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»Edgar, wir schrumpfen!«
Im 7. Band der FREEDOM-Reihe geraten Paluten und sein bester Freund Edgar in ein gigantisches Abenteuer: Erst werden sie von einer rätselhaften Maschine auf Käfergröße geschrumpft — dann schlittern sie zwischen die Fronten eines erbitterten Insektenstreits. Können sich die beiden Freunde retten? Und steckt womöglich ein fieser Plan hinter allem? Ein neues Abenteuer wartet — mit Illustrationen von Irina Zinner und 12-teiligem Poster zum Heraustrennen und Puzzeln.
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Seitenzahl: 202
PALUTEN
FREEDOM
DAS grosse schrumpfen
Über die Autoren:
Paluten ist einer der erfolgreichsten YouTuber Deutschlands. Aus seinem Minecraft-Projekt FREEDOM entstand eine komplette Welt, die Millionen von Zuschauern begeisterte. In »Das große Schrumpfen« kehrt er in diese Welt zurück, um mit seinem besten Freund Edgar neue Abenteuer zu erleben!
Klaas Kern mag Raumschiffe, Segelschiffe und alle anderen Fortbewegungsmittel, die ihn zu fremden Orten bringen. In Minecraft ist er allerdings meist zu Fuß unterwegs – mit dem Pferd fällt man einfachzu oft in irgendwelche Schluchten. Wenn er nicht gerade durch FREEDOM wandert, dann lebt der freie Autor mit seinen Hunden in Hamburg und denkt über neue Abenteuer nach.
Über die Illustratorin:
Irina Zinner ist freiberufliche Illustratorin aus Hamburg und illustriert alles, was ihr zwischen die Finger kommt. Dazu gehören eigene Comicprojekte und Illustrationen, die sie auf Instagram veröffentlicht, aber auch Auftragsarbeiten für Buchverlage, Trickfilme und Adventure-Games.
1. Auflage
© 2023 Community Editions GmbHWeyerstraße 88–9050676 Köln
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe,Tonträger aller Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten. Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Die Inhalte dieses Buches sind von Autoren und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kanneine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung von Autoren und Verlag für Personen-, Sach-und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Dies ist kein offizielles Minecraft-Produkt. Es ist nicht von Mojang genehmigt oder mit Mojang verbunden.
»Minecraft« and all its graphics are trademark or registered trademark of Mojang Synergies AB.© 2009–2023 Mojang.
Umschlaggestaltung und Illustration: © Irina Zinner
Abbildung Autorenfoto: © Boris Lehfeld
Redaktion: Jessica Kleppel
Satz: Achim Münster, Overath
Gesetzt aus der DINPro und der Yearbook Solid.
Gesamtherstellung: Community Editions GmbH
978-3-96096-955-6
www.community-editions.de
Moin, Leute!
Herzlich willkommen zurück in der, äh, klitzekleinen Welt von FREEDOM!
Ihr habt richtig gelesen, ein Abenteuer in Miniaturgröße wartet auf euch: Grashalme so groß wie Bäume, gefährliche Krähen und ... das findet ihr schon selbst raus! Euer Pdizzle aka Palle aka Patrick :)
- 1 -
Etwas stimmte nicht.
Paluten kam es so vor, als würde eine dunkle Wolke über ihm hängen. Er schob den leeren Teller von sich weg und seufzte.
Sein bester Freund Edgar1 und dessen Frau Claudia2hatten ihn zum Abendessen eingeladen. Claudia hatte ein neues Rezept ausprobiert, einen Karotten3-Kartoffel-Auflauf mit viel Käse. Zusammen hatten sie die große Schüssel fast bis zum Boden leer gegessen.
Edgars Sohn Edgar Junior4 und Palutens kleine Hündin Sally5 hatten das Wohnzimmer schon lange verlassen und spielten im Garten. Man hörte sie durch das geschlossene Fenster lachen und bellen.
»Was ist los?«, fragte Edgar.
Paluten seufzte erneut. Eigentlich hätte er das Abendessen mit seinen Freunden genießen sollen, doch er kam einfach nicht in die richtige Stimmung. Er ahnte, woran das lag.
»Denk mal an die letzten drei Wochen, Edgar«, bat er.
Das Schwein nickte.
»Sind wir da einmal vor etwas Gefährlichem weggelaufen?«, fragte Paluten.
Edgar schüttelte den Kopf.
»Haben wir einmal um unser Leben gefürchtet?«
Sein bester Freund dachte einen Moment nach. »Nein«, antwortete er dann.
»Waren wir einmal in einer brenzligen, ausweglosen Lage, aus der wir wie durch ein Wunder entkommen sind?«, fuhr Paluten fort.
Edgar hob den Huf, als würde er sich in der Schule melden. »Was ist mit dem Nachmittag, als du auf den Apfelbaum geklettert bist und wir General Dieter6holen mussten, weil du nicht mehr runterkamst?«
Paluten dachte an die leckeren roten Äpfel, die ganz oben im Baum gehangen hatten. Natürlich hatte er die pflücken wollen. Es wäre auch bestimmt alles gut gegangen, wenn nicht einer der Äste unter ihm abgebrochen wäre. General Dieter hatte das halbe Dorfd7in seine Rettung einbezogen und sogar eine Tafel mit Einsatzplan und Missionszeichnung aufgestellt. Das war Paluten immer noch ein bisschen peinlich.
Er räusperte sich. »Wie wäre es mit einer anderen brenzligen, ausweglosen Lage?«
»Mir fällt keine ein.« Edgar zuckte mit den Schultern.
Paluten nickte eifrig. Endlich konnte er der dunklen Wolke, die auf seine Stimmung drückte, einen Namen geben. »Wir stecken in einer Abenteuerflaute!«, verkündete er.
»Einer was?«, rief Claudia aus der Küche. Der Geruch nach Zimt und warmem Gebäck breitete sich im Wohnzimmer aus. Anscheinend holte sie gerade ihre berühmten Zimtschnecken aus dem Ofen.
»Einer Abenteuerflaute«, wiederholte Paluten. »Einem Mangel an Abenteuern.«
Edgar rieb sich den vollen, runden Bauch. »Also, mir mangelt es an nichts«, erklärte er zufrieden. »Höchstens am Nachtisch.«
Da trabte Claudia bereits aus der Küche ins Zimmer. Sie trug ein Tablett mit vier Zimtschnecken und einem großen Hundekeks für Sally im Mund. Vorsichtig stellte sie alles auf dem Tisch ab.
»Es gibt hier genug Abenteuer«, sagte sie. »Ihr braucht nur ein bisschen Fantasie.«
Paluten sah sie erwartungsvoll an. »Was schlägst du denn vor?«
Claudia wischte sich die Hufe an ihrer Schürze ab und ging zum Fenster. »Ihr könntet zum Beispiel im Garten zelten. Das ist ganz schön gruselig, wenn es dunkel wird. Oder ihr sucht das unsichtbare Huhn, das Professor Ente8 verloren hat. Oder …«
Sie hielt inne, öffnete das Fenster und rief: »Junior, Sally, Nachtisch!«
»Oder ihr geht in die alte Mine und sucht nach Diamanten«, fuhr sie fort, als sie zum Tisch zurückkam. »Es gibt so viele Möglichkeiten.«
Paluten versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Claudia meinte es gut, aber das waren keine richtigen Abenteuer. Abgesehen von dem unsichtbaren Huhn vielleicht. Das war wenigstens eine Herausforderung, wenn auch …
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als die Tür zum Garten aufflog. Edgar Junior und Sally stürmten herein. Die kleine Hündin sprang Paluten sofort auf den Schoß, während sich Edgars Sohn auf die Zimtschnecke stürzen wollte.
»Erst werden die Hufe gewaschen«, ordnete Claudia an.
Junior warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Gebäck, lief aber in die Küche. Währenddessen streichelte Paluten Sally und gab ihr den Keks. Sie legte sich kauend auf seine Oberschenkel.
Nach einem Moment kam Junior zurück. Er wirkte auf einmal müde, so als hätte er sich nicht nur den Dreck, sondern auch die Aufregung abgewaschen. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und biss in die Zimtschnecke, die ihm Claudia auf den Teller gelegt hatte.
»Danach gehst du wohl besser ins Bett«, sagte Edgar.
Junior hob den Kopf und sah Paluten an. »Liest du mir noch etwas aus meinem neuen Lieblingsbuch vor?«, fragte er.
»Wir haben ihm zum Geburtstag eine Sammlung von Geschichten über archäologische Ausgrabungen geschenkt«, erklärte Claudia. »Er legt das Buch kaum noch aus der Hand, so begeistert ist er davon.«
Das klingt ungefähr so spannend wie die Abenteuervorschläge, dachte Paluten, nickte aber. Er las Edgars Sohn gerne vor. Wichtig war, dass Junior das Buch gefiel, nicht ihm.
Keine zehn Minuten später saß er auf der Bettkante, während Junior sich die Decke bis zum Kinn zog. An den Wänden des Kinderzimmers hingen Poster, die sein Vater aus dem Schweinemuseum in Robotropolis9mitgebracht hatte: Schweine als Astronauten, Feuerwehrleute, Ritter und Entdecker.
Paluten nahm ein dickes Buch vom Nachttisch und schlug es beim Lesezeichen auf. »Soll ich hier weiterlesen?«, fragte er.
Junior nickte, drehte sich auf die Seite und nahm seinen Teddybären fest in den Arm.
»Die Geschichte heißt: ›Das Geheimnis der Grabkammer‹«, erklärte Paluten. Dann räusperte er sich und legte los: »Als Professor Jonas und seine Assistenten den schweren Stein zurückzogen, enthüllten sie damit ein zweitausend Jahre altes Geheimnis.«
Paluten setzte sich auf. Das klang gar nicht mal schlecht. »Der Tempel des Schlangengotts lag am Ende eines Felsenlabyrinths voller tödlicher Gefahren, aber auch voller Schätze und uraltem Wissen.«
Das wurde ja immer besser. Paluten las aufgeregt weiter. In seinem Kopf entstanden Bilder von unterirdischen Reichen und vergessenen Völkern, Truhen voller Diamanten und Dingen, die so fremdartig waren, dass er sie sich nicht einmal vorstellen konnte.
»… und so überwand Professor Jonas die Todesfallen des Schlangengotts. Ende.« Paluten atmete tief durch und klappte das Buch zu. Erst jetzt bemerkte er, dass Junior längst eingeschlafen war. Er war so in das Buch vertieft gewesen, dass er nichts anderes wahrgenommen hatte. Nicht einmal, wie viel Zeit vergangen war.
Doch das war egal. Paluten spürte, wie sich die dunkle Wolke über seinem Kopf auflöste. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Und er konnte es kaum erwarten, Edgar davon zu erzählen.
- 2 -
Mit dem Buch in der Hand stürmte Paluten aus Edgar Juniors Zimmer hinein ins Wohnzimmer. »Ich habe die Lösung für unser Abenteuerproblem!«, rief er begeistert.
Edgar und Claudia saßen Schulter an Schulter auf dem Sofa und dösten vor sich hin. Sally lag vor ihnen auf dem Teppich. Im Fernsehen lief Spiderschwein ohne Ton.
Palutens bester Freund öffnete verwirrt die Augen. Er warf einen kurzen Blick auf das Buch. »Du willst mehr lesen?«, riet er.
»Ich habe schon gelesen«, erklärte Paluten. »Deshalb bin ich ja auf die Idee gekommen.«
Nun hob auch Sally den Kopf und Claudia streckte sich. Edgar hüpfte vom Sofa, schüttelte sich und schaltete mit der Nase den Fernseher aus. »Was für eine Idee?«, fragte er.
Komisch, dachte Paluten. Er klingt gar nicht so begeistert, wie ich gehofft habe. Um genau zu sein, schwang ein Hauch von Besorgnis in Edgars Stimme mit. Doch das lag bestimmt nur daran, dass er so plötzlich aus dem Schlaf gerissen worden war.
Paluten räusperte sich, um seiner großen Ankündigung ausreichend Gewicht zu verleihen. »Wir werden Archäologen!«
Sally sprang auf und bellte erfreut, obwohl sie bestimmt nicht wusste, was ein Archäologe war. Edgar legte zweifelnd den Kopf schief, aber da mischte sich Claudia auch schon ein. »Also, ich finde das gut. Dabei könnt ihr sehr viel lernen. Ihr könnt antike Gegenstände abstauben, datieren und anschließend einem Museum stiften.«
»Das könnnnten wir tun«, erwiderte Paluten gedehnt. Er legte die Hand auf den Buchumschlag, als könnte er so die Abenteuer darin in die Realität holen. »Oder wir graben uns tief in die Erde, entreißen uralten Gemäuern ihre dunklen Geheimnisse, kämpfen gegen Geister und Ungeheuer und …«
Er unterbrach sich, als er Edgars vor Entsetzen aufgerissene Augen sah. »Dabei sind wir natürlich sehr vorsichtig und passen auf, dass uns nichts passiert«, fügte er rasch hinzu.
Nun runzelte Claudia die Stirn. »Das klingt trotzdem sehr gefährlich. Ich glaube nicht, dass Edgar das tun möchte.«
Es sah tatsächlich danach aus, denn das kleine Schwein hatte sich auf sein Hinterteil gesetzt und schüttelte energisch den Kopf. Paluten presste die Lippen aufeinander. Er wollte seinen besten Freund zu nichts überreden, was er nicht wollte. Auf der anderen Seite juckten seine Finger und sein Bauch kribbelte, wenn er an all die Abenteuer aus dem Buch dachte.
»Bist du denn gar nicht neugierig, was es in alten Ruinen zu entdecken gibt?«, fragte er.
»Doch, schon«, gab Edgar zu. »Ich habe Junior ja aus dem Buch vorgelesen, und das sind wirklich tolle Abenteuer. Doch ich habe auch Angst, dass uns etwas passieren könnte.«
»Hm«, machte Paluten nachdenklich. Anscheinend hatte Edgar zwar Lust auf Archäologie, traute sich aber nicht, weil ihm das zu gefährlich war. Wenn ihm doch nur ein Kompromiss einfallen würde …
Bevor er den Gedanken beenden konnte, klatschte Claudia in die Hufe. »Ich weiß, was ihr machen könnt«, sagte sie entschieden. »Paluten, warum lässt du Edgar nicht entscheiden, was ihm zu gefährlich ist? Wenn er nicht mehr weitergehen möchte, kehrt ihr um. Aber bis dahin könnt ihr alle Abenteuer erleben, auf die ihr Lust habt. Junior wird sich bestimmt freuen, wenn ihr sie ihm anschließend erzählt.«
Paluten grinste. So einfach konnte eine Lösung sein. Er streckte Edgar die Hand hin. »Ich bin einverstanden«, sagte er. »Und du?«
Das kleine Schwein ergriff seine Hand mit dem Huf und schüttelte sie. »Ich bin auch einverstanden.«
»Also dann!« Paluten sah ihn erwartungsvoll an. »Was wollen wir als Erstes erkunden? Du entscheidest.«
»Äh …« Edgar kratzte sich hinter dem Ohr. Die Frage schien ihn ein bisschen zu überrumpeln, aber sie war fair. Schließlich wusste nur er, was ihm zu gefährlich war und was er sich zutraute.
»Ähm … öh …« Das kleine Schwein richtete den Blick zur Decke, als stünde dort die Antwort auf seine Frage geschrieben. Dann leuchteten seine Augen plötzlich auf. »Wie wäre es mit der Burgruine oben auf dem Berg?«, schlug er vor. »Die ist doch alt, oder?«
Paluten nickte. »Die ist sogar sehr alt. Und das ist eine tolle Idee.«
Claudia warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu. »Hatte Junior beim Spielen auf den Feldern da oben nicht so merkwürdige Lichter gesehen?«
»Stimmt«, sagte Edgar. »Er hat beim Frühstück davon erzählt. Die Felder sind ja nicht mal in der Nähe der Ruine. Also müssen sie ziemlich hell gewesen sein.«
Das wurde ja immer besser! Eine alte Burgruine und merkwürdige Lichter. »Dann brechen wir am besten sofort auf.« Paluten konnte es kaum erwarten, die Ruine zu betreten. »Wenn es dunkel ist, sieht man die Lichter bestimmt richtig gut.«
Doch da hob Claudia mahnend den Huf. »Moment. Ihr beide habt versprochen, mir beim Spülen zu helfen. Die Burg steht seit vielen Hundert Jahren da oben. Die läuft bis morgen nicht weg, aber gespült werden muss jetzt.«
Damit hatte sie natürlich recht. Paluten hatte das wirklich versprochen. Er legte das Buch auf den Tisch, krempelte die Ärmel hoch und nickte seiner kleinen Hündin zu. »Sally, du holst die Geschirrtücher.«
Sie bellte und lief schwanzwedelnd vor in die Küche. Die beiden Schweine und der Kürbiskopf folgten ihr.
Letzter Abend vor dem Abenteuer, dachte Paluten aufgeregt. Der nächste Morgen konnte nicht schnell genug kommen.
- 3 -
Der nächste Morgen war da!
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages fielen durch das Schlafzimmerfenster, und draußen krähte ein Hahn. Palutens Augen waren bereits offen, bevor das heisere Krächzen verhallte. Sally gähnte ihn aus ihrem Körbchen verwirrt an, als er aus dem Bett sprang und sich die Stiefel anzog.
»Schlaf weiter, kleiner Fratz«, sagte er sanft. »Iggi10 holt dich nachher zum Spielen ab.«
Sally stellte die Ohren auf, als der Name des Golems fiel. Er und Edgar Junior waren ihre besten Freunde. Dann gähnte sie erneut und rollte sich wieder zusammen. Es war wirklich noch sehr früh.
Paluten strich ihr über den Kopf und ging zur Haustür. Sein fertig gepackter Rucksack lehnte daneben an der Wand. Er hatte ihn noch am Abend mit Proviant und ein wenig Ausrüstung befüllt. Die überprüfte er jetzt kurz: Käse, Brot, Claudias leckere Karotten-Muffins, Wasser, Seile, Kletterhaken, noch mehr Karotten-Muffins, Taschenmesser, Zollstock und zur Sicherheit ein paar Karotten-Muffins. Archäologie machte bestimmt hungrig.
»Sieht alles gut aus«, sagte Paluten zufrieden, als er sich den Rucksack über die Schultern warf und sein Schwert in den Gürtel schob. Er verließ das Haus, schloss leise die Tür, um Sally, die schon wieder döste, nicht aufzuwecken, und winkte Edgar zu, der gerade die Straße heruntertrabte. Sein kleiner Freund war wie immer pünktlich.
»Guten Morgen, Edgar«, grüßte er fröhlich, während er die beiden prall gefüllten Satteltaschen betrachtete, die von dem Schweinerücken herunterhingen. »Du hast aber ziemlich viel Gepäck dabei.«
Edgar nickte stolz. »Junior hat mir erklärt, was man als Archäologe alles mitnehmen muss. Das ist wirklich viel, aber jetzt sind wir bestens ausgerüstet und auf alles vorbereitet.«
Das glaubte Paluten ihm sofort. Er war sich nur nicht sicher, dass das kleine Schwein die ganze Ausrüstung tragen konnte. »Sind die Taschen nicht ein bisschen schwer für dich?«, fragte er vorsichtig.
Edgar warf ihm einen empörten Blick zu. »Ich bin ein Sportschwein. Du weißt doch, wie hart ich trainiere.«
»Du meinst, wenn du Claudias schwere Einkaufstüten tragen musst?«, hakte Paluten nach.
Sein bester Freund nickte. »Genau.«
Dann trabte er auch schon so schnell los, dass Paluten sich beeilen musste. Innerlich grinste der Kürbiskopf. Edgar wollte ihm wohl unbedingt beweisen, dass ihm die Satteltaschen nicht zu schwer waren.
So früh am Morgen war kaum jemand in Dorfd unterwegs. Sie begegneten nicht einmal einer Wache. Dafür entdeckte Paluten aber an vielen Häuserwänden Plakate, die am Tag zuvor noch nicht dort gehangen hatten.
Er sah sich eines näher an. GESUCHT!, stand da in großen roten Buchstaben. Und darunter:
Unsichtbares Huhn. Hört auf den Namen Klara.
Größe: ?
Gewicht: ?
Farbe: ?
Besondere Merkmale: unsichtbar
Bitte helft mir, Klara zu finden. Es gibt auch eine Belohnung!
gez. Professor Ente
»Wenn wir zurückkommen, sollten wir Professor Ente helfen, sein unsichtbares Huhn zu finden«, sagte Paluten, als er sich von dem Plakat abwandte.
»Du hast recht«, stimmte Edgar ihm zu. »Er macht sich bestimmt Sorgen.«
Kurz darauf verließen sie auch schon Dorfd. Vor ihnen gabelte sich die Straße. Rechts ging es zur Küste hinunter, links ins Landesinnere. Dort sah Paluten sanft geschwungene Hügel mit grünem Gras und hohen Bäumen. Die Burgruine konnte er dahinter zwar nicht erkennen, aber er wusste, dass sie nicht weit entfernt war.
Fröhlich pfeifend bog er nach links ab und ging voran. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, und er brach mit seinem besten Freund zu einem neuen Abenteuer auf. Besser konnte ein Tag nicht anfangen.
Doch als die Sonne höher stieg, der Weg steiler und die Luft wärmer wurden, gesellte sich ein neues Geräusch zum Vogelgesang. Ein seltsames Ächzen und Schnaufen. Als würde eine alte Dampflok hinter Paluten herfahren.
»Hörst du das?«, fragte er, noch während er sich umdrehte. »Das klingt …«
Paluten unterbrach sich, als er Edgars knallrotes Gesicht sah. Sein kleiner Freund schloss rasch den Mund, aber zu spät. Paluten hatte bereits erkannt, dass Edgar und keine Dampflok hinter ihm ächzte und schnaufte. Die Satteltaschen waren wirklich viel zu schwer für ihn.
Paluten nahm den Rucksack von den Schultern. »Hier drin ist genug Platz. Gib mir ruhig ein paar schwere Sachen.«
Edgar schüttelte den Kopf. »Ich kann das allein tragen.«
»Klar kannst du das«, erwiderte Paluten, »aber du musst es nicht. Dafür sind Freunde doch da, oder? Sie teilen sich Dinge, die allein zu schwer wären.«
»Hm, das stimmt natürlich.« Edgar zögerte einen Moment. »Aber du nimmst nur so viel, dass dir der Rucksack nicht zu schwer wird.«
»Einverstanden.« Paluten warf einen Blick nach vorn. Auf der Hügelkuppe stand ein großer Baum, in dessen Schatten Moos wuchs. Das sah weich und bequem aus.
Er zeigte darauf. »Wir können ja erst mal die schweren Sachen aus meinem Rucksack wegessen? Dann passt auch mehr rein.«
Edgars Magenknurren verriet ihm, dass das ein guter Vorschlag war. Sie hatten schließlich beide noch nicht gefrühstückt.
Das Moos unter dem Baum war genauso weich, wie es ausgesehen hatte. Während Paluten den Proviant aus dem Rucksack holte, warf er einen Blick durch das Laub zum nächsten Hügel. Und entdeckte die Burgruine.
Trotz des hellen Sonnenlichts ragte sie düster in den blauen Himmel. Die abgebrochenen Mauerzinnen sahen aus wie riesige, scharfe Zähne.
Wie das Maul eines Hais. Paluten schüttelte sich unwillkürlich bei dem Gedanken. Haie11 machten ihm Angst, aber zum Glück würde er in einer Burgruine weit weg vom Meer wohl kaum einem begegnen.
Edgar hatte die Burgruine ebenfalls bemerkt. »Schieht ganf fön grufelig auf, oder?«, nuschelte er mit vollem Mund.
Paluten winkte ab, obwohl er das auch dachte. Doch er wollte Edgar nicht nervös machen. »Ach was, das sind nur ein paar alte Steine.«
Edgar schluckte den Rest des Käsebrots herunter und sagte ernst: »Denk daran, was du versprochen hast. Wenn es zu gefährlich wird, gehen wir nach Hause.«
Paluten nickte ebenso ernst. »So ist es.« Dann sah er sich auf der kleinen Decke um, die sie zwischen sich ausgebreitet hatten. »Hast du etwa den ganzen Käse gegessen?«
Edgar legte sich erschrocken den Huf an den Mund. »Tut mir leid. Das habe ich gar nicht gemerkt.«
»Nicht schlimm. Dann ist der Rucksack wenigstens schön leicht.« Paluten lachte, und nach einem Moment grinste auch Edgar.
Wenig später brachen sie auf. Die finstere Burgruine kam mit jedem Schritt näher.
- 4 -
Aus der Nähe betrachtet war die Ruine gar nicht so finster, nur sehr, sehr schmutzig. Jahrhundertealter Dreck bedeckte die Mauersteine und Burgzinnen, vor denen Paluten stand. Das große Holztor hing schief in den Angeln. Die Fensterrahmen waren voll von Spinnweben, trockenem Laub und leeren Vogelnestern.
Hier ist wohl schon lange niemand mehr gewesen, dachte Paluten. Er ging an dem schiefen Tor vorbei und …
»Halt!«
Paluten hielt erschrocken inne, als er Edgars Warnruf hörte. Sein Fuß schwebte über dem schmutzig grauen Kopfsteinpflaster. »Was ist denn los?«, stieß er hervor, während er die Arme ausstreckte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Vor welcher Gefahr wollte Edgar ihn warnen? »Ist da eine Druckplatte?«, rief er. »Eine Stange TNT? Eine gefährliche Giftschlange? Ein Nest mit Skorpionen?«
»Dreck!«, verkündete sein bester Freund, als sei damit alles gesagt.
Paluten ließ den Fuß langsam sinken. »Dreck?«, fragte er verwirrt.
Edgar seufzte und trabte auf ihn zu. »Hast du denn gar nichts aus Juniors Archäologiebuch gelernt?«
»Ich habe mich vielleicht ein wenig von den Schatzkammern und den Statuen mit Giftpfeilen ablenken lassen«, gab Paluten kleinlaut zu. »Was hätte ich denn lernen sollen?«
»Dass Staub und Dreck die besten Freunde des Archäologen sind«, erklärte Edgar. »Hier herrschen perfekte Bedingungen, weil die Mauern und Vordächer vor Wind und Regen schützen. Je länger Dreck unberührt auf einer Oberfläche gelegen hat, desto älter ist alles darunter.«
Er drehte den Kopf und kramte mit seiner Schweinenase in einer der Satteltaschen herum. Dabei murmelte er suchend vor sich hin: »Hm, mal sehen. Pinsel? Lupe? Hufschuhe? Schutzbrille? Notizbuch …«
Paluten sah sich währenddessen in der Burgruine um. Sie war viel größer, als sie von unten ausgesehen hatte. Der gepflasterte Innenhof war mit Moos, Gras und Gestrüpp bewachsen. Überall summten Insekten. Die Mauern waren an einigen Stellen eingestürzt. Steine und Ziegel lagen zwischen Bäumen, in deren Wipfeln der Wind rauschte.
Das Hauptgebäude sah kaum besser als der Innenhof aus. Im Dach klafften riesige Löcher, durch die man die Balken sehen konnte. Risse durchzogen die grauen Mauern, und vor dem Eingang lag ein riesiger Steinhaufen.
»Die Tür ist blockiert«, stellte Paluten enttäuscht fest. »Da kommen wir nicht rein.« Dann kam ihm eine Idee und seine Augen leuchteten auf. »Außer wir sprengen die Steine mit TNT weg!«
Edgar hob entsetzt den Kopf. Er hatte sich eine große Schutzbrille auf die Nase gesetzt und hielt den Pinsel in einem Vorderhuf. Die Satteltaschen hatte er gegen eine Warnweste getauscht, deren Rücken mit großen, im Sonnenlicht leuchtenden Reflektoren versehen war.
»Du kannst doch nicht einfach irgendwas sprengen!« Edgar schnappte nach Luft. »Unter jedem dieser Steine könnte sich ein kleiner Schatz verstecken. Vielleicht ein tausend Jahre alter Fußabdruck oder eine alte Münze oder …«
»KRAAAAHHH!«
Kürbiskopf und Schwein zuckten zusammen, als sie das wütende Krächzen hörten. Etwas flatterte über sie hinweg und landete auf einer Mauerzinne.
»Krraaah!«
Eine Krähe, dachte Paluten. Und zwar eine ziemlich große, die auch noch schlecht gelaunt aussah. Ihre dunklen Augen funkelten wütend, und sie richtete ihren langen, spitzen Schnabel drohend auf die beiden Freunde.
»Kra-kraah!«
»Das soll wohl ›geht weg‹ heißen«, vermutete Edgar. Er musterte die Krähe misstrauisch. Sie merkte das und breitete die tiefschwarzen Flügel aus, um ihm Angst zu machen. »Kraah!«
Edgar wich erschrocken zurück.
Paluten stemmte die Hände in die Hüften und stellte sich zwischen Edgar und die Krähe. Er würde nicht zulassen, dass sie seinen kleinen Freund einschüchterte.
»Das ist nicht deine Ruine«, sagte er mit fester Stimme. »Du wirst uns hier nicht vertreiben. Sieh dich mal um. Es stört niemanden außer dir, dass wir hier sind.«
Das stimmte. Die Schmetterlinge tanzten weiter im Wind, die Bienen flogen gelassen von einer Blume zur nächsten, und die Grashüpfer taten, was auch immer Grashüpfer tun. Dass Fremde unter ihnen waren, interessierte sie nicht.
Die Krähe plusterte sich auf, wagte es aber nicht, den deutlich größeren Paluten anzugreifen. Stattdessen krächzte sie ein letztes Mal mürrisch und flog auf den Wipfel einer Tanne.
Edgar lugte hinter Palutens Beinen hervor. »Ist sie weg?«
»Ja. Die kommt bestimmt nicht wieder.« Er erinnerte sich an sein Versprechen. »Du weißt ja, Edgar: Wenn es dir zu gefährlich wird, musst du es nur sagen. Dann gehen wir nach Hause.«
Das kleine Schwein schüttelte tapfer den Kopf. »Archäologen lassen sich nicht so einfach verjagen. Wir sind im Namen der Wissenschaft hier!«
Paluten grinste unwillkürlich. Edgar nahm das wirklich sehr ernst. »Dann machen wir jetzt Archäologie.«
Zehn Minuten später fielen Paluten vor Langeweile fast die Augen zu. Edgar staubte immer noch mit seinem kleinen Pinsel den ersten Pflasterstein ab. Wenn er so weitermachte, würde es dunkel sein, bevor sie das Hauptgebäude erreichten.