13,99 €
"Zur Heimat erkor ich mir die Liebe In Mascha Kalékos Nachlassgedichten mischen sich auf unnachahmliche Art Humor und Poesie, Leichtigkeit und Tragik. Sie schreibt von Heimat und Fremde, von Weltenstürmern und Schmetterlingsträumen und immer wieder von der Liebe in all ihren Facetten. Ihre »Gebrauchspoesie« ist aus dem Alltag für den Alltag – Lyrik, die begeistert und berührt. Der Bestseller mit Gedichten und Epigrammen aus dem Nachlass, der seit über vierzig Jahren im Taschenbuch lieferbar ist, erscheint nun in einer neuen Ausgabe.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 84
Mascha Kaléko
In meinenTräumen läutetes Sturm
Gedichte und Epigrammeaus dem Nachlass
Herausgegeben undmit einem Nachwortvon Gisela Zoch-Westphal
Für Elisabeth Forberg-Rustler
Laß mich das Pochen deines Herzens spüren,
Daß ich nicht höre, wie das meine schlägt.
Tu vor mir auf all die geheimen Türen,
Da sich ein Riegel vor die meinen legt.
Ich kann es, Liebster, nicht im Wort bekennen,
Und meine Tränen bleiben ungeweint,
Die Macht, die uns von Anbeginn vereint,
Wird uns am letzten aller Tage trennen.
All meinen Schmerz ertränke ich in Küssen.
All mein Geheimnis trag ich wie ein Kind.
Ich bin ein Blatt, zu früh vom Baum gerissen.
Ob alle Liebenden so einsam sind?
Du gingest fort. – In meinem Zimmer
Klingt noch leis dein letztes Wort.
Schöner Stunden matter Schimmer
Blieb zurück. Doch du bist fort.
Lang noch seh ich steile Stufen
Zögernd dich hinuntergehn,
Lang noch spür ich ungerufen
Dich nach meinem Fenster sehn,
Oft noch hör ich ungesprochen
Stumm versinken manches Wort,
Oft noch das gewohnte Pochen
An der Tür. – Doch du bist fort.
Berlin-CharlottenburgMommsenstr. 44 1938
Wenn du fortgehst, Liebster, wird es regnen,
Klopft die Einsamkeit, mich zu besuchen.
Und ich werde meinem Schicksal fluchen.
Deine Tage aber will ich segnen.
Du drangst wie Sturmwind in mein junges Leben,
Und alle Mauern sanken wie Kulissen.
Du hast das Dach von meinem Haus gerissen.
Doch neuen Schutz hast du mir nicht gegeben.
So starb ich tausendmal. Doch da du kamst,
Mocht ich das Glück, dir nah zu sein, nicht stören.
Wie aber solltest du mein Schweigen hören,
Da du doch nicht einmal mein Wort vernahmst …
Die Herren offerierten Hof und Haus,
Um mir die Zukunft »rosig« zu gestalten.
Sie hielten sie mir hin wie einen Strauß.
Ich lachte mir mein Teil und lief hinaus:
Da saßen sie mit ihren Bügelfalten.
Die klugen Nachbarn schüttelten das Haupt:
Die wird es nie zu etwas Rechtem bringen.
Und Zeiten gab’s, da ich es selbst geglaubt.
Da aber kam der Wanderer, bestaubt,
Und als er sprach, begann mein Herz zu singen.
Er hatte nichts als seine wilden Träume,
Auch war der Kindheit ferner Widerschein
In seiner Art – wie Tiere oder Bäume –
So ganz und unverhüllt er selbst zu sein.
Er glich in keinem Atemzug den andern,
Denn ihn besaß nicht Haus noch Hof und Feld.
Das Ufer jenseits war sein Ziel beim Wandern
Und nachts das Sternbild über seinem Zelt.
– Wer tauschte nicht des Krösus Scheckbuch ein,
In seiner Nähe bettelarm zu sein …
1938
Wenn du mich einmal nicht mehr liebst,
Laß mich das ehrlich wissen.
Daß du mir keine Lüge gibst
Noch Trug in deinen Küssen!
Daß mir dein Herz die Treue hält,
Mußt du mir niemals schwören.
Wenn eine andre dir gefällt,
Sollst du nicht mir gehören.
Wenn du mich einmal nicht mehr magst,
Und geht mein Herz in Scherben –
Daß du nicht fragst, noch um mich klagst!
Ich kann so leise sterben.
Der blaue Himmel ist nur halb so blau,
Weil du nicht da bist, Liebster. Deine Nähe
Macht, daß ich alles Schöne schöner sehe.
Ich bin doch eine unmoderne Frau!
Ich liebe dich trotz Ehering und Sorgen.
Und Heimat ist nur, wo mit dir ich bin.
Fühl ich mich doch noch heimlich Königin,
Auch wenn uns Wirt und Bäcker nicht mehr borgen.
Musik ist, wo du bist. Dein Stirb und Werde.
Ja, selbst der Kummer trägt ein schönes Kleid.
Viel lieber noch ist mir der Träumer Leid
Als sattes Glück der wohlversorgten Herde.
Der Wald hier, mein Lieb, ist ein richtiger Wald!
Und die Bäume … Die Bäume, sie rauschen.
Und »le lac« ist ein See. Ein richtiger See.
Und die steigenden Hügel – kein Traum.
Oh, wie gut ist’s, dem Schweigen zu lauschen
Und dem Vogelgezwitscher im Baum.
Du wirst bestimmt zum Wochenende kommen?
Gesegnet sei das gute Telefon!
Es gibt hier Rehe. – (Unser kleiner Sohn
Und meine Sehnsucht haben zugenommen.)
Kein Wiedersehen ohne Abschiedsschmerz,
Das gilt noch immer. Aber, liebes Herz,
Man muß sich nicht so schrecklich weit entfernen,
Um diese alte Weisheit neu zu lernen …
Ich frage mich in meinen stillen Stunden,
Was war das Leben, Liebster, eh du kamst
Und mir den Schatten von der Seele nahmst.
Was suchte ich, bevor ich dich gefunden?
Wie war mein Gestern, such ich zu ergründen,
Und sieh, ich weiß es nur noch ungefähr.
So ganz umbrandet mich das Jetzt, dies Meer,
In das die besten meiner Träume münden.
Vergaß ich doch, wie süß die Vögel sangen,
Noch eh du warst, der Jahre buntes Kleid.
Mir blieb nur dies von Zeiten, die vergangen:
Die weißen Winter und die Einsamkeit.
Sie warten meiner, läßt du mich allein.
Und niemals wieder wird es Frühling sein.
Denk ich der Tage, die vergangen sind,
Und all des Lichtes, das tief in uns strahlte,
Da junge Liebe Wolken rosig malte
Und goldne Krone lieh dem Bettlerskind.
Denk ich der Städte, denk ich all der Straßen,
Die wir im Rausch durchflogen, Hand in Hand …
Sie führten alle in das gleiche Land,
Das Land, zu dem wir längst den Weg vergaßen.
Nun stehn die Wächter wehrend vor den Toren
Und reißen uns die Krone aus dem Haar.
Grau ist die Wolke, die so rosig war.
Und all das Licht, das Licht in uns – verloren.
Im Traume nur siehst du es glühn und funkeln.
– Ich spür es wohl, wie unsre Tage dunkeln.
Wenn es mich überkommt,
Sagte der Alte,
Und an Gründen mangelt es nicht,
Red ich mir zu: Getrost, alter Narr,
Noch ein Jährchen, noch zweie.
Da flog das Liebespaar vorüber.
In einer Kapsel von Glück.
Er schwieg ihnen lange nach.
Die Armen, sagte er, die Armen!
Dann erhob sich sein Kopf und ging schüttelnd mit ihm davon.
Als wir zu dritt
Die Straße überquerten,
Wurde sogar
Die Verkehrsampel
Rot.
Umstellt von der Meute
Abgasschnaubender Wagen,
Ergriff ich den Arm des einen,
Der rechts von mir ging.
Nicht den des anderen,
Dessen Ring ich trug.
Als wir zu viert
Uns jenseits der Kreuzungen
Trafen,
Wußten es alle.
Der eine. Der andre.
Das Schweigen.
Und ich.
Scheiden heißt sterben. Und Abschied, das ist Tod.
Noch eh du fortgehst, hast du mich verlassen.
Schon trauert es um dich in allen Gassen,
Und »letzter Tag«, das schmeckt wie Gnadenbrot.
Warten heißt welken. Nichts kehrt so zurück,
Wie’s einmal war. Wer kann das wohl ergründen?
Du wirst mich treffen, aber nicht mehr finden.
So wird es sein. Ich kenne dieses Stück.
Der Vorhang fiel, wie es das Stück gebot.
Zuhaus erwarten mich vier fremde Wände.
Dein Schritt verhallt. Und so beginnt das Ende.
Scheiden heißt sterben. Und Abschied, das ist Tod.
Du hast in mir viel Lichter angezündet,
Mit blauen Träumen mir den Tag erfüllt,
Und alles Blühen, alles Leuchten mündet
Noch im Erlöschen hin zu deinem Bild.
Du kamst: Zum Garten ward das Grau der Straßen.
Du kamst nicht, und der Tag hat nicht gezählt.
Wie hat, allein, das Leben mich gequält.
Der große Trug, den wir zu zweit vergaßen.
Es war der gleiche Sang in unserm Blut,
Die gleiche Saite, jäh entzweigerissen.
Ein müder Klang, um den wir selbst kaum wissen,
Jahrtausendalte, halberstorbne Glut.
Verwehter Ton, der noch im Klingen schweigt,
Gesumm, das ohne Anfang ist und Ende.
Da sich der Schatten deines Ahns dir neigt,
Umfängt auch mich der Segen seiner Hände.
Stumm zu verlöschen, ist der letzte Sinn,
Still fortzugehen, eh das Feuer schwindet.
Du hast in mir viel Lichter angezündet …
Du sollst nicht wissen, daß ich einsam bin.
Als ich heut wieder Mahlers »Dritte« hörte,
Umfingen mich die Schatten alter Zeit,
Und auf den Schwingen der Unendlichkeit
Entfloh ich dieser Stadt und dem Getriebe,
In das Gewoge der Vergangenheit,
In das Vineta unsrer ersten Liebe.
Ein Gestern grüßte mich bei jedem Schritte,
Das dunkle Tor, das dem Erinnern sich
Stets halb verweigert hatte – Mahlers »Dritte«
Erschloß es wie ein »SESAM ÖFFNE DICH!«
Und alles, was jahrzehntelang schon schlief,
Schien aufbewahrt in ›unserem‹ Motiv …
Wie Japanblumen, leblos im Papier,
Im Wasser aufgehn und sich bunt entfalten –
So regten sich bei jedem Takt in mir
Die eingefrornen Träume und Gestalten.
Daß es doch möglich wär, sie festzuhalten,
– Den Augenblick, und was ihm bang entstieg,
Die Stimme, was sie sagte und verschwieg –
Sich fortzuretten aus den Gletscherspalten
Ins Sonnenreich unsterblicher Musik.
Nun bin ich worden fünfzig Jahr
Und muß bald scheiden. Schon?
Wie kurz das liebe Leben war.
Was lieb ist, eilt davon.
Herr, der du unsre Herzen zwei
Gefügt zu einem Stück,
Ist meines Liebsten Zeit vorbei,
So nimm auch mich zurück.
Es hustet einer so wie du
Im Zimmer nebenan.
Ich sah ihn heut am Frühstückstisch,
Den fremden kranken Mann.
Das Personal stand wie ein Heer
Vor seinen Wünschen Wacht,
Und jeder seiner Blicke schien
Zu kommandieren: Habt acht!
Er aß und trank, er aß und las
Sein vaterländisch Blatt.
Und in der Küche heißt man ihn
Den Herrn von Nimmersatt.
Mit diesem Individuum
Wohn ich nun Tür an Tür.
– Und hustet es von nebenan,
So sehn ich mich nach dir …
Ich weiß, daß du jetzt wachst in deiner Nacht,
So wie ich schlaflos wache in der meinen.
Der gleiche Mond, der mich so kühl verlacht,
Wird wohl auch jetzt dir Ruhelosem scheinen.
Ich weiß, das Leid, das ich dir nicht geklagt,
Wird mir im stillen Vers zur Ruhe gehen.
So mag dein Weh, das du mir nicht gesagt,
Dich tröstend wie ein Morgenwind umwehen.
Kein Wort ist groß genug, es ganz zu sagen,
Kein Ton so rein, daß es in ihm erklingt.
Wir müssen alles in uns weitertragen,
Tief wissend, daß es endlich uns bezwingt.
Und leise spür ich, wie wir uns entgleiten,
Da jeder stumm sein starres Schweigen schweigt.
Wie aus dem Nebel schimmern fern die Zeiten,
Da eines sich dem andern zugeneigt.