Das gekaperte Fahrrad - Rita Kusch - E-Book

Das gekaperte Fahrrad E-Book

Rita Kusch

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Beschreibung

Heitere Geschichten für alle Lebenslagen

Rita Kusch kann erzählen: über Tiefsinniges und Heiteres, über alltägliche Begebenheiten und Nachdenkliches. Es sind Geschichten, die Erinnerungen wachrufen und über die man schmunzeln und manchmal auch herzhaft lachen kann. In ihren Geschichten erzählt sie von lustigen, berührenden und alltäglichen Erlebnissen und Vorkommnissen aus ihrem Leben als Diakonin und Pfarrfrau – und in jeder dieser Geschichten finden sich genügend Anstöße zum Weitererzählen und Weiterdenken.

Die Geschichten sind Vorlese- und Selbstlesegeschichten. Sie eignen sich als Einstieg in einen Nachmittag im Senioren- oder Frauenkreis, als Impuls während einer Veranstaltung oder für Andachten und Gottesdienste.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 181

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Ein Sessel für drei, die Subdominante von a-moll und Dracula im Zug …

Rita Kusch kann erzählen: Ihre Geschichten handeln von alltäglichen, berührenden und vor allem lustigen Erlebnissen und Ereignissen aus ihrem Alltag als Diakonin und Pfarrfrau.

Kleine Kostbarkeiten, bei denen man immer schmunzeln und oft herzhaft lachen kann.

Alle Geschichten eignen sich auch zum Vorlesen.

Rita Kusch, geboren1958, hat Religionspädagogik studiert und war 27 Jahre lang als Diakonin in einer Kirchengemeinde im Ammerland tätig. Von 2009 bis 2019 war sie Beauftragte für Seniorenarbeit in der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg. Sie hat Fortbildungskurse zur ehrenamtlichen Seniorenbegleitung geleitet und an der Ev. Altenpflegeschule unterrichtet.

Rita Kusch

Das gekaperte Fahrrad

… und 52 andere lustige Geschichten

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht gelungen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber.

Copyright © 2024 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81 673 München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotiv: © Anna – Adobe Stock.com

ISBN 978-3-641-31491-0V001

www.gtvh.de

Vorwort

Heitere Geschichten vorlesen oder selber lesen – geht das in diesen Zeiten überhaupt? Ist es vielleicht sogar oberflächlich und dumm, angesichts von Hunger, Not, Krieg und Klimakrise zu lachen, heiter zu sein? Oder ist es notwendig, hilfreich, wichtig?

Ich möchte mit meinen Geschichten das Elend nicht verdrängen oder kleinreden. Ich möchte aber auch nicht darin herumbohren, es sezieren und stets und ständig darüber klagen.

Die meisten meiner Geschichten sind im Zusammenhang mit der Seniorenarbeit entstanden. Für meine Arbeit mit den älteren Menschen suchte ich etwas zum Vorlesen und fand oft nur etwas über Krieg, Flucht, Vertreibung, Angst und Not. All das gibt es, das weiß ich wohl und wer weiß es besser als die alten Menschen? Wenn jemand von sich aus davon erzählen möchte, hat das immer und überall seinen Platz. Aber ich will es nicht provozieren. Solche Erinnerungen gehören eher in ein Vieraugengespräch, in einen seelsorgerlichen Zusammenhang, sind Eigentum der alten Menschen, die darüber frei verfügen dürfen. Der Hunger wird nicht kleiner, wenn ich von ihm rede. Der Krieg hört nicht auf, wenn ich über ihn weine. Nach dem Vorlesen, nach der Seniorenrunde sind die alten Menschen dann wieder alleine in ihrer Wohnung oder ihrem Zuhause und müssen dort sehen, wie sie mit den Erinnerungen zurechtkommen.

Umberto Eco lässt in seinem Buch »Der Name der Rose« den ehrwürdigen Jorge sagen, dass das Lachen die Furcht tötet. Deshalb möchte er es um jeden Preis verbieten. Seiner Meinung nach ist die Furcht nötig, sonst bräuchte man keinen Gott. Ich fände es schön, wenn das Lachen die Furcht töten könnte, denn ohne Furcht lebt es sich besser, hat man mehr Kraft für das Miteinander, für das gemeinsame Arbeiten an einer besseren Welt für alle Menschen. Und Lachen befreit, manchmal nur für einen Moment. Ist das nicht schon sehr viel? Einen Moment frei sein, das Leben zu spüren, Gottes Liebe zu erahnen, die Schönheit der Schöpfung zu sehen und sich selbst eingebettet zu wissen in eine Gemeinschaft.

Einige der Geschichten reichen weit zurück in meine Kindheit und Jugend, andere erzählen von meiner Arbeit als Gemeindediakonin oder Beauftragte für Seniorenarbeit. Andere sind Erinnerungen an Urlaube in Italien oder kleine Alltagserlebnisse, die Sie, liebe Leserin und lieber Leser auch hätten machen können. Ich habe sie aufgeschrieben, weil ich sie lustig fand. Und fast immer sind sie wirklich wahr, vor allem dann, wenn Sie denken, diese Geschichte hätte ich mir nun ganz bestimmt ausgedacht, weil so etwas doch niemandem passiert. Mir geht es um das Lachen, den Witz, das Komische.

Die Krönung des Lachens ist es wohl, über sich selbst lachen zu können, über eigene Fehler und Unzulänglichkeiten, kleine Blamagen und Missgeschicke, über das, was einem da im Leben so begegnet ist.

So lade ich Sie dazu ein, gewissermaßen neben dem Fahrrad am Zaun auf dem Titelbild Platz zu nehmen und auf die Welt, die Mitmenschen und sich selbst mit einer Prise Humor zu blicken und dann einander zu erzählen, was Sie gesehen haben.

Ihre

Rita Kusch

P. S: Die Geschichten sind auch sehr gut zum Vorlesen geeignet, am Ende des Buches finden Sie dazu ein paar Tipps. Pro Seite einer Geschichte rechnen Sie bitte mit ca. 90 Sekunden Vorlesezeit; am Ende des Buches finden Sie die ungefähren Vorlesezeiten noch einmal in einem Verzeichnis zusammengestellt.

Inhalt

Vorwort

Bei Kirchens

Das gekaperte Fahrrad

Diakonin mit Tracht

Martini

Die Pfarrhaustür

Kirche woanders

Schöpfungsgeschichte mit Kindern

Gernot und das Kürbisbrot

Allerheiligen, Allerseelen, Alleraufgaben

Tumult

Herzschmerz

Ritarre

Call-Boy

Rosen für die Diakonin

… wo die Zitronen blühen

Wohnzimmertheater

Zugspitze

Pisa mit Hindernissen

Deutsches Brot am italienischen Strand

Parzelle 239

Milchstraße

Villa in der Toskana oder Ölbaum auf Terrakotta

Sportlich

Auf Platz 25

Tante-Emma-Laden in Italien

Schräg

Der Erklärbär

Der Rock

Verehrte Kunden …

De appel etende Schoolmester

Dusch dich frei

Mittwochs nie

Die Subdominante von a-moll

»Ich traue Ihnen«

Lieblingstag

Komm ich nun ins Fernsehen?

Spuky

Meine Cousine Anne, genannt Spukyanne

Kleine Sternenäuglein

Schräge Nachbarn

Sone, solche und gesprenkelte

Unter dem Bett

Pilzsuche

Dracula im Zug

Einmal Tunnel und zurück

Zeit ist relativ

Eiche Noah

Gottes großer Tiergarten

Katzen haben Personal

Ein Sessel für drei

Allüberall

Ziemlich kurzes Weihnachtsfest

Der Nikolaus

Drei Kinder, drei Geschenke

Der Nussknacker

Marzipan

Der Wunschzettel

Der ungewöhnliche Wunsch

Die Weihnachtskarte

Nachwort

Tipps zum Vorlesen

Vorlesezeiten der einzelnen Geschichten

Verzeichnis der bereits in anderen Bänden erschienenen Geschichten

Bei Kirchens

Das gekaperte Fahrrad

Ein langer, lauer Sommerabend. Um ihn richtig genießen zu können, brauche ich zuerst eine Idee für den nächsten Gottesdienst, und um die zu finden, setze ich mich ans Fenster und schaue nach draußen. Die Gardine lasse ich fast zu, damit man mich nicht sieht, denn ich möchte mit mir und meinen Gedanken alleine sein. Das allerdings bleibt ein frommer Wunsch, denn drei meiner Konfirmanden haben sich in unserem Vorgarten versammelt. Beim hiesigen Pizzaservice haben sie Pizzen und Cola bestellt. Da mein Auto dort im Vorgarten steht, benutzen sie es kurzerhand als Ablage für Speisen und Getränke. Weit entfernt von einem zündenden Gedanken für den Gottesdienst betrachte ich das Treiben da draußen. Einer der drei Kumpane hat offensichtlich ein neues Fahrrad. Er wird es zur Konfirmation bekommen haben, die ja gerade mal zwei Monate her ist. Als sie aufgegessen haben, ist ihnen offensichtlich langweilig. Wo die Pizzakartons und die leeren Cola-Dosen geblieben sind, brauchen wir nicht extra zu fragen, oder? Die drei Freunde finden in ihren Hosentaschen einige Knallfrösche, die sie nun losballern lassen. Das stört nicht nur unseren Gartenkater und die Blumen dort am Zaun erheblich, auch ich öffne das Fenster und frage, was das denn da draußen solle.

Fluchtartig verlassen die drei das Gelände, und zwar so eilig, dass sie sogar das Fahrrad vergessen. Ich begebe mich nach draußen, um das Rad hereinzuholen, wobei reinholen eigentlich nicht das richtige Wort ist. Ich kapere es sozusagen, wie die Seeräuber. Zack, weg ist es und landet bei mir im Flur. Das geschieht meinerseits nicht so sehr aus Sicherheitsgründen, sondern um mir die Rückkehr der drei Freunde zu garantieren. Und wirklich dauert es nicht sehr lange, bis sie wieder da sind. Etwas hilflos schauen sie sich um. Sie suchen ganz offensichtlich das Rad. Ich habe meinen Posten hinter dem Fenster wieder eingenommen und beobachte das Ganze interessiert. Sie palavern lange herum, bis schließlich Timm, der sich wirklich mit zwei M schreibt, all seinen Mut zusammennimmt und bei mir klingelt. Ob hier ein Fahrrad abgegeben worden sei, fragt er mich. Wahrheitsgemäß antworte ich »Nein!«, denn abgegeben hat ja niemand eines. Zum Glück sehen sie die Spuren nicht, die das Rad zunächst im Sand und dann auf dem Boden des Flures hinterlassen hat.

Ratlos geht Timm wieder und berichtet den beiden anderen von dem Misserfolg. Bevor dort draußen nun wirklich die Verzweiflung ausbricht, gehe ich in die Küche, koche Tee und hole die drei herein. Wohlbehalten bekommt Timm sein Fahrrad zurück und alle zeigen sich beeindruckt, wie toll ich lügen konnte. Da wollte ich die Konfis mit meinem Wissen über Bibel und Glauben beeindrucken, habe das aber nie so gut geschafft, wie durch eine Lüge. Verrückte Welt.

Und eine Idee für den Gottesdienst habe ich auch. Das Fahrrad hat mich darauf gebracht. Spuren Gottes in unserem Leben. Vielen Dank an Timm und die beiden anderen. Aber eigentlich hätte ich das Fahrrad lieber behalten, es an den Zaun gelehnt und einen Korb mit bunten Blumen vorne angehängt. Das hat so was Gemütliches.

Diakonin mit Tracht

Bei kleinen Jungs ist es meistens ganz einfach. Sie wollen Pilot werden, Lokomotivführer, Fußballer oder Müllmann. Das ändert sich im Laufe des Lebens oft noch mehrmals, wird an der Höhe des zu erwartenden Gehaltes gemessen, am Grad des Drecks, mit dem man es zu tun haben wird, am Gefahrenpotenzial und am gesellschaftlichen Ansehen. Manche wissen es mit 30 Jahren immer noch nicht, was sie werden wollen, außer vielleicht reich. Kleine Mädchen wollen oft Ärztin werden, Reitlehrerin oder Oberstudienrätin. Auch da gibt es noch gewisse Anpassungen, die oft den schulischen Leistungen geschuldet sind. Zum Glück ist es heute nicht mehr ganz so oft so, dass das Geld der Eltern darüber entscheidet, was man werden kann, obwohl …, aber das ist ein anderes Thema.

Mein Mann wusste spätestens beim Eintritt in den Kindergarten, wenn nicht gleich bei seiner Geburt, dass er Pastor werden wollte. Und schaut man sich bis heute seine Hände an, dann weiß man, dass diese Hände taufen und segnen können, aber keinen Reifen wechseln und keinen Garten umgraben. So ist das eben und es ist doch ein Segen, dass die Gaben so unterschiedlich verteilt sind.

Bei mir war es so, dass ich bereits sehr früh wusste, dass ich Erzieherin werden wollte. Wie beim Rattenfänger von Hameln liefen mir die Kinder überall nach, wollten mit mir spielen und basteln, reden und Quatsch machen. Mein Vater hatte die Idee, ich solle zur weiblichen Kriminalpolizei gehen, wohl weil er der Schuhmacher für die Polizisten in unserem Regierungsbezirk war und er sich da einiges an Vitamin B erhoffte. Aber ich hatte schon damals meinen ganz eigenen Kopf und habe meinen Plan durchgezogen und bin Erzieherin geworden. Das Anerkennungsjahr, welches zu dieser Ausbildung gehört, absolvierte ich dann allerdings in einer Kirchengemeinde, und der dortige Pastor und die Gemeindehelferin (so nannte man das damals noch) haben mich dann mit dem »Kirchenvirus« infiziert.

Ich habe also nach der Erzieherinnenausbildung noch Religionspädagogik studiert und bin als Diakonin eingesegnet worden. Mein Vater, eher plattdeutsch aufgewachsen und sozialisiert, kommentierte das so: »Nu is se ganz verrückt wurden. Nu ward se den Pastor sien Knecht!« (Nun ist sie ganz verrückt geworden. Nun wird sie des Pastors Knecht!) Diese etwas antiquierte Auffassung von diesem für mich besten Beruf der Welt kam sicherlich aus seiner eigenen Jugend. Damals hatte er mit Bruder Keller, dem Knecht des Pastors seines Dorfes, viele schöne Dinge erlebt, von denen er immer wieder gerne erzählt. Aber der Pastor war eben der Chef gewesen und das würde nun bei mir doch wohl nicht anders sein. Ich bin mir da nicht immer so ganz sicher. Sicher weiß ich nur, wer der eigentliche Chef der Kirche ist.

Als Diakonin konnte ich nach Herzenslust mit Kindern spielen, mit Konfirmandinnen und Konfirmanden arbeiten, Frauenkreise leiten, Seniorenkreise inspirieren, Krippenspiele schreiben und aufführen, Kirchenfeste organisieren und und und. Es passte einfach alles, und was nicht passte, machte ich passend. Sogar nach Italien, dem Land meiner Träume konnte ich als Diakonin fahren, denn dort gibt es Waldenser, eine sehr frühe Abspaltung einer christlichen Gruppe von den Katholiken unter Petrus Waldus, die heute Herbergen für Gruppen von Jugendlichen oder Familien anbieten. Also – Herz, was willst du mehr? Ich war und bin mit diesem Beruf vollauf zufrieden und dem Herrn sehr dankbar, dass ich diesen Weg finden durfte. Ich bin allerdings nicht des Pastors Knecht, sondern eher die Magd des Herrn.

In der Gemeinde wurde mein Wirken anfangs kritisch beäugt. Man hatte noch keine Diakonin in der Gemeinde gehabt und konnte sich nicht so richtig vorstellen, was sie denn so macht. Schließlich hatten wir doch schon fünf Pastoren. Sollte das nicht reichen? Brauchten die noch einen Knecht oder besser eine Magd? Anfangs schienen auch meine fünf Herren in Schwarz das zu denken, aber den Zahn konnte ich ihnen bald ziehen.

Bei manchen Gemeindegliedern hält sich aber hartnäckig das Gerücht, ich würde bald eine Tracht tragen und dürfe nicht heiraten. Nicht nur deshalb wurde mein Privatleben, solange ich wirklich noch nicht verheiratet war, mehr als aufmerksam beäugt. Man hatte wohl eine Diakonin mit einer Diakonisse verwechselt. Diese kannte man von früher und konnte etwas mit der Bezeichnung anfangen. Die Katholiken betonen Diakon auf der ersten Silbe und meinen damit jemandem auf dem Weg zum Priesteramt oder einen kirchlichen Mitarbeiter, der verheiratet ist und eben nicht Priester werden will.

Besonders nett in Erinnerung habe ich eine alte Dame, die mich in regelmäßigen Abständen nach dem Seniorenkreis liebevoll beiseitenahm und mir sagte, sie könne gar nicht verstehen, dass ich wieder die Prüfung nicht geschafft hätte und deshalb ein weiteres Jahr Diakonin bleiben müsste. Ich sei doch eigentlich ganz pfiffig und auch nicht faul. Wie könne es da bloß sein, dass ich immer wieder durchfalle. Offensichtlich war sie der Meinung, bei ordentlichem Lernen würde man als Diakonin irgendwann doch Pastorin werden. »Da sei Gott vor!«, dachte ich nur im Stillen, denn ich bin nicht aus Versehen Diakonin geworden, sondern weil ich wirklich finde, dass das für mich der beste Beruf der Welt ist.

Martini

Nein, es ist nicht das von mir so geschätzte Getränk italienischer Herkunft, weder rot noch weiß, sondern die dritte Geschichte meiner Dienstzeit über den Martinstag und seine Besonderheiten. Eigentlich hätte ich gar nicht gedacht, dass man darüber mehr als eine Geschichte schreiben kann, aber doch hält jedes Jahr eine solche Fülle an Überraschungen für uns bereit, dass ich einfach nicht an mich halten kann.

Bereits um 18.00 Uhr versammeln sich die Konfirmandinnen und Konfirmanden, die mir zur Mithilfe an diesem ereignisreichen Tag zugesagt worden sind. Sie zappeln vor Aufregung, nicht so sehr wegen des bevorstehenden Geschehens, nein, vielmehr weil auch Ibrahim und Mustafa anwesend sind. Diese sind nicht an St. Martin interessiert, sondern an den Mädels, die dort Liedzettel verteilen, Absperrungen halten und Kuchen ausgeben sollen. So verteile ich die Aufgaben, während die Mädels balzen. Ich verlagere die Besprechung ins Gemeindehaus und habe nun doch etwas mehr Aufmerksamkeit zu erwarten. Dennoch, nun sind die »Damen« maulig und finden mich, nun ja, Sie wissen schon … Sie wollen nun nicht mehr den Schutzwall zwischen Pferd und Musik bilden. Und ich soll bloß nicht denken, sie kämen noch mal wieder.

Das Pferd ist in diesem Jahr neu. Das alte hat sich noch nicht von dem Gewusel im vorigen Jahr erholt und sich auf einen atheistisch geleiteten Pferdehof zurückgezogen. Das diesjährige Exemplar ist mehr ein Pony, aber ganz nett. Es begrüßt mich freudig auf dem Friedhof, wo es samt Martin auf den Schrei des Bettlers wartet. Sonst nur den Umgang mit Katzen gewöhnt, die irgendwie handlicher sind, scheue ich zurück, was das Pony missversteht und mich fortan nicht mehr mag. Wenn das so weitergeht, mag mich bald keiner mehr.

Der Bettler kann sein Gewand nicht finden und seine Designerjacke stört das Gesamtbild doch heftig. Martin kämpft noch mit den Druckknöpfen, die ihm die Mantelteilung erleichtern sollen. Das Schwert des Soldaten ist auch weg, dafür hat die Lautsprecheranlage nun einen Wackelkontakt.

Polizei und Feuerwehr sind zum Glück schon da und nehmen mir die Regelung des Straßenverkehrs ab. Also wirklich dein »Freund und Helfer«. Und meine Lieblingskonfirmandin, die ohne Licht mit dem Fahrrad zwischen den Kindern herumdüst, nehmen sie sich auch gleich zur Brust.

»In einer kalten Winterna … knack, knack, … reitet der Sol … knack, knack… tin von seinem La… knack.«

Die Vorstellung beginnt. Ein Vater, in seinem Alltag ganz offensichtlich Toningenieur, eilt nach vorne, um zu retten, was zu retten ist. Dort stehen aber die Kinder mit ihren Laternen wie eine Mauer und lassen niemanden durch. Sie warten auf das Pferd, die eigentliche Attraktion dieser Sache. Ein Opa fragt mich, ob das hier was mit der Kirche zu tun habe, er sei nämlich ausgetreten und wisse nun nicht, ob er wohl mitgehen dürfe. Gerne möchte er mich in ein längeres Gespräch verwickeln, mir seinen Austritt aus der Kirche im Frühjahr 1952 erklären und mich dann noch zu den näheren Gründen der Reitervorstellung befragen. Ich habe jetzt etwas anderes zu tun und verabrede mich für den nächsten Tag mit dem älteren Herrn, obwohl der abtrünnig ist. Damit ist er sehr zufrieden und möchte für heute nur noch wissen, wo Martin Luther bleibt und ob seine Frau auch wirklich das Käthchen von Heilbronn ist.

Ich eile nach vorne, um die Reihenfolge des Zuges zu organisieren. Zuerst die Feuerwehr, dann das Pferd, etwas Pufferzone, dann die Musik, gefolgt von genau 435 Kindern, wie mir die beiden Konfis versichern, die ich zum Zählen angeheuert habe. Ich brauche einigermaßen genaue Zahlen, um hinterher den Frust beim Verteilen der Martinsgänse zu vermeiden.

Wir laufen über die abgesperrte Straße zur katholischen Schwesterkirche, wo wir einen sorgfältig vorbereiteten Gottesdienst feiern möchten, von dem kaum jemand einen Ton versteht. Ein Kind, zappelnd vor Ungeduld, hüpft auf dem Heizungsrost herum, so dass auch die letzten Wortfetzen der Predigt verfliegen. Auf der anderen Seite haben drei Mädchen die Handglocken entdeckt, die der versammelten Gemeinde den heiligsten aller Momente anzeigen. Sie streiten darum, wer die Glocke bewachen darf; denn sie wissen schon, dass es jetzt sehr leise sein muss. Dass es bei diesem Streit mehrmals heftig bimmelt, versteht sich von selbst, tut ihnen auch herzlich leid, ist aber nicht zu vermeiden.

Wir verkürzen die wohlgewählten Worte und streben dem Ende der Feier entgegen. Weil ich die Schlüssel für das Bäckerauto habe, in dem die Kuchen in Form von Martinsgänsen sind, darf ich als Erste heraus. Draußen ist endlich das Martinswetter, das wir seit 15 Jahren kennen: Es regnet. Die Konfis stopfen sich sicherheitshalber erst einmal selbst einen Kuchen in den Mund, bevor sie mit dem Verteilen beginnen.

Und dann ist es wie immer. Alle ziehen fröhlich kauend ihrer Wege. Hier und da erklingt noch ein Laternenlied, die Kuchen reichen, das Bier für die Feuerwehr steht kalt und die Kollekte beträgt 12,35 Euro. So macht das Teilen, zu dem Martin uns ja anstiften will, richtig Spaß. Es ist zwar auch ziemlich konsequenzlos, aber davon lassen wir uns die Martinslaune nicht verderben.

Die Pfarrhaustür

Ich weiß nicht, ob ich es schon erzählt habe, dass mein Mann Pfarrer und damit mein persönlicher Hirte ist. Deshalb wohnen wir in einem Pfarrhaus oder haben dort wenigstens in unserer aktiven Zeit gewohnt. In so einem Pfarrhaus ist die Tür ein sehr wichtiges Element, bietet sie doch den Zugang zu den für manche fast schon heiligen Hallen. Deshalb möchte ich Ihnen erzählen, was ich schon alles an dieser Tür erlebt habe. Gewiss sind zuerst die Familie und die Freunde zu nennen, die sie durchschritten haben, um mit uns eine schöne Zeit zu verbringen. Aber darüber hinaus gibt es auch etliche andere Begegnungen, die dort stattgefunden haben.

Gerne klingelt es um die Mittagszeit, wenn wir uns gerade zum Essen an den Tisch gesetzt haben. Wir verdrehen die Augen und schauen einander abwartend an. Es wird verfahren nach dem Motto: »Wer sich zuerst bewegt, geht an die Tür.« Vor der Tür steht dann gerne ein Bruder oder eine Schwester der Landstraße, die gerne eine kleine Mahlzeit, oder besser noch einen Geldschein hätten. In besonderen Glücksfällen auch beides. Als geübte Pfarrfrau habe ich für derlei Situationen immer eine Portion Eintopf eingefroren, die ich dann gerne austeile. Der wird in der Regel freudig angenommen, es sei denn, man hatte es auf einen größeren Geldbetrag abgesehen, aber den gibt es nicht. Oft lege ich noch einen Apfel dazu, damit auch der Vitaminhaushalt stimmt. So auch heute. Nach zwei Minuten klingelt es erneut. Der Bruder ist es noch einmal, ich hätte einen Apfel mit in die Tüte gelegt, er sei aber Gebissträger, das müsse ich doch verstehen. Ich verstehe schon aus beruflichen Gründen beinahe alles und nehme den Apfel zurück.

Besonders gerne klingelt es dann erneut, wenn wir uns zu einer kleinen Mittagspause zurückgezogen haben. Dieses Mal ist es ein Mann, der Geld für eine Fahrkarte nach Bari braucht. Nach Bari würde ich auch gerne reisen, aber ich habe keine Zeit, weil es gerade geklingelt hat. Bari, so der Besucher, liege ganz im Norden Italiens am Gardasee. Dort müsse er dringend seinem Cousin dritten Grades helfen. Da ich mich in Italien ganz gut auskenne, weiß ich sofort, dass das gelogen ist, denn Bari ist in Apulien, und das wiederum ist ganz im Süden. Dumm gelaufen, denn wer mich anlügt, den habe ich nicht mehr lieb. Das teile ich ihm mit einigen kernigen Worten mit, vor allem, dass er kein Geld zu erwarten braucht. Der Besucher murmelt etwas vor sich hin, wovon ich vor allem »blöde Ziege« verstehe, was ich wohl nicht ganz zu Unrecht auf mich beziehe.