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Im dritten Teil seiner Trilogie der menschlichen Kultur widmet sich Ralph Dutli dem "ewigen" Metall: Gold. Zu allen Zeiten wurde Gold als unzerstörbares, "ewiges" Metall begehrt und verehrt. Gold leuchtet in den Religionen und Mythen, in Märchen, Kunst und Literatur. Es ist Symbol für Glanz und Gier, Macht und Magie. Im Umgang mit ihm zeigt sich der Mensch mit seinen geistigen Höchstleistungen und Träumen - und den Abgründen zerstörerischer Leidenschaften. Von der Bibel und den Pharaonen zur Suche nach Eldorado, von Indiens Göttern und den goldenen Buddhas Asiens zu den Alchemisten und zum digitalen Krypto-Gold sammelt Ralph Dutli den Goldstaub in seiner Kulturgeschichte von staunenmachendem Facettenreichtum. Gerade die Dichter - von Horaz bis Rilke - dachten am tiefgründigsten über das Wesen des Goldes nach. Die modernen Poeten von Baudelaire und Rimbaud bis zu den Surrealisten inszenierten sich als Erben der Alchemisten. Und hinterließen uns das kostbare Gold ihrer Gedichte. Dem widersprüchlichsten der Metalle widmet Ralph Dutli den dritten Band seiner erfolgreichen "Kleinen Kulturgeschichten". Nach dem pflanzlichen des Olivenbaums und dem animalischen der Honigbiene folgt das mineralische Element: Gold. Eine Trilogie der menschlichen Kultur aus Jahrtausenden voller überraschender Episoden und Geschichten.
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Seitenzahl: 235
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Ralph Dutli
Das Gold der Träume
Kulturgeschichte eines göttlichenund verteufelten Metalls
Wallstein Verlag
Für Catherine, Boris, Olivier, Jacqueline
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Wallstein Verlag, Göttingen 2020
www.wallstein-verlag.de
Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf,
© SG-Image unter Verwendung des Gemäldes »Fortuna und der Bettler« (1836) von Alexej Tarassowitsch Markow
ISBN (Print) 978-3-8353-3834-0
ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4566-9
ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4567-6
Relikt von sterbenden Sonnen
Der Kaiser von Kalifornien
Krisengeld gegen Krypto-Gold
Götterhaut oder: Tanzen für die Einzige
Goldenes Widderfell & das Gold der Toten
Törichter Krösus, ein fatales Geschenk
Gold und Kot!
Das goldene Kalb & Teufelsglanz
Die Hölle im Hochgebirge
Dreiste Diebe und eine kleine Betrügerin
Indiens goldzahnige Götter
Alles für Buddha
Spirituelles Gold, die göttliche Proportion
Der Götze der Sonnenlosen
Ein Menschenfeind und Goldjubel
Alchemistenträume: Goldmacher auf dem Holzweg
Das Narrenschiff oder mystische Küsse
Dichter sind Erben der Alchemisten
Der Mann mit dem Goldhirn
Märchenmetall glänzt am hellsten
Das Gold der Gedichte
Archilochos: Mich kümmert es nicht
Sappho: Gold-Fragmente
Vergil: Goldene Äpfel auf Eichenbäumen
Horaz: Sorge folgt auf wachsenden Besitz
Chrétien de Troyes: Der Gral
Anonym: Fatrasie 15
Francesco Petrarca: Sonett 90
Michelangelo Buonarroti: So wie in Glut
Joachim Du Bellay: Traum
Pierre de Ronsard: Gold-Hymne (Auszug)
Luis de Góngora: Solang noch Gold
William Shakespeare: Sonett 55
John Donne: Herbstliche Schönheit
Paul Fleming: An Chrysillen
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Vergänglichkeit der Schönheit
Jean de La Fontaine: Das Huhn mit den goldenen Eiern
Angelus Silesius: Der Cherubinische Wandersmann
Johann Christian Günther: Als er der Phillis einen Ring mit einem Totenkopfe überreichte
Johann Wolfgang von Goethe: Der König in Thule
William Blake: Eine Kapelle ganz aus Gold
Friedrich Hölderlin: Der Ruhm
Novalis: An Agathon
Joseph von Eichendorff: Ein Wunderland
Heinrich Heine: Die Lore-Ley
Heinrich Heine: Das goldne Kalb
Eduard Mörike: September-Morgen
Gottfried Keller: Abendlied
Theodor Fontane: Glück
Charles Baudelaire: Alchimie des Schmerzes
Conrad Ferdinand Meyer: Traumbesitz
Emily Dickinson: Ich spiele Reichsein
Paul Verlaine: Beams
Arthur Rimbaud: Alchimie des Wortes
Richard Dehmel: Ein Goldgräber
Else Lasker-Schüler: An den Ritter aus Gold
Christian Morgenstern: Herbst
Robert Frost: Kein Gold zu bleiben
Rainer Maria Rilke: Das Gold
Rainer Maria Rilke: Sonette an Orpheus II,19
Rainer Maria Rilke: Der Goldschmied
Joachim Ringelnatz: Gold
Welimir Chlebnikow: Grashüpferchen
Hugo Ball: Der grüne König (Schizophrene Sonette, 1)
Wladislaw Chodassewitsch: Gold
Georg Trakl: An den Knaben Elis
Anna Achmatowa: Venedig
Ossip Mandelstam: Goldstück
Marina Zwetajewa: Jugend
Erich Fried: Goldmacher
Jan Skácel: Fährgeld für Charon
Ingeborg Bachmann: Lieder auf der Flucht, VII
Christoph Meckel: Goldfisch
Arne Rautenberg: goldwind
Monika Rinck: Exklusiv: Goldsamen jetzt viel günstiger
Jan Wagner: kalifornische sonette III
Literatur
Nachweise
Dank
Namenregister
Gold liebt es, mitten durch die Leibwächter zu gehen
und, stärker als ein Blitzstrahl, Steinwände zu brechen
Horaz
Sag nie, das Gold sei nichtig, gar nichts wert,
Weil es für sich allein die ganze Menschheit nährt
Pierre de Ronsard
Wo kommst du her? – Aus den Klüften,
versetzte die Schlange, in denen das Gold wohnt.
– Was ist herrlicher als Gold? fragte der König.
– Das Licht, antwortete die Schlange.
– Was ist erquicklicher als Licht? fragte jener.
– Das Gespräch, antwortete diese.
J. W. Goethe
Weinend sah ich Gold – und konnte nicht trinken –
Arthur Rimbaud
Was soll ich in diesem Haufen?
Wie bloß kam ich her, mein Gott?
Hab ich Rechte hier, ich brauch es –
Wechseln Sie mir doch mein Gold!
Ossip Mandelstam
Gold ist ein Fremdling auf der Erde. Es gehört nicht ursprünglich hierher, es ist ein Einsprengsel, das von fernen Himmelskörpern stammt. Es entstand beim Zusammenprall von Neutronensternen, es ist ein Relikt von sterbenden Sonnen. Durch Meteoriten schlug es in die Erdrinde ein. Gold ist also eine glänzende Frucht katastrophaler Kollisionen. Im Juni 2013 beobachteten Astronomen in einer 3,9 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie einen Gammablitz, der vermutlich von zwei zusammenkrachenden Neutronensternen verursacht wurde. Sie berechneten, dass dabei bis zu zehn Mondmassen (735 Trilliarden Kilogramm) Gold entstanden sein könnten und ins All geschleudert wurden. Auch unser irdisches Gold ist vor unvorstellbar langer Zeit so entstanden. Als himmlische Verschleuderung kam es in den Erdkern und in die Erdrinde, durch eine phänomenale Weltallslotterie.
In ihrer Frühphase wurde die Erde von zahllosen Himmelskörpern bombardiert, die sie mit Edelmetallen anreicherten. Zeitpunkt: vor ungefähr 4,5 Milliarden Jahren. Wie Forscher des Southwest Research Institute in Colorado darlegen, sollen Dutzende von Impaktereignissen – von Urkörpern, die zum Teil mehr als 3000 Kilometer Durchmesser aufwiesen – die Erdmasse vergrößert haben. Sie haben also gleichsam etwas liegen lassen und zur endgültigen Gestalt der Erde beigetragen. Zu der Zeit hatte sie längst ihren Kern gebildet, die schweren Metalle sanken ins Zentrum ab. Die Forscher vermuten, dass sich dort der Löwenanteil der irdischen Edelmetalle befindet.
Woraus der Kern genau besteht, wissen wir Erdbewohner trotz aller Wissenschaft noch immer nicht genau, wir wissen nicht, was uns im Innern zusammenhält. Metallisch soll er sein, aus Eisen und Nickel bestehen, aber nicht homogen. Jedenfalls ist ein rein goldenes Herz der Erde unwahrscheinlich, obwohl dort die vermutlich größten Goldvorkommen liegen. Auch was wir wissen, wissen wir nicht seit langem, noch nicht einmal seit hundert Jahren.
Der Kern hat einen Durchmesser von 6942 Kilometern, sein Volumen beträgt ein Sechstel der ganzen Erde, aber er ist von hoher Dichte, macht ein Drittel der Erdmasse aus, also wiegt unser Zentrum sehr schwer. Die dänische Erdbebenforscherin Inge Lehmann fand 1936 die Grenze zwischen dem festen inneren und dem flüssigen äußeren Kern. Die Kern-Mantel-Grenze liegt in 2900 Kilometern Tiefe, Erdbebenwellen haben auf deren Spur geführt. Anbohren nicht empfohlen. Keine Sorge: Die tiefste, auf der russischen Halbinsel Kola bewerkstelligte Bohrung erreichte 1989 eine maximale Tiefe von »nur« 12,262 Kilometern.
Aber als Traum existiert das Vordringen zum Kern eben doch, Jules Verne hat ihm in seinem Roman Reise zum Mittelpunkt der Erde 1864 Ausdruck verliehen. Dort steigt das Team um den Hamburger Professor Otto Lidenbrock in den isländischen Vulkan Snaefellsjökull, gelangt zu einem unterirdischen Meer und findet monströse Pilze und urzeitliche Pflanzen, gerät in einen gewaltigen Sturm und findet durch den Krater des Stromboli bei Sizilien wieder auf die Erdoberfläche zurück. Wohl eher ein phantastisches Höhlenerlebnis als eine erfolgreiche Gold-Expedition: Eine verwirrte Kompassnadel war schuld. Aber Jules Verne träumte insgeheim weiter vom Goldbauch der Erde. In seinem Nachlass fand sich ein Roman mit dem Titel Der Goldvulkan, der 1906 postum veröffentlicht wurde. Die Gold ausspuckende vulkanische Kraft aus dem Innern der Erde war Vernes beharrliches Phantasma. Summy und Ben, zwei Goldschürfer in Dawson City, wollen natürlich reich werden, doch der mysteriöse Vulkan, dessen Ausbruch sie mit einer gewaltigen Explosion künstlich auslösen, spuckt am Ende sein ganzes Gold zurück ins Meer. Wieder nichts. Die Erde hat sich ausgespuckt, doch nicht zum Vorteil der Goldgierigen.
Einschläge in späteren Wachstumsphasen waren dann für die Edelmetalle in den äußeren Erdschichten verantwortlich. Durch die Relikte des Zusammenstoßes von fernsten Himmelskörpern wurde der Erdmantel mit Gold gleichsam veredelt. Auch das gehört zu seinem Mythos. Gold ist nicht von hier, es ist selten und wird selten bleiben. Nach den gewaltigen Aufprallereignissen ruht es als Berggold in Gesteinsschichten, als Waschgold in Flüssen. Sein Anteil in der festen Erdkruste beträgt ungefähr vier Gramm auf tausend Tonnen Gestein. Goldkörner oder Goldklumpen sind die Ausnahme, meist steckt Gold in Legierungen mit anderen Metallen.
Der Abbau ist deshalb ungeheuer mühsam und aufwendig – und für die Umwelt ein Desaster, mit gewaltigen Eingriffen in gewachsene Landschaften, in das gesamte Ökosystem. Tausende Tonnen bewegtes Gestein – und das ist nur der Anfang. Zwanzig Tonnen Gestein müssen zermahlen werden, um eine einzige Unze Gold (31,1 Gramm) zu gewinnen. Die Goldminen in Südafrika gehen bis in viertausend Meter Tiefe, die Minenarbeiter wühlen bei extremer Hitze in Stollen unter der südafrikanischen Savanne in den Eingeweiden der Erde. Weitere Minen liegen über die Welt verstreut, in China, Australien, Russland, Kanada, Peru, Indonesien. Keine Industrie hinterlässt so tiefe Wunden in der Landschaft wie der Goldabbau.
Für ein Kilogramm gewonnenes Gold fallen zehn bis zwanzig Tonnen Kohlendioxid an. Das Edelmetall wird mit hochgiftigem Zyanid herausgelöst, Verbindungen der Blausäure. Kleinschürfer setzen Quecksilber ein, vergiften die Umwelt – und sich selbst. Für ein paar Krümel Gold. Gold selbst ist nicht giftig, es spiegelt Unschuld vor, aber denkt man an seinen Abbau – eine phänomenale Giftschleuder.
Das Problem wird immer bestehen: Um Gold zu gewinnen, nimmt man enorme Umweltschäden in Kauf. Die illegalen Grabungen im Amazonas-Gebiet, etwa in der Region Madre de Dios (übersetzt: Muttergottes!), wo der Goldabbau mit großflächigen Abholzungen des Regenwaldes einhergeht, sind nur ein Beispiel. Die Lungen der Erde werden auch durch Goldgrabungen durchlöchert.
Zwar gibt es auch Scheideanstalten, die nur Gold recyceln, d. h. aus hochwertigem Goldschrott gleichsam »neues Gold« machen. Mehr als zwei Drittel der Goldgewinnung stammen aus Bergwerken, es ist »Primärgold«, der Rest kommt aus der Wiederverwertung. Die Ökobilanz fällt dabei natürlich besser aus als beim Bergbau. Dank seiner Leitfähigkeit und chemischen Unveränderlichkeit ist Gold in Elektronik und Computertechnik, im Herzen der Prozessoren und in USB-Sticks unersetzlich. Keine Informatik, keine Raumfahrt ohne Gold. Auch das süße Handy will Gold in seinen Innereien …
Ein konkretes Beispiel für überzeugendes Recycling: die olympischen Sommerspiele 2021 in Japan. Hier wurden im Vorfeld aus vielen Tonnen Elektroschrott, den die Japaner in großen, im ganzen Land verteilten Sammelboxen gespendet hatten, 32 Kilogramm Gold, 4100 Kilogramm Silber und 2700 Kilogramm Bronze gewonnen und daraus insgesamt 5000 olympische Medaillen im Wert von drei Millionen Euro hergestellt. Selbst Olympia lernt sparen und recyceln. Auch dafür sollte es eine Goldmedaille geben.
Die bisher in der Gesamtgeschichte der Menschheit geförderte Goldmenge beträgt ungefähr 200.000 Tonnen. Ein verblüffend schlicht anmutender Würfel von nur einundzwanzig Metern Seitenlänge könnte aus dem gesamten Gold der Menschheit geformt werden. Als imaginäres Monument seiner Seltenheit. Zwei Drittel davon wurden jedoch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gewonnen, sie verraten also einen besonderen Goldhunger unserer Zeit, neben gesteigerten industriellen Fertigkeiten.
Das lateinische Wort aurum hat sich in die romanischen Sprachen fortgesetzt (or, auro), das deutsche »Gold« geht auf die indogermanische Wurzel ghel zurück, die »gelb« und »glänzend« bedeutet. Das Visuelle, der helle gelbe Glanz also hat hier das Wort bestimmt. Aber Vorsicht: Gold ist bei aller lautlichen Nähe zum »Geld« wortgeschichtlich nicht damit verwandt, Letzteres stammt aus dem althochdeutschen gelt, das noch in »Vergeltung« und »Entgelt« hörbar ist. Gold beharrt auf seinem eigenen Ursprung, seiner eigenen Wortgeschichte.
Das chemische Element Nr. 79 im Periodensystem ist weich, aber schwer. Von hoher Dichte, leicht dehnbar und formbar, sein Schmelzpunkt nicht einmal besonders hoch: 1064,18 Grad. Gold ist schon in seiner chemischen Anlage ein Paradox. Weich und formbar, aber ohne chemische Reaktion: Es reagiert nicht auf den Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen, rostet nicht, zersetzt sich nicht. Es reagiert überhaupt nicht, es ruht in sich selbst, eignet sich ideal für Schmuck, Statuen, Münzprägungen, Grabbeigaben. Schwer und weich und unzerstörbar: Jeder Verwitterung trotzend, ist es ein permanenter Widerstand gegen alle Vergänglichkeit, eine goldene Verkörperung der Ewigkeit.
Die Maßeinheit für den Feingehalt oder die Reinheit des Goldes wird in Karat gemessen: 24 Karat bedeutet die höchste Reinheit, tritt Gold vermischt mit anderen Metallen auf (Silber, Kupfer), nimmt diese Reinheit naturgemäß ab, 18 Karat meint: Dreiviertel Gold, das andere Viertel besteht aus einem anderen Metall. Es ist praktisch unmöglich, alle Verunreinigungen zu eliminieren, deshalb steht auf Feingoldbarren die ominöse Zahl »999,9«, die eine größtmögliche Annäherung an höchste Reinheit bezeichnet. Reinheit und Unreinheit auch im moralischen Sinne – sie liefern sich in der Kulturgeschichte des Goldes einen unerbittlichen Kampf.
Gold ist das Metall der Superlative, es scheint die Superlative anzuziehen wie ein Magnet. Platon (428 bis 347 v. Chr.) gibt in seinem späten Dialog Timaios das Muster vor: »Von allen Körpern ist das aus den feinsten und gleichmäßigsten Teilen entstandene, dichteste, einzigartige, in glänzend gelber Farbe leuchtende, köstlichste Besitztum: das Gold.« Aber schon aus der Antike kommen warnende Stimmen. Gold ist ein Prüfstein für den Menschen, zeigt seine gelassene Souveränität oder die Gefährdung durch die Gier. Es ist ein Metall, das an ihm zehrt, das ihn verzehrt. Der griechische Dichter Pindar (520 bis 446 v. Chr.) bezeichnet zwar Gold als »Götterkind«, aber es ist ein Spross mit Zersetzungspotential: »Gold ist ein Kind des Zeus; weder Motten noch Rost verzehren es – aber der Geist des Menschen wird von diesem kostbarsten Stoff verzehrt.«
Gold trägt die Geschichte eines merkwürdigen Außerirdischen in sich. Geschenk oder Überbleibsel einer himmlischen Verschleuderung. Der größte bekannte Goldnugget übrigens wurde 1869 in Australien gefunden und wog siebenundneunzig Kilogramm. Er bekam einen sprechenden Namen verpasst: Welcome Stranger. Willkommen, Fremdling!
Ein karges Bündel auf dem Rücken, mit verbeultem Frack und elegantem Spazierstöckchen, obligater Krawatte und schwarzer Melone, trippelt er durch eine Eiswüste. Wo sind wir hingeraten? Eine Schrifttafel verkündet: »Drei Tage von Irgendwo«. Wir sind im hohen Norden des amerikanischen Kontinents, zur Zeit des Goldrauschs von 1897 am Klondike River in Yukon, wo Städte über Nacht entstehen und jeden Tag neue Horden von Goldschürfern herangespült werden. Bald hat er gegen Schneegestöber, eisige Kälte und quälenden Hunger anzukämpfen und wird in eine lottrige Holzhütte geweht. Dort muss er sich gegen den vor Hunger fast wahnsinnigen, bärengleichen Goldschürfer Big Jim wehren, der ihn für ein Huhn hält und ihn verspeisen will. Er weiß sich zu helfen, kocht seinen rechten Schuh, verspeist mit stoischer Miene und gelegentlichem Schluckauf die Sohle, leckt als vermeintlicher Gourmet die Nägel ab und rollt die Schnürsenkel auf seine Gabel, als wären es Spaghetti – während der verdrießlich dreinschauende Big Jim das üppigere Leder-Oberteil des Schuhs abbekommt. Vorerst glücklos, aber einfallsreich, wird er seinen Weg gehen.
Richtig geraten: Wir sind in Charlie Chaplins hinreißendem Stummfilm Goldrausch von 1925, einem wahren Goldstück der Filmgeschichte. Wer könnte die verblüffende Szene vergessen, in welcher der einsame Goldschürfer im Traum die appetitlichen Brötchen an zwei Gabeln tanzen lässt? Und keine Angst: Es wird alles gut. Charlie wird mit seinem linkischen Charme den Aufschneider im prächtigen Pelzmantel ausstechen und doch noch die Tänzerin Georgia, die ihn zuerst übersehen und dann aus Langeweile versetzt hat, für sich gewinnen. Als Teilhaber von Big Jims riesigem Goldberg wird er gleichsam über Nacht Multimillionär. Auf dem Rückfahrerschiff mit dem bezeichnenden Namen Success wird er von einem Reporter gebeten, für ein Foto noch einmal seine Landstreicherkleider anzuziehen, posiert kokett darin und purzelt dann eine Treppe hinunter genau vor die Füße seiner schönen Georgia. Der Kapitän schimpft den vermeintlichen blinden Passagier heftig aus, die Angebetete will für dessen Fahrkarte bezahlen und ahnt nicht, dass der Tramp inzwischen ein gemachter Mann ist. Das Missverständnis ist rasch aufgeklärt. Der von der Kamera des Reporters eingefangene Kuss beendet rasant jedes schlimme Missgeschick und alles erlittene Unglück.
Nicht jedes Goldschürferdrama ging in Wirklichkeit so heiter aus. Das Unglück kennt verschlungene Wege. Was haben Sägespäne mit Goldnuggets zu tun? Eine Sägemühle in Kalifornien spielte eine gewichtige Rolle in der Geschichte des Goldrauschs. Der Zimmermann James Wilson Marshall sollte für den Schweizer Auswanderer und Großgrundbesitzer Johann August Suter (1803 bis 1880) in dessen rasch aufgeblühter Kolonie mit dem malerischen Namen »Neu-Helvetien« eine Sägemühle am American River bei Coloma errichten. Der Ort lag hundertfünfzig Kilometer nordöstlich eines elenden, damals noch mexikanischen Fischerdorfes namens San Francisco. Am Morgen des 24. Januar 1848 sah er im Sand der Baugrube unter seiner Schaufel etwas aufblitzen, das er vielleicht besser nicht gesehen hätte.
Er stieß auf einen – nicht einmal besonders spektakulären – Goldnugget. Der unglückliche Marshall wird damit völlig unerwartet einen historischen Wirbelsturm auslösen, den großen kalifornischen Gold Rush. Suter, sein Arbeitgeber und schwerreicher Herrscher über »Neu-Helvetien«, hatte bereits erstaunliche Höhen und Tiefen erlebt. Nach dem Konkurs seines Tuchwarenhandels in Burgdorf in der Schweiz wurde er von den bernischen Behörden wegen Betrugs steckbrieflich gesucht und hatte es eilig, vom Horizont zu verschwinden, wobei er seine Frau und seine fünf Kinder als lästiges Gepäck zurückließ. Mit einunddreißig Jahren war er 1834 über Paris und Le Havre, wo er sich auf dem Dampfer mit dem hoffnungsfrohen Namen Espérance einschiffte, nach New York ausgewandert, schlug sich mehr schlecht als recht durch und brach schließlich ins noch unerforschte Kalifornien auf. Nach unermesslichen Strapazen und Kämpfen gegen die indianischen Ureinwohner schaffte er es, sich dort weiträumige Ländereien zur Bewirtschaftung überschreiben zu lassen. »Neu-Helvetien« florierte rasch auf dem fruchtbaren Boden, geschützt von einer soliden Festung, dem »Fort Suter«, und einer privaten Söldnertruppe. Aus dem gesuchten Betrüger und stolzen Kolonisten, der schon bald als »Kaiser von Kalifornien« betitelt wurde und als reichster Mann der Welt galt, wurde allerdings recht schnell ein tragischer Pechvogel.
Statt Sägespänen sollten dem Vorarbeiter und seinem Patron bald die Schreckensnachrichten um die Ohren fliegen. Suter beschwor seine Arbeiter, den unverhofften Fund nur ja nicht auszuplaudern. Leider – und vorhersehbar – ohne Erfolg. Die Nachricht vom Goldfund verbreitete sich wie ein Lauffeuer, »Telegraphen sprühen die goldene Verheißung über Länder und Meere«, wie der Schriftsteller Stefan Zweig es ausdrückte. Glücksucher und Hasardeure aus der ganzen Welt brachen nach Kalifornien auf, um dort vermeintlich zu immensem Reichtum zu gelangen. Schiffseigner warben in den verarmten europäischen Ländern für Reisen zum Goldrausch nach Kalifornien. Kein Weg war zu weit, die Schiffe kamen von überall her. Ganze Siedlerströme, tausend und ein langer Tross von Planwagen machte sich von der Ostküste Amerikas nach Kalifornien auf, ins trügerische Eldorado aller Träume, nach Kalifornien, das noch heute den Ehrentitel Golden State trägt. Die Zeit drängte. Wer zuerst seinen Claim absteckte, sein Schürfrecht beanspruchte, war schneller im erhofften Himmel unermesslichen Wohlstands angekommen, der allerdings mit Blut und Wahnsinn bezahlt werden wollte.
Das Wort rush bedeutet »Hast« und »Hetze«, die lautliche Nähe zum deutschen Wort »Rausch« ist ein nach dem Wortsinn falscher, aber passender Goldnugget. Denn der Rausch, der Abertausende von Menschen ergriff, ruinierte Abertausende von fanatischen, mit Spitzhacke, Schaufel und Goldwaschpfanne bewehrten Goldschürfern, die oft nicht einmal mehr Zeit fanden, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Nur die wenigsten wurden reich, der Goldrausch stürzte die meisten in abgrundtiefes Elend.
Scharen von Goldschürfern drangen auf Suters weitläufige Ländereien vor, der sich gegen den Ansturm schlicht nicht wehren konnte. »Neu-Helvetien« versank in Gier und Gewalt, es wurde zu einer Zone, in der es kein Recht und keine Ordnung mehr gab. Die goldgierigen Menschenschwärme ruinierten Suters Imperium in Windeseile, der »Kaiser von Kalifornien« verlor seinen riesigen Grundbesitz und starb verarmt. Ein amerikanisches Drama, geradezu die Verkehrung des amerikanischen Traums vom glänzenden sozialen Aufstieg.
So erging es den meisten kalifornischen Glücksrittern. Was sie erwartete, war Schmutz, Elend, Erschöpfung, Krankheit, Gewalt und Verbrechen – und in Ausnahmefällen ein paar Körnchen des glänzenden Metalls. Die in kürzester Zeit gewachsene Stadt San Francisco brannte mehrmals, die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal, Ratten und Ungeziefer vermehrten sich rasch, die Cholera brach aus. Das bei der Goldgewinnung freigesetzte Quecksilber vergiftete zudem Seen und Flüsse. Schon 1854, sechs Jahre nach Marshalls Fund, wurde der Goldabbau industriell betrieben, das Goldfieber der kleinen privaten Goldschürfer flackerte ein letztes Mal auf und erlosch. Wer heute Blue Jeans als Beinkleidung mag, trägt meist ohne es zu wissen ein Relikt des Goldrauschs, denn Levi Strauss aus dem oberfränkischen Buttenheim bei Bamberg erfand die blaue strapazierfähige Hose ausdrücklich für Goldsucher. Ihm wenigstens brachte die Auswanderung ins fiebrige San Francisco Glück. Besser als Gold war – die Hose.
Die idyllische Sutter’s Mill ist heute ein Nationalheiligtum, trägt den stolzen Namen Marshall Gold Discovery State Historic Park und gehört zu den gehätschelten staatlichen Parks Kaliforniens. Schließlich hat die bescheidene, vom Zimmermann Marshall errichtete Sägemühle Geschichte geschrieben. Goldgier gehört zur Geschichte des amerikanischen Kontinents, sie ist Teil des Gründungsmythos der Vereinigten Staaten wie jene Passage vom »Streben nach Glück«, pursuit of happiness, das die amerikanische Verfassung jedem Bürger zuerkennt.
Johann August Suter erlitt als gedemütigter Kaiser von Kalifornien einen spektakulären Ruin, doch fand er als tragische Figur Eingang in die Werke erstrangiger Schriftsteller. Stefan Zweig setzte ihm in der Erzählung Die Entdeckung Eldorados ein Denkmal, das er 1929 in die berühmte zwölfteilige Sammlung Sternstunden der Menschheit aufnahm. Zweig verhehlt weder die euphorischen Aufschwünge noch den tragischen Abstieg, die das Schicksal des berühmten Kolonisten bestimmten. Vom »Kaiser« zum »enttäuschtesten Bettler dieser Erde«, wie Zweig ihn nennt, der vor Drastik nicht zurückschreckt: »Der Rush, der menschliche Heuschreckenschwarm, die Goldgräber. Eine zügellose, brutale Horde, die kein Gesetz kennt als das der Faust, kein Gebot als das ihres Revolvers, ergießt sich über die blühende Kolonie.«
Ein eindrucksvolles Monument für Suter schuf auch dessen Schweizer Landsmann, der 1887 in La Chaux-de-Fonds geborene, 1961 in Paris verstorbene Dichter Blaise Cendrars, indem er ihm 1925 einen ganzen Roman widmete, der zu einem Welterfolg wurde. Der Dichter Yvan Goll übersetzte ihn und machte ihn auch im deutschen Sprachraum berühmt: Gold. Die fabelhafte Geschichte des Generals Johann August Suter. Cendrars, unter seinem richtigen Namen Frédéric-Louis Sauser, war ein helvetischer Weltenbummler und Abenteurer. Im Ersten Weltkrieg verlor er seine rechte Hand, als er als Fremdenlegionär auf französischer Seite kämpfte. In »General Suter« muss er einen lohnenden tragischen Abenteurer gewittert haben. In seinem Gold-Roman gibt es einen Brief Suters, in dem er die Katastrophe, die auf ihn niederbrach, zu verstehen versucht: »Nach diesem Spatenstich verließ mich alles … Das Gold aber ist verflucht und alle, die herkommen, um es zu suchen, sind verflucht, denn die meisten verschwinden, niemand weiß wie. Alle diese letzten Jahre war das Leben hier eine Hölle. Nur noch Mord, Totschlag und Diebstahl. Es gab niemanden, der sich nicht auf Räuberei verlegt hätte. Viele sind verrückt geworden oder haben Selbstmord verübt. Und das alles für Gold, dasselbe Gold, das sich nachher in Schnaps verwandelt und Gott weiß in was nachher … Das Tier der Apokalypse geht im Lande um und jedermann ist voller Erregung … Ich war der reichste Mann der Welt, das Gold hat mich ruiniert.«
Das Tier der Apokalypse – eine wahrlich dramatische Bezeichnung des Goldfiebers. Am Schluss in religiösen Wahn verfallend, lallt in Cendrars’ Roman der bald sterbende Schweizer Kolonist, der alles verloren hat, aufreibende Prozesse führen muss und schließlich nur noch die umstehenden Straßenkinder beschenken will, die Worte: »Wenn ich gewinne … gebe ich euch all das Gold, das mir zukommt, ein gerechtes, ein gereinigtes Gold. Gottes Gold.« Und Blaise Cendrars’ Roman endet mit den Worten: »Wer will Gold? WER WILL GOLD?«
Am kalifornischen Gold klebten so viel Schmutz und die Spuren roher Gewalt, dass der Traum vom »gerechten« und »gereinigten« Gold wie ein tiefer Wahn anmuten muss. »Gottes Gold«? Wie könnte das götzenhaft verehrte und begehrte Gold je wieder neu und rein werden nach dem kalifornischen Inferno? Was bleibt, sind die literarischen Spuren bei Zweig und Cendrars – beide fasziniert vom Phänomen des Goldrauschs, bei dem der Mensch dem Menschen als gieriger Wolf erscheint.
Aber lassen wir einen Schriftsteller nicht unerwähnt, der tatsächlich bei einem Goldrausch dabei war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er immerhin der meistgelesene Autor der Welt, seine Abenteuerromane Ruf der Wildnis (1903) und Wolfsblut (1906) erreichten Millionen lesehungrige Jugendliche und vom Aufbruch in die Wildnis träumende Erwachsene: Jack London (1876 bis 1916). In San Francisco geboren, in bitterer Armut aufgewachsen, schuftete er schon als Kind für zehn Cent die Stunde in einer Konservenfabrik, war Austernpirat, Robbenjäger, Kohlenschaufler. London nahm 1897 am gewaltigen Goldrausch am Klondike River teil, er litt schwer an den Strapazen der Goldschürferexistenz, erkrankte an Skorbut und musste völlig mittellos nach Kalifornien zurückkehren. Der von ihm ergatterte Goldstaub erbrachte ganze vier Dollar fünfzig. Die einzige Goldmine, die er fortan ausbeuten konnte, waren seine eigenen Erlebnisse in den autobiographisch grundierten Romanen Lockruf des Goldes (1910) – sein erfolgreichstes Buch – und Alaska-Kid (1912).
Aber wer hätte sich ausmalen können, dass das Thema des kalifornischen Goldrauschs noch bis in die Gegenwartsliteratur gelangen könnte? Der Büchner-Preisträger Jan Wagner feierte am 26. Juni 2017 eine Premiere. Sein Hörspiel Gold. Eine Revue wurde auf der Bühne eines Frankfurter Theaters uraufgeführt, danach mehrmals in Rundfunkanstalten ausgestrahlt und als Hörbuch veröffentlicht. Es ist ein »lyrisches Stimmenspiel« mit packenden Musikeinlagen à la Dreigroschenoper zwischen Goldgräbern und Glücksrittern in einem der über Nacht entstehenden Städtchen in Kalifornien zur Zeit des Goldrauschs. Wagners Stimmenspiel ist die »Revue zum Rausch«, in der »die Lebenden und auch die längst vergessenen Toten, verscharrt in der Erde, ein letztes Mal reden dürfen, so wie auch das Gold, das bleibt, während die, die es suchten, vergingen«. Und auf den Punkt gebracht vom Dichter selbst in einem kompakten klassischen Vers: »Wo nichts von Dauer ist, bin ich noch da und bleibe.« Es ist das Gold, das spricht.
Der Goldrausch ist also radiophonisch bis in die Gegenwartsliteratur vorgedrungen, weil sich in ihm Menschliches-Allzumenschliches kristallisiert und bricht, Lust und Gier und Verderben und Verfall. Goldrausch als repräsentatives Phänomen der Menschheit. Warum aber steht er zu Beginn dieser Umschau in der Kulturgeschichte des Goldes? Weil das irrationale Element in seinem Wesen – Maßlosigkeit, Gier, Fieber, Rausch und Wahn – nicht zu leugnen, nicht zu verdrängen ist. Weil Gold menschliche Abgründe offenbart, eine unwiderstehliche Lockung darstellt, die zu Abstieg, Verkommenheit, Verelendung führen kann. Ein Gang durch die Kulturgeschichte des Goldes bedeutet immer eine doppelte Geschichte – von Glanz und Gier, Höhenflug und Absturz.
Gold ist ein ganz realer Stoff, sichtbar, betastbar, eher geschmacklos, sicher geruchlos. Das ist natürlich ironisch gemeint, denn in einer Epoche der digitalen Kryptowährungen scheint die Bemerkung nicht überflüssig. Von ihren Adepten werden sie als »digitales Gold« bezeichnet, was wohl eher eine Majestätsbeleidigung für das göttliche Metall sein dürfte. Auch sprachlich ist es eine Flunkerei. Aber ist nicht auch die Bezeichnung »Betongold« für Immobilienbesitz ein irres Paradox? Beton ist Beton. Doch Gold scheint sich auch als patent gebräuchliche Metapher in diversen Bereichen anzubieten. Schwarzes Gold (Erdöl, Kaviar, Trüffel), weißes Gold (Salz, Lithium, Porzellan), grünes Gold (Olivenöl), blaues Gold (Solarzellen), rotes Gold (Safran) usw.
Die Verächter der Kryptowährungen betrachten sie als bloßes Spielgeld ohne inneren Wert oder Wertbeständigkeit, ungedeckt und schwindsüchtig. Als einen aus dem Nichts geschaffenen, puren Wahn. Von hoher Volatilität, bei der immerzu der endgültige Absturz drohe. Die kopflose »Krypto-Vergottung«, sagen sie, werde in die Hölle alias den Totalverlust führen. Tatsächlich scheint ihnen nicht einmal religiöses Vokabular abwegig. Ein bloßer Spuk, der vorbeigehen werde. Sie seien kein Wertaufbewahrungsmittel, kein Wertspeicher wie das gute alte Gold. Als »Rattengift hoch zwei« bezeichnet der amerikanische Großinvestor Warren Buffett die Kryptowährungen. Das neue Phänomen scheint auch die Metaphernprägungen zu beflügeln.
Ist das der neue Goldrausch, der Goldrausch unserer Zeit? Ein neues Kalifornien, ein neuer Klondike? Oder wird es am Ende des Spuks auch hier nur sterbende Sonnen geben? Es sind unvorstellbare Mengen von künstlich geschaffenem »elektronischem Geld« weltweit in der Luft. Die Loopings der Kryptowährungen bedeuten eine neue Etappe nach den sogenannten Fiatwährungen, den deckungsfreien Papierwährungen, die ein als Tauschmittel eingesetztes Objekt ohne inneren Substanzwert bezeichnen. »Nur Gold ist Geld. Alles andere ist Kredit!«, verkündete der amerikanische Bankier John Pierpont Morgan im Jahr 1912. Es bleibt bis heute das Credo der Gold-Verehrer in der von Kryptowährungen betörten, zuweilen sturmgepeitschten Finanzwelt.
Am 15. August 1971 stoppte der damalige US-Präsident Richard Nixon die im Jahr 1944 mit dem Bretton-Woods-Abkommen festgelegte Goldbindung des Dollars. Eine kapitale historische Wende. Der »Nixon-Schock« erschütterte die Welt – Amerika brauchte viel neues Geld für den Vietnamkrieg. Im Jahr 1972 empfahl der Internationale Währungsfonds seinen Mitgliedern die Aufhebung der Golddeckung der Währungen, der »Goldstandard« wurde abgeschafft. Währungen und Wechselkurse waren gleichsam von der Leine gelassen, seither erfüllt das Geräusch der Notenpresse die Luft eines zitternden Systems.
Gold ist das Gegenteil von Fiatgeld, es hat neben dem äußeren Tauschwert auch einen unbestreitbaren inneren Wert. Und das seit Jahrtausenden. Aber auch der Wert des Goldes beruht auf Konvention. Es hat immer nur den Wert, den die Menschen ihm zu geben bereit sind, und er ist keine absolute Größe.
Als arabische Karawanen im Mittelalter von Nordafrika aus mit ihren Kamelen die Sahara durchquerten und über dreitausend Kilometer zurücklegten, um das begehrte Metall aus den westafrikanischen Minen einzuhandeln, waren sie schwer bepackt mit einem lebensnotwendigen Gut, das dort so geschätzt wurde, dass die Einwohner Guineas bereit waren, es mit Gold aufzuwiegen: Salz, das »weiße Gold«. Der als »Goldküste« bekannte Landstrich, der heute zu Ghana gehört, hatte jedoch noch ein anderes Tauschmittel anzubieten. Die Kamelkarawanen brachten auch das zurück, was unter dem zynischen Ausdruck »schwarzes Gold« bekannt wurde: Sklaven. Eine verstörende Assoziation von Mensch und Metall – der Mensch als bloße Ware, die anderen Menschen Gold einbringen soll. Weißes Gold gegen schwarzes Gold, und immer ist als abgründige Metapher das glänzende Metall im Spiel.