Verse für Zeitgenossen - Mascha Kaléko - E-Book

Verse für Zeitgenossen E-Book

Mascha Kaléko

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Beschreibung

Mascha Kalékos Exilgedichte Von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen, verlor Mascha Kaléko nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre Sprache und damit ihr Publikum. Sie schrieb also nicht mehr wie im ›Lyrischen Stenogrammheft‹ für die breite Masse, sondern richtete sich an ihre Leidens- und Zeitgenossen, die mit ihr ins Exil gehen mussten. Melancholisch, oft sehnsüchtig, aber pointiert und mit dem ihr eigenen Witz thematisiert sie Heimat und Fremde und setzt wie nebenbei dem New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village, in dem sie mit ihrer Familie lebte, ein literarisches Denkmal. ›Verse für Zeitgenossen‹ war einer der wenigen Bände, die in den Vierzigerjahren in deutscher Sprache in den USA veröffentlicht wurden.

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Seitenzahl: 45

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Mascha Kaléko

Verse für Zeitgenossen

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Verse für Zeitgenossen

Statt eines Vorworts

Quasi ein »Januskript«

Wie Janus zeigt zuweilen mein Gedicht

Seines Verfassers doppeltes Gesicht:

Die eine Hälfte des Gesichts ist lyrisch,

Die andere hingegen fast satirisch.

Zwei Seelen wohnen, ach, in mir zur Miete

– Zwei Seelen von konträrem Appetite.

Was ich auch brau in meinem Dichtertopf,

Stets schüttelt Janus einen halben Kopf;

Denn, was einst war, das stimmt uns meistens lyrisch,

Doch das, was ist, zum großen Teil satirisch.

Die Zeit steht still

Alle sieben Jahre

In den weisen Büchern habe ich gelesen:

Alle sieben Jahre wandelt sich dein Wesen.

Alle sieben Jahre, merket, Mann und Weib,

Wandelt sich die Seele, wandelt sich der Leib.

Wandelt sich dein Hassen, wandelt sich dein Lieben.

Und ich zählte heimlich: drei Mal, vier Mal sieben.

Ach, die Geister kamen. Und mein Ohr vernimmt:

Alle sieben Jahre … Siehe da, es stimmt.

Sorgenvoll betracht ich alle Liebespaare.

Ob sie es wohl wissen: Alle sieben Jahre …

Selbst in deinen Armen fragt mein Schatten stumm:

Wann sind wohl, Geliebter, unsre sieben um?

Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,

Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.

Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang

Und laß mich willig in das Dunkel treiben.

Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;

– Und die es trugen, mögen mir vergeben.

Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,

Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

Ein welkes Blatt …

Ein welkes Blatt – und jedermann weiß: Herbst.

Fröstelnd klirren die Fenster zur Nacht.

O, grüne Welt, wie grell du dich verfärbst!

Schon raschelt der Winter im Laube.

Und die Vögel haben, husch, sich aus dem Staube

Gemacht.

Wie letzte Früchte fielen ihre Lieder vom Baum.

Nun haust der Wind in den Zweigen.

Die Alten im Park, sie neigen

Das Haupt noch tiefer. Und auch die Liebenden

Schweigen.

Bald sind alle Boote im Hafen.

Die Schwäne am Weiher schlafen

Im Nebellicht.

Sommer – entflogener Traum!

Und Frühling – welch sagenhaft fernes Gerücht!

… Ein welkes Blatt treibt still im weiten Raum,

Und alle wissen: Herbst.

Wo sich berühren Raum und Zeit …

Wo sich berühren Raum und Zeit,

Am Kreuzpunkt der Unendlichkeit,

Ein Pünktchen im Vorüberschweben –

Das ist der Stern, auf dem wir leben.

Wo kam das her, wohin wird es wohl gehn?

Was hier verlischt, wo mag das auferstehn?

– Ein Mann, ein Fels, ein Käfer, eine Lilie

Sind Kinder einer einzigen Familie.

Das All ist eins. Was »gestern« heißt und »morgen«,

Ist nur das Heute, unserm Blick verborgen.

Ein Korn im Stundenglase der Äonen

Ist diese Gegenwart, die wir bewohnen.

Dein Weltbild, Zwerg, wie du auch sinnst,

Bleibt ein Phantom, ein Hirngespinst.

Dein Ich – das Glas, darin sich Schatten spiegeln,

Das »Ding an sich« – ein Buch mit sieben Siegeln.

… Wo sich berühren Raum und Zeit,

Am Kreuzpunkt der Unendlichkeit –

Wie Windeswehen in gemalten Bäumen

Umrauscht uns diese Welt, die wir nur träumen.

Gebet

Herr: unser kleines Leben – ein Inzwischen,

Durch das wir aus dem Nichts ins Nichts enteilen.

Und unsre Jahre: Spuren, die verwischen,

Und unser ganzes Sein: nur ein Einstweilen.

Was weisst du, Blinder, von des Stummen Leiden.

Steckt nicht ein König oft in Bettlersschuhn?

Wer sind wir denn, um richtend zu entscheiden.

Uns ward bestimmt, zu glauben und zu tun.

Lass du uns wissen, ohne viel zu fragen,

Lehr uns in Demut schuldlos zu verzeihn.

Gib uns die Kraft, dies alles zu ertragen,

Und lass uns einsam, nicht verlassen sein.

Herbstabend

Nun gönnt sich das Jahr eine Pause.

Der goldne September entwich.

Geblieben im herbstlichen Hause

Sind nur meine Schwermut und ich.

Verlassen stehn Wiese und Weiher.

Es schimmert kein Segel am See.

Am Himmel nur Wildgans und Geier

Verkünden den kommenden Schnee.

Schon rüttelt der Wind an der Scheune.

Im Dunkel ein Nachtkäuzchen schreit.

Ich sitze alleine beim Weine

Und vertreib mir die Jahreszeit …

Im Gasthaus verlischt eine Kerze.

Verspätet spielt einer Klavier.

– Dem ist auch recht bange ums Herze,

Adagio in Moll – so wie mir.

Der Abend ist voller Gespenster,

Es poltert und knackt im Kamin.

Ich schließe die Läden am Fenster

Und nehme die Schlafmedizin.

Souvenir à Kladow

(geschrieben im heftigen Vorfrühling Manhattans)

Ich denke oft an Kladow im April …

Noch hält der Frühling sich im Wald verborgen,

Die Ufer warten kahl und winterstill,

Und nur die ersten Knospen rufen: »morgen!«

Auf einmal regt sich was im Vogelnest,

Und Sammetkätzchen schaukeln von den Weiden.

Die ganze Landschaft rüstet sich zum Fest –

In meinem Herzen rüstet sichs zum Scheiden.

Der letzte Abendgang durch die Allee:

Wie geisterhaft die fernen Glocken hallen!

Ein später Vogel ruft: »Ade. Ade.«

Das ist mir früher niemals aufgefallen.

In diesem Haus mit seinen blanken Scheiben,

Den Fliederbüschen und dem Silbermond,

Dem See, darauf die kleinen Boote treiben –

Hier hab ich achtzehn Frühlinge gewohnt.

Von meinem Herzen bleibt ein gutes Stück

Auf diesem kleinen Erdenfleck zurück.

– Und eine Stimme in mir sagt: Ich will

Die Stunde, wie sie ist, in mir bewahren.

Und sieh: da lebt sie, nach so vielen Jahren!

Ich denke oft an Kladow im April.

Als ich Europa wiedersah …

Als ich Europa wiedersah

– Nach jahrelangem Sehnen –

Als ich Europa wiedersah,

Da kamen mir die Tränen.

Im grauen Frühlicht die Stadt Paris