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Mascha Kalékos Hauptwerk erstmals bei dtv! ›Krankgeschrieben‹, ›Sonntagmorgen‹, ›Großstadtliebe‹, ›Kassen-Patienten‹ – so lauten die Titel von Mascha Kalékos Großstadtgedichten aus den 1930er-Jahren. Sie erzählen von Liebe, Schnupfen und Halsweh, dem Sonntagsausflug und Tarifgehältern. In ihrer gewohnten Manier, melancholisch, aber gewitzt, schreibt Kaléko aus dem Alltag für den Alltag und trifft die Menschen mitten ins Herz. Man lernt sich irgendwo ganz flüchtig kennen und gibt sich irgendwann ein Rendezvous. Ein Irgendwas, – 's ist nicht genau zu nennen – Verführt dazu, sich gar nicht mehr zu trennen. Beim zweiten Himbeereis sagt man sich ›du‹.
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Seitenzahl: 146
Mascha Kaleko
Das Lyrische Stenogrammheft
Kleines Lesebuch für Große
Deutscher Taschenbuch Verlag
Dir!
Ich bin vor nicht zu langer Zeit geboren
In einer kleinen, klatschbeflissenen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.
Mein meistgesprochenes Wort als Kind war »nein«.
Ich war kein einwandfreies Mutterglück.
– Und denke ich an jene Zeit zurück:
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.
Im letzten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
– Ich war schon zwölf, als ich noch immer dachte,
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.
Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich – zwecks Bildung – bald entfernten;
Doch was wir auf der hohen Schule lernten,
Ein Wort wie »Abbau« haben wir nicht gehabt.
Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau –
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.
Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
(Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.)
Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
– An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück …
Montag hat die Welt noch kein Gesicht,
Und kein Mensch kann ihr ins Auge sehen.
– Montag heißt: schon wieder früh aufstehen,
Training für das Wochen-Schwergewicht.
Und die Bahnen brausen, das Auto kläfft,
Die Arbeit marschiert in den Städten.
Alle Straßen hallen wider von Betrieb und von Geschäft,
Und die Riesensummen wachsen in ein unsichtbares Heft,
– Doch nie in das Heft des Proleten.
Schlagerlied vom Sonntag noch im Ohr,
Denkt man ungern an Bürogehälter.
– Montag hat ein kleiner Angestellter
Mittags Krach und abends gar nichts vor.
Nur der Motor rasselt, der Hammer dröhnt.
Der Werktag kutschiert ohne Pause.
Theater locken. Der Luxus höhnt,
Doch man ist ja längst an Verzichten gewöhnt.
– Wer kein Geld hat, bleibt brav zu Hause.
Montags gähnt sogar das Portemonnaie,
Und es reicht noch grad für die Kantine.
Spät nach Ladenschluß geht man mit Duldermiene
Resigniert vorbei am Stammcafé.
Und die Stunden laufen, der Tag verweht,
Müde hockt man in seinen vier Wänden.
Und dann kommt man ins Denken – wie das so geht …
Man findet die Zeiten ein bißchen verdreht,
Und man fragt sich: wie wird das wohl enden?
Montag ist das Stiefkind des Kalenders,
Düstrer Woche grauer Korridor,
Höchster Mißklang in der Tage Chor,
Strengster Ruhetag des Freudespenders.
Inserat:
»Mannequin 42er Figur, leichte,
angenehme Arbeit, gesucht …«
Nur lächeln und schmeicheln den endlosen Tag …
Das macht schon müde.
– Was man uns immer versprechen mag:
Wir bleiben solide.
Wir prunken in Seide vom »dernier cri«
Und wissen: gehören wird sie uns nie.
Das bleibt uns verschlossen.
Wir tragen die Fähnchen der »Inventur«
Und sagen zu Dämchen mit Speckfigur:
»Gnäfrau, … wie angegossen!«
Wir leben am Tage von Stullen und Tee.
Denn das ist billig.
Manch einer spendiert uns ein feines Souper,
… Ist man nur willig.
Was nützt schon der Fummel aus Crêpe Satin –
Du bleibst, was du bist: Nur ein Mannequin.
Da gibt’s nichts zu lachen.
Wir rechnen, ob’s Geld noch bis Ultimo langt,
Und müssen trotzdem, weil’s die Kundschaft verlangt,
Das sorglose Püppchen machen.
Die Beine, die sind uns Betriebskapital
Und Referenzen.
Gehalt: so hoch wie die Hüfte schmal.
Logische Konsequenzen …
Bedingung: stets vollschlank, diskret und – lieb.
(Denn das ist der Firma Geschäftsprinzip.)
– Und wird mal ein Wort nicht gewogen,
Dann sei nicht gleich prüde und schrei nicht gleich »Nee!«
Das gehört doch nun mal zum Geschäftsrenommée
Und ist im Gehalt einbezogen.
Jetzt bist du fort. Dein Zug ging neun Uhr sieben.
Ich hielt dich nicht zurück. Nun tut’s mir leid.
– Von dir ist weiter nichts zurückgeblieben
Als ein paar Fotos und die Einsamkeit.
Noch hör ich leis von fern den D-Zug pfeifen.
In ein paar Stunden hält er in Polzin.
Mich ließest du allein in Groß-Berlin,
Nun werde ich durch laute Straßen streifen.
Und mißvergnügt in mein Möbliertes gehen,
Das mir für dreißig Mark Zuhause ist,
Und warten, daß ein Brief von dir mich grüßt,
Und abends manchmal nach der Türe sehen.
… Ich kenn’ das schon –. Und weiß, es wird mir fehlen,
Daß du um sechs nicht vor dem Bahnhof bist.
– Wem soll ich, was am Tag geschehen ist,
Und von dem Ärger im Büro erzählen?
Jetzt, da du fort bist, scheint mir alles trübe.
– Hätt ich’s geahnt, ich ließe dich nicht gehn.
Was wir vermissen, scheint uns immer schön.
Woran das liegen mag … Ist das nun Liebe?
Das regnet heut! Man glaubt beinah zu spüren,
Wie’s Thermometer mit der Stimmung fällt.
Frau Meilich hat die Heizung abgestellt,
Und irgendwo im Hause klappen Türen.
Jetzt sitz ich ohne dich in meinem Zimmer
Und trink den dünnen Kaffee ganz allein.
– Ich weiß, das wird jetzt manches Mal so sein.
Sehr oft vielleicht. – Beziehungsweise: immer …
Wenn man nachts nicht schlafen kann,
Hört man von den schiefergrauen
Dächern junge Katzen miauen,
Und das hört sich schaurig an.
Brave Menschen – heißt es – beten,
Dann schickt ihnen Gott den Schlaf.
– Doch man selbst ist niemals brav …
Schlaflos starrt man auf Tapeten,
Zählt die Muster Stück für Stück.
Plötzlich hört man draußen Schritte,
Und vom Ausgang kehrt Brigitte
Wieder mal zu spät zurück.
Von der Straße tönt Gesang:
Durch die mondbeglänzte Stille
Wankt ein Mann aus der Destille,
Glücklich, weil er sich betrank.
Leise bellt ein Hund im Traum,
Und im Hausflur blüht die Liebe. –
Still zur Arbeit ziehen Diebe,
Ihre Schlüssel hört man kaum …
Endlos lang dehnt sich die Nacht.
Eine Uhr schlägt Stund’ um Stunde.
Wächter machen ihre Runde,
Und man zählt bis tausendacht …
Gähnend schleicht der Tag sich ein.
Autos rasseln schon und Wagen. –
Fröstelnd, nachtdurchwacht, zerschlagen,
Dämmert man am Morgen ein. –
Man liegt im Bett mit einer Halskompresse,
Erschöpft und blaß ist man heraufgeschwankt.
Man ist des ganzen Hauses Interesse,
Und jemand sorgt, daß man das Fieber messe.
Man fehlt heut im Büro. – Man ist »erkrankt«.
Man fühlt sich wohl auf weichen, weißen Kissen.
– Von Zeit zu Zeit tut irgendwo was weh –.
Und diese Schmerzen streicheln das Gewissen,
Heut einmal seine Pflicht nicht tun zu müssen.
… Dies sühnt man außerdem mit Fliedertee.
Man sieht die Möbel an und die Gardinen.
– Man kennt sein Zimmer nur vom Abend her –.
Am Tage, wenn es hell und lichtbeschienen,
Da ist man irgendwo, um zu verdienen.
Und abends gibt es keine Sonne mehr.
Durchs Fenster dringen Stimmen von Passanten
Und der Vormittagslärm von Groß-Berlin.
Man wird besucht von Freunden und Bekannten.
Zweimal am Tage kommen die Verwandten
Und dreimal täglich kommt die Medizin …
So gegen elf hört man die Bolle-Glocken,
Zuweilen läutet’s an der Eingangstür.
Ein Reisender empfiehlt uns Mako-Socken –.
Vom Hof her klingt des Scherenschleifers Locken
Und auch der Leiermann ist wieder hier.
Man liegt im Bett. Und draußen »pulst das Leben«
– Wie es so herrlich in Romanen heißt.
Man hat sich diesem Zwange gern ergeben
Und wird gesund mit leisem Widerstreben,
Als wär man in die Kindheit heimgereist …
Wenn es abends sieben schlägt,
Strömen aus den tausend Toren matte, blasse Großstadtmenschen,
Alltagssorgen in den Augen, Mappen in der müden Hand,
Angeln aus zerdrückten Taschen rasch die Stadtbahn-Monatskarten,
Werfen einen kurzen Blick in den Automatenspiegel
(Manchmal auch noch einen Groschen, der gebrannten Mandeln gilt –),
Stehlen an dem Zeitungsständer fettgedruckte Überschriften
Aus dem letzten Abendblatt …
Fauchend – wie ein Wüstenwind aus den Südsee-Kitschromanen –
Rollt die Stadtbahnschlange an.
Naßkalt ist die Luft im Wagen, und es riecht nach Warteraum.
– Seltsam nicken müde Männer aus dem Fünf-Minuten-Schlaf,
Blicken schreckhaft hin zum Fenster, träumend von der Endstation.
– Selig eng in einer Ecke lehnt ein blondes Liebespaar,
Brocken mancher Fahrtgespräche schaukeln ab und zu ins Ohr …
– Eine Kümmelstange kauend, übt ein magrer Gymnasiast
Rasch noch ein paar neue Verben für den Abendunterricht.
… Ruckweis alle paar Minuten hält der Zug geduldig an,
Ein paar Menschen zu entlassen.
Neue müde Augenpaare fischen schnell noch einen Platz.
Weiter geht’s auf Silberschienen mitten durch den Großstadtleib.
Winterdunkel legt sich frierend über kahle Mietkasernen,
Schattenhaft und längst entblättert tanzt am Park ein Baum vorbei …
Eine Schnur von Bogenlampen flackert über Straßen auf,
Und es wachsen helle Inseln bunter, wilder Lichtreklame
Aus dem öden Häusermeer – – –
– Straßenhändler schieben langsam schmieriggraue Karren heimwärts.
Auf den schwarzen Brettertafeln ist die Kreide halb verwischt.
(Wenn man mit dem warmen Atem an die blinde Scheibe haucht,
Kann man alles deutlich sehen, wenn es abends sieben schlägt …)
Wenn es abends sieben schlägt,
Warten in den Großstadthäusern viele Kinder auf die Eltern,
Viele Eltern auf ihr Kind.
Kinder horchen hin zur Türe, Mütter sehen auf die Uhr. –
Aus den Küchenfensterspalten riecht’s nach aufgewärmtem Essen,
Dringt das Klappern von Geschirr.
– Endlich kreischt im Flur die Klingel,
Klirren Schlüssel an der Tür …
Seit zehn Uhr morgens blick’ ich still zur Türe.
Nun ging der Geldbriefträger auch vorbei.
Ein Pfandschein und ein Fahrscheinheft vom Mai
Sind meine wertbeständigen Papiere.
Der Hauswirt wird allmählich ungeduldig
Und meine Winterjacke leicht defekt.
Der Waschfrau bin ich schon acht siebzig schuldig
Und sie mir den gebührlichen Respekt …
Der Sommer ist schon lange fortgezogen.
Und selbst die Zimmerlinde ging mir ein.
Auch mit dem Goldfisch hat man mich betrogen.
Jetzt stehe ich am Fenster ganz allein.
Das Fräulein vis-à-vis klopft die Matratzen.
Ein Bettler singt. Nicht schön, doch ziemlich laut.
Vor meinem Fenster zanken sich zwei Spatzen.
Erst waren’s sechs. Doch vier sind abgebaut.
Ich könnte, wenn ich könnte, manches sagen,
Doch Armut ist der Güter höchstes nicht:
Bei leergebranntem Herd und dito Magen
Schreibt man nicht mal ein lyrisches Gedicht.
– Im Kino bin ich lange nicht gewesen,
Und Bücher kaufen ziemt dem reichen Mann.
Ich darf noch höchstens eigne Werke lesen.
Was man wohl kaum Vergnügen nennen kann.
Es soll ja irgendwo noch Leute geben,
Die im Expreßzug nach dem Süden reisen.
– Mein Schicksal rollt auf toten Nebengleisen
Und Zugverspätung hat dies bißchen Leben …
Liebe Elli! – Mal muß man’s gestehen.
Und es ist auch schließlich besser so.
– Gestern war mein letzter Ultimo,
Und ab Dienstag darf ich stempeln gehen.
Abgangszeugnis. Sanft ruht die Karriere …
Letzter Akt. Der Eisenvorhang fällt,
Denn mein Chef hat statt der Sekretäre
Lediglich die Zahlung eingestellt.
Der Beamte auf dem Nachweis meinte,
Daß ich tot fürs Wirtschaftsleben wär.
– Aktenzeichen: C. – Die Mutter weinte.
Und du findest Armut ordinär …
Du bist schön. Du tanzst gern in Lokalen.
Du paßt in keine Not-Zeit-Ehe ’rein!
– Der Mensch lebt nicht vom Honigmond allein,
Er muß auch ab und zu mal Schulden zahlen.
… Sogar das Faltboot mußte ich verpfänden,
Weil mich nur Bargeld über Wasser hält.
Ich sende dir mein Herz zu treuen Händen,
Sonst hab ich nichts à conto dieser Welt.
– Ein Jahr nur noch: ich wäre was geworden.
Ich hatte mir die Zukunft schön gedacht.
Was bin ich jetzt? – Ein Mönch im Stempler-Orden.
– Nun komm ich niemals mehr nach Gruppe acht …
Das stößt hier und drängelt so ohne Manieren.
– Von wegen »gebildet« und »besseres Haus«!
Die Gnädje im Fehpelz, die sollt’ sich genieren.
Sie denkt: Nur ein Liftboy – was macht das schon aus …
– Hätt ich zu bestimmen, ich wüßt, was ich täte!
»Erster: Porzellanwaren und Wirtschaftsgeräte …!«
… Mitunter da denk ich, das menschliche Leben
Ist oft wie so’n Fahrstuhl im Warenhaus:
– Wer Geld hat, kann rauf bis zum Dachgarten schweben,
Wer keins hat, muß meist schon im Zwischenstock raus.
Und immer heißt’s »Abwärts!« nach einigen Jahren …
»Zweiter: Gardinen und Einrichtungswaren …!«
Wenn ich erst mal Geld hab, dann werdet Ihr staunen:
Da pfeif ich auf meine geputzte Livrée!
Beschwerde gefällig? Abteilung für Launen.
– Ich sage so kühl wie ein Kunde: »Ich geh«.
… Nur Elli vom Lichthof –. Doch noch ist’s ein Traum …
»Dritter: Frisier- und Erfrischungsraum!«
Wenn einer stirbt, dann weinen die Verwandten;
Der Chef schickt einen Ehrenkranz ins Haus,
Und voller Lob sind die, die ihn verkannten.
… Wenn einer tot ist, macht er sich nichts draus.
Wenn einer stirbt – und er ist kein Minister –
Schreibt das Vereinsorgan kurz: »Er verblich …«
– Im Standesamt, Ressort: Geburtsregister
Macht ein Beamter einen dicken Strich.
Ein Kleiderhändler fragt nach alten Hüten,
Offerten schickt ein Trauermagazin.
Am Fenster steht: »Ein Zimmer zu vermieten …«
Und auf dem Tisch die letzte Medizin.
Wenn einer stirbt, scheint denen, die ihn lieben,
Es könne nichts so einfach weitergehn.
Doch sie sind auch nur »trauernd hinterblieben«,
Und alles läuft, wie es ihm vorgeschrieben.
– Und nicht einmal die Uhren bleiben stehn …
Man lernt sich irgendwo ganz flüchtig kennen
Und gibt sich irgendwann ein Rendezvous.
Ein Irgendwas, – ’s ist nicht genau zu nennen –
Verführt dazu, sich gar nicht mehr zu trennen.
Beim zweiten Himbeereis sagt man sich »du«.
Man hat sich lieb und ahnt im Grau der Tage
Das Leuchten froher Abendstunden schon.
Man teilt die Alltagssorgen und die Plage,
Man teilt die Freuden der Gehaltszulage,
… Das übrige besorgt das Telephon. –
Man trifft sich im Gewühl der Großstadtstraßen.
Zu Hause geht es nicht. Man wohnt möbliert.
– Durch das Gewirr von Lärm und Autorasen,
– Vorbei am Klatsch der Tanten und der Basen
Geht man zu Zweien still und unberührt.
Man küßt sich dann und wann auf stillen Bänken,
– Beziehungsweise auf dem Paddelboot.
Erotik muß auf Sonntag sich beschränken.
… Wer denkt daran, an später noch zu denken?
Man spricht konkret und wird nur selten rot.
Man schenkt sich keine Rosen und Narzissen,
Und schickt auch keinen Pagen sich ins Haus.
– Hat man genug von Weekendfahrt und Küssen,
Läßt man’s einander durch die Reichspost wissen
Per Stenographenschrift ein Wörtchen: »aus«!
Jetzt ruhn auch schon die letzten Großstadthäuser.
Im Tanzpalast ist die Musik verstummt
Bis auf den Boy, der einen Schlager summt.
Und hinter Schenkentüren wird es leiser.
Es schläft der Lärm der Autos und Maschinen,
Und blasse Kinder träumen still vom Glück.
Ein Ehepaar kehrt stumm vom Fest zurück,
Die dürren Schatten zittern auf Gardinen.
Ein Omnibus durchrattert tote Straßen.
Auf kalter Parkbank schnarcht ein Vagabund.
Durch dunkle Tore irrt ein fremder Hund
Und weint um Menschen, die ihn blind vergaßen.
In schwarzen Fetzen hängt die Nacht zerrissen,
Und wer ein Bett hat, ging schon längst zur Ruh.
Jetzt fallen selbst dem Mond die Augen zu …
Nur Kranke stöhnen wach in ihren Kissen.
Es ist so still, als könnte nichts geschehen.
Jetzt schweigt des Tages Lied vom Kampf ums Brot.
– Nur irgendwo geht einer in den Tod.
Und morgen wird es in der Zeitung stehen …
Sie wissen nichts von Schmutz und Wohnungsnot,
Von Stempelngehn und Armeleuteküchen.
Sie ahnen nichts von Hinterhausgerüchen,
Von Hungerlöhnen und von Trockenbrot.
Sie wohnen meist im herrschaftlichen Haus,
Zuweilen auch in eleganten Villen.
Sie kommen nie in Kneipen und Destillen,
Und gehen stets nur mit dem Fräulein aus.
Sie rechnen sich schon jetzt zur Hautevolée
Und zählen Armut zu den größten Sünden.
– Nicht mal ein Auto …? Nein, wie sie das finden!
Ihr Hochmut wächst mit Pappis Portemonnaie.
Sie kommen meist mit Abitur zur Welt,
– Zumindest aber schon mit Referenzen –
Und ziehn daraus die letzten Konsequenzen:
Wir sind die Herrn, denn unser ist das Geld.
Mit Vierzehn finden sie, der Armen Los
Sei zwar nicht gut. Doch werde übertrieben – –.
Mit Vierzehn schon! – Wenn sie noch Vierzehn blieben.
Jedoch die Kinder werden einmal groß …
Wir hatten mal einen Salon, ein Klavier und seidene Sofaschoner.
… Eigentlich bin ich aus besserem Haus.
Nun aber leb ich vom Fensterapplaus
Der Küchenmädchen und von den Groschen der Hausbewohner.
Ich hab einen Frack und eine sichere Stellung gehabt
Bei einer Großbank. Die ist längst verkracht.
Ich hab beinah mein Abitur gemacht.
Doch grad für Singen war ich nicht begabt.
Ich bin nie auf fremde Höfe gegangen,
Das hätte meine Mutter niemals erlaubt.
Auch nicht, daß ich einsam, vergessen, verstaubt
Berufstätig bin zwischen Mülleimern und Teppichstangen.
… Das war die erste Station: Vertreter-Treppensteigen.
Fremde klappten mit Türen. Freunde dankten diskret.
Die wissen ja alle nicht, wie’s ist, wenn man da steht,
Allein im Hof. Und alle Fenster schweigen.
Der Weg zurück, hinauf, wird täglich schwerer.
Mich hat das Schicksal dankend abgelehnt.
Die Zuversicht ist ein Charakterfehler,
Den man sich klug beizeiten abgewöhnt.
… Manchmal hab ich solche Sehnsucht nach früher.
– Man kann sich doch nicht mit dreißig begraben.
Man müßte wieder einmal einen Posten haben,
Ein festes Mädchen und einen wollenen Überzieher …
Ich sitz in meinem Stammcafé.
Es ist schon spät. Ich gähne …
Ich habe Sehnsucht nach René
Und außerdem Migräne.
Der große Blonde an der Bar
Schickt einen Brief. – Beim Lesen
Denk ich: Zu spät. Vor einem Jahr
Wär der mein Typ gewesen.
Die Drehtür surrt und importiert
Ein Dutzend Literaten.
– Ein Lyriker ruft ungeniert:
»… Das Schnitzel scharf gebraten!«
Der Ober blickt impertinent,
Kassiert zwei Weingedecke.
Hierauf verschwindet sehr dezent
Ein Pärchen aus der Ecke.
Der Talmi-Herr sprach sehr gewählt.
Die Talmi-Dame nippte.
… Die Beiden geben – knapp gezählt –
Zwei Folio-Manuskripte.
Vom Ping-Pong-Tisch grüßt ein Tenor.
Ich kann den Kerl nicht sehen!
Und nehme mir wie immer vor,
Nie wieder herzugehen.
Ein Sportgirl zwitschert von Davos.
Ich seufze mit Begründung:
Ich habe nur ein Achtellos
Und eine Halsentzündung.
Jetzt macht die Jazzkapelle Schluß.
Der Asphalt glänzt vom Regen.
– Ich nehme einen Omnibus
Und fahr dem Schlaf entgegen …
Der Wecker surrt. Das alberne Geknatter
Reißt mir das schönste Stück des Traums entzwei.
Ein fleißig Radio übt schon sein Geschnatter.
– Pitt äußert, daß es Zeit zum Aufstehn sei.
Mir ist vor Frühaufstehern immer bange.
… Das können keine wackern Männer sein:
Ein guter Mensch schläft meistens gern und lange.
– Ich bild’ mir diesbezüglich etwas ein …
Das mit der goldgeschmückten Morgenstunde
Hat sicher nur das Lesebuch erdacht.
Ich ruhe sanft. – Aus einem kühlen Grunde:
Ich hab’ mir niemals was aus Gold gemacht.