Das magische Schulschiff (Band 2) - Verborgen in den Wellen - Anna Lisa Kiesel - E-Book

Das magische Schulschiff (Band 2) - Verborgen in den Wellen E-Book

Anna Lisa Kiesel

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Beschreibung

Wir sind die Crew! Fantastische Wassermagie, unlangweiliger Unterricht und neue Freundschaften – das magische Schulschiff sticht in See. Band 2 der abenteuerlichen Reihe Auf der Wellenkron herrscht Aufregung: In der Großen Bibliothek des Meeres scheint etwas nicht zu stimmen! Hat es etwa jemand auf die magischen Geheimnisse abgesehen, die dort gehütet werden?  Für Marie und ihre Freunde ist der Schulalltag sofort vergessen, als das Schiff Kurs auf die Bibliothek nimmt. Bei ihrer Ankunft erwartet die Crew ein erschreckender Anblick, denn dunkle Magie liegt in der Luft … Wasser aufwirbeln, gefrieren oder ihm die Form von Tieren verleihen: In dieser abenteuerlichen und magischen Buchreihefür Kinder ab 8 Jahren ist alles möglich! An Bord des SchiffsWellenkron, der schwimmenden Schule auf dem Meer, stehen Zusammenhalt, Freundschaft und spaßiger Unterricht an erster Stelle. Voller Witz und Spannung verbindet die Autorin Anna Lisa Kiesel Schulalltag mit der atemberaubenden Magie des Ozeans. Coole Schwarz-Weiß-Illustrationen von Leonie Daub lassen die Crew lebendig werden. Komm auch du an Bord! Für Fans von Die Schule der magischen Tiere und Harry Potter. Der Titel ist bei Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 164

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Inhalt

Raue See

Von Kringeln und Strichen

Verwandelte Botschaften

Tierische Verantwortung

Eine unsichtbare Verletzung

Ein neues Crewmitglied

Wasserzeichen

Auf der Suche nach Antworten

Alte Geschichten

Rätselhafte Entdeckungen

Die Bibliothek des Meeres

Sokrates kennt den Weg

Ein Wiedersehen

Der vierte Teil

Mastbruch

Ein neuer Tag

Für Yuming, Yilin und Christine,Cati, Margit und Stephi, Gernot, Helmut, Michaela, Simona und Wolfgang.Weil ihr mit mir so unerschrocken durch alle Stürme segelt.

Raue See

„Fester! Du sollst fester ziehen!“ Valerian Winkelherz’ Rufe wurden vom Heulen des Windes zerschnitten und in sämtliche Richtungen davongetragen. Ein paar Wortfetzen drangen bis zu Marie, doch eigentlich brauchte sie seine Anweisungen gar nicht. Sie wusste ohnehin, was zu tun war. Marie umfasste das dicke Seil mit beiden Händen und stemmte die Beine in den Boden. Das Segel flatterte über ihrem Kopf und erinnerte sie dabei an ein wildes Tier, das es zu bändigen galt. Marie zog. Sie zog, so fest sie nur konnte, aber das Segeltuch war schwer vom strömenden Regen, den der Wind seit Tagen unaufhörlich gegen die Planken der Wellenkron peitschte. Der Mast gab ein ächzendes Geräusch von sich, als wäre ihm die Anstrengung dieser ganzen Unternehmung zu groß.

„Noch einmal, Marie! Dann hast du es geschafft.“

Sie fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht, aber ihr Ölzeug war genauso nass wie ihre Haut. Mit jedem Atemzug beschlug ihre Brille unter der Kapuze. Bei diesem Wetter spielte jedoch selbst das keine Rolle mehr. Wenn ein solcher Sturm über das Meer fegte, erkannte man sowieso nicht, was man tat. Deshalb musste jeder Handgriff sitzen, jeder Schritt unzählige Male einstudiert werden. Nicht umsonst hatte Valerian Winkelherz die Kinder tagelang mit verbundenen Augen über das Deck laufen lassen, bis ihre Schienbeine von blauen Flecken übersät waren. Irgendwann hatten sie kein einziges Hindernis mehr berührt, und je mächtiger die unberechenbaren Launen des Herbstes geworden waren, desto besser verstanden Marie und ihre Freunde den Sinn hinter dieser Lektion.

„Nur noch ein einziges Mal“, ermutigte Marie sich. Ihre Hände schmerzten. Das Brennen auf ihrer Haut kannte sie allzu gut. Über Nacht würden daraus Blasen werden, die selbst das Halten eines Stifts zur Qual machten. Aber Marie hatte sich in den letzten Wochen an vieles gewöhnt. Schwielen an ihren Händen waren da noch das geringste Übel. Sie zog ein weiteres Mal. Das Segel über ihr bäumte sich auf wie ein bockiges Pferd. Es wollte nicht gehorchen, wollte nicht festgezurrt werden und seinen Dienst verrichten, sondern weiter sein Spiel mit dem Wind treiben. Marie aber gestattete es ihm nicht. Mit letzter Kraft spannte sie das Seil, so straff, wie es ihr nur möglich war, und das Segel blähte sich artig auf, um die Wellenkron noch schneller über das stürmische Meer zu treiben.

„Danke! Du bist entlassen“, hörte Marie die Stimme des Lehrers, der am Steuerrad des Schulschiffs stand. Von dort erteilte er seine Befehle an die Schüler, die gerade Dienst an Deck hatten. Marie wunderte sich, wie er bei all dem Chaos und diesem fürchterlichen Lärm den Überblick behalten konnte. Erleichtert riss sie die Tür auf, hinter der die Treppe zu den unteren Decks der Wellenkron lag. Wunderbar warm war es hier. Das Tosen des Meeres und das Heulen des Windes hatten im Bauch des Schiffes nur mehr einen Bruchteil ihrer Stärke. Marie begegnete diesen Naturgewalten noch immer mit der gleichen Ehrfurcht wie am ersten Tag und war erleichtert, dass sie den Dienst heil hinter sich gebracht hatte. Sie streifte die Kapuze vom Kopf und schlüpfte aus ihren Gummistiefeln. Niemand konnte vorhersehen, wie lange dieses grauenvolle Wetter noch andauern würde. Die nächsten Tage waren voller Ungewissheit.

Die Schildkröteninsel war in unerreichbare Ferne gerückt, als sie vor vielen, vielen Tagen mit dem Horizont verschmolzen war. Es kam Marie wie ein Traum vor, dass sie dort mit ihren Freunden im warmen Sand gesessen hatte und in die Wellen eingetaucht war. In sanfte Wellen. Mittlerweile wusste Marie, dass das Meer unzählige Launen und seinen ganz eigenen Willen hat. Manchmal ertappte sie sich bei der Frage, ob die Geschehnisse bei Adele Siebenbrunn tatsächlich passiert waren oder ob sie sich das Zusammentreffen mit Stanislaus Himmelrot und Vita Wasserkind nur eingebildet hatte. Aber dann hörte sie das Wispern der anderen Schüler und spürte ihre Blicke im Rücken, wenn sie an ihnen vorbeiging.

„Lebt Vita wirklich noch?“, flüsterten sie. „Ist Stanislaus noch mächtiger geworden?“

Einmal hatten sich ein paar ältere Jungs zu Ilvy und ihr gesetzt und ihnen allerlei Fragen gestellt. Hat Stanislaus Himmelrot tatsächlich einen Weg gefunden, in die Seele seines Gegenübers zu blicken? Erstarrt man wirklich, wenn man von Vita Wasserkinds Händen berührt wird? Und stimmt es, dass ihr Haar aus Seegras besteht, das sich mit erbarmungslosem Griff um den Hals ihres Gegenübers schlingt? Marie und Ilvy hatten versucht, darauf bestmöglich zu antworten, doch mit jeder weiteren Frage hatte Marie eine lähmende Müdigkeit in sich aufsteigen gespürt, die von ihrem Körper und ihrem Geist Besitz ergriff. Ihre Glieder waren schwer geworden und ihre Zunge hatte ihr nicht mehr gehorcht. Irgendwann war sie einfach eingeschlafen. Dort in der Kombüse, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Die Jungen hatten gelacht, aber ihre Stimmen hatten Marie nicht mehr erreicht. Viel zu tief war sie eingetaucht in einen dunklen Traum, in dem Augen aus Wasser sie verfolgten und sie in eine Höhle trieben, aus der es kein Entkommen gab.

„Marie!“, hatte Ilvy gerufen und ihre Freundin an der Schulter gerüttelt. Doch solange Marie in dieser Höhle war, konnte sie nicht aufwachen. Es war eine seltsame Art von Schlaf, die Marie gefangen gehalten hatte. Sie hatte all die Dinge, die um sie herum passierten, wie durch eine dicke Glasscheibe wahrgenommen. Im Traum hatte Marie sich darüber gewundert und hätte ihrer Freundin alles so gern erklärt, aber sie konnte nicht. Sie musste einen Weg aus dieser Höhle finden, in der das Wasser unaufhaltsam höher und höher stieg. Irgendwann war Valerian Winkelherz gekommen, hatte sie auf den Arm genommen und zur Krankenstation getragen. Im nächsten Moment hatte sie etwas Bitteres auf den Lippen geschmeckt. Hustend war sie hochgefahren. Das dumpfe Gefühl im Herzen, dass sie um ein Haar ertrunken wäre, war geblieben. Marie konnte sich lebhaft an den Blick ihres Lehrers erinnern, der neben ihrem Bett gewacht hatte. Auf Valerian Winkelherz’ Gesicht hatte sich an jenem Nachmittag nur ein Ausdruck gezeigt: Sorge. Seit diesem Vorfall durfte niemand mehr Stanislaus’ oder Vitas Namen in Maries Nähe aussprechen.

„Denkt nicht einmal daran!“, hatte Valerian Winkelherz den älteren Schülern eingeschärft. Über Maries eigentümlichen Schlaf und den seltsamen Traum hatte sie nie mit jemandem gesprochen. Nun, Wochen später, war das alles nichts weiter als eine blasse Erinnerung. Nur die Müdigkeit war geblieben. Und egal, wie viele Stunden Marie auch schlief, sie fühlte sich nie richtig ausgeruht.

Marie lief die Stufen hinunter und wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich in ihre Koje zu gehen und die nassen Sachen loszuwerden, da wäre sie um ein Haar mit Adrian zusammengestoßen.

„Na, hat’s Spaß gemacht?“ Er grinste.

„Klar! Wonach sieht’s denn sonst aus?“

Adrian musterte seine Freundin. Ihr Haar war klatschnass, und über ihre Wangen zogen sich rote Striemen, weil der Wind ihr mehrmals ein herumwirbelndes Seil ins Gesicht gepeitscht hatte.

„Na ja …“, begann Adrian zögerlich. „Du siehst so bezaubernd aus wie immer, nur ein wenig … erledigt.“ Marie rollte mit den Augen, also wechselte Adrian schnell das Thema. „Bist du mit den Hausaufgaben in Wassergrafie schon fertig?“

Sie stöhnte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. „Müssen wir die morgen schon abgeben?“, fragte Marie, obwohl sie sich die Antwort darauf bereits denken konnte. Adrian erledigte seine Hausaufgaben schließlich immer auf den letzten Drücker.

„Eigentlich wollte Ohneherz sie heute Abend haben, aber er war so gütig, die Abgabe zu verschieben.“

„Sehr nett“, brummte Marie. „Ich ziehe mich schnell um. Dann machen wir sie gemeinsam, ja?“

„Spitze!“

Missmutig verschwand Marie in der Koje der Mädchen.

„Iiiih, du machst ja alles nass!“ Ilvy verzog den Mund. „Außerdem stinkst du nach Fisch.“

„Du hast nach deinem Deckdienst gestern auch nicht besser gerochen“, erwiderte Marie, hängte ihr triefendes Ölzeug auf den Haken und schob die Abtropftasse darunter.

„Geh bitte duschen!“, rief Ilvy, aber da war Marie bereits in ihre Jeans und ein T-Shirt geschlüpft und rubbelte sich mit einem Handtuch das Haar trocken. Ilvys Kater Sesam sprang vom Bett und schnupperte an ihren Beinen. „Ich hab keine Zeit zu duschen. Ich muss mit Adrian in die Bibliothek gehen und meine Hausaufgaben machen.“

„Selbst Sesam hält dich für einen Fisch.“

Marie ignorierte das Kichern ihrer Freundin, setzte den Kater zurück auf Ilvys Bett und verabschiedete sich. „Wir werden wohl die ganze Nacht brauchen“, sagte sie.

„Ja, lasst mich nur alle allein. Kira ist mal wieder nicht zu finden, du musst lernen, und ich? Ich liege hier und habe nichts weiter als einen schnurrenden Kater, der von Fisch träumt.“

Marie schnitt ihrer Freundin eine Grimasse. „Du kannst einem fast leidtun.“ Dann lief sie hinaus und stolperte hinter Adrian in den Studierraum der Wellenkron, der um diese Uhrzeit wie leer gefegt war.

Von Kringeln und Strichen

„Die Lehre über die Formen der Gischt und ihre jeweilige Bedeutung ist essenziell für die Kommunikation unter Wassermagiern, aber auch für die interkulturelle Verständigung zwischen Menschen mit magischen Fähigkeiten und magischen Wasserwesen.“ Adrian las den Satz bereits zum fünften Mal laut vor, aber verstanden hatte er ihn noch immer nicht. Der Text, den die Kinder für Valerian Winkelherz’ Unterricht lesen mussten, kam ihm wie eine wahllose Aneinanderreihung von Wörtern vor.

„Ich kapier’s nicht. Hast du eine Ahnung, was die uns damit sagen wollen?“ Er ließ das Buch sinken. Die Ratlosigkeit war ihm ins Gesicht geschrieben, aber Marie antwortete nicht. Sie saß auf ihrem Stuhl, das Kinn war ihr auf die Brust gesunken und ihre tiefen Atemzüge folgten einem gleichmäßigen Rhythmus.

„Sag mal, schläfst du?“ Adrian knallte das Buch mit solcher Wucht auf den Tisch, dass Marie sich kerzengerade aufrichtete und erschrocken nach Luft schnappte.

„Gischtkringel … nach oben gerichtet … Gefahr … Tupfen … so müde …“ Marie war wie benommen. Ihr Herz raste, und sie hatte das Gefühl, sehr langsam von einem weit entfernten Ort auf die Wellenkron zurückzukehren. Wenn sie sich nur daran erinnern könnte, wovon sie geträumt hatte. Wohin hatte ihr Geist sie im Schlaf gebracht, dass es ihr jetzt so schwerfiel, sich zu orientieren?

„Ich bin im Studierraum“, murmelte sie und rieb sich ihren Nacken, der sich steif anfühlte.

„Herzlichen Glückwunsch! Der Preis für Detektivarbeit geht an dich, aber könntest du dich jetzt bitte mal konzentrieren?“ Adrian stieß ein genervtes Schnauben aus.

„Tut mir leid …“ Marie rieb sich die Augen. „Ich weiß nicht, warum ich in letzter Zeit ständig so müde bin. Aber die Hausaufgaben, der Unterricht und die Arbeit an Deck … Es ist so viel.“

Adrian nickte, doch Marie entging die Art und Weise, wie er sie dabei ansah, nicht. Genau so betrachtete er seine geliebten Korallen immer, wenn ihre Farbe blasser wurde oder sie zu langsam wuchsen.

„Keine Sorge! Mir geht es gut.“ Marie schnappte sich das Buch.

„Was ich als Nächstes sagen werde, wirst du so schnell nicht wieder von mir hören.“ Adrian holte tief Luft und fuhr mit gesenkter Stimme fort: „Vielleicht solltest du Ohneherz oder Ava Krull anvertrauen, dass du überfordert bist.“

„Bin ich nicht!“ Marie verschränkte entrüstet die Arme vor der Brust. „Ich bin nur müde! Das sind hier doch alle, nicht wahr?“

„Klar“, meinte Adrian knapp, aber Marie konnte deutlich raushören, dass ihr Freund eigentlich noch sehr viel mehr zu sagen gehabt hätte.

„Überspringen wir den Text einfach“, schlug Marie vor. „Es dauert sicher Stunden, bis wir den verstanden haben. Was müssen wir sonst noch machen?“

„Wir sollen eine Gischtbotschaft verfassen. Zuerst müssen wir die Nachricht auf Papier zeichnen und sie anschließend auf eine Welle übertragen.“

Marie seufzte tief. „Wir werden definitiv die ganze Nacht hier sitzen.“

„Ach was. Ein paar Kringel und fertig.“ Adrian setzte den Bleistift voller Entschlossenheit auf das leere Blatt Papier, ließ ihn aber sogleich wieder sinken. „Ehm … Hast du dir gemerkt, was die ganzen Symbole bedeuten?“

„Nein, aber …“ Marie schlug ihren Notizblock auf und las vor: „Gezackte Formen stehen für unterschiedliche Arten von Gefahr. Kreise und Kringel in Kombination mit verschiedenen Strichen stellen die Buchstaben des Alphabets dar. So lassen sich Wörter und ganze Sätze in die Gischt schreiben. Für besonders wichtige Begriffe, wie ,Meer‘ und ,Wasser‘, gibt es eigene Symbole.“ Marie zeigte ihrem Freund die Liste, die sie von der Tafel abgeschrieben hatte. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf Adrians Gesicht aus.

„Ah ja, wusste ich’s doch. Die Aufgabe wird das reinste Kinderspiel. Wir brauchen uns nur noch die Nachrichten zu überlegen und schon hat sich die Sache.“

Marie wünschte sich, genauso zuversichtlich zu sein, aber Wassergrafie bei Valerian Winkelherz hatte sich bereits in der ersten Stunde als kompliziert herausgestellt.

„Das ist bestimmt die Mathematik der Wassermagie“, hatte Kira gebrummt und Marie konnte ihrer Freundin nur zustimmen. Dabei hatte anfangs alles so toll geklungen.

„Die Gischt“, hatte Ohneherz gerufen und sich die Hände gerieben. „Die Gischt ist viel mehr als weißer Schaum, der auf den Wellen tanzt. Sie erzählt uns Geschichten. Wir müssen sie nur zu lesen verstehen.“

Wie mysteriös das geklungen hatte! Marie hatte sich all die Geheimnisse ausgemalt, die das Meer ihr mitteilen würde, aber dann hatte Ohneherz eine endlos lange Liste unterschiedlicher Formen herausgeholt. „Wenn ihr die beherrscht, könnt ihr mithilfe eurer magischen Kompasse Nachrichten in die Gischt schreiben und sie auf einer Welle zu anderen Wassermagiern schicken.“

Theos Hand war in die Höhe geschnellt. „Wie weit können die Botschaften reisen?“

„So weit, wie es eure Fähigkeiten erlauben. Die Nachrichten großer Wassermagier reisen problemlos in Windeseile von einem Pol zum anderen. Ihr aber …“ Valerian Winkelherz musterte die Klasse. „Ihr könnt froh sein, wenn sich der Schaum, in den ihr eure Nachricht geschrieben habt, nicht sofort auflöst.“ Auch wenn Marie gerade nicht zum Lachen zumute war, musste sie bei dem Gedanken an Theos enttäuschtes Gesicht trotzdem schmunzeln.

Jetzt saß sie also hier und versuchte sich an ihrer ersten Botschaft.

Je mehr sich das Blatt mit Kringeln, Punkten und Strichen füllte, desto stärker nagte der Zweifel an ihr. Adrian war mit der Vorarbeit fertig und hatte bereits zwei mit Meerwasser gefüllte Steinschüsseln geholt. Er zog seinen Kompass aus der Hosentasche und führte damit knapp über der spiegelglatten Wasseroberfläche Bewegungen aus.

„Klappt es?“ Marie beobachtete ihn neugierig.

„Wie am Schnürchen.“ Unter Adrians Kompass bildete sich tatsächlich weißer Schaum. Die meisten Formen verliefen jedoch schon nach kurzer Zeit oder verbanden sich miteinander und nahmen dadurch eine ganz andere Bedeutung an. Marie legte den Stift beiseite und holte ebenfalls ihren Kompass. Behutsam ließ sie den magischen Gegenstand über dem Wasser kreisen. Eine Schaumblase erhob sich, so groß, dass sie über den Rand der Schüssel ragte. Erschrocken zog Marie den Kompass zurück. Mit einem schnalzenden Geräusch löste sich die Blase vom Wasser und schwebte höher und höher.

„He! Wie hast du das gemacht?“ Adrian starrte die Schaumblase, die fast so groß war wie sein Kopf, verwundert an. Als sie an ihm vorüberschwebte, hob er den Zeigefinger und mit einem lauten Plopp! zerplatzte die Blase. Adrian kicherte und wischte sich die Wassertropfen vom Gesicht. „Das war cool!“

Marie fand die Sache alles andere als lustig. Ihr wäre es lieber gewesen, ihr Kompass hätte richtig funktioniert. Also nahm sie all ihre Konzentration zusammen und versuchte es erneut. Plötzlich fing es in der Schüssel an zu brodeln, und Marie war überzeugt, ihre Wassermagie habe sich mal wieder verselbstständigt.

„Halt!“, rief sie, aber das Wasser hörte nicht auf sie. Dichter weißer Schaum blubberte aus der Schüssel und verteilte sich über die Utensilien der beiden Wellenkronschüler.

Adrian konnte seine Bücher gerade noch in Sicherheit bringen. „Wie machst du das?“

„Ich wünschte, ich wüsste es. Dann würde ich es nämlich nicht mehr machen“, entgegnete Marie zähneknirschend.

„Das ist ja wie in der Badewanne.“ Adrian tauchte beide Hände in den Schaum und klatschte ihn sich ins Gesicht. „Hallo, ich bin der Weihnachtsmann“, sagte er mit tiefer Stimme und spitzte die Lippen. „Warst du auch immer schön brav?“

„Lass den Quatsch!“ Marie stand auf und nahm die Schüssel. „Ich hol frisches Wasser.“

Still war es in den Gängen der Wellenkron. Nur das Holz knarrte von Zeit zu Zeit, wenn der Ritt über das vom Sturm aufgepeitschte Meer zu wild wurde. Marie stieß die Badezimmertür auf und konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken. Kira stand mit der Zahnbürste im Mund vor dem Waschbecken. „Was machst du denn mitten in der Nacht hier?“

„Chähne chutsen“, erwiderte Kira undeutlich. Marie zog die Augenbrauen fragend nach oben. Also spuckte Kira einen Schwall Zahnpasta ins Waschbecken und wiederholte: „Ich putze meine Zähne.“

„Ah“, machte Marie. „Solltest du nicht längst schlafen?“

„Gilt das nicht auch für dich?“

„Ich muss noch die blöde Gischtnachricht für Wassergrafie schreiben.“ Marie drängte sich an Kira vorbei, wusch den Schaum aus ihrer Schüssel und befüllte sie mit frischem Wasser. Sämtliche Waschbecken auf der Wellenkron hatten zwei Wasserhähne. Aus einem kam Trinkwasser und aus dem anderen jenes Meerwasser, das den Kiel des Schulschiffs gerade umspülte.

„Na dann, viel Spaß“, sagte Kira und schlich auf Zehenspitzen davon.

Marie wunderte sich. Kira hatte sich in den letzten Wochen ganz schön verändert. Die Momente, die sie mit den anderen Schülern des ersten Jahrgangs verbrachte, waren selten geworden. Natürlich saßen sie zusammen im Unterricht, doch sobald die Schiffsglocke den Beginn des Nachmittags einläutete, verschwand Kira. Manchmal meldete sie sich für einen Extradienst an Deck, aber oft kam es Marie so vor, als verschluckte der Bauch der Wellenkron ihre Freundin einfach. Dann fehlte von Kira und ihrer kleinen Schildkröte Nanami jede Spur. Sie schien eine wahre Meisterin im Verstecken zu sein, denn nicht einmal Adrian war ihr bisher auf die Schliche gekommen. Kira war einfach zu schnell. Ein unbeobachteter Moment und weg war sie.

Als Marie zurück in den Studierraum kam, hatte Adrian bereits die Hälfte seiner Nachricht in die Gischt gezeichnet. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen.

„Versuch Nummer drei.“ Marie ließ erneut den Kompass kreisen. Diesmal mit etwas mehr Abstand zur Wasseroberfläche. Der Schaum, der dabei entstand, war dicht, aber nicht besonders fest. Die Symbole wollten ihre Form nicht beibehalten und Marie musste ihre Linien unzählige Male nachziehen.

„Sieht doch gut aus.“ Adrian konnte ein Gähnen kaum unterdrücken.

„Ich weiß nicht …“ Marie kniff ein Auge zu und begutachtete ihr Werk kritisch.

„Ich finde, es ist perfekt.“ Adrian verstaute seine Schulsachen im Ranzen. „Vergiss nicht: Das ist unsere erste Aufgabe in Wassergrafie. Ohneherz kann nicht erwarten, dass sie gleich perfekt gelingt.“

„Ich hoffe, du hast recht …“, murmelte Marie und zog eine besonders stark verwackelte Linie mit ihrem Kompass nach. Ganz zufrieden war sie zwar immer noch nicht, aber die Zeiger der Uhr hatten längst den Beginn eines neuen Tages angekündigt und sie konnte ihre Augen kaum mehr offen halten. Die beiden Kinder nahmen ihre Schüsseln und trugen sie vorsichtig ins Klassenzimmer, um sie neben die der anderen auf Valerian Winkelherz’ Pult zu stellen.

„Kiras Schüssel fehlt“, stellte Adrian sofort fest. „Wahrscheinlich sitzt sie auch gerade irgendwo und malt Kringel in den Schaum.“

Marie runzelte die Stirn. Kira hatte im Badezimmer kein Wort darüber verloren, dass sie ihre Schaumnachricht ebenfalls noch nicht geschrieben hatte.

„Merkwürdig“, dachte Marie, aber sie war zu müde, um eine Erklärung dafür zu finden. Sie wollte endlich ins Bett und schlafen.

Verwandelte Botschaften

„Marie! Mach die Augen auf.“ Ilvy saß auf der Bettkante und rüttelte ungeduldig an Maries Schulter. „In fünf Minuten will Ohneherz uns auf unseren Plätzen sehen.“

Marie blinzelte. Fünf Minuten? Sie versuchte zu verstehen, was das zu bedeuten hatte, aber ihr schien über Nacht jegliches Zeitgefühl abhandengekommen zu sein.

„Ohneherz wird toben, wenn du zu spät kommst“, rief Ilvy ihr ins Ohr.