Das magische Schulschiff (Band 3) - Palast der Ozeane - Anna Lisa Kiesel - E-Book

Das magische Schulschiff (Band 3) - Palast der Ozeane E-Book

Anna Lisa Kiesel

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Beschreibung

Volle Fahrt voraus! Fantastische Wassermagie, unlangweiliger Unterricht und neue Freundschaften – das magische Schulschiff sticht in See. Band 3 der abenteuerlichen Reihe Aufbruch zum Volk der Nixen: Nur die Wellenkron-Crew kann das Meeresvolk vor dem Bösewicht Stanislaus Himmelrot warnen. Doch sie sind zu spät! Stanislaus und Vita haben den letzten Teil der legendären Karte an sich gerissen und lauern bereits auf der Insel der Ahnen. Um deren dunkle Machenschaften zu vereiteln, müssen Marie und ihre Freunde den Palast der Ozeane finden – den wohl mächtigsten Ort und den Ursprung aller Wassermagie Mit der Wellenkron auf magischer Fahrt Wasser aufwirbeln, gefrieren oder ihm die Form von Tieren verleihen: In dieser abenteuerlichen und magischen Buchreihe für Kinder ab 8 Jahren ist alles möglich! An Bord des Schiffs Wellenkron, der schwimmenden Schule auf dem Meer, stehen Zusammenhalt, Freundschaft und spaßiger Unterricht an erster Stelle. Voller Witz und Spannung verbindet die Autorin Anna Lisa Kiesel Schulalltag mit der atemberaubenden Magie des Ozeans. Coole Schwarz-Weiß-Illustrationen von Leonie Daub lassen die Crew lebendig werden. Komm auch du an Bord! Für Fans von Die Schule der magischen Tiere und Harry Potter. Der Titel ist bei Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Lange Tage

Vom Vorankommen

Arcanum

Ein finsterer Geselle

Der Fall der Nixen

Marie und Silberfreund

Ein notwendiges Opfer

Begegnung in der Tiefe

Die Drei Schwestern

Die Insel der Ahnen

Im Palast der Ozeane

Das Rätsel des Wassermannkönigs

Feuer trifft Wasser

Ein ewiger Sommer

Für meine drei Wassermannkönige.

Danke, dass ihr mit mir bis zum Grund getaucht seid.

Mit besonderem Dank an Yuming und Yilin,

Lange Tage

Es war dunkel. Marie konnte nichts sehen, aber sie spürte, dass sie tief unter der Wasseroberfläche war. Sie fühlte die Endlosigkeit des Meeres über sich, dessen Gewicht Marie beinahe zu erdrücken drohte. Wo waren die anderen? Sie wollte sie suchen, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Die Stille. Ja, die Stille war es, die Marie zu lähmen schien. Noch nie zuvor hatte sie das Meer als einen solch geräuschlosen Ort erlebt. Es kam ihr seltsam vor, aber nicht bedrohlich. In der Stille selbst lag keine Gefahr, doch dahinter. Irgendwo in der Ferne regte sich etwas, das nicht hätte hier sein dürfen, und in Marie keimte die Ahnung, was – oder vielmehr wer – sich in der Dunkelheit verbarg. Sie musste los. Sie musste Stanislaus aufhalten und Vita zur Vernunft bringen. Hoffentlich hatte Flurin Apfelbecks scharfer Wasserstrahl sie nicht so sehr verletzt, dass … Nein, Marie konnte den Gedanken nicht beenden. Zu schmerzhaft war die Vorstellung, Vita Wasserkind könnte für immer verloren sein. Irgendetwas sagte ihr deutlich, dass Vita ein Teil der Wellenkron war und sie alles versuchen musste, um sie zurückzuholen.

„Vita!“, rief Marie in die Dunkelheit hinaus. „Komm zu uns! Wir haben die Wellenkron repariert. Hörst du? Wir durften Nells blaue Segel benutzen und er ist jetzt bei uns.“ Wie verzweifelt sie klang. Marie musste feststellen, dass ihre Worte nicht weit kamen. Es war, als prallten sie nur wenige Zentimeter vor ihrem Mund gegen eine undurchdringliche Mauer aus Stille. Tiefe Traurigkeit breitete sich in Maries Herz aus und die Gewissheit, dass Vita sie nicht hören konnte. Es war zwecklos. Sie würde niemals ans Ziel kommen. Marie rollte sich ganz klein zusammen, hier unten am Meeresgrund. Allein. Plötzlich ertönte ein Knall und der Boden begann zu beben. Marie presste die Hände auf ihre Ohren, aber es war zu spät. Der Schall hatte sich in ihre Trommelfelle gegraben wie Pfeilspitzen und nicht nur einen stechenden Schmerz, sondern auch ein lautes Schrillen hinterlassen. Marie zitterte am ganzen Körper. „Vita?“, rief sie noch einmal, aber sie konnte ihre eigene Stimme nicht mehr hören. Stattdessen vernahm sie Stanislaus Himmelrot, klar und deutlich, als würde er in ihrem Kopf sitzen. „Zurück aufs Schiff, Vita! Wir müssen die Segel verbrennen. Den Rest erledigt das Meer und dann kann uns nichts und niemand mehr aufhalten!“

An diesem Morgen fiel es Marie schwer, dem Unterricht zu folgen. Der Traum klebte an ihr wie ein Blutegel, der ihr den letzten Funken Energie aus dem Körper saugen wollte. Seeheilkunde mit Valerian Winkelherz war das neue Fach, mit dem sich die Fünftklässler herumschlagen mussten. Seit ihrem Aufbruch von der Bibliotheksinsel versuchten sie, sich die Namen unterschiedlicher Seegrasarten, Muscheln und Gesteine und deren Wirkung bei wassermagischen Problemen und Erkrankungen zu merken. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Einzig Theo und Ilvy schnippelten und mahlten mit Feuereifer die Zutaten für ihre Elixiere. Marie ließ gedankenverloren den Blick aus dem Bullauge schweifen.

„Es war nur ein Traum“, sagte sie sich und dachte an die Dunkelheit und das Gefühl, allein auf dem sandigen Meeresboden zu liegen. Und sie dachte an den Knall. Der Schmerz hatte sich so echt angefühlt und selbst jetzt war da noch ein leises Klingeln in ihren Ohren. Wie eine Alarmanlage, die Marie vor einer herannahenden Gefahr warnen wollte. Der Bleistift in ihren Fingern zitterte. Schon lange quälten Marie Träume wie dieser. Die unsichtbare Wunde, die Stanislaus Himmelrot in ihrem Nacken hinterlassen hatte, war nach Vitas Berührung zwar besser geworden, doch ganz verheilt war sie immer noch nicht. Valerian Winkelherz hatte bereits die Rezeptur der Paste geändert, die er regelmäßig auf die verletzte Stelle pappte. Auf die endgültige Heilung warteten sie allerdings vergeblich. Hartnäckig nahm die Salbe wenige Stunden nach dem Auftragen eine hellgrüne Farbe an und zeigte damit, dass die Verbindung zwischen Marie und dem dunklen Wassermagier weiterhin bestand.

„Hast du schon die Zostera capricorni geschnitten?“, fragte Adrian.

„Hm? Ja, gleich.“ Marie nahm das Messer und ein Büschel Seegras, um mit der Arbeit zu beginnen.

„Nicht so!“, ermahnte Adrian sie. „Du musst die Halme feiner schneiden. Sonst wirkt es nicht.“

„Was ist denn mit dir los?“, fragte Marie, die sich über die Genauigkeit ihres Freundes wunderte.

„Gar nichts. Ich hab nur keine Lust, die ganze Arbeit zu wiederholen. Wenn wir es gleich richtig machen, quält Ohneherz uns nicht länger.“

Marie knirschte mit den Zähnen, während sie das Seegras in dünne Streifen schnippelte. Adrian hatte recht und trotzdem empfand Marie wenig Lust, die nächsten Stunden dem Brauen eines Elixiers zu widmen. Viel lieber hätte sie … Eigentlich wusste Marie gar nicht, womit sie sich die Zeit lieber vertrieben hätte. Wenn der Lauf der Sonne nicht den Anfang und das Ende jedes Tages markiert hätte, hätte Marie schwören können, im gähnenden Schlund der Endlosigkeit gelandet zu sein. Vielleicht lag es daran, dass sie sich seit fast einer Woche kaum von der Stelle bewegt hatten.

„Flaute“, hatte Flurin Apfelbeck schulterzuckend gebrummt. „Man kann den Wind nicht zwingen, ein Schiff voranzutreiben. Nicht einmal, wenn man es eilig hat.“

Ihre Eile schien den Wind nicht zu kümmern. Nicht das kleinste Lüftchen regte sich und so trieb die Wellenkron mit hängenden Segeln über das Meer.

„Vielleicht mag der Wind kein Blau“, hatte Ilvy mit einem Blick auf die Segel vermutet.

„Sag das bloß nicht Nell“, hatte Kira gesagt. „Er hat sein Schiff aufgegeben, damit die Wellenkron nicht vor der Bibliotheksinsel festsitzt und jetzt …“

„Jetzt sitzen wir auf dem Ozean fest“, hatte Adrian ergänzt.

„Beim Segeln muss man eben Geduld haben.“ Theo hatte versucht, gelassen zu klingen, aber auch ihm war mittlerweile anzumerken, dass ihn die Situation zermürbte. Sie mussten endlich an jenen Ort gelangen, an dem sie mehr über Stanislaus Himmelrots Jagd nach dem letzten fehlenden Kartenteil erfahren konnten. Ob er ihn bereits in seinem Besitz hatte? Oder waren die Nixen stark genug, seiner Macht zu widerstehen und so die Insel der Ahnen vor ihm zu schützen? Ein Raunen in Maries Kopf sagte ihr, dass der Kampf um den letzten Teil der magischen Karte bereits ausgefochten war, doch sie verjagte diesen Gedanken wie eine lästige Fliege.

„Wir sollten mit Imelda Wisperton sprechen“, hatte Ava Krull vorgeschlagen und Ilvys Gesicht war bei der Erwähnung dieses Namens erstarrt.

„Das ist meine Tante“, hatte sie geflüstert. „Sie verbringt den Großteil ihres Lebens bei den Nixen.“

Die Schulleiterin, die Ilvys Worte deutlich vernommen hatte, hatte genickt. „Ja, wir müssen nach Arcanum. Es ist der einzige Ort, an dem wir sie treffen könnten.“

Arcanum. Während die älteren Schüler tuschelnd die Köpfe zusammengesteckt hatten, hatten die jüngeren ratlose Blicke ausgetauscht. Bald schon hatte sich herumgesprochen, was es mit diesem sagenumwobenen Ort auf sich hatte: Arcanum war ein Dorf auf einer Insel, so gut geschützt, dass es auf keiner Karte zu finden war. Umgeben von einem Ring aus schroffen Felsen, konnten sich die Wassermagier dort vor der Menschenwelt zurückziehen.

„Angeblich gibt es in Arcanum einen Laden, in dem man wassermagische Utensilien kaufen kann“, hatte Adrian ihnen verraten. Er kannte das Dorf bereits aus den Erzählungen seines Großvaters.

„Schick Skadi eine Welle. Sie soll alles für unsere Ankunft vorbereiten“, hatte die Schulleiterin Valerian Winkelherz angewiesen. „Und frag sie, wann Imelda zuletzt bei ihr war.“

Skadi war die Hüterin des Portals, das nach Arcanum führte, und lange musste die Crew der Wellenkron nicht auf ihre Antwort warten.

„Skadi schreibt, dass sie Imelda seit mehreren Wochen nicht gesehen hat. Sie ist zu den Nixen aufgebrochen und ihre Spur verlor sich auf dem Meer.“ Der Ton in Valerian Winkelherz’ Stimme hatte vermuten lassen, dass diese Nachricht besorgniserregend war. „Das ist aber noch nicht alles. Sie sagt, dass jemand auf mich wartet.“

„Wer könnte das sein?“, hatte Flurin Apfelbeck gefragt.

„Ich weiß es nicht. Aber vermutlich gibt es gute Gründe, warum Skadi den Wellen keine genaueren Informationen anvertrauen konnte.“ Ratlosigkeit war in Winkelherz’ Gesicht zu sehen gewesen und man beschloss, sich auf schnellstem Wege nach Arcanum zu begeben. Diesem Plan hatte das Wetter allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für die kalte Jahreszeit war es ungewöhnlich windstill und alle Versuche, das Schulschiff voranzutreiben, schlugen fehl. Tag für Tag suchten die Kinder den strahlend blauen Himmel ab, in der Hoffnung, eine dunkle Wolke zu entdecken.

„Je schöner das Wetter, desto länger die Tage“, pflegte Flurin Apfelbeck zu sagen und Marie konnte ihm nur zustimmen. Es war schrecklich öde auf einem Schiff, das sich keinen Zentimeter fortbewegte.

„Jetzt müssen wir das Seegras mit einer Prise geriebenem Gestein aufkochen und dann müsste das Elixier fertig sein“, sagte Adrian zufrieden und kippte die Zutaten in den Kessel, den Valerian Winkelherz ihnen zusammen mit einer gasbetriebenen Herdplatte überreicht hatte.

„Habt ihr das Gebräu schon gefiltert?“, mischte sich Kira ein. Marie und Adrian starrten einander an. Sie wussten genau, was das zu bedeuten hatte.

„Verdammt!“, entfuhr es Marie und sie hätte die blubbernde grüne Brühe am liebsten durch das Klassenzimmer gepfeffert.

„Alles noch mal von vorne.“ Adrian stöhnte. Neben dem Auswendiglernen war das wohl das Schlimmste an Seeheilkunde: Man musste jeden Zubereitungsschritt sorgfältig und in der richtigen Reihenfolge ausführen, andernfalls war die ganze Arbeit umsonst.

„Wir sind fertig!“ Ilvy streckte ihre Hand hoch in die Luft, damit Winkelherz sie nicht übersehen konnte, und Theo hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.

„Unser Traumpaar hat es mal wieder geschafft“, knurrte Adrian und schüttete das misslungene Gebräu in den großen Topf, in dem Winkelherz die wirkungslosen Elixiere sammelte. Kira schmunzelte, aber sie konnte den Frust ihres Freundes gut nachvollziehen, denn sie startete gerade ihren dritten Versuch. Valerian Winkelherz trat an Theos und Ilvys Pult heran und überprüfte das Resultat ihrer Arbeit. „Gut“, sagte er und konnte nicht verbergen, dass er beeindruckt war. „Dann probieren wir mal aus, ob euer Trank hilft.“

Erwartungsvoll beobachteten die Kinder, wie der Lehrer ein paar Tropfen in ein Aquarium träufelte. Das sonst so bunt schillernde Schuppenkleid des Fisches, der darin seine traurigen Kreise zog, hatte jegliche Farbe verloren. Er litt an der seltenen Grautonkrankheit, die auch mit dem Verlust der Lebensfreunde einherging. Fische, die davon betroffen waren, starben.

„Wenn Theo und Ilvy alles richtig gemacht haben, werden wir gleich die ersten Veränderungen an unserem Patienten wahrnehmen können“, erklärte Winkelherz. Marie presste die Lippen aufeinander. Das Pfeifen in ihren Ohren wurde dabei immer lauter, aber sie achtete nicht darauf. In diesem Moment zählte nur der kleine Fisch.

„Da!“, rief Kira aufgeregt. „Eine Schuppe wird gelb.“

Tatsächlich kam das ursprüngliche kräftige Gelb des Fisches zum Vorschein.

„Glückwunsch! Ihr habt ein Leben gerettet“, lobte Valerian Winkelherz Ilvy und Theo, die sich jubelnd abklatschten. Selbst Flaps, der kleine Papageientaucher, den Ilvy großzog und der sie zum Unterricht begleitete, watschelte fröhlich über das Pult.

„Kein Grund, so auszurasten“, brummte Adrian.

„Seid nicht traurig.“ Ilvy legte versöhnlich einen Arm um ihren Freund. „Ihr müsst euch nur mehr anstrengen, dann klappt es eines Tages.“ Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie hinzufügte: „Vielleicht.“

Marie verdrehte die Augen und half Kira, ihren Kessel von angebrannten Seegrasresten zu befreien.

„Zur Belohnung für ihren Erfolg dürfen Theo und Ilvy früher Pause machen, während ihr anderen hier klar Schiff macht. Verstanden?“, sagte Valerian Winkelherz. Ein genervtes Stöhnen entfuhr Adrian.

„Verstanden“, flötete Ilvy, setzte Flaps auf ihre Schulter und hüpfte hinter Theo aus dem Klassenzimmer.

„Kommt es mir nur so vor oder wird Ilvy immer anstrengender, seit sie ihre wassermagische Fähigkeit gefunden hat?“, fragte Kira, während sie die Pulte sauber wischte.

„Nö, da liegst du richtig.“ Adrian sah aus, als habe er in eine Zitrone gebissen, und auch Marie konnte den Ärger über die Worte ihrer Freundin nur schwer hinunterschlucken. Sie freute sich für Ilvy, die ihre Freunde auf der Bibliotheksinsel vor dem Ertrinken gerettet hatte, aber seitdem hatte sie sich irgendwie verändert. Ständig rieb sie es den anderen unter die Nase, wenn ihnen etwas nicht gelang, ihr selbst aber schon. Ilvy hatte wohl das Gefühl, nie wieder scheitern zu können. Der Unterricht war dadurch zu einem Wettbewerb geworden, aber Valerian Winkelherz schien das nicht zu merken. Marie warf einen Blick aus dem Bullauge, vor dem sich ein spiegelglattes Meer bis zum Horizont erstreckte. Sie brauchten dringend Wind. Einen Wind, so stark, dass er ihnen die schlechten Gedanken aus den Köpfen pusten und sie endlich an ihr Ziel bringen würde.

Vom Vorankommen

„In euer Ölzeug!“ Schlagartig wurde es hell und Marie rollte sich zur Seite, um ihre müden Augen vor dem grellen Licht zu schützen. „Beeilt euch! Ein Sturm zieht auf und wir müssen jede Böe nutzen, um Arcanum näher zu kommen.“ Es war Flurin Apfelbeck, der brüllend in die Kojen stürmte. Marie rappelte sich auf, schlüpfte in die wasserdichte Kleidung und rüttelte Ilvy und Kira wach.

„Der spinnt ja.“ Kira versuchte, ihr zerzaustes Haar zu bändigen, bevor sich die drei Mädchen auf den Weg an Deck machten. Dort wimmelte es bereits vor Schülern und im Schein der Petroleumlampen entdeckte Marie Theo und Adrian, die gerade mit einem Knoten kämpften. Anders als in den Nächten zuvor war der Himmel nicht von unzähligen Sternen übersät. Sein tiefes Schwarz schien sich weiter und weiter nach unten zu senken, als der aufkommende Wind die Wolkengebirge auf das Schulschiff zutrieb. Marie schluckte. Sie wusste, was in den nächsten Stunden auf die Crew zukommen und welchen Kräften das alte Holz der Wellenkron ausgesetzt sein würde. Ava Krull stand neben Valerian Winkelherz am Steuerrad und übergoss ihn mit einem Redeschwall, dessen Inhalt dem Lehrer offensichtlich nicht gefiel. Sein finsterer Blick klebte an einer Gruppe von Jungen, die sich an den Schoten bereithielten. Immer wieder schüttelte er den Kopf, warf der Schulleiterin Widerworte entgegen, aber die ließ sich nicht beirren. Nur wenig später erklang ihre Stimme über das Deck: „Alle Schüler bis zum vierten Jahrgang gehen aus Sicherheitsgründen zurück in ihre Kojen. Überprüft, ob ihr genug Elixier gegen Seekrankheit habt, und holt euch im Zweifelsfall eine Flasche aus der Kombüse.“ Während Marie Erleichterung verspürte, war Kira genervt. „Erst wecken die uns und dann dürfen wir den Spaß nicht mal miterleben?“

„Sollen wir die Zeit nutzen?“ Theo zog sich die Kapuze vom Kopf und reihte sich in die Schlange von Schülern ein, die sich zu den Unterdecks schob.

„Hast du etwa noch mehr über dieses mysteriöse Arcanum herausgefunden?“, fragte Ilvy neugierig.

Theo hob die Schultern. „Nicht viel, aber nachdem wir heute Nacht vermutlich kein Auge zutun werden …“

„Zieht euch um und kommt in unsere Koje. Dann kannst du uns auf den neuesten Stand bringen“, schlug Kira vor. Marie wurde bei dem Gedanken daran noch mulmiger zumute. „Aber Ava Krull hat gesagt, wir …“

„Die sagt viel, wenn der Tag lang ist“, unterbrach Kira sie harsch. „Ob die Jungs in ihrer Koje durchgeschüttelt werden oder in unserer, ist doch egal.“ Das sahen die anderen genauso und damit war es beschlossen.

Theo hatte seine Notizen auf dem Boden ausgebreitet. Die Mädchen saßen auf Maries Bett, während Adrian in der Ecke neben dem Waschbecken lehnte. Immer wieder warf er einen Blick in den Spiegel, um seine Frisur zu überprüfen. Sesam, Ilvys Kater, hatte es sich auf Maries Schoß gemütlich gemacht, während Flaps liebevoll an Kiras Fingern knabberte. Ihre kleine Schildkröte Nanami schien eifersüchtig zu sein und versuchte vergeblich, den Papageientaucher zur Seite zu schieben.

„Arcanum …“, fing Theo feierlich an, „… liegt auf einer winzigen Insel, die kaum größer ist als drei Fußballfelder und die von einem Felsenring umgeben wird. Nähern sich Flugzeuge oder Schiffe, wird der Ort von dichtem Nebel eingehüllt und entzieht sich so den Augen gewöhnlicher Menschen, die nichts von seiner Existenz wissen sollen.“

„Wann wurde Arcanum gegründet?“, fragte Marie.

„Nachdem die Wassermagier von der Insel der Ahnen vertrieben wurden. Sie brauchten einen Ort, an dem sie ungestört waren. Mittlerweile wird Arcanum nur noch für Zwischenhalte genutzt. Man kann sich dort ein Haus mieten, im Sammelsurium einkaufen, Neuigkeiten aus den Tiefen der Ozeane erfahren oder seine Post abholen.“

„Langsam“, bremste Kira ihren Freund. „Erstens: Was ist das Sammelsurium? Und zweitens: Welche Post?“

Theo lächelte und suchte in seinen Aufzeichnungen nach den Antworten. „Das Sammelsurium ist ein Laden, in dem es Hilfsmittel für Wassermagier gibt.“

Adrian, der sich endlich von seinem Spiegelbild gelöst hatte, unterbrach Theo. „Mein Großvater hat dort sein Korallenwachstumspulver gekauft und Gregor hat erzählt, dass es Seetangkaugummi und magische Muscheln gibt, die einem mit ihrem Geklapper die Lösungen für Prüfungen vorsagen.“

Marie rümpfte die Nase. „Seit wann redest du wieder mit Gregor? Hat dir dein Ausflug ins Krähennest nicht bewiesen, dass er ein Idiot ist?“

Adrian machte eine abwinkende Handbewegung. „Schnee von gestern.“

„Aha“, erwiderte Ilvy, die das offensichtlich für keine kluge Entscheidung hielt.

„Theo, du wolltest uns noch von der Post erzählen“, half Kira ihrem Freund auf die Sprünge.

„Ach ja. Wassermagier, die das ganze Jahr auf einem Schiff verbringen, können sich ihre Post nach Arcanum liefern lassen.“ Er hob seinen Zeigefinger, um anzudeuten, dass seine folgenden Worte Aufmerksamkeit verlangten. „Das gilt übrigens auch für uns.“

„Du meinst …“ Maries Augen glänzten bei diesem Gedanken. „Es könnte sein, dass uns in Arcanum Briefe von unseren Familien erwarten?“

„So ist es“, bestätigte Theo.

Marie dachte daran, wie schwer es Theo gefallen war, an Bord der Wellenkron zu kommen. Sie erinnerte sich an die ersten Tage, in denen er vor Heimweh kaum ein Auge zubekommen hatte. Und auf einmal spürte sie, wie sehr sie sich nach einer Nachricht von ihren Eltern sehnte – oder von ihren Freundinnen. Wie es ihnen wohl ging? Eine unsichtbare Schlinge legte sich um ihren Hals und trieb ihr Tränen in die Augen.

„Hast du etwas über meine Tante rausgefunden?“, fragte Ilvy.

„Nein, tut mir leid“, gab Theo zu. „Sie scheint ihrem Namen mehr als gerecht zu werden. Sämtliche Bücher verlieren kein Wort über Imelda Wisperton. Sie ist und bleibt ein Rätsel.“

„Machst du dir Sorgen um sie?“, fragte Marie.

„Quatsch.“ Ilvy atmete geräuschvoll aus. „Ich kenne sie ja gar nicht.“ Obwohl sie keine Miene verzog, war ihr die Anspannung anzumerken. Marie wusste, wie gern Ilvy ihre Tante kennengelernt hätte.

„Ich weiß dafür noch etwas“, warf Adrian ein. „Skadi, die Hüterin des Portals nach Arcanum, soll wahnsinnig hübsch sein.“