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EINE FESSELNDE UND BERÜHRENDE GESCHICHTE VON MICHAEL KÖHLMEIER In der mystischen Bergwelt der Alpen nimmt die abenteuerliche Reise des Riesen Kristall ihren Anfang: Aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände erstarrt die Mutter des Riesen zu Stein. Dieser beschließt kurzerhand loszuziehen, um Rettung zu finden. Fesselnd und berührend schildert der große Geschichtenerzähler Michael Köhlmeier, was Kristall auf seinem Weg quer über den Globus erlebt. VOM GOLEM BIS ZUM GRÜNEN HULK, VOM TAPFEREN SCHNEIDERLEIN BIS ZU KING KONG Es ist eine bunte Welt voll sagenhafter Figuren, die der Riese durchwandert. Abenteuerlich, was ihm auf seiner Reise widerfährt! Doch ist dem Riesen die Unterstützung einer ganzen Reihe von Artgenossen aus Mythologie und moderner Zeit sicher: vom einäugigen Polyphem über den Golem und seinen Erschaffer Rabbi Löw bis hin zum grünen Monster Hulk und King Kong. MITREISSEND ERZÄHLT WIE IN DEN BERÜHMTEN SAGENBÜCHERN Leichtfüßig und brillant wie in seinen berühmten Nacherzählungen klassischer Sagen erweckt Michael Köhlmeier die legendäre Welt der Riesen zum Leben. In Strophen gereimt, wird die Geschichte zum betörenden Gesang, dem sich keiner entziehen kann. DAS BESONDERE GESCHENKBUCH Mit Leidenschaft und einmaliger Fabulierlust unterhält Köhlmeier seine Leserschaft und entführt sie auf eine kurzweilige Reise, die jedes Herz erwärmt. Mit wunderbaren Zeichnungen von Lorenz Helfer versehen, wird dieses Buch zum einmaligen Geschenk für jeden, der Geschichten liebt.
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Seitenzahl: 92
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Michael Köhlmeier
Das
Lied
von
den
Riesen
Mit Zeichnungen von Lorenz Helfer
Titel
Widmungen
1 Zeit der Steine
2 Frau Hitt
3 Phrixos
4 Ixion
5 Polyphem
6 Tithonos und Prokrustes
7 Schemchasai
8 Der Hulk
9 Das tapfere Schneiderlein
10 Der Golem
11 King Kong
12 Vogelmann
13 Wasímulíza
14 Die Zwerge
Dank
Michael Köhlmeier
Zum Autor
Impressum
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für Oskar
und Sofie
und Marie
und Anton
Vor langer Weil’, es war einmal,
da lebten, zwar in kleiner Zahl,
die Riesen, doch recht eng bei’nand,
so ungefähr am Weltenrand.
Erst waren die Riesen schmächtig und klein,
dann tranken sie Wolken und fraßen Stein
und wuchsen und wurden spröd und schwer.
Und schließlich trug sie die Erde nicht mehr.
Das heißt, die Ufer senkten sich,
die Koordinaten verrenkten sich,
die Scheibe schloss sich wie ein Mund:
Die Erde wurde kugelrund.
Und schluckte die erste Generation. –
Der Anfang war. – Auch Nichts war schon. –
Doch nichts war zu Ende, und alles war gut.
Die Erde verwahrte ihre Brut.
Verwahrte die Brut in ihrem Schoß
und zog sie mit ihren Steinen groß.
Es waltete friedliche Ökonomie
in nachhaltiger Harmonie:
Der Riesenmann, die Riesenfrau
betrachten erst den Fels genau –
im Ausmaß etwa ein Omnibus – ,
bevor sie ihn knacken wie eine Nuss.
Sie mahlen ihn zu feinem Kies
und kauen und verdauen dies.
Um Nachschub wird nie Sorge sein,
denn Stein verdaut sich zurück zu Stein.
Im Bauch der Erde saßen sie,
den Bauch der Erde fraßen sie;
hier ist es dunkel, warm und still,
weil keiner etwas sagen will.
Es brennt kein Schmerz, es wütet kein Streit,
es zehrt kein Verlangen, regiert keine Zeit.
Es gibt kein Hoffen, kein Licht, keinen Tod;
das Fleisch ist Stein und Blut nicht rot.
Das Ganze war noch ganz und gar,
weil alles an seiner Stelle war.
Nur diese zwei hatten keinen Platz:
der Widerspruch und der Gegensatz.
Ich war nicht Ich, Du war nicht Du.
Es herrschte Ruhe ... Ruhe ... Ruh ... –
Und dann der Spruch: Es werde Zeit!
Und damit war Besonderheit.
Und damit waren: Hass und Neid,
Gerechtigkeit und Schuldigkeit,
Bescheidenheit und Obrigkeit,
Gewissenhaftigkeit und Eid,
Geschwindigkeit und Ewigkeit,
Gelehrsamkeit und Eitelkeit,
die Freiheit und das herbe Joch
der Einsamkeit und vieles noch ...
Das Älteste Gericht der Welt –
wer hat es auf den Plan gestellt?
Was hat er sich dabei gedacht?
Ich frag’: Wer hat die Zeit gemacht?
Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!
Noch nie sah einer sein Gesicht.
Statt Fragezeichen ohne Sinn
schreib’ ich das Wort der Schöpfer hin.
Der Plan beginnt beim ersten Wort.
Das lautet: Leben, pflanz’ dich fort!
Und Leben beginnt, wo Liebe beginnt,
und Riese und Riesin bekommen ein Kind.
Wird Jänner, Februar, März, April,
und weil das Glück sich zeigen will
in seiner neuen Lebenslust
im Mai, im Juni, Juli, August,
bekommt das Kindchen ein Gesicht,
das lieblich aus dem Brocken bricht.
September, Oktober, schon wächst ihm das Haar,
November, Dezember, schon ist es ein Jahr.
Die Augen wie Murmeln aus schwarzem Onyx;
das größte Glück des Augenblicks,
wenn Kindchen lächelt, und Kindchen nicht weiß,
warum es lächelt. Es steht im Kreis
von Pflanze und Tier, von Scheu und Scham,
und weiß nicht, wie es auf Erden kam;
und weiß doch, dass es Hoffnung gibt,
und weiß, dass Hoffnung das Kindchen liebt.
Es sammelt Brüder- und Schwesterlein,
ruft Ich und Du, ist nicht mehr allein
und hat Ideen und hat ein Programm
und klettert zum Licht durch Grotte und Klamm.
Die Nahrung im Erdenschoß war Stein;
das kann in der klaren Luft nicht sein.
Die klare Luft macht Appetit
auf Obst und Gemüse und nicht auf Granit.
Die klare Luft bei Sonne und Wind
befördert den Verstand beim Kind
und pflanzt ihm eine Seele ein,
es riecht nun auch anders, nicht mehr nach Stein.
Noch weiß es nicht, was ihm hier droht,
sein Blut schmeckt nach Salz, ist warm und rot.
Die Steinzeit hat sich im Stein verrannt.
Der Riese wird endlich Mensch genannt.
Und der erhebt sich, will hinan,
er schaut am Himmel die Sterne an
und fragt sich: Was wird wohl aus mir?
Warum bin ich ich? Warum bin ich hier?
Das Älteste und das Jüngste Gericht
sind eingeschrieben in sein Gesicht
wie Zahlen in ein Kassabuch
als Schuld und Vergebung, als Hoffnung und Fluch.
Er faltet die Hände, wird schließlich fromm:
Ach, ob ich wohl in den Himmel komm’ ?
Er fühlt sich so groß – und ist so klein.
So ist der Mensch, so soll er sein.
Das Riesengeschlecht kommt vor den Fall!
Denn hoch ist der Himmel, gewaltig das All!
Der Mensch wird irgendwann Geister seh’n,
dann wird er vielleicht seinen Schöpfer versteh’n –
– behauptet der Schöpfer auf jeden Fall,
der Schöpfer von Sein und Zeit und All,
von Himmel und Hölle und Alkohol,
von Fink und Funk, und der weiß es ja wohl.
Riesenmädchen, Riesenbub,
Menschenmädchen, Menschenbub,
so stehen sie und pflücken sich
die Frucht vom Baum – schmeckt fürchterlich!
So beugen sie sich über den Fluss
und essen den Karpfen – ohne Genuss;
so treten und gären sie Trauben zu Wein
und träumen vom Wasser, kühl und rein.
Doch alles wird besser – sprich: Nichts ist gut.
Der Fortschritt ist des Falls Attribut.
Die Pflanzennahrung ist zwar gesund,
doch schafft man sich den Buckel rund.
Erst muss man Samen sammeln geh’n,
dann muss man nach dem Boden seh’n;
auch wessen Eigentum er ist –
Genaueres weiß der Jurist.
Dann muss man lästiges Unkraut mit
der bloßen Hand und im Fersenritt
bei böser Sonne und bösem Wind
herausreißen und zwar geschwind;
geschwind, weil morgen Regen kommt,
der alles überschwemmt – und prompt
muss wieder alles, alles neu ...
sonst wird’s kein Weizen, sonst wird’s Spreu.
Die Menschenkinder plagen sich,
sind unglücklich und fragen sich,
ob dieses Leben in freier Luft
bequemer ist als in der Gruft
im warmen, harten Untergrund.
Sind Früchte wirklich so gesund?
Ein Schieferstein sieht aus wie Krokant,
ist knusprig und schmeckt interessant,
ein zarter Nachgeschmack nach Meer –
beteuert der Nostalgiker ...
Es lebt, wer über den Gräbern steht.
Kein Leben dort, wo Leben vergeht.
Der Riese hat keine Heimat mehr.
Er hadert nicht, doch es schmerzt ihn sehr.
Er glotzt gradaus und trinkt den Wein
und sieht die Geister und bildet sich ein,
er kennt nun seines Schöpfers Plan,
versteht nun, was er ihm angetan.
Gemüseesser sind halt klein –
so ist der Mensch, so soll er sein.
Er trinkt den Rest, dann fällt er um
und liegt nun da und wurmt sich krumm,
als hätt’ ihm einer die Haut geklaut
und sich daraus ein Zelt gebaut.
Es gibt keinen Trost, sein Herz ist tot,
ist kalt wie Stein, ist hart wie die Not.
Gemüsefresser bleiben klein! –
Gern möchte er wieder ein Riese sein!
Die Menschen leben im Augenblick,
sie schauen nach vorne und schauen zurück,
bis keiner mehr die Zeiten kennt,
ob immerdar oder ob Moment.
Von nun wird bis in Ewigkeit
der Augenblick zum Rivalen der Zeit.
Die Zeit – sie ist unendlich groß;
der Augenblick ein Photönchen bloß.
Sie ist mit Leere angefüllt,
er prall, jedoch vom Nichts umhüllt –
wie Zwillinge, die aneinander saugen
und nur noch zur Metapher taugen.
Soeben kam eine Meldung herein:
Der erste Riese war nicht aus Stein.
Er war durchaus aus Knochen und Haut
und Sehnen und aus Fleisch gebaut;
und weiblich war er und einsam dazu.
Ein Riesenweib ohne Kleid und Schuh,
so nackt wie die erste nackte Natur,
war lange davor. Die Früchte nur –
die herrlich schimmernden, saftig und süß,
die duftenden, die sie nicht hängen ließ,
wenn sie eine fand – , die waren vor ihr,
sonst wär’ sie verhungert. Erfahren wir
aus Ethno- und Archäologie.
Auch hat man herausgefunden, wie
sie aussah, nämlich: „Wunderschön!
Nie hat man etwas Schön’res geseh’n!
Die Haut wie von Honig unterlegt ...
die Ader am Hals, die zart sich regt,
wo steter Takt das Blut dirigiert ... “
So wird ein Archäologe zitiert.
Kollegen von der Ethnologie,
im Tonfall neutraler, beschreiben sie
als frei – so frei, als wäre der Sinn
des Wortes hier an seinem Beginn.
Die Riesin war frei. Und war allein.
Die Sünde, gerne allein zu sein,
war nicht erfunden. Schwesterlich
begrüßte alles Leben sich.
Die Riesin hat den Namen: Frau Hitt.
Knapp einen halben Tagesritt
von Innsbruck nach Norden lag das Feld,
wo ihre Höhle war. Wird erzählt.
Das Feld war verborgen hinter Fels,
im Glitzer eines kristallenen Quells.
Es gibt Experten, die meinen, dies
sei ohne Zweifel das Paradies.
Das Obst, sagen sie, sei Indiz dafür.
Vergessene Sorten wuchsen hier.
Vergessen, ja, ich bedauer es ... –
Darüber später Genaueres.
Frau Hitt war einzig in ihrer Art.
Nichts hat sich über sie offenbart.
Die Bienen haben im Duft ihrer Haut
die Waben an ihre Achseln gebaut.
Und einmal lag Frau Hitt im Kraut
und hat das Weltall angeschaut,
da zogen Regenwolken auf,
und Tropfen fielen auf sie drauf
und kühlten ihren Honigleib
und hüllten ein das ganze Weib.
Die Flut in ihrer Wunderkraft
bewirkte eine Schwangerschaft.
Da hat sie die Wiege ins Feld gestellt
und brachte einen Buben zur Welt.
Es gab keinen Kinderschutz per Gesetz,
ihn schützte nur ein Spinnennetz.
Eins wusste Frau Hitt: Das ist Glück!
Und lernte zugleich das Gegenstück.
Denn Unglück ist, was Glück gebiert:
dann, wenn man dieses Glück verliert.
Hie Sorge, da Liebe, hie selig, da bang –
so wurde ihr der Tag nicht lang.
Sie küsst und pflegt und kost das Kind
und prüft, ob die Windeln zu wechseln sind;
ob Blütenstaub ihn jucken könnt’,
ob Birkenlaub ihn drucken könnt’,
verscheucht sogar den Schmetterling ...
Wie sehr liebt sie das kleine Ding,
das mit dem kleinen Zünglein leckt
und seine kleinen Ärmchen streckt,
wenn sie ihn aus der Wiege hebt.
Ach, nur für ihn hat sie gelebt!
Seit ewig ruht er in ihrer Brust,
sie hat es selbst nur nicht gewusst.
Nun ist er da, und sie hat ihn so gern,
den Lebenszweck, den Augenstern.
Sie machte ihren Busen weit:
Erfunden war die Zärtlichkeit.
Der Bub wächst schnell. Nach tausend Jahr
ist er, wie ich mit dreizehn war.
Doch manches war verändert jetzt:
Die Menschen haben sich festgesetzt
auf diesem Planeten und haben gleich
zu Herr’n sich erkoren in ihrem Reich.
Die seltsamsten Typen fasst diese Art:
von fisteldürr und lispelzart
bis hackstockderb und sturbockmies
von Blitzdummköpfen bis Genies ...
Sie drangen auch in die Alpen vor
und bauten Städte mit Turm und Tor
und Brücken – zum Beispiel über den Inn.
Ihr Gott gab Segen, Schwert und Sinn.
Sie taten am Pflug und im Stall ihre Pflicht,
die Berge interessierten sie nicht.
Auch nicht, was dahinter sein könnte? – Nein.
Was kann denn schon hinter etwas sein!
Es gab aber einen – der tat es doch:
Er stieg hinauf und höher noch,
als von der Stadt aus zu sehen war,
ja, über die Nordkette stieg er sogar,
erreichte endlich das Riesenfeld,