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»Jage die Ängste fort« Mascha Kaléko ist der Geschwindigkeit ihrer eigenen Zeit schon entgegengetreten, lange bevor in unserer schnelllebigen Gegenwart das Bedürfnis nach einem achtsameren Leben laut wurde. Dieser Band versammelt viele Gedichte, die bislang nur in der Gesamtausgabe ihrer Werke veröffentlicht wurden, und lässt uns immer neue Facetten der großen Lyrikerin entdecken: Mal verspielt, mal melancholisch, immer lebensklug und pointiert schreibt sie über die kleinen und großen Vergänglichkeiten und reflektiert die existenziellen Fragen jedes Menschen. Eine Lektüre, die zum Innehalten einlädt, uns aufweckt und ins Hier und Jetzt holt.
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Seitenzahl: 48
Mascha Kaléko
Wir haben keine andre Zeit als diese
Gedichte über das Leben
Ausgewählt und herausgegeben von Eva-Maria Prokop
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Für Gisela Zoch-Westphal,
die uns Mascha Kalékos Nachlass zugänglich gemacht hat.
Was geschehn soll, wird geschehen
Die Koffer voll von Sehnsucht
Ich bin geschlagen aber nicht besiegt
Kein Wort vermag Unsagbares zu sagen
Merke: nichts ankert im Wasser, das fließt
Nachwort
Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtüberschriften und -anfänge
»Diese Worte sind nicht alle in Sachsen,
Noch auf meinem eigenen Mist gewachsen.
Doch was für Samen die Fremde bringt,
Erzog ich im Lande, gut gedüngt.«
Goethe, ›Sprüche in Reimen‹
Zu den hier mitgeteilten Worten
Fand ich den Anlaß vielerorten.
Teils bei Hellenen und Angelsachsen,
Und teils auf eigenem Mist gewachsen.
Auch was einst das Land meiner Heimat gesät,
Der Wind hat es mir in die Fremde geweht.
Mascha Kaléko
Was immer die Dinge mir bringen,
ich stehe über den Dingen.
Was immer die Dinge mir tun,
ich tue, als wär ich immun.
Und kann ich das Wollen nicht wollen,
so schicke ich mich in das Sollen.
Die Haltung zum Guten, zum Schlimmen
kann keiner als ich nur bestimmen.
Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen
Und daß es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
– Daß Amseln flöten und daß Immen summen,
Daß Mücken stechen und daß Brummer brummen.
Daß rote Luftballons ins Blaue steigen.
Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen.
Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht
Und daß die Sonne täglich neu aufgeht.
Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, daß ich bin.
In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Daß alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freu mich, daß ich … Daß ich mich freu.
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
und der Anzug im Schrank.
Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.
Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.
Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
zum Weggefährten.
Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
unter dem Dach im Einstweilen.
Zerreiß deine Pläne. Sei klug
und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
im großen Plan.
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Sei still, sei still
Und, hinter Wolken, heiter.
Es geht vorüber;
Und es geht auch weiter …
Die Nacht,
In der
Das Fürchten
Wohnt
Hat auch
Die Sterne
Und den
Mond.
Am Kreuzweg fragte er die Sphinx:
Geh ich nach rechts, geh ich nach links?
Sie lächelte: »Du wählst die Bahn,
Die dir bestimmt ward in dem Plan.
Links braust der Sturm, rechts heult der Wind:
Du findest heim ins Labyrinth.«
Dreiblätterklee: beinah, beinah.
Mein Glück ist fortgeschwommen.
Mir ist, ich war schon ein Mal da
Und muß noch wiederkommen.
Dreiblätterklee, verhext, verhext.
Drei nur? Ich bin verloren.
Wenn dir das vierte Blättchen wächst,
Werd ich nochmal geboren.
»Morgen«, sage ich, »morgen«!
»Übermorgen!« sogar.
Bald ist das Leben vorüber,
ohne daß »morgen« je war.
Wir haben keine andre Zeit als diese,
Die sich uns neigt mit karg gefüllter Schale.
Wir müssen trinken. Denn zum zweiten Male
Blüht sie uns nicht. Schon droht von fern ein Riese:
Vergänglichkeit. Wir sind nur flüchtige Wesen
Und hinter allem Leuchten mahnt das Fahle.
Schon strömt uns Frösteln zu aus spätem Strahle
Und wir sind alt, noch eh wir jung gewesen.
Einst kamen wir mit Kindes Gläubigkeit
In ein vom Sturm verwüstetes Jahrhundert.
Wir hofften noch. Nun schweigt’s in uns verwundert.
Ihr aber könnt nur helfen dem, der schreit.
Zuweilen träumen wir vom Paradiese
Und tief beschämt uns jene Gier nach Glück.
Verhungernd greifen wir nach unserm Stück.
– Wir haben keine andre Zeit als diese …
Es wohnen drei in meinem Haus –
Das Ich, das Mich, das Mein.
Und will von draußen wer herein,
So stoßen Ich und Mich und Mein
Ihn grob zur Tür hinaus.
Stockfinster ist es in dem Haus,
Trüb flackert Kerzenschein.
– Herr: laß dein Sonnenlicht herein!
Dann geht dem Ich, dem Mich, dem Mein
Das fahle Flämmchen aus.
Zuzeiten öffnen sich verschloßne Türen
Und aus der Strahlung tiefverborgnen Seins
Enthüllt sich im Vorüberhuschen eins
Der vielen Iche, die das Ich regieren.
Ein Spielball nur der fliehenden Sekunde
Ein Wolkennebel ausgesetzt dem Wind