Das Leben ist kein scheiß fucking Liebesroman - Christien Marie Wach - E-Book

Das Leben ist kein scheiß fucking Liebesroman E-Book

Christien Marie Wach

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Beschreibung

Linn hat die Nase voll! Sie verschlingt Liebesromane, als wären es Pralinen. In ihrem Leben gibt es allerdings keinen Hauch von Romantik. Als erfolgreiche Single-Coachin predigt sie die Liebe zwar immer, hat sie selbst jedoch längst aufgegeben. Früher hat sie viele Verehrer gehabt, doch seit ihrer Scheidung scheinen alle Männer wie vom Erdboden verschluckt. Jetzt zweifelt sie nicht nur an der Liebe, sondern auch an ihrem Job und sich selbst. Doch das Leben hat andere Pläne für sie. Als sich herausstellt, dass sie für Männer durchaus attraktiv ist, aber gleichzeitig unnahbar wirkt, muss Linn sich entscheiden: Wird sie in ihrem eigenen Liebesroman die Hauptrolle spielen, oder weiterhin als Zuschauerin in der Geschichte ihres Lebens verharren? »Das Leben ist kein schei$ f***ing Liebesroman« ist eine spritzige, humorvolle und dennoch tiefsinnige Reise in die Welt der Liebe, die beweist, dass wahre Romantik manchmal genau da zu finden ist, wo sie am wenigsten erwartet wird.

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Das Leben ist kein schei$ f***ing Liebesroman

© Christien Marie Wach

Überarbeitete Auflage 2024

(Erstveröffentlichung Dezember 2023)

Autorin, Herausgeberin:

Christien Marie Wach I www.wortmagierin.de

Coverdesign:

Renee Rott I www.cover-and-art.de

Grafiken:

Adobe Stock Lizenzen, Mensch-KI-Logo Pelle Gernot, Canva Pro, eigene

ISBN Softcover: 978-3-384-01849-6

ISBN E-Book:978-3-384-01850-2

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, D -22926 Ahrensburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig.

Die Publikation und Verbreitung erfolgt im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter:

Christien Marie Wach, Grubenstr. 64, D-53179 Bonn

Viel Lesegenuss und stets Glitzer

in der Konfettikanone des Lebens wünscht

Christien Marie Wach

Das Leben ist kein

schei$ f***ing Liebesroman

Lebens- und Liebesgeschichte • Roman

Inhalt

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

Epilog

Happy New Beginning

Irgendwann …

Für alle Volkers dieser Welt

Was es noch zu sagen gibt

Personen und Locations

Prolog

»Marc ist toooot!«, heulte Linn durchs Telefon, noch bevor Tina überhaupt einen Ton sagen konnte.

»Waaaas?« Tina war total überrumpelt, wusste so gar nicht, was sie sonst antworten sollte. Seit sie sich kannten, hatte Linn sicher niemals geweint. Oder? Jedenfalls nicht, dass sie wüsste.

»Er wird nie erfahren, dass er Vater wird!«

»Um Gottes Willen! Das ist ja furchtbar!«, unterbrach Tina und stockte. Normalerweise war sie die emotionalere der beiden Freundinnen. Im Moment allerdings behielt sie ausnahmsweise besser den kühleren Kopf. »Aber wer ist Marc und woher kennst du ihn? War er einer deiner Klienten?«

»Das Buch …«, schniefte Linn. »Ich musste es einfach zu Ende lesen. Und … und … und …«, stammelte sie und brach erneut in Tränen aus.

»Welches Buch? Wovon in aller Welt redest du? Ich verstehe gerade überhaupt nichts. Noch nicht einmal Bahnhof.«

»Na das Buch … Der Roman … Lilly …. Marc …«

Tina stutzte und kramte in ihren Erinnerungen … Ihr fiel etwas ein. Aber das konnte doch nicht ... »Ernsthaft, Linn? Du rufst mich mitten in der Nacht an, um mir zu sagen, dass der Romanheld tot ist?«, rutschte es ihr heraus.

»Du hättest ja nicht rangehen müssen«, nuschelte Linn.

»Natürlich gehe ich ran. Es hätte schließlich etwas Ernsthaftes passiert sein können!«

»Es ist etwas Ernsthaftes passiert«, schluchzte Linn leise.

»Echt jetzt? Linn! Das Leben ist doch keiner … keiner dieser Romane!«

»Das Leben ist die Vorlage für diese Romane.«

»Aislinn Dammerau … Ich weiß nicht, was ich sagen soll. So kenne ich dich gar nicht.«

»Ja ja … Ich weiß … Aislinn bedeutet zwar die Träumerin, klingt allerdings wie schockgefrostet. Eiskalt und unnahbar. So langsam verstehe ich, was alle von mir denken.«

»Diesen Eindruck hinterlässt du oft, meine Liebe. Also den der Unnahbarkeit. Du Träumerin.«

»Ehrlich?«

»Ja, irgendwie schon. Stark, taff, unnahbar, der Welt entrückt, jenseits von Gut und Böse, über alles erhaben. Man möchte dir nahekommen, schafft es aber nicht.«

»Aber das bin ich doch gar nicht«, protestierte Linn ganz leise.

»Nun … Wie mir scheint nicht. Verrate mir doch bitte, weshalb dir die Geschichte gerade so nahegeht.«

»Sie hatten nur 10 Tage zusammen …«, begann Linn.

»Was?«, unterbrach Tina. »Und deshalb dieser Zirkus? 10 Tage?«

»Tina«, unterbrach Linn sanft. »Sie hatten 10 Tage. Ja. Doch als sie sich begegneten, war ihnen schon die Besonderheit zwischen ihnen klar. Tina … Es ist einfach so … Ich habe noch nie eine so tiefe Liebe erfahren. Ein Bewusstsein darüber, dass genau dies der Mensch ist, mit dem ich BIN und mit dem ich SEIN will. Und das beruhend auf Gegenseitigkeit. Ein so tiefes Ja - ich will zueinander, ein verpflichtendes Versprechen, Hingabe …«

»Oh mein Gott, Linn! Das tut mir so leid! Das habe ich nicht gewusst!«

»Das habe ich auch noch nie jemandem erzählt. Es hat schlichtweg keinen interessiert.«

»Linn, lass uns schlafen«, bat Tina sanft. Schon alleine deshalb, weil sie nichts mehr zu sagen wusste. »Morgen ist ein neuer Tag. Ich brauche dringend meine Nachtruhe und du auch. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Tina. Sorry, dass ich dich geweckt habe.«

Noch lange, nachdem das Gespräch beendet war, lag Tina wach und konnte nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn sie kurz davor war, in das Land der Träume zu gleiten, sah sie Linns Gesicht vor sich. Linn …

Sie lernten sich kennen, kurz nachdem Linn vor ein paar Jahren nach Bonn gezogen war. Linn - die Strahlende, meistens ein Lächeln im Gesicht, immer ein gutes Wort für jeden in ihrem Umfeld, verständnisvoll, lustig, für fast jeden Scherz zu haben - außer dieser ging zulasten eines anderen, groß, schön. Sobald Linn einen Raum betrat, schien dieser heller zu werden. Tina kannte niemanden, die/der nicht in Linns Nähe sein wollte.

Linn hatte viel Schlimmes in ihrem Leben erlebt und doch schien sie darüber erhaben zu sein. Sie machte immer das Beste aus allem, suchte Lösungen, war sehr erfolgreich in ihrem Job. Linn war ihre Leuchtfigur, sie schaute bewundernd zu ihr auf. Manchmal kam sie sich klein dagegen vor. Doch diese Augenblicke waren eher selten.

Vieles ging Tina durch den Kopf, während sie über Linn nachdachte. Doch entsprach dieses Bild tatsächlich der Realität? Es schien Dinge zu geben, die nicht dafürsprachen.

Je weiter die Nacht voranschritt und der Morgen graute, wurden Tina immer mehr Szenen, vermeintliche Kleinigkeiten bewusst, die ihr Linn-Bild wackeln ließen und sich neu zusammensetzten.

Tina wurde schlagartig klar, wie falsch sie mit ihrer bisherigen Einschätzung lag und wie einsam Linn hinter ihrer Schutzmauer sein musste. Denn dass es eine gab, war für sie nun offensichtlich.

»Verdammte Axt, Linn - was, besser wer bist du wirklich?«

1. Kapitel

Wo waren nur diese dämlichen Enten, wenn sie gebraucht wurden …

Linn saß am Ufer eines kleinen Sees, den sie bei ihrer Wanderung entdeckt hatte. Name unbekannt. Egal. Irgendwo in der Pampa eben.

Wobei sie ihre Flucht aus dem Büro keinesfalls Wanderung nennen konnte. Linn war geradewegs aus den Räumen getürmt, weil sie das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Sie schaffte es gerade noch so, die Türe zuzuklatschen und dann nichts wie weg. Mit dem Auto fuhr sie irgendwohin und rannte, wie von einer Tarantel gestochen, einfach los. Ohne Ziel. So war sie am Ufer des kleinen Sees gelandet.

In jedem anständigen Liebesroman wäre gerade der Himmel blau, würden die sanften Wellen des Wassers im Sonnenlicht glitzern, die Luft von Kräuterduft, oder so, geschwängert sein, Schmetterlinge verspielt um farbenprächtige Blüten tanzen, irgendeine Entenfamilie …

Auf diese Enten war einfach kein Verlass. Noch nicht einmal eine Gänseformation flog über den Horizont. Stattdessen waren sowohl Luft als auch Wasser trübe - wie die Stimmung von Linn.

Lediglich eine einsame, schwer beladene Hummel torkelte ziemlich dicht an ihrer Nase vorbei, um mit einem überraschend lauten Flump in der nächststehenden Blume zu versinken.

»Sag mal … Wie viel Promille hast du denn?«, fragte Linn belustigt - eher sich als die Hummel. Woraufhin ein tiefes Brummen den Blütenkelch vibrieren ließ. Linn lachte. Auch wenn es ihr überhaupt nicht danach zumute war.

Komplett mit Blütenstaub paniert startete die Hummel … versuchte es zumindest … um prompt wieder mit einem Flump im Pollenmeer unterzugehen.

Linn beobachtete dieses Schauspiel fasziniert. Dabei fiel ihr auf, dass die kleine Hummel samt der Blüte die einzigen Farbtupfer zu sein schienen, die sie wahrnehmen konnte. Alles andere kam ihr augenscheinlich grau und farblos vor. Wie innen so außen, dachte sie. Anscheinend spiegelte die Außenwelt wirklich wider, wie es in ihrem Innenleben aussah. Wann genau war es passiert, dass die Farbe aus ihrem Leben verschwand? Wer hatte die Farbpalette versteckt und aus welchem Grund?

Linns Handy klingelte in die nachdenkliche Stille hinein. Mist. Das Ding steckte tatsächlich in der Jackentasche. *Tina* leuchtete auf dem Display auf.

Seit Linns nächtlicher, telefonischer Heulattacke war einige Zeit vergangen. Tina erwähnte diesen Anruf mit keinem Wort mehr und tat so, als hätte diese Aktion nie stattgefunden.

»Tina …«

»Hi Linn. Gut, dass ich dich erreiche.«

»Was ist los?«

»Männer sind los …«, fing Tina an.

Linn verdrehte die Augen. »Was auch sonst.«

»Besser gesagt, nur einer …«

»Okay … schieß los.«

Tina hatte sich vor einiger Zeit bei der Wisch & Weg-Dating-App angemeldet und Linn um ihre Meinung zu den Fotos gebeten. Diese riet ihr, andere Bilder zu nehmen, weil sie sie zu übertrieben bearbeitet, zu unecht fand und es nicht nach ihr aussähe. Tina packte die Fotos dennoch ins Profil - der Schuss ging wohl nach hinten los.

Mit einem der Kontakte schrieb und telefonierte Tina eine Weile, dann lud er sie zum Essen ein.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Tina ziemlich ratlos. »Erst haben wir so oft geschrieben, telefoniert und einen wunderschönen Abend verbracht. Jetzt teilt er mir mit, es sei alles sehr nett gewesen, er allerdings noch nicht bereit für eine Beziehung.«

»Süße … Der will schon eine Beziehung. Nur nicht mit dir. Er will dich nur nicht verletzen.«

»Boah, Linn! Musst du das immer so schonungslos sagen …«, seufzte Tina frustriert.

»Du kennst mich doch. Ich nenne die Dinge lieber beim Namen. Für Rumeiereien fehlt mir absolut die Lust. Reine Zeitverschwendung.«

»Seit wann das denn? Ähm … ich meine das mit der Zeitverschwendung. Dass du gnadenlos ehrlich bist, weiß ich und gerade das schätze ich an dir. Obwohl es echt nicht immer schön ist, Wahrheiten so brutal vor den Latz geknallt zu bekommen.«

»Ich weiß auch nicht … Momentan habe ich das Gefühl, es läuft so überhaupt nichts nach Plan, nach Wunsch … wie auch immer. Sondern eher alles aus dem Ruder. Und ich bilde mir ein, mir rennt die Zeit davon.«

»Wo steckst du überhaupt? In der Praxis bist du anscheinend nicht.«

»Irgendwo in der Pampa. Keine Ahnung.«

»Wie … keine Ahnung? … Du hast doch sonst immer eine Ahnung.«

»Nicht wirklich, Tina. Nicht wirklich. Ich habe keine Ahnung - davon aber ganz viel.«

»Das klingt nicht wirklich gut. Sehen wir uns nachher?«

Linn schaute aufs Display … Mist! Den Termin hätte sie fast vergessen! »Tut mir leid, meine Liebe. Heute nicht. Ich habe noch eine Verabredung und diese fast verschwitzt.«

2. Kapitel

»Aislinn«, begrüßte Volker Linn charmant, als sie zu seinem Tisch im Konrad’s***, einem Gourmet Restaurant, das sich im 17. Stock des Marriott Hotels in Bonn befand, geleitet wurde. Er nahm ihre Hand, sah sie bewundernd an und hauchte ihr einen Begrüßungskuss auf die Wange. Einen Moment hielt er inne und sog ihren Duft ein. »Du riechst gut«, murmelte er.

»Wie du meinen Namen aussprichst, klingt es wie eine besonders leckere Delikatesse«, schmunzelte Linn. »Hallo mein Lieber. Ich freue mich, dass es heute mit uns geklappt hat.«

»Die Freude ist ganz meinerseits. Bitte verzeih, dass ich nicht draußen auf dich gewartet habe. Wagner ist leider gerade eben erst verschwunden.«

»Du weißt, dass ich damit kein Problem habe. Obwohl ich deine besondere Aufmerksamkeit ja immer sehr schätze und genieße«, zwinkerte ihm Linn zu.

Volker machte eine einladende Geste und half ihr, gentlemanlike, am Tisch Platz zu nehmen. »Ist es in Ordnung, dass ich bereits für uns bestellt habe?«

»Ob das in Ordnung ist? Machst du Witze? Seit wie vielen Jahren treffen wir uns schon zum Essen und wann hätte ich dir je nicht vertraut?«

»Ähm … ja«, räusperte sich Volker. »Möglicherweise hat sich etwas verändert und ich habe es nicht mitbekommen. Mann weiß ja nie.«

»Das klingt, als hättest du eine Begegnung der dritten Art gehabt. Was ist los?«

»Später … vielleicht.«

Linn sah Volker überrascht in die Augen und wurde sofort von seinem Blick gefangen. Dunkelbraun waren sie … Nein … irgendwie schokoladenbraun ... Wenn es so etwas wie schokoladenbraune Augen gab, dann mit Sicherheit die von Volker. Mit vielen kleinen goldenen Sprenkeln. Im Moment sah es so aus, als tobe ein Wirbelsturm darin. Einen Hauch später ließen die Wirbel nach und die Sprenkel tanzten wie ein Schwarm Glühwürmchen in der Abenddämmerung.

Hatte sie ihm jemals so direkt in die Augen geschaut? Linn konnte sich nicht erinnern. Meistens war sie seinem Blick ausgewichen, hielt ihm nicht stand. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, er könne direkt in ihre Seele schauen und dass sie wie ein offenes Buch für ihn wäre … Heute, ja heute war es ihr egal, was er in ihr lesen konnte. Egal, welche Schlagzeile im Moment obenauf stand - egal, welches Kapitel aufgeschlagen war.

Ihr Blick wanderte weiter … Es war, als sähe sie ihn heute überhaupt zum ersten Mal. Dass er ziemlich attraktiv aussah, war ihr schon immer bewusst. Sie kannten sich immerhin so gut wie ihr halbes Leben. Diese braunen Augen … wie flüssige Schokolade … Die feinen Fältchen in den Augenwinkeln, die sich bereits bildeten, kurz bevor er lachte. Sein Lachen begann stets in diesen wundervollen Augen, bevor es auf seinem schön geschwungenen Mund erschien. Linn starrte auf diese sinnlichen Lippen und fragte sich einen Moment, wie es wohl wäre, sie zu küssen … ihn zu küssen.

Etwas benommen nahm sie Volkers markante Gesichtszüge wahr, die dunklen Augenbrauen, den Bartschatten. Eine vorwitzige Locke fiel ihm ins Gesicht und Linn war einen Moment versucht, sie zurückzustreifen. Seine Haare waren schon immer etwas schwer zu bändigen gewesen. Sie lächelte bei dem Gedanken daran, wie er früher oftmals fluchte, weil sämtliche Stylingversuche misslangen.

Er roch so gut. Nach ihm, nach Mann, einem Hauch Sandelholz und … Sie hielt den Atem an.

»Atmen nicht vergessen, Linn«, erinnerte Volker sie sanft. Unabhängig dieses atemberaubenden Moments war das, seit ihrer Geburt, eines ihrer Probleme - sie vergaß mitunter zu atmen. Er wusste es, hatte immer darauf geachtet. »Und … Gefällt dir, was du siehst?«

»Die Jahre haben dir echt nicht geschadet«, antwortete sie nach einer Weile. »Du bist noch immer äußerst ansehnlich, mein Lieber. Heute sogar noch mehr als damals.«

»Wow … Linn«, hauchte er.

»Jaaa?«

»Du hast mir tatsächlich ein Kompliment gemacht?«

»Es ist ja nicht so, als hätte ich dir niemals etwas Nettes gesagt«, beschwerte sich Linn.

»Stimmt, das hast du. Von hey, schicke Uhr bis der Anzug steht dir, war einiges dabei. Doch noch nie hast du mir auch nur mit einem Ton zu verstehen gegeben, dass du mich gutaussehend findest. Dass ich dir gefalle … Ähem … gefallen könnte … Ach Shit.«

»Hach Volker.« Linn klimperte theatralisch mit den Wimpern. »Muss frau dir das wirklich sagen? Ich denke, du weißt, dass dir mindestens die halbe Frauenwelt zu Füßen liegt und dich anhimmelt.«

»Die halbe Frauenwelt … Soso … Was, wenn mir das egal wäre?«

»Ist es das?«

»Ja.«

»Den Eindruck hatte ich nicht unbedingt.«

»Also ehrlich, Linni. Hast du mich tatsächlich als Womanizer auf dem Schirm?«

Linn räusperte sich. »Ich …« Weiter kam sie nicht, denn die Vorspeise wurde serviert.

Schweigend genossen sie Bretonische Jakobsmuscheln mit Risotto, weißem Spargel und Fenchel.

»Mmmmhhh … sooo lecker«, schwärmte Linn.

Volker betrachtete sie schon die ganze Zeit mit Blicken, die sie ganz und gar nicht einordnen konnte.

»Schmeckt es dir denn nicht?«, fragte sie ihn.

Er hatte noch nicht wirklich viel gegessen. »Doch, sehr«, beeilte er sich zu sagen und widmete sich wieder seinem Teller.

Linn nahm nicht viel vom Restaurant wahr. Ihre Sinne behielt sie lieber bei sich und ihrem Gegenüber. Davon war sie mehr als gefordert. Irgendwo weiter entfernt im Raum bemerkte sie jedoch eine Bewegung und sie hatte das Gefühl, die Art, wie sich diese Person bewegte, wäre ihr vertraut. Doch so schnell wie es gekommen, war es auch schon wieder verschwunden.

Am Nachbartisch unterhielten sich zwei Paare lautstark darüber, wie sie sich kennengelernt hätten. Über eine Dating-App …

Volker erzählte Linn plötzlich, er hätte sich vor einiger Zeit tatsächlich bei so einer App angemeldet.

»Ach … Du auch?«, fragte Linn erstaunt.

»Wieso? Du ebenfalls?«

Linn winkte ab. »Hatte ich. Aber direkt wieder abgemeldet. Wieso du? Du hast doch alle Chancen dieser Welt?«

»Du doch ebenso«, konterte er.

»Davon weiß ich nichts.« Sie zuckte mit den Schultern.

Er musterte sie eine Weile eingehend. »Linni … Linni. Du weißt es wirklich nicht. Immer noch wie früher. Checkt nichts.«

»Stimmt. Irgendwie bekomme ich das nie mit. Vielleicht bin ich zu altmodisch.«

»Wieso?«

»Na ja … Ich stelle mir das immer noch so vor, dass Männer eine Frau erobern wollen. Manchmal denke ich, diese Zeiten sind vorbei und ich habe was verpasst.«

»Nein, eigentlich ist es noch immer so.«

»Und uneigentlich?«

»… machen es einem die Frauen zu schwer, zu einfach, oder sie betrügen bereits beim Profil.«

»Manche Männer genauso. Erzähl … Komisches Erlebnis gehabt?«

»Leider nicht nur einmal. Wegen des letzten Dates bin ich extra nach Bonn gekommen. Und was war? Sie entspricht in keiner Weise ihrem Profil. Weder Bilder, noch Angaben. Sie hätte dennoch eine Chance haben können, aber …«

»Aber?«

»Es ist schon damit losgegangen, dass sie gedanklich jedes Gericht auf der Karte zerpflückt, ich ihr die Bestellung schließlich abgenommen habe, was sie zunächst kategorisch abgelehnt hat. Das Essen schien sie so gar nicht genießen zu können, schaufelte alles, samt Weißbrot, einfach in sich rein. Die Unterhaltung … na ja …«

»Totaler Reinfall?«

»So ziemlich.«

»Ich muss mal eben wohin«, unterbrach Linn.

»Du kannst ruhig Toilette sagen«, grinste Volker. »Ich bin mir dessen bewusst, dass selbst Frauen da hinmüssen und nicht nur Feenstaub pupsen.«

Linn kicherte zunächst und lachte dann herzhaft auf, was Volkers Augen strahlen ließ. »Es ist schön, dich wieder so lachen zu sehen«, raunte er leise.

Sie schaute ihn erstaunt an. »Das … mit dem Feenstaub klingt so, als hättest du selbst schon Liebesromane gelesen.«

Er zwinkerte ihr zu. »Wer weiß.«

Linn stand auf und machte sich auf den Weg zur Toilette. Gerade als sie um die Ecke bog, prallte sie mit jemandem zusammen. Sie stutzte. »Tina? Was machst du denn hier?«

»Ist das da drüben dein alter Freund?«, fragte diese reichlich außer Atem und zeigte Richtung Volker.

»Ja, das ist er.«

»Das ist der Typ, mit dem ich … der mich …«

Linn brauchte einen Moment, bis sie begriff. Sie machte große Augen, wollte Tina festhalten. »Tina! Lass es! Du gehst da nicht hin!«

Doch Tina riss sich los, ging nicht hin - sie rannte. Linn konnte gar nicht so schnell reagieren und signalisierte Volker, der in ihre Richtung blickte, nur von weitem ihr Bedauern.

Tina baute sich vor Volker auf, während dieser, etwas pikiert, zu ihr aufsah. Sie schrie ihn an. Er hörte ihr ungerührt zu, nahm gar nicht wirklich wahr, was sie von sich gab. Als sie endlich fertig war mit ihren Schimpftiraden, zückte er sein Smartphone. »Bettina Baumann - löschen.«

Wutentbrannt stapfte Tina aus dem Restaurant, während Linn, die gerade von der Toilette kam, ihr verwundert nachschaute.

»Puh. Was für ein Abgang. Und damit meine ich nicht den Wein«, lachte Linn und prostete Volker zu.

»Hast du von der Sache gewusst? Also dass sie mit mir …? Ich meine, sie ist anscheinend eine Freundin von dir …«

»Freundin ja. Ich weiß von der Dating-App. Was die Fotos betrifft, hat sie mich nach meiner Meinung gefragt und ich habe ihr dazu geraten, andere zu nehmen. Doch auf diesen Ohren ist sie taub. Und blind«, schmunzelte Linn.

»Du hast also nicht gewusst, mit wem sie sich trifft?«

»Nein. Hat mich, ehrlich gesagt, nicht interessiert. Bei Tina gibt es ständig irgendwelche Männer- und Datingprobleme. Ich gestehe, dass ich schon gar nicht mehr wirklich zuhöre.«

»Das ist echt ein Ding.«

»Und … Vom Schock erholt?«

»Wenn du mir gegenübersitzt, geht sowas rasend schnell vorbei«, zwinkerte er ihr zu.

»Sag mal … Flirtest du etwa mit mir?«

»Wann tue ich das jemals nicht?«, fragte Volker unschuldig. »Die Frage war immer nur, wann du es merkst.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich in dein Beuteschema passe.«

»Beuteschema?«

»Ja. Groß, blond, Bambiaugen, Modelfigur …«

Volker verschluckte sich fast beim Trinken und schaute Linn etwas entsetzt an. »Mir scheint, du weißt überhaupt nichts über mein vermeintliches Beuteschema.«

»Liege ich etwa falsch?«

Er sah sie lange und eindringlich an. »So ziemlich.«

Zum Hauptgang hatten sie Skrei & Fjordforelle mit Hokkaidokürbis, Spinat, Pernod Beurre Blanc und mehr Blicke als Worte genossen.

»Und …«, begann Volker. »Hast du immer noch kein Beuteschema?«

»Nö.«

»Schau mal … Wie wäre es mit dem Typen da drüben? Oder dem? … Oder dem?« Er zeigte unauffällig zu den jeweiligen Männern.

»Zu klein, zu breit, zu untrainiert, zu dunkle Augen, zu helle Augen zu zu dunklen Haaren …«

Volker sah Linn intensiv an. »Okay. Wie heißt dein Nicht-Beuteschema?«

Linn schluckte und hielt wieder den Atem an. Scheibenkleister. Erwischt. »Volker …«, begann sie.

»Volker ja nun wohl nicht«, erwiderte er. Etwas leiser, so leise, dass sie ihn nicht hören konnte, fügte er hinzu: »Leider.«

Als Dessert gab es Passionsfrucht, Valrhona Caramélia, Physalis und Crumble. Genießerische Stille herrschte zwischen Linn und Volker, in der sie sich immer wieder an- und vor allem in die Augen schauten. Wenn das so weitergeht, dachte Volker, dann ertrinke ich hoffnungslos im Ozean dieser türkisfarbenen Augen. Er seufzte laut, was Linn zu einem Kichern veranlasste.

»Wie schön, dass ich zur allgemeinen Belustigung beitragen kann«, schmunzelte Volker und brach damit das Schweigen. »Wie wäre es noch mit einem Drink drüben in der Sky Bar?«

»Sehr gerne«, erwiderte Linn.

»Na dann los. Mylady - nach Ihnen.«

»Was darf es sein? Alkoholfreier Cocktail, wie immer?«, erkundigte sich Volker.

»Nein.«

»Nein?«

»Heute habe ich Lust, mal etwas ganz Wildes auszuprobieren«, sagte Linn. »Ich habe Negroni auf der Karte entdeckt. Dieser Drink wird immerzu in den Liebesromanen getrunken. Besser gesagt, gesoffen. Deshalb möchte ich wissen, wie das schmeckt.«

»Liebesromane, Linn?«, fragte Volker. »Du liest so etwas? Vorhin dachte ich, das wäre ein Witz … oder so.«

»Schuldig im Sinne der Anklage. Seit einigen Monaten inhaliere ich das Zeug regelrecht.« Linn war die Peinlichkeit anzusehen. Aber gut … Volker war ihr alter Freund. Wenn er es nicht verstehen würde, wer dann?

»Das hätte ich wirklich nicht vermutet, Aislinn. Liebesromane … Seit wann denn?«

»Seit ich mir den Luxus eines E-Book-Readers gegönnt habe. Für Liebes-Prints könnte ich nicht so viel Geld ausgeben. E-Books allerdings …«

»Linni, du erstaunst mich. Immer wieder.«

»Du denkst jetzt bestimmt, ich habe nicht mehr alle Latten am Zaun. Oder?«

Volker stand dicht neben ihr. Sie war sich seiner Präsenz sehr bewusst. Mehr als ihr lieb war. Ihr Atem stockte. Mal wieder. Sie zwang sich weiter zu atmen. Was auch keine gute Idee war, denn nun inhalierte sie schon wieder seinen Duft. Ihr wurde schwummrig.

»Sollen wir gehen? Du siehst etwas mitgenommen und müde aus, meine Liebe.«

»Nein. Äh ja … Ich glaube, das wäre ganz gut.«

»Negroni beim nächsten Mal?«

Sie lächelte. »Ja, beim nächsten Mal.«

Volker begleitete Linn zum Parkplatz. Schweigend standen sie sich gegenüber und sie sah zu ihm auf. Mit seinen ca. 1,90 m überragte er sie ein gutes Stück, obwohl sie mit ihren 1,76 m auch nicht gerade klein war. Die Luft begann ganz leicht zu vibrieren. Oder vibrierte sie selbst? Sie konnte es nicht unterscheiden. Im dämmrigen Licht der Straßenlaterne wirkten Volkers Augen noch dunkler und sie glaubte, darin etwas zu lesen. Allerdings verstand sie diese Sprache, die unausgesprochene Botschaft nicht. Verflixt noch eins. Wieso konnte sie so etwas nicht?

Sie standen sich nah, sehr nahe sogar. Nur einen Hauch noch und ihre Lippen würden sich berühren. Linn konnte seinen Atem auf ihrer Haut, ihrem Mund spüren.

»Gute Nacht, Aislinn«, flüsterte Volker. Seine Stimme klang rau. »Bis bald.« Der Bann war gebrochen.

»Ähm … ja. Bis bald.« Linn drehte sich um, ging ein paar Schritte und blieb dann stehen, blickte lediglich über ihre Schulter zurück. »Volker?«, rief sie leise.

»Ja?« Er hob den Kopf und schaute in ihre Richtung.

»Ich kenne übrigens deinen richtigen Namen.«

»Was? Woher …«, stammelte er.

»Ich hatte Besuch. Von Men in black«, schmunzelte Linn leicht vor sich hin. »Sie haben mich nicht geblitzdingst. Keine Angst. Lediglich nach dir gefragt.«

»Puh …« Volker stieß hörbar Luft zwischen den Zähnen aus. »Ändert das etwas zwischen uns?«

»Nein. Abgesehen davon, dass sich etwas verändert hat … Das nicht, nein.« Sie drehte den Kopf wieder zurück und verschwand in der Nacht.

***Kleiner Vorgeschmack auf das Konrad´s gefällig?

Genießt leckeres Essen in einem gastronomischen Highlight Bonns, natürlich auch Drinks in der Sky Bar - samt spektakulärem Ausblick.

3. Kapitel

Volker wusste nicht mehr, wie lange er dastand und Aislinn nachstarrte, hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er schwankte zwischen endlich aufs Hotelzimmer oder noch etwas an den Rhein zu gehen. Vielleicht wäre ein Absacker in der Sky Bar gut. Er konnte sich nicht so recht entscheiden. So verwirrt kannte er sich gar nicht.

Noch reichlich unentschlossen schlenderte Volker gemächlich durch die Lobby des Marriott Hotels Richtung Aufzüge. An einem öffnete sich gerade die Türe und heraus schritt … Lukas Wagner. Grinsend und mit einem frisch-gevögelt-Ausdruck im Gesicht. Lukas hatte Volker natürlich entdeckt und kam lässig auf ihn zu. Volker stöhnte innerlich. So sympathisch Lukas sein mochte und so sehr er ihn als Geschäftspartner schätzte - dieser Kerl war ein absoluter Weiberheld und keine halbwegs hübsche Frau vor ihm sicher. Normalerweise störte es Volker weniger - aber gerade könnte er ihm ungebremst in die Fresse schlagen. Damit dieses dämliche Grinsen endlich aufhörte.

»Volker, Kumpel … Du ziehst eine Miene wie mindestens zwei Wochen Dauerfrost. Wenn du weiterhin so guckst, erkälte ich mich noch. Was ist passiert? Dein Date schon vorbei?«

»Linn …«, begann Volker zögernd. »Linn ist passiert. Und … es war kein Date, wie du weißt.«

»Linn? Etwa die Linn? Die Eisprinzessin?«

Volker verdrehte genervt die Augen. »Hör auf mit dem Scheiß von wegen Eisprinzessin und so!«

»Peace Alter!« Lukas hob beschwichtigend die Hände. »Seit wann verstehst du keinen Spaß mehr? Im Übrigen stammt der Ausdruck der Eisprinzessin ja von dir. Sofern du die Freundlichkeit hättest, dich zu erinnern.«

»Meine Güte«, stöhnte Volker genervt. »Das ist Jahrhunderte her.«

»Hey … tut mir leid, Kumpel«, zeigte Lukas sich versöhnlich. »Raus mit der Sprache. Was ist los?«

»Keine Ahnung.«

»Wie … keine Ahnung?«

»Egal. Keine Ahnung eben. Ich muss das alles erst mal sacken lassen.«

»Also, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dich hat es ganz schön erwischt.«

Volker schaute Lukas eine ganze Weile in die Augen. »Du hast recht. Mich hat es erwischt. Die Frage ist nur - was genau?«

Lukas betrachtete seinen Freund und Geschäftspartner eingehend. Das Leben hatte es gut mit Volker gemeint. Zumindest äußerlich. Er war genau so groß wie er selbst. Sie hatten beide eine gut trainierte Figur und einen Hang zu lässigen, sportlich-schicken Outfits. Während Lukas’ dunkelblonde Haare etwas zu lang waren, als dass es nach einer Frisur aussah und immer etwas wirkten, als käme er frisch aus irgendeinem Bett, hatte Volker dunkle, mittlerweile mit einigen Silbersträhnen durchwirkte, Locken. Lukas besaß veilchenblaue Augen, während die von Volker braun waren. Ebenso dessen Haut. Gut, dieser Bräune stand Lukas in nichts nach - war er doch ständig unter irgendeiner Sonne zu finden. Entweder der echten, oder eben im Solarium.

»Bestandsaufnahme beendet?«, meldete sich Volker nach einer Weile zu Wort. »Gefunden, wonach du gesucht hast?«

Lukas grinste. »Wir zwei sind doch noch recht knackige Kerle. Findest du nicht auch?«

Volker musste wider Willen schmunzeln und schüttelte leicht den Kopf. Lukas war einfach unverbesserlich. Ein liebenswerter Scheißkerl.

»Komm, ich lade dich noch auf einen Absacker ein«, sagte Lukas. »Schätze, wir können einen vertragen. Besser gesagt, ich einen und du mindestens drei bis viele.«

So fand sich Volker erneut in der Sky Bar, hoch oben im 17. Stock des Marriott. Nicht mit Linn an seiner Seite, aber mit einem Negroni in der Hand. Ohne darüber nachzudenken hatte er einen bestellt. Weibergesöff titulierte Lukas es und orderte für sich einen doppelten Whisky.

Während Lukas bereits wieder einer vollbusigen Blondine im Ausschnitt hing, ging Volker nach draußen, auf die Terrasse, von der sich ein wundervoller Blick auf Bonn und den Rhein bot. Es war lau und kein Wölkchen zeigte sich am Nachthimmel. Unzählige Sterne funkelten, die Stimmung hatte etwas Magisches. Es war eine Nacht, perfekt für ein romantisches Date … Moooment. Was bitte? Was dachte es da gerade in ihm?

Linn … hallte es ständig in seinem Inneren wider und ihr Gesicht erschien vor seinem geistigen Auge. Linn verwirrte ihn. Über sein Verhalten war er ebenso verwirrt. Er begriff so überhaupt nicht, was mit ihm los war.

Auch wenn es den Anschein machte, war Lukas mit seiner Aufmerksamkeit nicht bei der drallen Blonden, die ihm allzu deutlich signalisierte, dass sie an einem Schäferstündchen interessiert sei. Nein, Lukas war mit all seinen Sinnen bei Volker und beobachtete ihn von weitem. Was hatte es mit dieser Linn auf sich? Er kramte in seinen Erinnerungen, was er über sie wusste. Das war nicht viel. So ungefähr hatte er noch eine Ahnung, wie sie aussah. In etwa wie die Frau, die ihm am frühen Abend in der Hotellobby begegnet und die auf seine Flirtversuche nicht eingegangen war. Was ihn persönlich frustrierte, denn sie hatte etwas Besonderes an sich gehabt. Es war nicht ihr Aussehen, das zugegeben wirklich gut war. Wie sollte er es beschreiben? Diese Frau hatte eine ganz besondere Ausstrahlung. Irgendwie so, als wäre der Raum heller geworden, allein durch ihre Anwesenheit. Wie blöd … Er konnte es gar nicht wirklich in Worte fassen. Jedenfalls berührte diese Begegnung irgendetwas in ihm. Stopp! Zurück zu Linn! Ihn berührten keine Frauen, außer auf der Haut. Vor allem beim Sex. Ach Scheibenkleister! Reiß dich zusammen Lukas, ermahnte er sich innerlich. Was weißt du über Linn?

Lukas konnte sich nicht erinnern, ob er Linn irgendwann mal persönlich begegnet wäre. Er kannte ein altes Foto von Volker und ihr, auf dem beide fröhlich lachten und irgendwie glücklich schienen. Nein, sie waren kein Paar. Wobei das Foto tatsächlich diesen Eindruck hinterließ. Lukas war felsenfest der Meinung, Volker und Linn wären zusammen … zumindest gewesen. Aber Freunde? Falsch - gute Freunde, wie Volker es nannte. Seelenfreunde vielmehr. Gab es so etwas überhaupt? Für ihn selbst waren diese Dinge ein Buch mit mindestens tausend Siegeln. Die beiden kannten sich wohl eine gefühlte Ewigkeit und selbst er, der nicht an solche Dinge glaubte, spürte, dass es eine recht enge Verbindung zwischen Linn und Volker geben musste. Dennoch trafen die beiden sich seit vielen Jahren nur gelegentlich. Wenn sie zufällig in der gleichen Stadt unterwegs waren, oder Volker geschäftlich in Linns Nähe zu tun hatte. Bei den Treffen gingen sie meistens essen. Volker lud Linn stets ein, weil er es bewunderte und sich daran erfreute, wie sie gutes Essen - so wie vieles andere - in vollen Zügen genoss. Genießen war tatsächlich eine Seltenheit geworden, befand Lukas. Irgendwie schien alles schneller, lauter, beliebiger. Selbst ihm ging es mittlerweile häufiger auf den Zeiger. Es nervte ihn zusehends, dass er nicht mehr richtig zur Ruhe kam.

Während Lukas auf seinem Beobachtungsposten lauerte, schweiften Volkers Gedanken wieder ab. Natürlich zu Linn. Wo war sie gerade? Schon zuhause? Hatte sie sich bereits schlafen gelegt? Wo genau wohnte sie überhaupt? Ihm wurde bewusst, dass er noch nie bei Linn war, seit sie in Bonn wohnte. Wie lebte sie? Wie arbeitete sie? Irgendwie kannte er sie und doch wiederum nicht.

Volker hatte Linn schon immer toll gefunden und heimlich angebetet. Es gab sogar eine Zeit, in der er schwer verliebt in sie war. Sie schien jedoch immer unerreichbar für ihn. Oftmals hatte er das Gefühl, er wäre nicht gut genug für sie. Nicht, dass sie ihm das vermittelt hätte … Es waren seine eigenen Gedanken. Er dachte, sie interessierte sich überhaupt nicht für ihn … als Mann. Deshalb hatte er seine Gefühle weggeschlossen. Eingebunkert in eine Truhe, tief in seinem Herzen vergraben. Besser gute Freunde, als gar keine Linn in seinem Leben.

Seit über 20 Jahren waren sie befreundet. Linn und er sahen sich zwar unregelmäßig - aber sie sahen sich. Volker dachte, sie zu kennen … Doch was er heute gesehen, gefühlt hatte, zog ihm fast den Boden unter den Füßen weg. Wie sie ihn ansah! Als würde sie ihn das erste Mal wahrnehmen. Nicht als Freund, sondern als Mann. Und er schien ihr zu gefallen. Dieses gefühlvolle Wesen, das er immer in ihr gesehen hatte, und davon geträumt, gab es tatsächlich. Bisher war es so gewesen, dass sie sich zwar nahe waren - doch nur bis zu einem gewissen Punkt. Eine Art imaginäres Stoppschild bei Linn, das Nähe … also wirkliche Nähe … gar nicht zuließ. Bis heute …

Meine Güte - es hätte nicht viel gefehlt und er wäre über sie hergefallen. Gerade noch so konnte sich Volker beherrschen. Aislinn … Er hatte ihren Namen ausgesprochen wie ein besonders leckeres Dessert … Bei der Erinnerung an ihre Worte musste er schmunzeln. Ja, das war sie für ihn. Etwas ganz Besonderes. Etwas Kostbares. Etwas, das er gar nicht richtig in Worte fassen konnte. Dazu ihre Augen, in denen er sich fast verloren hätte. Ihre vollen Lippen, die sich minimal kräuselten, wenn sie sich über etwas amüsierte. Die sich leicht öffneten, wenn sie über etwas staunte. Die … sich vermutlich genau so weich anfühlten, wie er es sich vorstellte … Bei dem Gedanken daran stockte ihm der Atem.

»Linn! Oh Linn! Was machst du nur mit mir?«, flüsterte Volker leise in den Nachtwind.

4. Kapitel

Linn starrte irritiert ihr Spiegelbild an. Wie in Trance war sie nach Hause gefahren und konnte noch gar nicht richtig realisieren, was geschehen war.

Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Sie war ernsthaft versucht gewesen, Volker zu küssen. Zu küssen! War sie denn von allen guten Geistern verlassen? Hatten sich ihre Hirnzellen ins Nirwana verabschiedet? Oder wie kam sie nur auf diesen absurden Gedanken, Volker zu küssen?! Diese wundervoll sinnlichen Lippen … mmmhhh … Mit ihren Lippen zu streicheln, mit der Zunge leicht die Konturen nachzufahren … Stopp! Aufhören! Sofort!, maßregelte sie sich. Und doch konnte sie seit diesem gewissen Moment an fast nichts anderes mehr denken.

Linn hoffte inbrünstig, Volker hätte ihr nichts angemerkt. Wie peinlich war das denn bitte? Was sollte er von ihr denken, wenn sie plötzlich … Die Freundschaft wäre garantiert zu Ende. Das wollte sie nicht riskieren. Nicht für einen Kuss. Also für zwei mindestens, flüsterte ein Stimmchen in ihr. Ach halt die Klappe! Das geht doch nicht, schimpfte sie mit sich selbst und knallte innerlich ihren Kopf auf die Tischplatte. Wie nett, amüsierte sie sich kurz. Gut zu wissen, dass mein Innenraum möbiliert ist.

Nach einer Weile Starrduell mit ihrem Spiegel-Ich riss sie sich davon los und kramte nach dem alten Foto, das Volker und sie zeigte. Es war ein absolut fantastischer Tag gewesen, damals. Der eigentlich so beschissen begann …

Linn war mit Robert liiert, Volker mit Melanie. Melanie war Linns Freundin. Robert und Melanie kannten sich, Linn und Volker noch nicht. Die beiden Paare verabredeten sich zu einem Wochentrip an die Nordsee. Doch es kam anders, als ursprünglich geplant.

Robert versetzte Linn kurzfristig und Volker erwischte Melanie mit einem anderen Mann im Bett. Bei einem Telefonat beschlossen Volker und Linn, sich den Urlaub nicht verderben zu lassen und einfach gemeinsam zu fahren.

Sie verbrachten eine wundervoll leichte Zeit. Ihr bisheriges Leben, mit all den Dramen, schien weit weg, teilweise gar nicht existent. Noch jetzt, viele Jahre später, spürte Linn die Wellen an den Füßen, den leichten Wind, der ihre Haare zerzauste und sie mit Sand panierte, die Sonnenstrahlen, die auf ihrer Nase kitzelten und sie durchwärmten. Sie erinnerte sich an die vielen guten Gespräche mit Volker, oft mit einer Flasche Bier in der Hand, dick in eine Decke eingemümmelt, an prasselndem Lagerfeuer. Das war zu einer Art Ritual geworden.

Volker, hallte es in ihrem Inneren wider. Dieser großartige Mann, den sie immer bewunderte, ja … anhimmelte. Jedwede Gefühle hatte sie sich verboten. Immerhin war er der Partner ihrer Freundin Melanie … gewesen. Abgesehen davon, dass er schon deshalb tabu für sie war, konnte sie mit Melanie überhaupt nicht mithalten. Mel war groß, größer als Linn, hatte wundervolle goldglänzende Locken, hohe Wangenknochen, azurblaue Kulleraugen, volle, sinnliche Lippen und eine Figur zum Niederknien. Dafür würden viele Frauen morden. Darüber hinaus war Mel weltgewandt. Schließlich kam sie als Model viel in der Welt herum. Sie und Volker waren, auf jeden Fall optisch, das absolute Traumpaar. Wie gesagt gewesen … Wäre da nicht Mels Bettunfall passiert, wie diese es nannte. Volkers spätere Partnerinnen waren äußerlich irgendwie ein Abklatsch von Mel. Deshalb vermutete Linn, er wäre nie über Melanie hinweggekommen.

Linn fühlte sich in Volkers Nähe wohl. Das war von Anfang an so gewesen. Sie hatte stets den Eindruck, er würde sie wirklich sehen, sie in allen Facetten wahrnehmen, sie müsste nichts verheimlichen und konnte einfach so sein, wie sie war. Das machte ihr Angst. Sehr große sogar. So sehr, dass sie jegliche, weitergehende, Gefühle aussperrte. Linn konnte sich nicht vorstellen, dass so ein überaus attraktiver und toller Mann wie Volker sich überhaupt für sie interessieren könnte. Nein, das konnte nicht sein. Und besser ein guter Freund, wenn sie ihm gegenüber auch nicht alles von sich preisgab, den sie nicht verlieren wollte. Besser ein guter Freund, als gar keinen Volker in ihrem Leben.

Wie soll das nur weitergehen, wo hinführen, flüsterte sie sich innerlich zu. Ich kann ihm nicht mehr unter die Augen treten. Küssen … puh … Und leider nicht nur das. Wenn er sie ansah, stoben mindestens Trilliarden schillernder Schmetterlinge in ihrem Bauch hoch und in ihrem Körper machte sich ein fast schon schmerzhaftes Verlangen spürbar. Mehr …

Linn musste dringend mit jemandem reden. Tina. Ja, Tina würde sie verstehen. Hoffte sie jedenfalls, denn sie waren immerhin Freundinnen. Ironie des Schicksals - Tina ähnelte vom Typ her Melanie ungemein. Das wurde Linn soeben bewusst.

»Na du hast Nerven, bei mir anzurufen!«, blaffte Tina ohne Begrüßung durch die Leitung.

»Was … äh … ich verstehe nicht …«, erwiderte Linn.

»Ich sage nur Marriott … Konrad’s … Volker!«

»Ja und? Ich verstehe noch immer nicht. Volker ist seit vielen Jahren ein Freund. Das weißt du doch!«

»Ja nee, ist klar. Und ich bin die Prinzessin vom Mars!«

»Was soll das, Tina?«

»Freundschaft. Dass ich nicht lache. So wie ihr euch angesehen habt, wären fast die Polkappen geschmolzen!«

»Du spinnst doch! Mir scheint, nicht ich habe zu viele Liebesromane gelesen, sondern du!«

»Nein, habe ich nicht. Und wenn schon. Das Leben ist kein scheiß fucking Liebesroman! Steck dir die Dinger sonst wohin!«

»Hallooo? Echt jetzt? Woher sollte ich wissen, dass du und Volker gedatet habt?«

»Ihr seid doch Freunde, wie du behauptest. Freunde wissen so etwas voneinander. Vermutlich habt ihr euch über mich Dummchen kaputtgelacht und gelästert.«

»Du hast sie echt nicht mehr alle, Tina. Sorry. Noch nicht mal von dir, von der ich dachte, du bist meine Freundin, wusste ich, mit wem du kontaktest. Geschweige denn, mit wem du dich triffst. Wieso sollte ausgerechnet Volker, ein Mann wohlgemerkt, mir von seinen Dates erzählen? Echt schade, dass du immer alles auf dich beziehst und katastrophierst. Ich habe keinen Bock mehr auf Drama. Und tschüss.«

Linn saß da wie ein begossener Pudel und starrte noch lange auf das Display. Irgendwie hatte sie schon längere Zeit ein etwas seltsames Gefühl gehabt, das sich im Bauch verknotete. Dieser verflixte Knoten wurde immer starrer. Und leider immer größer.

Wie gerne würde sie gerade mit jemandem über ihre Situation reden … Es war niemand da. Mal wieder. Meist war sie diejenige, die für alle ein offenes Ohr und Türe hatte. Wenn sie eine Schulter zum Ausweinen brauchte, fand sich irgendwie keine Menschenseele weit und breit.

Linn tat schließlich schweren Herzens, was sie immer tat - sie rationalisierte ihre Gefühle und … schloss diese weg. Wenn schon jemand in die Konfettikanone geschissen hatte, dann sollte sie wenigstens darauf verzichten, den Abzug zu drücken.

5. Kapitel