaus
Isabel Allende
Das Geisterhaus
Roman
Die Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel
La casa de los espiritus
bei Plaza & Janés, Barcelona. © Isabel Allende, 1982.
Umschlagillustration: © RHS, Lindley Library
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1984
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
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Satz: Hümmer, Waldbüttelbrunn
Wie lange lebt der Mensch, letzen Endes?Lebt er tausend Tage oder einen einzigen?Eine Woche oder mehrerer Jahrhunderte?
Meiner Mutter, meiner Großmutterund den anderen außergewöhnlichen Frauendieser GeschichteI. A.
»Barrabas kam auf dem Seeweg in die Familie«, trug die kleine Clara in ihrer zarten Schönschrift ein. Sie hatte schon damals die Gewohnheit, alles Wichtige aufzuschreiben, und später, als sie stumm wurde, notierte sie auch die Belanglosigkeiten, nicht ahnend, daß fünfzig Jahre später diese Hefte mir dazu dienen würden, das Gedächtnis der Vergangenheit wiederzufinden und mein eigenes Entsetzen zu überleben. Der Tag, an dem Barrabas eintraf, war ein Gründonnerstag. Er kam in einem handgeflochtenen Käfig, besudelt mit seinem Kot und Urin, und hatte den verstörten Blick eines jämmerlichen, wehrlosen Gefangenen, aber an der königlichen Kopfhaltung und den Ausmaßen seines Knochenbaus ließ sich bereits der sagenhafte Riese erraten, zu dem er später heranwachsen sollte. Es war ein langweiliger Tag im Herbst, nichts deutete auf die Ereignisse hin, die Clara aufschrieb, damit ihrer künftig gedacht werde, und die in der Pfarreikirche San Sebastián geschahen, während der Messe, der Clara mit ihrer ganzen Familie beiwohnte. Die Heiligen waren zum Zeichen der Trauer mit dem dunkelvioletten Stoff verhangen, den die Betschwestern alljährlich aus dem Kleiderschrank in der Sakristei hervorholten und entstaubten, und unter den düsteren Tüchern wirkte der himmlische Hofstaat wie wahllos herumstehende Möbel vor einem Umzug, ein kläglicher Eindruck, den auch die Kerzen, der Weihrauch oder die ächzende Orgel nicht wettmachen konnten. Wo sonst die lebensgroßen Heiligen standen, alle mit gleich verklemmten Gesichtszügen, mit ihren Perücken aus Totenhaar, den Rubinen, Perlen und Smaragden aus buntem Glas und den Kleidern vornehmer Florentiner, standen nun unförmige, drohende Gestalten. Der einzige, der durch die Verhüllung gewann, war der heilige Sebastian, der Schutzpatron der Kirche, der den Gläubigen während der Osterwoche den Anblick seiner unanständigen Körperverrenkungen ersparte, denn mit dem halben Dutzend Pfeilen im Leib und den Strömen von Blut und Tränen, die er vergoß, sah er wie ein leidender Homosexueller aus, und seine dank dem Pinsel von Pater Restrepo wunderbarerweise immer frischen Wunden ließen Clara vor Ekel schaudern.
Es war eine lange Woche mit Bußübungen und Gottesdiensten, ohne Kartenspiel, ohne Musik, die zu Wollust oder Vergessen angeregt hätte, man beobachtete nach Möglichkeit die größte Traurigkeit und Keuschheit, obgleich der Stachel des Teufels gerade in diesen Tagen das schwache katholische Fleisch hitziger denn je in Versuchung führte. Es gab Blätterteigpasteten als Fastenspeise, leckere Gemüsesuppen, luftige Tortillas und große, vom Land hereingebrachte Käse, Gerichte, mit denen die Familien der Passion unseres Herrn gedachten, sehr besorgt, auch nicht das kleinste Stückchen Fleisch oder Fisch zu kosten, da sie widrigenfalls mit Exkommunikation bestraft werden würden, wie Pater Restrepo nachdrücklich betonte. Niemand hätte gewagt, ihm nicht zu gehorchen, denn der Priester war mit einem langen Zeigefinger ausgestattet, um damit öffentlich auf die Sünder zu deuten, und besaß eine Zunge, die im Aufrütteln der Gefühle bestens trainiert war.
»Du hast Geld aus der Kollekte gestohlen, du Dieb«, wetterte er, von der Kanzel herab auf einen Herrn deutend, der vorgab, mit einem Fussel an seinem Revers beschäftigt zu sein, um nicht aufblicken zu müssen. »Du, Schamlose, prostituierst dich auf den Molen«, beschuldigte er die von Arthritis verkrümmte Ester Trueba, eine Getreue der heiligen Jungfrau vom Karmel, die erstaunt die Augen aufriß, weil sie die Bedeutung dieses Wortes nicht kannte und nicht einmal wußte, wo die Molen lagen. »Geht in euch, Sünder, faules Aas, die ihr nicht würdig seid des Opfers, das unser Herr auf sich genommen hat. Fastet! Tut Buße!«
Wenn ihn im Eifer der Seelsorge Begeisterung hinriß, mußte sich der Priester Zwang antun, um nicht offen gegen die Anweisungen seiner Oberen zu verstoßen, die im Zuge der neuen Zeiten Büßergürtel und Geißelungen ablehnten. Er selbst war durchaus dafür, der Schwachheiten der Seele mit einer ordentlichen Tracht Prügel Herr zu werden. Er war berühmt für seine hemmungslosen Predigten. Seine Getreuen folgten ihm von Gemeinde zu Gemeinde und schwitzten, wenn er ihnen die Höllenqualen der Sünder schilderte, die ingeniösen Folterwerkzeuge, die das Fleisch zerfetzten, die ewigen Flammen, die Krallen, die sich in das Glied des Mannes einbohrten, die abscheulichen Schlangen, die in die Leibesöffnungen der Frauen krochen, und viele andere Martern, mit denen er in jeder Predigt Gottesfurcht verbreitete. Selbst den Teufel beschrieb er bis in seine intimsten Anomalien, und das alles mit dem galicischen Akzent des Priesters, dessen Aufgabe auf Erden es war, die Gewissen der trägen Kreolen aufzurütteln.
Severo del Valle war Atheist und Freimaurer, aber da er politischen Ehrgeiz besaß, konnte er sich den Luxus nicht leisten, an Sonntagen und kirchlichen Feiertagen in der meistbesuchten Messe zu fehlen, er mußte sich zeigen. Nívea, seine Frau, verständigte sich lieber ohne Mittelsmänner mit Gott, ihr Mißtrauen gegen die Soutanen reichte tief, die Beschreibungen des Himmels, des Fegefeuers und der Hölle langweilten sie, aber sie unterstützte den parlamentarischen Ehrgeiz ihres Mannes in der Hoffnung, daß, wenn er einen Sitz im Kongreß erhielte, sie das Stimmrecht der Frauen durchsetzen könnte, um das sie seit zehn Jahren kämpfte, ohne daß ihre zahlreichen Schwangerschaften ihren Elan hätten schwächen können. An diesem Gründonnerstag hatte Pater Restrepo die Zuhörer mit seinen apokalyptischen Visionen bis an die Grenze ihrer Widerstandsfähigkeit getrieben, und Nívea fühlte sich schwindlig werden. Sie fragte sich, ob sie wieder schwanger wäre. Trotz der Essigwaschungen und der mit Galle getränkten Schwämme hatte sie fünfzehn Kinder zur Welt gebracht, von denen elf noch am Leben waren, und sie hatte Grund zu der Annahme, daß sie sich allmählich der Reife näherte, denn ihre Tochter Clara, die Jüngste, war zehn Jahre alt. Der Schwung ihrer erstaunlichen Fruchtbarkeit schien endlich nachzulassen. Sie schob ihre Übelkeit auf jene Stelle der Predigt, da der Pater, auf sie deutend, von den Pharisäern gesprochen hatte, die danach trachteten, die unehelichen Kinder zu legitimieren, die standesamtliche Ehe einzuführen und den Frauen die gleiche Stellung wie dem Manne einzuräumen, in offenem Widerspruch gegen das Gesetz Gottes, das in diesem Punkt eindeutig war. Nívea und Severo nahmen mit ihren Kindern die ganze dritte Bank ein. Clara saß neben ihrer Mutter, und diese drückte ihr ungeduldig die Hand, sooft der Pfarrer sich allzu weitläufig über die Sünden des Fleisches ausließ, denn sie wußte, daß sich ihre kleine Tochter dann Verfehlungen weit jenseits aller Wirklichkeit ausmalte, wie aus den Fragen hervorging, die sie den Erwachsenen stellte und die niemand ihr beantworten konnte. Clara war frühreif und besaß eine überschäumende Phantasie, das Erbteil aller Frauen ihrer Familie mütterlicherseits. Die Hitze in der Kirche hatte zugenommen, der Weihrauch und die dicht gedrängte Menge trugen zu Níveas Schwächeanfall bei. Sie wünschte, der Gottesdienst wäre zu Ende und sie könnte in ihr kühles Haus zurückkehren, sich in den mit Farn bepflanzten Patio setzen und die Mandelmilch trinken, die Nana an Feiertagen zubereitete. Sie blickte auf ihre Kinder: die kleineren waren müde, saßen steif in ihren Sonntagskleidern da, die größeren fingen an, sich abzulenken. Sie ließ ihren Blick auf Rosa ruhen, der ältesten ihrer lebenden Töchter, und war wie immer überwältigt. Ihre sonderbare Schönheit hatte etwas so Berückendes, daß nicht einmal sie sich ihr entziehen konnte, sie schien aus einem anderen Stoff gemacht zu sein als das Menschengeschlecht. Noch ehe sie geboren wurde, wußte Nívea, daß sie nicht von dieser Welt war, denn sie hatte sie in Träumen gesehen und war deshalb nicht überrascht, als die Hebamme bei ihrem Anblick aufschrie. Rosa war bei ihrer Geburt weiß, glatt und faltenlos wie eine Porzellanpuppe, mit grünem Haar und gelben Augen, das schönste Geschöpf, das seit dem Sündenfall auf Erden geboren wurde, wie die Hebamme, sich bekreuzigend, sagte. Nach dem ersten Bad wusch ihr die Nana das Haar mit Kamillentee, wodurch die Farbe weicher wurde, eine Schattierung wie Bronze bekam, und sie legte sie nackt in die Sonne, damit sich ihre Haut kräftigte, die an den zartesten Stellen am Bauch und in den Achselhöhlen so durchscheinend war, daß man die Adern und das geheimnisvolle Gewebe der Muskeln sehen konnte. Doch richteten diese Zigeunertricks nicht viel aus, und bald lief das Gerücht um, ein Engel sei ihnen geboren worden. Nívea hoffte, die undankbaren Perioden des Wachstums würden ihrer Tochter ein paar Unvollkommenheiten verleihen, aber nichts dergleichen geschah, im Gegenteil, Rosa wurde auch mit achtzehn nicht dick und bekam keine Pickel, vielmehr nahm ihre Anmut noch zu. Ihre leicht bläulich schimmernde Haut und der Farbton ihres Haars, die Langsamkeit ihrer Bewegungen und ihr stiller Charakter erinnerten an einen Wasserbewohner. Sie hatte etwas von einem Fisch, und hätte sie einen Schuppenschwanz gehabt, wäre sie eindeutig eine Sirene gewesen, doch ihre zwei Beine stellten sie auf eine nicht genau definierbare Grenze zwischen menschlichem Geschöpf und mythologischem Wesen. Trotz allem war das Leben des jungen Mädchens fast normal verlaufen, sie hatte einen Bräutigam, eines Tages würde sie heiraten, und die Verantwortung für ihre Schönheit würde in andere Hände übergehen. Rosa senkte den Kopf, ein Sonnenstrahl, der durch die gotischen Kirchenfenster sickerte, legte einen Heiligenschein um ihr Profil. Einige Leute drehten sich nach ihr um und tuschelten, aber das geschah auch sonst oft, wenn sie vorüberging. Sie schien es nicht zu bemerken, sie war immun gegen die Eitelkeit, und an diesem Tag beachtete sie ihre Umwelt noch weniger als sonst, weil sie sich neue Tiere ausdachte, die sie auf ihre Tischdecke sticken wollte, halb Vögel, halb Säugetiere, mit schillernden Federn, Hörnern und Klauen, dick und mit so kurzen Flügeln, daß sie die Gesetze der Biologie und der Aerodynamik herausforderten. An ihren Bräutigam, Esteban Trueba, dachte sie selten, nicht aus Lieblosigkeit, sondern ihrer natürlichen Vergeßlichkeit wegen und weil zwei Jahre eine lange Abwesenheit sind. Er arbeitete in den Minen im Norden. Er schrieb ihr regelmäßig, und Rosa antwortete ihm ab und zu mit abgeschriebenen Versen oder mit Blumen, in Tusche auf Pergament gezeichnet. Dank dieser von Nívea sorgfältig kontrollierten Korrespondenz lernte sie das Auf und Ab im wechselvollen Schicksal eines Bergmanns kennen, die ständige Bedrohung durch den Einsturz eines Stolllens, die Jagd nach eigenwilligen Erzadern, die Bitte um die Gewährung von Krediten auf künftigen Reichtum, das Vertrauen auf eine wunderbare Goldader, durch die er rasch zu Geld kommen würde und heimkehren könnte, um Rosa an seinem Arm zum Traualtar zu führen und damit, wie er am Ende jedes Briefes versicherte, der glücklichste Mensch auf dieser Welt zu werden. Doch Rosa hatte mit dem Heiraten keine Eile. Sie hatte den einzigen, beim Abschied gewechselten Kuß schon beinahe vergessen, auch an die Augenfarbe dieses hartnäckigen Bräutigams erinnerte sie sich kaum mehr. Da romantische Romane ihre einzige Lektüre waren, stellte sie sich ihn gern vor, wie er in hohen Stiefeln, die Haut von den Wüsten
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