Das Risiko und sein Preis - Nassim Nicholas Taleb - E-Book
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Das Risiko und sein Preis E-Book

Nassim Nicholas Taleb

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Beschreibung

Warum wir nur denen vertrauen sollten, die etwas zu verlieren haben

Zu viele Menschen mit Macht und Einfluss, so Nassim Nicholas Taleb, müssen nicht wirklich den Kopf hinhalten für das, was sie tun und veranlassen. Intellektuelle, Journalisten, Bürokraten, Banker – sie vor allem haben kein »Skin in the Game« und entscheiden daher schlecht. Taleb zeigt, wie »Skin in the Game«, ein fundamentales Konzept des Risikomanagements, auf alle Bereiche des Lebens übertragen werden kann. Und er fordert uns heraus, alles, was wir über Risiko und Verantwortung zu wissen glauben, neu zu denken.

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Seitenzahl: 455

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Zum Inhalt

Stehen wir für die Risiken ein, die wir verursachen? Zu viele der Menschen, die auf der Welt Macht und Einfluss haben, so Nassim Taleb, müssen nicht wirklich den Kopf hinhalten für das, was sie tun und veranlassen. Intellektuelle, Journalisten, Bürokraten, Banker, ihnen vor allem wirft er vor, kein »Skin in the Game« zu haben, also ihre Haut nicht aufs Spiel zu setzen. Weil sie den Preis nicht bezahlen müssen, wenn sie irren, fällen sie schlechte Entscheidungen. Taleb zeigt anhand vieler Beispiele, wie »Skin in the Game«, ein fundamentales Konzept des Risikomanagements, auf alle Bereiche unseres Lebens übertragen werden kann. Sein neues Buch, so provozierend und bahnbrechend wie Der Schwarze Schwan, fordert uns heraus, alles, was wir über Risiko und Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu wissen glauben, neu zu denken.

Zum Autor

Nassim Nicholas Taleb, geboren im Libanon, Finanzmathematiker, philosophischer Essayist und Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall, ist einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart. Er lehrt an der New York University als Distinguished Professor of Risk Engineering. Seine Sachbücher, darunter die Welterfolge Der Schwarze Schwan und Antifragilität, wurden in 33 Sprachen übersetzt.

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Incerto von Nassim Nicholas Taleb

INCERTO, eine Untersuchung von Glück, Ungewissheit, Wahrscheinlichkeit, Opazität, menschlichem Irren, Risiko und Entscheidungsfindung in einer Welt, die wir nicht verstehen, ausgedrückt in Form eines persönlichen Essays mit autobiographischen Abschnitten, Geschichten, Gleichnissen und philosophischen, historischen und wissenschaftlichen Abhandlungen in einander nicht überschneidenden Bänden, die nicht in einer vorgegebenen Reihenfolge gelesen werden müssen.

NARREN DES ZUFALLS (2002, 2013): Wie wir Glück mit Kompetenz verwechseln; wie Zufälligkeit nicht zufällig wirkt; warum es keinen Sinn hat, über Performanz zu reden, wenn es einfacher ist, zu kaufen und zu verkaufen; und über den fundamentalen Unterschied zwischen Zahnärzten und Spekulanten.

DER SCHWARZE SCHWAN (2008, 2015): Wie seltene Ereignisse mit extremen Auswirkungen die Geschichte dominieren; wie wir uns im Rückblick die Illusion verschaffen, sie dank nachträglich erstellter Narrative zu verstehen; dass es unmöglich ist, sie wissenschaftlich abzuschätzen, und wie aus diesem Grund einige Bereiche, andere hingegen nicht, vollkommen unvorhersehbar und unprognostizierbar werden; warum konfirmatorische Wissensmethoden nicht funktionieren; und wie wir dank »falscher Experten«, die blind sind für das Phänomen des Schwarzen Schwans, dazu neigen, Systeme zu errichten, die für Extremereignisse zunehmend anfällig werden.

KLEINES HANDBUCH FÜR DEN UMGANG MIT UNWISSEN (Philosophische Aphorismen) (2013, 2015)

ANTIFRAGILITÄT (2013, 2014): Über gewisse Dinge, die Unordnung (also Volatilität, Zeit, Chaos, Variabilität und Stressfaktoren) gut vertragen, im Unterschied zu anderen, denen Unordnung nicht zuträglich ist; wie wir Dinge entlang der Linien fragil– robust– antifragil klassifizieren können; wie wir vermittels nichtlinearer Reaktion (Anti-)Fragilität identifizieren können, ohne viel über die Geschichte des Prozesses wissen zu müssen (was die meisten Probleme à la Schwarzer Schwan löst); und warum Sie dann und nur dann lebendig sind, wenn Sie (ein gewisses Maß an) Volatilität zu schätzen wissen.

DAS RISIKO UND SEIN PREIS. SKIN IN THE GAME (2018), dieser Band.

INCERTO’S TECHNICAL COMPANION, bestehend aus Aufsätzen im akademischen Stil, diversen Anmerkungen und (höchst) fachspezifischen Ausführungen und Herleitungen.

Nassim Nicholas Taleb

DAS RISIKO UND SEIN PREIS

Skin in the Game

Aus dem Englischen von Susanne Held

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Skin in the Game. Hidden Assymetries in Daily Life bei Random House, New York.

PENGUIN und das Penguin Logo sind Markenzeichen von Penguin Books Limited und werden hier unter Lizenz benutzt.

Copyright © der Originalausgabe 2018 Nassim Nicholas Taleb

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Margret Trebbe-Plath

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München, nach einem Entwurf von Richard Greene,

Penguin Books/Penguin Random House UK

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Gesetzt aus der Sabon und der DIN Next

ISBN 978-3-641-23452-2V004

www.penguin-verlag.de

Zwei mutigen Männern:

Ron Paul

ein Römer unter Griechen

Ralph Nader

griechisch-phönizischer Heiliger

Inhalt

Buch I Einleitung

Die weniger offensichtlichen Aspekte von Skin in the Game

Prolog, Teil 1 Der plattgemachte Antaios

Libyen nach Antaios

Ludis de alieno corio

Warlords gibt es immer noch

Der Bob-Rubin-Trade

Systeme lernen durch Beseitigung

Prolog, Teil 2 Ein kurzer Überblick über das Thema Symmetrie

I – Von Hammurabi zu Kant

II – Von Kant zu Fat Tony

III – Modernismus

IV – Soul in the Game

Prolog, Teil 3 Die Incerto-Rippen

Die Route

Ein erweiterter Detektor

Die Rezensenten von Büchern

Organisation des Buchs

Anhang Asymmetrien im Leben und bei Dingen

Buch II Ein erster Blick auf das Agency-Problem

Kapitel 1 Warum jeder seine eigenen Schildkröten essen sollte: Gleichheit in Ungewissheit

Jeden Tag wird ein Kunde geboren

Der Getreidepreis auf Rhodos

Gleichheit in Ungewissheit

Rav Safra und die Schweizer

Mitglieder und Nichtmitglieder

Non mihi non tibi sed nobis (Weder meins, noch deins, sondern unseres)

Befinden Sie sich auf der Diagonalen?

Alle (buchstäblich) im selben Boot

Wie redet man über sein eigenes Buch?

Ein kurzer Besuch in der Arztpraxis

Ausblick

Buch III Die größte Asymmetrie

Kapitel 2 Der Intoleranteste gewinnt: Die Vorherrschaft der eigensinnigen Minderheit

Verbrecher mit Erdnussallergie

Renormierungsgruppe

Das Veto

Lingua franca

Gene vs. Sprachen

Die religiöse Einbahnstraße

Noch einmal: Dezentralisierung

Wie man anderen seine Tugenden aufzwingt

Die Stabilität der Minderheiten-Regel – ein probabilistisches Argument

Das Popper-Gödel-Paradox

Die Respektlosigkeit der Märkte und der Wissenschaft

Unus sed leo: Bloß einer, aber ein Löwe

Zusammenfassung und Ausblick

Anhang Einige weitere kontraintuitive Bemerkungen über das Kollektiv

Komplett unintelligente Märkte

Buch IV Wölfe unter Hunden

Kapitel 3 Wie man ganz legal eine Person besitzen kann

Wie besitzt man einen Piloten?

Vom Mann der Firma zur Firmenperson

Die Unternehmenstheorie von Coase

Komplexität

Eine eigentümliche Form der Sklavenhaltung

Freiheit ist nie frei

Wölfe unter Hunden

Verlustaversion

Warten auf Konstantinopel

Bloß keine Erschütterungen in Bürokristan!

Ausblick

Kapitel 4 Die Haut anderer in Ihrem Spiel

Eine Hypothek und zwei Katzen

Das Aufspüren verborgener Verwundbarkeiten

Wie man die Haut eines Selbstmordattentäters aufs Spiel setzt

Ausblick

Buch V Lebendig sein heißt, gewisse Risiken auf sich zu nehmen

Kapitel 5 Vom Leben in der Simulationsmaschine

Jesus nahm Risiken auf sich

Pascals Wette

Die Matrix

The Donald

Ausblick

Kapitel 6 Intellektueller also Idiot

Wo man eine Kokosnuss findet

Wissenschaft und Szientismus

Intellektueller also Philister

Nie ein Besäufnis mit Russen gehabt

Abschließend

Postscriptum

Kapitel 7 Ungleichheit und Skin in the Game

Ungleichheit vs. Ungleichheit

Das Statische und das Dynamische

Pikettismus und der Aufstand der Mandarin-Klasse

Der Schuster beneidet den Schuster

Ungleichheit, Reichtum und vertikale Sozialisation

Empathie und Homophilie

Man bleibe mir vom Leib mit Daten!

Die Moral von Staatsdienern

Ausblick

Kapitel 8 Ein Experte namens Lindy

Wer ist der »wahre« Experte?

Der Lindy von Lindy

Brauchen wir einen Richter?

Tee mit der Queen

Institutionen

Gegen das eigene Interesse

Noch einmal: seine Seele aufs Spiel setzen

Wissenschaft ist anfällig für Lindy

Empirisch oder theoretisch?

Die Großmutter vs. die Forscher

Ein kurzer Überblick über die Weisheit Ihrer Großeltern

Buch VI Agency genauer betrachtet

Kapitel 9 Chirurgen sollten nicht wie Chirurgen aussehen

Ins Bild passen

Die Grünholztäuschung

Ein bestens ausgestatteter Businessplan

Ein Bischof für Halloween

Der Gordische Knoten

Die Überintellektualisierung des Lebens

Ein weiteres Interventionsgeschäft

Gold und Reis

Kompensation

Erziehung als Luxusgut

Eine BS-Erkennungsheuristik

Echte Fitness-Studios sehen nicht wie Fitness-Studios aus

Ausblick

Kapitel 10 Vergiftet werden nur die Reichen: die Vorlieben der anderen

Venenum in auro bibitur

Riesige Bestattungsinstitute

Konversation

Die Nichtlinearität des Fortschritts

Ausblick

Kapitel 11 Facta non verba (Taten statt Worte)

Ein Angebot, das man kaum ablehnen kann

Die Assassinen

Attentate als Marketingmaßnahme

Demokratie durch Attentate

Die Kamera als Hilfsmittel für Skin in the Game

Kapitel 12 Die Fakten sind wahr, die News sind gefälscht

Wie Sie sich selbst widersprechen können

Informationen vertragen es nicht, besessen zu werden

Dissens-Ethik

Ausblick

Kapitel 13 Tugend als Ware

Das Öffentliche und das Private

Die Tugendhändler

Sein oder scheinen?

Simonie

Tugend hat etwas mit anderen Menschen und mit dem Kollektiv zu tun

Unpopuläre Tugend

Nehmen Sie ein Risiko auf sich

Kapitel 14 Friede: weder Tinte noch Blut

Mars vs. Saturn

Wo sind die Löwen?

Geschichte aus dem Blickwinkel der Notaufnahme

Ausblick

Buch VII Religion, Glaube und Skin in the Game

Kapitel 15 Sie wissen nicht, wovon sie reden, wenn sie von Religion reden

Glaube vs. Glaube

Libertarismus und kirchenfreie Religionen

Ausblick

Kapitel 16 Kein Gottesdienst ohne Skin in the Game

Die Götter mögen keine folgenlosen Willensbekundungen

Der Beweis

Kapitel 17 Ist der Papst Atheist?

Religiös in Worten

Ausblick

Buch VIII Risiko und Rationalität

Kapitel 18 Wie man beim Thema Rationalität rational bleibt

Optische Täuschung

Zuerst Ergodizität

Von Simon zu Gigerenzer

Aufdeckung von Präferenzen

Worum geht es bei Religion?

Geschwätz und billiges Geschwätz

Was meint Lindy dazu?

Das Nichtdekorative im Dekorativen

Kapitel 19 Die Logik der Risikobereitschaft

Ergodizität

Wiederholung von Risiken

Wer ist das – »Sie«?

Mut und Vorsicht widersprechen sich nicht

Noch einmal: Rationalität

Einige Risiken sollten Sie eingehen

Naiver Empirismus

Resümee

Epilog Was ich von Lindy gelernt habe

Dank

Glossar

Technischer Anhang

A. Skin In the Game und Tail-Wahrscheinlichkeiten

B. Probabilistische Nachhaltigkeit und Ergodizität

C. Das Prinzip der probabilistischen Nachhaltigkeit

D. Technische Definition von Fat Tails

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Register

Buch I Einleitung

Dieses Buch steht für sich allein, ist aber zugleich eine Weiterführung der Incerto-Reihe: eine Kombination aus a) praktischen Erörterungen, b) philosophischen Geschichten und c) wissenschaftlichen und analytischen Kommentaren zu den Problemen der Zufälligkeit und zu der Frage, wie wir unter dem Vorzeichen von Ungewissheit leben, essen, schlafen, diskutieren, kämpfen, Freundschaften schließen, arbeiten, uns amüsieren und Entscheidungen treffen sollen. Zwar ist es einer breiten Leserschicht zugänglich, doch man lasse sich nicht täuschen: Incerto ist ein Essay, keine Popularisierung von Aufsätzen, die an anderer Stelle in langweiliger Form erschienen sind (sehen wir einmal vom technischen Anhang von Incerto ab).

Skin in the Game handelt von vier Themen unter einem gemeinsamen Oberthema: a) Ungewissheit und die Zuverlässigkeit von Wissen (sowohl praktischem als auch wissenschaftlichem Wissen, vorausgesetzt, dass hier ein Unterschied vorliegt), oder weniger vornehm ausgedrückt: Bullshit-Entlarvung; b) Symmetrie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Fairness, Gerechtigkeit, Verantwortung und Gegenseitigkeit; c) Informationsaustausch bei Transaktionen und d) Rationalität in komplexen Systemen und in der Realität. Dass diese vier Themen eng miteinander zusammenhängen und nicht voneinander getrennt werden dürfen, ist offensichtlich, wenn man … seine Haut aufs Spiel setzt.[1]

Skin in the Game ist nicht nur erforderlich im Zusammenhang mit Fairness, kommerzieller Effizienz und Risikomanagement: Skin in the Game ist erforderlich, um die Welt zu verstehen.

Erstens dient es als Bullshit-Identifikator und Filter, es deckt also den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, Kosmetik und echtem Expertenwissen sowie zwischen der (im schlechten Sinn des Wortes) akademischen Welt und der wirklichen Welt auf. Hier wäre ein Yogiberismus angebracht: In der akademischen Welt gibt es keinen Unterschied zwischen der akademischen und der wirklichen Welt, in der wirklichen Welt hingegen schon.

Zweitens geht es um Symmetrie- und Reziprozitätsverzerrungen im Leben: Wenn Sie von etwas profitieren, dann müssen Sie auch etwas aufs Spiel setzen; Sie dürfen nicht andere für die Fehler bezahlen lassen, die Sie begehen. Wenn Sie Risiken auf andere übertragen und diese werden dadurch geschädigt, müssen Sie dafür einen Preis bezahlen. Sie sollten andere so behandeln, wie Sie selbst behandelt werden wollen, und genauso sollten Sie die Verantwortlichkeit für Ereignisse ohne Ungerechtigkeit und Ungleichheit teilen.

Wenn Sie einen Rat geben und eine andere Person richtet sich danach, dann sind Sie moralisch verpflichtet, sich den Konsequenzen zu stellen. Falls Sie eine Erklärung im Bereich Wirtschaft abgeben:

Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrer Meinung; sagen Sie mir einfach, was Sie in Ihrem Portfolio haben.

Drittens behandelt das Buch die Frage, wie viel Information man praktischerweise mit anderen teilen sollte, was ein Gebrauchtwagenhändler Ihnen über das Auto, für das Sie einen Großteil Ihrer Ersparnisse hinblättern würden, sagen – oder verschweigen – sollte.

Viertens geht es um Rationalität und die Prüfung durch die Zeit. Rationalität in der wirklichen Welt hat nichts mit dem zu tun, was Ihr Journalist im New Yorker für sinnvoll hält oder irgendein Psychologe, der mit naiven Modellen erster Ordnung arbeitet; bei Rationalität geht es vielmehr um etwas sehr viel Tieferes, Statistisches, das mit Ihrem Überleben zusammenhängt.

Sie dürfen Skin in the Game im hier verwendeten Sinn nicht lediglich für ein Motivationsproblem halten: dass man einfach an den Vorteilen partizipiert (so wird es gemeinhin im Finanzwesen verstanden). Nein. Es geht vielmehr um Symmetrie, eher darum, den Schaden zu teilen, eine Strafe zu zahlen, wenn etwas misslingt. Genau dieser Gedanke verknüpft Vorstellungen wie Anreize, Gebrauchtwagenkauf, Moral, Vertragstheorie, Lernen (im realen Leben / an der Universität), den kantischen Imperativ, kommunale Macht, Risikowissenschaft, den Kontakt zwischen Intellektuellen und der Wirklichkeit, die Verantwortlichkeit von Bürokraten, probabilistische soziale Gerechtigkeit, Optionstheorie, anständiges Verhalten, Bullshit-Anbieter, Theologie miteinander … Ich mache hier erst einmal Schluss.

Die weniger offensichtlichen Aspekte von Skin in the Game

Ein treffenderer (wenn auch sperrigerer) Titel dieses Buchs hätte lauten müssen: Die weniger offensichtlichen Aspekte von Skin in the Game– Von verborgenen Asymmetrien und ihren Folgen. Ich lese einfach ungern Bücher, die mich über das Selbstverständliche informieren. Ich werde gern überrascht. Und da für Skin in the Game Gegenseitigkeit kennzeichnend ist, werde ich den Leser nicht auf eine Reise mitnehmen, die vorhersehbar ist wie eine dröge Uni-Vorlesung, sondern eher auf die Art von Abenteuer, die ich selbst schätze.

Entsprechend ist das Buch folgendermaßen organisiert: Mehr als rund sechzig Seiten sind nicht nötig, um dem Leser die Relevanz und Allgegenwart von Skin in the Game (also Symmetrie) in seinen wichtigsten Aspekten zu vermitteln. Lassen Sie sich nie auf detaillierte Erklärungen ein, warum etwas Wichtiges wichtig ist: Durch endloses Rechtfertigen entwertet man ein Prinzip nur.

Die nichtdröge Route wird darin bestehen, sich auf den zweiten Schritt zu konzentrieren, auf die überraschenden Implikationen – jene verborgenen Asymmetrien, die einem nicht sofort in den Sinn kommen – sowie die weniger offensichtlichen Konsequenzen, von denen einige ziemlich ungemütlich sind und viele überraschend hilfreich. Wenn wir die Mechanismen von Skin in the Game begreifen, ermöglicht uns das auch das Verständnis ernstzunehmender Rätsel, die der feinkörnigen Matrix der Realität zugrunde liegen.

Beispielsweise:

Wie kommt es, dass äußerst intolerante Minderheiten die Welt regieren und uns ihren Geschmack aufzwingen? Auf welche Weise zerstört Universalismus die Völker, denen er eigentlich helfen will? Wie kommt es, dass heute mehr Menschen als Sklaven gehalten werden als zu Zeiten der Römer? Warum sollten Chirurgen nicht wie Chirurgen aussehen? Warum bestand die christliche Theologie auf einer menschlichen Natur Jesu Christi, die sich notwendigerweise von der göttlichen Natur unterscheidet? Inwiefern führen uns Historiker in die Irre, wenn sie Krieg und nicht Frieden thematisieren? Wie kommt es, dass billiges Signalegeben (ohne etwas aufs Spiel zu setzen) sowohl im ökonomischen als auch im religiösen Bereich scheitert? Wie kommt es, dass Kandidaten für ein politisches Amt mit offensichtlichen Charakterschwächen realer wirken als Bürokraten mit makellosen Qualifikationen? Warum verehren wir Hannibal? Warum gehen Firmen in genau dem Moment pleite, wo sie professionelle Manager beschäftigen, die daran interessiert sind, Gutes zu tun? Warum ist die Verteilung von Heidentum in Bevölkerungsgruppen symmetrischer?

Wie sollte Außenpolitik betrieben werden? Warum sollte man nie karitativen Organisationen Geld geben, es sei denn, sie operieren in ausgesprochen distributiver Weise (»uberized« im englischen Neusprech)? Warum breiten sich Gene und Sprachen unterschiedlich aus? Warum spielt Gruppengröße eine Rolle (die Grundhaltung einer Gruppe von Fischern schlägt von partnerschaftlich auf feindselig um, wenn man den Umfang, also die Anzahl der beteiligten Personen, um eine Einheit verschiebt)? Warum hat Verhaltensökonomie nichts mit dem Verhalten von Individuen zu tun – und warum haben Märkte nur wenig zu tun mit den Neigungen der Beteiligten? Inwiefern geht es bei Rationalität um Überleben und nur darum? Wie sieht die grundlegende Logik von Risikotragfähigkeit aus?

Für den Autor geht es bei Skin in the Game vor allem um Gerechtigkeit, Ehre und Opfer, um das also, was für den Menschen existentiell ist.

Skin in the Game, als Regel eingesetzt, reduziert die Auswirkungen folgender Divergenzen, die sich aus der Zivilisation ergeben: Divergenzen zwischen Handeln und billigem Geschwätz(tawk), Konsequenz und Absicht, Praxis und Theorie, Ehre und Ruf, Erfahrungswissen und Scharlatanerei, dem Konkreten und dem Abstrakten, dem Ethischen und dem Legalen, zwischen echt und kosmetisch, Händler und Bürokrat, Unternehmer und Geschäftsführer, Stärke und Darstellung, Liebe und Goldgräberei, Coventry und Brüssel, Omaha und Washington, D. C., menschlichen Wesen und Ökonomisten, Autoren und Verlegern, Gelehrsamkeit und Universität, Demokratie und Regierung, Wissenschaft und Szientismus, zwischen Politik und Politikern, Liebe und Geld, dem Geist und dem Buchstaben, Cato dem Älteren und Barack Obama, Qualität und Werbung, Hingabe und Zurschaustellung und, ganz zentral, zwischen dem Kollektiven und dem Individuellen.

Wir wollen zunächst mit zwei Skizzen einige wenige Punkte aus dieser Liste verbinden, um eine erste Ahnung davon zu vermitteln, wie die Idee die Kategorien übersteigt.

Anmerkungen

[1] Damit einem klar wird, warum Ethik, moralische Verpflichtungen und Kompetenzen im wirklichen Leben nicht einfach auseinanderzudividieren sind, überlege man sich Folgendes: Wenn Sie einer Person in verantwortlicher Position – nehmen wir an, Ihrem Buchhalter – sagen: »Ich traue Ihnen«, meinen Sie dann, 1. dass Sie ihn für moralisch vertrauenswürdig halten (er wird kein Geld nach Panama umlenken), 2. dass Sie seiner Kompetenz als Buchhalter trauen, oder 3. beides? In diesem Buch geht es um nichts anderes, als dass es in der realen Welt schwierig ist, Moral einerseits und Wissen und Kompetenz andererseits voneinander zu trennen.

Prolog, Teil 1 Der plattgemachte Antaios

Entferne dich nie von Mama– Ich stoße immer wieder auf Warlords – Bob Rubin und sein Trade– Systeme wie Autounfälle

Antaios war ein Riese, besser gesagt eine Art Halbriese, der leibliche Sohn von Gaia – Mutter Erde – und von Poseidon, dem Meeresgott. Er ging einer sonderbaren Beschäftigung nach, er zwang Reisende, die durch sein Land, (das griechische) Libyen, kamen, dazu, mit ihm einen Ringkampf auszutragen; seine Spezialität bestand darin, seine Opfer zu Boden zu schlagen und zu zerquetschen. Dieses makabre Hobby war offenbar ein Ausdruck von Sohnesliebe; Antaios hatte das Ziel, mit den Schädeln seiner Opfer einen Tempel für seinen Vater Poseidon zu bauen.

Antaios galt als unbesiegbar, allerdings gab es einen Trick. Er bezog seine Stärke aus dem Kontakt mit seiner Mutter, der Erde. Verlor sein Körper den Kontakt zur Erde, verlor er auch seine ganze Kraft. Herkules sollte, als eine seiner zwölf Aufgaben (so eine Variante der Geschichte), Antaios bezwingen. Er schaffte es, ihn vom Boden hochzuheben und ihn dann zu zerquetschen, weil Antaios’ Füße nun keinen Kontakt mehr mit seiner Mama hatten.

Wir lernen aus dieser ersten Skizze, dass wir, ebenso wie Antaios, Wissen nicht vom Kontakt mit dem Erdboden trennen können. Im Grunde kann man gar nichts vom Kontakt mit dem Erdboden trennen. Und der Kontakt mit der Realität wird hergestellt über Skin in the Game – darüber, sich der realen Welt auszusetzen und einen Preis für die Folgen zu zahlen, seien sie nun gut oder schlecht. Dabei bestimmen die Abschürfungen Ihrer Haut das Lernen und Entdecken; es handelt sich um einen Mechanismus körperbasierter Zeichensetzung, den die Griechen pathemata mathemata nannten (Lernen durch Schmerz, ein Phänomen, das Mütter kleiner Kinder zur Genüge kennen dürften). Wie ich in meinem Buch Antifragilität gezeigt habe, wurden die meisten Dinge, von denen wir meinen, sie seien an Universitäten »erfunden« worden, in Wahrheit durch Ausprobieren entdeckt und später durch irgendeine Art von Formalisierung legitimiert. Das Wissen, das wir durch Ausprobieren, durch Versuch und Irrtum, durch Erfahrung und im Laufe der Zeit erwerben – mit anderen Worten durch den Kontakt mit der Erde –, ist bei Weitem jenem Wissen überlegen, das durch Verstandestätigkeit angeeignet wird, ein Umstand, den selbstsüchtige Institutionen sorgfältig vor uns verbergen.

Wir werden das nun auf den Bereich übertragen, der fälschlicherweise als »Politikgestaltung« bezeichnet wird.

Libyen nach Antaios

Zweite Skizze. Während ich diese Zeilen schreibe, wenige tausend Jahre später, hat Libyen, das Land, aus dem Antaios wahrscheinlich stammte, einen Sklavenmarkt – Ergebnis des gescheiterten Versuchs einer Aktion, die als »Änderung des Regierungssystems« mit dem Ziel, »einen Diktator zu beseitigen«, bezeichnet wird. Jawohl: Im Jahr 2017 wurden auf Parkplätzen improvisierte Sklavenmärkte abgehalten, auf denen man gefangen genommene Schwarzafrikaner an die Meistbietenden verkaufte.

Eine Gruppe von Leuten, die als Interventionisten zu klassifizieren sind (um nur einige zu nennen: Bill Kristol, Thomas Friedman, und andere[2])– sie betrieben 2003 die Invasion im Irak und 2011 die Beseitigung des libyschen Führers–, macht sich für die Umsetzung weiterer solcher Regimewechsel in anderen Ländern stark, wozu auch Syrien gehört, weil »es dort einen Diktator gibt«.

Diese Interventionisten und ihre Freunde im Außenministerium der USA waren daran beteiligt, islamistische Rebellen– die damals als »moderat« galten– auszubilden, zu trainieren und zu unterstützen. Diese »moderaten« Rebellen schlossen sich dann irgendwann der Al-Qaida an, ebenjener Al-Qaida, die im Zuge der Ereignisse des 11.September 2001 die Türme des World Trade Center in New York in die Luft sprengte. Seltsamerweise konnten sich die besagten Interventionisten nicht daran erinnern, dass Al-Qaida selbst sich aus »moderaten Rebellen« zusammensetzte, die von den USA geschaffen (oder herangezogen) worden waren, um das Land im Kampf gegen Sowjetrussland zu unterstützen, denn der Verstand dieser gebildeten Leute ist zu solchen Rekursionen nicht in der Lage.

Wir haben also diese Sache namens Regimewechsel im Irak versucht und sind damit erbärmlich gescheitert. Wir haben diese Sache dann in Libyen wieder versucht, und jetzt gibt es dort florierende Sklavenmärkte. Aber wir haben das Ziel erreicht, »einen Diktator zu beseitigen«. Mit derselben Argumentation könnte ein Arzt einem Patienten »moderate« Krebszellen injizieren, »um seine Cholesterinwerte zu verbessern«, und stolz einen Erfolg vermelden, nachdem der Patient tot ist– vor allem, wenn sich bei der Autopsie bemerkenswert erfreuliche Cholesterinwerte ergeben. Aber wir wissen, dass Ärzte so etwas– jedenfalls in einer so kruden Form– nicht tun und dass es dafür einen ganz klaren Grund gibt. Ärzte sind normalerweise zu einem gewissen Grad existentiell mitbetroffen, auch ihre Haut steht auf dem Spiel– sie haben also eine wenigstens ungefähre Vorstellung von komplexen Systemen und eine über mehrere Jahrtausende gewachsene Moral, die ihr Verhalten bestimmt.

Doch man darf Logik, Vernunft und Bildung nicht einfach abtun– genaues Nachdenken auf einer höheren logischen Ebene würde zeigen, dass genau die Logik, mit der Regimewechsel befürwortet werden, auch impliziert, dass Sklaverei oder andere Verfallserscheinungen (da sie typische Ergebnisse sind) befürwortet werden. Diesen Interventionisten fehlt also nicht nur ein Gespür für die Praxis, und sie lernen nicht nur nichts aus der Geschichte, sie machen sogar Fehler auf der reinen Verstandesebene, die sie im Sumpf irgendwelcher halb-abstrakter Diskurse ersticken.

Ihre drei Schwachstellen: 1. Sie denken statisch, nicht dynamisch; 2. sie denken in kleinen, nicht in großen Dimensionen; 3. sie denken in Aktionen, nie in Interaktionen. Wir werden diesen Verstandesdefekt akademisch ausgebildeter Idioten noch genauer unter die Lupe nehmen. Drei Schwächen kann ich schon jetzt umreißen. Die erste Schwäche: Sie können nicht in zweiten Schritten denken und sehen auch keine Notwendigkeit dafür – wobei jeder Bauer in der Mongolei, jeder Kellner in Madrid, jeder Automechaniker in San Francisco weiß, dass es im echten Leben nun einmal zweite, dritte, vierte, nte Schritte gibt. Die zweite Schwäche: Sie sind unfähig, zwischen multidimensionalen Problemen und deren eindimensionalen Darstellungen zu unterscheiden – etwa den Unterschied zu sehen zwischen multidimensionaler Gesundheit und deren entbeinter, auf Cholesterinwerte reduzierter Version. Sie begreifen nicht, dass empirisch gesehen komplexe Systeme keine offensichtlichen eindimensionalen Ursache-Wirkungs-Mechanismen haben und dass man mit solchen Systemen unter opaken Bedingungen nicht herumhantieren sollte. Eine Folge dieses Defekts ist die Unart, die Taten eines »Diktators« mit denen des Premierministers von Norwegen oder Schweden zu vergleichen anstatt mit denen der vor Ort gegebenen Alternativen. Die dritte Schwäche: Sie können die Entwicklung derjenigen nicht vorhersagen, denen man durch einen Angriff hilft, oder die Vergrößerung, die sich aus Feedback-Prozessen ergibt.

Ludis de alieno corio[3]

Und wenn es dann zu einem Zusammenbruch kommt, machen sie Unwägbarkeiten dafür verantwortlich, ein Phänomen, das üblicherweise als Schwarzer Schwan bezeichnet wird (ein seltenes und höchst unwahrscheinliches Ereignis), nach einem Buch von irgend so einem (entsetzlich) dickköpfigen Typen. Sie merken nicht, dass man nicht an einem System herumpfuschen sollte, wenn die Ergebnisse völlig ungewiss sind, oder, allgemeiner gesagt, man sollte sich nicht auf eine Aktion mit einer gewaltigen Schattenseite einlassen, wenn man keine Vorstellung von den Resultaten hat. Entscheidend ist, dass sich diese Schattenseite auf den Interventionisten nicht auswirkt. Er macht einfach weiter wie bisher aus dem Komfort seines wärmegedämmten, temperaturgeregelten Vorstadthauses mit Doppelgarage heraus, mit Hund und einem kleinen Spielplatz mit pestizidfreiem Gras für seine überbehüteten 2,2 Kinder.

Man stelle sich Menschen mit ähnlichen mentalen Behinderungen, also Personen, die nicht verstehen, was Asymmetrie heißt, als Flugzeugpiloten vor. Inkompetente Piloten, die nicht aus Erfahrung lernen können oder die bedenkenlos Risiken eingehen, welche sie nicht überschauen, bringen womöglich viele Menschen um. Aber sie werden ihrerseits auf dem Grund des – sagen wir – Bermudadreiecks landen und aufhören, eine Bedrohung für andere und die Menschheit zu sein. Nicht hier.

Wir bevölkern also die sogenannte Intelligenzia mit Leuten von wahnhafter Veranlagung, mit buchstäblich Geistesgestörten, deren Störung schlichtweg darauf zurückzuführen ist, dass sie für die Folgen ihres Handelns nie einzustehen haben und einfach nur permanent modernistische Slogans wiederholen, denen jegliche Tiefe abgeht (beispielsweise verwenden sie weiterhin den Begriff »Demokratie«, während sie Headhunter anheuern; Demokratie ist etwas, wovon sie in akademischen Abschlussarbeiten gelesen haben). Sie können im Allgemeinen davon ausgehen: Wenn Sie hören, dass jemand abstrakte modernistische Ansichten von sich gibt, dann hat er sehr wahrscheinlich eine gewisse Ausbildung genossen (nicht genug oder nicht im richtigen Fach), und er hat zu wenig Verantwortungsgefühl.

Einige unschuldige Menschen – Jesiden, christliche Minderheiten im Nahen und Mittleren Osten, Mandäer, Syrer, Iraker und Libyer – mussten den Preis für die Fehler dieser Interventionisten zahlen, die nach wie vor in ihren gemütlichen, klimatisierten Büros sitzen. Wir werden sehen, dass das ein direkter Widerspruch zur Vorstellung von Gerechtigkeit seit ihrem vorbiblischen, babylonischen Ursprung ist, ein Widerspruch außerdem zu der moralischen Struktur, die das Überleben der Menschheit gesichert hat.

Das Prinzip der Intervention, wie das der Heilkunde, lautet: Zuerst einmal nicht schaden(primum non nocere); wir aber wollen noch weitergehen und sagen: Menschen, die kein persönliches Risiko eingehen, sollten nie mit Entscheidungen betraut werden.

Außerdem:

Wir waren immer schon verrückt, aber wir waren nicht schlau genug, um die Welt zu zerstören. Jetzt können wir es.

Wir kommen auf die »friedenstiftenden« Interventionisten noch zurück und schauen uns genauer an, wie sie mit ihren Friedensbemühungen ausweglose Situationen herbeiführen, man denke nur an das Problem von Israelis und Palästinensern.

Warlords gibt es immer noch

Die Vorstellung, dass man seine eigene Haut aufs Spiel setzt, ist in der Geschichte fest verankert: Sämtliche Kriegsherren und Kriegsbefürworter waren selbst Krieger. Mit einigen merkwürdigen Ausnahmen wurden Gesellschaften von Risikoträgern gelenkt, und nicht von Personen, die Risiken abgaben.

Bedeutende Menschen nahmen Risiken auf sich – deutlich mehr Risiken als gewöhnliche Bürger. Der römische Kaiser Julian Apostata – mehr von ihm später – starb auf dem Schlachtfeld, er kämpfte selbst in dem endlosen Krieg an der persischen Grenze, und zwar während er Kaiser war. Bei Julius Caesar, Alexander und anderen Heerführern wie Napoleon kann man durchaus spekulieren, ob manche ihrer überlieferten Großtaten sich nicht eher dem für Historiker typischen Hang zur Legendenbildung verdanken, doch im Falle Julians sind die Zeugnisse über jeden Zweifel erhaben. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass ein Kaiser an vorderster Front kämpfte, als ein aus seiner Brust ragender feindlicher Speer (Julian hatte es versäumt, seine Rüstung anzulegen). Einer seiner Vorgänger, Valerian, wurde an derselben Grenze gefangen genommen und soll von dem Perser Schapur als menschlicher Schemel benutzt worden sein, als er sein Pferd bestieg. Und der letzte byzantinische Kaiser, Konstantin XI. Palaiologos, wurde ein letztes Mal gesehen, als er seine purpurne Toga ablegte und sich dann Johannes Dalmatos und seinem Vetter Theophilos Palaiologos anschloss, die mit gezogenen Schwertern auf die türkischen Truppen losgingen, im sicheren Wissen, dass sie dabei umkommen würden. Es gibt allerdings auch die Version, Konstantin sei für den Fall, dass er sich ergeben würde, ein Deal angeboten worden. Für wahre Könige, die wissen, was sie ihrem Amt schuldig sind, kommen derartige Deals jedoch nicht in Frage.

Und dabei handelt es sich nicht um vereinzelte Anekdoten. Als statistisch geschulter Denker ist der Autor ziemlich überzeugt: Von den römischen Kaisern starben weniger als ein Drittel in ihrem Bett, und man kann – in Anbetracht des Umstands, dass nur wenige dieser Männer in hohem Alter verschieden – argumentieren, dass sie, wenn sie länger gelebt hätten, entweder einem Anschlag zum Opfer oder auf dem Schlachtfeld gefallen wären.

Selbst heute noch leiten Monarchen ihre Legitimität von einem Sozialvertrag ab, zu dem physische Risikobereitschaft gehört. Die königliche Familie Großbritanniens sorgte dafür, dass während des Falklandkriegs im Jahr 1982 einer ihrer Sprösslinge, Prinz Andrew, mehr Risiken auf sich nahm als die »gemeinen Männer«: Sein Helikopter war an vorderster Front eingesetzt. Warum? Weil: Noblesse oblige; der Stand eines Lords war traditionellerweise dadurch definiert, dass er andere beschützte. Er bezahlte seine privilegierte Stellung damit, dass er persönliche Risiken auf sich nahm – und offensichtlich erinnert man sich in England noch an diesen Zusammenhang. Sie können kein Herr sein, wenn Sie kein Edelmann sind.

Der Bob-Rubin-Trade

Manche glauben, sich von Kämpfern an der Spitze zu befreien, sei gleichbedeutend mit Zivilisation und Fortschritt. Das trifft nicht zu. Stattdessen:

Bürokratie ist ein Mechanismus, durch den eine Person von den Folgen ihres Handelns abgetrennt wird.

Man kann nun natürlich fragen, was wir denn tun können, wo doch ein zentralisiertes System Leute braucht, die den Folgen von Irrtümern nicht unmittelbar ausgesetzt sind. Wir haben keine andere Wahl als zu dezentralisieren oder, freundlicher formuliert, zu lokalisieren; weniger von diesen immunen Entscheidungsträgern zu haben.

Dezentralisation beruht auf der simplen Formel, dass es leichter ist, Makrobullshit zu produzieren als Mikrobullshit.

Dezentralisation reduziert große strukturelle Asymmetrien.

Aber wir müssen uns darum nicht unbedingt selber kümmern – wenn wir es nicht in die Hand nehmen, wird es von allein passieren, auf die harte Tour: Ein System, in dem es den Mechanismus von Skin in the Game nicht gibt, wird irgendwann in die Luft fliegen und sich auf diese Weise selbst reparieren. Wenn es überlebt.

So ereigneten sich beispielsweise die Bank-Zusammenbrüche des Jahres 2008 aufgrund der Akkumulation von Risiken, die im System verborgen und asymmetrisch waren: Banker – wahre Meister in der Kunst der Risikoabschiebung – konnten kontinuierlich Bonusse aus einer bestimmten Klasse verborgener explosiver Risiken einstreichen, unter Verwendung von Risikomodellen, die nirgends sonst funktionieren als auf dem Papier (denn Akademiker haben praktisch keine Ahnung von Risiken); und dann berufen sie sich nach dem Zusammenbruch auf Unwägbarkeit, diesen besagten unsichtbaren, unvorhersehbaren Schwarzen Schwan und denselben sehr, sehr sturen Autor, und behalten die Bonuszahlungen der Vergangenheit – ich habe das als Bob-Rubin-Trade bezeichnet.

Was hat es mit dem Bob-Rubin-Trade auf sich? Robert Rubin, ehemaliger US-Finanzminister – einer derjenigen, deren Unterschrift auf der Banknote prangt, mit der Sie gerade Ihren Kaffee bezahlt haben –, strich in dem Jahrzehnt vor dem Bankencrash des Jahres 2008 über 120 Millionen Ausgleichszahlungen von der Citibank ein. Als die buchstäblich insolvente Bank vom Steuerzahler gerettet wurde, schrieb er nicht einen einzigen Scheck aus – er berief sich auf Ungewissheit als Entschuldigung. Kopf – er gewinnt; Zahl – er ruft »Schwarzer Schwan«. Und Rubin räumte auch nicht ein, dass er das Risiko auf die Steuerzahler übertrug: Spezialisten für spanische Grammatik, Assistenzlehrer, Aufseher in Blechdosenfabriken, vegetarische Ernährungsberater und Sekretärinnen von Assistenzstaatsanwälten »stoppten ihn aus«, übernahmen also seine Risiken und bezahlten seine Verluste. Am härtesten traf es allerdings die freien Märkte, da die Öffentlichkeit, die sowieso dazu neigt, Finanzleute zu hassen, freie Märkte mit Korruptions- und Klüngelwirtschaftsformen höherer Ordnung in einen Topf warf, wo es sich doch in Wahrheit um das genaue Gegenteil handelte: Die Regierung, nicht die Märkte, ermöglicht aufgrund der Mechanismen von Rettungsaktionen solche Vorgänge. Und es sind nicht nur die Rettungsaktionen: Die Einmischung von Seiten der Regierung führt generell zur Abschaffung von Skin in the Game.

Die gute Nachricht lautet, dass trotz der Bemühungen einer mitschuldigen Obama-Regierung, die das Spiel und die Banker mit ihrem Rent-Seeking schützen wollte,[4] das Risikogeschäft sich zunehmend auf kleine, unabhängige Strukturen verlegte, die sogenannten Hedgefonds. Diese Verschiebung vollzog sich überwiegend wegen der Überbürokratisierung des Systems, denn Papierwälzer, die meinen, Arbeit bestehe zum größten Teil aus dem Hin- und Herschieben von Papier, bürdeten den Banken zu viele Regeln auf– aber in ihren Tausende von Seiten umfassenden Regelwerken machten sie sorgfältig einen Bogen um die Vorstellung, dass man seine eigene Haut riskiert. Im dezentralisierten Bereich der Hedgefonds hingegen haben die Besitzer mindestens die Hälfte ihres Eigenkapitals in den Fonds, was sie im Vergleich zu ihren Kunden stärker exponiert, und sie gehen persönlich mit unter, wenn das Schiff sinkt.

Systeme lernen durch Beseitigung

Wenn Sie nur einen Abschnitt dieses Buchs hervorheben wollen, dann nehmen Sie den folgenden. Entscheidend für unsere Geschichte ist die Interventionisten-Frage, da sie zeigt, dass die fehlende Bereitschaft, die eigene Haut aufs Spiel zu setzen, sowohl moralische als auch erkenntnistheoretische (also auf Wissen bezogene) Auswirkungen hat. Wir haben gesehen, dass Interventionisten nicht lernen, weil sie nicht Opfer ihrer Fehler werden, und wie wir mit pathemata mathemata schon angedeutet haben:

Sie werden nie jemanden vollständig davon überzeugen können, dass er sich irrt, das schafft nur die Realität.

Denn:

Der Fluch der Modernität besteht darin, dass es immer mehr Menschen gibt, die besser erklären können als verstehen.

Oder besser erklären können als handeln.

Lernen ist also nicht ganz das, was wir den armen Individuen in den Hochsicherheitsgefängnissen – den sogenannten »Schulen« – beibringen. In der Biologie ist Lernen ein Vorgang, der durch den Prozess der Selektion bis auf die Ebene der Zellen von Organismen hinunterreicht – die eigene Haut aufs Spiel zu setzen ist also, ich betone es noch einmal, eher ein Filter als ein bloßes Abschreckungsargument. Evolution kann nur stattfinden, wenn das Risiko des Aussterbens gegeben ist. Außerdem:

Es gibt keine Evolution ohne Skin in the Game.

Dieser letzte Punkt liegt eigentlich auf der Hand, doch treffe ich immer wieder auf Akademiker, die ihre Haut nicht aufs Spiel setzen und sich für Evolution starkmachen, während sie gleichzeitig die Vorstellung von Skin in the Game und Risikoaufteilung zurückweisen. Sie lehnen die Vorstellung eines Plans von einem Schöpfer, der alles weiß, ab, während sie gleichzeitig einen menschengemachten Plan durchsetzen wollen, als würden sie sämtliche Folgen kennen. Im Allgemeinen gilt: Je mehr die Menschen den sakrosankten Staat verehren (oder, was dem entspricht, große Unternehmen), desto mehr hassen sie Skin in the Game. Je mehr sie Anzüge und Krawatten tragen, desto mehr hassen sie Skin in the Game.

Zurück zu den Interventionisten: Wir wissen, dass diese Leute kaum etwas aus ihren Fehlern oder den Fehlern anderer lernen; es ist vielmehr das System, das lernt, indem es diejenigen selektiert, die weniger zu einem bestimmten Typ von Fehlern neigen, und die anderen eliminiert.

Systeme lernen, indem sie Teile ausscheiden– via negativa.[5]

Wir erwähnten bereits, dass sich dank des Prinzips Skin in the Game viele unfähige Piloten mittlerweile auf dem Meeresgrund befinden und viele gefährlich schlechte Autofahrer auf Friedhöfen mit netten, von Bäumen gesäumten Spazierwegen ruhen. Das Transportwesen wurde nicht deshalb sicherer, weil die Menschen aus Fehlern lernen, sondern weil das System aus Fehlern lernt. Die Erfahrung des Systems ist eine andere als diejenige eines Individuums, und sie braucht einen solchen Filterungsprozess.

Ein vorläufiges Resümee:

Skin in the Game hält die menschliche Hybris im Zaum.

Steigen wir jetzt mit dem zweiten Teil des Prologs tiefer in die Thematik ein und befassen wir uns mit der Vorstellung von Symmetrie.

Anmerkungen

[2] Interventionisten haben alle eine gemeinsame Eigenschaft: Sie sind für gewöhnlich keine Gewichtheber.

[3] Mit dem Leben anderer spielen.

[4] Rent-seeking bedeutet, Schutzvorschriften oder »Rechte« zu benutzen, um sich ein Einkommen zu verschaffen, ohne irgendetwas zur Konjunktur beizutragen, ohne den Wohlstand anderer zu vermehren. Fat Tony (der ein paar Seiten weiter vorgestellt wird) würde sagen: Es ist, als würde man gezwungen, an die Mafia Schutzgeld zu zahlen, ohne vom Schutz der Mafia wirtschaftlich zu profitieren.

[5]Via negativa: Das Prinzip, dass wir deutlicher erkennen, was falsch ist, als was richtig ist, und dass Wissen durch Subtraktion zunimmt. Des Weiteren ist es leichter zu wissen, dass etwas falsch ist, als herauszufinden, wie es richtigzustellen wäre. Handlungen, die wegnehmen, sind robuster als Handlungen, die hinzufügen, da Hinzufügung zu unvorhergesehenen, komplizierten Feedback-Schleifen führen kann. In Antifragilität behandle ich diese Thematik ausführlich.

Prolog, Teil 2 Ein kurzer Überblick über das Thema Symmetrie

Meta-Experten über Meta-Meta-Experten – Prostituierte, Nicht-Prostituierte und Amateure –Die Franzosen haben da diese Sache mit Hammurabi – Dumas ist immer eine Ausnahme

I – Von Hammurabi zu Kant

Die Symmetrie im Sinne von Skin in the Game wurde – bis zu der jüngsten Intellektualisierung des Lebens – als prinzipielle Regel einer organisierten Gesellschaft vorausgesetzt, ja für jede Form kollektiven Lebens, in welcher man anderen mehr als einmal begegnet oder mehr als einmal mit ihnen zu tun hat. Die Regel muss sogar älter sein als die Ansiedlung der ersten Menschen, da sie in einer komplexen, sehr komplexen Form schon im Tierreich gilt. Oder anders gesagt: Die Regel muss im Tierreich bereits gegolten haben, sonst wäre das Leben ausgelöscht worden – die Verlagerung von Risiken zerstört Systeme. Der Sinn dieses Gesetzes, sei es göttlichen oder anderen Ursprungs, besteht darin, Ungleichgewichtigkeit zu beheben und Asymmetrien zu beseitigen.

Schauen wir uns kurz den Weg an, der von Hammurabi zu Kant führt und auf dem sich die Regel gemeinsam mit der Zivilisation ausgebildet hat.

Hammurabi in Paris

Hammurabis Gesetz wurde vor rund 3800 Jahren in eine Basaltstele eingemeißelt und auf einem zentralen öffentlichen Platz in Babylon aufgestellt, sodass jeder, der des Lesens fähig war, es lesen konnte oder vielmehr es denjenigen vorlesen konnte, die nicht lesen konnten. Es umfasst 282 Gesetze und gilt als erste erhaltene Aufzeichnung legaler Normen. Der Codex hat ein zentrales Thema: Er legt Symmetrien zwischen Menschen in einer Transaktion fest, sodass niemand verborgene Tail-Risiken – Risiken im Stil von Bob Rubin – übertragen kann. Der Bob-Rubin-Trade ist also tatsächlich 3800 Jahre alt, so alt wie die Zivilisation, und dasselbe gilt auch für die Regeln, mit denen man ihm begegnet.

Was ist ein Tail? Geben wir uns für den Moment mit der Definition zufrieden, dass es sich um ein Extremereignis geringer Häufigkeit handelt. Es wird als »tail« (Schwanz) bezeichnet, weil es, da es sehr selten auftritt, in Darstellungen einer Glockenkurve extrem links oder rechts erscheint. Aus einem Grund, der sich meinem unmittelbaren Verständnis entzieht, fingen die Leute an, das als »tail« zu bezeichnen, und diese Bezeichnung hat sich gehalten.

Hammurabis bekannteste Anordnung lautet folgendermaßen: »Wenn ein Baumeister ein Haus baut und das Haus bricht später zusammen und verursacht den Tod des Hausbesitzers, ist der Baumeister hinzurichten.«

Denn wie beim Finanztrade versteckt man beim Hausbau Risiken am besten »in den Ecken«; Schwachstellen werden auf seltene Ereignisse verschoben, die lediglich der Architekt (oder der Trader) kennt – man will, wenn sich der Zusammenbruch dann ereignet, zeitlich und räumlich möglichst weit davon entfernt sein. Als ich meinen Abschluss machte, gab mir ein alter, alkoholkranker, rotgesichtiger englischer Banker den folgenden Karrieretipp: »Ich vermittle nur langfristige Darlehen. Wenn sie fällig werden, bin ich längst weg. Und nur über große Distanzen hinweg erreichbar.« Er arbeitete für internationale Banken und überlebte mit diesem Trick, indem er alle fünf Jahre das Land wechselte; und soweit ich mich erinnere, wechselte er alle zehn Jahre die Ehefrau und alle zwölf Jahre die Bank. Aber er musste gar nicht weit weg oder in den Untergrund gehen, um sich zu verstecken: Bis vor kurzem forderte niemand die Bonusse von den Bankern zurück, die sie in der Vergangenheit erhalten hatten, wenn später etwas schieflief. Und wie zu erwarten war es – im Jahr 2008 – dann die Schweiz, die damit anfing, Bonusse zurückzufordern.

Die allgemein bekannte lex talionis, »Auge um Auge«, leitet sich aus Hammurabis Regel ab. Sie ist metaphorisch, nicht wörtlich zu verstehen: Sie müssen also nicht wirklich ein Auge entfernen; die Regel ist flexibler, als es zunächst aussieht. In einer berühmten talmudischen Auseinandersetzung (dem Bava qama) argumentiert ein Rabbi, wenn man dem Gesetz buchstäblich folgen würde, müsste ein Einäugiger lediglich die Hälfte der Strafe zahlen, wenn er eine Person mit zwei Augen blendet, und ein Blinder käme völlig ungeschoren davon. Oder wie verhält es sich, wenn ein Schwächling einen Helden umbringt? Und man muss auch nicht dem unverantwortlichen Chirurgen, der das falsche Bein amputiert hat, ein Bein abschneiden: Das Schadensersatzsystem wird dank der Bemühungen Ralph Naders durch Gerichtshöfe, nicht durch Regulierung, eine Strafe verhängen, die so bemessen ist, dass sie Verbraucher und Bürger vor mächtigen Institutionen schützt. Das Rechtssystem kann natürlich das eine oder andere Ärgernis produzieren (vor allem im Zusammenhang mit den Schadensersatzrechten), und es hat seine eigene Klasse von Rent-Seekern, doch ist es bei Weitem besser, sich über Anwälte zu beklagen, als darüber, dass es keine gibt.

Praktischer gesprochen: Einige Ökonomen haben versucht, mir vorzuwerfen, dass ich den in der Moderne eingeführten Insolvenzschutz untergraben würde; manche beschuldigten mich sogar, ich wolle für Banker die Guillotine wiedereinführen. So wörtlich nehme ich die Sache nicht: Es geht einfach darum, irgendeine Strafe verhängen zu können, gerade genug, um den Bob-Rubin-Trade weniger attraktiv zu machen und die Öffentlichkeit zu schützen.

Aus irgendeinem Grund, der sich mir entzieht – eine dieser Absonderlichkeiten, die es nur in Frankreich gibt –, steht Hammurabis Codex, eine Stele aus grauschwarzem Basalt, im Pariser Louvre. Und die Franzosen, die normalerweise über vieles viel wissen, wovon wir nicht viel verstehen, kennen sich damit nicht sonderlich gut aus; lediglich koreanische Museumsbesucher mit Selfiesticks scheinen davon gehört zu haben.

Auf meiner vorletzten Pilgerreise dorthin kam es dazu, dass ich in einem Vortragsraum, der sich im Louvre selbst befand, vor französischen Bankern einen Vortrag zu den Themen dieses Buchs und der Idee von Skin in the Game hielt. Ich sprach direkt nach jenem Mann, der, obwohl sein Aussehen (wie auch seine Persönlichkeit) demjenigen mesopotamischer Statuen ziemlich ähnelt, ein Inbegriff der Abwesenheit von Skin in the Game ist: dem ehemaligen Notenbankchef Ben Bernanke. Als ich dann aber die Zuhörer unter Ausnutzung der situationsbedingten Ironie darauf hinwies, dass wir vor fast vier Jahrtausenden in gewisser Hinsicht in diesen Dingen klüger gewesen waren und dass das betreffende Denkmal sich nur gerade einmal dreißig Meter von meinem Rednerpult entfernt befand, hatte zu meiner Bestürzung keiner der Anwesenden eine Ahnung, wovon ich redete – obwohl doch französische Banker angeblich so hoch kultiviert sind. Niemand wusste mehr über Hammurabi, als dass er irgendein Akteur in der mesopotamischen Geopolitik gewesen war, geschweige denn von einem Zusammenhang zwischen ihm und Skin in the Game sowie der Verantwortlichkeit von Bankern.

Tabelle 1 zeigt den Fortschritt in der Entwicklung der Symmetrieregeln seit Hammurabi, begeben wir uns also die Leiter hinauf.

Tabelle 1– Die Evolution moralischer Symmetrie

(Taleb und Sandis, 2016)

HAMMURABI / LEX TALIONIS

15. GESETZ DER HEILIGKEIT UND GERECHTIGKEIT

SILBERNE REGEL

GOLDENE REGEL

FORMEL DES UNIVERSELLEN GESETZES

»Auge um Auge, Zahn um Zahn.« (Hammurabi; Exodus 21.24)

»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«

(Leviticus 19.18)

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!«(Isokrates, Hillel der Ältere, Mahabharata)

»Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!«(Matthäus 7,12)

»Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.«(Kant 1785: 4.421)

Silber schlägt Gold

Gehen wir kurz die Regeln rechts von Hammurabi durch. Leviticus bietet eine abgemilderte Form von Hammurabis Regel. Die Goldene Regel verlangt, andere so zu behandeln, wie du von ihnen behandelt werden möchtest. Die robustere Silberne Regel sagt: Behandle andere nicht so, wie du von ihnen nicht behandelt werden willst. Robuster? Inwiefern? Warum ist die Silberne Regel robuster?

Erstens gibt sie vor, dass man sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und nicht entscheiden soll, was »gut« für andere ist. Was schlecht ist, wissen wir sehr viel genauer, als was gut ist. Die Silberne Regel könnte man als negative Goldene Regel verstehen, und mein kalabresischer (und Kalabresisch sprechender) Barbier zeigt mir alle drei Wochen, dass via negativa (Handeln durch Entfernen) effektiver und weniger fehleranfällig ist als via positiva (Handeln durch Hinzufügen[6]).

Eine Anmerkung zu den »anderen« in der Formulierung behandle die anderen… »Du« kann sich natürlich auch auf ein Kollektiv beziehen, also nicht nur ein Individuum bezeichnen, sondern auch ein Basketballteam oder den Nordöstlichen Zusammenschluss kalabresischsprachiger Barbiere. Dasselbe gilt für die »anderen«. Es handelt sich um eine fraktale Idee, das heißt, sie funktioniert auf allen Ebenen: derjenigen der Individuen, derjenigen der Stämme, der Gesellschaften, der Gesellschaftsgruppen, Länder und so weiter, vorausgesetzt, es handelt sich jeweils um separate, selbstständige Einheiten, die mit gleich strukturierten Gegenübern als solchen interagieren. Ebenso wie Individuen andere Individuen so behandeln sollen, wie sie selbst behandelt werden (oder behandelt zu werden vermeiden) wollen, so sollten auch Familien als Einheiten andere Familien behandeln. Und dasselbe gilt– was die Interventionisten aus dem ersten Teil des Prologs umso verwerflicher erscheinen lässt– für Länder. Isokrates, der weise Redner aus Athen, wies uns bereits im 5.Jahrhundert v.Chr. warnend darauf hin, dass Nationen andere Nationen im Sinne der Silbernen Regel behandeln sollten. Er schrieb:

»Verhandelt mit schwächeren Staaten so, wie ihr meint, dass es für stärkere Staaten angemessen wäre, mit euch zu verhandeln.«

Keiner verkörpert die Vorstellung von Symmetrie besser als Isokrates, dessen Lebenszeit über ein Jahrhundert umspannte und der noch im Alter von mehr als neunzig Jahren Bedeutendes zu sagen hatte. Er formulierte sogar eine seltene dynamische Version der Goldenen Regel: »Verhalte dich gegenüber deinen Eltern, wie du wünschst, dass sich deine Kinder dir gegenüber verhalten.« Wir mussten bis zu dem grandiosen Baseballtrainer Yogi Berra warten, um eine weitere Variante einer dynamischen Regel für symmetrische Beziehungen zu bekommen: »Ich besuche die Beerdigungen anderer Leute, damit sie dann auch zu meiner kommen.«

Effektiver ist natürlich die umgekehrte Richtung: die eigenen Kinder so zu behandeln, wie man gerne von seinen eigenen Eltern behandelt worden wäre.[7]

Dem 1.Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung liegt die Idee zugrunde, eine Symmetrie im Sinne der Silbernen Regel festzuschreiben: Sie können Ihre Religion frei ausüben, solange Sie mir erlauben, meine Religion frei auszuüben; Sie haben das Recht, mir zu widersprechen, solange ich das Recht habe, Ihnen zu widersprechen. Es gibt tatsächlich keine Demokratie ohne eine solche bedingungslose Symmetrie im Hinblick auf die Rechte freier Meinungsäußerung, und die schlimmste Bedrohung einer Demokratie ist die schiefe Ebene, die beim Versuch entsteht, dieses Recht mit dem Hinweis darauf zu beschneiden, dass die Gefühle bestimmter Menschen verletzt werden könnten. Solche Einschränkungen kommen nicht unbedingt vom Staat selbst, sie gehen eher vom mächtigen Establishment einer intellektuellen Monokultur aus, die sich durch eine hyperaktive Gedankenpolizei in den Medien und im kulturellen Leben durchsetzt.

Universalismus können Sie vergessen

Indem wir Symmetrie auf Beziehungen zwischen dem Individuum und dem Kollektiv anwenden, bekommen wir Tugend, die klassische Tugend, das, was heute als »Tugendethik« bezeichnet wird. Aber nun kommt noch ein weiterer Schritt: Ganz rechts in Tabelle 1 ist Immanuel Kants Kategorischer Imperativ aufgeführt, den ich folgendermaßen zusammenfasse: Verhalte dich so, dass dein Handeln auf das Verhalten jedes Menschen überall und unter allen Bedingungen verallgemeinert werden kann. Der tatsächliche Text ist noch anspruchsvoller: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« So Kant in der Fassung, die als erste Formulierung bezeichnet wird. Und »handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst« ist die sogenannte zweite Formulierung.

Formulierung hin oder her – vergessen Sie Kant, denn sonst wird es zu kompliziert, und Dinge, die zu kompliziert werden, haben ein Problem. Wir werden also Kants kategorische Vorgehensweise aus dem folgenden einen Hauptgrund aussortieren:

Allgemeingültiges Verhalten sieht auf dem Papier toll aus, hat aber katastrophale Auswirkungen in der Praxis.

Warum? Worauf wir in diesem Buch bis zum Überdruss immer und immer wieder herumreiten werden: Wir sind lokale, praktische, größensensible Tiere. Das Kleine ist nicht das Große; das Handfeste ist nicht das Abstrakte; das Emotionale ist nicht das Logische. Wir haben gezeigt, dass Mikro besser funktioniert als Makro; es ist also am besten, dass Sie nicht den Umweg über eine allgemeine Ebene nehmen, wenn Sie Ihren Parkhauswächter begrüßen. Wir sollten uns auf unsere unmittelbare Umgebung konzentrieren; wir brauchen einfache, praktische Regeln. Erschwerend kommt hinzu: Das Allgemeine, das Abstrakte hat die Tendenz, selbstgerechte Psychopathen anzuziehen, Leute vom Schlage der Interventionisten aus dem ersten Teil des Prologs.

Mit anderen Worten, Kant ließ die Vorstellung der Skalierung außen vor. Und unter uns gibt es viele Opfer von Kants Universalismus (denn wir haben ja gesehen, dass die Moderne das Abstrakte dem Besonderen vorzieht – Kämpfern für soziale Gerechtigkeit wurde vorgeworfen, sie »behandelten Menschen wie Kategorien und nicht wie Individuen«). Wenige haben außerhalb des religiösen Bereichs die Vorstellung der Skalierung begriffen; das änderte sich erst mit der bedeutenden politischen Denkerin Elinor Ostrom, etwas mehr über sie in Kapitel 1.

Tatsächlich zielt die eigentliche Botschaft dieses Buchs auf die Gefahr von Universalismus, der zwei bis drei Schritte zu weit getrieben wurde – wenn Mikro und Makro vermischt werden. Die entscheidende Idee im Schwarzen Schwan war die Platonifizierung: im Prozess, eine Sache in ein abstraktes Konstrukt zu verwandeln, zentrale, allerdings verborgene Elemente dieser Sache nicht zu bemerken und so eine Explosion zu verursachen.

II – Von Kant zu Fat Tony

Kommen wir zur Gegenwart, zur transaktionalen, hochgradig transaktionalen Gegenwart. In New Jersey bedeutet Symmetrie möglicherweise schlicht und einfach, um mit Fat Tony zu sprechen: Bescheiß niemanden und lass dich nicht bescheißen. Seine praxiskompatiblere Fassung lautet:

Seien Sie erst einmal nett zu jedem Menschen, der Ihnen begegnet. Wenn aber jemand versucht, Macht über Sie auszuüben, dann üben Sie Macht über ihn aus.

Wer ist Fat Tony? Er ist ein Charakter im Incerto-Universum, der in Auftreten, Verhalten, Entscheidungen unter Ungewissheit, Konversation, Lebensstil, Leibesumfang und Ernährungsgewohnheiten mit ziemlicher Sicherheit das genaue Gegenteil eines Bürokraten beim Außenministerium oder eines Wirtschaftsdozenten ist. Und er ist ruhig und gelassen, es sei denn, jemand kommt ihm richtig blöd. Er wurde dadurch reich, dass er Leuten, die er normalerweise als »die Trottel« (»the suckers«) zu bezeichnen pflegt, half, sich von ihren Fonds zu trennen (oder, wie es immer wieder vorkommt, von denjenigen ihrer Kunden, denn solche Leute setzen häufig das Geld anderer Leute aufs Spiel).

Diese Symmetriegeschichte hat zufälligerweise unmittelbar etwas mit meinem eigenen Beruf zu tun: Ich bin Optionen-Trader. In einer Option hat die eine Person (der Käufer der Option) vertraglich den Vorteil (zukünftige Gewinne), die andere (der Verkäufer) hat eine Haftung für den Nachteil (zukünftige Verluste) zu einem im Voraus vereinbarten Preis. Wie bei einem Versicherungsvertrag, wo gegen Gebühr Risiko verlagert wird. Jede nennenswerte Unterbrechung einer solchen Symmetrie – mit einer Verlagerung der Haftungsverpflichtungen – führt unweigerlich in eine explosive Situation, wie wir es bei der Wirtschaftskrise des Jahres 2008 gesehen haben.

Diese Symmetriesache betrifft auch die Koordinierung von Interessen bei einer Transaktion. Ich greife auf frühere Argumente zurück: Wenn den Bankern die Profite zufließen, während ihre Verluste stillschweigend auf die Gesellschaft (Personen, die sich auf spanische Grammatik spezialisiert haben, Assistenzlehrer, …) übertragen werden, dann gibt es ein fundamentales Problem, durch das verborgene Risiken bis zum finalen Blow-up kontinuierlich zunehmen. Regulationen mögen auf dem Papier wie ein Gegenmittel aussehen, doch wenn sie irgendetwas bewirken, dann verschlimmern sie das Problem noch, weil sie die Verheimlichung von Risiken erleichtern.

Womit wir beim sogenannten Agency-Problem angelangt wären.

Schurke, Narr – oder beides

Eine praktische Erweiterung der Silbernen Regel (die, zur Erinnerung, besagt: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu):

Lassen Sie sich nicht von Personen beraten, die davon leben, Ratschläge zu geben, es sei denn, sie haften für die Folgen.

Sie erinnern sich, was gerade schon erwähnt wurde: »Ich vertraue Ihnen« betrifft sowohl die Moral als auch das Wissen. In unsicheren Zusammenhängen kommen immer Narren des Zufalls und Schurken des Zufalls vor; Ersteren mangelt es an Verständnis, Letztere haben krumme Motive. Der eine, der Narr, lässt sich auf Risiken ein, die er nicht versteht; er schreibt das Glück, das er in der Vergangenheit hatte, seinen eigenen Fähigkeiten zu. Der andere, der Schurke, überträgt Risiken auf andere. Wenn Wirtschaftswissenschaftler über Skin in the Game sprechen, dann sind sie nur am Zweiten interessiert.

Schauen wir uns die Agency-Vorstellung genauer an, wohlbekannt aus Versicherungsgesellschaften und von ihnen gründlich studiert. Einfach formuliert: Sie wissen sehr viel mehr über Ihre Gesundheit als irgendein Versicherungsgeber. Sie haben also, wenn Sie bei sich eine Krankheit entdecken, ein Motiv, eine Versicherungspolice zu bekommen, bevor irgendjemand sonst von Ihrer Krankheit erfährt. Indem Sie sich versichern lassen, wann es Ihnen passt, und nicht, wenn Sie gesund sind, kosten Sie das System im Endeffekt mehr, als Sie dazu beitragen; Sie verursachen damit eine Erhöhung der Prämienzahlungen für alle möglichen unschuldigen Leute (darunter wieder einmal die Spezialisten für spanische Grammatik). Versicherungsgesellschaften haben Filter wie etwa eine hohe Selbstbeteiligung und andere Methoden, um solche Schieflagen auszuschließen.

Das Agency-Problem (oder auch das Prinzipal-Agent-Problem) tritt auch in der Interessenverschiebung in Transaktionen auf: Ein Verkäufer bei einer einmaligen Transaktion passt seine Interessen nicht den Ihren an und kann so Dinge vor Ihnen geheim halten.

Ein negativer Anreiz reicht allerdings nicht aus: Der Narr ist ja eine Realität. Es gibt Menschen, die ihre eigenen Interessen tatsächlich nicht kennen – man denke nur an Suchtkranke, Workaholics, Leute, die in einer schlechten Beziehung leben, Leute, die eine mächtige Regierung stützen, die Presse, Buchkritiker oder seriöse Bürokraten, die alle aus irgendeinem geheimnisvollen Grund ihren eigenen Interessen zuwiderhandeln. Es gibt also diese andere Instanz, in der ein Filterprozess eine Rolle spielt: Narren des Zufalls werden durch die Realität eliminiert, damit sie aufhören, andere in Gefahr zu bringen. Wir erinnern uns, dass dies die Grundvoraussetzung der Evolution ist: dass Systeme durch Eliminierung klüger werden.

Und da ist noch ein weiterer Punkt: Wir wissen im Voraus möglicherweise nicht, ob eine Handlung töricht ist – die Realität hingegen weiß es ganz genau.

Kausale Opakheit und offenbarte Präferenzen[8]

Heben wir nun die erkenntnistheoretische Dimension von Skin in the Game auf eine noch höhere Ebene. Bei Skin in the Game geht es um die reale Welt, nicht um Erscheinungen. Fat Tonys Motto lautet:

Sie wollen keine Auseinandersetzung gewinnen. Sie wollen gewinnen.

Eben: Sie müssen gewinnen, was Sie anstreben: Geld, Grund und Boden, das Herz von jemandem, der sich auf Grammatik spezialisiert hat, oder ein (pinkfarbenes) Kabrio. Wenn man sich nur auf Worte konzentriert, gerät man auf eine sehr gefährliche Bahn, denn:

Wir sind viel besser im Handeln als im Verstehen.