Das Leuchten der Indigoblüte - Ana Veloso - E-Book
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Das Leuchten der Indigoblüte E-Book

Ana Veloso

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Beschreibung

Ein verstecktes Juwel in einem Meer aus Palmen: Der prachtvolle historische Roman »Das Leuchten der Indigoblüte« von Ana Veloso als eBook bei dotbooks. Indien zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Noch steht die blühende Küstenregion Goas unter der Kontrolle Portugals, doch längst haben niederländische Handelsherren begonnen, nach der Macht zu greifen. In dieser gefährlichen Zeit begegnen sich auf einer prachtvollen Indigoplantage zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der junge Miguel Ribeiro Cruz, der ans andere Ende der Welt geschickt wurde, um die Geschäfte seiner Familie zu sichern, und die geheimnisvolle Inderin Amba, die ihr Gesicht hinter einem blauen Schleier vor den Augen der Menschen verbirgt. Obwohl sie aus unterschiedlichen Welten stammen, fühlen die beiden sich zueinander hingezogen. Aber dann beginnt die portugiesische Inquisition, das Land in ihren Würgegriff zu nehmen – und alle in tödliche Gefahr zu bringen, die nicht reinen Glaubens sind … Ein mitreißender Historienroman, der den Duft und den Glanz des alten Indiens wiederauferstehen lässt – und die ergreifende Geschichte einer Liebe, die jede Grenze überwindet: »Praller, exotischer und historischer Abenteuerroman, gewürzt mit Rache, Intrigen und einer spannenden Liebesgeschichte«, urteilt der Frankfurter Stadtkurier. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwelgerische Landschaftsroman »Das Leuchten der Indigoblüte« von Bestseller-Autorin Ana Veloso, ursprünglich erschienen unter dem Titel »Der indigoblaue Schleier«, wird alle Fans von Linda Holemans und Tara Haighs Exotik-Epen begeistern! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 910

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Über dieses Buch:

Indien zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Noch steht die blühende Küstenregion Goas unter der Kontrolle Portugals, doch längst haben niederländische Handelsherren begonnen, nach der Macht zu greifen. In dieser gefährlichen Zeit begegnen sich auf einer prachtvollen Indigoplantage zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der junge Miguel Ribeiro Cruz, der ans andere Ende der Welt geschickt wurde, um die Geschäfte seiner Familie zu sichern, und die geheimnisvolle Inderin Amba, die ihr Gesicht hinter einem blauen Schleier vor den Augen der Menschen verbirgt. Obwohl sie aus unterschiedlichen Welten stammen, fühlen die beiden sich zueinander hingezogen. Aber dann beginnt die portugiesische Inquisition, das Land in ihren Würgegriff zu nehmen – und alle in tödliche Gefahr zu bringen, die nicht reinen Glaubens sind …

Ein mitreißender Historienroman, der den Duft und den Glanz des alten Indiens wiederauferstehen lässt – und die ergreifende Geschichte einer Liebe, die jede Grenze überwindet: »Praller, exotischer und historischer Abenteuerroman, gewürzt mit Rache, Intrigen und einer spannenden Liebesgeschichte«, urteilt der Frankfurter Stadtkurier.

Über die Autorin:

Ana Veloso wurde 1964 geboren. Nach ihrem Studium der Romanistik arbeitete sie als Journalistin für mehrere namhafte deutsche Magazine. Ihr erster Roman, »Der Duft der Kaffeeblüte«, wurde ein großer Erfolg und in viele Sprachen übersetzt. Ana Veloso lebt als Journalistin und Autorin in Hamburg, verbringt aber jedes Jahr mehrere Monate im Ausland, um dort Eindrücke für ihre Romane zu sammeln.

Bei dotbooks veröffentlichte Ana Veloso ihre exotischen Love-and-Landscape-Romane »Der Duft der Kaffeeblüte«, »Der Himmel über dem Alentejo« und »Die Frau vom Rio Paraíso«. Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Website der Autorin: www.ana-veloso.de/

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eBook-Neuausgabe März 2023

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Der indigoblaue Schleier« bei Knaur

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Knaur Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-549-1

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Ana Veloso

Das Leuchten der Indigoblüte

Roman

dotbooks.

Für Joyce und Winston

Das Geschenk der Liebe kann man nicht geben. Es wartet darauf, angenommen zu werden.

Rabindranath Tagore

Prolog

Rajasthan, März 1616

Mit einem kaum wahrnehmbaren Geräusch landete die Frangipani-Blüte auf der Erde. Das kleine Mädchen, das mit seiner Puppe unter dem Baum saß, schrak auf. Die Blüte lag genau vor ihm, in dem offenen Dreieck, das seine zum Schneidersitz verschränkten Beine bildeten. Hätte man eine Linie von einem Knie des Mädchens zum anderen gezogen, hätte die Frangipani-Blüte exakt deren Mitte beschrieben. Das Mädchen war sich sicher, dass das etwas bedeuten musste. Was genau, danach würde es später seine ayah fragen, die in der Deutung solcher Zeichen sehr bewandert war.

Das Kind betrachtete die Blüte einen Augenblick lang verzückt, bevor es nach ihr griff, sie sich unter die Nase hielt und dann wieder etwas von sich entfernte, um sie intensiv anzuschauen. Der Duft war betörend, doch noch schöner war der Anblick. Ihre fünf wachsgleichen Blütenblätter waren zu einem perfekten Kreis aufgefächert, der im Innern gelb war und nach außen hin weiß wurde. Das Mädchen betastete und untersuchte die Blüte von allen Seiten. Nachdem es an ihr absolut keinen Makel entdecken konnte, weder eine bräunliche Stelle noch ein von Insekten verursachtes Loch, schob es sich die Blüte hinters Ohr.

Dann fiel eine weitere Blüte herab, die diesmal genau auf dem Scheitel des Mädchens auftraf, bevor sie zu Boden fiel. Auch damit hatte es bestimmt eine besondere Bewandtnis. Das Mädchen beschloss, diese Blüte in den Zopf seiner Puppe zu stecken, der ebenso glänzend, schwarz und lang war wie sein eigener. Auch die Kleidung der Puppe ähnelte der ihrer Besitzerin. Beide trugen seidene Pluderhosen unter einem farblich harmonierenden Hemd. Die Puppe war in Rot-, Orange- und Gelbtöne gewandet, das Mädchen in Blau- und Grüntöne.

Als die dritte Blüte herabfiel, blieb dem Mädchen keine Zeit, sich über deren Verwendung oder über die Bedeutung der Stelle, an der sie aufgetroffen war, den Kopf zu zerbrechen. Ein lautes Rufen riss es aus seinen Gedanken.

»Bhavani!«, vernahm es die ärgerliche Stimme seiner ayah, der Kinderfrau. »Bhavani, hast du nicht gehört? Du sollst sofort zur Veranda kommen.«

Bhavani erhob sich unwillig. Bei diesem Tonfall gehorchte man der ayah besser. Als sie sich dem Haus näherte, fuhr die Kinderfrau etwas leiser fort: »Ah, immer diese Träumerei, Kindchen, das geht so nicht weiter! Dein abba kann doch nicht den ganzen Tag auf dich warten, er ist ein wichtiger Mann und hat Besseres zu tun, als einem zehnjährigen Kind beim Spielen zuzusehen. Und die karanjis sind auch schon kalt, nicht, dass dein Bruder dir noch viele übrig gelassen hätte.«

Bhavani war ebenso erfreut wie verwundert. Ihr abba, ihr geliebter Vater, war zu Hause? Warum hatte man sie nicht eher gerufen? Schnell schüttelte sie an der Treppe die Sandalen von den Füßen, rannte die Stufen zur Veranda hinauf und von dort gleich weiter in das Arbeitszimmer, in dem sie ihren Vater vermutete. Die süßen, knusprigen karanjis, sonst ihr Lieblingsgebäck, waren ihr jetzt herzlich egal. Wenn es nach ihr ginge, konnte Vijay sie alle aufessen und noch dicker werden. Bhavani riss den Vorhang, der den Flur von dem Arbeitszimmer trennte, beiseite und stürmte in den Raum, bereit, sich jauchzend in die Arme ihres Vaters zu stürzen.

Ihr Vater jedoch erwartete sie nicht, wie sonst, mit einer überschwenglichen Begrüßung – wenn sie mit ihm allein war und keine kritischen Beobachter sich über die unstandesgemäße Vernarrtheit wundern konnten, nahm er seine Tochter gern in die Arme und wirbelte sie herum. Jetzt aber würdigte er sie kaum eines Blickes, und Bhavani vermutete schon, es müsse sich eine weitere Person in dem Zimmer befinden. Onkel Manesh womöglich, der seinen Bruder immer tadelte, wenn er Bhavani mit allzu großer Zärtlichkeit und Nachgiebigkeit begegnete. Sie blickte sich um, sah aber niemanden sonst. Ihr Vater stopfte hektisch allerlei Dinge in eine große Tasche. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, seine Kleidung sah zerrauft aus. Bhavani lief auf ihn zu und umklammerte seine Beine, doch er schüttelte das Mädchen ungehalten ab.

»Wir müssen uns beeilen, Bhavani. Später. Später, wenn wir das alles überstanden haben, können wir uns alle umarmen und küssen. Aber jetzt müssen wir uns sputen.« Er hielt kurz inne und sah Bhavani tief in die Augen: »Versprich mir etwas.«

»Hm ... was denn?«

»Ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu feilschen. Hör mir gut zu. Du musst mir versprechen, dass, wenn mir etwas zustoßen sollte, du dich gut um deinen Bruder kümmern wirst. Wenn ...«

»Aber ...«

»Scht. Hör nur genau zu. Wenn fremde Männer mich abholen kommen, dann lauf fort, so schnell du kannst. Verliere nie Vijay aus den Augen. Begebt euch zu Onkel Manesh, und passt auf, dass niemand euch folgt. Wenn dir im Haus von Onkel Manesh irgendetwas merkwürdig vorkommt, anders als sonst, dann flieht. Eure ayah wird euch immer begleiten, aber sie ist nicht mehr die Jüngste. Wenn ihr sie zurücklassen müsst, um euer eigenes Leben zu retten, dann tut es.«

Bhavani waren Tränen in die Augen getreten. Was hatte das zu bedeuten? Was waren das für furchterregende Worte? Warum sollte sie aus ihrem eigenen Haus fortlaufen sollen, noch dazu ohne ihren abba? Sie verstand die Welt nicht mehr.

»Es tut mir leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe. Und für Erklärungen ist jetzt keine Zeit. Aber die Lage ist mehr als kritisch. Wenn wir das alles überstanden haben, was wir ohne jeden Zweifel tun werden, meine süße Bhavani-beti, dann erkläre ich dir, was es damit auf sich hatte. Betrachte die ganze Angelegenheit vorerst als ein Abenteuer. Bist du nicht im Versteckenspielen auch immer die Gewinnerin? Na also. Mach es genauso wie bei dem Spiel: Sei schnell und raffiniert. Ja?«

Bhavani nickte. Sie schluckte schwer und gab sich jede Mühe, die heraufsteigenden Tränen zurückzudrängen. Ein Abenteuer? Ein Spiel? Das Ganze erschien ihr eher wie eine der Gruselgeschichten, die sich das Küchengesinde abends am Feuer erzählte und denen sie manchmal heimlich gelauscht hatte.

»Und wenn du die Männer abgehängt hast, die euch verfolgen, dann geh zum Tempel der Parvati und bitte die Göttin, dir beizustehen. Versprichst du mir das?«

Erneut nickte Bhavani. Sie zitterte vor Furcht. Zugleich mischte sich auch ein Gefühl von Stolz darunter. So hatte sie ihren abba noch nie erlebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte er sie nicht wie ein kleines, verwöhntes Mädchen behandelt, sondern mit ihr gesprochen wie mit einer Frau. Natürlich würde sie ihm das alles versprechen. Sie war fast elf Jahre alt, so gut wie erwachsen also – ihre Cousine hatte immerhin mit dreizehn geheiratet. Vijay war acht, benahm sich aber meistens wie ein Kleinkind. Auch wenn er als einziger männlicher Nachkomme mehr Rechte hatte als sie, hatte ihr Vater doch ihr, Bhavani, die Verantwortung übertragen, und sie war sicher, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war.

Ihr Vater lächelte sie an. »Ich wusste doch, was für ein tapferes großes Mädchen du bist. Und weil du schon alt genug für ...«

Ein lautes Klirren ließ ihn innehalten. Es hatte geklungen wie das Aufschlagen von Messing auf Keramik, ein Geräusch, das Bhavani nur allzu vertraut war. Vijay hatte schon häufig die mit Wasser und schwimmenden Blüten gefüllte Messingschale im Eingang von ihrem Sockel gestoßen. Aber das damit einhergehende Triumphgeheul ihres Bruders blieb diesmal aus, desgleichen das anschließende leise Umherhuschen und Aufräumen der Bediensteten.

Dann passierte plötzlich alles auf einmal. Ein großer, dunkelhäutiger und grimmig dreinschauender Mann mit Turban stürmte in das Arbeitszimmer und schwang dabei einen Säbel. Ihm folgten weitere Männer, allesamt in kampfbereiter Haltung. In der Miene von Bhavanis Vater zeichnete sich Entsetzen ab. Er drängte Bhavani zum Fenster und entriss ihr die Puppe, um seine Tochter hinauszuheben und an beiden Armen auf den Sockel hinabzulassen. Von dort war es nur noch ein kleiner Sprung in den Garten.

»Nein, abba! Ich ...«

»Lauf! Schnell!« Er drückte ihr einen kleinen Beutel in die Hand, bevor er ihr einen Schubs gab und sich abwendete. Bhavani hörte die Eindringlinge brüllen und toben. Dem Klang nach zu urteilen, zerschlugen sie die gesamte Einrichtung. Sie hörte ihren Vater ein paar Worte in ruhigem Ton sagen, dann vernahm sie nur noch ein Röcheln. Sie klammerte sich am Gesims fest und zog sich hinauf, um einen Blick in den Raum zu werfen. Doch in diesem Augenblick erschien einer der Angreifer im Fenster.

Bhavani sprang und rannte davon.

Die Abenddämmerung setzte bereits ein, als Bhavani sich aus ihrem Versteck herauswagte. Ihren Bruder, der noch verstörter war als sie selbst, ließ sie vorübergehend in dem hohlen Baum zurück, in dem sie, als sie noch kleiner waren, oft gespielt hatten und der jetzt viel zu wenig Raum für sie beide bot. Sie schlich sich vorsichtig zum Haupthaus und hielt dabei die Luft an. Dabei war klar, dass die Eindringlinge schon seit Stunden fort waren – genau wie sämtliche Bewohner und Diener. Eine tödliche Stille lag über dem Anwesen. Einzig das sanfte Rascheln der Vorhänge war zu vernehmen, die durch die offenen Fenster nach draußen flatterten. Bhavani nahm all ihren Mut zusammen und huschte in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie hatte Verwüstung erwartet, vielleicht sogar einen Verletzten oder gar Leichnam, der auf dem Boden lag. Doch dort, inmitten der zertrümmerten Möbel und der Scherben, lag einzig ihre Puppe, die bernsteinfarbenen Glasaugen starr der Decke zugewandt, die schillernde Kleidung zerrissen.

Leise setzte sich Staub auf die welke Frangipani-Blüte in ihrem aufgelösten Zopf.

Kapitel 1

Goa, 1632

Miguel Ribeiro Cruz wälzte sich unruhig in seiner Koje hin und her. Er träumte, sie seien endlich an der Küste Goas angelangt. Der Traum war so lebensnah, dass er meinte, das aufgeregte Fußgetrappel auf dem Hauptdeck zu vernehmen, die unflätigen Flüche der Matrosen und die Befehle der Offiziere. Miguel rollte sich auf die linke Seite und legte einen Arm schützend über das rechte Ohr. Konnte man auf diesem elenden Schiff denn nicht ein einziges Mal in Ruhe ausschlafen und zu Ende träumen? Dann, in diesem merkwürdigen Schwebezustand zwischen Wachen und Schlafen, träumte er, dass das alles ja Teil seines Traums war. Halb belustigt über die trügerische Realität der Illusion ließ er sich erneut in die schöne Phantasiewelt abgleiten. Ein leises Lächeln lag auf seinen Lippen.

Ah, wie herrlich das wäre, wenn sie wirklich bald wieder festen Boden unter den Füßen hätten! Wie sehr er sich nach Dingen sehnte, von denen er vorher gar nicht gewusst hatte, dass man sie vermissen konnte: den frischen Duft von Wiesen und Wäldern, gepflegte Gespräche mit vornehmen Damen und Herren oder in vollem Galopp ausgedehnte Ausritte zu unternehmen. Er hatte den Kragen gestrichen voll von dem Gestank von Salz, Fisch und Teer, von den zotigen Witzen der Mannschaft genauso wie von deren ungewaschenen Leibern und nicht zuletzt von der Enge an Bord sowie dem Gefühl, eingesperrt zu sein. Er hielt es kaum noch aus. Diese lange Reise verlangte Miguel alles an Selbstbeherrschung ab, dessen er fähig war.

»Wach auf, mein Freund!«, drang eine Stimme wie aus sehr weiter Ferne in sein Bewusstsein.

Miguel grunzte, rollte sich auf den Bauch und presste das Kissen auf seinen Kopf.

»Wach endlich auf, Miguel! Du verpasst ja das Beste!« Diesmal blieb es nicht bei dem Rufen. Der Mann rüttelte Miguel an der Schulter. Als auch das nichts fruchtete, entriss er ihm gewaltsam das schützende Kissen.

»Grrrmh!«

»Ja, ja, ich weiß. Aber du würdest mich noch mehr hassen, wenn ich dich schlafen ließe, glaub mir. Wir sind da! Miguel, hörst du? Wir haben es geschafft! Reiß dich zusammen und komm mit mir aufs Deck – das Fort Aguada ist schon zu sehen, in Kürze fahren wir in die Mündung des Mondavi-Flusses ein.«

Das, beschloss Miguel, war eindeutig nicht mehr Teil seines Traums. Er drehte den Kopf, öffnete die Augen und sah seinen Freund Carlos Alberto, der, ordentlich gekämmt und rasiert wie seit Monaten nicht mehr, vor seiner Koje stand, noch dazu in voller Montur. In Stulpenstiefeln und Schaube wirkte Carlos Alberto viel erwachsener, wichtiger irgendwie, als Miguel ihn kannte. Mit einem Satz sprang Miguel auf. Sein Schädel pochte, und sein Mund war so trocken, dass er kein Wort herausbrachte. Das hatte er nun davon, dass er letzte Nacht mit dem Bootsmann und ein paar anderen Männern bis in die Puppen gezecht hatte – und zwar genau weil, so erinnerte er sich nun wieder, das baldige Ende der Überfahrt in Sicht war. Stöhnend griff er nach seiner Kleidung, zog sich hastig an und folgte Carlos Alberto, der schon die Kajüte verlassen hatte, hinauf aufs Deck.

Miguels Beine waren so wacklig, dass er nur mit Mühe die schmale Treppe erklomm. Oben angekommen, rannte ein Matrose ihn beinahe um. »Steht nicht so im Weg herum«, blaffte der Mann ihn an, doch es klang eher fröhlich als ärgerlich. Auch die Seeleute waren glücklich darüber, heil am Ziel angelangt zu sein. Ihre Geschäftigkeit war von einer so guten Stimmung und so viel Optimismus geprägt, dass Miguel seinen Kater schlichtweg vergaß. Er lief zu Carlos Alberto an die Reling auf der Steuerbordseite. Schweigend nahmen sie den Anblick auf, der sich ihnen bot.

Die Sonne erhob sich als goldglühender Ball aus dem Horizont. Ein sattes Grün, über dem dichter Frühnebel waberte, überzog die Landschaft, die recht flach war. Nur sehr viel weiter landeinwärts ließen sich höhere Hügel ausmachen. Die Farbe des Himmels ging von Violett in Mittelblau über. Sie fuhren direkt auf das Fort zu, das sich am nördlichen Ufer des Mandovi-Deltas über den Fluss und das Meer erhob, bevor sie schließlich in die Flussmündung einbogen – und jegliches Gefühl von Einsamkeit, das sie auf hoher See nur zu gut kennengelernt hatten, wie weggeblasen war: Man erkannte bereits die Masten der großen Segelschiffe, die vor Govepuri, der Hauptstadt der Kolonie, vor Anker lagen.

Ein kleines Boot, einer Piroge nicht unähnlich, kam ihnen entgegen, und eine Fähre überquerte gleich vor ihnen den Fluss von Süd nach Nord. Sie transportierte nur wenige Passagiere, vorwiegend Inder. Miguels Puls beschleunigte sich. Die Eingeborenen leibhaftig zu sehen war doch etwas ganz anderes, als sie sich anhand von Abbildungen oder Erzählungen vorzustellen. Sie waren nicht nah genug, als dass er ihre Gesichter hätte studieren können, und doch wirkten sie auf ihn wunderschön mit ihrem schwarzen, geölten Haar und der dunklen Haut, auf der ihre sonderbaren bunten Gewänder zu leuchten schienen.

Ein kleines Ruderboot kam direkt auf sie zu. »Der Lotse«, klärte Carlos Alberto seinen Freund auf, als ob es dessen bedurft hätte. Miguel war in Lissabon aufgewachsen und hatte von Kindesbeinen an die Ankunft von Schiffen aus Übersee verfolgt. Das Ruderboot machte am Rumpf der Galeone fest. Eine Strickleiter wurde herabgelassen, und ein kleines, zähes Männlein unbestimmbaren Alters kletterte hurtig herauf. Er war von mittelbrauner Hautfarbe, sicher einer der vielen Mischlinge, die das sittenlose Treiben, für das Goa berühmt war, hervorgebracht hatte. Der Lotse grüßte nickend und verschwand im Steuerhaus. Miguel wandte sich wieder der Szenerie zu.

Rechter Hand säumte ein breiter Streifen weißen Sandes das Ufer, linker Hand lag eine herrliche Kirche, die in der Morgensonne in gleißendem Weiß erstrahlte. Carlos Alberto und Miguel bekreuzigten sich gleichzeitig und schmunzelten darüber. Trotz ihres manchmal gottlosen Geredes waren sich beide stillschweigend einig, dass sie ihrem Schöpfer von Herzen dankbar sein mussten. Es konnten nicht allein das Geschick des Kapitäns, günstige Winde oder die robuste Bauweise der Galeone für ihre gesunde Ankunft verantwortlich sein. Gott hatte seine schützende Hand über sie gehalten.

Die Ellbogen auf der Reling abgestützt und in gebeugter Haltung bestaunten die beiden jungen Männer das Panorama und warteten ungeduldig darauf, endlich die Stadt zu erreichen, die rund sieben Meilen landeinwärts am Fluss lag – die Stadt, die als das »Rom des Ostens« galt, die von dem großen Dichter Camões besungen worden war und in einem Atemzug mit Lissabon genannt wurde, wenn es um die prachtvollsten Städte der Erde ging.

Ohne seinen Freund dabei anzusehen, fragte Miguel: »Was ist heute für ein Tag?«

»Sonntag.«

»Und welches Datum?«

»Heute ist der 5. Mai.« Carlos Alberto beäugte Miguel skeptisch von der Seite und ergänzte: »Im Jahre des Herrn 1632, falls dir auch das bereits entfallen sein sollte.«

»Auf den Tag genau zehn Monate, Carlos Alberto. Ist das zu fassen? Fast ein Jahr unseres Lebens haben wir auf diesem Schiff vergeudet, anstatt das zu tun, was andere Männer unseres Alters zu tun pflegen.«

»Nun, getrunken und gespielt haben wir doch reichlich«, witzelte Carlos Alberto. »Nur mit der Hurerei war es nicht so weit her.«

Miguel starrte versonnen in die Wolkengebilde, die sich rasend schnell zu immer skurrileren Gebilden auftürmten und deren Bäuche von der aufgehenden Sonne in ein kräftiges Orange getaucht wurden. Bald würden sie die Sonne verdecken. Und in Kürze würde aus ihnen, wenn sie in derselben Geschwindigkeit anwuchsen, ein ergiebiger Regen fallen. Das fing ja gut an: An einem Sonntag, noch dazu in der sich ankündigenden Monsunzeit, in der Kolonie einzutreffen war nicht unbedingt ein Glücksfall. Die Leute wären in der Kirche oder zu Hause, die Schänken leer. Sein Gepäck würde aufgeweicht in der Herberge ankommen, und er selber würde wahrscheinlich knöcheltief im Schlamm versinken. Unsinn!, schalt er sich selbst. Wie konnte er allen Ernstes hier stehen und sich Gedanken über das Wetter machen? Das größte Abenteuer seines Lebens harrte seiner, wen kümmerte da ein wenig Regen? Was war nur mit ihm los? Überkam ihn etwa ein Anflug von Wehmut?

Während die Matrosen mit Rah- und Lateinersegel beschäftigt waren und bereits die Taue zum Festmachen bereitlegten, dachte Miguel an die vergangenen Monate zurück, an die Entbehrungen und die Ängste, die nicht ihn allein geplagt hatten. Oh nein, niemals würde er wehmütig an die Stürme am Kap der Guten Hoffnung zurückdenken, als er geglaubt hatte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Und nein, nie wieder wollte er auch nur einen Tropfen frischen Süßwassers verschwenden, nicht, nachdem er monatelang von einer abgestandenen, verschmutzten Brühe hatte leben und sich mit Salzwasser hatte waschen müssen. Er wollte sich nie wieder im Bett festzurren müssen, weil der Seegang so schwer war, dass jeder lose Gegenstand zum tödlichen Geschoss werden konnte.

Was er hingegen vermissen würde, das war die Kameradschaft, die die Männer an Bord zusammengeschweißt hatte. Auch der Respekt, den man ihm entgegengebracht hatte – wohlverdient, nachdem er einen Falschspieler enttarnt hatte –, würde ihm fehlen.

Daheim in Lissabon war man ihm nie mit Achtung begegnet. Die einen hatten Mitleid mit ihm gehabt, weil er der Zweitgeborene war und damit als Erbe des großen Handelshauses seines Vaters nicht in Frage kam. Die anderen hatten ihn milde belächelt, weil er zu viel Unfug anstellte, genau wie andere junge Männer aus reichem Hause auch. Da waren Besäufnisse und Raufereien an der Tagesordnung, und beinahe jeder hatte Verständnis dafür, dass junge Burschen wie er einfach noch nicht reif genug waren, ihr Studium in Coimbra mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu betreiben.

Wieder andere hatten ihn gehasst. Leute wie der Vater des Mädchens etwa, das behauptet hatte, Miguel habe es entehrt. In Wahrheit verhielt es sich so, dass die junge Frau in anderen Umständen war, weil sie sich selber entehrt und gleich mit mehreren Männern angebändelt hatte. Und er, Miguel Ribeiro Cruz, sollte nun als Vater des Bastards herhalten, wahrscheinlich, weil ihr seine Familie als unermesslich reich erschien. Miguel war sicher kein Chorknabe, aber diese Person hatte er kaum je angeschaut, geschweige denn angerührt. Er kannte sie gar nicht wirklich, nur ihr falsches, zu lautes Lachen, das durch das Wirtshaus hallte, war ihm noch lebhaft in Erinnerung. Der Vater dieser Frau also trachtete Miguel jetzt nach dem Leben, weil er sich geweigert hatte, die Verantwortung zu übernehmen.

Ha! Wer seiner Verantwortung nicht gerecht geworden war, war der Vater des Mädchens selbst, der seine Tochter offensichtlich nicht im Griff hatte, und Miguel hatte ihm dies deutlich zu verstehen gegeben. Weiterhin hatte er den vor Wut tobenden Mann darüber aufgeklärt, was seine Tochter so trieb – und dass es eine Handvoll Männer gebe, die das Ungemach der Maid verschuldet haben könnten. Namen nannte er allerdings keine. All dies war vor zahlreichen Zeugen geschehen, nämlich an einem Sonntag auf dem Kirchplatz, als die Leute gerade die Messe verließen. Ebenfalls vor all diesen Zeugen hatte der Mann den Schwur ausgestoßen, Miguel zu töten, falls er seine Tochter nicht ehelichte. Es war zu einem Tumult gekommen, bei dem sogar der Pfarrer meinte, die Partei des armen Vaters ergreifen zu müssen, woraufhin Miguel sich wortlos abgewandt hatte und davongegangen war.

Das Schlimmste war nicht gewesen, dass das Mädchen ihn zum Sündenbock hatte machen wollen, und auch nicht, dass ihr Vater außer sich war vor Empörung. All das konnte man nachvollziehen. Viel verletzender war, dass niemand Miguel Glauben schenkte. Der Pfarrer hielt ihn anscheinend allein aufgrund seines Aussehens für einen Taugenichts. Die juristische Fakultät der Universität warf ihn hochkant hinaus, als sie von seinem »feigen Verhalten« sowie von dem Auflauf vor der Kirche erfahren hatte. Nicht einmal seine Familie hielt zu ihm. Seine Mutter glaubte ihn zu trösten, als sie sagte: »Selbstverständlich heiratet ein Ribeiro Cruz keine Küchenmagd!«, aber sie entsetzte Miguel damit eher. Sie schien zu glauben, dass es verzeihlich war, so eine zu schwängern, nicht aber, sie zu heiraten. Sein Vater wiederum tat das Ganze als Jugendsünde ab. »Das kann passieren, Junge. In zwei, drei Jahren ist Gras über die Sache gewachsen. Am besten wird es daher sein, wenn du erst einmal verschwindest, nachher kommt dieser Tölpel noch auf die Idee, seine Drohung wahr zu machen.« Am meisten aber bestürzte Miguel die Reaktion seines älteren Bruders Bartolomeu. »Diese billigen Weiber sind die besten, nicht wahr?«, hatte er Miguel zugeraunt, obwohl Beatriz, Bartolomeus hochschwangere junge Ehefrau, in Hörweite gestanden hatte.

Es war Miguel nicht mehr gelungen, das üble Gerücht aus der Welt zu schaffen. Ehe er sich’s versah, schiffte er sich auf der Galeone gen Goa ein, ausgestattet mit den besten Wünschen seiner Mutter und seines Bruders sowie mit einem prall gefüllten Geldbeutel von seinem Vater. Es war Miguel nicht schwergefallen, die Juristerei und die heuchlerische Gesellschaft Portugals hinter sich zu lassen. Es war ihm sogar verlockend erschienen, in die Kolonie aufzubrechen, fern von seiner Familie, fern von dem schlechten Ruf, den er nicht verdiente, und fern von allem, was er kannte. Indien! Das Fernweh packte ihn mit ungeahnter Wucht, als er begann, seine Reisetruhe zu packen. Eine neue Welt – eine neue Chance.

Niemand im Estado da Índia, in Portugiesisch-Indien, kannte ihn, jedenfalls nicht persönlich. Niemand würde ihm unterstellen, ein Trunkenbold und Wüstling zu sein, nur weil er Student war. Und der war er ja nun auch nicht mehr. Vielmehr hatte er den Auftrag seines Vaters, der als einer der größten Gewürzhändler Europas galt, sich vor Ort mit dem Gewürzanbau vertraut zu machen und den Zwischenhändlern auf die Finger zu schauen. In jüngerer Zeit waren einige Unregelmäßigkeiten in den Frachtpapieren zutage getreten, deren Ursache aber nie aufgeklärt werden konnte. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dachte Miguel, dass ausgerechnet er, der vermeintlich missratene, unehrenhafte Sohn, mit dieser Mission betraut wurde. Wahrscheinlich, dachte er, war es ohnehin nur ein Vorwand, um ihn möglichst schnell außer Landes zu schaffen. Sei’s drum. Hier war er nun, und er würde die Gelegenheit, etwas Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen, keineswegs verstreichen lassen. Er war mit 25 Jahren jung genug für einen Neuanfang – und alt genug, um seinen eigenen Weg zu gehen.

»Was ist los mit dir? Platzt dir der Schädel nach dem Fusel von letzter Nacht?« Carlos Alberto klopfte Miguel auf die Schulter und riss ihn jäh aus seinen Erinnerungen. »Ganz rote Augen hast du, mein Freund. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du weinst einer gewissen Dame von zweifelhaftem Ruf nach.« Er brach in höhnisches Gelächter aus. »Keine Bange, mein Lieber, auch in der Kolonie gibt es sie, die drallen Küchenmägde, noch dazu dunkelhäutige.«

Miguel war versucht, Carlos Alberto eine Ohrfeige zu verpassen, besann sich jedoch eines Besseren. Er war es selber schuld. Er hatte sich an Bord des Schiffes kaum anders aufgeführt als zuvor in Coimbra, und im Rausch hatte sich seine Zunge gelöst. Carlos Alberto war genauestens unterrichtet. Allerdings sollte gerade er wissen, dass Miguel das Mädchen nicht in die schlimme Lage gebracht hatte – Miguel hatte seinem Reisegefährten lange genug vorgejammert, wie ungerecht das alles war. Dennoch schien auch Carlos Alberto ihm keinen Glauben zu schenken. Machte er einen so verderbten Eindruck auf seine Mitmenschen? Wirkte er derartig unmoralisch? Und aufgrund welcher Umstände verurteilten ihn alle? Weil er jung, gutaussehend und aus reichem Elternhaus war? Weil er Wahrheiten aussprach, die nicht gern gehört wurden? Oder weil er gelegentlich einen über den Durst trank? Anderer Sünden als dieser hatte er sich niemals schuldig gemacht, und doch hielt ihn alle Welt für ein verzogenes Bürschchen, das dem liederlichen Leben frönte.

Die Sonne, die zuvor ihre Gesichter in ein warmes Licht getaucht hatte, verschwand hinter den Wolken. Vielleicht, dachte Miguel, hätte er diese Reise gar nicht erst antreten sollen. Es sah ja tatsächlich nach einer Flucht aus, und flüchten mussten nur Schuldige, oder? Auch wäre es weitaus mannhafter gewesen, die Reise, wohin auch immer, aus eigener Tasche zu bezahlen und sich zur Not eben als Stallbursche oder Wasserträger zu verdingen, um sich durchzuschlagen. Aber er hatte einmal mehr den Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen und dem Vorschlag seiner Familie, nach Goa zu gehen, nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Es war alles so plötzlich geschehen, und ja, es war ihm verlockend erschienen. Und das tat es noch. Vielleicht würde es ihm ja hier in Indien endlich gelingen, sich aus der Abhängigkeit des Vaters zu lösen. Er hatte bereits während der langen Reise oft darüber nachgedacht, wie er dies bewerkstelligen sollte, war aber immer wieder bei der Erkenntnis angelangt, dass er erst das Land und seine Gepflogenheiten kennenlernen müsse, bevor er einen Plan schmieden konnte, der auch zu verwirklichen war.

Immerhin hatte er seine Reisekasse unterwegs aufgefüllt. Sowohl den Kapitän als auch den Navigator hatte er beim Kartenspiel um etliche Milreis erleichtert. Selbst Carlos Alberto hatte ein paar Münzen eingebüßt, war aber früher als die anderen beiden hinter Miguels »Geheimnis« gekommen. »Du hast ein perfektes Zahlengedächtnis, nicht wahr?« Ja, das hatte er. Während also Capitão Dias und Afonso Lima Pereira weiterhin darauf gesetzt hatten, dass ihr Passagier ja nicht immerzu Glück haben könne und sich ihr Blatt sehr bald wenden würde, hatte Miguel die aufgedeckten und ausgespielten Karten im Geiste mitgezählt und weiter gewonnen. Meistens jedenfalls. Glück war da nur sehr wenig im Spiel gewesen, das meiste verdankte er seinem Verstand. Mit diesem selbstverdienten Geld also, so wenig es auch war, würde er in Goa arbeiten. Je weniger er das Vermögen seiner Familie antastete, desto mehr würden sein Stolz und sein Selbstbewusstsein gestärkt werden.

Das Schiff verlangsamte seine Fahrt zusehends. Miguel, der Kniehosen und ein Rüschenhemd trug, begann zu schwitzen. Ohne den Fahrtwind würde er bei diesem drückenden Wetter in Stiefeln, Wams und Schaube ersticken, und den breitkrempigen Federhut würde er wohl auch lieber nicht aufsetzen. Dennoch wollte er einen einigermaßen gepflegten Eindruck machen, soweit dies die Umstände erlaubten. Es war gut möglich, dass ein Mitarbeiter des örtlichen Kontors der väterlichen Firma, »Condimentos e Especiarias Ribeiro Cruz & Filho«, ihn abholen kam. Angesichts der Hitze würde er wohl bei Kniestrümpfen und Schnallenschuhen bleiben und sich nur eine leichte Capa umhängen. Und das konnte er auch noch im letzten Augenblick tun. Denn jetzt war es ihm bedeutend wichtiger, an Deck zu bleiben und das Spektakel des Einlaufens in den Hafen und des Festmachens zu verfolgen.

Der Kapitän folgte hochkonzentriert den Anweisungen des Lotsen. Miguel konnte von seiner Position aus nur die oberen Gesichtshälften der beiden hinter dem wuchtigen Holzsteuer sehen, doch die Anspannung darin war klar zu erkennen. Nachdem sie die Überfahrt ohne größere Missgeschicke bewältigt hatten, hätten es alle als böses Omen gedeutet, wäre man jetzt noch auf Grund gelaufen.

Doch das mächtige Schiff bewegte sich ebenso zielsicher wie elegant auf den Pier zu. Unter den Matrosen brach hektische Betriebsamkeit aus, als die letzten Segel eingeholt wurden, und ähnlich aufgeregt waren die Helfer, die am Pier standen, um die schweren Taue aufzufangen.

Als das erste Tau um den Poller gelegt wurde, begann es zu regnen.

Kapitel 2

»Seid willkommen im Estado da Índia, Senhor Ribeiro Cruz!« Ein kleiner Inder mit dickem Bauch verbeugte sich vor Miguel. Der Mann sprach Portugiesisch ohne Akzent und war gekleidet wie ein Europäer. Er hatte unglaublich weiße, perfekt angeordnete Zähne, und einen Augenblick lang war Miguel sprachlos angesichts dieses Gebisses. Daheim sah man derartig makellose Zähne bestenfalls bei sehr jungen Leuten – dieser Mann hier jedoch war mindestens Mitte vierzig.

»Und mit wem habe ich die Ehre?«, fragte Miguel und wischte sich dabei einen Regentropfen aus dem Gesicht. Die Tropfen waren groß, fielen aber bislang nur sehr spärlich herab. Noch hätte man die nassen, dunklen Punkte auf dem hölzernen Steg zählen können.

»Oh, wie unverzeihlich von mir. Erlaubt mir, mich vorzustellen: Mein Name ist Fernando Furtado, ich bin der Prokurist der Niederlassung von »Condimentos e Especiarias Ribeiro Cruz. Ich schätze mich überaus glücklich, Euch heute hier wohlbehalten eintreffen zu sehen. Hattet Ihr eine gute Reise?« Während dieser Worte winkte der Mann einen Burschen herbei, der eine Art tragbaren Baldachin über Miguel halten sollte, was diesem jedoch nur mit Mühe gelang. Miguel war mehr als einen Kopf größer.

»Sehr erfreut, Senhor Furtado. Später berichte ich Euch gern von den Abenteuern an Bord. Zunächst jedoch klärt mich bitte auf: Woher wollt Ihr wissen, dass ich derjenige bin, den Ihr erwartet habt?«

Senhor Furtado grinste verschmitzt. »Darf ich Euch das ebenfalls später verraten? Es dürfte nämlich jeden Moment«, hierbei verdrehte er die Augen gen Himmel, »zu einem fürchterlichen Wolkenbruch kommen. Lasst mich Euch schnell zu meinem bescheidenen Hause führen, dort erwartet man uns schon. Um das Gepäck kümmern sich diese Burschen hier.« Er wandte sich ab und gab drei Jungen zwischen zwölf und vierzehn Jahren Anweisungen in einer Sprache, die wohl ein lokaler Dialekt war. Miguel verstand zwar kein Wort, entnahm aber dem scharfen Ton und der strengen Miene von Senhor Furtado, dass er den Jungen das Fell über die Ohren ziehen würde, sollten sie den Auftrag nicht zu seiner Zufriedenheit ausführen. Die drei wackelten mit den Köpfen, als seien sie ein bisschen schwachsinnig, und rannten davon. Miguel hatte das Gefühl, dass er noch lange auf seine Truhe würde warten müssen.

Dann machte Senhor Furtado eine herrische Geste in Richtung zweier Sänftenträger, die sich daraufhin schnell in Bewegung setzten und die Sänfte direkt vor Miguels Füßen zu Boden ließen. Senhor Furtado ließ Miguel den Vortritt, bellte den Trägern ein Kommando zu, das trotz der weichen Laute dieser einheimischen Sprache als solches zu erkennen war, und setzte sich Miguel gegenüber in die Sänfte. Er lächelte, senkte seinen Kopf, legte die Hände in seinem Schoß übereinander und wirkte auf einmal wie der Inbegriff der Unterwürfigkeit. Doch Miguel war nicht entgangen, dass dieser Mann sich durchaus Gehör verschaffen konnte.

Mit einem kleinen Ruck setzte die Sänfte sich in Bewegung. Es schaukelte ein wenig, und Miguel fand sich allzu sehr an das Schiff erinnert. Er wäre lieber zu Fuß gegangen. Vielleicht war es dieser kleine Anflug von Unwillen, der ihn zu seiner folgenden Rede reizte.

»So, mein verehrter Senhor Furtado. Erlaubt nun Eurerseits, dass ich mich vorstelle und dem Missverständnis ein Ende bereite: Ich bin Doutor Henrique Garcia Fernandes, Doktor der Jurisprudenz, und ich komme in einer überaus geheimen Mission nach Goa, die das Testament eines meiner hochgeschätzten Mandanten betrifft. An Bord habe ich die Bekanntschaft von Ribeiro Cruz gemacht, der nun vergeblich darauf wartet, von Euch abgeholt zu werden, was dem Knaben sicher nicht schaden kann, denn er ist ein ...«

Schallendes Gelächter unterbrach Miguels Rede. Senhor Furtado, der zunächst blass geworden war, dann jedoch begonnen hatte zu schmunzeln, konnte kaum noch an sich halten. »Das ist gut«, prustete er, »das ist ja köstlich! Ah, ich bin froh, dass wir Euch bei uns haben und nicht Euren Bruder!« Im selben Augenblick merkte er, dass er mit dieser Äußerung ein wenig zu weit gegangen war. »Ich meine«, wiegelte er ab, »Ihr scheint ein recht humorvoller Geselle zu sein, während es von Eurem Herrn Bruder heißt, er sei nicht unbedingt zu Späßen aufgelegt. Hier in der Kolonie nehmen wir das Leben lockerer als in Portugal.« Senhor Furtado wischte sich die Stirn mit einem weißen Tuch ab. Miguel war nicht sicher, ob es die Hitze war, die ihn zum Schwitzen gebracht hatte, oder vielmehr die improvisierte Rechtfertigung nach dem Fauxpas. Er bekam Mitleid mit dem Mann und beschloss, ihn nicht länger zu foppen.

»Nun gut, ich bin’s wirklich. Aber woher wusstet Ihr es?«

Senhor Furtado gewann wieder die Kontrolle über sich. »Ihr seid mir sehr genau beschrieben worden. Nach Eurer Abreise ist ein wendigeres, schnelleres Schiff nach Portugiesisch-Indien aufgebrochen, das hier bereits vor über einem Monat eingetroffen ist. Es brachte einen Brief Eures Vaters für mich mit. Glaubt mir, nach dieser exakten Beschreibung war eine Verwechslung ausgeschlossen. Im Übrigen hätte ich Euch auch ohne diese Hilfe zu erkennen vermocht: Ihr tragt einen Spitzenkragen von ausgesuchter Qualität, wie ihn sich nur Adlige leisten können – oder der Spross eines sehr wohlhabenden Kaufmanns.«

Miguel blickte an sich hinab. Besagter Kragen war speckig und zerknittert, aber ja, es stimmte, es handelte sich um ein kostbares Accessoire. »Eure Beobachtungsgabe ist erstaunlich«, lobte er Senhor Furtado.

»Ich danke Euch.« Senhor Furtado senkte den Blick, doch Miguel hatte das Gefühl, dass die Bescheidenheit nur vorgetäuscht war. »Aber so schwer war es wirklich nicht. Außer Euch war ja kein anderer junger vornehmer Herr an Bord, denn die höhergestellten Persönlichkeiten pflegen nicht auf Frachtschiffen zu reisen. Nur Carlos Alberto Sant’Ana wäre noch in Frage gekommen, aber da ich diesen Herrn persönlich kenne, bestand da keinerlei Verwechslungsgefahr.«

Täuschte Miguel sich, oder hatte er bei der Erwähnung des Namens seines Reisegefährten ein leicht verächtliches Herabziehen der Mundwinkel bei Senhor Furtado bemerkt? Nun, jetzt war sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über derartige Dinge Gedanken zu machen. Er schob den dünnen Vorhang am Fenster der Sänfte beiseite und ließ den Blick durch die Straßen schweifen, durch die die Sänftenträger im Laufschritt hasteten. Das quirlige Hafenviertel hatten sie längst hinter sich gelassen. Nun sah man nichts weiter als Kirchen mit verriegelten Toren, Plätze, die wie ausgestorben dalagen, abweisend wirkende Häuser und Unrat, der in den Straßenrinnen fortgeschwemmt wurde.

Als habe er Miguels Gedanken lesen können, sagte Furtado: »Es ist Sonntag. Und es regnet. Da geht niemand auf die Straße, wenn er es irgend vermeiden kann. Am Hafen war nur deshalb so viel Trubel, weil die Leute jede Ankunft eines großen Schiffes mit Begeisterung verfolgen.«

Miguel antwortete nicht, sondern starrte weiter versonnen in die trüben, nassen Straßen hinaus. Inzwischen regnete es so heftig, dass die Tropfen in schnellem Takt auf das Dach ihrer Sänfte trommelten. Die Gebäude Govepuris zeugten zweifelsohne von Geld und Geschmack, trotzdem wollten sie ihm nicht so prachtvoll erscheinen, wie er sie sich vorgestellt hatte. Vielleicht lag es an dem garstigen Wetter.

»Wir begeben uns zu Euch nach Hause?«, fragte er Senhor Furtado, ohne ihn anzusehen.

»Nun, ich halte es für vernünftig, wenn Ihr fürs Erste mit dorthin kommt. Dort steht Euch ein sehr komfortables Zimmer zur Verfügung. Ich habe bereits angeordnet, dass ein Badezuber mit heißem Wasser für Euch gefüllt wird. Auch einen Barbier und einen Masseur habe ich kommen lassen – Ihr seid nicht mein erster Gast, der eine so lange Reise hinter sich hat. Ich glaube zu wissen, wonach man sich nach diesen Strapazen sehnt. Wobei Euch, wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt, diese Belastungen kaum anzusehen sind.«

Damit, so folgerte Miguel, wollte Furtado ihm wohl sagen, dass er nicht gar so verdreckt und verwahrlost wie andere war. Er nahm es dem Mann nicht übel. Er hatte ja recht. Miguel sehnte sich tatsächlich nach einem Bad, einem bequemen Bett sowie einer anständigen Mahlzeit mit reichlich frischem Obst und Gemüse. Die würde er bestimmt ebenfalls im Haus des freundlichen Prokuristen bekommen. Auch wenn dieser es nicht eigens angesprochen hatte, war Miguel klar, dass Furtado ihn unter seine Fittiche nehmen und ihm jede Entscheidung abnehmen würde. Er hätte es im umgekehrten Fall mit einem Gast aus Indien ebenfalls so gehalten. »Das ist überaus freundlich von Euch, Senhor Furtado. Aber es ist wirklich nicht nötig, dass Ihr so ein Aufhebens um meine Person macht. Ich will Euch nicht zur Last fallen. Wenn Ihr mir eine gute Herberge empfehlen könntet ...«

»Eine Herberge?! Ich bitte Euch, wollt Ihr Euch die Krätze oder gar das Fieber holen? Nein, nein, nein, mein Lieber, Ihr erholt Euch ein paar Tage lang bei mir im Haus von der Reise, gewöhnt Euch langsam an das Klima und die Sitten bei uns, und dann, wenn Ihr wieder zu Kräften gekommen seid, begleite ich Euch in das ›Solar das Mangueiras‹ Eurer Familie, das man derzeit für Euch herrichtet.«

Miguel nickte. Verkatert wie er noch immer war, hatte er der munteren Autorität des Inders wenig entgegenzusetzen. Wenn er erst einmal ausgeschlafen, gesättigt und gebadet war, würde man weitersehen.

Miguel wurde von der Sonne geweckt, die durch die lichtdurchlässigen Perlmuttscheibchen drang, aus denen hier die Fenster bestanden. Das gedämpfte Licht verlieh dem Raum eine verzauberte Stimmung. Es brachte die Farben der bunt bestickten Seidenvorhänge dezent zum Leuchten und ließ die hauchzarte Gaze, die sein Bett vor Moskitos schützte, wie einen feinen, sanft wabernden Nebel erscheinen. Miguel hatte das Gefühl, das ganze Haus würde schwanken, dabei war es nur sein eigener gestörter Gleichgewichtssinn – man hatte ihn gewarnt, dass das passieren würde und dass dieser Zustand bis zu einer Woche nach dem Ende der Seereise anhalten könne.

Miguel brauchte eine Weile, bevor er sich wieder in der Realität zurechtfand. Richtig, er war in Goa, im Haus des Senhor Furtado. Er war empfangen worden wie ein Fürst. Er war von kundigen Händen rasiert, gebadet, massiert, manikürt und eingeölt worden, und er hatte danach geduftet wie eine königliche Kurtisane. Man hatte ihm frische Kleidung gegeben, die erstaunlicherweise perfekt passte. Dann hatte er die Bekanntschaft der Senhora Furtado gemacht, einer zierlichen Person mit riesigen schwarzen Augen, die auf den ersten Blick schüchtern wirkte, die aber die Domestiken herumscheuchte, als sei sie ein großer Feldherr. Man hatte ihm und dem Hausherrn – die indischen Frauen nahmen das Essen, so lernte Miguel, lieber getrennt von den Männern ein – ein exotisches Festmahl aufgetischt, das ihm geschmeckt hatte wie keines zuvor. Manches Gericht war so stark gewürzt, dass es Miguel die Tränen in die Augen getrieben hatte, aber er hatte nicht aufhören können zu essen. Eine unüberschaubare Vielfalt an Gemüse, Früchten und Gewürzen war zum Einsatz gekommen, dazu Reis, Brot und Linsen sowie Fisch und Meeresfrüchte in verschiedenen Varianten. Einzig mit Fleisch war man nicht ganz so großzügig gewesen, und Miguel bemerkte, dass nur er davon kostete. Senhor Furtado rührte weder das marinierte Huhn noch das geschmorte Rindfleisch an. Man hatte ihm zum Abschluss des Essens einen Schnaps aus Cajú-Früchten angeboten, und schließlich hatte Miguel sich zu einer Siesta in sein Gemach zurückgezogen, in dem ein frisches Nachthemd für ihn bereitlag. Miguel hatte sich nicht die Mühe gemacht, es anzuziehen. Er hatte die Schuhe abgestreift und war stöhnend auf das wunderbare, große Bett gefallen.

Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, ging sie bereits unter. Miguel sah sich vom Bett aus im Zimmer um. Seine Truhe stand in einer Ecke, daneben entdeckte er seine frisch geputzten Schuhe. War während seines Schlafes jemand im Zimmer gewesen? Es musste so sein, denn Miguel konnte sich nicht daran erinnern, das Moskitonetz herabgelassen zu haben. Über ihm war an der Decke ein riesiges Palmblatt befestigt, das sich langsam, aber gleichmäßig bewegte und ihm Wind zufächelte. Daran war eine Schnur befestigt. Miguel folgte mit dem Blick dem Verlauf dieser Schnur. Er rollte sich auf dem Bett herum, um in die Ecke hinter dem Kopfende des Bettes zu schauen – und erschrak so heftig, dass er beinahe hinausgepurzelt wäre. Dort, keine zwei Meter von seinem Kopf entfernt, hockte ein Junge auf der Erde und bewegte seinen großen Zeh, an dem die Schnur befestigt war.

»Du da. Kannst du mich verstehen?«

Der Junge wiegte den Kopf, ganz ähnlich, wie es zuvor die Burschen am Hafen getan hatten. Kein Nicken, kein Kopfschütteln, sondern irgendetwas dazwischen, das einer rollenden Bewegung glich. Gab es in der Kolonie etwa überdurchschnittlich viele Schwachsinnige?

»Wie lange sitzt du da schon?«

»Seit Ihr eingeschlafen seid, Senhor. Die ganze Nacht.«

Die ganze Nacht? Sollte das etwa heißen ... oh nein, es war die Morgensonne, die ihn geweckt hatte! Er hatte gute fünfzehn Stunden geschlafen.

Miguel hob das Netz hoch und kroch darunter hervor. Auf der Bettkante sitzend fragte er den Jungen: »Tut dir die Zehe nicht weh?«

»Ich verstehe nicht ...«

»Ich meine: Hast du Schmerzen von all dem Gewackel mit den Zehen? Schnürt dir der Faden nicht das Blut ab?«

Der Bursche antwortete mit einem dümmlichen Lächeln und neuerlichem Rollen des Kopfes.

»Wie heißt du?«

»Crisóstomo, Senhor.« In Miguels Ohren klang es wie »Krishna«. Miguel hatte gelesen, dass die zum Christentum »bekehrten« Hindus gern portugiesische Vornamen wählten, die ähnlich klangen wie jene, die sie ausgesucht hätten, wenn nicht die portugiesische Kolonialmacht samt ihrer Kirche das Land besetzt hätte.

»Nun gut, Crisóstomo. Sei so gut und löse diese Schnur von deiner Zehe. Und dann bring mir bitte etwas Wasser, damit ich mich frischmachen kann.«

Der Junge schenkte Miguel ein strahlendes Lächeln, rollte mit dem Kopf und verließ humpelnd das Zimmer. Wenige Minuten später, Miguel saß noch immer auf der Bettkante und versuchte, das Schwindelgefühl abzuschütteln, klopfte es an der Tür.

Hätte Miguel geahnt, was da auf ihn zukam, hätte er vielleicht nicht so schnell reagiert und »herein« gerufen. Denn es traten ein: ein Bursche, der eine Waschschüssel vor sich her balancierte, sowie einer, der einen Stapel Handtücher brachte; ein stämmiger Mann in weißen Pluderhosen und langem weißem Hemd, der vor allem eine wichtige Miene zur Schau trug – der Barbier, wie Miguel vermutete; ein gebeugt gehender Alter, der ein Tablett hielt, auf dem ein paar Kleinigkeiten zu essen angerichtet waren, von denen Miguel keine einzige kannte; ein Junge, der einen dampfenden Kessel trug; und zuletzt ein hagerer, vergleichsweise hochgewachsener Mann mittleren Alters, der die anderen vor sich her scheuchte und ihnen Anweisungen gab, bevor er sich mit einer Verbeugung Miguel zuwandte. »Herzlich willkommen im Haus Furtado, Senhor Ribeiro Cruz. Mein Name ist Sebastião, ich bin der Hausdiener und für Euer persönliches Wohl verantwortlich. Was immer Ihr wünscht, lasst es mich wissen, ich werde alles veranlassen. Während der Barbier bei Euch ist, könnt Ihr Euch an dem kleinen Imbiss hier laben«, dabei deutete er auf das Tablett mit dem fremdartigen Obst und dem merkwürdig geformten Gebäck, »anschließend werdet Ihr im Speiseraum erwartet, wo es ein richtiges Frühstück gibt.«

Miguel war fassungslos, fügte sich aber klaglos in sein Schicksal. Er nickte, und der Hausdiener verließ rückwärts und gebeugt gehend den Raum. Augenblicklich wurden die anderen aktiv. Miguel wurde einer neuerlichen Rasur unterzogen, sein Schnauzbart und der schmale Kinnbart wurden geölt. Seine Hände und Füße wurden in duftendem Wasser gebadet, ein Junge reichte ihm anschließend, während der Fußmassage, ein Glas Gewürztee, der Alte bot ihm von den Leckereien an. Crisóstomo saß wieder in seiner Ecke und betätigte die Schnur für den Palmwedel.

Als die Prozedur überstanden war, schickte Miguel die Dienstboten hinaus, doch keiner von ihnen rührte sich. »Geht jetzt, gönnt mir einen Augenblick Ruhe, um Gottes willen.«

»Haben Euch unsere Dienste nicht genügt, Senhor?«, flüsterte der Alte, den Blick zu Boden gerichtet.

Miguel ging ein Licht auf. Natürlich, ohne ein Trinkgeld konnte er sie nicht einfach fortschicken! Er zückte seinen Geldbeutel, förderte für jeden der fünf sowie für Crisóstomo eine Münze zutage und verteilte sie. Die Freude darüber hielt sich in Grenzen, doch immerhin hatten die Männer den Anstand, nun sein Zimmer zu verlassen. Einzig der Junge an der Zehenschnur blieb.

»Ehm ... wenn ich etwas anmerken dürfte, Senhor?«

»Ja?«

»Ihr dürft nicht jedem das Gleiche geben. Die jungen Hausburschen hätten sich auch über sehr viel weniger gefreut. Und die Männer in höheren Positionen oder in reiferem Alter brüskiert man, wenn man sie mit demselben Betrag abspeist wie die Jungen und Unerfahrenen.«

»Selbstverständlich.« Miguel schämte sich seiner Unwissenheit. Nun gut. Beim nächsten Mal würde er es besser machen. »Danke, Crisóstomo.«

Später, nachdem er mutterseelenallein sein opulentes Frühstück eingenommen und erfahren hatte, dass Senhor Furtado bereits seit Sonnenaufgang bei der Arbeit war, schlenderte Miguel durch die Gassen der Stadt. Eine Sänfte hatte er abgelehnt. Der Spaziergang bekam ihm gut, er hatte allzu lange keinen festen Boden unter den Füßen gehabt. Das Viertel, in dem Furtados Haus lag, war ein ruhiges Wohngebiet, doch wenige Straßenzüge weiter bevölkerten viele Leute die Gassen. Miguel ließ sich einfach treiben, genoss das Gefühl des auffrischenden Windes auf seiner schweißbenetzten Haut und bestaunte das bunte Völkergemisch, in dem er überhaupt nicht auffiel. Da waren indische Damen, die in seidene Saris gehüllt waren, und solche, die europäische Kleidung trugen; da gab es Männer mit großen Turbanen und solche mit französischen Musketierhüten; neben Indern aller Hautfarben von ganz hell bis fast schwarz sah er Araber, Europäer und Ostasiaten. Die Hauptstadt Goas war unübersehbar eine florierende Handelsmetropole, in der jeder, der etwas kaufen oder verkaufen wollte, willkommen war. Dabei schien es niemand hier eilig zu haben, was Miguel erstaunte. Die Kaufleute in seiner Heimat waren für ihre Hast berühmt. Ob es am Wetter lag? Zwar schien noch die Sonne, doch es dräute bereits am Horizont. Es war heiß und schwül, und jede überflüssige Bewegung schien einen neuen Schweißausbruch zu erzeugen.

Um die Mittagszeit, so hatte man Miguel ausgerichtet, würde Senhor Furtado sich freuen, wenn sein Gast mit ihm gemeinsam eine Mahlzeit einnahm. Man hatte ihm den Weg zu dem Kontorhaus beschrieben, das in der Nähe des Hafens lag. Miguel schätzte, dass er sich demnächst dorthin begeben sollte. Er fragte sich durch, und so erreichte er kurze Zeit später das Kontorhaus, ein gelbes zweigeschossiges Gebäude, über dessen Eingangstür in prachtvollen Goldlettern der Name des väterlichen Handelshauses prangte. Ein diffuses Gefühl von Stolz überkam Miguel, vermischt mit einem Schuss Enttäuschung. Ribeiro & Filho – Ribeiro & Sohn – stand da. Und dieser Sohn war nicht er, sondern Bartolomeu. Obwohl Miguel wusste, dass das Geschäft von seinem Großvater den Namen erhalten hatte, der es auf seinen einzigen Sohn, nämlich Miguels Vater, übertragen hatte, änderte das nichts an dem bitteren Beigeschmack. Da konnte Senhor Furtado ihm den Aufenthalt versüßen, wie er wollte.

Kaum hatte er an den Mann gedacht, eilte dieser ihm auch schon entgegen. Der Inder erkundigte sich wortreich nach Miguels Wohlbefinden, ließ sich in allen Details schildern, wie es ihm in seinem Haus und auf dem Weg hierher ergangen war, und führte ihn schließlich in einen Raum, der für ein Mittagessen hergerichtet war.

»Nehmt es mir nicht übel, mein großzügiger Freund, aber ich habe gerade erst ein Frühstück genossen, das alles in den Schatten stellte, was man mir daheim je serviert hat. Mir wäre jetzt eher nach ein bisschen Bewegung. Gibt es hier einen Markt, über den wir schlendern könnten?«

»Um diese Zeit?«, rief Furtado erschrocken aus, bevor er sich auf seine Unterwürfigkeit besann und sagte: »Aber ja, ganz in der Nähe ist ein schöner Markt. Aber gegen Mittag ist dort nicht mehr viel los, den Händlern wie den Kunden wird es dann zu heiß.«

»Das macht mir nichts. Aber wenn es Euch zu anstrengend ist, gehe ich sehr gern auch allein.«

»Auf gar keinen Fall, mein Lieber. Da laufen Bettler herum und allerlei Gesindel, und Ihr kennt die Landesgepflogenheiten noch zu wenig, um Euch ihrer Angriffe erwehren zu können. Ich begleite Euch.«

Und so geschah es. Furtado hatte nicht übertrieben, als er von »Angriffen« gesprochen hatte. Wie die Fliegen fielen Verstümmelte und Verdreckte über ihn her. Ausgemergelte Frauen streckten ihm ihre Säuglinge entgegen, halb verhungerte Männer begrabschten ihn mit Händen, die in eitrigen Verbänden steckten. Es war grauenhaft, doch Senhor Furtado wehrte sie alle ab, meistens mit böse gezischten Worten, manchmal auch mithilfe einer kleinen Gerte, die er offensichtlich im Ärmel versteckt hatte. Nachdem der erste Schreck über diese Zustände verflogen war, begann Miguel, sich die Auslagen der Händler anzusehen. Da gab es Stände, die auf Cajú-Nüsse spezialisiert waren, und solche, die ausschließlich paan verkauften, eine Art Kautabak aus der Betelnuss. Da gab es Türme von Ananas, Bananen und Mangos und säckeweise Gewürze, die in der Heimat ein Vermögen wert waren. Als Miguel am Tisch eines Mannes stand, der von Fliegen umschwärmte getrocknete Krabben und Fische feilbot, ließ ihn ein heftiger Schwindel innehalten.

Miguel schwankte. Noch immer meinte er das Auf und Ab der Dünung zu spüren, den Rhythmus des Meeres, dem er sich auf der Galeone so leicht angepasst hatte. Jetzt, nach den langen Monaten auf See, brachte ihn die Abwesenheit des Wellengangs aus dem Gleichgewicht. Und dieser Schwindel hatte nicht allein seinen Körper ergriffen. Auch sein Kopf schwirrte vor all den leuchtenden Farben, den fremdartigen Gerüchen, dem Gedränge und Gelärme. Was immer er in Goa erwartet hatte – so lebendig und bunt hatte er sich das Land bestimmt nicht vorgestellt. Staunend taumelte er weiter, und einmal griff er sogar nach Senhor Furtados Arm, um den Halt nicht zu verlieren.

»Ich hatte Euch ja gewarnt. In der Mittagshitze bleibt man besser irgendwo im Schatten und ruht.«

Miguel hatte nicht die Energie, seinem Gastgeber zu erklären, dass es noch die Nachwirkungen der Seereise waren, die ihm so zusetzten. »Ja, vielleicht ist es besser, wir gehen wieder zum Kontorhaus.«

Sie hatten bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt, als zwei Sänftenträger sich lauthals ihren Weg durch die Menge bahnten. In der Sänfte saß eine indische Dame, ganz in Seide gehüllt und das Gesicht hinter einem Schleier verborgen. Miguel blieb stehen und glotzte die Frau schamlos an. Sie trug den Kopf hoch erhoben und schien unbeirrt geradeaus zu schauen, obwohl sie sicher aus den Augenwinkeln wahrnahm, welche Faszination sie auf die Menschen ausübte. Aus ihrer Haltung sprach grenzenlose Verachtung für alles, was um sie herum geschah, und ihre anmaßende Art irritierte Miguel. Doch als die Sänfte an Miguel vorüberzog, fiel sein Blick auf ihre Füße: nackte, zierliche, zarte, schutzlose Füßchen, deren Zehen mit Goldringen geschmückt waren und die alle Arroganz der Inderin Lügen straften.

»Wer ist diese Frau?«, wandte er sich an Senhor Furtado. »Ich muss sie kennenlernen.«

Kapitel 3

Amba setzte sich auf die gemauerte Bank ihrer Veranda, lehnte erschöpft den Kopf gegen die Hauswand und schloss die Augen. Sie atmete tief durch und sog so viel wie möglich von der feucht-würzigen Waldluft ein. Es lag die Verheißung von Wachstum in diesem Duft regennasser Erde und sattgrünen Blattwerks. Amba liebte dieses Aroma, es schenkte ihr den inneren Frieden zurück, der ihr im Laufe des Tages abhandengekommen war.

Denn Ausflüge in die Stadt ermüdeten sie wie nichts sonst auf der Welt. Es war laut und schmutzig dort und so überfüllt, dass man immerzu abscheuliche Dinge von anderen Menschen sah, roch oder hörte, die besser privat geblieben wären. Außer ihr schien sich jedoch niemand daran zu stören, sich inmitten einer ungepflegten und ungehobelten Masse aufzuhalten. Im Gegenteil, die Leute waren ja ganz versessen darauf, möglichst eng aufeinanderzuhocken. Es war ekelhaft. Wie eine verlauste Affenbande. Oder eine Meute räudiger Hunde. Sie würde nie verstehen können, wie man sich freiwillig in schlecht belüfteten Behausungen zusammenpferchen lassen konnte, noch dazu in einem Sumpfloch wie Govepuri. Andauernd dezimierte die Brechruhr, die die Portugiesen »Cholera« nannten, ganze Stadtviertel um mehr als die Hälfte ihrer Bewohner, und dass die Menschen weiterhin dort blieben, war ja Beweis genug dafür, dass ihnen die giftige Luft den Verstand vernebelt hatte.

Leider ließen sich gelegentliche Ausflüge in die Stadt nicht vermeiden. Heute war es besonders grässlich gewesen. Amba hatte bewusst die Mittagszeit für ihren Besuch gewählt, weil dann die wenigsten Leute unterwegs waren und man sie nicht so anstarrte. Doch die Hitze hatte auch sie und ihre Sänftenträger sehr erschöpft, und »Senhor Rui«, wie er sich gern nennen ließ, hatte sich noch unausstehlicher als sonst aufgeführt. Der Mann wurde von Mal zu Mal dreister, sie würde sich dringend etwas einfallen lassen müssen, um ihn wieder in seine Grenzen zu verweisen. Rujul, wie er eigentlich hieß, war schließlich nichts weiter als ein Emporkömmling, der aus einer niederen Kaste von Handwerkern stammte und der die Unkenntnis der Portugiesen über seine bescheidene Herkunft zu seinen Gunsten ausgenutzt hatte. Das allein hätte Amba nicht verwerflich gefunden; dass Rujul aber ihr, die einer für ihn unerreichbaren Kaste entstammte, jedes Mal frech die Hand küssen wollte, war ein Frevel, den sie nicht länger dulden konnte. Portugiesische Lebensweise hin oder her – wenigstens unter Indern hatte man ein Mindestmaß an Demut gegenüber höhergestellten Personen an den Tag zu legen. Doch dieser Wurm erlaubte es sich sogar, sie, nachdem sie ihm unwirsch ihre Hand entzogen hatte, mit anzüglichen Blicken von Kopf bis Fuß zu mustern – ganz ähnlich wie der Rüpel am Straßenrand, der in Begleitung des dicken Inders dort gestanden und sie angestarrt hatte, als wolle er sie mit seinen Blicken entkleiden.

Es hatte sich um einen Neuankömmling gehandelt, das war unübersehbar gewesen. Anfangs trugen sie immer noch die modische europäische Kleidung, die für das tropische Klima absolut ungeeignet war. Sie liefen in Stulpenstiefeln herum, die zu warm waren, oder in Schnallenschuhen, die sich in der Monsunzeit auf den aufgeweichten Wegen mit Schlamm vollsogen. Sie trugen Hüte, deren Straußenfedern im Regen traurig nach unten hingen, und bestickte Samtwämser, unter denen sie erbärmlich schwitzten. Ihre Hosen, die meist Knielänge hatten, waren ebenfalls aus Samt oder aus Brokat, Stoffen also, die es der Haut unmöglich machten, zu atmen. Sie trugen ihr Haar meist schulterlang, doch ölten sie es nie, so dass es immerzu struppig aussah. Manche von ihnen trugen sogar Perücken, wozu dieser Kerl heute allerdings nicht gehörte. Sein Haupthaar war voll und schwarz gewesen, seine Haut jedoch einen Ton zu dunkel, um unter seinesgleichen noch als vornehm zu gelten. Auch das war ein untrügliches Anzeichen dafür, dass er gerade erst eingetroffen war. Auf den Schiffen setzten diese Männer ihre Haut zu lange der Sonne aus.

Amba ließ ihren Schleier vom Kopf gleiten und auf die Schultern fallen. Sie hob ihren dicken schwarzen Zopf, der ihr über die Taille reichte, nach vorn und löste ihn. Den ganzen Tag schon hatte ein einzelnes Haar geziept, weil der Zopf zu straff geflochten war. Gedankenverloren ließ sie die Finger durch die Strähnen gleiten, die dick und seidig glänzend waren. Ein Jammer, dass sie ihr Haar nicht zeigen konnte.

»Amba-beti, lass mich dich kämmen, das wird dir helfen, dich zu entspannen.« Nayana war lautlos herangeschlichen, wie sie es immer tat. Amba wunderte sich, dass die alte Frau trotz ihrer angeblichen Unbeweglichkeit so leise gehen konnte. Manchmal vermutete sie, dass Nayana noch geschmeidig wie ein junges Mädchen sein konnte und nur dann über ihre alten Knochen stöhnte, wenn es ihr zupasskam. Nayanas genaues Alter kannte nicht einmal Nayana selber, doch sie musste die sechzig lange überschritten haben. Eine Greisin also, nach hiesigen Maßstäben, und so sah sie auch aus. Ihre Haut war runzlig und dunkel wie ein zerknautschter Lederbeutel, ihr Haar weiß. Doch ihr Geist war jung geblieben, wenngleich er auch in jüngeren Jahren nicht sehr beweglich gewesen war – im Gegensatz zu ihrem Körper.

»Ah, der Regen ist mir in die Glieder gefahren, ich kann mich kaum rühren«, klagte die Alte.

»Als der Monsun vor drei Jahren nicht pünktlich kam, war es die Trockenheit, die dir die Knochen mürbe gemacht hat«, erwiderte Amba. »Und wenn es nicht zu nass und nicht zu trocken ist, dann ist es der heiße Wind, der deine Körpersäfte aus dem Gleichgewicht bringt, oder die Windstille, die dein Blut zum Kochen bringt. Also sei still, Nayana.«

»Und dir hat der Regen wohl den Respekt vor dem Alter aus dem Kopf gewaschen.«

»Verzeih mir, Nayana. Ich sollte meine Launen nicht an dir auslassen. Es sind diese Besuche in der Stadt. Danach fühle ich mich immer so ... besudelt.«

»Ich weiß, Kind. Deshalb habe ich für heute eines deiner Lieblingsgerichte kochen lassen, sambharachi kodi. Makarand hat Garnelen bei seinem Freund, dem Fischer, ergattert.«

Der erste Lichtblick des Tages. Amba liebte dieses Garnelencurry, und da es wegen der stürmischen See schon sehr bald gar keine frischen Meerestiere mehr zu essen gäbe, war sie froh und dankbar über die Findigkeit des Laufburschen. »Wenn er dir mehr als fünf Kupfermünzen dafür abgenommen hat, war es ein gutes Geschäft für ihn.«

Nayana hob in gespielter Gleichgültigkeit die Schultern. Makarand, dieser Bengel, hatte ihr acht Kupfermünzen abgeknöpft. Zum Glück drang Amba nicht weiter in sie. Über das Budget, das ihr zur Verfügung stand, musste Nayana ihrer Herrin keine Rechenschaft ablegen, jedenfalls nicht, solange sie damit vernünftig wirtschaftete. Aber Makarand würde sie sich noch heute vornehmen, diesen kleinen Dieb!