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Seit 2008 gibt es den Rechtsanspruch des Persönlichen Budgets, der Menschen mit Behinderungen anstelle der traditionellen Sach- oder Dienstleistung als Teilhabeleistung eine Geldzuwendung gewährt. Menschen mit Behinderungen können so selbst entscheiden, wann und in welchem Umfang sie welche Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen. Allerdings gibt es zwischen dem politischen Willen, der Theorie und der Umsetzung in die Praxis noch immer eine erhebliche Diskrepanz. Das Buch gibt einen Überblick über die Chancen und Potenziale, analysiert aber auch Hindernisse und Risiken bei der Umsetzung des Persönlichen Budgets. Deutlich wird, dass Leistungsberechtigte, Fachkräfte, Leistungsträger und Dienstleister zusammenwirken müssen, damit das Persönliche Budget wirklich zum Mittel der geforderten Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen wird.
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Seitenzahl: 271
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1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-023430-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-023917-3
epub: ISBN 978-3-17-025946-1
mobi: ISBN 978-3-17-025947-8
Neue Handlungsweisen für neue Paradigmen
Anke S. Kampmeier, Stefanie Kraehmer und Stefan Schmidt
Teil I: Bestandsaufnahme und Situationsbeschreibung
1 Implementierung des Persönlichen Budgets (ImPeBu) – Unterstützung der Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Menschen
Anke S. Kampmeier, Stefanie Kraehmer und Stefan Schmidt
1.1 Das Forschungsprojekt: Implementierung des Persönlichen Budgets (ImPeBu)
1.2 Ziele des Vorhabens
1.3 Stand der Forschung
1.4 Methodisches Vorgehen
1.5 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
1.6 Diskussion der Ergebnisse
1.7 Ausblick
Literatur
2 Erbringung von Sozialleistungen durch Persönliches Budget
Felix Welti
2.1 Anspruch auf Persönliches Budget
2.2 Geltungsbereich
2.3 Bedarfsfeststellung, Bemessung des Budgets
2.4 Verfahren
2.5 Zielvereinbarung
Literatur
3 Die Bedeutung des Persönlichen Budgets aus Sicht des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Martina Krüger
4 Das Persönliche Budget aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes
Christof Lawall
4.1 Struktur und Aufgaben des GKV-Spitzenverbandes
4.2 Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
4.3 Rechtsgrundlagen des Persönlichen Budgets
4.4 Budgetfähige Leistungen der GKV
4.5 Dokumentation von Budgetfällen durch die GKV
4.6 Ergebnisse der Dokumentation
4.7 Risikofaktoren
4.8 Erfolgsfaktoren
4.9 Fazit
Teil II: Umsetzung des Persönlichen Budgets – zu den Chancen und Risiken
5 Persönliches Budget in Anspruch nehmen – »Das kann ich nicht!« Selbstbestimmung, Empowerment und Handlungskompetenz als Voraussetzung
Anke S. Kampmeier
5.1 Einleitung
5.2 Teilhabe statt Fürsorge
5.3 Empowerment und Selbstbestimmung
5.4 Handlungskompetenz
5.5 Konklusion
Literatur
6 Das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung – eine Herausforderung für das öffentliche Management
Stefanie Kraehmer
6.1 Potenziale und Ziele des Persönlichen Budgets
6.2 Fehlende Motivationen und Anforderungen für die Veränderungsnotwendigkeiten der Institutionen zur Umsetzung des Persönlichen Budgets
6.3 Situationsbeschreibung der Etablierung der Persönlichen Budgets durch die Leistungsträger
6.4 Risiken bei der Umsetzung des Persönlichen Budgets
6.5 Potenziale für die Umsetzung des Persönlichen Budgets durch die Nutzung institutioneller Ressourcen in Mecklenburg-Vorpommern
6.6 Fazit
Literatur
7 Nachmachen erlaubt! Beispiele zur Umsetzung Persönlicher Budgets (in Mecklenburg-Vorpommern)
Stefan Schmidt
7.1 Jim Schumacher: »Die eigene Wohnung und endlich ein selbstbestimmtes Leben«
7.2 Harald Franken: »Meine Freizeit möchte ich selbst gestalten«
7.3 Maria Schuster: »Ich will nicht in ein Heim!«
7.4 Daniel Berg: »Ich wollte einfach selbst entscheiden und frei sein«
7.5 Gabriele Wagner: »Ganz einfach, weil ich die Hilfe brauchte«
Literatur
8 Realisierung des Persönlichen Budgets für Menschen mit Behinderungen mit Hilfe des Systemischen Case Managements
Anke S. Kampmeier
8.1 Einleitung
8.2 Die Folgen des Persönlichen Budgets in der Praxis
8.3 Irritationen
8.4 Neue Leitbilder erfordern ein neues Umgehen! Systemisches Case Management als Weg zur Realisierung des Persönlichen Budgets
8.5 Ausblick in die Zukunft der Rehabilitations- bzw. »Teilhabe«-Praxis
Literatur
9 Das Persönliche Budget – Geld für Selbstbestimmung und Teilhabe. Empfehlungen für Menschen mit Behinderungen, (sozial-) pädagogische Fachkräfte, Leistungsträger und Dienstleister
Anke S. Kampmeier, Stefan Schmidt und Stefanie Kraehmer
9.1 Einleitung
9.2 Geld für Selbstbestimmung und Teilhabe (Das Persönliche Budget) – Was ist das?
9.3 Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Geldleistung (des Persönlichen Budgets) für mögliche Geldleistungsnehmer/-innen
9.4 Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Persönlichen Budgets für (sozial-)pädagogische Fachkräfte als Unterstützer/-innen für mögliche Budgetnehmer/-innen
9.5 Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Persönlichen Budgets für Leistungsträger
9.6 Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Persönlichen Budgets für Dienstleister
9.7 Handlungsempfehlungen für (sozial-)pädagogische Fachkräfte, Leistungsträger und Dienstleister gemeinsam
10 Mach’s mit, mach’s nach, mach’s besser – Persönliche Budgets durch Qualifikation der Beteiligten gezielt umsetzen
Stefan Schmidt und Silvia Hasart
10.1 Übung macht den Meister!
Übung 1: »Dem Kind einen Namen geben«
Übung 2: »Des Budgetnehmers neue Kleider«
Übung 3: »Was für ein smarter Typ…«
Übung 4: »Das bisschen Haushalt…«
Übung 5: »Aber ich weiß es doch besser…«
Übung 6: »geradewegs und direkt…«
Übung 7: »Wie sag ich es am besten…?«
10.2 Stärkende Funktionen zur gezielten Umsetzung Persönlicher Budgets
10.3 Kompetenzen, die für die Umsetzung Persönlicher Budgets förderlich sind
Literatur
Autorinnen- und Autorenverzeichnis
Mit dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs des Persönlichen Budgets am 1. Januar 2008 wurde der Erfolg dieser neuen Leistungsform, die seit 2001 »getestet« wurde, öffentlich. Das Persönliche Budget hat sich in den 7 Jahren, in denen die Nutzung eine »Kann-Leistung« der Versicherungsgeber war, als eine wirksame Möglichkeit zur Gewährung der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen erwiesen und ist nunmehr eine Pflichtleistung geworden. Damit hat Deutschland zumindest formal die Grundlagen für den Anschluss an viele andere europäische Länder, wie z. B. die Niederlande, Großbritannien, Schweden, geschaffen. Die Gewährung von Selbstbestimmung und Teilhabe ist das zentrale Ziel des Sozialgesetzbuches IX »Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen«, das damit die Rechtsgrundlage für eine Forderung legt, die Menschen mit Behinderungen seit Jahrzehnten fordern: keine passiven Objekte der Fürsorge anderer zu sein, sondern aktive Subjekte ihrer eigenen Lebensgestaltung. Unter dem Fürsorgeparadigma der früheren Rehabilitationsgesetze vor 2001 – u. a. dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) – dominierte der Gedanke, dass es Rehabilitationsexperten/-innen für Menschen mit Behinderungen geben müsse, die ihnen den Weg zu einer gesellschaftlichen Teilhabe weisen und gestalten müssen. Dass betroffene Menschen diese Wege für sich selbst möglicherweise treffender, passgenauer und effektiver, sogar effizienter benennen, planen und aktiv gestalten können, gehörte nicht zu dem Verständnis der Sozialgesetzgebung behinderten Menschen gegenüber vor dem Jahrtausendwechsel.
Nach dem Jahrtausendwechsel hat sich dieses Bild von Menschen mit Behinderungen in der Sozialgesetzgebung verändert – zumindest expressis verbis: Teilhabe statt Fürsorge. Aus vielerlei Sicht ist diese Veränderung eine Verbesserung. Im Wesentlichen werden vier Bereiche berührt:
1. Teilhabe statt Fürsorge birgt Potential zur größeren Gleichberechtigung der Beteiligten in unserem Sozialhilfesystem, der Leistungsempfänger, Leistungsträger und Dienstleister; Rehabilitation und gesellschaftliche Teilhabe »auf Augenhöhe«.
2. Teilhabe statt Fürsorge birgt Potential zur aktiven Entscheidung und Gestaltung des Lebens und aller seiner Bereiche (Wohnen, Ausbildung, Arbeit, Freizeit usw.) durch die betroffenen Menschen.
3. Teilhabe statt Fürsorge birgt Potential, Hilfen nach den individuellen Bedürfnissen und Bedarfen zu bekommen und Wahlmöglichkeiten zu haben.
4. Teilhabe statt Fürsorge birgt Potential zur passgenauen Unterstützung behinderter Menschen in ihrem Leben und damit zur effektiven und effizienten Verwendung der finanziellen Mittel für die Rehabilitation und Teilhabe.
Andererseits, oder besser ausgedrückt: gleichzeitig, birgt Teilhabe statt Fürsorge auch den Anspruch nach mehr Engagement der Menschen mit Behinderungen für ihre Beteiligung. Rehabilitation und Teilhabe »auf Augenhöhe« bedeutet Anstrengungen für die Durch- und Umsetzung eigener Wünsche und Vorstellungen. Es birgt auch den Anspruch auf Anerkennung und Flexibilität bei den Akteurinnen und Akteuren der Leistungsträger und Dienstleister. Für alle Beteiligten bedeuten Rehabilitation und Teilhabe »auf Augenhöhe« Anstrengungen für gleichberechtigte Verhandlungen und einvernehmliche Lösungen.
Viele Menschen mit Behinderungen, viele Akteurinnen und Akteure der Leistungsträger und viele Dienstleister haben sich seit 2001 auf den Weg gemacht, das Persönliche Budget als Möglichkeit zu nutzen, die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen zu gestalten. Sie haben die Chance ergriffen, sich auf Augenhöhe zu begeben und zu begegnen.
Viel mehr Menschen mit Behinderungen, viel mehr Akteurinnen und Akteure der Leistungsträger und Dienstleister haben sich jedoch nicht auf den Weg gemacht, das Persönliche Budget zu nutzen. Der Blick auf die gesamte bundesdeutsche Nutzung Persönlicher Budgets unter Beachtung der nunmehr 12-jährigen Laufzeit dieser Teilhabeleistung insgesamt und vierjährigen Laufzeit dieser Teilhabeleistung als Pflichtleistung muss konstatiert werden, dass das Antrags-, Bewilligungs- und Angebotsverhalten der beteiligten Akteurinnen und Akteure sehr verhalten ist.
Der Bundesregierung liegen derzeit zwar keine genauen Zahlen darüber vor, wie viele Persönliche Budgets in Deutschland beantragt bzw. genehmigt wurden. Allerdings zeigen die Zahlen und Berichte der einzelnen Bundesländer ein eher moderates Antragsverhalten leistungsberechtigter Menschen und ein noch moderateres Genehmigungsverhalten von Leistungsträgern. Auch die Dienstleister haben diese neue Möglichkeit der Dienstleistung (noch) nicht erkannt und/oder umgesetzt. In Mecklenburg-Vorpommern z. B. wurden im Jahr 2011 lediglich 172 Neu- bzw. Weiterbewilligungen durch Sozialämter der Landkreise und kreisfreien Städte seit 2008 gezählt. Durch die Unfallkassen Mecklenburg-Vorpommern erhöht sich die Zahl um weitere 16 (!) Neu- bzw. Weiterbewilligungen auf insgesamt 188 Persönliche Budgets für das gesamte Bundesland (vgl. hierzu den Beitrag von Martina Krüger in diesem Band). Dieser Zahl von 188 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die das Persönliche Budget nutzen, steht die Zahl von insgesamt ca. 153.567 schwerbehinderten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern1 gegenüber. Sicherlich sind nicht alle dieser schwerbehinderten Menschen anspruchsberechtigt im Sinne des SGB IX. Dennoch zeigt sich, dass das Antragsund Bewilligungsverhalten für das Persönliche Budget im Grunde sehr gering ist. Dieses Buch will die Diskrepanz zwischen der beschriebenen Chance des Persönlichen Budgets als Form der Teilhabe behinderter Menschen einerseits und seiner moderaten Umsetzung andererseits thematisieren. Auf die folgenden Fragen wurden Antworten gefunden:
1. Ist die seit Jahrzehnten von Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden geforderte Selbstbestimmung nur in der Theorie gültig und in der konkreten Praxis nicht umsetzbar? Bedarf es doch weiterhin der Fürsorge für Menschen mit Behinderungen? Ist der Wechsel der Paradigmen Teilhabe statt Fürsorge nur in der Theorie möglich und in der Praxis unmöglich?
2. Ist das Persönliche Budget vielleicht nicht das probate Mittel zu der geforderten Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen? Ermöglicht das Persönliche Budget keine Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe?
3. Ist weniger das Mittel, also das Persönliche Budget, problematisch, sondern vielmehr der Umgang der beteiligten Menschen damit? Ist es für die Praktiker/-innen schwierig, das Persönliche Budget anzuwenden? Ist der Informationsstand aller Beteiligten – Leistungsempfänger/-innen, Leistungsträger und Dienstleister – bezüglich des Persönlichen Budgets und seiner Anwendung zu gering? Können die Beteiligten mit dem Persönlichen Budget nicht sicher umgehen (es beantragen, es prüfen, es entscheiden, es verwalten)?
Die Fragen sprechen die verschiedenen Handlungsebenen an: 1. die Paradigmenoder Leitbildebene, 2. die Ebene der Methoden und Maßnahmen, 3. die Ebene der Akteurinnen und Akteure.
Sich diesen Fragen zu nähern, war das Ziel zweier Forschungsprojekte, die an der Hochschule Neubrandenburg von Januar 2009 bis Dezember 2010 durchgeführt wurden: »Das Persönliche Budget – Analyse und Veränderung der Dienstleistungspraxis« und »Implementierung des Persönlichen Budgets in Mecklenburg-Vorpommern«. In Folge dieser Forschungsprojekte entstand das vorliegende Buch. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Beschreibung der Entwicklung und der Umsetzung des Persönlichen Budgets von 2010/2011 auch noch 2014 aktuell ist.
Die Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die obigen Fragen der Paradigmenebene zu verneinen sind:
1. Nein, die seit Jahrzehnten von Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden geforderte Selbstbestimmung ist nicht nur in der Theorie gültig, sie ist durchaus in der konkreten Praxis umsetzbar. Nein, es bedarf nicht weiterhin der Fürsorge für Menschen mit Behinderungen. Nein, der Wechsel der Paradigmen Teilhabe statt Fürsorge ist nicht nur in der Theorie möglich, er ist auch in der Praxis möglich. Die Ergebnisse weisen auch darauf hin, dass die obigen Fragen der Methoden- und Maßnahmenebene ebenfalls zu verneinen sind.
2. Nein, das Persönliche Budget ist doch ein probates Mittel zu der geforderten Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen. Nein, das Persönliche Budget ermöglicht doch Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen. Vielmehr weisen die Ergebnisse eindeutig darauf hin, dass die obigen Fragen der Akteurinnen- und Akteursebene zu bestätigen sind.
3. Ja, es ist weniger das Mittel, also das Persönliche Budget, problematisch, sondern es ist vielmehr der Umgang der beteiligten Akteurinnen und Akteure mit dem Persönlichen Budget problematisch. Ja, es ist für die Praktiker/-innen schwierig, das Persönliche Budget anzuwenden. Ja, der Informationsstand aller Beteiligten – sowohl der Leistungsempfänger/-innen, Leistungsträger und Dienstleister – bezüglich des Persönlichen Budgets und seiner Anwendung ist vielerorts zu gering. Ja, die Beteiligten können mit dem Persönlichen Budget nicht sicher umgehen (es beantragen, es prüfen, es entscheiden, es verwalten). Insbesondere trägerübergreifende Budgets sind diesbezüglich eine erschwerende Herausforderung.
Die Ergebnisse der zwei Forschungsprojekte stützen Ergebnisse anderer empirischer Studien über das Persönliche Budget (u. a. Wacker u. a. 2005, Metzler u. a. 2007, Schäfers u. a. 2007). Die folgenden Interviewaussagen sollen die positiven Erfahrungen im Umgang mit dem Persönlichen Budget verdeutlichen:
»Das Persönliche Budget bedeutet für mich Teilhabe am Leben.«
»Durch das Persönliche Budget habe ich die Möglichkeit, in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben.«
»Durch das Persönliche Budget fühle ich mich aufgehoben und nicht in die Ecke gesetzt.« »Das Persönliche Budget hat dazu geführt, dass meine Lebensqualität um 100 % gestiegen ist.«
»Durch die Nutzung des Persönlichen Budget habe ich mehr Selbstbewusstsein bekommen.«
Aussagen derartigen Inhalts finden sich in den Interviewaussagen der Studie »Implementierung des Persönlichen Budgets in Mecklenburg-Vorpommern«. Sie sind charakteristisch für die Erfahrungen, von denen Budgetnehmer und Budgetnehmerinnen berichten. Sie wussten von der Möglichkeit des Persönlichen Budgets, sie haben es erfolgreich beantragt, sie verwalten das Persönliche Budget: sie gestalten ihr Leben mit Hilfe des Persönlichen Budgets und bewerten dieses als eine deutliche Bereicherung ihres Lebens.
Das heißt, das Paradigma der Selbstbestimmung und Teilhabe ist praktikabel (und positiv bewertet) (1.); die Methode für die Umsetzung diese Paradigmas ist geeignet (2.); die Akteurinnen und Akteure, also die Leistungsempfänger/-innen, die Leistungsträger und die Dienstleister, waren in diesen Fällen erfolgreich (3.).
Es scheint so zu sein, dass der Dreh- und Angelpunkt, gleichsam das Herzstück der gelingenden Umsetzung des Persönlichen Budgets bei den beteiligten Akteurinnen und Akteuren liegt. Dieses Ergebnis verwundert nicht: Natürlich kommt bei sozialen Veränderungen den einzelnen Menschen eine besondere Bedeutung zu. Diese haben darüber hinaus die Aufgabe, für neue Paradigmen und Methoden neue Handlungsweisen zu entwickeln.
Dieses Buch versteht sich als Beitrag für ein verbessertes Handeln aller Beteiligten. Es ist in zwei Teile gegliedert: In Teil I wird eine Bestandsaufnahme und Situationsbeschreibung gegeben. Mit dem Bericht des erwähnten Forschungsprojektes »Implementierung des Persönlichen Budgets in Mecklenburg-Vorpommern« präsentieren die Herausgeber/-innen eine Grundlage darüber, dass Persönliche Budgets wirken – die gute Nachricht – und dass das Persönliche Budget nur bedingt akzeptiert und vorangetrieben wird – die schlechte Nachricht (Kap. 1). Felix Welti erörtert die sozialrechtlichen Zusammenhänge des Persönlichen Budgets (Kap. 2). Martina Krüger stellt anschließend die Bedeutung des Persönlichen Budgets aus Sicht des Landes Mecklenburg-Vorpommern vor (Kap. 3). Abschließend skizziert Christof Lawall das Persönliche Budget aus Sicht des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen (Kap. 4).
Nach dieser differenzierten Bestandsaufnahme folgen in Teil II Beiträge zu der Umsetzung des Persönlichen Budgets, zu den Chancen und Risiken. Anke S. Kampmeier beschreibt Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets für die zukünftigen Budgetnehmer und -nehmerinnen. Selbstbestimmung und Empowerment führen zu Selbstbestimmung und Empowerment, sie sind Weg und Ziel zugleich (Kap. 5). Stefanie Kraehmer fokussiert die Perspektive des öffentlichen Managements und die Herausforderungen, der sich die Administration für die Realisierung des Persönlichen Budgets stellen muss (Kap. 6). Stefan Schmidt präsentiert reale Beispiele von Budgetnehmern/-innen und zeigt ein breites Spektrum für die Nutzung des Persönlichen Budgets auf (Kap. 7). Als probater Weg für die Unterstützung aller Beteiligten des Persönlichen Budgets und zur Implementierung der Leistungsform wird in Kap. 8 von Anke S. Kampmeier das Systemische Case Management aufgezeigt. Um die oben beschriebene Unterstützung für das neue Handeln ganz praktisch zu geben, werden von den drei Herausgebern/-innen dieses Buches Empfehlungen für Menschen mit Behinderungen, für (sozial-)pädagogische Fachkräfte, für Leistungsträger und für Dienstleister zusammengetragen (Kap. 9). Die Umsetzung des Persönlichen Budgets als Bildungsinhalt zu verstehen, ist die zentrale Aussage des Beitrags von Stefan Schmidt und Silvia Hasart. Sie geben ganz konkrete und in der Fortbildungspraxis bewährte Anregungen für die Fortbildung von Menschen mit Behinderungen, für Akteure/-innen der Leistungsträger sowie für Akteure/innen von Dienstleistungsunternehmen zur Unterstützung der Implementierung des Persönlichen Budgets (Kap. 10).
Als Conclusio werden deutliche Forderungen an alle Beteiligte des Prozesses formuliert: Menschen mit Behinderungen benötigen emanzipatorische Kompetenzen für die Selbstbestimmung, (sozial-)pädagogische Fachkräfte müssen auf diese Kompetenzentwicklung hinwirken (Empowerment)2. Standards und Routinen der Administration sind dem neuen Paradigma anzupassen, Verfahrenswege sind zu vereinheitlichen und gleichzeitig zu flexibilisieren. Dienstleister sind aufgefordert, ihre Angebote entsprechend den Wünschen und Bedarfen behinderter Menschen zu verändern. Alle Beteiligten sind aufgefordert, Fortbildungsangebote wahrzunehmen bzw. zu entwickeln.
1 Statistisches Bundesamt (2012): Statistik schwerbehinderter Menschen. Kurzbericht 2009. Wiesbaden. Destatis.
2 Natürlich sind auch Eltern an der Kompetenzentwicklung ihrer Kinder (mit Behinderungen) beteiligt. Diese Zielgruppe wird jedoch in dem vorliegenden Buch ausgespart.
Im Folgenden wird der Abschlussbericht der ImPeBu-Studie dargestellt. Dieses Kapitel versteht sich als Grundlage für die weiterführenden Beiträge und ist dadurch umfangreicher als die nachfolgenden Aufsätze. Die Ergebnisse der Studie, eine diskussionsreiche Abschlussveranstaltung Ende 2010 an der Hochschule Neubrandenburg und viele Gespräche mit Expertinnen und Experten haben uns in der Idee gestärkt, dieses Buch zu konzipieren und schließlich zu veröffentlichen. Dafür sei allen Ideengebern/-innen, Diskutanten/-innen und Unterstützern/-innen herzlich gedankt.
Die Studie – Zusammenfassung
In Zusammenarbeit mit dem Behindertenverband Neubrandenburg wurde in diesem vom Exzellenzförderprogramm des Landes Mecklenburg-Vorpommern1 geförderten Forschungsprojekt untersucht, auf welche fördernden und hemmenden Faktoren das Persönliche Budget bei Menschen mit Behinderungen, Leistungsträgern und Leistungsanbietern im Land stößt. Das Instrument des Persönlichen Budgets ist geeignet, die Selbstbestimmung behinderter Menschen und die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden und Elemente des fürsorgestaatlichen Umgangs mit behinderten Menschen abzubauen. Mit dem Persönlichen Budget wird das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen konkretisiert. Mit dem Persönlichen Budget als neuer Leistungsform können behinderte Menschen auf Antrag für Maßnahmen ihrer Rehabilitation oder gesellschaftlichen Teilhabe Geldleistungen oder Gutscheine erhalten anstelle von Dienst- und Sachleistungen. Damit wird ihnen ermöglicht, die erforderlichen Assistenzleistungen selbst zu organisieren und zu bezahlen und in eigener Sache zu handeln und zukünftig den »Einkauf« von Leistungen eigenverantwortlich und selbst bestimmt regeln zu können.
Seit dem 1. Januar 2008 haben Menschen mit Behinderungen einen Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget – einer Leistungsform, die eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft ermöglichen kann. Grundlage dafür regelt der § 17 Abs. 2 bis 6 SGB IX mit Konkretisierungen in den einzelnen Leistungsgesetzen sowie der Budgetverordnung.
Vorangegangene Begleitforschungen zur Erprobung des Persönlichen Budgets (Metzler et al. 2007) zeigen, dass das Persönliche Budget der Schritt in die richtige Richtung ist. Nutzer/-innen äußern sich mehrheitlich zufrieden mit dieser neuen Leistungsform. In der Praxis der Hilfe für Menschen mit Behinderungen zeigen sich jedoch auch hinderliche Umsetzungsfaktoren.
Ziel dieser Studie war es, förderliche und hinderliche Faktoren zur Umsetzung des Persönlichen Budgets zu ermitteln. Darauf aufbauend sollten Vorschläge entwickelt werden, wie die eruierten Barrieren abgebaut werden können und die Verbreitung von Persönlichen Budgets vorangetrieben werden kann (vgl. hierzu Kampmeier, Schmidt und Kraehmer in diesem Buch, Kap. 9).
Folgenden Forschungsleitfragen wurde in dieser Studie nachgegangen: Wie kann der Anspruch für die Umsetzung der vom Gesetzgeber vorgesehenen Möglichkeiten der Ausgestaltung des Gesetzes zum Persönlichen Budget realisiert werden und wie erfolgt der Transfer zwischen theoretischem Ansatz (Inklusion), Gesetzgebung und Umsetzung in die Praxis – konkret in Mecklenburg-Vorpommern?
Folgende Kernaussagen lassen sich aus den Ergebnissen der Untersuchung zusammenfassen:
• Häufig bestehen zum Persönlichen Budget Wissensdefizite, da bisher kaum Schulungen wie Fort- und Weiterbildungen zu der Thematik stattgefunden haben.
• Budgetnehmer/-innen fühlen sich nicht kompetent und vor allem nicht verständlich beraten.
• Die Bedarfsfeststellung erfolgt auf unterschiedlichen Wegen. Da es kein einheitliches Verfahren zur Bedarfsfeststellung gibt, äußern sich interviewte Budgetnehmer/-innen häufig skeptisch und kritisieren das intransparente Vorgehen der Leistungsträger.
• Die Lebensqualität verbessert sich durch das Persönliche Budget deutlich.
• Mitarbeiter/-innen von Trägern und Anbietern äußern sich vielfach skeptisch gegenüber dem Persönlichen Budget.
• Die persönliche Einstellung der Mitarbeiter/-innen gegenüber der Leistungsform hat Auswirkungen auf die Umsetzung. Vielfach wird Misstrauen gegenüber dem Persönlichen Budget geäußert.
• Häufig werden Konflikte zwischen Budgetnehmern/-innen und Mitarbeitern/-innen von Leistungsträgern bei der Bedarfsermittlung geäußert.
• Eine Zusammenarbeit mit anderen Leistungsträgern findet häufig nicht statt.
• Die Antragsbearbeitung für ein Persönliches Budget dauert unverhältnismäßig lange.
• Leistungsanbieter erwarten durch das Persönliche Budget einen großen Einfluss auf den Dienstleistungsmarkt.
• Mitarbeitern/-innen von Leistungsträgern und Leistungsanbietern fehlen praktische Erfahrungen im Umgang mit dem Persönlichen Budget, dadurch gibt es große Unsicherheiten.
Die durchgeführte Studie konnte zahlreiche förderliche und hinderliche Faktoren zur Umsetzung des Persönlichen Budgets ermitteln. Letztere gilt es abzustellen. Beteiligte Akteurs/-innengruppen sind gefragt, endlich eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.
Kapitel 1 ist wie folgt aufgebaut: Kapitel 1.1 widmet sich der Darstellung des Forschungsprojektes. Nach einem kurzen Überblick zur Leistungsform des Persönlichen Budgets folgt im Kapitel 1.2 die Beschreibung der Zielstellungen dieser Untersuchung. Im Kapitel 1.3 wird der Stand der Forschung dargestellt. Der empirische Teil beginnt in Kapitel 1.4. Das methodische Vorgehen während der geführten Experten/-inneninterviews sowie den Gruppendiskussionen wird ausführlich beschrieben. Darauf aufbauend folgt in Kapitel 1.5 eine themenorientierte Darstellung und Interpretation der Ergebnisse. In Kapitel 1.6 folgt eine Diskussion der Forschungsergebnisse. Schließlich endet dieser Bericht mit einem Ausblick im Kapitel 1.7.
Mit der Kodifikation des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), dem Behindertengleichstellungsgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wurde ein grundlegender Wechsel in der Behindertenpolitik vollzogen. Durch die neue Gesetzgebung steht nicht mehr der behinderte Mensch als Objekt der Fürsorge im Mittelpunkt, sondern der selbst bestimmte Mensch mit Behinderung und mit einem individuellen Anspruch auf Rehabilitation und Teilhabe.
Das Forschungsvorhaben widmete sich insbesondere der Etablierung und Umsetzung des Persönlichen Budgets – welches vom Ansatz her als besonderer Ausdruck eines Paradigmenwechsels in der Behindertenpolitik zu betrachten ist. Mit dem Persönlichen Budget als neuer Leistungsform können behinderte Menschen auf Antrag für Maßnahmen ihrer Rehabilitation oder gesellschaftlichen Teilhabe Geldleistungen oder Gutscheine erhalten anstelle von Dienst- und Sachleistungen. Damit wird ihnen ermöglicht, die für die selbst bestimmte Teilhabe erforderlichen Assistenzleistungen selbst zu organisieren und zu bezahlen. Damit werden die behinderten Menschen Experten und Expertinnen in eigener Sache und sollen zukünftig den »Einkauf« von Leistungen eigenverantwortlich, selbständig und selbst bestimmt regeln können. Rechtsgrundlage des Persönlichen Budgets ist § 17 Abs. 2 bis 6 SGB IX mit Konkretisierungen in den einzelnen Leistungsgesetzen sowie der Budgetverordnung.
Das Instrument des Persönlichen Budgets ist geeignet, die Selbstbestimmung behinderter Menschen und die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden und Elemente des fürsorgestaatlichen Umgangs mit behinderten Menschen abzubauen. Mit dem Persönlichen Budget wird das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen konkretisiert.
Mit der gesetzlichen Grundlage für die Einführung und Umsetzung des Persönlichen Budgets ist aus unserer Sicht auch der Forschungsauftrag verbunden zu untersuchen, wie das Persönliche Budget von den behinderten Menschen angenommen wird und Handlungsempfehlungen für die behinderten Menschen, die Politik und Verwaltung und Anbieter von Leistungen für behinderte Menschen zu entwickeln, damit dem emanzipatorischen und inklusionistischen Anspruch Rechnung getragen werden kann.
Grundlagen für das Forschungsvorhaben bilden die bisherigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschungen der Modellvorhaben zum Persönlichen Budget – Personenbezogene Unterstützung und Lebensqualität (PerLe), Persönliches Budget und Lebensqualität (PerLe2) und Trägerübergreifendes Persönliches Budget.
Die bisher zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen machen deutlich, dass das Persönliche Budget der Schritt in die richtige Richtung ist und die bestehenden gesetzlichen Regelungen, einschließlich des mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geltenden Rechtsanspruchs zum Persönlichen Budget grundsätzlich ausreichen, dass es aber erhebliche Desiderate in der Realisierung des gesetzlichen Anspruchs gibt.
Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens stand deshalb:
1. Analyse der förderlichen und hinderlichen Faktoren zur Umsetzung des Persönlichen Budgets auf der individuellen Ebene der behinderten Menschen selbst sowie auf der institutionellen Ebene der verschiedenen Akteurinnen und Akteure in der Verwaltung (Sozialämter, Vertretern der Behindertenverbände und der Rehabilitationsträger, Bundesagentur für Arbeit) und bei den Anbietern der Dienstleistungen (Einrichtungen der freien Träger und öffentlichen Wohlfahrtsverbände), die die Umsetzung begleiten sollen.
2. Darauf aufbauend werden Vorschläge entwickelt, wie die eruierten Barrieren abgebaut werden können und die Verbreitung von Persönlichen Budgets vorangetrieben werden kann. Es sollen zudem Ideen entwickelt werden, wie und wo das Persönliche Budget zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen eingesetzt werden kann und wie sein Bekanntheitsgrad gesteigert werden kann. Hier sei auf Wissensdisseminationskonzepte, die in der Forschung um die Wissensorganisation verankert sind, verwiesen (Nonaka/Takeuchi 1997).
3. Die Ergebnisse des vorliegenden Forschungsvorhabens werden anwender/-innenorientiert, d. h. auch barrierefrei, publiziert und enthalten Handlungsempfehlungen für die Nutzerinnen und Nutzer des Persönlichen Budgets, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltungen sowie für die Akteure und Akteurinnen der Dienst leistenden Einrichtungen – insbesondere für die Arbeitsgruppe des Ministeriums für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern (Vertreter/-innen der Behindertenverbände, der Rehabilitationsträger und der Landesregierung).
Das Forschungsvorhaben greift die Herausforderungen der Umsetzung des Persönlichen Budgets für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern auf und setzt dabei folgende Schwerpunkte:
1. Eruierung von Anforderungen an die beteiligten Akteurinnen und Akteure der drei Ebenen Nutzer/-innen, Verwaltung, Dienstleistung im Rahmen des Persönlichen Budgets;
2. Analyse und Unterstützung des Ausbaus der regionalen Infrastruktur an Dienstleistungen in Mecklenburg-Vorpommern;
3. Analyse notwendiger Veränderungen bestehender Dienstleistungen und ihrer Anbieter (z. B. Einrichtungen stationär und ambulant betreuten Wohnens, Werkstätten für behinderte Menschen) sowie der Veränderungsprozesse (Ängste über Wegfall von Klienten/-innen, Aufspüren neuer Dienstleistungsnischen);
4. Qualifizierung der beteiligten Akteurinnen und Akteure für die Umsetzung des Persönlichen Budgets;
5. Entwicklung von Handlungsempfehlungen für Verwaltungen und Akteure/-innen für die Umsetzung des Persönlichen Budgets (analog der Handlungsfelder des SGB IX: medizinische Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Lebensunterhaltssicherung, Teilhabe an der Gesellschaft);
6. Weitere Bekanntmachung der neuen Leistungsform (trägerübergreifendes) Persönliches Budget durch die Vermittlung von Detailwissen über dieses Instrument bei Menschen mit Behinderungen und den Akteuren und Akteurinnen der Umsetzung (z. B. regionale Informations- und Beratungsveranstaltungen, Fortbildungsreihen, Beratungsinstrumente);
7. Entwicklung eines innovativen Evaluationsansatzes zur Wirksamkeit des Persönlichen Budgets durch die Betroffenen selbst. Im Mittelpunkt steht dabei die Messung und Beschreibung der Qualität von Dienstleistungsangeboten durch die Nutzerinnen und Nutzer der Angebote selbst (consumer-outcoume-quality; vgl. Nueva Evaluation von Dienstleistungen 2006). Diesem Evaluationsvorhaben liegen dieselben Paradigmen von Selbstbestimmung und Empowerment zu Grunde wie dem Persönlichen Budget, wodurch die logische Stringenz und Qualitätssicherung gewährleistet werden.
Die Teilnahme und die Ergebnisse der bisherigen Modellprojekte zur Umsetzung des Persönlichen Budgets – Personenbezogene Unterstützung und Lebensqualität (PerLe), Persönliches Budget und Lebensqualität (PerLe2) und Trägerübergreifendes Persönliches Budget – belegen die Effizienz der neuen gesetzlichen Regelung zur Steigerung der Lebensqualität behinderter Menschen (SGB IX: Rehabilitation und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft). Sie belegen jedoch auch die Schwierigkeiten, die ein Paradigmenwechsel in der Praxis zur Folge hat. An alle beteiligten Akteurs/-innengruppen – Nutzer/-innen, Verwaltung und Dienstleister – werden neue Anforderungen an ihr Denken und Handeln gestellt. Bisherige Fürsorgeempfänger und -empfängerinnen werden zu Assistenznehmern/-innen und Arbeitgebern/-innen, bisherige Fürsorgende werden zu Dienstleistenden und bisherige Sachbearbeiter/-innen werden zu Managern/-innen im Einzelfall (Case Management). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Umsetzung weiterhin wissenschaftlich zu begleiten, so dass die vom Gesetzgeber angestrebte, von den Verbänden der Selbsthilfe behinderter Menschen geforderte und aus pädagogischethischer Perspektive als notwendig erachtete selbst bestimmte Teilhabe behinderter Menschen mit individuellem Anspruch auf Rehabilitation und Teilhabe in der Praxis zu realisieren ist.
Aus der Auswertung der Modellprojekte ist bekannt: 80% der Budgetnehmer/-innen sagen, so dokumentiert der Bericht über die wissenschaftliche Begleitforschung der Modellprojekte zur Einführung des Persönlichen Budgets, dass sich ihr Leben zum Positiven verändert hat: mehr Aktivitäten und soziale Teilhabe, psychische Stabilisierung und Wohlbefinden, passendere Hilfen, (individuelle Lösungen, soziale und zeitliche Flexibilität), Erhalt oder Verbesserung der Selbstständigkeit (Wohnen und Alltag), Unabhängigkeit von Diensten und Angehörigen, Kontrolle über das eigene Leben, Versorgungssicherheit, auch in Krisensituationen, mehr Selbstbewusstsein und Entlastung des sozialen Umfeldes bei den Projetteilnehmern/-innen (Metzler et al. 2007).
Allerdings nehmen noch zu wenig Anspruchsberechtigte das Persönliche Budget wahr, es ist deshalb erforderlich, die Etablierung des Persönlichen Budgets zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen besser einzusetzen und den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, Hemmschwellen zur Beantragung von Persönlichen Budgets oder/und Schwierigkeiten bei Beantragung und Verwaltung der Budgets abzubauen.
In europäischen Nachbarländern, wie den Niederlanden, Großbritannien und Schweden, werden seit vielen Jahren Geldleistungen im Rahmen von Rehabilitationsleistungen vergeben (vgl. Wacker et al. 2005). In Schweden besteht diese Option seit 1994, in den Niederlanden seit 1995 und in Großbritannien seit 1997. Die Erfahrungen sind durchweg positiv im Sinne einer stärkeren Zufriedenheit und somit verbesserten Rehabilitation und Teilhabe der Budgetnehmer und Budgetnehmerinnen. Verschiedene Modelle zur Nachweiskontrolle und Qualitätssicherung ergeben einen Vorteil von liberalen Verfahren, bei denen nur minimale bürokratische Nachweisverpflichtungen verlangt wurden. Die meisten Budgetnehmer und -nehmerinnen nutzen ihr Geld sehr zweckmäßig und verantwortungsvoll. Unterstützend für das Persönliche Budget erweisen sich eindeutig barrierefreie Umgebungen (Wohnungen, Infrastruktur), wie sie z. B. in Schweden in vielen Gemeinden anzutreffen sind und in denen eine individuelle Versorgung gut umzusetzen ist. Als schwierig für das Persönliche Budget erweist sich die Rekrutierung persönlicher Assistenten und Assistentinnen sowie das Budgetmanagement. Insgesamt weisen die Erfahrungen aus den europäischen Nachbarländern ebenfalls auf zahlreiche förderliche und hinderliche Faktoren zur Umsetzung des Persönlichen Budgets hin.
Aus den bisherigen Ergebnissen lassen sich die folgenden Forschungsleitfragen ableiten:
Wie kann der Anspruch für die Umsetzung der vom Gesetzgeber vorgesehenen Möglichkeiten der Ausgestaltung des Gesetzes zum Persönlichen Budget realisiert werden und wie erfolgt der Transfer zwischen theoretischem Ansatz (Inklusion), Gesetzgebung und Umsetzung in die Praxis – konkret in Mecklenburg- Vorpommern?
Ein wesentliches Charakteristikum des Forschungsvorhabens ist der transdisziplinäre Zugang, der durch die gleichberechtigte Mitwirkung der drei Professorinnen/Professoren hergestellt wird. Transdisziplinarität beschreibt eine disziplinübergreifende Arbeitsweise, die in diesem Fall durch die Disziplinen Sozialpolitik und Sozialökonomie, Sozialinformatik und Wissensmanagement und Sozial- und Rehabilitationspädagogik gestaltet wird. Dieser innovative Ansatz lässt für alle Fachrichtungen bedeutsame und für die Soziale Arbeit neueste Erkenntnisse erwarten (vgl. Kampmeier 2008).
Die Methodik des Vorhabens orientiert sich an den zwei Absichten: zum einen der Begleitung der Umsetzung des Persönlichen Budgets in der Praxis (summative Evaluation), zum zweiten der direkten praktischen Unterstützung der Umsetzung (vergleichbar der formativen Evaluation), die im Rahmen der Transformationsevaluation eine hinreichende Gestaltungsorientierung erfahren. Der beschriebene Paradigmenwechsel erfordert es, dass die beteiligten Akteure/-innen angeregt werden, neue Denk- und Handlungsmuster zu entwickeln, zu praktizieren und stetig – vor allem nach Ablauf des Projekts – weiterzuentwickeln. Die Anregung erfolgt in einem gemeinsamen Prozess der beteiligten Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen (vgl. Heidegger/Laske 1997, Kampmeier et al. 2006 a, 2006 b, 2004).
Zur Beantwortung der Fragestellungen des Forschungsvorhabens wurden qualitative Verfahren der Sozialforschung eingesetzt. Dies erschien sinnvoll, da für die Untersuchung die Sichtweisen der Probanden/-innen erforscht werden sollten und dadurch ein besseres Verständnis von sozialer Wirklichkeit ermöglicht werden sollte. Außerdem wurden Interviewpartner/-innen unterschiedlicher Bildungsschichten bzw. Behinderungen etc. erwartet, wodurch es notwendig war, den jeweiligen Gesprächskontext anzupassen, um an die notwendigen Informationen zu gelangen.
Durch eine Methodentriangulation sollte die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf das zu untersuchende Forschungsfeld ermöglicht werden, wodurch ein prinzipieller Erkenntniszuwachs erzielt werden sollte (vgl. Flick 2008).
Die Datengewinnung stützt sich auf folgende Erhebungsinstrumente (siehe Abb. 1):
Abb. 1: Übersicht Erhebungsinstrumente im Forschungsprojekt ImPeBu
Abb. 2: Übersicht der Erhebungsinstrumente im Forschungsprojekt PB-AVD
Um möglichst viele Interviewprobanden/-innen einbeziehen zu können, wurden zwei verschiedene Befragungswege angeboten, aus denen die zu befragenden Experten/-innen je nach Präferenzen wählen konnten:
• das persönliche Interview oder
• das telefonische Interview.
Um ein Gesamtbild der Versorgungssituation erzielen zu können, wurde ein persönliches Interview vorgezogen. Um zu erwartende kommunikative Erschwernisse zu vermeiden, wurden kurze, einfach verständliche Fragen formuliert. Folgendes Vorgehen wurde gewählt:
Zunächst fand eine telefonische Kontaktaufnahme mit möglichen Interviewpartnern/-innen statt. Es galt, durch den Interviewer bzw. die Interviewerin eine kurze Projektvorstellung sowie die Ziele des Vorhabens zu geben. Nach einem Einverständnis zum Interview wurde ein Termin vereinbart. Vor dem persönlichen Termin wurde die interviewte Person noch einmal über Ziel und Zweck des Forschungsvorhabens aufgeklärt. Die Probandin bzw. der Proband wurde darüber hinaus auf den Datenschutz hingewiesen. Anschließend wurde das Einverständnis zur Tonbandaufnahme der Interviews erbeten. Die Durchführung der Interviews erfolgte entlang drei verschiedener Interviewleitfäden, die nach der jeweiligen Interviewgruppe ausgewählt wurden. Nach dem Interview erfolgte in Anlehnung an Gläser und Laudel (2009) ein Interviewbericht und Gedächtnisprotokoll. Das Zustandekommen des Interviews (Grad der Bereitschaft des Interviewpartners bzw. der -partnerin, evtl. Einwendungen seiner-/ihrerseits etc.), die Beschreibung der konkreten Rahmenbedingungen (Dauer, Ort, allgemeine Störfaktoren, insbesondere Unterbrechungen durch Telefon oder durch andere Personen), Bemerkungen zum Gesprächsverlauf sowie Bemerkungen zur Nachinterviewphase wurden protokolliert.
Der Interviewleitfaden für die Budgetnehmer/-innen bestand aus 31 Fragen zu folgenden Dimensionen:
• Vorgeschichte zum Persönlichen Budget
– Wie haben Sie vom Persönlichen Budget erfahren?
– Warum haben Sie sich für das Persönliche Budget entschieden?
– Wer ist bei Ihrem Persönlichen Budget beteiligt?