Das Potential Forschenden Lernens des Osnabrücker Forschungsprojekts Schulentwicklung - Frauke Milius - E-Book

Das Potential Forschenden Lernens des Osnabrücker Forschungsprojekts Schulentwicklung E-Book

Frauke Milius

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Beschreibung

Das Konzept des Forschenden Lernen soll Erfahrungs- und Professionalisierungsprozesse durch forschend-wissenschaftliche Untersuchungen ermöglichen, durch die ein hoher Kompetenzerwerb sowie die Ausbildung eines forschenden Habitus gefördert werden sollen. Durch fehlende Eingrenzung des Begriffes entwickelten sich allerdings viele, differente Auffassungen Forschenden Lernens. Die vorliegende Interviewstudie thematisiert das Potential des Forschungsprojekts Schulentwicklung der Universität Osnabrück. Die Ergebnisse verdeutlichen den positiven Einfluss des Konzeptes und die Begeisterung der Studierenden. Es lassen sich im ersten Ansatz drei Typen aus den Erkenntnissen generieren, die sich different mit einem individuellen Schwerpunkt professionalisieren, weshalb sich letztlich auch der Erwerb der Kompetenzen auch unterscheidet. Konklusiv ist allerdings das hohe Potential zur Professionalisierung in dem Forschungsprojekt Schulentwicklung der Universität Osnabrück festzuhalten.

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Vorwort zur Reihe

Impulse sind Antriebe, Anstöße und Anregungen. Als Denkanstöße sind sie im hochschulischen (Arbeits)Alltag auf vielfältige Weise Ausgangspunkt und zugleich Gegenstand von Wissenschaft. Daraus resultierende Forschungsvorhaben sind zumeist vorerst exklusiv Wissenschaftler*innen vorbehalten.

Leider viel zu selten – hier sei aus der Perspektive der Erziehungswissenschaft gesprochen – wird die Lehre als Forschungsraum verstanden. Gemeint ist damit keineswegs, dass die Studierenden in den Lehrveranstaltungen zu Probanden von Studien werden oder diese evaluieren. Intendiert sind ebenfalls keine Praxisseminare, die z. B. im Rahmen von Lehr-Lern-Laboren den Professionalisierungsprozess von Lehramtsstudierenden forcieren und deren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen steigern wollen. Ohne Zweifel haben die skizzierten Settings alle ihre Berechtigung, verbinden die für die Hochschulen elementaren Sphären der Forschung und Lehre jedoch nicht ganzheitlich, weil die Forschung als Prozess nicht im Seminarkonzept inhärent ist, sondern zum spezifischen Inhalt (z. B. Publikationen) wird oder als Additum angesehen werden muss.

Dazu konträr stehen jene Lehrformate, in denen Forschung und Lehre verschmelzen und die Studierenden zu Forschenden werden. Ohne Frage muss der Gehalt studentischer Forschung anders bewertet werden als wissenschaftliche Forschung. Studierende sind Forschungsnovizen, die das Forschen erlernen müssen. Dennoch können aus studentischer Forschung Impulse hervorgehen. Für Dozierende ist die hochschuldidaktische Gestaltung von „Forschungsseminaren“ eine polyvalente Herausforderung, gilt es doch eine wissenschafts-theoretische und methodologische Basis zu schaffen und die (Forschungs)Interessen aller Teilnehmenden zu berücksichtigen. Das Anliegen stößt zudem nicht selten auf administrative Hürden, da solche Formate nicht immer mit Studienordnungen kompatibel sind. Studentische Abschlussarbeiten – in Zeiten der Internationalisierung des Studiums vor allem Bachelor- und Masterarbeiten – haben das Potential, ausgehend von den Interessen der Studierenden zu kleinen Forschungsvorhaben zu werden. Die Studierenden bearbeiten über einen Zeitraum von mehreren Monaten selbstständig eine Fragestellung und erschließen sich Forschungsmethoden und Diskurse mit dem Ziel, ihre Ergebnisse in einen Kontext zu stellen. Dabei behandeln sie Themen, die für wissenschaftliche Forschung zu partikular sind. Nicht selten wird mit ihnen neues Wissen generiert, aus dem sich wiederum Möglichkeiten für sich anschließende wissenschaftliche Forschung ergeben können oder die Abschlussarbeiten sind bereits die Weiterentwicklung eines vorausgegangenen Studienprojektes aus dem Praxissemester.

Die Reihe Erziehungswissenschaftliche Impulse setzt es sich zum Ziel, exzeptioneller studentischer Forschung ein Forum zu bieten. Anker sind neben der Bedeutung des Gegenstandes und der gewählten Herangehensweise auch Anerkennung und Wertschätzung der Leistung. Dabei sollen die veröffentlichten Arbeiten auch als Impuls, das heißt als Anregung verstanden werden, die erwähnten partikularen Themen aufzugreifen und weitere Forschung (vor-)an-zutreiben.

Münster, im Juni 2023 Patrick Gollub

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund des Forschenden Lernens

2.1 Das Forschende Lernen als universitäres Lernkonzept

2.2 Die Notwendigkeit des Erwerbs von Reflexions- und Evaluationskompetenz werdender Lehrkräfte

2.3 Konzeptionelle Umsetzungsmöglichkeiten

2.4 Die Bologna-Reform im Überblick

2.5 Die Entwicklung zu der forschungsorientierten Lehrer*innenbildung

2.6 Legitimation und theoretischer Bezugsrahmen des Konzepts

2.7 Kritik am Forschenden Lernen

2.8 Möglichkeiten Forschenden Lernens

3. Forschungsprojekte im Überblick

3.1 Die Oldenburger Teamforschung

3.2 Bielefelder Fallstudienwerkstatt Schulentwicklung

3.3 Osnabrücker Forschungsprojekt Schulentwicklung

4. Stand der Forschung

5. Empirische Erhebung

5.1 Forschungsanliegen und Hypothesen

5.2 Darstellung des Forschungsvorgehens

5.2.1 Methodenwahl: Das problemzentrierte Interview

5.2.2 Entwicklung des Kurzfragebogens

5.2.3 Entwicklung des Interviewleitfadens

5.2.4 Pretest und Weiterentwicklung des Interviewleitfadens

5.2.5 Beschreibung der Stichprobe

5.2.6 Transkription der Interviews

5.2.7 Die qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsmethodik

5.2.8 Kategorienbildung und Codierleitfaden

6. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse

6.1 Auswertung der Kurzfragebögen

6.2 Analytische Auswertung der Interviews

6.2.1 Analyse der Hauptkategorie 1: Motivation zur Teilhabe

6.2.2 Analyse der Hauptkategorie 2: Externe Einflussfaktoren

6.2.3 Analyse der Hauptkategorie 3: Professionalisierung

6.2.4 Analyse der Hauptkategorie 4: Internalisierung eines forschenden Habitus

6.2.5 Analyse der Hauptkategorie 5: Relevanz in der Lehrer*innenbildung

6.2.6 Analyse der Hauptkategorie 6: Verbesserungsmöglichkeiten des Osnabrücker Forschungsprojekts

6.3 Diskussion der Ergebnisse

6.3.1 Diskussion der motivationalen Faktoren

6.3.2 Diskussion der externen Einflussfaktoren

6.3.3 Diskussion der Professionalisierung der Lehrkräfte

6.3.4 Diskussion der Internalisierung eines forschenden Habitus

6.3.5 Diskussion der Relevanz in der universitären Lehrer*innenbildung

6.3.6 Diskussion der Verbesserungsmöglichkeiten

6.4 Zusammenführende Diskussion

7. Einordnung in Gütekriterien qualitativer Forschung

8. Reflexion des Forschungsvorgehens

9. Schlussbetrachtung

10. Literaturverzeichnis

Anhang

I. Kurzfragebogen (nach Witzel 2000/ Misoch 2019)

II. Interviewleitfaden

III. Kategoriensystem

IV. Codierleitfaden

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1Forschungszyklus im Forschenden Lernen (eigene Abbildung nach Gotzen et al. 2015, S. 2)

Abb. 2Schematische Darstellung des Forschungsvorgehens

Tabellenverzeichnis

Tab. 1Ergebnisse der Kurzfragebögen

Tab. 2Darstellung des Interviewleitfadens

Tab. 3Hauptkategorien (gekürzt HK) sowie entsprechende Subkategorien

Tab. 4Darstellung des Kategoriensystems als Codierleitfaden

1. Einleitung

Im Rahmen unterschiedlicher Reformen, insbesondere durch den Bologna-Prozess, geriet Forschendes Lernen immer mehr in den Fokus hochschuldidaktischer Konzepte. Neben einer allgemeinen, in erster Linie auf Strukturreform zielenden Hochschulentwicklung sollte auch die Lehrer*innenbildung forschungs- und damit kompetenzorientierter werden (vgl. Schneider & Wildt 2009, S.8). Zunächst sollte fachunspezifisch eine grundsätzliche Auslotung von Bedingungen und Möglichkeiten einer Veränderbarkeit der Studienstrukturen stattfinden, um selbstreflexive Forschung mit einem disziplinübergreifenden Charakter zu entwickeln (vgl. ebd. S.10). Forschendes Lernen ist im Kontext eines akademischen und zugleich berufsbezogenen Studiums ein notwendiges Element komplexer Qualifizierung.

Hochschulbildung soll die Haltung forschenden Lernens einüben und fördern, um die zukünftigen Lehrer zu befähigen, ihr Theoriewissen für die Analyse und Gestaltung des Berufsfeldes nutzbar zu machen und auf diese Weise die Lehrtätigkeit nicht wissenschaftsfern, sondern in einer forschenden Grundhaltung auszuüben (Wissenschaftsrat 2001, S.41).

Das Handeln im Lehrer*innenberuf ist von Unsicherheiten begleitet, da es keinen konstanten, sich wiederholenden Rahmen gibt. Dabei sind Routinen zwar hilfreich, um gewisse Situationen einschätzen und in diesen handeln zu können, allerdings können sie in neuartigen Konstellationen versagen (vgl. Fichten 2017, S. 156). Ein reflexiver Handlungstyp unterstützt, neuartige Situationen zu analysieren und mit der eigenen Praxis in Einklang zu bringen. Als übergeordnetes Ziel gilt es, in der Lehrer*innenbildung einen forschenden Habitus zu entwickeln, durch den die Lehrkraft die Möglichkeit besitzt, die eigenen Zielsetzungen ständig kritisch zu überprüfen, alternative Deutungen der Praxis zu generieren und daraus neue Sichtweisen zu entwickeln (vgl. ebd. S. 156). Dabei ist es nicht nur notwendig, über geeignete Methoden zu verfügen, sondern auch eine fragend-entwickelnde und kritisch-reflexive Haltung gegenüber der eigenen Praxis einnehmen zu können (vgl. ebd. S. 156). Lehramtsstudierende sollen demnach einen an wissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden ausgebildeten Habitus verinnerlichen und sich den skeptischen, hinterfragenden Blick auf die eigene Praxis zugänglich machen. Dazu zählen nicht einzig Kenntnisse im pädagogischen Handeln, sondern auch das Verständnis, Schule, Unterricht und die Entwicklung zu hinterfragen. Durch einen Theoriebezug, Selbstständigkeit und Reflexion sollen im Rahmen der Lehrer*innenbildung mit Forschendem Lernen Erfahrungen, Kenntnisse und Kompetenzen aufgrund einer selbstreflexiven und theoriegestützten Auseinandersetzung mit dem Handlungsfeld Schule erworben werden (vgl. ebd. S.156). Konkret soll das Forschende Lernen dazu beitragen, einen forschenden, wissenschaftsorientierten und zugleich reflexiven Blick in die eigene Handlungspraxis zu integrieren (vgl. ebd. S.158/ vgl. Fiegert & Kunze 2020, S. 215)).

Der Begriff Forschendes Lernen erlebte eine Konjunktur in den vergangenen Jahren. So kann Forschendes Lernen als allgemeines, disziplinübergreifendes, hochschuldidaktisches Konzept verstanden werden, das Bildung durch Wissenschaft erfährt. Es kann auch als eigenständiges Konzept, als Praxisphase oder als schuldidaktisches Konzept im Rahmen der Lehrer*innenbildung verstanden werden (vgl. Bellmann 2020, S. 11). In den vielfältigen konzeptuellen Rahmungen ist die Varianz der Methodik bereits zu erkennen. Dadurch steht die Methode auch im Diskurs bezüglich der Produktivität für die hochschuldidaktische Umsetzung. Aus der Offenheit des Begriffes werden Fragen in der Anwendung im universitären Lehr-Lern-Prozess generiert. Trotz des Anspruches eines forschungsorientierteren Studiums zeigte sich die institutionelle Verankerung als komplexer und schwieriger Prozess. Somit sind an den Universitäten heute unterschiedliche Projekte, Seminare und didaktische Konzepte verankert, mit denen durch Forschendes Lernen die Lehrer*innenprofessionalisierung erfolgen soll (vgl. Böhm-Kasper et al. 2020, S. 5).

Doch wie erfuhr eine so offene, vielfältige, fast als „umbrella“-Begriff (Mertens et al. 2020, S.12) zu verstehende Methodik eine solche Popularität? Insbesondere in Anlehnung an die humboldtsche Maxime der Einheit von Lehre und Forschung scheint diese Methode sehr geeignet, die universitäre Lehrpraxis wissenschaftsorientierter zu gestalten und somit einen größeren Forschungsbezug in der Lehrer*innenbildung herzustellen (vgl. Böhm-Kasper et al. 2020, S. 5). Die Methode scheint geeignet, „[d]enn nur die Wissenschaft, die aus dem Innern stammt und ins Innere gepflanzt werden kann, bildet auch den Charakter um“ (Humboldt 1809/1984, S.84) und entwickelt somit die Professionalisierung der Lehrer*innenpersönlichkeit weiter. Durch die Einführung in empirische Forschungsmethodik im Lehramtsstudium (vgl. Wischer, Katenbrink & Nakamura 2014, S.5f.) wird sich demnach eine positive Auswirkung auf den Berufsalltag versprochen, in welchem durch das Wissenschafts- und Handlungswissen sowohl eigenständige Handlungs- als auch Reflexionsräume präsent sein sollen (vgl. Niedersächsische Verbund zur Lehrerbildung 2012, S.6f.). So soll „die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Methodik und den Wissensbeständen den eigenen Unterricht und das Unterrichtsvorhaben erweitern, reflektieren und die Handlungen erweitern“ (ebd. S.7), woraus eine stärker wissenschaftsbasierte Lehrer*innentätigkeit resultiert (vgl. ebd., S.9).

Durch Wissenschaftsorientierung ein Wandel des Lehrer*innenhabitus, der Erwerb von nachhaltigen, tiefreichenden Kompetenzen, eine Distanzierung von der eigenen Handlungsweise – die Ansprüche an das Forschende Lernen sind hoch. Neben all den positiven Auswirkungen ist die kritische Betrachtung nicht zu vernachlässigen. Das Konzept mit all seinen Möglichkeiten klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Schulbezogene Forschung dient dem Praxisbezug und der Motivation der Studierenden, die eigenständig forschen werden. Doch die konkreten Umsetzungen unterscheiden sich. Und daraus resultieren auch unterschiedliche Wahrnehmungen, individuelle Erfolge und ebenso ein unterschiedlicher Wissenserwerb.

Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht konkret das Forschende Lernen an der Universität Osnabrück im Forschungsprojekt Schulentwicklung. Dabei soll das Potential der Methodik erforscht werden, inwiefern durch den Forschungsprozess tatsächlich eine Weiterentwicklung im Sinne eines forschenden Habitus stattfindet. Ebenso wird erfasst, mit welchen Rahmenbedingungen der Forschungsprozess als Erfolg wahrgenommen wird und ob er gegebenenfalls auch zu scheitern droht. Das Forschende Lernen als Methode soll hinterfragt und die Ansprüche sollen überprüft werden. Wie wird Forschendes Lernen aus Sicht der Studierenden wahrgenommen, bringt es wirklich so einen Zuwachs an Wissen, wie ist die Teilhabe, kurzum welches Potential versteckt sich wirklich in dieser Methodik?

Zunächst wird im zweiten Kapitel der theoretische Hintergrund des Forschenden Lernens vorgestellt. Hierbei wird zunächst versucht, das Konzept eindeutig zu definieren, und es anschließend mit seinen Möglichkeiten, aber auch Grenzen zu erfassen. Des Weiteren wird die Notwendigkeit des Kompetenzerwerbes in der Lehrer*innenbildung vorgestellt und das Konzept als universitärer Lehr-Lern-Prozess legitimiert. Auch die zeitliche Entwicklung des Konzeptes, basierend auf der Bologna-Reform, wird thematisiert. Im dritten Kapitel werden zwei unterschiedliche Forschungsprojekte vorgestellt, auf denen die Osnabrücker Forschungswerkstatt mit dem Forschungsprojekt Schulentwicklung basiert. Diese wird daran anschließend ebenfalls ausführlich vorgestellt. Das vierte Kapitel bezieht sich auf den aktuellen Forschungsstand. Hierbei werden unterschiedliche Studien zum Forschenden Lernen angeführt, die sowohl die positiven Aspekte als auch die kritische Betrachtung unterstützen. Die empirische Erhebung wird hinsichtlich des Anliegens, der Methodik und den einzelnen Forschungsschritten von Beginn des Forschungsvorhabens bis zur endgültigen Auswertung in Kapitel 5 erläutert. Die konkrete Darstellung und Interpretation der Ergebnisse finden im sechsten Kapitel statt. Die Überprüfung der Forschung mittels Gütekriterien erfolgt im siebten Kapitel. Daran schließt die Reflexion des eigenen Forschungsvorhabens im achten Kapitel an. Zuletzt erfolgt die abschließende Betrachtung im neunten Kapitel.

Das übergeordnete Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen tiefgründigen Einblick in die Methode des Forschenden Lernens zu ermöglichen, um die Konjunktur um den Begriff zu verstehen und die konzeptionelle Umsetzung des Osnabrücker Forschungsprojektes Schulentwicklung bewerten zu können. Mit der qualitativen Erhebung wird die Studierendensicht auf das Projekt, die Methodik, die Vorteile, aber auch auf die Grenzen und Herausforderungen erhoben, um letztlich das Potential des Forschenden Lernens diskutieren zu können.

2. Theoretischer Hintergrund des Forschenden Lernens

Das zweite Kapitel stellt die theoretische Auseinandersetzung mit der Methode des Forschenden Lernens dar. Die Methodik des Forschenden Lernens wird zunächst als Konzept vorgestellt und die Ansprüche werden betont. Auch wird ein Bezug zu der Notwendigkeit des Kompetenzerwerbs von Lehrer*innen hergestellt. Ferner wird auch die historische Entwicklung zu einer ausgeprägten Forschungsorientierung im Studium thematisiert, die unter anderem auf Grundlage der Bologna-Reform stattgefunden hat. Zuletzt werden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Forschenden Lernens vorgestellt.

2.1 Das Forschende Lernen als universitäres Lernkonzept

Es treten Schwierigkeiten auf, den Begriff Forschendes Lernen eindeutig als eigenständige Methode abzugrenzen (vgl. Mertens et al. 2020, S.12), da er eine hochschuldidaktische Konjunktur erfahren hat und unterschiedliche Auffassungen des Begriffes vorliegen (vgl. Feindt et al. 2020, S.2). Neben dem individuellen Erkenntnisgewinn soll mit dieser Methode auch wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn mit nachhaltiger Wirkung von den Studierenden erfahren werden (vgl. Fichten & Weyland 2020, S.673/ vgl. Feindt et al. 2020, S.3). Die zugrundeliegende Idee ist es, die zukünftige Lehrperson selbst zum Forschen auszubilden, indem sie die Fähigkeit zur selbstständigen, methodisch reflexiven Wissens- und Erkenntnisgenerierung erwirbt. Dabei liegt mit dem doppelten Anspruch, der aus Forschungsorientierung mit Professionalisierung hervorgeht, eine hohe Erwartung an das Konzept vor (vgl. Hofer 2013, S. 311).

Forschendes Lernen kann generell als Methode zum systematischen Erfahrungserwerb verstanden werden, durch den Lehramtsstudierende ihr professionelles Handeln entwickeln können und die noch nach dem universitären Abschluss im Berufsalltag Verwendung findet. Dabei geht es insbesondere um die Vermittlung von Denk- und Handlungsweisen. Zugleich soll mit Forschendem Lernen eine wissenschaftlich-forschende Grundhaltung entwickelt werden, die die Bereitschaft eines lebenslangen Lernens mit einschließt (vgl. Homt et al. 2020, S.166/ vgl. Fichten 2017, S. 156). Allgemein umfasst das Forschende Lernen viele Ansätze, Methoden und Zielsetzungen. Auch die einzelnen Konzeptionen und Auffassungen an den Universitäten unterscheiden sich (vgl. Redecker 2020, S. 238/ vgl. Fichten & Weyland 2020, S. 673). So kann Forschendes Lernen im Sinne einer forschungsvermittelnden, forschungsorientierten, forschungsgeleiteten oder forschungsbasierten Lehre stattfinden (vgl. ebd. S. 673). Trotz der Unterschiede liegen gleichbleibende Merkmale in den Umsetzungen vor. Die gemeinsamen Merkmale aller Konzepte sind der Selbstständigkeitsanspruch, der Theoriebezug und die Reflexion. Unabhängig von der Konzeption des einzelnen Seminars geht es bei dem Forschenden Lernen explizit um die eigenständige Forschung und Durchführung des Forschungsprozesses von den Studierenden selbst, die theoriegestützt und reflexiv stattfinden (vgl. Feindt et al. 2020, S.4/ vgl. Fichten & Weyland 2020, S. 673). Durch die subjektive Prioritätensetzung, die eigenständige Strukturierung und die aktive Teilhabe unterscheidet sich das Konzept von anderen Lernformen (vgl. Feindt et al. 2020, S.4). Mit dem forschenden Lernen soll ein evidenzbasiertes und zugleich reflektiertes Lernen stattfinden (vgl. Redecker 2020, S.238). Der Lernprozess ist in einen Forschungsprozess eingebettet (vgl. Feindt et al. S.4), mit dem die praktischen Anteile im Studium ausgedehnt werden sollen und mit Forschendem Lernen ein wissenschaftlich fundierter Zugang zu der Schulpraxis geschaffen werden soll (vgl. Fabel-Lamla et al. 2020, S.263). In diesem Setting können Studierende im Forschungsfeld schulbezogene Probleme finden, definieren, Hypothesen formulieren, Wissen und theoretische Ansätze recherchieren, eine empirische Untersuchung planen, durchführen und die generierten Daten auswerten. In dem Prozess müssen sie kommunizieren, kooperieren, Entscheidungen treffen und selbstständig ihre Arbeit strukturieren (vgl. Huber 2009, S.15). Hierfür eignen sich kleinere Studien oder Forschungsprojekte (vgl. Schmiedebach & Wegner 2020, S. 40). Durch die Beteiligung an Forschung soll eine veränderte Problemsicht und eine Relativierung der Vorannahmen erreicht werden. Zudem erwerben die Studierenden überfachliche Kompetenzen wie Team- und Kooperationsfähigkeit durch die Arbeit in Teams sowie eine generelle Forschungskompetenz (vgl. Fichten 2017, S.159).

Mit dem Zugang zum Feld soll Praxisrelevanz und Lebensnähe in der Schulforschung aufgezeigt werden. Forschendes Lernen ist dabei mehr als eine empirische Auseinandersetzung, sondern dient aktiv der eigenen methodischen, didaktischen und individuellen Erkenntnis (vgl. Redecker 2020, S.238).

Forschendes Lernen verbindet Forschung und Lernen mit dem Ziel der Lehrer*innenprofessionalisierung, insbesondere der Reflexionskompetenz. Durch die abschließende Reflexion des Forschungsprozesses sollen die Studierenden später in der Lage sein, systematisch von ihrem eigenen Tätigkeitsfeld Distanz zu nehmen und die eigenen Handlungen wissenschaftlich zu betrachten. Dabei bildet die wissenschaftliche Auseinandersetzung die Grundlage, um im späteren Berufsleben die Theorie mit der Praxis verbinden und die eigene Wahrnehmung reflektieren zu können (vgl. Stövesand 2020, S. 249). Da Theorie und Praxis in der Lehrer*innenbildung meist getrennt wird, ermöglicht der Zugang zu dem Praxisfeld durch ein Konzept des Forschenden Lernens das Umgehen von dem „Dilemma des Theorie-Praxis-Verhältnisses“ (Fiegert & Wischer 2010, S.10). Die aktive Beteiligung dient der Herausbildung von Reflexionskompetenzen (vgl. Fiegert & Kunze 2017, S.30), unter anderem auf Ebene der Reflexion der individuellen Entwicklungs- und Handlungsperspektive (vgl. Handelmann et al. 2020, S.71).

So wurden verschiedene Definitionen entwickelt, die alle versuchen, die breite Auffassung des Begriffes zu greifen. Huber (2009, S. 11/ 2013, S. 11) definierte den Begriff Forschendes Lernen wie folgt:

Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lernformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen – von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbstständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt – (mit)gestalten, erfahren und reflektieren.

Huber spricht neben der aktiven Teilhabe und Selbsttätigkeit der Studierenden auch das Merkmal der Reflexion an. Dennoch begrenzt er die Selbsttätigkeit mit der Beschreibung (mit)gestalten. Er begründet dies dadurch, dass die hohe Selbsttätigkeit vorher Vorbereitung benötigt, da sie nicht von Beginn an anzunehmen ist, sondern einer Entwicklung bedarf. Somit soll den Studierenden so viel Autonomie wie möglich zugesprochen und so viel Hilfe wie nötig bereitgestellt werden (vgl. Huber 2013, S.9). Zudem betont er die Notwendigkeit der für Dritte interessanten Erkenntnisse, die durch die Bewältigung eines schulbezogenen Problems in dem Forschungsfeld Schule stattfinden und mit der Datenerhebung und -auswertung empirisch generiert werden. Huber sieht demnach das Forschende Lernen als lernzentrierten, problemorientierten, sozialen und wissenschaftlichen Prozess (vgl. ebd. S.11). Dennoch spricht Huber nur zwei der drei Merkmale an und vernachlässigt den Theoriebezug in seiner Definition, der als weiteres prägendes Merkmal des Forschenden Lernens erfasst wird.

Eine weitere Definition des Forschenden Lernens stellte Fichten (2017, S. 157) auf:

Im Rahmen der Lehrerbildung versteht man unter Forschendem Lernen den Erwerb von Erfahrungen, Kenntnissen und Kompetenzen auf Grund einer selbstreflexiven und theoriegestützten Konfrontation mit dem Handlungsfeld Schule.

Damit fokussiert sich Fichten auf einen umfassenden Kenntniserwerb, der durch (Selbst)Reflexion und einer Theorie-Praxis-Verknüpfung stattfindet. Unter Erwerb von Erfahrungen, Kenntnissen und Kompetenzen fasst er den erwünschten forschenden Habitus, der als Leitbild der Professionalität die Lehrkraft beschreibt, die fähig ist, eigene Zielsetzungen kritisch zu überprüfen und aus dieser Prüfung heraus alternative Deutungen der Praxis generiert, um den individuellen Situationen gerecht zu werden (vgl. Fichten 2017, S. 156). Dabei thematisiert er explizit die Notwendigkeit der Verknüpfung von theoretisch erworbenen Methoden und einer selbstkritisch-reflexiven Haltung (vgl. Fichten 2017, S. 156). Mit Konfrontation spricht er die Unsicherheiten des Lehrer*innenberufes an, denen Lehrkräfte begegnen und entgegnen müssen (vgl. ebd. S. 156). Konfrontation kann allerdings auch als die Auseinandersetzung mit Problemstellungen verstanden werden, deren Lösungen unerwartet und somit verwundernd sind. Durch diese verwundernde Konfrontation können Scheinsicherheiten und vermeintliche Gewissheiten entfremdet werden und im Humboldt’schen Sinn1 durch neue Erfahrungen umgelernt werden. Forschendes Lernen bietet die Möglichkeit, Neues aufzudecken und sich an diesen Erfahrungen neu zu orientieren. Mit diesem Bezug kann Forschendes Lernen auch als Prozess des Umlernens verstanden werden (vgl. Redecker 2020, S. 238f.). Mit seiner Definition spricht Fichten allerdings nur zwei der drei prägnanten Merkmale an, denn der Selbstständigkeitsanspruch wird in der Definition vernachlässigt.

Eine an die vorherigen Definitionen angelehnte Beschreibung des Begriffes erfassten Feindt, Fichten, Klewin, Weyland und Winkel (2020, S.4) folgendermaßen:

Forschendes Lernen ist ein Lehr- Lern-Konzept, mit dem Lern- und Professionalisierungsprozesse der Studierenden durch eine forschende Auseinandersetzung mit schulbezogenen Problemen und Fragestellungen initiiert werden, indem sie ein Forschungsvorhaben (weitgehend) selbstständig planen und eigenverantwortlich durchführen, dabei einen Theoriebezug herstellen und gegebenenfalls vorliegende empirische Befunde berücksichtigen. Die Lernenden sind angehalten, den Forschungsprozess zu bilanzieren und die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse für pädagogisches Handeln in der Schule zu reflektieren.

Mit dieser Definition werden einerseits alle prägenden Merkmale berücksichtigt, zugleich aber auch die Zielsetzung und die allgemeine Struktur, die dem Forschenden Lernen zugrunde liegen. Des Weiteren wird der Aspekt von Huber, dass sich Selbstständigkeit zunächst entwickeln muss und die Studierenden aus diesem Grund so viel Struktur wie notwendig vorgegeben bekommen sollen, aufgegriffen (vgl. Huber 2013, S. 9).

Aus den Lern und Professionalisierungsprozesse sollen folgende Kompetenzen resultieren: Reflexionskompetenz, Teamkompetenz, Problemlösekompetenz, forschungsmethodische Kompetenz und Kommunikationskompetenz (vgl. Fichten 2010, S. 29f.). Der Erwerb der Kompetenzen während der universitären Ausbildung ist wichtig, um einen guten, bildungsgerechten Unterricht zu ermöglichen, Herausforderungen und Schwierigkeiten zu erkennen, adäquate Lösungswege zu finden, einen fairen, transparenten Umgang zu gestalten und den Schulalltag, die Schulstruktur und die Schulentwicklung mit zu gestalten (vgl. KMK 2004/ 2019, S. 7ff.).

Forschendes Lernen genießt das Zweifelhafte. Die angehenden Lehrkräfte erlernen durch Kommunikation, Diskursen und den Aufenthalt in ihrer Umwelt neue Fertigkeiten, um ihr eigenes Verhältnis zur jeweiligen Situation regulieren zu können. Routinen werden gebrochen, um Fehleinschätzungen und situatives Fehlverhalten zu vermeiden (vgl. Ohm 2020, S. 231ff.).

2.2 Die Notwendigkeit des Erwerbs von Reflexions- und Evaluationskompetenz werdender Lehrkräfte

Die Erziehungswissenschaft hat einen hohen Stellenwert in der Lehrer*innenbildung (vgl. Wissenschaftsrat 2001, S.26). Um die Qualität schulischer Bildung konstant weiterzuentwickeln und vor allem auch zu sichern, entwickelte die Kultusministerkonferenz überprüfbare Anforderungen und Standards, die Lehrer*innen zu erfüllen haben und die dem Berufsbild entsprechen. Zu diesen Standards zählen unter anderem, dass Lehrkräfte (1) Fachleute für das Lehren und Lernen sind, (2) sich ihrer Erziehungsaufgabe bewusst sind, (3) ihre Beurteilungs- und Beratungsaufgabe kompetent bearbeiten, (4) ihre Kompetenzen ständig weiter entwickeln und (5) sich an der Schulentwicklung beteiligen (vgl. KMK 2004/ 2019, S. 3). Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen Lehramtsstudierende sich in ihrer Ausbildung einerseits mit inhaltlichen Schwerpunkten wie Bildung und Erziehung, Didaktik, Methodik und Schulentwicklung, andererseits mit dem Erwerb von Kompetenzen auseinandersetzen. Kompetenzen sind all die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, die helfen, Aufgaben und Anforderungen zu bewältigen. Im Kontext des Lehrer*innenberufs sind dies all diejenigen Komponenten, die helfen, den beruflichen Herausforderungen und Aufgaben, und somit den Standards, gerecht zu werden und über die die Lehrkraft verfügen soll (vgl. KMK 2004/ 2019, S. 4f.). Übergeordnet lassen sich vier Kompetenzbereiche feststellen, über die eine Lehrkraft verfügen soll. Zu diesen zählen die Kompetenzbereiche Unterrichten (vgl. ebd. S. 7), Erziehen (vgl. ebd. S. 9), Beurteilen (vgl. ebd. S. 11) und Innovieren (vgl. S. 13). Die Entwicklung der Kompetenzen wird unter anderem durch persönliche Erprobung und Reflexion gefördert, aber auch durch die Mitarbeit an Schulentwicklungsprozessen und schul- sowie unterrichtsbezogener Forschung (vgl. KMK 2004/ 2019, S. 6).

Neben der Verantwortung des Unterrichtens, Erziehens und Bewertens sollen Lehrer*innen sich auch über die besonderen Anforderungen des Berufes bewusst sein. Ebenso sollen sie ihren Beruf als ständige Lernaufgabe verstehen und ihre Kompetenzen konstant weiterentwickeln (vgl. ebd. S.13f.). Die Grundlagen für dieses Verständnis sollen im theoretischen Bildungsabschnitt, also dem Studium, gelegt werden. So setzen sich Lehramtsstudierende währenddessen reflektiert mit den Grundstrukturen des Systems, den rechtlichen Rahmenbedingungen und den persönlichen berufsbezogenen Wertvorstellungen und Einstellungen auseinander (vgl. KMK 2004/ 2019, S.13). So wird erwartet, dass die Studierenden ihre eigene Reflexionskompetenz im Laufe des Studiums entwickeln und anzuwenden verstehen. Als Reflexionskompetenz wird die Fähigkeit verstanden, sich bereitstehendes theoretisches wie auch methodisches Wissen anzueignen und immer wieder auf die Angemessenheit überprüfen, mit Blick auf konkrete Adressaten, und die Situationen weiter zu entwickeln (vgl. Wissenschaftsrat 2001, S. 12/ S.26). Dabei soll sich die eigene Person ebenso mit ihrem eigenen professionellen Handeln und den Einstellungen auseinandersetzen, diese reflektieren und auch auf die einzelnen beruflichen Handlungsfelder, Inhalte oder empirische Befunde beziehen (vgl. Fiegert & Kunze 2017, S. 30). Reflexion kann in drei Dimensionen geschehen, zum einen „Selbstreflexion der Wissenschaft als Erkenntnismodus“, zum anderen „Selbstreflexion des Subjekts mittels der Wissenschaft“ oder aber „die Reflexion auf das Allgemeinwohl, das durch sie gefördert werden soll“ (Huber 2013, S.13). Im Kontext des Forschenden Lernens sind für das Erlangen von Reflexionskompetenz drei Voraussetzungen zu erfüllen. So müssen die Forschungsvorhaben sowohl von den Studierenden komplett durchlaufen werden als auch authentisch sein und eine theoretische Einbettung in andere empirische Kontexte ermöglichen (vgl. Fiegert & Kunze 2017, S. 31).

Zugleich sollen Lehramtsstudierende Kenntnisse über „Methoden der Selbst- und Fremdevaluation im Kontext Entwicklung und Sicherung von Unterrichts- und Schulqualität“ (KMK 2004/ 2019. S. 14) erwerben, die Ergebnisse der Schulforschung bewerten und die Anforderungen des Umgangs mit Heterogenität und Diversität reflektieren (vgl. ebd.). Des Weiteren sollen sich ausgebildete Lehrkräfte an der Schulentwicklung aktiv beteiligen. Hierfür sollen sie im Studium Ziele, Methoden, Rahmenbedingungen und Forschungsprozesse der Schul- und Unterrichtsentwicklung erlernen und diese reflektieren (vgl. ebd.). Die Fähigkeit, evaluative Prozesse zu planen, durchzuführen und zu reflektieren, kann als Evaluationskompetenz bezeichnet werden. Die Evaluationskompetenz spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Schulentwicklung. Seit 2009 sind die Schulen laut § 32 des Niedersächsischen Schulgesetzes dazu verpflichtet, der Evaluationspflicht nachzukommen und die eigene Praxis im Rahmen von schulinternen oder –externen Evaluationen zu erfassen (vgl. Fiegert & Wischer 2010, S. 8/ vgl. Kunze et al. 2022 i.B.). Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollen reflektiert und entsprechende Konsequenzen in Handlungen gezogen werden, um Entwicklungsmaßnahmen umzusetzen. Hierbei reicht nicht allein die kritische Distanz, sondern es bedarf spezifischer Methoden zur Umsetzung (vgl. Fiegert & Wischer 2010, S. 8). Zugleich werden Kenntnisse und Fähigkeit gefordert, „um die Ergebnisse angemessen rezipieren, beurteilen und umsetzen zu können“ (ebd. S. 8) und damit eine Verbesserung der pädagogischen Arbeit zu erstreben. Hierfür ist Evaluationskompetenz notwendig. Diese kann nach Hense und Mandl (vgl. 2009, S. 130f.) in fünf Kompetenzbereiche eingeteilt werden:

1. Auseinandersetzung mit den theoretischen und geschichtlichen Hintergründen der Evaluation, also mit elementaren Begriffen, Konzepten und Definitionen der Evaluation wie auch der historischen Entwicklung

2. Entwicklung der methodischen Kompetenz, also Kenntnisse in der empirischen Sozialforschung zu Untersuchungsdesigns und Datenerhebung sowie Datenauswertung und -interpretation

3. Kenntniserwerb von Organisation und Forschungsfeld, konkrete Auseinandersetzung mit der kontextspezifischen Organisation, der Notwendigkeit und Rolle der Schulentwicklung

4. Entwicklung der sozialen und Selbstkompetenz, also Kompetenzen, die für die erfolgreiche Durchführung notwendig sind, wie beispielsweise soziale Kompetenz, Kommunikationsund Kooperationskompetenz, aber auch Selbstmanagementund Problemlösekompetenz

5. Auseinandersetzung mit der Evaluationspraxis, also die praktische Durchführung des geplanten Forschungsprozesses im Forschungsfeld

Somit handelt es sich bei der Evaluationskompetenz um ein breites Spektrum an Fähigkeiten. Dabei kann zwischen theoretisch zu erwerbenden Fähigkeiten und sich erst in der Praxis entwickelnden Fertigkeiten unterschieden werden. Aus diesem Grund ist die Notwendigkeit einer praxisorientierten Vermittlung notwendig, welche im universitären Kontext die Gelegenheit zum Erwerb ermöglicht (vgl. Fiegert & Wischer 2010, S. 9).

Eine solche Gelegenheit, Evaluations- und Reflexionskompetenz zu vermitteln, bietet das Forschende Lernen durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis, indem konkrete Probleme kritisch betrachtet werden können. „Forschend lernend wird so Kritik konkret, indem das Konkrete eine kritische Reflexion erfährt“ (Redecker 2020, S. 242). Die sonst oft abstrakte Theorie wird gegenständlich und konkret im Handlungskontext hinterfragt. Durch die Reflexion können erlernte Theorien, Handlungen und Haltungen umgestoßen und mit der Praxis in Einklang gebracht werden. Zugleich wird aber auch erkannt, welche Antworten die Theorie (noch) nicht geben kann und wie dies in Verbindung zu der Praxis gehandhabt wird. Aber auch die Praxis wird nicht kritiklos übernommen, sondern hinterfragt und theoretisch gestützt (vgl. Redecker 2020, S. 242/ vgl. Euler 2005, S. 270). Mit der Evaluations- und Reflexionskompetenz kann sinnvoll begründet und im schulischen Kontext verantwortlich beurteilt und gehandelt werden, entsprechend einem forschenden Habitus (vgl. Redecker 2020, S. 243).

2.3 Konzeptionelle Umsetzungsmöglichkeiten

Um Lösungen für schulische und unterrichtliche Problemstellungen zu generieren, untersuchen Studierende entsprechende Fragestellung auf forschende Art (vgl. Fichten 2017, S.159). Dabei ist das übergeordnete Ziel des Forschenden Lernens die Kompetenzentwicklung der Studierenden, die sich insbesondere auf die Reflexionskompetenz und den forschenden Habitus fokussiert (vgl. Fiegert & Kunze 2017, S. 30/ vgl. Kullmann 2011, S. 148ff./ vgl. Helsper 2001, S.10ff./ vgl. Helsper 2011/ vgl. Helsper & Kolbe 2002). Aber auch überfachliche Schlüsselkompetenzen sowie Kenntnisse in der wissenschaftlichen Arbeitsweise sollen gefördert werden, um letztlich eine distanzierte, reflektierte Haltung zu entwickeln, mit der Handlungsalternativen generiert und die schulische Praxis weiterentwickelt werden können (vgl. Feindt et al. 2020, S.5). Zugleich ist die selbstständige Durchführung des Forschungsprozesses von den Studierenden erwünscht. Um diese Ziele zu erreichen, ist es in der praktischen Seminargestaltung unabdingbar, dass eine Balance von selbsttätiger Arbeit und strukturgebenden Elementen vorliegt. Aufgrund der Komplexität des Forschungsprozesses dienen die strukturgebenden Elemente der Unterstützung der Studierenden, sodass eine Überforderung und daraus resultierende Demotivation vermieden werden kann (vgl. ebd. S. 2ff.).

Somit ergibt sich eine Wunschkonzeption aus den Zielen des Forschenden Lernens, die insbesondere die Passung der verschiedenen Aspekte thematisiert: Studierenden wählen eigenständig zu bearbeitende Themen und entwickeln die Fragestellungen selbst, sodass eine Passung von Frage und Person vorliegt. Anschließend wählen die Studierenden die Methoden, die ihnen einen Zugang ermöglichen. Dadurch wird ein Einklang von Methodik und Frage gewährleistet. Durch das Einbeziehen der individuellen Interessen wird eine Passung von Frage und Feld ermöglicht. Die Übereinstimmung von Frage und Ressource wird durch die Berücksichtigung der individuellen Ressourcen von Zeit, Kompetenz und Mobilität gewährleistet. Zuletzt gilt es, die formalen Anforderungen des Studiums in Einklang mit dem Projekt zu bringen, um auch eine Passung von Frage und Studienanforderungen zu gewährleisten (vgl. ebd. S.7).

Die Frage nach der Passung ermöglicht zwar die teilnehmenden Akteur*innen, beantwortet allerdings nicht die Frage nach der konkreten Konzeption. Diese unterscheidet sich auch von Projekt zu Projekt aufgrund der vielfältigen Definitionen und den daraus resultierenden Möglichkeiten zur Umsetzung. Insbesondere methodisch und didaktisch unterscheidet sich die Ausgestaltung der unterschiedlichen Seminare. Die Heterogenität dieser Gestaltungsmöglichkeiten erschwert damit allerdings auch die Vergleichbarkeit der Konzepte. Aus diesem Grund eignet sich eine Kategorienentwicklung, durch die die Kontextualisierung der verschiedenen Konzepte vergleichbar gemacht werden kann. Dabei können unter anderem die Rahmenbedingungen, in denen Forschendes Lernen stattfindet, betrachtet werden (vgl. Schneider & Wildt 2009, S.30ff.). Mit einer solchen Betrachtung können nach Schneider und Wildt (vgl. ebd. S.32) insgesamt sechs Typen des Forschenden Lernens unterschieden werden:

1. Typ A – Empirie: Das Forschende Lernen erfolgt durch die praktische Einführung in das empirisch-wissenschaftliche Arbeiten.

2. Typ B – Praxisforschung: Das Forschende Lernen erfolgt durch die Orientierung an dem Paradigma der Praxis- und Aktionsforschung.

3. Typ C – Fallarbeit: Das Forschende Lernen erfolgt durch die analytische Auseinandersetzung mit konkreten Fallbeispielen.

4. Typ D – Reflexion von Erfahrung: Das Forschende Lernen erfolgt im Rahmen der Reflexion eigener praktischer Erfahrungen, die innerhalb und außerhalb von Unterricht stattfanden.

5. Typ E – Reflexion von Biographie: Das Forschende Lernen erfolgt mit dem Schwerpunkt der Reflexion von biographischen Zugängen zum Lehrer*innenberuf.

6. Typ F – Interdisziplinarität: Das Forschende Lernen erfolgt mit dem Schwerpunkt der interdisziplinaren Integration von professionellem Lehrer*innenwissen und –können.

Die Typen des Forschenden Lernens unterscheiden sich im inhaltlichen Fokus der Seminargestaltung. Dennoch lässt sich kein konkretes Konzept aus den Typen ableiten. Dies kann unter anderem mit der fehlenden, curricular einheitlichen Verankerung und daraus resultierenden Modulorganisationen begründet werden (vgl. Mertens et al. 2020, S.12/ vgl. Huber 2020, S.14ff.). Allen Typen liegt allerdings der Aspekt der studentischen Selbsttätigkeit zugrunde. So diskutieren Mertens, Schumacher und Basten (2020) weitere Einflussfaktoren auf die Umsetzung Forschenden Lernens. Einerseits diskutieren sie, inwiefern der Forschungsaspekt die Umsetzung direkt berührt. Die Lernsituation ist kontextgebunden und verfolgt ein Lernziel, im Falle des Forschenden Lernens unter anderem die Vermittlung von Reflexionskompetenz und Entwicklung eines forschenden Habitus. Die Forschung an sich verfolgt allerdings kein Lernziel und ist somit in ihrer Umsetzung freier. Diese Schwerpunktsetzung, inwiefern „Forschen“ oder „Lernen“ im Forschenden Lernen vertieft werden sollen, wirkt sich auf die konkrete Umsetzung des Projektes aus. Dabei wird auch die Selbstwahrnehmung der Dozierenden hinterfragt, da die Wahrnehmung derer, hinsichtlich der eigenen Rolle in der Forschung und in der Lehre, die Seminargestaltung maßgeblich prägen soll (vgl. Mertens, Schumacher & Basten 2020, S.22f./ vgl. Schweitzer, Heinrich & Streblow 2019, S.3ff.) Andererseits beeinflussen auch die eigene Forschungssozialisation, der zeitliche Rahmen und die Fachdisziplin die konkrete Umsetzung des Konzeptes (vgl. Mertens, Schumacher & Basten 2020, S.23).

Mit all den Unterschieden, die aus den individuellen, von der Universität abhängigen Konzepten hervorgehen, liegt dennoch bei allen Forschungsprojekten die Selbsttätigkeit der Studierenden im Fokus, mit dem der Lernprozess absolviert werden soll. „Weil Lernprozesse ihren Ausgangspunkt in niedrigschwelligen Handlungsproblematiken, aber auch in Irritationen bis hin zu (Erkenntnis-)Krisen nehmen, macht sie das strukturgleich mit Forschungsprozessen“ (Ludwig 2014, S. 12). Wissenschaftlichen Forschungsprozessen liegt eine gleichbleibende Struktur zugrunde. Eine solche Struktur kann auch im Forschungsprozess in Form eines Forschungszyklus erkannt werden (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Forschungszyklus im Forschenden Lernen (eigene Abbildung nach Gotzen et al. 2015, S. 2)

Der dargestellte Forschungszyklus suggeriert den typischen Verlauf eines Forschungsprozesses und ist ebenso anwendbar für das Konzept des Forschenden Lernens (vgl. Schneider & Wildt 2013, S. 56). Diesen gestalten die Studierenden aktiv und eigenständig (mit). Als Beginn kann die Problemwahrnehmung genannt werden, bei der ein Projekt erkannt und als Forschungsthema identifiziert wird. Aus dem Sachverhalt wird eine geeignete Fragestellung abgeleitet, die es im Forschungsprozess zu untersuchen gilt. Um dem methodischen Vorhaben eine theoretische Grundlage zu ermöglichen, ist es unabdingbar, die Forschungslage literatur- und theoriebasiert zu erarbeiten (vgl. Gotzen et al. 2015, S.2). Insbesondere in dieser Phase sind strukturgebende Elemente und Unterstützung durch Dozierende maßgeblich, um die erfolgreiche Durchführung des Forschungsprozesses nicht durch beispielsweise Überforderung und Unwissenheit seitens der Studierenden zu gefährden (vgl. Schmiedebach & Wegner 2020, S.33f.). Auf dieser Grundlage wird zunächst eine geeignete Methodik ausgewählt und angeeignet und anschließend das Design der Forschung entwickelt. Darauf folgt die Durchführung der Forschungstätigkeit im Feld, die anschließende Erarbeitung und Auswertung der erhobenen Daten und die Reflexion des gesamten Forschungsprozess auf der individuellen, aber auch strukturellen Ebene der Forschung (vgl. Gotzen et al. 2015, S.2).