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Sophie ist reif für die Insel. Frisch getrennt und seit kurzem auch ohne Job, braucht die junge Kinderärztin erst einmal Urlaub. Auf Rügen kommt sie im entzückenden Ferienhaus der 81-jährigen Katharina Hag unter. Rasch freunden sich die beiden unterschiedlichen Frauen an. Sophie ist begeistert von den vielen Geschichten und Ratschlägen der alten Dame. Kann sie hier auf der Insel eine neue Heimat finden? Vielleicht sogar mit Katharinas Patensohn Michael, der ihr die Insel zeigt? Doch dann entfährt Sophie entsetzt, dass Michael nicht mehr frei ist ...
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Das Buch
Der Welt entfliehen, am Ostseestrand zwischen Dünen und wunderschönen Wildrosen. Das kann die Kinderärztin Sophie mit ihrer Tochter Mona wirklich gut gebrauchen, nachdem sie von ihrem Mann sitzengelassen wurde und ohne Job ist. In Karow auf Rügen nisten sich Mutter und Tochter im Ferienhäuschen der 81-jährigen Katharina Hag ein. Sophie kümmert sich liebevoll um ihre Vermieterin, und bald schon beginnt sie sich zwischen reetgedeckten Häusern und den prächtigen Dünenrosen heimisch zu fühlen. Sie weiß, hier kann ihr ein Neustart gelingen. Als Katharina ihr dann den warmherzigen Architekten Michael vorstellt, scheint auch eine neue Liebe möglich. Doch Michael ist bereits verlobt. Nur ein verschwundenes Gemälde verknüpft die Schicksalswege der beiden erneut …
Die Autorin
Carin Winter hat Medizin studiert und mehrere Jahre als Ärztin in einem Dorf gearbeitet; später entdeckte sie die Lust am Schreiben. Teile ihrer Familie stammen von Rügen, ein Großonkel war dort auch Arzt. Carin Winter lebt in Weil der Stadt.
In unserem Hause sind von Carin Winter bereits erschienen:
Die Inselärztin
Die Liebe der Inselärztin
Die Inselärztin und das Glück
Carin Winter
Das Haus
hinter den
Dünen
Eine Liebe auf Rügen
Ullstein
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ISBN 978-3-548-28606-8
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage April 2014
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © mauritius images/ib/Daniel Schoenen (Landschaft); © Novarc Images/Alamy (Haus); © Getty Images/Olli-Pekka Orpo (Frau)
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Die echten Dünenrosen sind nicht mehr häufig anzutreffen. Sie sind einheimische Wildrosen und wachsen an Nord- und Ostsee auf kargem Boden, meist oben auf den Dünen, in niedrigen, dichten Sträuchern. Im Mai öffnen sich unzählige cremeweiße Blüten mit goldenen Staubfäden und wunderbarem Duft. Sie bekommen rote kleine Hagebutten, die sich im Herbst schwarz färben. Die echte Dünenrose übersteht auch harte Winter. Trotzdem wird sie mehr und mehr von einer asiatischen Sorte Dünenrosen und vor allem von der Kartoffelrose oder Kamtschatkarose mit ihren kräftigen Farben und dem hohen Wuchs verdrängt.
1
Sophie Hesekiel, vierunddreißig Jahre alt, Kinderärztin und alleinerziehende Mutter, lag in ihrem Bett unter der Decke und vergoss Tränen der Enttäuschung und der Wut. Sie war gerade darüber informiert worden, dass Dr. Winterkorn, bei dem sie seit zwei Jahren als Assistentin arbeitete, seine Kinderarztpraxis an ein Ehepaar verkauft hatte. Die beiden brauchten sie nicht mehr zur Entlastung. Und für drei Ärzte war die Praxis einfach zu klein.
Das war eine schlimme Nachricht, denn nun stand sie ohne den Arbeitsplatz da, an dem sie sich so glücklich gefühlt hatte und den sie eigentlich noch viele Jahre hatte behalten wollen.
Sie wusste schon länger, dass Dr. Winterkorn seine Praxis verkaufen musste, aber sie war voller Zuversicht gewesen, bei einem neuen Eigentümer weiterbeschäftigt zu werden.
Doch an diesem wunderschönen Julitag, der so verheißungsvoll mit strahlender Sonne und kleinen weißen Sommerwölkchen begonnen hatte, brach der Telefonanruf mit dieser niederschmetternden Mitteilung ihres Chefs wie ein Sturmtief über sie herein. Und nun lag sie unter der Decke und wollte von der Welt nichts mehr wissen.
Nach einer Weile wurde ihr klar, dass sich so nichts ändert. Schließlich hatte sie schon mehrere Tiefpunkte in ihrem Leben überwunden und die Erfahrung gemacht, dass es nur einen Weg gab: Man musste sich selbst ans Werk machen, um wieder Oberwasser zu bekommen. Sie seufzte tief, hob die Decke an, holte sich ihr Tagebuch aus dem Nachttisch und setzte sich auf.
In dieses Tagebuch hatte sie sich schon öfters ihren Kummer von der Seele geschrieben. Und das Aufschreiben ihrer Enttäuschungen und ihres Unglücks hatte ihr in schwierigen Zeiten viel zuverlässiger als ein Rückzug unter die Bettdecke geholfen, ihre Krisen zu überwinden und sich einen neuen Weg zu suchen. Wenn sie ihn dann gefunden hatte und wieder auf Deck erschien, um Wind und Wellen des Lebens zu trotzen, notierte sie kurz unter die Seiten der Mutlosigkeit, dass ihre Flaute vorbei war, und zeichnete eine lachende Sonne dahinter. Anschließend klappte sie das Tagebuch zu und legte es wieder zurück an seinen Platz, wo es in aller Geduld ausharrte, bis sie es erneut brauchte.
Dr. Winterkorn, das wusste sie, hatte nicht kalten Herzens so gehandelt. Es gab keine anderen Interessenten für die Praxis als dieses Arzt-Ehepaar. Und es war ihm sicher sehr schwergefallen, den beiden die Praxis zu übergeben, weil Sophie dadurch ihren Arbeitsplatz verlor.
Dr. Winterkorn war mehr als ein Chef für Sophie gewesen. Er hatte sie von Anfang an unter seine Fittiche genommen wie ein gütiger Vater, ihr seine Fachkenntnisse vermittelt, sie getröstet, wenn ihr das Schicksal von einem kleinen Patienten sehr naheging oder wenn sie Probleme hatte. Und er hatte ihr schon sehr bald zugetraut, selbständig die kranken Kinder zu untersuchen und zu versorgen. Viele Mütter fanden es ganz gut, zur Abwechslung einmal von einer Frau beraten zu werden. Er konnte auch manchmal kurz und heftig aufbrausen, wenn er meinte, dass seine Assistentin nicht aufmerksam genug gewesen war, oder wenn sie zu schnell ein Antibiotikum verschrieb, denn man müsse mit so schweren Geschützen zurückhaltend sein. Aber kurze Zeit später lachte er dann schon wieder. Sein rundes Gesicht bekam kleine Fältchen um die Augen, und er klopfte ihr so heftig auf die Schulter, dass Sophie fast in die Knie ging. Er war ein korpulenter Mann mit dichten grauen Haaren, aber seine kräftigen Finger konnten auch ganz sanft sein und jede schmerzhafte Stelle bei einem Kind vorsichtig ertasten.
»Mädchen«, sagte er oft, »das beste Arbeitsmittel eines Arztes sind seine Hände, seine Augen, seine Fantasie und seine Erfahrung. Du wirst das auch noch lernen.«
Genau das wollte sie, eine gute Kinderärztin werden, und sie war auf dem besten Weg dazu. Aber dann, vor einem halben Jahr, hatte Dr. Winterkorn einen Unfall gehabt. Er war in seinem Garten gestürzt und so unglücklich mit dem Rücken auf eine kleine Steinmauer gefallen, dass er sich zwei Wirbel angebrochen hatte. Seither gab es immer wieder Tage, an denen er nicht in die Praxis kommen konnte, weil seine Schmerzen zu stark waren.
Und da er inzwischen fünfundsechzig Jahre alt war, hatte er sich mit seiner Frau und Sophie beraten und beschlossen, die Praxis ganz aufzugeben. Das Ehepaar wollte danach zu seinem Sohn an den Gardasee ziehen. Das warme Klima und auch das angenehm temperierte Wasser würden seinem Rücken guttun.
Sophie war schon bewusst gewesen, als sie vor zwei Jahren bei ihm eine Teilzeitstelle als Assistentin annahm, dass sie bei einem älteren Kollegen mit Veränderungen würde rechnen müssen. Aber so schnell hatte sie es nicht erwartet. Dr. Winterkorn hatte sich wochenlang bemüht, jemanden in der Umgebung zu finden, bei dem Sophie hätte weiterarbeiten können. Aber bis jetzt hatte sich nichts ergeben.
Sophie hörte auf zu schluchzen und schnäuzte sich kräftig die Nase, dann holte sie tief Luft und setzte sich auf die Bettkante. Sie schlug die letzten beschriebenen Seiten in ihrem Tagebuch auf. Was da stand, war über zwei Jahre her und der Beginn einer guten Zeit.
»Hurra«, hatte sie notiert, »ich habe eine Teilzeitstelle als Assistentin in Thedinghausen. Ein ganz schnuckeliger kleiner Ort, nicht allzu weit weg von Bremen, mit vielen Dörfern in der Umgebung. Dr. Winterkorn hat mir auf Anhieb gefallen und ich ihm auch. Und das Schönste ist: Seine Frau will sich um Mona kümmern, wenn ich noch in der Praxis bin und der Kindergarten schließt. Bin ich ein Glückskind? Ich bin ein Glückskind!« Der Text endete mit der obligaten Sonne, die dann über ein Jahr lang geschienen hatte.
Sie blätterte nicht weiter um, sie wollte noch einmal an diese glückliche Zeit denken. Ja, damals hatte sie eine erfreuliche Zukunft vor sich gesehen mit Leonardo, dem Vater ihres Kindes, der in Bremen ein beliebtes, gut gehendes Restaurant besaß. Sie hatten Pläne geschmiedet, sich irgendwo zwischen Bremen und Thedinghausen eine gemeinsame Wohnung zu suchen.
Sophie hatte die ganze Gegend um den kleinen Ort Thedinghausen erkundet, Patienten aus allen zwölf Ortsteilen kennengelernt und mit Mona und Leonardo das Schloss besucht, den Taubenturm und das Packhaus. Sie hatten zusammen sonnige Tage im einzigartigen Baumpark verbracht und viel gelernt über die dreihundertfünfunddreißig Arten Laubbäume, die dort im Laufe der Jahre angepflanzt worden waren. Sie war mit Mona mit der Museumsbahn nach Bremen gefahren, und die Einkaufszentren in Verden oder Achim kannte sie in- und auswendig. Thedinghausen lag nicht in der Pampa! Jeder Arzt oder jede Ärztin müsste sich eigentlich die Finger danach lecken, wenn hier eine Kinderarztpraxis verkauft wurde. Warum stürmten sie nicht zur Tür herein und riefen: Hier? Warum wollten alle bequem in der Großstadt sitzen und dort das dicke Geld machen?
Das einzig ernsthafte Angebot war von diesem Ehepaar gekommen, und nun hatte Dr. Winterkorn keine Wahl gehabt und ihnen zugesagt.
Aus ist der Traum von einer Weiterbeschäftigung und vielleicht sogar von einer Gemeinschaftspraxis mit einer Kollegin, dachte Sophie, und schon wieder kullerten die Tränen. Und ein paar galten auch Leonardo, denn auch er war nicht mehr da. Aber daran wollte sie jetzt nicht mehr denken.
Sie klappte das Tagebuch wieder zu und starrte aus dem Fenster. Draußen schien immer noch die fröhliche Julisonne und passte überhaupt nicht zu ihrer trüben Stimmung. Ein Gewitter mit Sturm und Regen würde jetzt besser passen. Aber das Wetter nahm darauf keine Rücksicht.
Nach einer Weile ging sie ins Wohnzimmer, setzte sich an den ovalen Tisch und blätterte in dem Tagebuch noch einmal ein paar Seiten zurück.
Wie oft war bei ihr schon Land unter gewesen? Und wie war sie jedes Mal wieder auf festen Boden gekommen?
Ihre schwäbische Großmutter fiel ihr ein, die immer gesagt hatte: »Das Fallen ist keine Kunst, aber das Wiederaufstehen.« Die schwäbische Großmutter lebte nicht mehr und war weit weg im Süden begraben, im Schwarzwald. Aber im Herzen war sie Sophie immer noch nahe.
Der Schwarzwald hatte seinen festen Platz in Sophies Herzen, auch wenn sie seit über dreizehn Jahren nicht mehr dort gewesen war. Schließlich war sie in der Nähe von Freiburg geboren und aufgewachsen, und irgendwann einmal wollte sie mit Mona in diese wunderbare Gegend fahren und ihr alles zeigen.
2
Nach dem Abitur hatte es Sophie in Richtung Bremen verschlagen. Da war sie bereits zwanzig Jahre alt gewesen. Gymnasium und Studium hatten ihre Eltern für sie eigentlich von Anfang an ausgeschlossen. Die kleine Bäckerei hatte gerade mal für den Lebensunterhalt gereicht. Trotzdem dachte sie jeden Tag daran, ihr größtes Ziel nie aus den Augen zu lassen: Sie wollte Ärztin werden, Kinderärztin, und wenn möglich dazu einen netten Kollegen heiraten und mit ihm zusammen eine Praxis aufmachen.
Immerhin durfte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin machen, wenigstens ein kleiner Schritt in die Richtung, die sie sich so leidenschaftlich wünschte.
An dem Tag, an dem sie zum ersten Mal das Krankenhaus betrat, wo sie alles über Pflege lernen würde, hatte sie begonnen Tagebuch zu führen. Sie versprach sich und dem Tagebuch, das Abitur nachzuholen und es irgendwie zu schaffen, danach Medizin zu studieren.
Sophie sah man es nicht an, dass sie so fest entschlossen ihre Ziele verfolgen konnte. Sie hatte eine zarte Haut, helle, lange Haare, die sie zu einem Zopf geflochten trug, der im Rücken fast bis zur Taille reichte. Sie wirkte eher zerbrechlich als stark, aber das täuschte. Mit viel Fleiß und Energie schaffte sie alle Prüfungen, und ein halbes Jahr nachdem sie nun Fachkraft für Krankenpflege war, hatte sie dann auch das Abitur in der Tasche und einen Studienplatz für Medizin in Bremen. Dort lernte sie Kris, Medizinstudent im dritten Semester, kennen. Er war groß, blond und sehr charmant.
An dieser Stelle klebte im Tagebuch ein Foto, das von Kris und ihr gemacht worden war, als sie beide glücklich und voller Unternehmungslust waren: Sophie, zwanzig Jahre alt, mit langem Zopf, im geliebten Flatterrock, strebt eifrig auf die Uni zu. Ihr Gesicht, das sie auf dem Foto strahlend Kris zuwendet, wird von kleinen Löckchen eingerahmt, und sie strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Auch Kris lacht sie an, und im Hintergrund sieht man eins der großen Gebäude, wo sie beide Medizin studieren würden.
Sophie schaute vom Heft hoch und zum Fenster hinaus. Der strahlend blaue Himmel wölbte sich über dem Apfelbaum vor ihrem Balkon. Im Herbst würde sie wieder ihre geliebten Boskoops ernten. Die Äpfel sahen auf den ersten Blick nicht sehr attraktiv aus, aber wenn man dann hineinbiss, konnte man nur selig die Augen schließen. Für Kenner waren sie einzigartig im Geschmack. Das hatte Leonardo einmal gesagt und sie dabei viel sagend angesehen. Aber an Leonardo wollte sie jetzt nicht denken.
Sie betrachtete noch einmal das Foto vor der Bremer Uni. Die praktische Frisur trug sie auch heute noch, und auch ihre Vorliebe für lange Röcke war geblieben. Nur ihr Gesicht war ein wenig schmaler geworden und herber, nicht mehr so weich wie früher.
Sie blätterte weiter. Auf den Seiten standen nur wenige Sätze. Ein Brief von ihrer Mutter lag dazwischen, in dem sie Sophie mitteilte, dass sie am Packen sei, um nach Neuseeland zu reisen. Und es stehe in den Sternen, ob und wann sie zurückkommen würde. Sie wollte sich einen lang ersehnten Traum erfüllen.
Sophie war damals zwar bestürzt gewesen, weil sie nie daran gedacht hätte, dass sich ihre Eltern einmal trennen würden. Aber sie war mit dem Studium und ihrer Liebe zu Kris so glücklich, dass sie nicht lange darüber nachgrübelte und auch nicht viel ins Tagebuch schrieb. Sie konzentrierte sich auf ihr Leben, das ihr viele gute und glückliche Jahre verhieß.
3
Ein Jahr lang waren Sophie und Kris eifrige Studenten und glücklich miteinander. Doch dann verliebte sich Kris in eine andere Frau. Sie war dunkelhaarig und konnte es sich wie Kris leisten, auch einmal ein Bummelsemester einzulegen, oft auszugehen und Prüfungen zu verschieben. Sophie hingegen wollte so schnell wie möglich ihr Studium durchziehen und musste dazu noch Geld verdienen. Sie arbeitete tageweise als Pflegerin und schob Nachtwachen. Dann hatte sie keine Lust mehr, in einer Kneipe herumzusitzen, und so ging Kris alleine und lernte Gina kennen.
Sophie war wochenlang unglücklich, und prompt füllten sich die Seiten im Tagebuch wieder mit verzweifelten, aber auch zornigen Sätzen, Ausrufezeichen und vielen Tränen. Erst nach langer Zeit entschied sie, dass das Leben auch ohne Kris weiterging und gar nicht mal so schlecht war. Man konnte sich an vielen Dingen erfreuen, auch ohne ihn. Aber sie wollte nicht so schnell wieder in eine neue Liebe hineinrutschen, das nahm sie sich fest vor. Erst einmal hatte das Examen Vorrang und die Weiterbildung zur Kinderärztin.
Sophie schlug das Tagebuch wieder zu, stand auf und sah auf die Uhr. Sie musste Mona vom Kindergarten abholen. Es ging auf Mittag zu, und nach dem Essen wollte Dr. Winterkorn mit ihr noch einiges besprechen. Sie legte das Tagebuch in die Schublade zurück, ging ins Bad und wusch sich das Gesicht. Als sie sich im Spiegel betrachtete, zog sie eine Grimasse. Dann lief sie mit entschlossenen Schritten die Treppe hinunter und durch den kleinen Vorgarten ihrer Vermieterin Richtung Ortsmitte. Eine alleinerziehende Kinderärztin ohne Arbeitsplatz, ohne Brüder, Schwestern, zahlungskräftige Eltern oder Erbtante war fast ein kleiner Weltuntergang. Aber irgendwie würde sie es auch diesmal schaffen, das Wiederaufstehen. Es war nur die Frage, wie und wann.
Als Sophie durch die Pforte zum Kindergartenspielplatz trat, kam Mona ihr freudig entgegengerannt. Sie schwenkte ein Blatt Papier, auf das sie eine Katze gemalt hatte. Mit fünf Jahren konnte sie bereits richtig gut zeichnen, und eine Katze wünschte sie sich schon lange.
»Genau so soll sie aussehen«, erklärte sie, »weiß mit schwarzen Flecken und schwarzen Pfötchen. Sie soll Melli heißen. Wann kriege ich endlich eine, Mama?«
Sophie stöhnte innerlich. Das Thema Katze war im Moment alles andere als aktuell. Bevor sie nicht wusste, wie es mit ihr weitergehen würde, war an so ein Tier nicht zu denken.
»Wir gehen jetzt erst mal zu Dr. Winterkorn«, erwiderte Sophie. »Dort kannst du mit Racker spielen, und über eine Katze sprechen wir, wenn dein Geburtstag in Sicht ist, in Ordnung?«
Damit habe ich mich ganz gut aus der Geschichte gezogen, dachte Sophie. Monas Geburtstag war im Dezember, und bis dahin hatte sie noch viel Zeit.
Racker, so hieß der Hund von Dr. Winterkorns Frau Erna, war eine kleine freche Mischung aus Dackel und Terrier und für Mona ein wunderbarer Spielkamerad im Garten. Nur leider weniger zum Schmusen geeignet, dafür hatte Racker keine Zeit und keine Lust. Und Mona war auch eher ein Wirbelwind, und so passten die beiden ganz gut zusammen.
»Aber wir könnten doch schon mal ein Katzenkörbchen kaufen und kleine Schüsseln fürs Fressen«, schlug Mona vor.
Sophie blieb stehen und ging vor ihrer Tochter in die Hocke. »Hör zu, Mona«, sagte sie eindringlich, »bei uns wird es eine Veränderung geben. Ich weiß noch nicht, ob wir überhaupt hier in Thedinghausen bleiben können. Vielleicht müssen wir umziehen, und bevor ich das nicht weiß, kaufen wir noch nichts.«
»Ich mag aber nicht umziehen«, entgegnete Mona heftig. »Mir gefällt es hier.«
»Mir auch, aber das wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen, ob wir hierbleiben können.«
Mona schwieg eine Weile nachdenklich, dann meinte sie: »Wenn Tante Erna und Onkel Roland an den Gardasee gehen, gefällt es mir vielleicht doch nicht mehr so gut hier, dann können wir auch woanders wohnen.«
Dass das Arztehepaar zu seinem Sohn nach Italien ziehen wollte, wusste sie schon länger, und sie war traurig darüber. Sie hatte sich im Haus Winterkorn von Anfang an wohlgefühlt, und »Tante Erna« und »Onkel Roland« gehörten für sie zur Familie.
Sie hat keine Oma und keinen Opa, dachte Sophie bedauernd. Meine Eltern sind geschieden. Mein Vater sitzt wieder verheiratet im Südschwarzwald fest und kämpft dort ums Überleben seiner Bäckerei. Und von meiner Mutter kommt ab und zu ein Brief aus Neuseeland. Sie ist seit Jahren nicht mehr hier gewesen.
Sophie spürte eigentlich erst seit Mona auf der Welt war die Enttäuschung darüber, dass keine Großeltern da waren, weder von ihrer Seite noch von der Leonardos, der jetzt irgendwo in Sizilien bei seiner Familie in den Weinbergen lebte. Für seine Eltern war Sophie nichts anderes gewesen als eine vorübergehende Bettgenossin, die sie ihrem Sohn gönnten, aber die sie niemals als seine Frau akzeptieren würden. Das hatten sie ihm immer wieder in Briefen und Telefonaten eindeutig klargemacht. Und dass er seit fünf Jahren eine Tochter hatte, die er sehr liebte, das hatte er ihnen nie erzählt. Aber an Leonardo wollte sie, verflixt noch mal, jetzt wirklich nicht denken.
Sie hätte ihre Mutter gebraucht damals, als sie schwanger wurde. Sophie war noch mitten in der Weiterbildung zur Kinderärztin gewesen und neunundzwanzig, als Mona auf die Welt kam. Sie hatte gehofft, dass ihre Mutter auf diese Neuigkeit hin zurückkommen würde. Aber die hatte andere Pläne. Sie arbeitete am anderen Ende der Welt wieder in einer Bäckerei, und wenn sie genug Geld zusammenhatte, reiste sie durch Neuseeland. Das war ihr gutes Recht, aber trotzdem, Sophie vermisste sie, und Mona kannte ihre Großmutter bisher nur von Fotos.
4
Der Juli in diesem Sommer war heiß, aber Sophie liebte solche Sonnentage. Ihr Rock aus einem hellblauen luftigen Baumwollstoff flatterte ihr um die Füße. Sie trug Sandalen und ein Top mit schmalen Trägern. Ihre Haut war schon seit Wochen leicht gebräunt. Zum Glück bekam sie selten einen Sonnenbrand wie so viele andere blonde Frauen.
Sie sah zu Mona, die neben ihr her hüpfte, und wunderte sich wieder einmal, solch eine Tochter zu haben. Mona war groß für ihr Alter, mit dunklen kurzen Haaren und völlig auf Jeans und Shirts festgelegt. Man hatte null Chance, sie zu einem Kleid oder einer Bluse überreden zu können. Und dabei gab es so hübsche Sachen für Mädchen. Aber nein, selbst jetzt in der Hitze hatte sie auf Jeans bestanden, die sie oberhalb ihrer verschrammten Knie abgeschnitten hatte. Sie spielte Fußball mit allem, was sich rollen ließ, und kletterte auf jeden Baum. Manchmal kam es Sophie so vor, als hätte man ihr Kind im Krankenhaus vertauscht. Dabei waren es wahrscheinlich nur die Gene ihres Vaters Leonardo, dem sie so ähnlich war. Immerhin hatte sie auch sein sonniges Gemüt geerbt und seine Unbekümmertheit.
Deswegen hatte sich Sophie auch damals, als die Trennung von Kris nach langer Zeit überwunden war, in diesen gut aussehenden Italiener verliebt. Er war das genaue Gegenteil von Kris – dunkel, eifrig bestrebt, ihr zu gefallen, und bei aller Leichtigkeit auch zielbewusst. Er betete sie an, und das tat ihrer angekratzten Seele so gut.
Leonardo besaß ein kleines, gut gehendes Restaurant in Bremen mit drei Mitarbeitern. Sophie bereitete sich gerade auf die Prüfungen vor, als sie ihn kennenlernte. In den Semesterferien arbeitete sie weiterhin als Pflegerin im Krankenhaus. Und wenn sie frei hatte, ging Leonardo mit ihr tanzen oder shoppen oder an der Weser entlang spazieren. Er nahm sich Zeit für sie. Und er war stolz auf sie und stolz auf sich und sein Restaurant, und beide verband sie die Begeisterung für ihren Beruf.
Die Liebe hielt, obwohl viele von Sophies Bekannten und Freundinnen immer wieder den Kopf schüttelten und Leonardo der Tochter eines reichen Weingutbesitzers in Italien versprochen war. Sowohl ihre Familie als auch seine drängten ihn zwar immer mehr zurückzukommen. Aber er wollte mit Sophie zusammen in Bremen bleiben und war zuversichtlich, dass seine italienische Familie das eines Tages verstehen würde.
Sophie bestand ihre letzten Examen, bekam ihre erste feste Stelle im Krankenhaus als Assistenzärztin und verdiente endlich genug Geld zum Leben. Und dann wurde sie schwanger, und Leonardo und sie waren noch glücklicher als bisher, denn Mona war ein Wunschkind.
Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als Mona plötzlich vorauslief und durchs Gartentor der Winterkorns verschwand.
Alte Geschichten, dachte sie, hob den Kopf und atmete tief durch. Wunderschöne und leider später weniger schöne, alte Geschichten, aber im Moment nebensächlich. Jetzt geht es um meine und Monas Zukunft, alles andere kann in meinem Tagebuch schlummern, bis ich es wieder hervorhole. Es ist Sommer, ich bin ausgebildete Kinderärztin mit Doktortitel, vierunddreißig, ohne Job und ohne Mann, dafür mit einer wunderbaren kleinen Tochter. Ich muss der Realität ins Auge schauen und nicht in Erinnerungen schwelgen, so verführerisch sie auch sind. Also, auf in den Kampf!
Das Ehepaar Winterkorn saß hinter dem Haus auf der Terrasse. Es gab Eiskaffee und für Mona Eisschokolade. Ein Himbeerkuchen duftete köstlich, und die Schlagsahne schmolz in der Sonne vor sich hin. Der »Kampf« begann also durchaus angenehm, man konnte beinahe den Kummer vergessen, der Sophie noch vor zwei Stunden ins Bett hatte flüchten lassen.
Dr. Winterkorn kam gleich zur Sache. »Sophie, Sie wissen sicher, dass mich die Sache auch traurig stimmt. Ich habe Ihnen von ganzem Herzen gewünscht, dass Sie weiter in der Praxis arbeiten können. Aber nun hören Sie zu, was wir uns überlegt haben. Ich zahle Ihnen die nächsten drei Monate das Gehalt weiter. Bis dahin findet sich hoffentlich eine neue Stelle für Sie. Nein, sagen Sie jetzt nichts, das sind Sie wert. Und wir werden Sie und Mona vermissen, wenn wir am Gardasee sitzen.«
»Wenn Sie am Gardasee sitzen«, erwiderte Sophie sanft, »sind Sie mit Ihren Enkeln beschäftigt und werden hoffentlich nicht dauernd an uns denken. Aber danke für die drei Monate, damit fällt mir schon mal der erste große Stein vom Herzen.«
»Und wir werden noch mal Kollegen und Kolleginnen hier in der Umgebung anschreiben, ob sie nicht doch eine gut ausgebildete, erfahrene Kinderärztin benötigen«, warf Erna Winterkorn ein. »Und Sie schauen im Internet nach Stellenangeboten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie lange arbeitslos sein werden.«
»Wenn gar nichts anderes geht, mache ich eben eine Zeitlang Urlaubsvertretungen«, meinte Sophie zögernd, »die kriegt man immer. Ich weiß nur nicht, wer dann Mona betreuen kann.«
»Da wird sich doch jemand finden lassen«, erklärte Erna energisch. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzen grauen Haare. »Ich werde mich bei meinen Jogging-Frauen umhören. Wir lassen Sie nicht im Stich, Sophie.«
Mona spielte auf der Wiese im hinteren Teil des Gartens mit ihrem Ball. Dort gab es sogar ein kleines Tor, auf das sie schießen konnte. Racker lief aufgeregt und laut bellend hinter ihr her.
Die letzten zwei Jahre war es Sophie fast jeden Tag bewusst gewesen, welch ein Glück sie hatte, bei den Winterkorns gelandet zu sein. Sie waren von Anfang an wie eine Familie für sie, und sie hatte zum ersten Mal ein Gefühl von Nestwärme gehabt. Das war nun alles vorbei, und sie musste wieder ganz allein sehen, wie sie zurechtkam.
»Was ist mit Ihrer Mutter?«, fragte der Doktor. »Kann sie nicht für ein paar Wochen kommen? Oder überhaupt für ganz, das wäre jetzt das Beste für Sie und Mona.«
»Sie hat nicht genug Geld«, antwortete Sophie zögernd. »Und ich glaube auch nicht, dass sie das will. Sie scheint in Neuseeland ihren Platz gefunden zu haben. Ich möchte sie nicht dazu drängen zurückzukehren, nur weil es mir nicht gut geht. Ich schaffe das schon.«
Es war wunderbar ruhig hier im Garten, mehrere riesige alte Buchen spendeten Schatten, und vom Rosenbeet wehte ein feiner blumiger Duft herüber. Ein Eichhörnchen sprang über den Rasen und kletterte dann auf einen der Bäume. Zwei Amseln zankten sich um einen Wurm im Kräuterbeet, und irgendwo in der Ferne sang eine Drossel.
So möchte ich es auch einmal haben, dachte Sophie. Ein kleines Haus, einen Garten, noch ein zweites Kind und einen liebvollen Mann, der einen Beruf hat, wo er oft zu Hause arbeiten und ich in Ruhe in die Praxis fahren kann. Aber das war alles weit, weit weg.
Sie seufzte.
5
Wie steht es mit Leonardo«, fragte Dr. Winterkorn, »schickt er denn Geld?«
»Natürlich.« Sophie schenkte sich ein weiteres Glas vom Eiskaffee ein und häufte sich Sahne darauf. »Er ist ja nun ein reicher Mann, sehr beschäftigt in seinen Weinbergen, und wird demnächst wieder Vater. Diesmal offiziell.« Sie spürte, wie Tränen in ihren Augen brannten, und blinzelte sie weg.
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