Das Lamm, das zu viel wusste - Thomas Chatwin - E-Book

Das Lamm, das zu viel wusste E-Book

Thomas Chatwin

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Beschreibung

Die Cosy-Crime-Reihe zum Schmunzeln und Miträtseln. Ein Wiedersehen mit den Doyles, der ermittelnden Großfamilie. Diese Familie hält zusammen – und löst mit Humor und Scharfsinn jeden Mordfall! Familie Doyle plant eines ihrer legendären Sommerfeste am Strand. Enkelin Kate freut sich besonders darauf, ihre alte Freundin April wiederzusehen. Doch dazu kommt es nicht mehr: In einem einsam gelegenen Strandhaus stoßen die Doyles auf zwei Tote, eine davon ist ausgerechnet April. Warum wollte sie Kate so dringend treffen? Welches Geheimnis nahm sie mit in den Tod? Zeitgleich kommt Aprils Großvater in einem Altersheim ums Leben – angeblich ein tragischer Unfall. Die Doyles wären nicht die Doyles, wenn sie an Zufall glauben würden. Grandma Emily trommelt den Familienrat zusammen. Es wäre doch gelacht, wenn die Doyles nicht auch dieses Rätsel lösen könnten. Wie gewohnt mit vereinten Kräften und viel britischem Humor!

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Ähnliche


Thomas Chatwin

Das Lamm, das zu viel wusste

Kriminalroman

 

 

 

Über dieses Buch

Mörderischer Sommer in Cornwall

 

Familie Doyle plant eines ihrer legendären Sommerfeste am Strand. Enkelin Kate freut sich besonders darauf, ihre alte Freundin April wiederzusehen. Doch dazu kommt es nicht mehr: In einem einsam gelegenen Strandhaus stoßen die Doyles auf zwei Tote, eine davon ist ausgerechnet April, offenbar vergiftet. Warum wollte sie Kate so dringend treffen? Welches Geheimnis nahm sie mit in den Tod? Zeitgleich kommt Aprils Großvater in einem Altersheim ums Leben – angeblich ein tragischer Unfall. Die Doyles wären nicht die Doyles, wenn sie an Zufall glauben würden. Grandma Emily trommelt den Familienrat zusammen. Es wäre doch gelacht, wenn die Doyles nicht auch dieses Rätsel lösen könnten. Wie gewohnt mit vereinten Kräften und viel britischem Humor!

Vita

Thomas Chatwin ist promovierter Literaturwissenschaftler und ein profunder England-Kenner. Er liebt Cornwall und verbringt jede freie Minute dort. Seiner langjährigen Freundschaft mit der englischen Bestsellerautorin Rosamunde Pilcher und vielen gemeinsamen Reisen verdankt er ungewöhnlich detailreiche Einblicke in Cornwalls Alltag. Schon mit seiner Krimireihe um die ermittelnde Postbotin Daphne Penrose begeisterte Chatwin sein Publikum. «Das Lamm, das zu viel wusste» ist der zweite Band der Reihe um die Familie Doyle, die mit viel Humor und Gemeinschaftssinn ermittelt.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Redaktion Heike Brillmann-Ede

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01497-8

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für die beste Enkel-Meute der Welt. Ihr seid großartig!

PROLOG

Eine Freundin wiederzutreffen, die man seit der Jugend nicht gesehen hat, ist wie das Eintauchen in einen Zeittunnel. «Heute trifft gestern», hatte Kate Doyles verstorbene Mutter solche Begegnungen genannt.

Kate empfing den Anruf, als sie gerade zwischen ihren Schafen auf der Weide stand. Dass sich April Thomson nach so vielen Jahren am Telefon zurückmeldete, war für sie eine ziemliche Überraschung. Plötzlich hatte das jugendliche Gestern wieder eine Stimme. Aprils leicht zögernde Sprechweise war Kate sofort vertraut, schon nach den ersten Worten. April wollte sich dringend mit ihr verabreden, am liebsten gleich am nächsten Tag, einem Dienstag, es sei sehr wichtig. Ihr Ton klang ernst, auch wenn sie sich um Leichtigkeit bemühte. Sicher eine Scheidungsgeschichte, dachte Kate. April wohnte vielleicht wieder in Fowey und wollte ihre alten Kontakte auffrischen.

Am Dienstag sah es mit Kates Zeit allerdings schlecht aus. Morgens wollte der Tierarzt kommen, mittags musste Kate die überfällige Rezension für Literary Quarterly fertig schreiben, und ab achtzehn Uhr zelebrierte Grandma ihr Sonnenuntergangs-Grillen am Strand von Kendreath.

«Kendreath?», wiederholte April erleichtert. «Da wohne ich doch gerade. Ich kann runter an den Strand kommen. Wann würde es passen?»

«Ja dann – so ab halb acht», schlug Kate vor. Das passte ja gut. Bestimmt würde sich auch ihre Familie freuen, April nach der langen Zeit wiederzusehen. Sie waren früher enge Freundinnen gewesen, und bei Grandma Emily hatte April oft die Wärme gefunden, die sie zu Hause vermisst hatte. Kate musste lachen. «Hoffentlich erkennen wir uns noch.»

«Ich bin die mit dem kleinen Hund», erklärte April mit großem Ernst. «Einem Jack Russell.»

1.

Später meinte Tante Anne, sich erinnern zu können, sie hätte hinter den Büschen auf der Düne jemanden weglaufen sehen, als sie um genau 18:05 Uhr ihre Füße aus dem Boot auf den Strand gesetzt hatte. Allerdings litt sie an diesem Tag wegen der starken Sonne unter ihren berühmten Allergieanfällen und konnte die Sache nicht wirklich beschwören. Schon gar nicht offiziell bei der Polizei. Allen anderen Familienmitgliedern war die kleine Bucht nämlich menschenleer in Erinnerung.

Sie waren vom benachbarten Küstenort Looe hergefahren, wo Grandma lebte. Dort hatte Onkel Brian den Teil der Familienmitglieder, die heute Zeit hatten, in seinen grünen Motorkahn verfrachtet und war mit ihnen zum Strand von Kendreath getuckert. Das ehemalige Fischerboot ohne Kajüte bot genügend Platz für alle Doyles und konnte mit seinem flachen Rumpf leicht an Land gezogen werden. Unterwegs hatte die Truppe jede Menge Spaß. Morwenna war gleich am Anfang von einer hohen Bugwelle erwischt worden und bis zu den Haarspitzen pitschnass, Grandma schilderte amüsiert, wie der Vikar von Looe gestern nicht ganz nüchtern vom Grabrand auf einen Sarg gerutscht war, den er segnen sollte. Als Onkel Brian dann noch hinter seinem Steuer das Shanty Keep Haulin von den Fisherman’s Friends anstimmte – einem Chor echter Fischer aus Port Isaac an der Nordküste, die durch Zufall weltberühmt geworden waren und auf die ganz Cornwall stolz war –, explodierte die Stimmung an Bord. Ein typischer Doyle-Ausflug.

Die Sommerfeste der Familie gehörten für Kate zur Leichtigkeit der warmen Jahreszeit. Ständig ließ sich einer der vielen Doyles etwas einfallen. Kates jüngere Cousine Morwenna hatte ihr bestandenes Bachelor-Examen ziemlich wild auf einem Dutzend kreisförmig aneinandergebundener Ruderkähne gefeiert. Großcousine Peggy hatte zum zehnjährigen Bestehen ihres exklusiven Designerladens die Terrasse eines nicht weniger exklusiven Hotels direkt auf den Klippen gemietet. Der Ausblick über die Zweimeterwellen an diesem Teil der Küste war spektakulär. Und Onkel Brian, der bärtige Biologieprofessor, war zu seinem Geburtstag mit Freunden und Familie zum Hafen von Fowey gewandert, um dort einen humorvollen Vortrag über Cornwalls Meerestiere zu halten und die Hafenrobbe zu füttern.

Die Einladungskarte für Grandmas heutiges Strandfest hatten Kate und David diesmal schon Anfang Juli im Briefkasten gehabt. Vergnügt hatten sie die grinsende Kartoffel auf dem Deckblatt betrachtet, lässig gezeichnet von Emily selbst. Sie war zwar früher Tänzerin gewesen, aber noch lieber wäre sie Grafikerin geworden. Und eine Kartoffel deshalb, weil Grandma mal wieder etwas Verrücktes feiern wollte – den Nationalen Kartoffeltag am neunzehnten August. Vermutlich tat das niemand sonst in Cornwall, was die Sache umso reizvoller machte. Grandmas Party zum World Porridge Day im Oktober letzten Jahres war ja auch ein voller Erfolg gewesen. Wenn die Doyles feierten, dann richtig.

Der heutige Sonnenuntergang war vom Wetterbericht für 20:32 Uhr vorhergesagt. Genügend Zeit, um vorher gemütlich ein Feuer und ein paar Fackeln zu entzünden, am Strand zu grillen und dann gemeinsam die Vollmondnacht zu erwarten. Kate liebte diesen Strandabschnitt, den Grandma Emily für ihr Fest ausgesucht hatte. Von hier aus konnte man wunderbar zuschauen, wie sich der Horizont und das Wasser beim Versinken der Sonne in glühende Streifen und Flächen verwandelten und am Ende ganz Cornwall mit ihrer fein abgestuften Röte bedeckt schien. Es war der erhabenste Moment eines jeden Sommerpicknicks, wie Kate fand. Und es gehörte dazu, dass jeder in der Familie eine andere Art von Rot zu erkennen glaubte. Die fröhliche Morwenna schwor lebhaft, das Meer mit einem kräftigen Kirschrot überzogen zu sehen, für Kate wirkte es eher wie Mohnrot, für Onkel Brian war es ein warmes Tizianrot, für Tante Anne das exotische Rot der Drachenfrucht … Nur Grandma nannte die Sonnenuntergänge genüsslich blutrot. Alle amüsierten sich über diese Assoziation, aber als Witwe eines Richters am Londoner High Court und als begeisterte Krimiliebhaberin ließ Grandma ihre Fantasie nun mal gerne um alles schweifen, was mit dem Thema Verbrechen zu tun hatte. Ihr augenzwinkerndes Motto lautete ohnehin: Nichts belebt uns wie ein kleiner Mord.

Der frühe Abend dieses Augusttages zeigte sich äußerst freundlich. Während die Kinder Poppy und Oscar eifrig Schwemmholz zu sammeln begannen, verflüchtigte sich auch noch das letzte Wölkchen am Himmel. Kurz darauf brannte ein loderndes Strandfeuer. Die Picknickkörbe wurden geöffnet, die Decken auf dem Sand verteilt.

Onkel Brian fühlte sich für den Dreibein-Grill über dem Feuer zuständig, seine Tochter Morwenna hatte aus dem Studentenheim ihre Gitarre mitgebracht, Tante Anne (Grandmas Tochter) musste sich traditionell um das Geschirr kümmern. Der Schwere Harvey – Annes dreiunddreißigjähriger Sohn, einhundertzwanzig Kilo pure Gemütlichkeit – war zum Barkeeper der Familie ernannt worden und damit zum Hüter der Getränkeboxen. Kate und Grandma hatten zusammen die Grillspeisen zubereitet, und Tante Peggy überraschte alle mit weichen italienischen Kissen aus ihrem Designer-Möbelladen. Sie war Kates Cousine und hatte ihren zehnjährigen Sohn Oscar dabei. Eigentlich hätte Oscar heute bei Mrs Reddingworth Klavierunterricht gehabt, aber dann wäre Harveys siebenjährige Tochter Poppy allein unter den Erwachsenen gewesen und das wollte Peggy auch nicht. Der fröhliche Oscar war Peggys ganzer Stolz. Wie viele stolze Mütter hatte auch sie ihrem Sohn die dunkelblonden Haare im halblangen Prinzenstil schneiden lassen. Harveys kleine Poppy wirkte dagegen immer noch wie ein herumhüpfender Wonneproppen. Grandma liebte ihre Urenkelin von Herzen, sie hatte Kate aber neulich zugeraunt: «Harvey füttert sie leider mit Süßigkeiten. Nicht, dass Poppy mal seine dicken Backen erbt!»

Kate genoss diese Picknicks sehr. Jetzt, mit dreiundvierzig Jahren, bewunderte sie zunehmend, wie geschickt Grandma durch ihre fröhlichen, vitalen Familienfeste alle Generationen zusammenhielt. Selbst mit ihren sechsundachtzig Jahren zeigte Emily Doyle weder Schwäche noch die Absicht, ihre Position als Familienchefin und Verfechterin der Traditionen aufzugeben und nur noch Krimis zu lesen. Ihre kerzengerade Gestalt, die sich leicht und doch entschlossen bewegte, sowie ihr willensstarkes Gesicht unter den weißen Haaren drückten noch immer geistige und körperliche Lebendigkeit aus. Die Jüngeren in der Familie wie Morwenna und Harvey liebten Grandma für ihr großes Herz und ihren trockenen Humor, die Älteren für ihren scharfen Verstand und ihre Lebensklugheit. Mit ihren schottischen und kornischen Wurzeln konnten die Doyles «wie die alten Kelten» (Zitat Onkel Brian) zusammen lachen, weinen, feiern und singen, dass es eine Freude war.

Zwei ihrer wichtigsten Menschen vermisste Kate allerdings heute Abend. Ihren Lebensgefährten David Pennymore und ihren Vater Gilbert Doyle. Mit David, ihrer großen Liebe, züchtete Kate Schafe. David hatte vor einigen Jahren die Trewistle Farm oberhalb der Küste geerbt, und obwohl Kate früher in Londoner Verlagen gearbeitet hatte und heute von Buchrezensionen und ihrem erfolgreichen True-Crime-Podcast lebte, war aus ihr eine begeisterte Farmerin geworden.

Kates Vater Gilbert saß nur deshalb nicht mit am Feuer, weil Grandma ihr Picknick auf keinen Fall ohne Lieblingsenkelin Kate veranstalten wollte. Da David aber jemanden zum Klauenschneiden bei den zweiundfünfzig Schafen brauchte, hatte sich Gilbert dafür angeboten.

«Ist das okay für dich, wenn Dad mal nicht dabei ist?», hatte Kate gestern beim Kartoffelschneiden ihre Großmutter gefragt. Immerhin war Gilbert ihr ältester Sohn. Er hatte sich einen Namen als angesehener Kunsthistoriker gemacht, aber Grandma monierte gerne seine fehlenden handwerklichen Fähigkeiten.

«Wir werden es überstehen, Schätzchen», hatte Grandma mit ihrem robusten Humor gesagt. «Früher war Gilbert für die Getränke zuständig. Im Gegensatz zu Harvey hatte er leider nie ein Händchen fürs Mixen. Es wird ihm guttun, sich mal um so was Solides wie Schafsklauen zu kümmern.»

Kate wusste, dass ihr Dad diesen typischen kleinen Grandma-Hieb mit einem Augenzwinkern quittiert hätte.

Die Stimmung am Strandfeuer war großartig, dennoch fühlte Kate sich seltsam unruhig. Sie hätte nicht sagen können, warum, alles lief ja perfekt. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie immer wieder an April Thomson denken musste. Das Wiedersehen hier an den Strand zu verlegen war Blödsinn gewesen, sie hätten sich lieber irgendwo in der Stadt treffen sollen. Im Grunde wusste sie ja nicht mehr so viel über April … Aber jetzt war das Treffen nun mal vereinbart.

Tante Anne stand mit Grandma und Kate bei den Picknickkörben. Wie immer trug sie etwas Selbstgenähtes, heute einen schlabberigen grün-blauen Hosenanzug mit viel zu weiten Beinen.

«Ich hoffe, du hast die Kartoffeln nicht zu sehr gewürzt, Mum», sagte Anne. Jeder in der Familie kannte ihren Hang zur Hypochondrie. «Du weißt, mein Zwölffingerdarm.»

«Vielleicht hätte Kate dir etwas Schaffutter mitbringen sollen», antwortete Grandma spitz. Sie machte sich gerne über die Wehwehchen ihrer Tochter lustig. «Und trink einen Gin, die Doyle’schen Zwölffingerdärme lieben Gin.»

Pikiert zog Anne ab und ließ sich neben Mo auf die Decke fallen. Leise flüsterte sie: «Was sagt man dazu?»

«Ich liebe Grandmas Humor», hörte Kate Morwenna grinsend sagen. Ihr weißes T-Shirt trug das Emblem der Plymouth University. «Nimm’s leicht, Tante Anne.»

«Was bleibt mir anderes übrig? Und dabei bin ich doch nun wirklich nicht wehleidig!»

Während Kate mit Grandma die mitgebrachten Fleischspieße, die Fischstücke und die vier verschiedenen Kartoffelgerichte unter dem Geplauder der anderen für den Grill vorbereitete, registrierte sie, wie sich nach und nach die Atmosphäre an Cornwalls Küste veränderte. Die milde Vorabendstimmung wurde zunehmend von der einsetzenden Ebbe geprägt. Es wurde stiller, und das stetig zurückweichende Wasser zog Dutzende von Vögeln an, vor allem Strandläufer und Möwen. Auch der Wind vom Meer flaute ab. Zu gerne hätte Kate diese wunderbar sanfte Stunde zusammen mit David genossen, vielleicht konnten sie das in den nächsten Tagen nachholen.

Kurz nach neunzehn Uhr war die Glut unter dem Grill so heiß, dass Onkel Brian das Startzeichen geben konnte. «Es kann losgehen!», rief er mit kräftiger Stimme. Dann wandte er sich an die beiden Kinder. «Mannschaft, Platz nehmen zum Futtern!»

Johlend kamen Poppy und Oscar angerannt und setzten sich vor den Grill. Fasziniert schauten sie zu, wie Onkel Brian Fisch und Fleisch auf dem Grillrost brutzelte und vier Aluminiumschalen mit Grandmas speziellen Kartoffelgerichten dazustellte. Harvey hatte bereits jedem Erwachsenen ein Glas Cider in die Hand gedrückt. Sie wollten gerade die Gläser heben, als Oscar rief: «Dahinten jault irgendwo ein Hund!»

Poppy stimmte ihm piepsend zu: «Ja, das macht er schon die ganze Zeit.»

Jetzt hörten es alle. Der Hund schien jenseits der Düne zu weinen.

«Ihr könnt ihn ja nachher suchen», meinte Grandma und hob ihr Glas. «Jetzt erst mal cheers! Auf den Nationalen Kartoffeltag!» Sie hatte selbst den größten Spaß an ihren ausgefallenen Ideen. «Mögen uns die Knollen nie ausgehen!»

Lachend stießen sie an.

Kaum hatten sie alle einen Schluck getrunken, hob Peggy erneut das Glas. «Und auf wen trinken wir jetzt, liebe Meute?», fragte sie in die Runde.

Alle erhoben sich.

«Auf Grandma!», antwortete der Chor.

Auch Kate rief begeistert mit. Es war ein liebevolles Ritual, geprägt von Respekt und Bewunderung für das Familienoberhaupt. Mo zupfte dazu ein kleines Crescendo auf der Gitarre. Auch wenn es alle gut verdrängten, wusste jeder von ihnen, dass sie eines fernen Tages ohne Grandma Emily hier stehen würden.

Dann begannen sie zu essen. Während die Erwachsenen sich dabei angeregt unterhielten, mampften die Kinder wie immer am schnellsten. Das Hundegebell im Hintergrund hörte sich inzwischen noch jammervoller an, man konnte es kaum ignorieren. Kate vermutete, dass es ein kleinerer Hund war, der der Welt sein Unglück mitteilte. Sie hatte gerade ihre baked potatoe aufgegessen, als Oscar zu ihr kam. Mit einem Blick auf Peggy flüsterte er Kate ins Ohr: «Ma will, dass wir noch warten, aber wir wollen jetzt den Hund suchen. Vielleicht hat er sich verletzt.»

Tante Anne war gerade dabei, sich eine Gabel mit drei gerösteten Kartoffelscheiben in den Mund zu schieben, als sie stoppte und ebenfalls zu lauschen begann. «Klingt echt traurig. Sicher wieder so ein egoistischer Hundebesitzer …»

«Ich mag solche Menschen nicht», verkündete Poppy mit sichtbarem Abscheu auf ihrem kindlichen Gesicht.

Kate war gerührt. Sie erhob sich von ihrer Decke und sagte forsch: «Na dann, kommt. Wir sehen mal nach, was da los ist.»

Während die anderen am Feuer sitzen blieben und weiter plauderten, stapfte das Trio los, immer dem Jaulen nach. Es schien von der kleinen Straße zu kommen, wo ein breiter Streifen Ginsterbüsche Strand und Straße voneinander trennte. Zügig steuerten sie den Trampelpfad an, der durch die Ginsterbüsche führte.

Sie entdeckten den kleinen Hund auf der anderen Seite der Strandstraße. Er saß vor dem Eingang eines Ferienhauses, das am Fuße eines ansonsten unbebauten Hügels stand. Mit verzweifeltem Kratzen an der Haustür bettelte er um Einlass und wimmerte weiter in hohen Tönen. Erschrocken stellte Kate fest, dass es sich um einen weiß-braunen Jack-Russell-Terrier handelte. War das etwa Aprils Hund?

«Los», rief sie den Kindern zu. «Sehen wir nach, ob er verletzt ist.»

Oscar und Poppy stürmten los, Kate folgte ihnen. Sie hatte keine Ahnung, wem das Ferienhaus gehörte, sie wusste nur, dass dort manchmal das Schild Zu vermieten im Fenster hing. Der Bungalow mit einem großen Panoramafenster rechts neben der Haustür und mehreren kleinen Fenstern rundum bestand aus rötlichem Zedernholz. An allen Fenstern waren die Vorhänge zugezogen, auch vor dem großen Panoramafenster. Das Ganze machte einen seltsam nüchternen und lieblosen Eindruck.

Poppy hatte das Hündchen als Erste erreicht. Ohne Angst hockte sie sich vor dem Tier auf den Boden und sprach mit ihm: «Was hast du denn, du Armer?»

Der Hund verstummte und blickte sie aus traurigen Augen an. Es war ein Rüde, wie Kate feststellte. Um den Hals trug er ein rotes Lederhalsband. Verletzt schien er nicht zu sein.

Beruhigend sagte Kate: «Ich glaube, sein Frauchen hat ihn hier draußen vergessen und hört sein Jaulen nicht.»

«Er ist sooo süß!» Poppy streckte die Hand aus und streichelte dem Hund über den Kopf. Prompt leckte er ihr dankbar das Handgelenk. Poppy strahlte. «Seht ihr, er mag mich.»

«Hunde mögen jeden, der nett zu ihnen ist», meinte Oscar gönnerhaft, doch dann beugte auch er sich über das Tier und streichelte es, wenn auch etwas vorsichtiger als Poppy.

Kate überwand sich und klopfte kräftig an die Tür, eine Klingel gab es nicht. «April?», rief sie. «Wohnst du hier? Hier spricht Kate!»

Nichts tat sich, obwohl Kate durch einen Spalt im Vorhang des Panoramafensters einen Lichtschein wahrnehmen konnte. War doch jemand zu Hause? Für eine Sekunde glaubte sie, ein Quietschen zu hören, aber das konnte ebenso gut ein Geräusch gewesen sein, das der Wind vom Parkplatz herübergeweht hatte. Sie drückte die Klinke nach unten und die Tür ging einen Spalt auf. Im Nu war der Jack Russell nach drinnen geflitzt und verschwunden.

«Er ist weg!», riefen die Kinder enttäuscht.

Mit lauter Stimme machte Kate sich ein zweites Mal bemerkbar. «April! Ich bringe dir den Hund! Darf ich reinkommen?»

Als sich immer noch nichts regte, ermahnte sie Oscar und Poppy, draußen zu warten. Wer weiß, was da los war. Dann drückte sie die Haustür ganz auf und betrat einen engen Flur, der am Ende von einer Milchglastür begrenzt wurde. Links davon gab es eine weitere Tür; sie war angelehnt und Kate las den blau aufgepinselten Hinweis Badezimmer.

Auch die Milchglastür war nur angelehnt, dahinter winselte der Hund. Kate klopfte, doch niemand antwortete. Entschlossen drückte sie die Tür auf.

Als Erstes sah sie einen Mann auf der Couch, im sandfarbenen Polohemd und Jeans. Er war vielleicht Anfang vierzig und lag mit dem Oberkörper nach vorne gekippt auf dem Couchtisch, den Kopf zur Seite gedreht und mit einer Platzwunde an der Stirn. Ganz offensichtlich war er auf die Tischplatte geknallt. Sein verzogener Mund wirkte wie eingefroren, die Beine waren verdreht unter dem Couchtisch ausgestreckt. Vor ihm saß der kleine Terrier und leckte winselnd über den rechten Schuh. Rechts neben dem Mann lehnte mit offenen Augen und starren Gesichtszügen eine etwa gleichaltrige Frau am Rückenpolster der gelb bezogenen Couch. Sie trug ein weit ausgeschnittenes weißes Shirt mit Spaghettiträgern. Ihr Kopf mit brauner Wuschelfrisur war wie im Schlaf nach hinten auf den oberen Holzrand der altmodischen Couch gefallen.

Kate spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg.

April! Es war April!

Auch wenn ihre alte Freundin anders aussah als früher, hatte Kate sie gleich erkannt. Jetzt, so verkrampft, wirkte ihr Gesicht leidend und blass. Vor fünfundzwanzig Jahren hatten sie sich das letzte Mal gesehen, und nun lag sie hier, ebenso reglos wie der unbekannte Mann. Sie waren beide tot, das wusste Kate sofort.

Draußen auf der Straße hörte Kate die Kinder rumoren. Sie mussten unbedingt zurück zum Strand, in die Obhut der Familie. Nie sollten die beiden so etwas Grauenvolles sehen! Sie schnappte sich die rote Leine, die auf dem Boden lag, und befestigte sie am Halsband des Hundes. Gehorsam folgte ihr das Tier nach draußen.

«Hier», sagte sie zu Oscar. «Ich muss im Haus noch etwas regeln. Du und Poppy habt jetzt die Verantwortung für den Hund. Ich bringe euch noch über die Straße, dann lauft ihr zu den anderen. Ich komme gleich nach.»

Oscar nickte souverän, Poppy standen zig Fragen ins Gesicht geschrieben, doch Kates Ton machte klar, dass es im Moment nichts weiter zu sagen gab. Ohne Widerrede liefen die Kinder mit dem Terrier zurück an den Strand, während Kate mit einem viel zu lauten Knall die Haustür schloss und ins Wohnzimmer zurückkehrte. Sie musste jetzt Ruhe bewahren, doch es fiel ihr schwer. Ihre aufsteigende Panik ließ sich kaum unterdrücken.

Sie sah sich noch einmal um. Der nüchtern wirkende Wohnraum ohne Bilder an den Wänden ging links in eine schlichte Küchenzeile über, vor der ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen stand, darauf ein Obstkorb mit einer halb geschälten Banane. Die rechte Seite des Raumes wurde von der Couchgarnitur eingenommen. Dahinter befand sich das große Panoramafenster mit Vorhang, das Kate von der Straße aus gesehen hatte. Bei Tageslicht war das Meer von hier aus wahrscheinlich nur teilweise zu sehen, dafür hatte man aber sicher einen weiten Blick bis zum Ende der Bucht und bis zum Nachbardorf.

Am Ende des Wohnzimmers befand sich eine Tür, deren oberes Viertel aus einem Glaseinsatz bestand. Sie nahm an, dass dahinter das Schlafzimmer lag; eine weitere Etage gab es ja nicht. Eingerahmt war die Tür von zwei kleinen weißen Sideboards, die für etwas Modernität sorgten. Zudem waren mehrere Deckenstrahler und eine Hängelampe aus Korb eingeschaltet.

Was war passiert? Warum mussten April und der fremde Mann sterben? Oder hatten sie ihr Leben freiwillig beendet? Nein, dagegen sprach die angstvolle Starre, die sie umgab. Wieder schweifte Kates Blick umher und blieb an einer hübschen hellblauen Teekanne mit der weißen Aufschrift My Five O’Clock Tea hängen, die zusammen mit zwei Teebechern aus dem gleichen Service auf dem Couchtisch stand. In beiden Bechern befand sich ein kleiner Rest Tee.

Kate überwand sich und schaute erneut zu April.

Alarmiert bemerkte sie drei rötliche Flecken in Aprils Nacken, rund um die Stelle, wo der Kopf der Toten auf dem Holzrand der Couch ruhte. Auch der nach vorne gefallene Mann hatte solche Flecken, bei ihm zeigten sie sich auf der Stirn, die den kleinen Tisch berührte.

Kate brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass es sich um Totenflecken handelte. David, der früher Forensiker gewesen war, hatte ihr mal entsprechende Fotos für ihren True-Crime-Podcast gezeigt. Sie erinnerte sich, dass er ihr erklärt hatte, die ersten dieser Flecken würden etwa dreißig Minuten nach Todeseintritt entstehen und seien das absolut sichere Zeichen für das Ableben eines Menschen.

Schockiert trat Kate einen Schritt zurück. Was immer hier geschehen war – es war ein Fall für die Polizei. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und wollte gerade wählen, als ihr Blick zur Glasscheibe des hinteren Zimmers wanderte und ihr durch das obere Viertel der Tür ein Augenpaar entgegenstarrte. Es war eine Erscheinung für Millisekunden, zwei neugierige Augen und der nur schemenhafte Teil einer Stirn …

Da war noch jemand im Haus! Offensichtlich hielt die Person sich im Schlafzimmer versteckt.

Kate spürte, wie sie heftig zu zittern begann. Einen Moment lang kämpfte sie mit dem trotzigen Bedürfnis, einfach die Tür aufzureißen und nachzusehen, aber ihre Vorsicht siegte. Sie musste die Polizei verständigen!

Mit schnellen Schritten flüchtete sie Richtung Haustür und hörte, wie im selben Moment krachend eine andere Tür ins Schloss fiel. Sie zuckte zusammen und lauschte. Nach dem Knall zu urteilen, musste es eine größere Tür gewesen sein. Vermutlich hatte das kleine Holzhaus einen hinteren Ausgang, durch den man sicher problemlos hügelaufwärts fliehen konnte, um im Gestrüpp aus Ginster und Wacholderbüschen unsichtbar zu werden.

Mit wild pochendem Herzen rannte Kate zur Straße und wählte endlich den Notruf der Polizei.

2.

Als Emily Doyles Nachbarin besaß Rose Cox das Privileg, einen Schlüssel zum Doyle Cottage verwahren zu dürfen. Die Doyles veranstalteten ständig Familienfeste und besuchten sich gegenseitig, sodass Emily oft abwesend war und jemanden brauchte, der ihre Blumen goss oder mal ein Päckchen ins Haus legte. Obwohl Rose als Mittsiebzigerin zehn Jahre jünger war als Emily, hätte sie doch zu behaupten gewagt, dass sie beide sich auch Freundinnen nennen konnten. Vielleicht nicht ganz so enge Freundinnen, okay, aber doch mehr als Bekannte. Schließlich wohnten sie seit Jahrzehnten in dieser kleinen Straße. Sie hatten im gleichen Zeitraum ihre Männer verloren und fühlten sich in der Nachbarschaft zunehmend als Fossilien einer verschwindenden Generation. Manchmal verbrachten sie die Abende miteinander, schauten Emilys Lieblingskrimis an oder spielten Gin Rommé. Rose hatte ja sonst nichts zu tun, außer gelegentlich zu sticken und sich um ihr Gewächshaus zu kümmern.

Ihre größte Freude war, wenn Randolph zu Besuch kam. Die Karriere ihres Sohnes machte Rose stolz. Er leitete einen Baumarkt und hatte siebzig Leute unter sich. Und das Wichtigste: Als Chef erhielt er dreißig Prozent Mitarbeiterrabatt. Auf alles, selbst auf Tiernahrung. Wenn Emily Doyle Bedarf hatte, gab er seine Prozente auch großzügig an sie weiter. Emily kannte ihn ja schon in Windeln, und er mochte sie sehr.

Gestern hatte Emily bei Randolph in der Firma angerufen und ihn gebeten, ihr vier Säcke Gartenerde aus dem Baumarkt mitzubringen sowie einen Sack Dünger und ein neues Klettergerüst für ihre Rosen. Jetzt, nach Dienstschluss, war Randolph mit der Lieferung da. Für Rose ein Wunder, wie ihr Sohn das alles in seinem Tesla verstauen konnte. Es musste 19:30 Uhr sein, im Turm der St. Martins-Kirche von Looe läuteten die Glöckner für den wöchentlichen Spätgottesdienst.

Das Doyle Cottage, vor dessen Eingang Rose in diesem Moment stand, war nicht das größte in ihrer Straße, aber die schwarzen Balken unter dem Reetdach und der hübsche weiße Putz ließen es besonders markant erscheinen. Rose musste neidlos zugeben, dass die Doyles ein Händchen für Ästhetik besaßen. Auch dass Emily in ihrem Alter immer noch so beweglich und flott unterwegs war, konnte einen nur erstaunen. Und dann die alten Fotos, die in ihrem Cottage gerahmt an der Wand hingen! Emily und Edward mit Margaret Thatcher beim High-Court-Empfang. Emily als junge Tänzerin auf einer Bühne. Emily und Edward im weißen Tennisdress … Emily war immer aktiv gewesen, das ließ sich nicht leugnen. Früher waren hier im Cottage auch prominente Gäste aus London zu Besuch gewesen, einmal sogar ein Schauspieler vom National Theatre.

Aber tempi frascati, wie Randolph immer scherzte. Jetzt hatte sie, Rose, die Ehre, den Ersatzschlüssel zu Emilys Haus verwalten zu dürfen. Mehr Vertrauen konnte man einer Freundin nicht entgegenbringen.

«Bitte aufschließen, Mum», mahnte Randolph seine Mutter, während er den letzten der mitgebrachten Säcke aus dem Auto wuchtete und ihn vor die Tür des Cottages legte. «Ich habe nachher noch was vor.»

Rose drehte den Schlüssel um und sie betraten Emilys Haus. Alle Räume wirkten gemütlich, vor allem das Wohnzimmer, mit den dicken Balken in der Decke und einem alten Kamin aus Granit, der Ruhe und Charakter verströmte. Für Rose ein Rätsel, wie Emily diese wohnliche Atmosphäre auch als Witwe bewahren konnte.

«Wie wär’s, wenn du Emily die Säcke gleich noch in den Garten tragen würdest?», fragte Rose, während sie die Terrassentür im Wohnzimmer aufriss. Von draußen strömte der Duft von frisch gemähtem Rasen herein. «Bist du so lieb?»

«Natürlich, Mum. Wohin?»

Rose zeigte auf eine Stelle links von Emilys großer Zeder. «Dort vor die Büsche. Und bitte steck auch gleich das Rosengitter zusammen! Das sind wir Emily schuldig.»

«Klar, Mum, mache ich.»

Geduldig schleppte Randolph Sack für Sack durchs Wohnzimmer in den Garten. Rose jubilierte innerlich, sie hatte sich etwas Luft verschafft. Seit fünf Wochen hatte sie sich nicht mehr ungestört im Cottage umsehen können. Emily würde frühestens in der Nacht von ihrem Grillfest am Kendreath Beach zurückkehren. Obwohl das Picknick der Doyles erst um achtzehn Uhr begonnen hatte, war Emily bereits seit dem Morgen unterwegs gewesen, um für das Fest einzukaufen, anschließend zu ihrem Masseur nach Mevagissey zu fahren und nachmittags mit ihrem Sohn Brian am Hafen von Looe einen späten Lunch einzunehmen. Dort hatten sie dann auch alle anderen Familienmitglieder treffen wollen, um mit dem Motorboot Richtung Kendreath Beach zu starten.

Rose stöberte ein bisschen im Wohnzimmer herum. Was gab es hier Neues? Lagen bei Emily aktuelle Zeitschriften auf dem Tisch? Gab es interessante Post? Als sie hier vor vier Monaten die Blumen gießen musste, weil Emily für ein paar Tage nach London gereist war, um im Rahmen einer Sonderführung das Kriminalmuseum von Scotland Yard zu besichtigen, hatte ein interessanter Brief von Morwenna an ihre Großmutter auf dem Kaminsims gelegen. Darin war es um Morwennas neuen Lover gegangen, einen jungen Italiener. Rose war beim Lesen sogar ein bisschen rot geworden und heilfroh gewesen, dass Randolph eine bodenständige Waliserin liebte.

Vielleicht gab es ja in der Küche etwas Interessantes zu entdecken. Mit der beruhigenden Erkenntnis, dass Randolph garantiert noch vier, fünf Minuten im Garten beschäftigt sein würde, huschte Rose in den Flur und betrat von dort Emily’s Pantry, wie die Küche auf einem Messingschild über der Tür genannt wurde. In Seelenruhe schnüffelte sie auf der Anrichte in den herumliegenden Kuchenrezepten herum. Am Fenster fielen ihr sofort die neuen Vorhänge auf, vorher gelb und gerafft, jetzt weiß und glatt. Außerdem hatte Emily sich einen neuen Mixer geleistet, und gleich das teuerste Modell. Aber sie konnte sich das ja leisten, schließlich erhielt sie nach Edwards Tod eine stolze Pension.

Da sie nun schon mal in der Küche stand, überfiel Rose eine unbändige Lust auf Emilys leckere Ingwerplätzchen. Suchend öffnete sie die Tür des linken Hängeschranks und hielt Ausschau nach der großen Dose. Sie entdeckte sie hinter den Tassen, nahm den Deckel ab, griff hinein, schnappte sich ein Plätzchen und schob es sich in den Mund. Sie hätte aufschreien mögen – der Cookie war steinhart! Igitt, wie konnte Emily so etwas aufheben? Rose hoffte inständig, dass ihre Brücke unten rechts diese Esstortur mitmachte. Vorsichtig kauend, drückte sie den Deckel auf die Dose zurück und schloss die Schranktür.

Ihr letzter Stopp war der Flur mit dem Telefon auf dem Garderobenschränkchen. In der Vergangenheit hatten sich hin und wieder interessante Anrufe von Emilys Kindern auf dem Anrufbeantworter befunden. Rose fand nichts dabei, dort hineinzuhören, wenn sie schon einmal hier war. Private Eindrücke aus dem Leben der Doyles halfen ihr schließlich, ihre Freundin noch besser zu verstehen.

Diesmal zeigte der blinkende Anrufbeantworter nur eine neue Nachricht an, jemand hatte heute Morgen um 9:18 Uhr draufgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Emily bereits auf dem Weg zum Supermarkt.

Rose konnte nicht widerstehen. Sie schaute kurz ins Wohnzimmer, um sich zu vergewissern, dass Randolph noch immer im Garten beschäftigt war. Dann tippte ihr Zeigefinger auf die Wiedergabetaste.

Die Männerstimme, die nach kurzem Räuspern durch den Flur tönte, gehörte einem Gentleman, vermutlich in Emilys Alter. Sie klang kräftig und nach vornehmstem Oxford-Englisch, wenn auch etwas brüchig. Sehr männlich, aber in die Jahre gekommen, wie Emily gesagt hätte.

«Emily, hier ist dein alter Freund Lewis Grenville … Bitte, geh ran! Verdammt, es eilt, und jetzt bist du nicht da … Wenn du mich nicht schnell zurückrufst, könnte es zu spät sein. Es geht um April, meine Enkelin. Ich weiß, dass Kate sie am Strand treffen wird. Das Treffen darf auf keinen Fall abgesagt werden, hörst du? Bitte sag das Kate! Sie ist die Einzige, der April noch vertraut. April und ich sind da in etwas reingerutscht und brauchen dringend Hilfe … Herrgott, Emily, warum gehst du nicht ran?! Bitte, redet heute noch mit April! Versprich mir das! Lasst eure verdammte Doyle-Moral beiseite und helft ihr …»

Dann war vernehmlich der Hörer aufgeknallt worden und der Anrufbeantworter hatte automatisch gestoppt.

Du liebe Zeit, dachte Rose, was hat das wohl zu bedeuten? «Dein alter Freund Lewis Grenville.» Dieser Name war ja noch nie über Emilys Lippen gekommen! Und was meinte die geheimnisvolle Formulierung «in etwas reingerutscht und brauchen dringend Hilfe»? Hatte Emily sich wieder in einen Kriminalfall eingemischt?

Aufgeregt fummelte Rose an dem Anrufbeantworter herum, um den Blinkmechanismus zu erneuern, damit die Nachricht als nicht abgehört erschien. Doch irgendwie wollte die Sache nicht funktionieren.

Randolph erschien in der Wohnzimmertür. Seine Stimme klang drängend. «Können wir, Mum? Ich bin fertig.»

Rose fühlte sich ertappt. Rasch zog sie ihre Finger zurück. Nichts blinkte, die neue Nachricht war in der Liste alter Anrufe verschwunden. «Natürlich, Randolph! Ich habe nur geschaut, ob in der Küche die Fenster zu sind. Emily lässt sie gerne offen.»

«Dann komm.» Sie musste etwas unentschlossen geschaut haben, denn Randolph griff sanft nach ihrer Hand und zog sie liebevoll mit sich zur Haustür. «Bitte, Mum! Wenn ich dich noch zum Spätgottesdienst bringen soll, musst du dich beeilen.»

«Natürlich, mein Junge», sagte Rose, einen letzten sorgenvollen Blick auf den Anrufbeantworter werfend. «Schön, dass du überhaupt kommen konntest.»

Als sie in Randolphs Auto stieg und sich brav anschnallte, ging ihr der nicht mehr blinkende Anrufbeantworter ein letztes Mal durch den Kopf.

Eigentlich sollte Emily mir dankbar sein, dachte sie mit der Entschlossenheit einer zuverlässigen Freundin. Wer weiß, was ihr erspart bleibt, wenn sie diese Nachricht nicht kennt?

3.

Das Team der Devon & Cornwall Police sollte in spätestens zwanzig Minuten eintreffen. Auch ein Arzt wollte kommen, sobald er einen Notfall in Fowey versorgt hatte. Kate wusste, dass Schnelligkeit in Cornwall als dehnbarer Begriff empfunden wurde.

Sie war nur kurz bei den anderen am Strand gewesen. Dort herrschte bereits wieder Doyle’scher Pragmatismus. Nach dem ersten Schock hatten Grandma, Peggy und Tante Anne darauf bestanden, auf jeden Fall noch den Sonnenuntergang abzuwarten und erst danach das Picknick zu beenden. Jeder versuchte, sein Entsetzen über das, was Kate entdeckt hatte, mit gespielter guter Laune zu tarnen und die Kids abzulenken.

Schaudernd richtete Kate ihren Blick auf das Ferienhaus. Was war hier vorgefallen? Und wer war der Mann neben April? Ihr Freund? Ihr Ehemann? David, mit dem sie kurz telefonieren konnte, hatte ihr eingeschärft, bloß nichts anzufassen. Er vermutete, dass Gift im Spiel sein könnte, da Kate ihm die Gesichter der Toten als auffallend schmerzverzerrt beschrieben hatte. David musste es wissen, er war lange Jahre Forensiker bei der Polizei in Exeter gewesen.

Plötzlich vernahm Kate eine energische Stimme hinter sich. «Warte, Schätzchen, ich wollte mir die Sache auch noch mal betrachten, bevor die Polizei kommt.» Als sie sich überrascht umdrehte, sah sie ihre Großmutter zwischen den Büschen hervortreten, in der Hand die Basttasche vom Strand. Ihr langes weißes Sommerkleid ließ sie sehr ladylike wirken. Mit strammem Schritt kam sie auf ihre Enkelin zu. «Keine Sorge. Die anderen sind alle mit den Kindern beschäftigt.»

«Du willst dir doch nicht wirklich die beiden Toten ansehen, Grandma?», fragte Kate irritiert. «Glaub mir, sie sind kein schöner Anblick.»

Und doch kannte sie die Antwort bereits. Grandma war von nichts mehr fasziniert als von Verbrechen. Bei jeder Gelegenheit stöberte sie in den Kriminalakten, die Edward ihr nach seinem Tod hinterlassen hatte. Edward Doyle war jahrzehntelang Richter am High Court gewesen.

«Du weißt doch, wie sehr ich April gemocht habe. Ich möchte Abschied von ihr nehmen.»

Oh nein, Grandma, dachte Kate trotz aller Tragik amüsiert, du willst nur jedes Detail über den Fall wissen, falls er sich tatsächlich als Mord entpuppte. Laut sagte sie: «Na gut, aber wir dürfen nichts berühren. Ich habe mit David telefoniert und er hat es mehrmals betont.»

«Selbstverständlich nicht.»

Kate überwand sich und öffnete mit einem Papiertaschentuch die Eingangstür für ihre Großmutter. Es reichte, dass sie hier vorhin Fingerabdrücke hinterlassen hatte, die sie der Polizei melden musste. Grandma und sie konnten ja im Flur stehen bleiben, kurz einen Blick ins Wohnzimmer werfen und dann wieder verschwinden. Allerdings hatte sie die Rechnung ohne Emily gemacht. Diese griff in ihre Basttasche und zauberte vier zusammengerollte Nylon-Füßlinge hervor. Zwei davon überreichte sie Kate.

«Hier, die habe ich immer dabei. Ich denke, die werden wir brauchen, um keine Spuren zu hinterlassen.»

«Also bitte, Grandma …»

Kates Protest verhallte ungehört. Emily hatte sich bereits ihrer Espadrilles entledigt und die Füßlinge übergestreift. Aufstöhnend zog sich auch Kate um. Ihre Sandalen ließ sie neben Emilys Schuhen stehen.

So ausgerüstet marschierte Grandma an ihrer Enkelin vorbei, schob wie ein Profi mit dem Fuß die angelehnte Milchglastür auf und stoppte erst vor dem Couchtisch. Von hier aus nahm sie die beiden Toten in Augenschein – und schien jetzt doch schockiert zu sein. Vermutlich hatte sie sich den Anblick der schmerzverzerrten Gesichter nicht ganz so schlimm vorgestellt.

«Arme April», murmelte sie betroffen. «Sieht aus, als hätte sie sehr leiden müssen. Was meint David dazu?»

«Sie könnten vergiftet worden sein. Oder sie haben das Gift selbst genommen. Wir sollen vorsichtig sein, es gibt auch Kontaktgifte.»

«Gift? Ja, das macht Sinn.» Grandma straffte sich. «Trotzdem, erst müssen wir sicher sein, dass sie wirklich tot sind.»

Im Nu hatte sie ihr Schminkspiegelchen aus der Kleidtasche gezogen und hielt es dem toten Mann vor den Mund.

«Bitte, Grandma! Das ist Aufgabe der Polizei!» Kate bereute heftig, sich auf die Anwesenheit ihrer Großmutter am Tatort eingelassen zu haben. Doch nun es war zu spät und sie musste irgendwie damit zurechtkommen. Auch vor Aprils Mund hielt Grandma den Spiegel, indem sie von hinten an die Couch herantrat. In beiden Fällen war er kein bisschen beschlagen.

«Na bitte!» Zufrieden steckte sie den Spiegel ein. «Jetzt können wir ganz offiziell von zwei Toten sprechen.»

«Das verraten ja schon die Totenflecken», meinte Kate nachsichtig und hoffte, dass Emily sich jetzt dezent zurückziehen würde. Doch Grandma dachte nicht daran. Im Gegenteil, sie schien gerade erst Fahrt aufzunehmen. Jahrelang hatte sie kriminalistische Bücher wie Ermitteln leicht gemacht oder Die Psyche der Massenmörder verschlungen. Hier war endlich der Tatort, auf den sie lange gehofft hatte: das perfekte Labor für ihr Wissen.

Sie beugte sich über den Mann, hielt den Kopf etwas schief und studierte seine Pupillen. Wer weiß, welches Buch sie über Die Bedeutung der Pupille bei Gewaltverbrechen gelesen hatte.

«Ganz klar Tod durch Krämpfe», erklärte sie zufrieden. «Aber garantiert kein Selbstmord.»

«Wie kommst du darauf?»

«Wenn die beiden Selbstmord begangen hätten, warum sollte sich dann bis nach ihrem Tod eine dritte Person hier aufgehalten haben? Du sagtest doch, du hättest jemanden gesehen.»

«Ja, schon, aber …» Kate suchte nach einer Erklärung, um Grandmas scharfem Geist etwas entgegenzusetzen, aber ihr fiel auf die Schnelle nichts ein. «Gut, und wenn es so wäre?»

«Dann hätte April ihren Mörder gekannt und ihm vertraut. Wäre ich der Täter, hätte ich das Gift in den Tee getan.»

«Daran habe ich auch schon gedacht.»

Grandmas Selbstbewusstsein und ihr kluger Umgang mit den Fakten wirkte ansteckend. Für ihren Podcast hatte Kate oft genug Polizisten und Staatsanwälte interviewt und gelernt, dass Ermittlungsarbeit nur erfolgreich sein konnte, wenn man jeder noch so kleinen Spur folgte und fantasiereich nach Interpretationen suchte. Grandmas Bemerkung über die Anwesenheit eines Dritten hatte Kate aufhorchen lassen. Vielleicht sollten sie doch die Zeit bis zum Eintreffen der Polizei nutzen und sich noch einmal gründlich umsehen.

Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche. «Okay, es ist zwar nicht sehr pietätvoll, aber ich werde jetzt ein paar Fotos für David machen. Vielleicht sieht er ja etwas, das wir nicht sehen.»

«Tu das.» Grandma ließ jetzt ihren Blick über April schweifen und beugte sich schließlich über die rechte Hand der Toten. «Schau dir mal diesen Ring an.»

Am rechten Ringfinger der Toten steckte ein blauer, glatt geschliffener Opal in einer silbernen Fassung. Auf dem Stein sah man einen stilisierten Fisch und darunter die verschlungenen Buchstaben SDM eingraviert.

«Merkwürdig», bestätigte Kate. Sie warf einen Blick auf die Hände des toten Mannes. «Er trägt keinen Ring. Vielleicht gehörte April irgendeiner Vereinigung an.»

«Gut möglich.» Emily streckte ihre Hand aus. «Bitte gib mir mal meine Tasche.»

Kate reichte ihr die Strandtasche. Grandma griff hinein und holte ein kleines Kunststoffdöschen mit Schraubverschluss heraus. Es war ihr Milchbehälter für den Tee, jetzt war das Döschen leer und sauber ausgewaschen. Sie schraubte den Deckel ab und ging zum Couchtisch.

«Wir sollten eine Teeprobe nehmen, denke ich. Ich weiß auch schon, wer uns die analysieren kann.»

Natürlich, sie hatte Onkel Brian im Sinn, den Biologieprofessor.

«Mach das nicht», warnte Kate. «David sagt, wir sollen auf keinen Fall etwas anrühren!»

«Sei nicht so zimperlich, Kate!» Ruckzuck hatte Grandma einen durchsichtigen Tankhandschuh aus der Tasche gezogen und streifte ihn sich über die rechte Hand. «Außerdem würde es ja mich erwischen, und da wäre nicht mehr viel verloren.»

Sie griff mit der behandschuhten Hand nach der Teekanne, nahm den Deckel ab, legte ihn auf den Couchtisch und goss dann vorsichtig Tee in ihren kleinen Behälter. Kein einziger Tropfen ging daneben, Grandmas Sehkraft war trotz ihres Alters noch sehr gut. Kate sah, dass die Kanne etwa halb voll war. Also blieb genügend Flüssigkeit für den Polizeiforensiker.

Während Kate den Raum und schweren Herzens auch die Toten zu fotografieren begann, schraubte Grandma seelenruhig ihren Behälter zu und verstaute ihn zufrieden in ihrer Tasche. Tatendurstig blickte sie sich weiter um. «Wir sollten uns auch mal das geheimnisvolle Zimmer hinter der Tür anschauen», beschloss sie.

«Oh ja», antwortete Kate. «Von da muss es eine weitere Tür nach draußen geben.» Sie bewunderte Grandmas systematisches Vorgehen. Kate und die Familie wussten zwar, dass Emily sich selbst mit kniffligsten Kriminalfällen aus der Vergangenheit des High Courts zu beschäftigen pflegte, dass sie aber derart systematisch vorgehen konnte, hatte Kate unterschätzt.

Sie gingen am Couchtisch vorbei zu der Tür, hinter der Kate das Schlafzimmer vermutete und durch deren obere Verglasung ihr das geheimnisvolle Augenpaar entgegengeschaut hatte. Es kostete sie Überwindung, die Tür zu öffnen. Erneut benutzte sie dabei ein frisches Papiertaschentuch, um keine Spuren zu hinterlassen.

Der Raum war tatsächlich das Schlafzimmer. Außer einem Doppelbett aus weißem Holz und einem großen Schrank gab es keine nennenswerte Einrichtung. Das Bettgestell erstreckte sich an der linken Wand, gegenüber befand sich der Kleiderschrank, dessen Türen weit offen standen. Der gesamte Inhalt – Männer- und Frauenhosen, Unterwäsche, ein paar Hemden und ein Rock – lag auf dem Boden verstreut. In einer Ecke standen die Schuhe der beiden Toten, auch sie durcheinandergebracht. Der Rest der Besitztümer von April Thomson und dem zweiten Toten war in zwei ebenfalls durchwühlten großen Koffern verstaut, die aufgeklappt neben dem Bett auf dem Boden lagen. Hatten die beiden vorgehabt zu verreisen? Aber warum dann diese Unordnung? Wonach hatte der oder die Unbekannte gesucht?

Grandma war kopfschüttelnd stehen geblieben. «Entsetzlich! Wie nach einer Schlacht», stellte sie schockiert fest. «Was ist hier bloß los gewesen?»

Am anderen Ende des Schlafzimmers entdeckte Kate die Tür, die nach draußen führte und durch die die unbekannte Person geflüchtet sein musste. Was glaubte er oder sie hier zu finden? Grandma hatte recht: «Was war hier bloß los gewesen?» Was hatte April hier gewollt? Und besaß sie etwas, was einen Einbruch und dieses Chaos erklärte? Was hatte ihre einst so vielseitig interessierte Freundin überhaupt für ein Leben geführt, dass es nun ein so grausames Ende fand?

In der Ferne war die Sirene eines Polizeiautos zu hören.

«Himmel, sind die heute schnell», meinte Emily ironisch.

Kate lauschte. Die Sirene kam schnell näher. «Jetzt nichts wie raus, Grandma.»

Sie durchquerten den Wohnraum, zogen im Flur die Füßlinge aus und schlüpften in ihre Schuhe. Keine Minute später standen sie, wie gerade vom Strand gekommen, vor dem Haus. Insgeheim war Kate stolz auf ihre eigenwillige Großmutter, mit ihr konnte man wirklich Pferde stehlen.

«Ich weiß übrigens, wem das Ferienhaus gehört», sagte Grandma plötzlich wie nebenbei.

«Ach so?» Kate war irritiert. «Wem denn?»

«Lewis Grenville, Aprils Großvater.»

Kate blickte sie erstaunt an. «Warum erzählst du mir das erst jetzt?»

«Es ist mir gerade wieder eingefallen», antwortete Grandma seelenruhig, Kate spürte jedoch, dass sie nicht die volle Wahrheit sagte. Als würde ihre Großmutter sich davor drücken, das Thema Grenville zu vertiefen, zeigte sie schnell zum Strand, wo man Oscar und Poppy mit dem Jack Russell herumtoben sah.

«Siehst du, die Kinder sind gut abgelenkt! Dann werde ich ihnen jetzt mal ihr Eis geben … Viel Glück mit der Polizei!»

Kurz winkend und ihre Strandtasche schwenkend verschwand Grandma zwischen den Ginsterbüschen. Sie machte sich gerade rechtzeitig unsichtbar, denn nur Sekunden später erschienen ein Streifenwagen und ein weißer Van.