16,99 €
Eine Klassikerin, eine große Außenseiterin – Daniel Kehlmann liest Mascha Kaléko Mascha Kaléko ist eine leuchtende Ausnahmeerscheinung in der deutschen Literatur. Niemand verkörpert das Berlin der Weimarer Republik zwischen Schreibmaschinengrau, hellen Kinoreklamen und nicht enden wollenden Nächten im Romanischen Café so sehr wie die melancholische Großstadtdichterin mit ihrem sprühenden Witz. Auch nach ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten 1938 besang sie diese verlorene Heimat in Versen vom Emigrantenleben in New York, Jerusalem und anderswo. Zu ihrem fünfzigsten Todestag wirft Daniel Kehlmann mit dieser Auswahl einen persönlichen Blick auf das Werk seiner Schriftstellerkollegin – auf die »Großstadtlerche«, die glücklich und unglücklich Liebende, die berlinkranke Kosmopolitin. »Mascha Kaléko, die undeutscheste deutsche Dichterin, hat die elegantesten, traurigheitersten Gedichte seit Heinrich Heine geschrieben. Was für ein Schatz an Form, Schönheit und weiser Melancholie!« Daniel Kehlmann
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 135
Mascha Kaléko ist eine leuchtende Ausnahmeerscheinung in der deutschen Literatur. Niemand verkörpert das Berlin der Weimarer Republik zwischen Schreibmaschinengrau, hellen Kinoreklamen und nicht enden wollenden Nächten im Romanischen Café so sehr wie die melancholische Großstadtdichterin mit ihrem sprühenden Witz. Auch nach ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten 1938 besang sie diese verlorene Heimat in Versen vom Emigrantenleben in New York, Jerusalem und anderswo. Mit dieser Auswahl wirft Daniel Kehlmann einen persönlichen Blick auf das Werk seiner Schriftstellerkollegin – auf die »Großstadtlerche«, die glücklich und unglücklich Liebende, die berlinkranke Kosmopolitin.
Mascha Kaléko
Ausgewählt und mit einem Vorwort von Daniel Kehlmann
Gedichte und Prosa
Daniel Kehlmann
Mascha Kaléko wurde 1907 als Tochter eines galizischen Kaufmanns unter dem Namen Golda Malka Aufen geboren. Als der Krieg begann und die Gewalt gegen Juden in Osteuropa bedrohlich zunahm, zog die Familie nach Deutschland: Die Töchter besuchten die Schule zunächst in Frankfurt, dann in Marburg, 1918 zogen sie mit den Eltern ins Berliner Scheunenviertel. Früh begann Mascha Kaléko in Magazinen und Zeitschriften perfekt gebaute Gedichte zu veröffentlichen, in denen Traurigkeit und Ironie einander die Waage hielten, ihr Ton traf genau das Lebensgefühl jener Weimarer Jahre, die sie später »die paar leuchtenden« nennen sollte, und tatsächlich waren es die einzigen leuchtenden Jahre ihres Lebens. Sie schrieb von Beziehungen und Liebschaften, vom flüchtigen Zusammenkommen und vom schnellen Abschied und immer wieder von der unüberwindlichen Fremdheit derer, die einander nahezustehen glauben: »Es war«, so der Schriftsteller Horst Krüger, »der frech-sensible, traurige und doch schnoddrige Ton Berlins kurz vor Hitler.«[1]
Zuweilen schlägt ihr Frühwerk diesen Ton auch allzu routiniert an, dann erscheint die Melancholie wie ein gekonnt gepflegtes Markenzeichen, immer aber finden die Gedanken ohne Zwang zueinander, immer entstehen die Reime mit vollkommener Natürlichkeit. Bei schwächeren Lyrikern kann man oft sagen, welche Zeile zuerst da war und welche des Reims wegen dazuerfunden wurde, bei ihr aber stehen alle Zeilen gleichberechtigt, und nie kommt der metrische Rhythmus dem konversationshaften Parlandostil in den Weg. Die junge und bereits berühmte Frau stand mit ihren zugleich persönlichen und doch im Duktus stets ins Allgemeine zielenden Gedichten – fast nie fällt das Wort »ich«, viel öfter »man« – am Beginn einer glänzenden Karriere: 1933 erschien ihr Gedichtband ›Das lyrische Stenogrammheft‹, im Jahr darauf konnte sie noch ›Das kleine Lesebuch für Große‹ herausbringen. Dann kam der große Biografiebruch.
Zunächst bekam Mascha Kaléko, wie sie nun nach einer ersten, verhältnismäßig schnell wieder geschiedenen Ehe hieß, als jüdische Autorin Publikationsverbot, bald darauf musste sie Deutschland gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver, einem Spezialisten für traditionelle jüdische Musik, und ihrem kleinen Sohn verlassen. Im September 1938 schaffte die Familie es nach New York und überlebte. Aber Mascha Kaléko hatte nun keinen Verlag mehr, kein Publikum und, von kleinen Exilzeitschriften abgesehen, auch keinen Ort zum Veröffentlichen: Die Kontinuität ihrer Arbeit war abgerissen, und Gedichte entstanden jetzt seltener, in weit größeren Zeitabständen.
Und doch kam sie in diesen schweren Jahren als Künstlerin erst ganz zu sich. Das Gezierte, das den Gedichten der »leuchtenden Jahre« manchmal anhaftete, verschwand ganz und gar: Tiefer Zorn auf die Deutschen klingt in diesen Werken der Kriegsjahre, noch tiefere Traurigkeit, dazu die nie ganz verschwindende Fremdheit in der neuen Heimat. Auch jetzt aber blieben die Reime perfekt; ihre Begabung zur Form verließ Mascha Kaléko nicht einmal in den schwersten Momenten.
Ihr Leben allerdings fand nie wieder festen Tritt. 1960 zogen Chemjo Vinaver und Mascha Kaléko von Greenwich Village nach Jerusalem, weil Chemjo sich in Israel einen Neuanfang und beruflich bessere Möglichkeiten erhoffte, dort aber fühlten sich beide nicht wohl; sie besuchten häufig Deutschland, ohne auch dort je wieder heimisch zu sein. In den folgenden Jahren trafen Mascha Kaléko die beiden schlimmsten überhaupt nur möglichen Schicksalsschläge: Ihr Sohn Steven, für den sie mit »Einem kleinen Emigranten« eines ihrer schönsten und traurigsten Gedichte geschrieben hatte, starb unerwartet an einer heimtückischen Krankheit, und nur wenige Jahre später starb auch Chemjo – ein Ereignis, vor dem sie sich so gefürchtet hatte, dass sie es immer wieder beschwörend, abwehrend, angstvoll in Gedichten vorweggenommen hatte.
Zumindest aber konnte sie noch mitansehen, wie ihr Ruhm in Deutschland wuchs, ohne dass das offizielle literarische Milieu der Bundesrepublik daran einen Anteil gehabt hätte. 1959 wurde ihr der mit viertausend Mark dotierte Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste zugesprochen. Als sie aber erfuhr, dass der Schriftsteller Hans Egon Holthusen, Vorsitzender der Abteilung für Dichtung, ein SS-Mitglied gewesen war, verweigerte sie die Annahme. Die Akademieleitung bat um ein persönliches Treffen, das völlig aus dem Ruder lief: Generalsekretär Herbert von Buttlar herrschte sie an: »Wenn es den Emigranten nicht gefällt, wie wir die Dinge hier handhaben, dann sollen sie doch fortbleiben. […] Ich bin kein Jude und habe mindestens so viel durchgemacht wie die Juden.«[2]
Aber auch nach dem Ausscheiden von Holthusen und Buttlar wurde Mascha Kaléko nicht mehr für den Fontane-Preis vorgeschlagen, und sie bekam auch keine anderen Auszeichnungen. Ihre Leserschaft wuchs dennoch stetig, die Neuausgabe des ›Lyrischen Stenogrammhefts‹ erreichte noch zu ihren Lebzeiten eine Auflage jenseits der hunderttausend Exemplare. Schauspielerinnen gaben Rezitationsabende mit ihren Gedichten – eine davon, Gisela Zoch-Westphal, wurde zu einer Freundin und, nach Mascha Kalékos Tod, zur hingebungsvollen Verwalterin ihres Nachlasses –, und trotzdem ignorierte das offizielle literarische Deutschland sie weiterhin: »Keine Literaturgeschichte der Deutschen vermerkt sie«, schrieb Horst Krüger 1975 in seinem Nachruf in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹.»Im zwanzigbändigen Brockhaus ist sie nicht notiert. Eine Integration in unsere Literaturszene fand nicht mehr statt.« Und so blieb es für eine Weile: Noch in den neunziger Jahren erwähnten die Lexika ›Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart‹ und das ›Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800–1945‹ ihren Namen ebenso wenig wie das ›Metzler Autorinnen Lexikon‹ oder ›Kindlers Literatur Lexikon‹.[3]
All das hätte anders sein können, Mascha Kalékos im besten Sinn volkstümliche Gedichte wären ihrer Natur nach nicht bestimmt gewesen für die Randständigkeit: Sie sind so gut zu merken, so leicht auswendig zu lernen, so musikalisch und singbar, so witzig und kraftvoll, dass sie unter anderen Umständen ohne Zweifel noch zu Lebzeiten so populär geworden wäre wie Heinrich Heine, wie Joachim Ringelnatz oder Erich Kästner. Dass es nicht so kam und dass es nach den leuchtenden Jahren in ihren Werken vor allem um Emigration, Heimatlosigkeit, Trauer und Verlust ging, war natürlich eine Folge der katastrophalen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Horst Krüger beschreibt es gültig in seinem Nachruf: »Natürlich gehört ein solches Leben: wie es aufbrach, kurze Zeit blühte, sich ducken mußte und dann über Jahrzehnte eigentümlich verrann in lauter freundlichen Verlegenheiten, zu den Spätfolgen des deutschen Faschismus. Es ist ein jüdisches Schicksal zu beklagen – was denn sonst?«[4]
Umso erfreulicher, dass die Geschichte der Literatur manchmal jene Gerechtigkeit herstellt, zu der die Literaturgeschichten nicht imstande sind. Mascha Kaléko wird heute gelesen und vorgetragen, sie wird vertont, bewundert und auswendig gelernt. »Auch meine Lieder, sie waren einst / Im Munde des Volkes lebendig«, heißt es in einem ihrer schönsten Gedichte. Die Vergangenheitsform ist hier aber nicht mehr berechtigt. Ihre Lieder sind wieder am Leben, ein Schatz an Form, Schönheit und weiser Melancholie. Und nur der Respekt vor ihrer Abneigung gegen Pathos hindert einen daran, zu sagen, dass einige davon unsterblich geworden sind. Solange man in deutscher Sprache überhaupt noch Gedichte liest, werden jene von Mascha Kaléko dabei sein.
Mein schönstes Gedicht …?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.
1973
Über gewisse Nächte
Wenn man nachts nicht schlafen kann,
Hört man von den schiefergrauen
Dächern junge Katzen miauen,
Und das hört sich schaurig an.
Brave Menschen – heißt es – beten,
Dann schickt ihnen Gott den Schlaf.
– Doch man selbst ist niemals brav …
Schlaflos starrt man auf Tapeten,
Zählt die Muster Stück für Stück.
Plötzlich hört man draußen Schritte,
Und vom Ausgang kehrt Brigitte
Wieder mal zu spät zurück.
Von der Straße tönt Gesang:
Durch die mondbeglänzte Stille
Wankt ein Mann aus der Destille,
Glücklich, weil er sich betrank.
Leise bellt ein Hund im Traum,
Und im Hausflur blüht die Liebe. –
Still zur Arbeit ziehen Diebe,
Ihre Schlüssel hört man kaum …
Endlos lang dehnt sich die Nacht.
Eine Uhr schlägt Stund’ um Stunde.
Wächter machen ihre Runde,
Und man zählt bis tausendacht …
Gähnend schleicht der Tag sich ein.
Autos rasseln schon und Wagen. –
Fröstelnd, nachtdurchwacht, zerschlagen,
Dämmert man am Morgen ein. –
1930/33
Jetzt ruhn auch schon die letzten Großstadthäuser.
Im Tanzpalast ist die Musik verstummt
Bis auf den Boy, der einen Schlager summt.
Und hinter Schenkentüren wird es leiser.
Es schläft der Lärm der Autos und Maschinen,
Und blasse Kinder träumen still vom Glück.
Ein Ehepaar kehrt stumm vom Fest zurück,
Die dürren Schatten zittern auf Gardinen.
Ein Omnibus durchrattert tote Straßen.
Auf kalter Parkbank schnarcht ein Vagabund.
Durch dunkle Tore irrt ein fremder Hund
Und weint um Menschen, die ihn blind vergaßen.
In schwarzen Fetzen hängt die Nacht zerrissen,
Und wer ein Bett hat, ging schon längst zur Ruh.
Jetzt fallen selbst dem Mond die Augen zu …
Nur Kranke stöhnen wach in ihren Kissen.
Es ist so still, als könnte nichts geschehen.
Jetzt schweigt des Tages Lied vom Kampf ums Brot.
– Nur irgendwo geht einer in den Tod.
Und morgen wird es in der Zeitung stehen …
1932/33
Heute möcht ich nicht nach Hause gehen.
Das wird wieder mal so eine Nacht.
Vor der Höfe dunklem Häuserschacht
Werde ich allein am Fenster stehen.
Still und traurig blinzeln ein paar Sterne,
Langweilt sich ein blasser halber Mond.
Und vom Tor her, wo der Pförtner wohnt,
Kräht ein spätes Grammophon von ferne.
Doch schon fünf Minuten hinterm Haus
Stirbt der Lärm von letzten Stadtbahnzügen.
Wo die Bäume sich im Nachtwind biegen,
Geht der großen Stadt der Atem aus.
Aus verschwiegnen, dichtverhängten Fenstern
Starrt das Schicksal Fremder in die Nacht.
Alte Kinderangst ist aufgewacht:
Vieles wird im Dunkel zu Gespenstern.
Und man träumt und horcht dem Schlag der Stunden …
Dieses Warten, daß es Morgen wird,
– Labyrinth, aus dem, des Nachts verirrt,
Mancher gar nicht wieder heimgefunden.
… Laß mich heute nicht nach Hause gehen,
Bis der Schatten ganz vorüber ist.
Denn solange du noch bei mir bist,
Fühle ich, es kann mir nichts geschehen.
1932/1933
Die Stille sickert leis durch Türenritzen.
Durch meine Stube kriecht die Einsamkeit
Und bleibt dann stumm auf kahlen Bänken sitzen.
– Der Abend läßt sich heute sehr viel Zeit.
Tief schweigt der Raum. Nur müßige Dielen knarren.
Die Ecken sind mit Schatten angefüllt.
Ich bin allein mit meinem Spiegelbild,
Man soll im Dunkeln nicht in Spiegel starren …
Der Tag hat seine Schuldigkeit getan:
Nur eine Handvoll Glück. Das ist zertreten.
Nun schleppt die Nacht mir die Gedanken an
Und müde Träume, die ich nie erbeten.
Da draußen hält der Regen Monolog
Und spielt mit dem Applaus der Fensterscheiben.
– Wie ging das Lied, das einst mich zu dir zog …
Aber du solltest nicht bleiben.
Klang ein Lied. Das ist verweht.
Gläsern schläft ein Garten.
Kleine brave Tischuhr tickt.
Porzellan-Pagode nickt.
Muß ich immer warten …
1932/33
Die Dächer glühn als lägen sie im Fieber.
Es schlägt der vielgerühmte Puls der Stadt.
Grell sticht Fassadenlicht. Und hoch darüber
Erscheint der Vollmond schlechtrasiert und matt.
Ein Kinoliebling lächelt auf Reklamen
Für Chlorodont und sieht hygienisch aus.
Ein paar sehr heftig retuschierte Damen
Blühn bunt am Hauptportal vorm Lichtspielhaus.
Hell glitzern Fenster auf der Tauentzien.
Man kann sich herrlich ziellos treiben lassen.
Da protzen Kaffees mit dem bißchen Grün
Und geben sich nebst Efeu als »Terrassen«.
Zuweilen weht ein kleiner Schlager hin.
Gehorsam wippt es unter allen Bänken.
– Ein altes Fräulein senkt das welke Kinn
Und muß an längstvergangne Liebe denken.
Wie seltsam, daß jetzt fern noch Dörfer sind,
In denen längst die letzte Uhr geschlagen,
Da noch zu lauten, nutzlos langen Tagen
Uns selbst die schönste Sommernacht gerinnt …
1933
Mein Herz schrie auf. Ich bin erwacht
Und starre dunkel in die Nacht.
Die Stadt schlief ein auf grauem Stein.
Ich bin allein. Bin ganz allein.
Mich hat ein Traum erschreckt.
Das hinterlistge Tier,
Der tags verscheuchte Kummer streckt
Die Fänge aus nach mir.
Erstorben schweigt das laute Haus.
Nun ging die letzte Lampe aus.
Wer jetzt nicht ruht, den weckte Schmerz.
Ich bin erwacht. Es schrie mein Herz.
Wie ich vor dem Fenster, so stehn
Allerorten wohl nächtliche Brüder,
Die Sterne verblassen zu sehn
Und dem Uhrenschlag wieder und wieder
Zu lauschen, und dem Klang der verschollenen Lieder
In des Morgenwinds tröstlichem Wehn …
1945
Nun gönnt sich das Jahr eine Pause.
Der goldne September entwich.
Geblieben im herbstlichen Hause
Sind nur meine Schwermut und ich.
Verlassen stehn Wiese und Weiher.
Es schimmert kein Segel am See.
Am Himmel nur Wildgans und Geier
Verkünden den kommenden Schnee.
Schon rüttelt der Wind an der Scheune.
Im Dunkel ein Nachtkäuzchen schreit.
Ich sitze alleine beim Weine
Und vertreib mir die Jahreszeit …
Im Gasthaus verlischt eine Kerze.
Verspätet spielt einer Klavier.
– Dem ist auch recht bange ums Herze,
Adagio in Moll – so wie mir.
Der Abend ist voller Gespenster,
Es poltert und knackt im Kamin.
Ich schließe die Läden am Fenster
Und nehme die Schlafmedizin.
1958
Über die Liebe 1
Die Andern sind das weite Meer.
Du aber bist der Hafen.
So glaube mir: kannst ruhig schlafen,
Ich steure immer wieder her.
Denn all die Stürme, die mich trafen,
Sie ließen meine Segel leer.
Die Andern sind das bunte Meer,
Du aber bist der Hafen.
Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
Kannst, Liebster, ruhig schlafen.
Die Andern … das ist Wellen-Spiel,
Du aber bist der Hafen.
1934
Ganz unter uns: Noch ist es nicht so weit.
Noch blüht kein Flieder hinterm Heckenzaune.
Doch immerhin: Ich hab ein neues Kleid,
Bürofrei und ein bißchen Frühlingslaune.
Was hilft uns schon das ganze Trübsalblasen –
Da weiß ich mir ein bessres Instrument.
Ich pfeife drauf … Mich freut selbst kahler Rasen.
Und auf das Frohsein gibt es kein Patent.
Mich fährt die Stadtbahn auch ins freie Feld,
Mir weht der Märzwind gleich den Weitgereisten.
Ich hab mein’ Sach’ diesmal auf nichts gestellt.
– Das kann man sich noch leisten.
Blau ist der Himmel wie im Bilderbuch.
Die Vögel zwitschern wie in Frühlingsträumen.
Herb mischt die Waldluft sich mit Erdgeruch
Und frühem Duft von knospig reifen Bäumen.
Die Sonne blickt schon ziemlich int’ressiert
Und wärmt beinah. – Doch, während ich sie lobe,
Verschwindet sie, von Wolken wegradiert.
Es scheint, sie scheint nur Probe.
Ganz unter uns: Noch kam der Lenz nicht an,
Obgleich schon Dichter Frühlingslieder schrieben.
– Erst wenn man frei auf Bänken sitzen kann,
Dann wird es Zeit, sich ernstlich zu verlieben …
1932/33
Hinter jedem Abschied steht ein Warten.
Wenn dein Schritt verhallt ist, sehn ich mich.
Wenn du kommst, ist jeder Tag ein Garten.
– Aber wenn du fort bist, lieb ich dich …
Manchmal seh ich auf zu Sternmillionen.
Ob das Glück stets hinter Wolken liegt?
Ach, ich möchte in den Nächten wohnen,
Wo kein »morgen« um die Ecke biegt.
Kommst du, sehn ich mich nach tausend Dingen,
Wächst der Abgrund zwischen dir und mir,
Spür ich altes Fernweh in mir klingen.
– Aber wenn du fort bist, gilt es dir.
Unser Schicksal lauert hinter Bergen.
Schönes Jenseits, das wir nicht verstehn.
Unsre Großen gleichen noch den Zwergen,
Und nichts bleibt uns als emporzusehn.
Gibt es Träume, die noch nicht zerrissen,
Gibt’s ein Glück, das hielt, was es versprach?
Ach, wir Dummen werden’s niemals wissen.
Und die Klugen forschen nicht danach …
1934
Nun weiß ichs, Liebster. Dieses ist das Glück.
Nach all dem Wirrsal und den irren Fahrten
Blieb uns zuletzt das Beste doch zurück:
Des Abends mit dem Kind auf dich zu warten.
Und klein zu sein mit ihm im kleinen Spiel,
Und in sein Schweigen still hineinzulauschen,
Das Gestern in ein Morgen einzutauschen,
Die Brücke neu zu baun, da sie zerfiel.
Was sie auch nahmen, dieses Eine blieb.