Das Morpheus-Gen - Tibor Rode - E-Book
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Das Morpheus-Gen E-Book

Tibor Rode

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Beschreibung

Für den New Yorker Anwalt David Berger gerät die Welt aus den Fugen: Seit Nächten kann er nicht schlafen, sondern bleibt rund um die Uhr wach. Kurz darauf werden seine Freundin und sein bester Freund ermordet, und für die Polizei steht fest, dass er der Täter ist. Unterstützung auf der Flucht erhält David von der jungen Archäologin Nina, die aus unbekannten Gründen seine Nähe sucht. David wird bald klar: Das, was ihm bislang den Schlaf geraubt hat, kann ihn das Leben kosten. Er ahnt nicht, dass sich hinter seiner plötzlichen Schlaflosigkeit eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Menschheit verbirgt ...

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INHALT

CoverÜber das BuchÜber den AutorTitelImpressumWidmungZitatProlog123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839404142434445464748495051525354555657585960616263646566676869707172737475767778798081828384858687888990919293949596979899100101102103Drei Wochen später104105Epilog

Über das Buch

Für den jungen New Yorker Anwalt David Berger gerät die Welt aus den Fugen: Seit Nächten kann er nicht schlafen, sondern bleibt rund um die Uhr wach. Kurz darauf werden seine Freundin und sein bester Freund ermordet, und für die Polizei steht fest, dass er der Täter ist. Unterstützung auf der Flucht erhält David von der jungen Archäologin Nina, die aus unbekannten Gründen seine Nähe sucht. David wird bald klar: Das, was ihm bislang den Schlaf geraubt hat, kann ihn das Leben kosten. Er ahnt nicht, dass sich hinter seiner plötzlichen Schlaflosigkeit eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Menschheit verbirgt …

Über den Autor

Tibor Rode, 1974 in Hamburg geboren, studierte Rechtswissenschaften und arbeitete als Journalist. Heute ist er als Anwalt für Wirtschafts- und IT-Recht tätig und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg. Tibor Rode lebt mit Familie und Hund in Schleswig-Holstein.

Das Mona-Lisa-Virus ist sein dritter Roman.

Tibor Rode

Thriller

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Dieser Titel wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Karin Schmidt

Textredaktion: Dorothee Cabras

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Einband-/Umschlagmotiv: © www.buerosued.de

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-5593-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

 

Für meine Eltern und all jene,die in der Nacht über uns wachen

 

»Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes.«

Homer

PROLOG

Potsdam 1989

Man konnte vor dem Leben weglaufen, aber nicht vor dem Tod.

Er trat auf die Bremse und schlug das Lenkrad ein, sodass das Fahrzeug sich um einhundertachtzig Grad drehte und mitten auf der Straße zum Stehen kam. Dann schaltete er die Lichter aus.

Er musste nicht lange warten, bis er in der Dunkelheit vor sich die Scheinwerfer sah, die rasch näher kamen.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er sah sie, sah sein Kind.

Tränen liefen ihm über die Wangen, schienen im kalten Luftzug, der aus der Klimaanlage strömte, auf seiner Haut zu gefrieren.

Sie zwangen ihn hierzu. Er hatte alle Optionen durchgespielt, doch sie ließen ihm keine andere Wahl. Es gab keine Möglichkeit, bei der er sein Kind retten konnte, außer dieser. Sie waren schuld, nicht er.

Er öffnete ein Auge und war erschrocken, wie nahe die heraneilenden Lichter schon waren.

Er zählte von drei rückwärts, dann drückte er mit aller Kraft das Gaspedal durch und riss die Augen auf. Ein gleißendes Licht blendete ihn, dann war alles ganz still.

Endlich. Schlafen.

1

New York, heute

»Die Toten reiten schnell«, murmelte Greg Millner und umrundete einen Sessel, um einen besseren Blick auf die Tote werfen zu können.

»Was redest du da?«, fragte Henry.

»Ein Satz aus Bram Stokers Dracula. ›Die Toten reiten schnell!‹«

Henry zuckte resigniert mit den Schultern. Offenbar hatte er keine Ahnung, wovon sein Kollege sprach.

»Vampire, du Idiot!«, entgegnete Millner und fasste sich an den Hals, genau dorthin, wo bei der Leiche die beiden Bissspuren zu erkennen waren, von denen die Streifenpolizisten bei ihrer Ankunft aufgeregt berichtet hatten.

Er ging in die Knie und betrachtete das Gesicht der Toten, die eingekeilt zwischen Sessel und Sofa lag. Es sah aus, als schliefe sie nur. Die Augen waren geschlossen. Die Wangen schienen noch rosig. Instinktiv wollte er ihren Puls fühlen, verbat es sich jedoch, um keine Spuren zu verwischen. Was war nur los mit ihm? Den Tod zu akzeptieren war das Erste, was man als Ermittler bei der Mordkommission lernte, und er hatte bislang auch keine Probleme damit gehabt. Im Gegenteil: Es gab Momente, da kam er mit den Toten besser zurecht als mit den Lebenden. Vielleicht wurde er mit zunehmendem Alter weich.

Das lange blonde Haar verdeckte den Großteil ihres Gesichts. Dennoch schätzte er sie auf Mitte zwanzig. Am Hals waren zwei kleine Verletzungen zu erkennen. Kreisrunde, blutige Einkerbungen, einen Fingerbreit auseinander. Als hätte jemand zwei kleine Löcher hineingebohrt. Oder aber das Opfer in den Hals gebissen.

»Von einem Menschen ist der Biss jedenfalls nicht«, kommentierte Millner. »Es sei denn, der Mensch hat zwei große Fangzähne gehabt. Eben wie ein Vampir.«

Henry lachte auf. »Lass das nicht die Presse hören. Vampirmord in New York. Was meinst du, was dann hier los ist? Abgesehen davon, dass du mit dieser Theorie vermutlich suspendiert und zum Dienstpsychologen geschickt wirst.«

»Und was ist deine Erklärung für die Male?«, fragte Millner.

Henry schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Vielleicht Stichverletzungen. Oder eine tollwütige Fledermaus oder …« Er stockte. »Ich habe, ehrlich gesagt, keinen blassen Schimmer. Lass uns abwarten, was die Pathologen zur Todesursache sagen. Aber ich weiß auf jeden Fall, dass das kein Vampir war.«

Millner betrachtete den Rest des Körpers. Die Tote trug einen zweiteiligen Trainingsanzug. Das Oberteil war am Bauch hochgerutscht und gab den Blick auf den Bauchnabel frei. Die Füße steckten in weißen Söckchen. Millner seufzte. Irgendwo lebten eine Mutter und ein Vater, die schon bald über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter informiert werden würden. Noch ahnten sie nichts davon, dass das Leben heute für sie eine dramatische Wendung genommen hatte.

»Wer ist hier gemeldet?«, fragte Millner.

Henry blätterte in einem kleinen Notizblock, in den er vor einigen Minuten die Antwort der Zentrale gekritzelt hatte. »David Berger«, las er ab. »Dreißig Jahre. Geboren in Prag, Tschechien. US-Amerikanischer Staatsbürger.« Henry reichte Millner einen Klarsichtbeutel mit einer Visitenkarte darin. »Die lag vorne neben der Haustür auf dem Beistelltisch.«

Die Karte stammte von einer Anwaltskanzlei aus Manhattan mit dem Namen McCourtny, Coleman & Pratt. Neben einem grauen Elefanten als Logo stand in der Mitte der Karte der Name David Berger, darunter Rechtsanwalt.

»Ein Rechtsanwalt, so, so«, sagte Millner und gab den Beutel Henry zurück.

»Wissen wir, wer sie ist?«

»Wohl seine Freundin. Sarah Lloyd. Ebenfalls hier gemeldet. Eine Nachbarin sagte, sie wohnten hier zusammen. Da drüben steht ein Bild von beiden.« Millner machte einen großen Ausfallschritt und fischte einen Bilderrahmen vom Vertiko. Das Foto zeigte ein junges, glückliches Paar mit Rucksäcken vor einem atemberaubenden Panorama. Er vermutete, dass die Aufnahme irgendwo in den Tropen gemacht worden war. Beide waren attraktive Menschen, denen man die Unbeschwertheit der Jugend ansah. Millner hätte mit ihnen in der Bar eines Urlaubshotels sofort einen zusammen getrunken. Der Mann erinnerte ihn mit der hohen Stirn, dem dichten dunkelblonden Haar und dem etwas melancholischen Blick an James Dean. Bei ihr konnte man mal wieder sehen, was der gewaltsame Tod auszurichten vermochte: Das ebenfalls blonde Mädchen mit dem offenen Lächeln und den vor Lebensenergie sprühenden Augen war in dem Mordopfer keine zwei Schritte hinter ihm kaum mehr zu erkennen. »Irgendwelche Ausweispapiere von ihr?«

Henry schüttelte den Kopf. »Bis jetzt nicht.«

»Versuche herauszufinden, ob sie es tatsächlich ist, damit ihre Angehörigen informiert werden können.«

»Schon klar«, grummelte Henry und klappte den Block wieder zu.

»Die Nachbarin hat beobachtet, dass sie vor einigen Tagen ausgezogen ist. Zudem hatte es im Hausflur zwischen Berger und einem anderen Mann einen Streit gegeben. Als die Zeugin wegen des Lärms die Tür öffnete, verschwanden beide. Heute hat sie nichts mitbekommen; sie war bei ihren Enkeln in Brooklyn.«

Als erfahrene Ermittler wussten beide, dass bei Frauenmorden oft der Lebenspartner der Täter war.

Millners Blick blieb an einer rechteckigen Box hängen, die unweit der Toten auf dem Wohnzimmerteppich lag. Er beugte sich vor und versuchte, den Gegenstand zu identifizieren. Obwohl er Latexhandschuhe trug, hütete er sich davor, ihn anzufassen.

»Das ist nur ein Schuhkarton«, sagte Henry.

Jetzt erkannte auch Millner darauf das Logo einer bekannten Sportmarke.

Henry bückte sich und hob den Deckel auf, der einen guten Meter neben dem Karton lag. Er hielt ihn sich vor das Gesicht und schaute Millner durch eines von mehreren Löchern an, die in den Deckel hineingestochen worden waren. »Ich sehe dich!«, witzelte er.

Millner grinste. »Steht dir, den solltest du immer tragen. Sag der Spurensicherung, sie sollen den Karton auf Spuren hin untersuchen.«

Henry legte den Deckel zurück auf den Boden, zückte den Stift und notierte etwas. »Sag du das doch mal den Jungs, und schicke nicht immer mich vor«, maulte er.

»Du weißt doch, auf mich hören die nicht.«

»Kein Wunder, wenn du andauernd den ehemaligen FBI-Agenten raushängen lässt«, konterte Henry.

Millner erhob sich langsam aus der Hocke. Seine Knie schmerzten. Unter dem weißen Plastikoverall, den die Spurensicherung ihnen vor der Haustür verpasst hatte, begann er zu schwitzen.

Er betrachtete die Szenerie vor sich.

Neben der Leiche lag eine umgestürzte Stehlampe, deren noch immer brennende Glühbirne einen schwachen Lichtkegel auf den Boden warf.

»Vielleicht von einem Kampf.«

Millner schaute auf. »Kampf mit wem? Dem Vampir?«

»Ich meine mit dem Mörder!«, entgegnete Henry ärgerlich.

Plötzlich machte sich das Funkgerät an Millners Gürtel bemerkbar.

»Es tut mir leid, aber ich fürchte, ihr müsst heute zweigleisig fahren«, meldete sich Sunny aus der Zentrale.

Henry warf Millner einen müden Blick zu. Das klang nach reichlich Kaffee. Sie waren nun seit vierzehn Stunden im Einsatz, und es würden wohl noch ein paar dazukommen.

»Aber was ich euch zu bieten habe, ist kurios.«

Vermutlich nicht kurioser als ein Vampiropfer, dachte Millner.

»In Hell’s Kitchen ist einer vom Dach geflogen und mitten auf einem Auto gelandet. So wie es aussieht, nicht ganz freiwillig. Ist schon ein bisschen her, aber Will und Darcy sind bei einem Vorfall in der U-Bahn.«

»Wo genau ist das Vögelchen geflogen?«, fragte Millner mit einem großen Seufzer.

»Schick ich dir aufs Handy. Das Problem ist, wer das Vögelchen ist.«

»Nämlich?«

»Alexander Bishop. Sohn von William Bishop.«

»Dem William Bishop?«

»Ganz genau!«

Millner fluchte. Das Einzige, was noch nerviger war als exzessiv feiernde Promikinder, waren tote Promikinder. Er steckte das Funkgerät weg und warf einen letzten Blick auf das tote Mädchen. Dies war kein normaler Mordfall, und Millner löste sich nur widerwillig vom Tatort. Die Spurensicherung musste nun ihr Programm abspulen.

Von der Wohnzimmertür her erklang ein Räuspern. »Kann ich jetzt Fotos machen?« Ein Mann in einem weißen Overall wartete im Flur mit einer Kamera und einem riesigen Blitzlicht auf seinen Einsatz.

»Ja, klar, wir sind hier durch«, antwortete Henry.

»Was ist das?« Millner blieb vor einer riesigen Weltkarte stehen, die an der Wand hing. Die Kontinente darauf waren goldbraun dargestellt; einige Bereiche jedoch, die aussahen wie ein aufgekratztes Rubbellos, leuchteten hellgrün.

»Eine sogenannte Scratch-Map«, sagte der Fotograf. »Man rubbelt die Teile der Welt frei, in denen man bereits gewesen ist.«

Millner verzog beeindruckt die Mundwinkel. Auf dieser Karte waren viele Orte grün. Offenbar waren die Bewohner dieses Apartments gern gereist. Damit war es nun vorbei. »Die Toten reiten schnell«, sagte er und erntete einen irritierten Blick des Fotografen.

Auf dem Weg zur Haustür fiel Millners Blick in die Küche. Spontan machte er einen Abstecher hinein, öffnete einige Schränke. Der Kühlschrank war beinahe leer. Millner roch an der Milch. Sauer. Im Tiefkühlfach fand er, neben einem Behälter mit Eiswürfeln, einen einzelnen Plastikbeutel, dessen Inhalt er nicht sofort identifizieren konnte. Erst als er ihn öffnete, erkannte er es. Mit angewidertem Gesicht legte er ihn zurück und zog gleich danach die Latexhandschuhe aus. Vielleicht war dieser David Berger noch viel perverser, als sie ahnten.

Millner öffnete den Mülleimer. Er entdeckte in der Küchenspüle eine Bratzange und stocherte damit im Abfall herum. Schließlich fischte er mit der Zange ein zerknülltes Blatt Papier heraus. Er legte es auf der Küchenspüle ab und faltete es mithilfe der Bratzange umständlich auseinander. Dann überflog er die wenigen Zeilen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Fall gelöst, dachte er. Er überlegte, den Zettel einzustecken, entschied sich jedoch, ihn wegen der Reste von Kaffeesatz und Möhrenschalen, die daran klebten, liegen zu lassen. Er würde die Spurensicherung bitten, sich darum zu kümmern, ebenso um den Beutel im Gefrierfach.

Auf dem Weg nach draußen hob er noch den Deckel eines großen Keramiktopfs an, in dem nur ein paar keimende Kartoffeln lagerten.

Als Millner bewusst wurde, wonach er eigentlich gesucht hatte, kam er sich schlagartig albern vor und sah zu, dass er raus aus der Wohnung und dem Overall kam.

Nirgendwo Knoblauch in der Wohnung.

2

New York – vier Tage zuvor

Es war dieser Moment, in dem man aufwacht und weiß, dass etwas nicht stimmt. In diesem Fall spürte er eine Leere, die nicht da sein dürfte. Eine Leere in dem Bett, in dem er lag. Er tastete mit ausgestrecktem Arm neben sich und fühlte nur das kühle Laken. Auch das Kopfkissen war kalt. Mit einem Schlag fiel ihm der Brief vom vergangenen Abend ein. Ein Schmerz hämmerte in seinen Schläfen, sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Zement gefüllt. Er hatte in den vergangenen Wochen nachts oft wach gelegen und über alles Mögliche gegrübelt. In den letzten Tagen hatte er so massive Schlafstörungen, dass er einmal die ganze Nacht durch die Wohnung getigert war, ohne ein Auge zuzumachen. Doch diese Nacht hatte er anscheinend ein paar Stunden lang geschlafen wie ein Toter. Vermutlich lag es am Alkohol.

Er stöhnte leise, bekam die Augen einfach nicht auf. Wenn er seiner inneren Uhr glauben durfte, war es 7:21 Uhr. Er war gut darin, die Uhrzeit zu raten. Meist lag er sogar auf die Minute genau. Er hatte keine Ahnung, wie er es machte, tippte auf irgendeinen Urinstinkt. Wenn er recht hatte, würde in neun Minuten der Wecker seines Smartphones klingeln. Vorsichtig blinzelte er. Erste Sonnenstrahlen erhellten das Schlafzimmer. 7:21 Uhr kam hin. Er drehte sich nach rechts und stöhnte erneut leise auf, als er über seine rechte Schulter rollte. Das Training vom vergangenen Abend ließ grüßen. Er hatte eine falsche Bewegung mit der Hantel gemacht.

Überhaupt war alles schiefgelaufen, nachdem er gestern das Büro verlassen hatte: Es hatte damit begonnen, dass er viel zu spät vom Schreibtisch weggekommen war. Wieder einmal hatte Percy White ihm kurz vor Feierabend einen neuen Vorgang auf den Tisch geknallt. »Wäre schön, wenn das noch heute fertig wird, David«, hatte sein Chef wie üblich gesagt und nicht den Mittelfinger gesehen, den David ihm noch gezeigt hatte. Die Folge war gewesen, dass er erst nach einundzwanzig Uhr aus dem Büro gekommen war. Und dann hatte er sich falsch entschieden: Statt nach links zu gehen, auf dem Nachhauseweg bei ihrem japanischen Lieblingsrestaurant Sushi mitzunehmen und mit Sarah bei einem Glas Rotwein den Tag durchzusprechen, dabei ihren schmerzenden Nacken zu massieren und ihr sanft die Schulter zu küssen, war er vor der Kanzlei nach rechts abgebogen. Und direkt ins Fitnessstudio gegangen. Dort hatte er sich zusammen mit einer Handvoll nach Schweiß stinkender Männer den Bürofrust abtrainiert und die vom langen Sitzen steifen Glieder über die Hantelbank gejagt. Als er endlich, frisch geduscht und ausgepowert, aber von Endorphinen überflutet, die Tür zu dem gemeinsamen Apartment aufschloss, war es bereits halb elf, und Sarah lag offenbar schon im Bett. So dachte er. Bis er neben einer halb ausgetrunkenen Flasche Rotwein auf dem Küchentisch den Brief entdeckte. Noch bevor er die ersten Zeilen las, wusste er, was darinstand. In den letzten Tagen hatte Sarah sich plötzlich verändert; David hatte sich fest vorgenommen, sie am Wochenende darauf anzusprechen. Nun war sie ihm offenbar zuvorgekommen.

Lieber David,

ich sollte es dir besser persönlich sagen, aber es fällt mir leichter, dir zu schreiben. Ich liebe dich nicht mehr. Deine viele Arbeit, meine viele Arbeit. Wir haben uns irgendwie in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Ich benötige eine Auszeit. Ich bin bei Elly und werde morgen, wenn du im Büro bist, einige meiner Sachen abholen. Bitte versuche nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich brauche Zeit für mich und melde mich, wenn ich so weit bin. Sorry, aber es ist besser so für uns beide.

Sarah

Nachdem seine Ungläubigkeit gewichen war, hatte sich in ihm so etwas wie Ärger ausgebreitet. Instinktiv hatte er zu seinem Handy gegriffen und Sarahs Nummer gewählt, doch nach dem zweiten Freizeichen hatte er aufgelegt. Irgendetwas an dem Brief hatte ihn stutzig gemacht. Die Worte klangen nicht, als hätte Sarah sie geschrieben. Er hatte den Brief immer wieder gelesen, doch die Worte waren dieselben geblieben. Vielleicht war das aber auch ein Zeichen der Entfremdung, von der Sarah sprach. Vermutlich klang es immer fremd, wenn der Mensch, den man am meisten liebte, mit einem Schluss machte.

Während er dasaß und grübelte, trank er die Rotweinflasche aus. Schließlich wankte er viel zu spät ins Bett. Er überlegte kurz, sie noch mal auf dem Handy anzurufen, darüber zu sprechen, aber er war noch nüchtern genug, um zu wissen, dass das keine gute Idee war, mitten in der Nacht, mit fast einem halben Liter Rotwein intus. Irgendwann am frühen Morgen schlief er ein, mit dem festen Vorsatz, sich am nächsten Tag mit ihr auszusprechen. Sich zu entschuldigen, für all das, für das er etwas konnte, und, wenn es sein musste, auch für alles, für das er nichts konnte.

Doch nun, als er die Leere in dem Bett neben sich spürte, zweifelte er daran, dass es etwas bringen würde. Was Sarah machte, machte sie richtig. Anders als er.

Endlich gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Ihre Seite des Bettes war ordentlich gemacht, das Kissen aufgeschlagen. Er rollte sich hinüber und drückte die Nase hinein. Es roch nach ihr. Nur langsam richtete er sich auf. Sein Kopf fühlte sich noch immer an, als wäre er aus Blei, und sein Mund war so trocken wie ein Toastbrot. David hievte sich aus dem Bett. Das Parkett war kalt. Als er in den Flur trat, spürte er dieselbe Leere wie nach dem Aufwachen im Bett.

Er schaute im Arbeitszimmer nach. Black Jack und Spider waren noch da, was er als gutes Zeichen interpretierte. Ansonsten war er allein. In der Küche ragte aus dem Mülleimer die leere Weinflasche. Er konnte sich nicht daran erinnern, sie dort hineingestopft zu haben. Auf dem Boden neben dem Abfalleimer lag der zu einem Ball zusammengeknüllte Brief. Offenbar hatte er damit am Abend zuvor auf den Mülleimer gezielt und danebengeworfen. David versuchte, sich danach zu bücken, aber ein stechender Schmerz in der Schulter hielt ihn davon ab. Er öffnete den Kühlschrank und nahm einen großen Schluck aus der Milchflasche. Die kalte Milch tat gut. Auf der Vorderseite des Kühlschranks klebte ein kleiner Kalender. Der heutige Tag war rot umkringelt.

Normalerweise fütterte Sarah immer Black Jack und Spider, heute würde er es tun müssen. Er überlegte kurz, es einfach sein zu lassen, doch die beiden konnten nichts für ihre Beziehungskrise. Er seufzte und öffnete das Gefrierfach. David nahm die Tüte mit dem Futter und kämpfte gegen den Würgereiz an. Er programmierte die Mikrowelle, die er niemals benutzte, um sich darin Essen aufzuwärmen. Mit einer Bratenzange nahm er das aufgetaute Ding und brachte es ins Arbeitszimmer. Gerade war er dabei, den Deckel des Glaskastens zu öffnen, als ein leises Klingeln ihn aufhorchen ließ. Es kam aus dem Schlafzimmer. Sein Handy. Vielleicht rief sie an. Hoffnung keimte in ihm auf. Dass sie ihn so früh anrief, war ein gutes Zeichen. Vielleicht hatte sie gestern Abend auch einfach nur zu viel Wein getrunken. Er sprintete durch den Flur und das Wohnzimmer und hechtete auf das Bett. Als er das Stechen in der Schulter spürte, stieß er einen leisen Schmerzenslaut aus und griff nach seinem Handy auf dem Nachttisch.

7:30 Uhr.

Es war nur der Wecker.

3

New York

»Bitte! Ich brauche das Zeug! Sie können es mir nicht einfach wegnehmen! Ich tue alles, was sie von mir wollen. Sag ihnen das!« Der Mann stand neben einem mächtigen Buffetschrank im Kolonialstil. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, während er den Cognacschwenker in einem Zug leerte. »Ich habe schon seit Tagen nicht mehr geschlafen!«

»Darum bin ich nicht hier«, entgegnete die schmale Gestalt, deren Schatten sich im Türrahmen abzeichnete. In der Hand hielt sie eine kleine schwarze Bowlingtasche.

Das Glas in den Fingern des Mannes begann zu zittern. Für einen Augenblick war das Klirren der Eiswürfel das einzige Geräusch im Raum. Der Mann stieß ein bitteres Lachen aus. »Du bist hier, um mich zu töten, richtig?«

»Sie haben es nicht mehr im Griff, Sir.« Die Gestalt deutete auf das Cognacglas. »Es ist halb acht am Morgen!«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Weil ich das Mittel brauche!«

»Sie haben ihn fast umgebracht. Und es ist nicht der Erste gewesen.«

»Es war ein Unfall. Es sind diese Stimmen … Ich sehe Dinge, die nicht da sind … Ich verspreche, es kommt nicht mehr vor. Ich brauche nur etwas von dem Mittel!«

»Die Presse wird Sie deswegen in der Luft zerreißen. Die Aufmerksamkeit gefährdet uns alle. Die Bruderschaft hat beschlossen, dass Sie nichts mehr bekommen.«

»Die Bruderschaft hat das beschlossen? Weißt du, wer ich bin?« Die Stimme des Mannes überschlug sich nun vor Erregung wie die eines Teenagers im Stimmbruch. »Wissen die überhaupt, mit wem sie sich anlegen? Niemand entledigt sich einfach so des Generalstaatsanwalts! Glauben die wirklich, ich habe nicht vorgesorgt? Ich lasse alle auffliegen, wenn ich nicht das Mittel bekomme.«

»Die Bruderschaft lässt sich nicht erpressen.«

»Sag Schwarzenberg, meine Assistentin weiß alles. Wenn mir etwas passiert, wird sie einen Umschlag mit Informationen an die Presse weitergeben! Sag ihnen, sie kommen alle ins Gefängnis!« Wieder lachte er, diesmal triumphierend.

»Meinen Sie diese Assistentin?«, fragte die Gestalt ruhig und griff in die Tasche, bevor sie etwas in der Größe einer Bowlingkugel in die Höhe hob.

Der Generalstaatsanwalt stieß einen spitzen Schrei aus, als er die blonden Haare daran erkannte. Er wich zurück, das Cognacglas fiel zu Boden und zersprang.

Im nächsten Augenblick ging der Staatsanwalt auf die Knie, sodass die Glassplitter auf den teuren Pitchpine-Dielen knirschten. »Ich war immer treu. Habe stets getan, was sie mir aufgegeben haben. Bitte!« Tränen liefen nun über sein Gesicht.

»Wenn Sie immer treu waren, kennen Sie auch den Ursprung der Legende der Akoimeten?«, fragte die dunkle Gestalt, während sie die Tasche behutsam neben sich abstellte.

Statt einer Antwort erklang nur ein lautes Schluchzen.

»Erinnern Sie sich, wofür unsere Vorfahren berühmt waren?«

Der Generalstaatsanwalt hob den Kopf und betrachtete den frühmorgendlichen Eindringling. In sein Gesicht trat ein Ausdruck von Hoffnung. »Barmherzigkeit?«

»Ruhelosigkeit. Und wissen Sie, wie die schlaflosen Mönche es geschafft haben, dabei nicht verrückt zu werden?«

Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf. Nun begann er wieder, leise zu schluchzen.

»Sie sangen das Gloria in excelsis. Rund um die Uhr. Fünfhundert Mal in vierundzwanzig Stunden. Ununterbrochen. Aber es war nicht der Gesang, der sie vor dem Wahnsinn bewahrte.«

»Was? Was hat das mit mir zu tun?«

»Es war Gottesfurcht. Furcht diszipliniert. Das wissen Sie als Staatsanwalt doch nur allzu gut.«

Im schwachen Licht, das die Stehlampe spendete, zeichneten sich unter seiner aschfahlen Haut die Konturen des Schädelknochens ab. »Ich fürchte mich!«, flüsterte er mit brüchiger Stimme. »Und das schon seit langer Zeit.«

Die Gestalt griff unter ihren Mantel, und im nächsten Moment hielt sie ein Messer mit langer Klinge in der Hand. »Es geht nicht mehr darum, ob Sie sich fürchten oder nicht. Es geht darum, ob die anderen sich fürchten.«

Aus seinem Blick sprach Unverständnis. »Die anderen?«

»Wenn sie von Ihrem Tod erfahren. Und erfahren, wie sehr Sie dabei gelitten haben.«

4

New York

»Schön, dass Sie auch noch zu uns stoßen, Mr.Berger!«

David dirigierte die Mutter mit ihren drei Kindern auf die leeren Stühle neben sich. »Verzeihen Sie, aber ich bin im Verkehr stecken geblieben.« Das Hemd klebte ihm am Körper; die Strecke von der Subway-Station bis zum Gericht war er gerannt.

Der Vorsitzende Richter Levy musterte ihn über den Rand seiner Lesebrille hinweg. »Wie ich sehe, hatten Sie keine Zeit mehr, sich zu rasieren.«

David fuhr sich mit der Hand über die Stoppeln an Kinn und Wange. In der Tat hatte er es vergessen. Die Sache mit Sarahs nächtlichem Verschwinden hatte ihn am Morgen so sehr aus dem Takt gebracht, dass er nicht rechtzeitig losgekommen war. Fast eine ganze Stunde lang hatte er in der Küche gesessen und wie gelähmt vor sich hin gestarrt. Dann hatte er vergeblich versucht, Sarah auf ihrem Handy anzurufen, und stattdessen nur ihre Mailbox erreicht. Bei diesem Gedanken wanderte seine Hand in die Innentasche seines Anzugs und stellte den Ton seines Smartphones leise.

»Vielleicht sollte das Gericht der Beklagten lieber einen anderen Prozessbevollmächtigten zuordnen?«, schlug eine vertraute Stimme neben ihm vor.

Ein nicht ungeschickter Tiefschlag von Alex Bishop, dem Rechtsanwalt der Klägerin. Sein Zweitausend-Dollar-Anzug glänzte im Licht der LED-Strahler. Eine Hand hatte er lässig in der Hosentasche vergraben, die andere begleitete seine Worte wie der Taktstock eines Dirigenten. Gut aussehend, eloquent, arrogant. Das war genau der Eindruck, den Alexander Bishop hinterlassen wollte, wenn er irgendwo auftrat. Und dies gelang ihm auch heute wieder perfekt.

David wandte sich seiner Mandantin zu, die ihn mit flehendem Blick anschaute und kaum merklich den Kopf schüttelte. »Sir, meine Mandantin möchte den Rechtsbeistand nicht wechseln. Wir sind hervorragend präpariert und bereit zu beginnen.«

Der Richter schien einen Augenblick zu überlegen.

David ahnte, dass ihm nun eine der berühmten Belehrungen von Richter Levy zuteilwerden würde.

»Mr.Berger, ich finde es bemerkenswert, dass Ihre Kanzlei diese Pro-Bono-Mandate übernimmt und so auch die sozial Schwächsten in unserer Gesellschaft von der unbestrittenen Qualität Ihrer Kanzlei profitieren können. Aber ich verlange, dass Sie diese Arbeit genauso ernst nehmen wie die Vertretung Ihrer zahlenden Kundschaft. Daher frage ich mich, wären Sie heute auch zu spät zu dem Termin erschienen, wenn es hier nicht um eine Räumungsklage, sondern um eine Eine-Milliarde-Dollar-Klage eines Ihrer großartigen Mandanten gegangen wäre?«

David atmete tief durch. Die wahre Antwort hätte Ja gelautet. Ja, er wäre selbst dann zu spät gekommen, wenn hier einer ihrer Top-Mandanten verklagt gewesen wäre. Vielmehr wäre er dann gar nicht vor Gericht erschienen. Als angestellter Rechtsanwalt im zweiten Jahr hätte er bei einem derart großen Mandat überhaupt nicht in der ersten Reihe mitgewirkt. Vermutlich hätte er jedoch bis tief in die Nacht die Schriftsätze erstellt und die Plädoyers vorbereitet, mit denen sein Partner sich dann im Gerichtssaal hervorgetan hätte. Aber all das konnte er nicht zugeben, denn er wusste, dass der Richter und sein Seniorpartner jeden Mittwochnachmittag zusammen Poker spielten. Alles, was er hier sagte und tat, würde vom Richter, vermutlich mit deftigen Kommentaren versehen, direkt an seinen Boss weitergereicht werden.

»Ich habe verstanden, Sir«, sagte David stattdessen. »Ich verspreche, dass es nicht mehr vorkommt.« Aus dem Augenwinkel sah er ein siegessicheres Grinsen über Alex Bishops Gesicht huschen.

Leidtragende dieses Scharmützels war seine Mandantin, und das tat David mehr leid als alles andere. Er wandte sich nach rechts und legte mit einer beruhigenden Geste die Hand auf ihren Arm. »Alles wird gut«, flüsterte er ihr zu, was sie mit einem dankbaren Lächeln quittierte. Neben ihr saßen ihre drei Kinder. Der Kleinste spielte mit einem Spielzeugauto, die beiden älteren Mädchen schauten sich mit großen Augen im Gerichtssaal um.

»Ich möchte Ihr Gedankenspiel aber gern aufnehmen, Herr Vorsitzender«, setzte David an. »Wären wir alle hier überhaupt zusammengekommen, wenn meine Mandantin nicht, wie Sie gerade feststellten, sozial schwach und dazu auch noch schwarz wäre?« Zufrieden registrierte er die Sorgenfalten auf Alex Bishops Stirn.

»Gott schütze Sie!« Seine Mandantin drückte ihn an sich. In ihren Augen sah er Tränen.

»Nicht dafür«, sagte er und strich dem Jungen, der an ihrem Bein hing, über das Haar. »Sie waren im Recht.«

Die Frau presste die Lippen zusammen und schenkte ihm ein letztes Nicken, bevor sie ihre Kinder in Richtung Ausgang zog.

Während er der kleinen Familie hinterherschaute, spürte David, wie sich in seinem Hals ein Kloß bildete. Er zog sein Handy hervor. Keine Anrufe. Keine Nachricht von Sarah. Gerade wollte er ihre Nummer wählen, als ihm jemand von hinten einen kräftigen Schlag auf die Schulter gab.

»Glückwunsch!«, ertönte Alex Bishops Bass hinter ihm.

David drehte sich um und umarmte ihn herzlich. »Das war ganz schön mies von dir«, sagte er. »Dem Gericht vorzuschlagen, mich auszuwechseln.«

Alex grinste. »Ich wollte den Prozess gewinnen. Das ist ein wichtiger Mandant von uns. Der kann nur Profit machen, wenn die Immobilien leer stehen. Dafür müssen die Mieter raus.«

»Nicht heute«, sagte David und bemühte sich, ein triumphierendes Lächeln aufzusetzen.

Alex stutzte. »Was ist los, alles klar mit dir? Du bist noch nie zu spät zu einem Gerichtstermin erschienen.«

»Sarah hat mit mir Schluss gemacht«, entgegnete David und war erschrocken über den Klang der eigenen Worte. Es hatte so etwas Endgültiges. »Sie nennt es eine ›Pause‹ und will heute ausziehen.«

Alex setzte eine düstere Miene auf. Er war sein bester Freund, und er wusste, wie ernst es ihm mit Sarah gewesen war. »Das tut mir leid, Kumpel.« Erneut klopfte Alex ihm auf die Schulter, diesmal jedoch deutlich sanfter. »Was kann ich für dich tun? Wollen wir zusammen einen Kaffee trinken gehen, und du erzählst mir alles in Ruhe?«

David schaute auf sein Handy. »Ich muss zurück ins Büro. White wartet bestimmt schon mit irgendeiner neuen Sache auf mich.«

»Immer im Stress«, entgegnete Alex.

»Das ist der Deal mit der großen Kanzlei. Sie schütten mich mit Geld zu, und ich verkaufe ihnen dafür meine …«

»Seele«, fiel Alex ihm ins Wort.

»Zeit«, verbesserte David. »Ich meinte Zeit.«

Alex stieß ein verächtliches Lachen aus. »Das ist nicht viel besser. Zeit ist das Wertvollste, das wir haben.«

David seufzte. »Das ist wohl auch der Grund dafür, dass Sarah gegangen ist: dass ich keine Zeit für sie hatte.«

»Wie sieht es heute Abend aus? Um acht im Headley’s?«, fragte Alex.

David zuckte mit den Schultern. »Wenn in der Kanzlei nichts dazwischenkommt. Und wenn Sarah sich nicht heute doch noch mit mir treffen möchte.«

Alex deutete mit den Fingern einen Telefonhörer an. »Ruf mich an!«, sagte er und gab ihm zum Abschied einen weiteren freundschaftlichen Klaps.

Auf dem Weg nach draußen passierte David eine Traube von Reportern, die sich um einen Interviewpartner drängten, den David nicht erkennen konnte. Als einer der Tontechniker aus dem Getümmel heraustrat, konnte er dessen Ellenbogen nur knapp ausweichen, stieß dabei aber versehentlich mit einer der Gerichtsreporterinnen der New York Post zusammen, die er aus diversen Prozessen vom Sehen kannte.

»Was ist hier los?«, fragte er, während er sich versicherte, dass sie okay war.

»Es gibt Gerüchte, dass soeben Generalstaatsanwalt Dillingers Leiche in seinem Haus gefunden wurde.«

»Seine Leiche?« Jeder in New York kannte den Generalstaatsanwalt Dillinger. Von nicht wenigen wurde er als nächster Gouverneur gehandelt. »Er war noch gar nicht so alt«, stellte David fest.

»Man sagt, er sei keines natürlichen Todes gestorben«, antwortete die Gerichtsreporterin und setzte eine angewiderte Miene auf. »Es heißt, er ist ermordet worden.«

»Ermordet?« Dieses Gerücht erklärte den Aufmarsch der TV-Kameras im Gericht. Inmitten der Reporter glaubte David nun, den Sprecher der Staatsanwaltschaft zu erkennen.

»Alles ist noch ganz frisch. Die Polizei hält sich bedeckt. Meine Quelle hat berichtet, der Staatsanwalt sei übel zugerichtet gewesen. Angeblich hat man ihm sogar die Augenlider abgeschnitten.«

In diesem Moment summte Davids Handy. Rasch griff er danach und öffnete die Nachricht.

WO SIND SIE? P.W.

5

New York

Vorsichtig öffnete er die Tür zum WC. Als er Percy White sah, wollte er rasch wieder kehrtmachen, doch der hatte ihn bereits bemerkt.

»Scheint so, als kämen Sie heute überall zu spät, Mr.Berger.« Percy White stand im Unterhemd an einem der Waschbecken, in der Hand einen Rasierapparat. Sein Hemd und sein Jackett hingen an einem Haken, bei dem David sich schon immer gefragt hatte, wozu er diente.

Woher wusste Percy White, dass er heute Morgen zu spät im Gericht erschienen war? Richter Levy würde ihn kaum wegen einer solchen Lappalie angerufen haben. Aber vielleicht verhielten sich Richter auch nicht anders als normale Menschen. Ein kurzer SMS-Verkehr zwischen zwei alten Pokerfreunden.

Zögernd trat David an das Waschbecken neben White.

»Was ist los?«, fragte sein Chef mit einem spöttischen Lächeln. »Wollten Sie sich nur einen runterholen oder eine Linie Koks reinziehen?« Er brach in ein bronchiales Lachen aus, das in einem Hustenanfall endete. Als er sich beruhigt hatte, spuckte er ins Waschbecken.

David griff in die Plastiktüte und holte das Rasierset und die Dose Rasierschaum heraus, die er auf dem Weg ins Büro im Drugstore gekauft hatte. »Nur rasieren«, sagte er, während er seine Krawatte abband und sein Hemd aufknöpfte, um den Kragen so umzuschlagen, dass kein Schaum darauf landete.

»Sie sollten sich einen Elektrorasierer kaufen. Ist praktischer. Man kann sich wirklich überall rasieren. Auto, Flughafen, Flugzeug. Habe ich alles schon gemacht.«

David musterte White von unten nach oben. Seine Anzughose sah zerknittert aus, ein Haarbüschel stand waagerecht ab.

»Haben Sie im Büro übernachtet«, fragte er, während er einen Berg Rasierschaum in seine linke Hand sprühte.

»Der Sundberg-Deal. Wir waren erst mitten in der Nacht durch. Dann war ich noch mit den Mandanten vom US-Militär einen trinken. Die Jungs kommen nicht so oft an die Ostküste, und die können ordentlich was ab.« Wieder stimmte er sein bronchiales Lachen an.

Zu Whites Mandanten gehörten verschiedene Regierungsorganisationen, das wusste jeder in der Kanzlei. Mehr aber auch nicht, denn Percy Whites Büro und Akten waren streng abgeschirmt. Von Zeit zu Zeit, wenn White wieder an einer geheimen Sache arbeitete, bewachten Männer in schwarzen Anzügen mit Kopfhörern im Ohr sein Büro. Glaubte man den Sekretärinnen, gehörten sie zur CIA, NSA oder zu irgendeinem anderen Geheimdienst.

»Ich weiß nicht, wie viele Nächte ich schon im Büro geschlafen habe«, ergänzte er. Das Geräusch des Elektrorasierers erstarb, und David merkte, wie White ihn musterte. »Aber ich habe Sie heute Morgen hier vermisst. Hätte gut jemanden gebrauchen können, der die Unterlagen sortiert. Dann erfuhr ich, dass Sie wieder bei diesem schwachsinnigen Pro-Bono-Scheiß sind.«

David öffnete den Wasserhahn und spülte den Schaum von seiner Hand. »Sir, ich verstehe Ihren Unmut, und hätte man mir gesagt, dass Sie mich hier brauchen, hätte ich jemand anders zu dem Termin geschickt. Aber ich glaube nicht, dass das ein ›Scheiß‹ ist.« Im Augenwinkel sah er sein Spiegelbild. Mit dem Schaum im Gesicht schaute er ein wenig albern aus. Kein guter Moment, um sich gegen seinen Chef aufzulehnen. Aber was gesagt werden musste, musste gesagt werden. Vorsichtig drehte er den Kopf zu White, der ihn anstarrte, ohne etwas zu erwidern.

Mit einem Mal begann White, schallend zu lachen. »Sie sehen aus wie der Scheiß-Weihnachtsmann«, sagte er und schlug mit der Hand auf das Waschbecken. Während er sich nur langsam beruhigte, schüttelte er den Kopf und zeigte auf den Schaum in Davids Gesicht. »Aber nur, weil man wie der Weihnachtsmann aussieht, muss man noch lange keine Geschenke verteilen. Es ist mir, ehrlich gesagt, vollkommen egal, was Sie glauben oder nicht. Ich bin seit dreiunddreißig Jahren Rechtsanwalt und damit länger, als Sie auf dieser Welt sind. Was glauben Sie, wer all dieses hier bezahlt und wovon? Haben Sie sich schon einmal von dem Klo hier mit einem warmen Wasserstrahl die Eier massieren lassen? Zweitausend Dollar kostet allein so eine Schüssel. Das bezahlen nicht Ihre armen Penner und Junkies, denen Sie umsonst den faulen Arsch vor Gericht retten. Das zahlen die Mandanten, wegen denen wir hier nachts am Schreibtisch sitzen, bis die Streichhölzer brechen, mit denen wir unsere Augen offen halten!«

Whites Gesicht war bei diesen Worten gefährlich rot angelaufen, sodass David kurz um die Gesundheit seines Chefs fürchtete, bis diese Sorge von der Furcht um seine Karriere abgelöst wurde. Es war nicht gut, wenn man sich mit dem mächtigsten Seniorpartner der Kanzlei anlegte.

Der Rasierschaum fühlte sich kalt an. Die richtigen Worte, die nun hätten gesagt werden müssen, lagen ihm auf der Zunge. Der Hinweis darauf, wie wichtig es war, dass auch die Schwächsten der Gesellschaft gute Rechtsberatung erhielten. Dass Gerechtigkeit keine Frage des Geldes sein durfte. Dass er es satt war, reiche Kapitalisten noch reicher zu machen, nur, weil sie es sich leisten konnten, die überteuerten Honorare der besten Anwälte zu zahlen. Dass seine Freundin ihn gerade verlassen hatte, weil er zu viel Zeit im Büro verbrachte und zu wenig mit ihr. Und dass sie damit vollkommen recht hatte. Doch all das sagte er nicht. Obwohl er heute in der richtigen Laune dazu gewesen wäre.

»Würde man Ihnen einhundert Millionen zukommen lassen, Sie wären vermutlich so altruistisch und würden einen Großteil davon spenden, nicht?«, ließ White nicht locker.

»Das würde doch jeder«, entgegnete David. »Niemand allein benötigt so viel Geld.«

White fixierte ihn noch einen Moment, wie ein Kneipenschläger, der Ärger suchte. Dann entspannte er sich und griff nach seinem Hemd. »Ich weiß, euch jungen Leuten ist die Work-Life-Balance wichtig.« Er stieß ein bitteres Lachen aus, während er begann, das Hemd zuzuknöpfen. »Ich bin sicher, mein Vater kannte das Wort überhaupt nicht. Carrie Furnaces hieß die Eisenhütte, in der er gearbeitet hat. Am Monongahela River in Pittsburgh. Sein Posten war am Hochofen. Der lief vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche. Manchmal hat er zwei Schichten hintereinander gefahren. Und wissen Sie, wofür?« White fluchte, als er bemerkte, dass er falsch geknöpft hatte, und fing von vorn an. »Um seine Familie zu ernähren. Wir waren vier Kinder und hatten immer Hunger. Wussten Sie, dass die Arbeit am Hochofen sehr gefährlich ist? Sie verbrennen sich höchstens am Kaffee. Mein Vater stand einer Wand aus über zweitausend Grad heißem Eisen gegenüber. Und wussten Sie, dass Schichtarbeit das Sterberisiko erhöht? Mein alter Herr starb früh, aber nicht an Schlafmangel, sondern an einer Silikose. Besser bekannt als Staublunge. Und danach musste ich für unsere Familie sorgen, und ich war sechzehn. Und weil es in Pittsburgh nichts anderes gab als Stahl, arbeitete ich an diesem Hochofen. Bis irgendjemand entdeckte, dass ich besser Football spielen konnte, als Metall zu schmelzen. Und damit erhielt ich ein Stipendium für Harvard, und heute stehe ich hier.« Er griff in den Ärmel seines Anzug-Jacketts und beförderte eine knallrote Krawatte hervor, die er mit geübtem Griff band, während er sich im Spiegel betrachtete.

David spürte, wie der Rasierschaum auf seiner Wange langsam trocknete und zu jucken begann.

White hielt inne. »Was glauben Sie, was passiert wäre, wenn mein Vater damals auf seine Life-Work-Balance geachtet hätte?«

David zuckte mit den Schultern. Vielleicht würde er heute noch leben, dachte er. Könnte mit seinen Enkeln spielen, falls die Geschwister von Percy White Kinder bekommen hatten. Denn er war sich sicher, dass Percy keine hatte.

»Das ganze Work-Life-Balance-Modell krankt schon daran, dass das überhaupt keine Gegensätze sind«, fuhr White fort. »Dieser ganze Arbeiten-um-zu-leben- und Leben-um-zu-arbeiten-Mist. Wir sind nicht auf diesem Planeten, um PlayStation zu spielen, am Strand zu liegen oder ins Ballett zu gehen. Vielleicht um zu ficken, das ist okay, denn das ist Evolution. Aber wir sind hier, um für unsere Nahrung zu kämpfen, wie alle Tiere auch.«

Zufrieden musterte er seinen Krawattenknoten und griff nach dem Jackett, in das er mit einer geschmeidigen Bewegung hineinschlüpfte. »Was macht Ihr Vater, Mr.Berger? Ich bin mir sicher, er ist auch ein hart arbeitender Mensch. Oder ist er schon Rentner und verbringt seine Zeit auf einem Golfplatz in Florida?«

»Er ist tot«, entgegnete David.

»Das tut mir leid«, sagte White, ohne dass es so klang.

»Schon gut. Er starb, als ich noch ein Baby war.«

»Und Ihre Mutter?«

»Sie starb bei meiner Geburt.«

White schüttelte den Kopf. »Dann sind Sie ja doch nicht so ein verwöhnter Harvard-Milchbubi, wie ich dachte.«

David schaute auf den Einmal-Rasierer in seiner Hand. Die Klinge sah scharf genug aus, um damit jemanden ernsthaft zu verletzen. Im Knast bauten sie daraus tödliche Waffen, hatte er gelesen.

Ein herber Duft nach Moschus zog zu ihm herüber, als White sich mit beiden Händen Aftershave ins Gesicht rieb. Zufrieden betrachtete er sich im Spiegel, bevor er seine Utensilien in einer kleinen Kulturtasche verstaute und auf David zutrat.

»Heute ist Nachtschicht angesagt, mein Lieber«, sagte Percy White und klopfte ihm auf die Schulter, genau so, wie Alex es vorhin getan hatte. »Sagen Sie Ihrer Freundin Bescheid, wenn Sie eine haben, dass sie heute Abend nicht mit Ihnen zu rechnen braucht. Wir müssen zwar nicht an den Hochofen, aber ich habe eine Sache, die ist noch heißer.« Mit diesen Worten öffnete er die Tür und deutete auf eine der Toilettenkabinen. »Und wenn Sie das Klo mit dem Wasserstrahl tatsächlich noch nicht ausprobiert haben, wird es Zeit. Ist gut für die Work-Life-Balance!« Mit diesen Worten verschwand White aus dem WC.

David drehte sich zum Spiegel und betrachtete sein Gesicht, in dem die dunklen Bartstoppeln durch den getrockneten Schaum schimmerten. Er hätte viel zu entgegnen gehabt. Aber nicht heute.

Er setzte den Rasierer über dem Mund an und zog eine erste Bahn, wobei er abrutschte und sich tief in die Lippe schnitt. Sofort sickerte Blut hervor und färbte den weißen Schaum rot. Fluchend riss David ein Papierhandtuch aus dem Spender, um es abzutupfen. Der metallische Geschmack von Blut bescherte ihm ein ungutes Gefühl. Nicht, weil er den Geschmack unangenehm fand. Sondern weil er ihn mochte.

6

New York

Den Tag über geschahen im Wesentlichen drei Dinge: Am Vormittag arbeitete er mehrere Akten weg. Langweilige, abstrakte Fälle, bei denen es galt, Vertragswerke aufzusetzen oder Präzedenzfälle zu recherchieren. Percy White tauchte nicht mehr auf, und auf Nachfrage bei dessen Assistentin hieß es, David solle sich am Abend ab neun Uhr bereithalten.

David ertappte sich dabei, wie seine Gedanken immer wieder zu Sarah abglitten. Er hatte mehrmals versucht, sie anzurufen, doch selbst, wenn ein Freizeichen ertönte, beantwortete sie seinen Anruf nicht. Ebenso wenig wie seine zahlreichen Nachrichten, die anfänglich noch schuldbewusst daherkamen, dann verletzt ärgerlich und schließlich anklagend wütend. Dass Sarah auszog, war das eine. Dass sie sich weigerte, mit ihm zu sprechen, das andere. Er war der Auffassung, dass er mit Worten überzeugen konnte, ein Grund dafür, dass er Anwalt geworden war. Und wenn Sarah sich weigerte, mit ihm zu reden, dann nahm sie ihm die Gelegenheit, sie davon zu überzeugen, nicht zu gehen. Als er die Anzahl der Nachrichten überschritten hatte, die zu senden noch vertretbar war, ohne seine Würde zu verlieren, geschah etwas, das es seit langer Zeit nicht gegeben hatte: Er rauchte eine Zigarette. Eigentlich rauchte er schon seit Jahren nicht mehr, hatte es auch Sarah zuliebe aufgegeben. Doch heute war der Wunsch nach einer Zigarette irgendwann so übermächtig geworden, dass er auf dem Weg zur Kaffeemaschine mehrmals wie zufällig an dem Balkon vorbeigeschlendert war, auf dem die wenigen Raucher der Kanzlei ihrem lebensgefährlichen Laster frönten. Schließlich hatte David sich eine Zigarette geschnorrt. Sie schmeckte weniger grandios, als er es in Erinnerung hatte, aber gut genug, um dafür zu sorgen, dass er am Nachmittag eine zweite folgen ließ, begleitet von dem festen Vorsatz, dass am Abend wieder Schluss war mit dem Rauchen. Doch so sehr ihn der Wunsch, es für Sarah zu tun, damals zum Aufhören angetrieben hatte, so sehr trieb ihn ihr Verhalten heute dazu, wieder damit anzufangen.

Nach einem unbefriedigenden Mittagessen kam es zu dem zweiten Ereignis des Tages: War das Rauchen schon ein Fehler gewesen, so war das, was er am Nachmittag tat, schlimmer. Es war eine riesige Dummheit und besiegelte die Trennung von Sarah vermutlich endgültig. Dabei hatte er die Beziehung retten wollen, und dies mit aller Macht. Er hatte das Büro verlassen, ohne sich abzumelden, und war nach Hause gefahren, in der Hoffnung, Sarah dort anzutreffen. Sie hatte in ihrem Abschiedsbrief geschrieben, dass sie den Tag nutzen wolle, um ihre Sachen zu packen, und er hatte gehofft, dass sie damit noch nicht fertig war. Auf dem Weg hatte er einen Strauß Rosen gekauft. Ihm war auf der kurzen Fahrt mit der Subway nichts anderes eingefallen, doch er wusste, dass Sarah Blumen liebte. Vielleicht brauchte er auch nur etwas, an dem er sich festhalten konnte, wenn er ihr gegenübertrat. Dazu hatte er sich ein paar Sätze zurechtgelegt. Sätze so voller Pathetik, dass er sie in jedem Buch, das er las, übersprungen hätte. Aber sie entsprachen seinen Gefühlen. Jetzt, da sie plötzlich nicht mehr bei ihm war, wurde ihm umso deutlicher bewusst, wie sehr er sie brauchte und dass er ohne sie nicht leben wollte. Und als ihm dies klar wurde, als er den Block erreichte, in dem sie lebten, da stieg Angst in ihm auf. Angst, dass sie es ernst meinte und er nun tatsächlich den Rest seines Lebens ohne sie weiterleben sollte. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie sehr er sie liebte, und danach lief alles schief. Er stürmte das Treppenhaus hinauf, aufgeputscht von der Zuneigung, die er spürte, den Kopf voller kitschiger Liebesschwüre, und dann traf er in der Tür zu ihrem Apartment nicht auf Sarah, sondern auf ihn.

Einen gut aussehenden Typen in engem T-Shirt, aus dessen Ärmeln zwei kräftig trainierte Oberarme ragten. Er war einen guten Kopf größer als David und trug gerade einen ihrer Umzugskartons. Dafür hatte er sich keine Worte zurechtgelegt, und es fielen ihm auch keine hilfreichen ein.

Was machst du hier? Bist du ihr neuer Freund? Wo ist Sarah? Traut sie sich nicht selbst hierher? Richte ihr aus, wir sind fertig! Raus aus meiner Wohnung! Halt du dich da raus!

Als der Kerl sein Apartment nicht verlassen wollte, endete es zwischen ihnen beiden mit einem handfesten Streit, bis die Nachbarin, eine ältere Italienerin, die Tür öffnete und ankündigte, die Polizei zu rufen, wenn nicht augenblicklich Ruhe sei.

Dritter Tagesordnungspunkt war der Lichtblick des Tages, das Treffen mit Alex im Headley’s, einer kleinen Bar, deren größte Stärke die Lage war: direkt neben seiner Kanzlei. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass David oft bis in die Nacht hinein arbeiten musste, hatten Alex und er es sich zur Gewohnheit gemacht, sich regelmäßig auf einen einzigen Drink in der Bar zu treffen, für ihn quasi als kleine Pause am Abend.

Heute war die Bar überfüllt. Auf mehreren Bildschirmen lief ein Football-Livespiel, an dem eine der beiden New Yorker Mannschaften beteiligt war. David machte sich nicht viel aus Football, seine Sportart war Baseball.

»Sie hat einen anderen«, stellte er fest und nahm einen kräftigen Schluck vom Whiskey, der bereits sein zweiter war.

»Das weißt du nicht«, entgegnete Alex. »Vielleicht ist er nur ein Freund, der ihr beim Tragen geholfen hat.«

»Ein Freund, von dem ich nichts weiß?« David lachte kurz auf. »Ich bin so ein Idiot! Während ich im Büro sitze und mir den Arsch abarbeite, geht sie fremd.«

»Hör auf!« Alex klang beinahe verärgert. David wusste, dass er Sarah mochte. Nicht auf eine Art, die ihm Sorgen bereiten musste. Sondern auf durch und durch loyale Weise, wie man die zukünftige Frau seines besten Freundes respektierte.

»Ich hasse sie!«, murmelte David und wusste genauso gut wie Alex, dass das nicht stimmte.

»Gib der Sache Zeit«, sagte Alex, und beide schwiegen und nippten an ihrem Drink.

»Wie läuft’s im Büro«, versuchte Alex schließlich, das Thema zu wechseln.

Plötzlich fiel David das abendliche Meeting mit White ein. »Wie spät ist es?«, entfuhr es ihm, während er prüfte, wie betrunken er schon war.

»Viertel vor neun«, entgegnete Alex nach einem Blick auf seine Rolex-Uhr. Was für andere Angeberei gewesen wäre, war für ihn normal: Sein Vater hatte ihm die Uhr schon geschenkt, als er zwölf geworden war.

»Ich muss mich gleich mit White treffen. Irgendein neues Projekt.«

»Jetzt noch?«, stellte Alex nicht frei von Spott fest.

»Er meinte, wir müssten heute eine Nachtschicht einlegen.« Bei dem Gedanken, nun noch arbeiten zu müssen, graute es David.

»Ich lobe mir mein Bett.« Alex gähnte.

David musste nicht gähnen. Er gähnte nie. Das war Sarah irgendwann einmal aufgefallen, und seitdem hatte David es als eine seiner besonderen Eigenarten abgespeichert. So wie andere ständig Schluckauf bekamen oder mit den Fingern knacken konnten.

»Ich weiß nicht, wie ich es durchstehen soll«, sagte David. Er fühlte sich vom Hochprozentigen schon leicht benommen.

Vielleicht war der Alkohol der Grund dafür, dass er an diesem Tag noch einen weiteren Fehler beging.

»Nimm eine von denen.« Alex schob einen Blister Tabletten über den Tresen.

David zog instinktiv den Kopf zurück. »Drogen?«

Alex grinste. »Quatsch! Ich weiß, wie schwer es dir gefallen ist, mit dem Rauchen aufzuhören.«

David schwieg, spürte jedoch, wie sein schlechtes Gewissen sich meldete.

»Nichts Illegales«, sagte Alex nur, um sich gleich zu korrigieren: »Oder vielleicht doch ein wenig illegal, denn ich verletze damit meine anwaltliche Schweigepflicht. Muss unter uns bleiben, dass ich dir das gebe.« Er schaute sich verschwörerisch um.

Männer in Anzügen und überwiegend junge Frauen in schicken Kostümen drängten sich an der Bar. Allen sah man an, dass sie direkt aus dem Büro hierhergekommen waren. Niemand schien sich besonders für sie zu interessieren, geschweige denn für das, was Alex ihm da anbot. Auch aus seiner Kanzlei war niemand hier.

»Was ist das nun für ein Zeug?«, fragte David.

Alex drehte den Blister um. Auf dem Alupapier, hinter dem sich die einzelnen Tablettenkammern verbargen, war ein Logo aufgedruckt: Stay tuned!, stand dort.

»Stay tuned?«

»Das Gegenteil von Schlaftabletten. Ein Wachmacher. Ich soll für einen Mandanten das Logo schützen, und er hat mir dafür diesen Blister überlassen. Das Mittel ist noch nicht zugelassen, daher kann man das noch nicht kaufen. Aber es soll wachhalten. Viel besser als Koffein oder Energydrinks. Soll angeblich problemlos einen ganzen Tag wirken. Ich habe es noch nicht ausprobiert, wegen meines Bluthochdrucks. Aber ich bin gespannt, wie es wirkt.«

David drehte die Blisterpackung skeptisch in der Hand. »Bestimmt nicht gerade gesund.«

»Die haben alle Produkttests und Genehmigungsverfahren bestanden. Die Zulassung ist nur noch Formsache, und dann wird das Zeug die Welt erobern.« Alex deutete auf die Leute um sie herum. »Stell dir vor, du kannst für eine Nacht den Schlaf ausknipsen. Doppelschichten, nächtliche Autofahrten, alles kein Problem mehr mit Stay tuned!« Er setzte ein Werbegesicht auf und grinste. »Wie gesagt, ich habe es selbst noch nicht ausprobiert, brauche meinen Schönheitsschlaf. Aber nimm du das gern mit. Du scheinst es dringender zu benötigen als ich. Mein Mandant will das nicht wiederhaben. Doch sag mir bitte unbedingt Bescheid, wie es gewirkt hat! Und zeig es nicht herum! Denk dran: ist noch geheim!« Alex setzte sein Whiskeyglas an und leerte es in einem Zug. Dann legte er ein Bündel Geldscheine auf den Tresen und griff nach seinem Mantel, der über seinem Schoß lag.

»Ist okay«, unterbrach er Davids Versuch, gegen die Einladung zu protestieren. »Hattest einen harten Tag. Dich auf meine Kosten besoffen zu machen ist das Mindeste, was ich tun kann. Und du hast mich heute Morgen besiegt, schon vergessen?«

Der Gerichtstermin kam David weit entfernt vor. Tatsächlich hatte er daran den Tag über nicht mehr gedacht.

»Vergiss deine Tabletten nicht«, sagte Alex und nahm die Blisterpackung vom Tresen. David zögerte kurz, dann griff er danach und steckte sie ein. So wie er White verstanden hatte, konnte er diese Nacht einen Wachmacher gut gebrauchen.

7

Bedminster, New Jersey

»Sir?«

Der Angesprochene nahm einen der kleinen Bälle, trat einen Schritt vor und warf ihn mit aller Kraft ins Gras, wodurch der Ball neongrün zu fluoreszieren begann. Er bückte sich und teete ihn auf. Dann trat er zurück und machte zwei Probeschwünge.

»Ich konnte Sie von Weitem kaum erkennen, Mr.Schwarzenberg.« Am klaren Nachthimmel stand der Vollmond und tauchte den Golfplatz in bläuliches Licht. Insgesamt fünf Schatten standen um den Damenabschlag am ersten Loch herum.

»Arthur, Sie sollen mich doch nicht beim Golfen stören!« Vlad Schwarzenberg setzte den Schläger hinter den Ball, holte aus und schwang durch, woraufhin der Golfball, begleitet von einem Zischen, als kleiner leuchtender Punkt in die Dunkelheit vor ihnen entschwand. Schwarzenberg trug typische Golfer-Kleidung, war sehr großgewachsen und hager.

»Guter Schlag, Vlad!«, lobte einer der Anwesenden und trat aus der Traube der Schatten heraus, um seinerseits einen Ball auf den Boden zu werfen, der durch den Fall sofort zu leuchten begann.

»Ungewohnt ohne Hölzer«, sagte Vlad Schwarzenberg auf dem Abschlag, während er vergeblich sein Tee suchte. »Dafür ist der Platz vollkommen leer.« Dann wandte er sich dem ungebetenen Gast zu. »Also, was führt Sie mitten in der Nacht hierher, Arthur?«

»Sie ist ausgezogen, Sir, aber sie macht Probleme.«

»Probleme?«

»Ja, Sir. Sie ist … widerspenstig.«

Ein lautes Lachen hallte über den Golfplatz. »Von wem sie das wohl hat?!«, bemerkte eine Stimme neben ihnen.

»Sie wird sich schon wieder beruhigen. Sorgen Sie dafür, dass sie dort bleibt, wo sie ist, und keine Dummheiten macht, bis wir uns um Berger gekümmert haben. Aber behandeln Sie sie gut.«

»Ist schon veranlasst, Sir. Joshua hat heute ihre Sachen aus der Wohnung geholt und ist dabei beinahe in eine Prügelei mit diesem Berger geraten.«

Schwarzenberg spuckte verächtlich auf den Boden. »Er ist ein Hitzkopf, dieser Bastard! Genau wie sein Vater!«

»Das ist, was mir Sorgen bereitet, Sir. Was, wenn unser Plan nicht funktioniert? Wenn Berger anders handelt, als wir es erwarten?«

»Der Sandmann wird es schon richten.«

»Sir, und wenn David Berger nicht darauf anspringt?«

»Glauben Sie mir, das wird er. Waisen saugen Nachrichten ihrer Eltern auf wie Muttermilch …«

»Und wenn er keinen Erfolg hat? Es nicht findet?«

»Früher oder später wird der Sandmann es ohnehin beenden müssen, ob Berger Erfolg hat oder nicht. Arthur, wir können ihn nicht am Leben lassen!«

»Nur, weil er der Sohn von Karel Berger ist?«

»Das können wir nicht übersehen, auch wenn es bedauernswert ist! Als damals das Todesurteil über Karel gefällt wurde, war auch das Schicksal seines Sohnes bereits besiegelt!« Er drehte sich um, als wieder ein Ball in den Nachthimmel zischte, dem jemand laute Verwünschungen hinterherrief. »Der ist im Wasser, Larry!«, stellte Schwarzenberg fest, bevor er einen Schritt näher an Arthur herantrat. »Sie sind noch nicht so lange bei uns. Aber glauben Sie mir, Arthur: Wir haben schon einige Krisen überstanden. Das, was uns durch Karel Berger drohte, war die größte in drei Jahrhunderten. Beinahe hätten wir alles verloren, und die Gefahr ist noch nicht gebannt!« Schwarzenberg hob den Golfschläger in die Höhe. »Schauen Sie, ein Eisen. Ich schlage auf einem Par fünf niemals mit einem Eisen ab, aber heute Nacht ja. Und wo stehen wir jetzt gerade? Ich schlage normalerweise auch niemals vom Damenabschlag ab. Doch das Nachtgolf hat eben seine eigenen Regeln. Und wissen Sie, warum?«

»Weil die Nacht ihre eigenen Gefahren hat«, antwortete Arthur.

»Und ihre eigenen Regeln. Die Nacht hat ihre eigenen Regeln. Wir sind Geschöpfe der Nacht, und wir dürfen kein Risiko eingehen, verstanden?« Er verharrte, bis Arthur zustimmend nickte.

»Hervorragend. Sagen Sie das dem Sandmann. Er soll bei David Berger kein Risiko eingehen. Sobald der Sandmann das Gefühl hat, dass wir nicht weiterkommen oder dass Berger irgendwie zur Gefahr wird, soll er es beenden. Aber diesmal sollte es wie ein Unfall aussehen. Nach der Sache mit dem Generalstaatsanwalt können wir uns nicht erlauben, noch mehr Staub aufzuwirbeln. Dort hat der Sandmann etwas übertrieben …«

Arthur schreckte zusammen, als von der Seite plötzlich ein Golfcart heranfuhr, in das sein Gegenüber einstieg.

»Ich möchte über alles informiert werden. Und was machen die Vorbereitungen für den großen Festball, Arthur?«

»Alles bereit, Sir. Wie jedes Jahr. Krumau freut sich auf seine Gäste.«

»Ich verlasse mich auf Sie! Und halten Sie sich auf dem Weg zum Klubhaus von den Seen fern!«

Drei Golfcarts setzten sich in Bewegung und verschwanden in der Dunkelheit, bis Arthur allein am Abschlag zurückblieb.

Er zog sein Smartphone hervor und wählte eine Nummer. »Habe ich dich geweckt?« Er lachte glucksend, ohne die Antwort abzuwarten. »War nur ein Scherz.«

8

New York

Mit einem Drink hatte die Beziehung zu Sarah begonnen, und nun endete sie so. Während David sich auf dem Weg ins Büro in einem Deli eine Packung Zigaretten und Pfefferminzpastillen gekauft hatte, damit White nicht sofort bemerkte, dass er nicht ganz nüchtern war, erinnerte er sich an seine erste Begegnung mit Sarah.

Es war vor fast fünf Jahren gewesen, auf einer Party in Boston. Sarah hatte ihm versehentlich einen Cocktail über das T-Shirt geschüttet. Und während sie beide auf dem Dach saßen, er mit freiem Oberkörper, weil sein T-Shirt über einem Deckchair trocknete, hatten sie die vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen festgestellt: Auch sie war ohne Vater aufgewachsen, er sogar ohne beide Elternteile. Sie hassten beide Weihnachten, weil Weihnachten ein Familienfest war und sie keine Familie hatten. Dafür liebten sie das Reisen. Es stellte sich heraus, dass sie beide schon in denselben Hostels in Sri Lanka und Thailand gewohnt hatten, nur mit einem Jahr Abstand. Und sie wollten beide später zwei Kinder haben; nur über das Geschlecht hatten sie sich an jenem Abend nicht einigen können. Dennoch waren sie in den darauffolgenden Tagen zusammengekommen und in Rekordzeit von nur wenigen Wochen auch zusammengezogen. Seitdem gehörten sie zusammen, und er hatte nicht damit gerechnet, dass sich dies bis zu seinem Lebensende noch ändern würde.

»Schon wieder zu spät«, begrüßte White ihn streitlustig, und David war überrascht, als er die anderen sah. White und er waren nicht etwa allein. Außer ihm waren noch fünf weitere angestellte Anwälte im Konferenzraum versammelt. An der Stirnseite des Raumes standen nebeneinander gut einhundert Aktenordner, alle im selben Design.

Vor dem Konferenzraum und auf dem Flur waren ihm mehrere Security-Mitarbeiter begegnet, denen gegenüber er sich als Anwalt von McCourtny, Coleman & Pratt hatte ausweisen müssen. Ein Vorgang, an den man sich in diesem Stockwerk bereits gewöhnt hatte, da Percy Whites Arbeit regelmäßig die nationale Sicherheit betraf. David nahm mit einem gemurmelten »Entschuldigung« auf einem der freien Stühle Platz.

»Wie ich gerade sagte, ist dieser Konferenzraum ab sofort ein Datenraum. Wir haben bis morgen früh um acht Uhr Gelegenheit, diese Ordner hier durchzuschauen und die Laus im Pelz zu finden. Oder die Läuse. Wenn wir keine finden, wird unser Mandant morgen um neun Uhr ein Gebot für das Unternehmen abgeben. Insofern hängt nun alles an Ihnen, meine Damen und Herren.«

Percy White wartete auf die Wirkung seiner Worte. »Sie nehmen sich jeweils die Ordner, die in Ihr Rechtsgebiet fallen. Bitte diktieren Sie Ihre Kommentare, damit wir hinterher einen Bericht schreiben können. Die Diktiergeräte liegen dort vorne bereit. Keines der Geräte verlässt den Raum. Ich sammle sie nachher ein und werde dafür sorgen, dass Ihr Diktat geschrieben wird. Sollten Sie allerdings auf etwas stoßen, rufen Sie mich und teilen es mir sofort mit. Bis morgen früh verlässt niemand diesen Raum, es sei denn, Sie müssen auf Toilette oder Sie sterben. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass unser Mandant auf einer Leibesvisitation besteht. Dafür stehen am Ausgang jeweils ein Mann und eine Frau zur Verfügung.«

Wieder pausierte er und beobachtete die versammelten Anwälte über seine Lesebrille hinweg. »Noch Fragen? Ach ja, und Sie legen alle Ihr Handy in diese Tüte hier.« White griff nach einem schwarzen Beutel, der merkwürdig silbrig glänzte, und ließ ihn herumgehen. David vermutete, dass er mit irgendeiner Abschirmfolie beschichtet war.

David hob den Arm. Er spürte, wie ihn schon jetzt die Müdigkeit überkam. »Warum so kurzfristig?«, fragte er.

An einer Due Diligence hatte er schon oft teilgenommen. Dabei stellte ein Unternehmen, das verkauft werden sollte, den potenziellen Kaufinteressenten seine gesamten Firmenunterlagen und somit auch Geheimnisse zur Verfügung, damit der Erwerber das Unternehmen auf Herz und Nieren prüfen konnte. Normalerweise geschah dies aber nicht in einer Nacht- und Nebelaktion wie hier, und normalerweise ging dies deutlich entspannter vonstatten.