Das Salz der Hoffnung - Sylvia Kaml - E-Book + Hörbuch

Das Salz der Hoffnung Hörbuch

Sylvia Kaml

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Beschreibung

Eine mutige junge Frau kämpft für die wahre Liebe …
Mit dem zweiten Band der Preston-Saga geht es spannend und romantisch weiter

England, 1786: Liliana Preston hat dem jungen Kapitän Finlay Clark endlich ihre Liebe gestanden und folgt diesem, auch gegen den Willen ihres Vaters, auf sein Schiff. In den Niederlanden verbringen sie romantische Tage, während derer Finlay Liliana einen Antrag macht. Das Glück scheint perfekt wäre da nicht Lilianas intrigante Mutter, die eine Heirat mit einem Seefahrer um alles in der Welt verhindern will. Zusammen mit dem verräterischen Mr. Parker macht sie eine Frau aus Finlays eher fragwürdiger Vergangenheit ausfindig, die das junge Paar auf eine harte Probe stellt. Als ihr Verlobter urplötzlich von der Bildfläche verschwindet, muss sich Liliana auf eigene Faust auf die Suche nach ihm machen …

Erste Leser:innenstimmen
„Perfekte Kombination aus Liebe, Drama, Spannung und Abenteuer!“
„Entführt in eine andere Zeit und fesselt auf jeder Seite.“
„Starke Frauenfigur, schöne Liebesgeschichte und spannende Handlung – was will man mehr?“
„Ich freue mich sehr auf weitere Teile der historischen Reihe und spreche eine klare Leseempfehlung aus!“

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Zeit:8 Std. 34 min

Sprecher:Anne Becker
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Über dieses E-Book

England, 1786: Liliana Preston hat dem jungen Kapitän Finlay Clark endlich ihre Liebe gestanden und folgt diesem, auch gegen den Willen ihres Vaters, auf sein Schiff. In den Niederlanden verbringen sie romantische Tage, während derer Finlay Liliana einen Antrag macht. Das Glück scheint perfekt – wäre da nicht Lilianas intrigante Mutter, die eine Heirat mit einem Seefahrer um alles in der Welt verhindern will. Zusammen mit dem verräterischen Mr. Parker macht sie eine Frau aus Finlays eher fragwürdiger Vergangenheit ausfindig, die das junge Paar auf eine harte Probe stellt. Als ihr Verlobter urplötzlich von der Bildfläche verschwindet, muss sich Liliana auf eigene Faust auf die Suche nach ihm machen …

Impressum

Erstausgabe April 2022

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-583-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-597-3

Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Alvov, © KKulikov, © Evgeny Karandaev, © Jan William Fines, © Artiste2d3d, © Toadpole, © Artiste2d3d, © New Africa Lektorat: Sandra Florean

E-Book-Version 21.06.2024, 10:33:16.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Das Salz der Hoffnung

Liliana

Hastings, England

April 1786

Die Sonne näherte sich dem Horizont und der wolkenlose Himmel versprach eine sternklare, wenn auch kühle Nacht.

Liliana verließ die Fregatte ihres Vaters mit gemischten Gefühlen. Sie hätte gern einen weiteren Sommer mit ihm und ihrer Tante Effie verbracht. Ihn besser kennengelernt und ein wenig der verlorenen Jahre nachgeholt. Diesmal würde sie die Fahrt jedoch auf einem anderen Schiff bestreiten.

Dennoch beschleunigte sie ihre Schritte. Es zog sie zu der kleinen Bark, die unweit vertäut lag. Zu dem jungen Kapitän, der ihr Herz gefangen hielt: Finlay. Allein der Name ließ ihren Körper beben. Niemals hätte sie gedacht, dass Gefühle derart stark sein konnten.

Die Wellen schlugen plätschernd gegen die Rümpfe der vielen Schiffe, die hier im Hafen von Hastings angelegt hatten. Eine leichte Brise wehte ihr entgegen. Sie atmete tief die Frühlingsluft ein, die sich mit dem salzigen Geruch des Meeres vereinte, und wäre am liebsten vor Glück den Pier entlang gesprungen, wie es das Herz in ihrem Brustkorb gerade tat.

»Kann es sein, dass es Sie aus mir unerfindlichen Gründen von unserem Schiff wegzieht, Miss Preston?« Kai, der neben ihr ging und den Koffer trug, schien Lilianas Gedanken zu erraten.

Liliana lachte. Sie war froh, dass der Hamburger sie zur Alecto begleitete und kein ihr unbekannter Matrose. »Es scheint in der Tat ein mysteriöser Wind zu wehen, der mich antreibt, Mr Schmidt. Aber, wer weiß, vielleicht müssen Sie mich unterwegs erneut auflesen.«

Er hob abwehrend die freie Hand. »Hoffen wir es nicht.« Sie näherten sich Finlays Dreimaster und Kai kratzte sich über den blonden Dreitagebart, der seinem recht schmalen Gesicht ein wenig Härte verlieh. »Obwohl ich nicht ganz verstehe, wie man eine Fregatte wie die Nemesis für diese Nussschale verlässt. Und sagen Sie jetzt nicht, es sei die bessere Begleitung!«

Liliana lachte herzhaft auf. »Ich werde mich hüten, so etwas lautstark zu behaupten, dennoch zählt eine einzelne Person oft mehr als viele zusammen.«

Sie betrachtete die Alecto voller Sehnsucht. Auch wenn kleiner und weniger elegant als die Schiffe um sie herum, fand Liliana die Bark mit ihrem blauen und goldenen Anstrich wunderschön.

Liliana seufzte innerlich, als sie, gefolgt von Kai, vor das Schiff trat. So viel war geschehen die vergangenen Stunden. Finlay hatte seine Freiheit gewonnen und sie sein Herz.

Eine kurze Beklemmung ließ Liliana ihren Gang verlangsamen. War es eine überstürzte Entscheidung, mit diesem jungen Mann auf Fahrt zu gehen, den sie erst im letzten Jahr kennengelernt hatte? Insgeheim musste sie jedoch zugeben, dass ihr Herz Finlay mehr Vertrauen schenkte als dem eigenen Vater. Auch ihn kannte sie schließlich kaum.

Er kam ihnen in flotten Schritten den Steg herunter entgegen. Dieser Anblick und sein breites Lächeln ließen alle Zweifel im Wind verwehen. Finlay hatte sich ein frisches Hemd und eine saubere beige Kniehose angezogen und sich sogar rasiert. Letzteres stimmte Liliana beinahe etwas traurig. Auch wenn er in dem blauen Kapitänsrock mit den goldenen Manschetten nun eleganter und erholter wirkte, hatte der blonde Vollbart Finlays Aussehen doch eine gewisse Verwegenheit verliehen. Seine wunden Handgelenke waren verbunden, sicher hatte sich der Schiffsarzt, Benedict Hurley, darum gekümmert.

Er nahm den Koffer entgegen. »Danke, Kai!«

»Aye, Finlay, dann wünsche ich gute Fahrt. Und pass mir auf das Fräulein auf, verstanden? Dass ihr ja kein Haar gekrümmt wird.«

Finlay nickte. »Das verspreche ich. Grüße bitte Jack, Effie und die anderen von mir.«

Kai salutierte ihm zu, verbeugte sich kurz vor Liliana und ging. Sie wunderte sich etwas über die persönliche Anrede, bis ihr einfiel, dass auch der Zimmermann den jetzigen Kapitän der Alecto bereits von der Zeit auf der Black Hound her kannte. Damals war er zwar auch noch Lehrling gewesen und kaum älter als Finlay, aber doch höhergestellt als der Schiffjunge.

Finlay ließ Liliana den Vortritt und folgte ihr dann über den Steg an Deck. Die Matrosen hielten kurz in ihrer Arbeit inne, um ihnen Platz zu machen, und schleppten danach weiter Fässer und Kisten die Rampe hinauf und in den Laderaum. Vermutlich neue Lebensmittel, die der Schiffskoch Victor Panlow eingekauft hatte. Nach der langen Zeit der Gefangennahme waren die Vorräte beinahe gänzlich von den Männern aufgezehrt worden.

»Miss Lily!« Ein schmaler, vierzehnjähriger Junge mit roten Haaren kam zu ihnen und strahlte dabei über das ganze Gesicht. »Fahren Sie nun wieder mit uns?«

»Aber gewiss doch, ich habe euch alle ohnehin sehr vermisst.«

Duncan kratzte sich am Hinterkopf. »Auf dieser Fahrt werden Sie mir wohl nicht bei den Arbeiten helfen?«

Sie lachte. »Mal sehen, wie viel Muße ich haben werde.«

»O nein!« Finlay hob abwehrend, aber sichtlich amüsiert die Hände. »Es tut mir leid, Duncan, aber du wirst deine Aufgaben in Zukunft wohl wieder alleine erledigen müssen. Ich lasse mir nicht nachsagen, meine weiblichen Gäste nicht wie solche zu behandeln.«

Liliana sah Finlay schief an. »So?«

Er schmunzelte. »Du bestandest darauf, erinnere dich.«

Sie zog einen Schmollmund. »Mir wurde es zu eintönig in der Kabine.«

Finlay trat vor sie und umfasste ihre Taille. »Dann werde ich von nun an dafür sorgen, dass diese Fahrt aufregend genug für deinen Geschmack wird.«

Sie verlor sich in seinen dunklen Augen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Zu gern würde sie ihre Lippen auf die seinen legen, doch sie fand nicht den Mut dafür.

Duncan kicherte neben ihnen.

Finlay löste seinen Blick von ihrem und sah streng zu dem Jungen. »Das gilt auch für dich!« Er wies mit der Hand zu seinem Bootsmann. »Husch zu Mr Braden nun, auf meinem Schiff wird nicht faul herumgestanden!«

»Aye, Kapitän«, rief Duncan und rannte davon, noch immer mit einem frechen Grinsen auf den Lippen.

Liliana blickte dem Jungen nach. Ein anderer Gedanke drängte sich in ihren Geist. »Wirst du etwas wegen Parker unternehmen?«

Finlays Gesichtszüge verspannten sich. »Ich beabsichtige nicht, diesen räudigen Hund ungeschoren davonkommen zu lassen. Nach all dem, was er mir und besonders auch Duncan angetan hat. Doch die Fahrt geht vor. Sobald wir zurück in England sind, stelle ich Nachforschungen über ihn an.« Er atmete tief durch. »Vielleicht ist die Pause sogar zu unserem Vorteil und er wiegt sich in Sicherheit.«

Liliana nickte. Sie suchte seinen Blick, doch er schaute weiter auf das Meer hinaus. Er wirkte zurückhaltender als noch wenige Stunden zuvor. Besann er sich auf seine Erziehung oder kamen ihm Zweifel, nachdem die erste Euphorie verflogen war? Sie schüttelte diese lästigen Besorgnisse ab. Dies war für sie beide eine neue Situation und man sollte nichts überstürzen.

Liliana beschloss, sich wie die erwachsene junge Frau zu benehmen, die sie schließlich war. Immerhin wollte sie an Bord helfen und eine Lehre zum Quartiermeister absolvieren. »Beabsichtigst du, in den Niederlanden wieder deine Logbücher in dieser Bank zu deponieren?«

Finlay nickte. »Das und mein Geld, damit nichts auf Grund läuft. Außerdem wollte ich Waren einkaufen und nach Hamburg bringen. Dort ist der Absatz zurzeit am besten, da viele Schiffe in das neue Amerika aufbrechen.« Er lächelte. »Die Alecto ist nun mal ein Handelsschiff.«

Liliana hob grinsend den Zeigfinger. »Solange es keine deiner speziellen Geschäfte sind.«

Finlay warf ihr einen Blick von der Seite zu, der sie an einen frechen Jungen erinnerte. »Jetzt, wo du der neue Quartiermeister werden willst, bekommst du ohnehin einen kompletten Überblick über meine Taten und darfst sogar mitreden.« Er nahm den Koffer auf. »Komm, gehen wir erst einmal unter Deck.«

Liliana nickte und folgte ihm die Treppe hinunter. »Werde ich bei dir wohnen?«, fragte sie leise. Ihr Herz klopfte laut bei dem Gedanken und sie war sich nicht sicher, ob aus Furcht oder Aufregung.

Finlay zögerte. »Ich denke, es ist besser, wenn du deinen eigenen Raum hast auf dem Schiff«, sagte er beinahe entschuldigend. Er drehte sich zu ihr und der weiche Blick seiner Augen ließ ihre Haut kribbeln. »Auch, wenn es beinahe körperlich schmerzt, dich nicht jede Nacht in meinen Armen halten zu dürfen, möchte ich doch kein falsches Bild bei der Mannschaft erwecken. Dafür bedeutest du mir zu viel. Die Männer sollen dich ehrenvoll und mit Respekt behandeln und nicht als eine … Gespielin ihres Kapitäns betrachten.« Er sagte das Wort mit verzerrter Miene, als biss er dabei auf eine Zitronenscheibe.

Liliana spürte die Hitze in ihr Gesicht steigen. Natürlich, sie waren nicht verheiratet! Was würden die anderen denken? »Ich verstehe, danke.« Innerlich ging ihr das Herz auf. Er kam aus einer anderen Gesellschaftsklasse als die Matrosen und war entsprechend erzogen worden, dennoch empfand sie ein solches Verhalten nicht als selbstverständlich. Sie liebte ihn für diese Wertschätzung ihr gegenüber nur noch mehr.

Vor ihrer alten Kabine blieb sie an der Türschwelle stehen und haderte etwas damit, den Raum zu betreten.

»Möchtest du eine andere?«, fragte Finlay bei ihrem Blick.

»Nein, ich mag diese Koje. Es ist nur so eigenartig, sie wirkt vertraut und doch wieder nicht. Als wäre ich eine andere Person.« Sie lächelte ihm zu. »Ich habe mich jedoch recht wohl und vor allem sicher gefühlt hier.« Besonders, da sie diese von innen verriegeln konnte, im Gegensatz zu ihrem Gefängnis auf dem Piratenschiff.

Finlay stellte den Koffer ab. »Seltsam, welche Entwicklung das alles genommen hat, wenn ich so zurückdenke«, sagte er leise in einem derart sanften Ton, dass Liliana seine Worte streichelnd auf der Haut spürte. Die ernste Mimik ging in ein Schmunzeln über. »Ehe man es sich versieht, bist du wieder an Bord. Wie ein Bumerang.«

Liliana runzelte die Stirn. »Was ist das?«

»Ein Wurfgerät der australischen Ureinwohner, das James Cook nach England brachte. Es ist so geformt, dass es, wird seine Beute nicht getroffen, zurück zum Werfer fliegt.«

Sie legte den Kopf schief. »Bedeutet das, du verfehltest dein eigentliches Ziel?«

Finlays Lächeln ging in ein freches Grinsen über. »Nun, strenggenommen war Gold meine ursprüngliche Beute, die ich mit dir zu erheischen suchte. Doch stattdessen kam ein weitaus größerer Schatz zurück.«

Liliana schlang ihre Arme um seinen Hals. »Mein Herz getroffen hast du. Nun werde ich wohl nie mehr davonfliegen, sofern du mich nicht erneut wirfst.«

»Ich werde mich hüten«, flüsterte er. Sein Gesicht näherte sich ihrem.

Liliana wich leicht zurück und strich ihm über das glatte Kinn. »Der Vollbart gefiel mir.« Sie verfluchte sich innerlich für ihre Feigheit. Zu gern hätte sie ihn erneut geküsst. Warum nun diese Furcht?

Finlay nahm ihre Hand, die noch auf seiner Wange lag, und küsste sie auf die Innenfläche. »Auch, wenn ich Gefahr laufe, dich zu enttäuschen, werde ich ein erneutes Wachstum verhindern.«

Liliana spürte bei der Berührung ein wohliges Kribbeln im Bauch. »Weshalb wehrst du dich derart dagegen?«

»Ich mochte es nie, wenn mir ein Bart wuchs. Es bedeutete stets eine fehlende Möglichkeit, sich um die eigene Körperpflege zu kümmern. Sei es aufgrund von Kämpfen, Mangel an Wasser oder durch Gefangenschaft. Mein Geist verbindet stets unangenehme Situationen damit. Ich fühle mich rasiert einfach freier und in gewisser Weise auch zivilisierter.«

»Ich verstehe.« Ihre Finger glitten zärtlich über seine Wangen. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen braunen Augen ab. Die Wangenknochen standen noch immer stark hervor. Eine Folge der Mangelernährung im Gefängnis. »Du siehst müde aus.«

»Das bin ich.« Er atmete tief durch. »Ich werde mich ebenfalls zurückziehen. Es waren anstrengende Tage und wir stechen morgen früh mit der ersten Flut in See.«

»Schlaf gut.«

»Ganz gewiss. Nicht nur, weil ich mich nach der langen Zeit in der Zelle endlich wieder auf ein weiches Lager betten darf, sondern auch, weil ich dazu noch dein Herz bei mir weiß.« Er nahm ihre Hand, strich leicht mit den Fingern über die Knöchel und hauchte einen Kuss darauf.

Die sanfte Berührung seiner Lippen brachte ihr Herz beinahe zum Zerbersten vor Glück.

***

Bereits mit den ersten Sonnenstrahlen am nächsten Morgen stand Liliana auf der Brücke. Sie hielt sich an der Reling fest und beobachtete, wie sich die Küste Englands langsam entfernte. Die weißen Klippen Hastings schimmerten durch die Dämmerung, während der Wind ihr einige kastanienbraune Strähnen aus den hochgesteckten Haaren wirbelte. Erneut roch es nach Freiheit und Abenteuer.

Hinter ihr stand Joshua Brown breitbeinig am Steuerrad. Beim Ab- und Anlegen übernahm der muskulöse Engländer persönlich das Ruder.

Die geblähten Segel leuchteten hellorange in der aufgehenden Sonne und trieben die Alecto schwungvoll über die Wellen wie der Frühlingswind junge Pferde über eine frische Weide. Der Lärm des Hafens verstrich im Wind und eine angenehme Stille kam auf. Abgesehen von Wellenschlägen gegen den Bug und knarzenden Seilen. Liliana fiel erneut auf, wie wunderschön dieses Schiff war.

Finlay trat neben sie, ebenfalls immer eine Hand am Geländer. Die Schräglage des Schiffes und der feuchte Boden forderten den Gleichgewichtssinn mehr heraus als auf der größeren Nemesis.

»Wieder auf Fahrt.« Er atmete tief ein und hielt sein Gesicht in den Wind. »Ich liebe diesen Moment, wenn man aus dem engen Hafen hinaus in die Stille und Weite des Horizonts segelt. Gibt einem immer aufs Neue eine Gänsehaut.«

»Das Gefühl der Freiheit?« Sie spürte das gerade besonders stark. Je weiter sie sich England – insbesondere ihrer Mutter – entfernten, desto mehr verblassten alle Sorgen und Probleme.

»Ja, aber auch der Nervenkitzel der Ungewissheit.« Sein Blick nahm einen schwärmenden Ausdruck an. »Ich liebe das Meer, wenngleich es ein untreuer Gefährte ist. Es kann einen liebkosen und im Sonnenschein dahinschweben lassen und im nächsten Moment greift es nach dir mit finsteren Klauen und versucht, dich in seine Tiefen zu reißen. Die See kennt weder Vorwarnung noch Gnade. Sie ermöglicht dir so viel und nimmt einem andererseits das Leben, ohne mit der Wimper zu zucken.«

Liliana ertappte sich dabei, sehnsüchtiger auf den Mann neben sich zu schauen als auf den weiten Horizont. Ähnelte das Meer so nicht der Liebe? Ist diese nicht ebenso wandelbar, wie es so oft in Gedichten und Liedern besungen wird?

Wie würde diese Reise mit Finlay zusammen wohl ausgehen? Was, wenn sich ihre Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllten und es in einem Streit endete? Wenn die Faszination nachließe und sie erführen, dass sie es nicht lange zusammen aushielten? Würde diese Fahrt eine Tragödie oder ein Traum werden? Vielleicht etwas dazwischen? Liliana schüttelte die Gedanken ab und versuchte, den Moment zu genießen.

Ezekiel Braden trat zu ihnen auf die Brücke. Sie musste noch immer zweimal hinsehen, um ihn zu erkennen. Er wirkte ohne den buschigen Vollbart befremdlich, aber auch um einiges freundlicher. Eine Tatsache, die dem brummigen Bootsmann sicher nicht gefiel.

»Ich habe die erste Schicht zum Frühstücken geschickt«, sagte er. »Wetter und Wind sind uns wohlgesonnen heute.«

»Gut.« Finlay nickte. »Ich denke, das sollten wir auch tun. Kommst du mit, Liliana?«

Sie sah auf. »Mir fällt gerade auf, dass ich noch nie mit dir gespeist habe auf diesem Schiff.«

Finlay lachte. »Ich habe nur eine Messe, kein eigenes Speisezimmer wie dein Vater auf der Nemesis. Wir dinieren zusammen mit dem Führungsstab, die Matrosen nehmen ihr Essen unter Deck ein. Ich hoffe, die fehlende Privatsphäre stört dich nicht.«

»Natürlich nicht.« Sie lächelte. »Die Bedienung aufs Zimmer damals war, wenn auch luxuriös, doch recht eintönig.«

Finlay schüttelte den Kopf. »Es kommt mir noch immer vor, als wärst du da eine andere Person gewesen.«

Und jetzt würde sie sogar eine Lehre zum Quartiermeister ablegen, dachte Liliana nicht ohne Stolz. Würde sie der Aufgabe gewachsen sein? So wirklich viel wusste sie noch nicht über das Schiff und seine Besatzung. Das sollte sich auf dieser Fahrt ändern. Sie sah zu Finlay. »Wie viele Männer dienen unter dir?«

»Zurzeit gibt es sechsundfünfzig Besatzungsmitglieder, mit uns beiden achtundfünfzig.«

»Das ist ja weniger als die Hälfte der Nemesis.«

»Die Alecto ist auch nur etwa halb so groß und weit weniger bewaffnet. Wir haben lediglich zehn Kanonen und nicht einmal einen extra ausgebildeten Kanonier dafür.«

Liliana erinnerte sich an den Afrikaner Kweku, der ihr alles über die Waffen an Bord eines Segelschiffes beigebracht hatte. »Warum eigentlich nicht?«

»Es lohnt nicht. Ein Kanonier bekommt weit mehr Heuer als einfache Matrosen und was der weiß, können Ezekiel, Joshua und ich genauso. Ich brauche den Platz für Frachten und versuche ohnehin, Kämpfe zu vermeiden. Die Bewaffnung dient nur der Verteidigung.«

»Oder um Freunden Beistand zu leisten.« Ihr Herz ging auf bei der Erinnerung an ihr Treffen damals in Basse Terre nach dem Seegefecht.

»Oder das.« Er lachte und machte eine ausladende Geste. »Komm, lass uns frühstücken.«

In der kleinen Messe, in der es bereits nach Tee duftete, erwarteten sie einige bekannte Gesichter: der junge Schiffsarzt Dr. Hurley, der Zimmermann Ewan Kelly mit der auffälligen Zahnlücke zwischen den Schneidzähnen und der irische Segelmacher Ryan O’Connor, dessen leuchtend orange Locken die roten Haare Duncans noch ausstachen. Sogar seine Gesichtsfarbe wies eine ähnliche Schattierung auf. Es wunderte nicht, dass er von allen nur »Red« genannt wurde.

Die Männer zogen ihre Mützen – Red sein Tuch – vom Kopf, als sie eintraten.

»Welche Freude, Sie erneut an Bord zu haben, Miss Preston.« Dr. Hurley deutete eine Verbeugung an. »Und auf wesentlich angenehmere Weise.« Er warf seinem Kapitän einen tadelnden Blick zu.

»Ben sprach sich penetrant gegen meine inoffiziellen Geschäfte aus«, fügte Finlay erklärend zu. »Er vertritt die Ansicht, dass man aus Menschenleben keinen Profit schlagen sollte.«

Liliana lächelte dem Schiffsarzt zu. »Das ehrt Sie, Dr. Hurley, danke dafür.«

»Der Erfolg einer Überzeugung obliegt jedoch Ihnen.« Seine vergleichsweise freundliche und zuvorkommende Art wirkte einnehmend. »Meine Argumente verwarf unser Kapitän stets mit dem Einwand, dass wir die Damen immerhin retteten und unsere Tat durch den Preis in den Augen der Familien an Wert gewönne.«

Liliana lächelte. Sie mochte den jungen Mann mit den braunen Haaren und graublauen Augen sehr. Damals hatte er sich stets etwas von ihr zurückgezogen, nun verstand sie, warum.

»Eine derartige Aufwandsentschädigung zahlten viele der reichen Angehörigen gerne«, warf Finlay rechtfertigend ein. Offenbar wollte er den Vorwurf so nicht stehenlassen. »Für die war es eine lächerliche Summe und sie bekamen im Gegenzug noch eine aufregende Geschichte für den nächsten Hofball präsentiert, mit der sie vor anderen Adligen mit ähnlich langweiligem Leben prahlen konnten.«

»Bis sich eines Tages jemand rächt und der Schuss nach hinten losgeht.« Ben richtete warnend den Zeigfinger auf ihn. »Denke an deine Gefängniszeit erst kürzlich! Ich bin überzeugt, Miss Preston rettete uns gerade rechtzeitig den Hals.«

Finlay hob die Hände, als wäre der Finger des Arztes eine Pistole. »Ja, du hast recht. Ich sehe es heute ein.«

Sie setzten sich und ein Matrose trug Brot, Marmelade sowie Porridge auf und schenkte heißen Schwarztee ein.

Finlay umfasste mit einem leichten Seufzer die Tasse. »Ich vermisse meinen Kaffee.«

»Die Vorräte sind leider restlos aufgebraucht«, brummte Ezekiel. »Aber du hast ja deine Quellen in Hoorn.«

Der Steuermann Joshua Brown, der sich nun ebenfalls zu ihnen gesellte, lachte laut. »Ich weiß nicht, was du an diesem grauenvollen Gebräu findest.« Er nahm neben Finlay Platz und schaufelte sich Porridge in seine Schüssel. »Das Gesöff wollen die ›Sons of Liberty‹ doch als amerikanisches Nationalgetränk ernennen, um gegen uns teetrinkende Briten zu protestieren.«

Finlay winkte ab. »Ein solches Argument zieht bei mir nicht. Im Gegenteil, wäre ich ein patriotischer Engländer, würde diese Tatsache mich erst recht nicht abhalten, Kaffee zu trinken, selbst wenn ich ihn widerlich fände.«

Joshua schüttelte lachend den Kopf. »So kenne ich dich.«

***

Am Nachmittag saß Liliana mit Finlay zusammen in dessen Kartenraum. Er zeigte ihr die Listen über die Einkäufe von Waren und Lebensmitteln. Sie genoss dieses traute Beisammensein ohne den Trubel an Deck.

»Wichtig ist, dass wirklich penibel Buch geführt und exakt berechnet wird«, erklärte er. »Der Platz an Bord ist beschränkt und mit zu viel Ladung sind wir langsamer und liegen tiefer. Allerdings hängt auch unser Überleben auf See von genug Wasser und unverdorbener Nahrung ab. Bei längeren Fahrten könnte der kleinste Fehler fatale Folgen haben.«

Liliana versuchte, sich einen Überblick über alle Waren und Kosten zu machen. Sie staunte, wie wenig ein einfacher Matrose verdiente, andererseits waren die gesamten Ausgaben nicht gerade gering. »Der Bedarf an Lebensmitteln ist erstaunlich hoch.«

»Die Männer arbeiten schwer und wollen entsprechend versorgt werden. Auch muss man stets damit rechnen, dass doch etwas verdirbt, selbst bei guter Lagerung. Gemüse fault schnell und im Pökelfleisch können Maden sein, sogar bei intensiver vorheriger Inspektion.«

Liliana nahm den Rechenschieber zur Hand und sortierte weiter die Zahlen und Daten in ihrem Kopf. Das Erstellen und Führen von Listen traute sie sich durchaus zu und im Rechnen war sie ebenfalls immer recht gut gewesen. Dennoch verspürte sie noch immer eine Unsicherheit in sich. War sie als Frau einer solchen Aufgabe überhaupt gewachsen?

Ihre Anwesenheit auf diesem Segelschiff kam ihr unwirklich vor. Es schien so anders als die Gedanken, die sie sich als Kind über ihre Zukunft gemacht hatte. Früher hatte sie sich oft gefragt, ob sie nachgeben und einen von Eliza ausgewählten Junggesellen heiraten oder unverheiratet bleiben würde wie ihre Tante. Insgeheim hatte sie gehofft, sich eines Tages in einen Mann verlieben zu dürfen und mit ihm zusammen in einem kleinen Haus zu wohnen. Vielleicht gar Effies Landgut zu übernehmen.

Von dem behüteten Aufwachsen bei ihrer Tante auf dem Land urplötzlich in ein Abenteuer auf See mit ihrem Vater gerissen zu werden und sich schließlich in einen Kapitän ohne festen Wohnsitz zu verlieben und diesem auf sein Schiff zu folgen, damit hatte sie im Traum nicht gerechnet.

Trotz allem war sie froh und dankbar, dass ihr Leben nicht eintönig normal verlief.

Finlay rieb sich das Kinn. »Wir sollten in Bristol deinen Vater fragen, ob der etwas über diesen Travis Parker weiß. Ich fürchte, meine Kontakte reichen nicht aus, wenn es um die königliche Marine geht.«

Sie presste die Lippen zusammen. »Sag ihm aber nichts davon, was Duncan angetan wurde, sondern nur über den Betrug. Er reagiert bei derartigen Dingen meist sehr … hitzig.« Sie musste an Pelt denken, den Piratenkapitän, der sie entführt hatte. Nachdem Jack ihn in die Finger bekommen hatte, überlebte er länger, als er es sich gewiss gewünscht hätte. Es hatte sie erschreckt, ihren Vater, der ansonsten ein gütiger Mensch war, derart jähzornig zu sehen. Auch, wenn es um wirklich schlimme Verbrecher ging, für Liliana war Folter mehr Vergeltung als Strafe.

Finlay lächelte schwach. »Ich weiß das nur zu gut, diese Seite von ihm ist mir wohlbekannt. Immerhin diente ich einige Jahre unter ihm.«

»Ist Vater ein sehr strenger Kapitän?« Sie sah ihn vorsichtig von unten herauf an.

Finlays Gesicht blieb ausdruckslos. »Sagen wir es so: Er ist streng, aber durchaus fair. Ich war jedoch in meinen jungen Jahren sehr halsstarrig und konnte es nicht lassen, ihn zu provozieren. Unsere Beziehung ist keine gewöhnliche, wie du bereits erfahren musstest. Das zeigte sich schon damals an Bord der Black Hound.«

»Wie meinst du das?«

»Ich war nie ein normaler Matrose und er kein normaler Kapitän. Das wurde mir jedoch erst Jahre später bewusst.« Finlay atmete tief durch. »Dies alles mit Worten zu verdeutlichen, ist schwer. Ich würde mir auch niemals anmaßen, Jack Farson mit Kritik zu überhäufen, dafür stehe ich zu sehr in seinem Schatten. Doch dein Vater besitzt eine eigene Sicht der Dinge, die nicht selten von althergebrachten Normen und Regeln abweicht.« Er machte eine kleine Pause, beugte sich leicht vor und legte seine gefalteten Hände auf dem Pult zwischen ihnen ab. Sein Blick hielt sie gefangen. »Du hast gewiss schon bemerkt, dass es rau zugehen kann auf einem Schiff. Disziplin wird großgeschrieben. Ein einfacher Matrose denkt für gewöhnlich nicht darüber nach, welche Beweggründe sein Kapitän hat. Was er befiehlt, ist Gesetz. Ich erlag jedoch dem Glauben des reich geborenen Kaufmannssohns, dass er nicht das Recht habe, mir seine Meinung aufzudrängen. Ich gehorchte, zeigte jedoch deutlich, wenn ich nicht derselben Ansicht war.« Er lachte freudlos. »Jeder andere Kapitän der königlichen Marine hätte bei solch einem Verhalten gewiss versucht, diesen Hochmut mit eiserner Gewalt zu brechen und mich gefügig zu machen. Im Grunde hatte ich echtes Glück mit Jack. Auch weil er mich vom Einfluss Hollands rettete, was ich ebenfalls erst später zu schätzen lernte. Der hätte mich ohne Zweifel in eine falsche Richtung gezogen. Kurzum: Dein Vater erstickt selbstständiges Denken nicht und schürt keinen Hass, fordert aber dennoch Gehorsam.«

»Bestrafte er oft?«

»Nein. Bei ihm genügte ein strenger Blick und alle zogen den Kopf ein.« Finlay zuckte die Schultern. »Seine ganze Haltung und Mimik strahlten schon Autorität aus. Wer sich gehen ließ, bekam Strafstunden. Aber gezüchtigt hat er niemanden damals … zumindest nicht öffentlich. Er zitierte ab und zu problematische Matrosen zu sich, doch was hinter der verschlossenen Tür geschah, erfuhr kein Dritter. Was immer er dort mit den Männern anstellte, es wirkte. Doch die Mannschaft der Black Hound vergötterte den Kerl auch beinahe nach der Sache mit Hollands. Die wären für ihn in die Hölle gesegelt. Ich glaube, wenn ein anderer Matrose sich Jack offen widersetzt hätte, wären ihm vielmehr Prügel der übrigen Mannschaft sicher gewesen.«

»Aber bei dir haben sie es akzeptiert?« Sie dachte an das Gespräch damals auf der Nemesis, dessen Erinnerung noch immer ihr Herz schneller schlagen ließ. Selbst seine direkten Fragen stellte er mit einem derartigen Charme, dass sie ihm nichts hatte übelnehmen können. Auch nun musste sie sich zurückhalten, diesem wundervollen Mann nicht auf die unsittlichste Weise um den Hals zu fallen. Finlays Schmunzeln half nicht sonderlich dabei, diesen Drang zu unterdrücken.

»Ich hatte Glück, dass die Männer mich bereits kannten. Sie verziehen mir einiges an jugendlicher Unvernunft.«

Liliana lehnte sich über den Tisch und ergriff seine linke Hand, die noch immer auf der Kante ruhte. Trotz der ansonsten feinen Gesichtszüge und aristokratischen Haltung waren seine Hände schwielig rau und zeugten von langjähriger Erfahrung mit harter Arbeit. Liliana musste an seine Vergangenheit denken: ein reicher Kaufmannssohn, dessen Vater das gesamte Vermögen versoffen und ihn noch dazu an einen Walfänger verspielt hatte. Wenn die Black Hound diesen nicht geentert hätte und ihn als Jungen übernommen, hätte Finlay die Fahrt sicher nicht lange überlebt.

»Wie hast du das geschafft, dich derartig beliebt zu machen?«

Finlay schüttelte amüsiert den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Ich versuchte damals nach dem Kapern, mich an Bord der Black Hound zu schleichen. Es schien mir der einzige Ausweg aus der Hölle und vor dem sicheren Tod. Mir ist gewaltig das Herz in die Hose gerutscht, als mich Ove erwischte. Verdammt, ich war fünfzehn, überarbeitet und halb verhungert, während dieser Norweger sich als muskelbepackter Riese vor mir aufbaute und mich am Schlafittchen packte.« Er erwiderte den Druck und schob seine Finger zwischen die ihren.

Liliana spürte die Wärme durch ihren Körper fließen. »Ove deutete mal an, du hättest ihm damals tapfer in die Augen geschaut und so bei ihm an Achtung gewonnen.«

Finlay atmete tief durch. »Leider hat all dies bei deinem Vater nicht den erhofften Erfolg erzielt.«

Sie runzelte die Stirn. »Zitierte er dich nie zu sich?«

»Nein. Ich versuchte auch, das zu vermeiden. Ich war immer sehr gut im Ausweichen heikler Situationen. Das lernte ich bereits als Kind. Wenn mein Vater betrunken war, versteckte ich mich im Wald, bis er schlief.« Seine Mimik versteinerte.

Liliana stand auf und trat um das Pult zu ihm. »Du denkst noch immer ab und zu an ihn, oder?«

Finlay erhob sich ebenfalls, wich ihrem Blick jedoch aus. »In letzter Zeit öfter. Weißt du, es ist seltsam, so sehr ich auch versuche, meinen Vater zu verachten, muss ich immer überlegen, ob er stolz auf mich wäre, sähe er mich heute. Besonders mit dir zusammen.«

Sie legte ihre Hände auf seine Brust. »Vielleicht solltest du doch mal versuchen, ihn ausfindig zu machen? Und wenn es nur deswegen wäre, um Gewissheit zu haben und nicht mehr zu grübeln.«

Er presste die Lippen zusammen und schwieg.

Liliana strich ihm sanft über das Gesicht. »Ich bin bei dir.«

Finlay lächelte. »Danke!« Er blickte ihr tief in die Augen. »Dass du hier bei mir bist und für deine Worte.« Sein Gesicht näherte sich dem ihren.

Liliana gab dem Drang nach, niemand sah sie hier. Sie schloss die Augen, kurz bevor seine warmen Lippen die ihren berührten. Ein angenehmes Kribbeln erfüllte sie und sie genoss jede Sekunde dieses Kusses.

***

Am Nachmittag des nächsten Tages stand Liliana an ihrem Lieblingsplatz an der Reling und sog die frische Meeresluft in sich auf. Haut und Kleidung bedeckten bereits eine salzige Schicht.

Finlay rief seinen Männern noch Befehle zu und trat dann neben sie.

»Sind das schon die Niederlande?«, fragte sie.

»Ja, es ist keine lange Fahrt. Wenn die starken Gezeitenströme in der Straße von Dover nicht wären, hätten wir die Strecke auch an einem Tag schaffen können.«

»Ich glaubte immer, Kontinentaleuropa läge weiter entfernt.«

Er schmunzelte. »Das tut es lediglich in den Köpfen vieler Engländer.«

Von weitem erkannte sie die breiten Anlegestege, die Hoorn umgaben. Aus der Mitte der Häuser ragte ein großer Glockenturm hervor. Die Gebäude selbst wirkten prunkvoll, viele Dächer waren mit Silber verziert.

»Eine hübsche Stadt«, bemerkte Liliana.

»Noch ist sie das. Leider verfällt vieles, ihre Blütezeit scheint vorüber.«

»Aufgrund der Unabhängigkeit von Amerika?«

»Unter anderem.« Finlay nickte. »Hoorn lebt vom Handel, hier blühte die VOC auf, die Vereinigte Ostindische Kompanie. Doch seit der Verlegung des Haupthafens nach Amsterdam verliert diese Stadt langsam an Wichtigkeit. Doch nicht nur diese, das gesamte Land leidet. Viel des Wohlstands war auf den Kolonien aufgebaut.«

»Ein Reichtum, der aus der Ausbeutung eroberter Landstriche beruht, scheint zu oft ein Luftschloss zu sein.«

Finlay nickte. »Besonders, wenn nur herausgeholt und nicht hineingesteckt wird. Das ist kein Fundament einer Wirtschaft. Da wundert es nicht, wenn sich die Bürger vor Ort zur Wehr setzen und der Kolonialherr plötzlich alles verliert.« Er schnaubte. »Doch nicht nur die ständigen Kriege, auch das verschwenderische Leben der Adligen trägt seinen Teil bei. Statt zu sparen, werden die Bürger einfach noch stärker ausgebeutet und mehr und mehr Waren mit immer höheren Steuern belegt. Das spüren auch wir Händler schmerzhaft.«

Liliana schluckte. Sie hatte vor wenigen Tagen erst gesehen, was geschehen kann, sollte man als Schmuggler bezichtigt werden.

»Lass uns kein Trübsal blasen, sondern den Aufenthalt genießen«, sagte Finlay aufbauend. »Heute Abend legen wir an und morgen geht es an Land.«

Hoorn, Niederlande

April 1786

Heute ging es in eine fremde Stadt in einem europäischen Land! Dazu machte es den Eindruck, ein wundervoll sonniger Tag zu werden. Liliana holte eines ihrer besseren Kleider, die sie mitgenommen hatte, aus dem Koffer. Sie breitete die Teile auf ihrem Bett aus und begann, sich anzukleiden, als ihr Blick auf das Mieder fiel. Ein Schrecken durchfuhr sie. Schnell zog sie ihr altes Kleid über, schlich zu Finlays Kammer und klopfte an.

Er öffnete und sah sie mit gehobenen Brauen an. »Ist etwas passiert?«

»Ich …« Sie biss sich verlegen auf den Daumennagel. »Ich habe ein Problem.«

»Welches?«

»Ich würde für Hoorn gerne ein eleganteres Kleid anziehen.« Liliana spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Könntest du mir vielleicht beim Schnüren des Mieders behilflich sein?«

Finlay lächelte breit. »Ich glaubte schon, es sei etwas Ernstes. Gerne leihe ich dir meine Hände, wenn dies erlaubt ist.«

Er folgte ihr in die Kammer und Liliana schloss die Tür.

Finlay betrachtete die ausgebreiteten Stoffe auf dem Bett. »Ein schönes Kleid, die orange-gelbe Farbe passt zum Frühling.«

»Strümpfe, Unterrock und Rolle habe ich bereits an.« Sie zog das alte Überkleid aus. Ihre Wangen brannten erneut, als sie nur in Unterwäsche vor ihm stand. Finlay schien dies jedoch nicht zu bemerken. Er nahm das Mieder und reichte es ihr. Liliana legte es um.

»Du muss die Schnüre …«, begann sie zu erklären, doch er winkte lächelnd ab.

Er nahm die Schnur und trat an ihren Rücken. »Ich weiß, wie so etwas geht.« Mit geschickten Fingern fädelte er das Band in die Ösen.

Liliana runzelte die Stirn, schwieg aber.

»Sag nur, wenn es zu fest ist.«

»Nein, du machst das sehr gut … fragwürdiger Weise«, fügte sie trocken hinzu. Dieser Mann überraschte sie immer wieder aufs Neue.

Finlay reichte ihr Taschen, Petticoat, Überkleid und Schürze in der korrekten Reihenfolge.

Als sie angekleidet war, trat er hinter sie und küsste sie sanft auf die Schultern, sodass Liliana eine prickelnde Gänsehaut bekam. Sie drehte sich dennoch zu ihm und zog skeptisch die Brauen zusammen.

Finlay hob beschwichtigend die Arme ob ihres anklagenden Blickes. »Ich half früher meiner Mutter beim Ankleiden, nachdem wir die Angestellten entlassen mussten und Vater sich nur noch in den Schänken aufhielt«, erklärte er mit leiser Stimme und seine braunen Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an. »Ich hoffe, diese Erläuterung verhindert, dass deine Fantasie in eine unredliche Richtung segelt.«

Liliana fiel in der Tat ein Stein vom Herzen und sie atmete erleichtert durch. »Ich verstehe.« Weiter nachfragen wollte sie nicht, wusste sie doch, wie sehr ihn diese Erinnerungen schmerzten. Entschuldigend erwiderte sie seinen Blick. Diese sanften, dunklen Augen unter den blonden Strähnen ließen ihr Herz schneller schlagen.

Finlay umfasste ihre Taille. »Du siehst wunderschön aus in dem Kleid.«

Liliana lächelte beschämt. »Danke.«

»Komm.« Er bot ihr seinen Arm an. »Lass mich dir Hoorn zeigen.«

Sie hakte sich unter. »Bist du oft in dieser Stadt?«

»Ja. Sie ist in der Tat ein wenig wie eine zweite Heimat für mich.«

Sie gingen zusammen den Steg hinunter auf den steinernen Pier. Liliana fühlte sich wundervoll, als der Wind ihr eine salzige Brise ins Gesicht wehte. Das elegante Kleid mit dem geschnürten Mieder, das ihre Haltung aufrichtete, sowie der attraktive Mann an ihrer Seite gaben ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Beinahe adlig.

Hinter dem Anlegesteg erhoben sich Reihen schmaler und bunt angemalter Steinhäuser. Eine prächtige Kirche mit breitem Rumpf und hohem Glockenturm stand an der Küste und überragte alles ähnlich eines Leuchtturms. Etliche schwerbeladene Wagen und Ochsenkarren zogen an ihnen vorbei und wurden an den Schiffen be- und entladen. Hoorn war ganz offensichtlich eine Handelsstadt.

Die Sonne schien freundlich vom Himmel, der nur mit wenigen Federwolken bedeckt war. Liliana genoss die wärmenden Strahlen auf ihrer Haut und sah Effie vor ihrem geistigen Auge, wie diese ihren Schirm aufspannte, in der Sorge, zu sehr an Farbe zu gewinnen, und musste lächeln.

»Was möchtest du zuerst sehen?«, fragte Finlay. Auch er schien guter Dinge zu sein.

»Wolltest du nicht dein Geld und die Logbücher auf eine Bank bringen?«

»Damit habe ich bereits Ezekiel beauftragt. Er bringt es zusammen mit Red und Glen nach Amsterdam. Im dortigen Rathaus befindet sich die größte Wechselbank in den Niederlanden mit recht guten Konditionen zurzeit.«

Liliana seufzte. »Ich kenne mich so gar nicht aus in solchen Dingen.« Sie verdrehte die Augen. »Ich weiß nicht einmal, ob Frauen überhaupt Zutritt zu Banken haben.«

Finlay runzelte die Stirn. »Warum sollten sie das nicht? Wie könnten alleinstehende Frauen ansonsten ihren Besitz aufbewahren?«

»Solche sind entweder wohlhabend genug, sich Bedienstete leisten zu können, oder sie haben keinen Besitz.«

Finlay sah sie von der Seite an. »Damit magst du richtig liegen, fürchte ich. Dennoch bin ich mir gewiss, eine Frau würde nicht aus einer Bank geworfen werden … es ist schließlich ein Dienstleistungsunternehmen und nicht das Parlament.«

»Dass Frauen dort nicht eingelassen oder gehört werden, ist ebenfalls äußerst verwerflich«, bemerkte Liliana trocken. Warum durften Frauen nicht bei politischen Dingen mitentscheiden? Das empfand sie als ungerecht.

Finlay zuckte die Schultern. »Ich habe die Gesetze nicht gemacht und kann etliche nicht nachvollziehen.« Er lächelte verschmitzt. »Das Wetter ist viel zu schön für ernste Themen, lass uns die Stadt erkunden.«

Liliana strahlte. »Gerne!«

Eine breite Ziegelbrücke mit eisernen Laternen führte sie über das Gewässer und gab den Blick auf eine Reihe schmaler, hoher Häuser frei. Es waren viele Leute an diesem sonnigen Tag unterwegs. Auch einige Kutschen drängten sich durch die Straßen. Eine frische Brise verwehte den fauligen Geruch des Kanals und die Ausdünstungen der Zugtiere.

Sie spazierten einige Zeit über das Kopfsteinpflaster entlang der Kanäle. Hier befanden sich alle paar Schritte Steintöpfe mit blühenden Blumen, die ihren Duft verströmten. Liliana bemerkte einige kleine Boote auf dem Wasser mit Pärchen darin. Junge Männer ruderten, während die Frauen in hellen Kleidern und mit Sonnenschirmen das schöne Wetter genossen.

Sie musste gegen ihren Willen kichern und hielt schnell die Hand vor den Mund, denn das schickte sich nicht für eine Dame. Zu viele Menschen waren hier unterwegs, die sie beobachten könnten.

Finlay sah sie von der Seite an. »Was ist derart amüsant?«

»So romantisch es gewiss wirken sollte …« Sie zeigte auf das Gewässer. »… ich glaube, darauf können wir verzichten. Es erinnert mich an Beiboote beim Verlassen eines sinkenden Schiffs.« Sie musste an die Besatzung der Red Shark denken, die ähnlich ziellos umher gerudert war.

Finlay lachte. »Ich speise dich sicher nicht mit einem Ruderboot ab.«

Seine Schritte wurden ausfallender und Liliana ließ sich von ihm mitziehen. Seine offensichtlich gute Stimmung beflügelte ihr Herz. Dieser Spaziergang fühlte sich beinahe an wie ein gemeinsamer Tanz durch den Frühling. Sie wandten sich vom Wasser ab und tauchten in die weniger belebten Straßen ein. Liliana bewunderte die vielen Pflanzenkübel an den Häusern und die bunt angestrichenen Fassaden.

»Bis zum Park ist es ein Stück. Möchtest du eine Kutsche nehmen?«, fragte Finlay irgendwann.

»Nein, ich würde lieber laufen. Es tut gut, sich die Beine vertreten zu können nach der Zeit auf dem Schiff.« Sie genoss das Gehen neben diesem Mann zu sehr. Der Gedanke, in einer holperigen Kutsche über das Kopfsteinpflaster zu wackeln, war ihr im Moment eher unangenehm.

Finlay nickte. »Das sehe ich ebenso.«

Nach etwa einer halben Stunde Weg erreichten sie die von Finlay genannte Grünanlage. Die Luft wurde angenehm frisch, statt der Ausdünstungen von Kutschtieren duftete es hier nach Blumen und Gräsern, was Lilianas Frühlingsgefühle noch verstärkte. Sie schlenderten durch bunt bepflanzte Gärten und grüne Wiesenflächen. So angelehnt an Finlays starken Arm wollte sie ewig weiterwandern. Beschützt, verehrt, geliebt. Nun verstand sie, was die Poeten und Autoren von Romantik immer meinten. Der Duft der Blumen, die wärmende Sonne, das Zwitschern der Vögel …

Die Sonnenstrahlen tanzten durch die Blätter der Bäume, die sich um diese Jahreszeit gerade mit frischem Grün aus den Knospen zwängten, und warfen verspielte Schatten auf ihre Kleider.

Liliana holte tief Luft, sie wollte diesen Tag im Ganzen in sich einsaugen. Am liebsten hätte sie die Arme ausgebreitet dabei. »Es ist so wundervoll hier mit dir.«

Finlay sah sie an und sein Blick nahm wieder diesen leicht frechen Ausdruck an. Doch er schien zu zögern.

Liliana runzelte die Stirn. »Womit haderst du? Sprich es aus! Du schaust wie ein kleiner Junge, der in der Kirche aus dem Klingelbeutel gestohlen hat, und mir nun einen Kuchen davon kaufen möchte.«

Finlay lachte prustend auf. »Deine Analogien sind durchaus besser als meine. Aber ganz so ist es nicht.« Er drehte sich zu ihr. »Hast du schon einmal Kaffee getrunken? Hier gibt es abgesehen von Wien den besten.«

»Nein, bisher noch nicht.«

»Hast du Lust, mit mir in ein Kaffeehaus zu gehen? Wir könnten dort auch etwas essen.«

Liliana stutzte. Das war es also. Sie kannte bisher eher unsittliche Gerüchte über diese Stätten. »Ist das für anständige Frauen nicht verboten?«

»Verboten nicht, ungewöhnlich ja.« Finlay schmunzelte. »Hier kennt dich doch keiner.«

Liliana legte die Stirn in Falten. »Aber dich offenbar?«

»Die Kaffeehäuser haben alle ihre eigene Klientel, es ist einer der geeignetsten Plätze, um an Informationen zu gelangen. Vertraue mir, ich würde dich nie in Gefahr oder gar Verruf bringen. Wenn du nicht mitkommen möchtest, gehe ich zu einem späteren Zeitpunkt.«

»Nein, ich würde gerne mit dir dorthin. Ich bin sowohl neugierig auf das Getränk als auch auf die Räumlichkeiten.«

Finlay lächelte glücklich. »Du wirst es nicht bereuen.«

Sie gingen in Richtung des Hafens zurück und bogen in eine kleine Gasse ein. Finlay führte sie zielstrebig zu einem der schmalen, hohen Steinhäuser mit rot-weißem Anstrich. Ein hölzernes Schild mit der Aufschrift »Koffie Huis« zierte den Eingang. Vor dem Gebäude luden vier Tische mit Stühlen Gäste zum Essen im Schein der Sonne ein, die jedoch an diesem Tag von niemandem in Anspruch genommen wurden.

Als sie das Innere betraten, musste sich Liliana zusammenreißen, nicht mit offenem Mund und den großen Augen einer Kuh durch den Raum zu starren. Die schmalen, geteilten Fenster ließen nicht viel Licht herein, doch die Leuchtkraft der wenigen Lampen an den Holzwänden wurde durch etliche Spiegel verstärkt. Dennoch besaß die Stätte eine etwas düstere, wenngleich nicht ungemütliche Atmosphäre. An jeder der vier Wände hing eine große Uhr, sodass die Chronometer von jedem Tisch und jeder Blickrichtung abgelesen werden konnten. Zudem begegnete Liliana eine Wolke neuer Gerüche. Sie hatte geröstete Kaffeebohnen bereits in Graces Küche gerochen und fand dieses Aroma auf Anhieb betörend, doch hier duftete es weitaus intensiver. Dazu gesellte sich das süßliche Odeur von Tabak.

Die vielen Tische, die dicht beieinanderstanden, wurden von gemütlichen Sesseln umringt. Das Kaffeehaus war zu zwei Dritteln gefüllt, selbst an der Theke befanden sich Männergruppen, oft in Diskussionen oder – an den Tischen – gar ein Schachspiel vertieft. Einzelne Männer lasen in Zeitungen.

Liliana spürte die Röte in ihre Wangen steigen. Sie war eindeutig die einzige Frau in diesem Etablissement und die vielen männlichen, oft bärtigen Gesichter, die sich bei ihrem Eintritt neugierig zu ihnen drehten, beschleunigten ihren Puls. Sie klammerte sich an Finlays Arm, der beruhigend ihre Hand tätschelte.

Ein schlanker, großer Mann mit kurzen, hellbraunen Haaren und Schnauzbart stand hinter der Theke und putzte Gläser und Tassen mit einem Tuch trocken. Als er sie erblickte, schwang er den Lappen über die Schulter und hob grüßend die Hand. »Finlay. Freut mich«, sagte er auf Englisch.

Als wäre das ein Zeichen, dass keine Gefahr drohte, verfolgten die neugierig schauenden Anwesenden daraufhin wieder ihrer vorherigen Beschäftigung und ignorierten sie.

Finlay trat an die Theke. »Guten Abend, Bas, wie geht es dir?«

Der Wirt grinste breit, seine blauen Augen leuchteten. »Schlechten Menschen geht es doch immer gut. Wer ist deine neue Errungenschaft?«

Liliana stutzte und Finlay hob warnend den Zeigefinger. »Achte auf deine Worte, Bas, ich setze sehr große Stücke auf diese Dame. Darf ich vorstellen: Miss Liliana Preston.«

Bas öffnete kurz den Mund, schloss ihn wieder und musterte Finlay schief, als suche er nach einem versteckten Scherz. Dann schüttelte er den Kopf. »Du meinst … etwas Ernstes?«

Finlay nickte. »Absolut.«

Der Wirt lachte und klatschte in die Hände. »Ha, unser Wildfang kommt wohl doch noch unter die Haube!« Er breitete feierlich die Arme aus. »Komm, setzt euch, der Kaffee geht auf mich.«

»Ich danke dir.« Finlay nickte und führte Liliana durch den Raum zwischen besetzten und leeren Tischen hindurch.

»Errungenschaft?«, raunte sie ihm stirnrunzelnd zu.

Finlay lächelte verschämt. »Dies ist für gewöhnlich ein Männertreff, da wird geredet und geprahlt … bitte nimm dir derartige Bemerkungen nicht zu Herzen.«

Sie lachte leise. »Keine Sorge, ich bin gewiss nicht der Illusion erlegen, dass du vor meiner Bekanntschaft ein Musterknabe warst.«

»Wie gesagt, vieles wird unter Männern übertrieben dargestellt. Ich darf mich diesbezüglich vielleicht nicht als völlig unschuldig bezeichnen, war aber sicher auch kein wilder Weiberheld, bitte glaube mir das.«

Er verstummte, als sie die hintere Ecke erreichten. Hier – durch dunkle Strebebalken etwas geschützt – befand sich eine gemütliche Sitzecke mit Sesseln und einem Sofa. An dem Tisch, der acht Gästen Platz bot, saßen bereits drei Männer. Der eine schien noch recht jung und in Lilianas Alter zu sein, er hatte dunkle, lange Haare, die zu einem Zopf gebunden waren, und ungewöhnlich hellbraune Augen, deren Farbe an Bernstein erinnerte. Neben ihm saß ein leicht stämmiger Mann mit pechschwarzen, welligen Haaren, Vollbart und breitem Gesicht, den Liliana wie Finlay auf Ende Zwanzig, höchstens Anfang Dreißig schätzte. Der Dritte gegenüber den beiden war mit etwa Vierzig wohl der älteste. Er wirkte recht klein, schmal und trug einen Zwicker auf der etwas zu großen Nase. Sie alle waren elegant gekleidet in helle Hemden und seidene Stoffwesten. Die Mäntel aus Wolle oder Leder hingen über den Lehnen, jedoch trug keiner von ihnen eine Perücke, nicht einmal die Haare waren gepudert.

Alle drei schienen in eine Diskussion vertieft. Als sich Liliana und Finlay dem Tisch näherten, verstummten sie und sahen beinahe erschreckt auf.

Der jüngste von ihnen lächelte breit mit strahlend weißen Zähnen. Seine Züge wirkten freundlich. »Finn!«

Der Bärtige drehte sich im Stuhl zu ihnen herum und legte dabei den Arm auf die Rückenlehne. »Ich glaub es nicht«, rief er mit tiefer Stimme, ebenfalls auf Englisch. »Was treibt dich mit einem Weibsbild nach Hoorn? Geschäfte?« Er sah musternd zu Liliana.

Finlay hob die Hände. »Bevor ihr alle hier mich noch mehr in Verlegenheit bringt, möchte ich meine hochgeschätzte Begleitung vorstellen.« Er legte beschützend den Arm um sie. »Miss Liliana Preston.«

Die drei Männer schauten ähnlich irritiert wie der Wirt zuvor und Liliana wurde das Starren unangenehm, sie blickte beschämt zur Seite.

»Meine Güte, was sind wir für Banausen«, rief der Bärtige. Er erhob sich von dem Sessel, legte eine Hand auf seine Brust und deutete eine Verbeugung an. »Herzlich Willkommen in unserer Runde, Miss Preston, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Johan Gous.« Die anderen beiden standen ebenfalls auf. »Dies sind Gustav Homeyer und Levi Süssmann.« Er wies erst auf den Jüngsten, dann zu dem schmalen Mann mit Zwicker.

Beide verbeugten sich höflich.

»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Die drei sind gute Kameraden von mir«, erklärte Finlay. »Zusammen mit ein paar anderen. Wir kennen uns schon lange und treffen uns regelmäßig hier.«

»Setzen Sie sich doch bitte.« Mr Gous wies auf die grüne Couch gegenüber von ihm neben Mr Süssmann.

Finlay nickte ihr aufmunternd zu und sie nahmen zusammen darauf Platz. Sie sanken ungewöhnlich tief in das weiche Polster.

»Sag, wo hast du Alan und Ben gelassen?«, fragte Gustav nun. »Nicht, dass ich die neue Begleitung nicht zu schätzen wüsste …« Er schmunzelte.

Finlays Blick wurde trüb. »Alan fiel im letzten Jahr auf See. Im Kampf gegen ein Piratenschiff.«

Betretenes Schweigen folgte. Gustav schluckte und fuhr sich dann mit den Händen über das Gesicht, als wolle er Emotionen unterdrücken. Levi wurde noch blasser, als er ohnehin schon war.

»Verdammt«, brummte Johan leise. »Das tut mir leid. Wie hat Ben das weggesteckt?«

»Nicht gut, aber ihm geht es wieder besser. Er wäre mitgekommen, besucht jedoch einen Kollegen in Den Haag.«

Gustav zwang sich zu einem Lächeln. »Immer noch so strebsam, der Bursche?«

»Du kennst ihn.«

»Piratenschiff.« Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Das klingt für mich Landratte noch immer surreal. Ich kann mir dich kaum auf einem Schiff vorstellen – kenne dich schließlich nur auf dem Land –, geschweige denn in einer Seeschlacht gegen Piraten.«

»Es ist nicht mein täglich Brot, auf See Kämpfe auszutragen, Gus. Ich handle für gewöhnlich nur.« Finlay presste die Lippen zusammen. »Aber ab und zu ist es gefährlich dort draußen.«

»Auf!« Johan schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Lasst uns nicht Trübsal blasen, dafür sehen wir uns zu selten. Habt ihr schon bestellt?«

Wie zum Zeichen kam der Wirt und stellte jedem von ihnen eine Tasse mit leicht dampfendem Kaffee vor die Nase.

Liliana betrachtete das schwarze Getränk in der edlen Porzellantasse. Ein heller Schaum umrandete es. Sie sog das Aroma in sich ein. Es roch nach fernen Ländern.

»Ich hoffe, du hast noch ein paar Säcke für mich«, sprach Finlay den Wirt an. »Meine Vorräte an Kaffee sind bis auf die letzte Bohne aufgebraucht.«

Bas nickte. »Für dich immer.«

Finlay sah zu ihr. »Trink ruhig. Es ist ein wenig wie Tee, nur anders.«

Sie hob die Tasse an den Mund. »Es duftet wundervoll.«

»Wenn es Ihnen zu bitter sein sollte, kann man auch Zucker oder Milch einrühren«, erklärte Gustav freundlich.

Liliana fiel auf, dass Levi nichts sagte. Konnte er womöglich kein Englisch?

Sie nahm einen Schluck. Es schmeckte streng und, wie der Mann gesagt hatte, ein wenig bitter. Doch nicht unangenehm.

»Wie lautet dein Urteil?«, fragte Finlay neugierig.

»Gewöhnungsbedürftig, aber nicht so schrecklich wie befürchtet.«

Finlay lachte und trank ebenfalls. Er lächelte genussvoll. »Eine sehr gute Röstung, ich habe den Kaffee vermisst.«

»Immerhin ist es mittlerweile erschwinglich und nicht mehr nur der Oberschicht vorbehalten«, meinte Johan. »Dank seefahrenden Händlern wie dir.« Er tippte sich wie zu Finlay salutierend an die Stirn.

Gustav nickte zustimmend. »Es kann nur von Vorteil sein, dass sich das Getränk etabliert und den Alkohol verdrängt. Alkohol führt zu oft zu Gewalt und Leid.« Er schnaubte. »Besonders in deutschen und preußischen Gebieten. Da wird selbst Kindern schon Biersuppe verpasst.«

»König Friedrich stellte das private Rösten von Kaffee sogar unter Strafe, doch zum Glück wird das oft ignoriert«, erzählte Johan. »Ich sagte es ja. Dem passt es nicht, dass Kaffee nun erschwinglich ist und nicht nur den Reichen vorbehalten. Der will es weiter teuer besteuern.«

»Ich bin der Überzeugung, da steckt mehr hinter den Verboten und dem Versuch, Kaffeehäuser in Verruf zu bringen«, sagte Levi und schob seine Sehhilfe auf der Nase zurück.

Liliana war ganz erschrocken, die stille Figur, die dort in der Ecke saß, auf einmal reden zu hören.

Seine Stimme klang ungewöhnlich fest und die Worte durchdacht. »Im Gegensatz zu Alkohol macht Kaffee den Kopf klar, nicht benebelt. Ich behaupte sogar, dass dieser Aufschwung der Wissenschaften und Aufklärung der Tatsache zugrunde liegt, dass die Menschheit von der dauerhaften Benebelung des Bierkonsums abkommt.«

»Aber Tee kann ebenso wirken.« Johan schüttelte den Kopf. »Ich fürchte dennoch, dass Kaffee nie den Rausch des Alkohols ersetzen kann.«

»Kaffeehäuser sind den Herrschern ein Dorn im Auge«, beharrte Levi. »Hier treffen sich Menschen aller sozialer Schichten, was ansonsten aufgrund strikter Trennung kaum möglich ist. In diesen Stätten zählen alle gleich. Die Gespräche und der Austausch mit anderen sowie die Möglichkeit, Zeitungen zu lesen, dienen der Bildung und der Zerstreuung. Das regt den Geist an. Hier trifft man Gelehrte, Künstler, Schriftsteller und Opponenten. Die Bezeichnung ›Penny University‹ kommt nicht von ungefähr.« Er hob wie ein Lehrmeister den Zeigefinger. »Sapere aude. Das sollte unser aller Leitsatz werden: Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen. Kennen Sie die neuesten Schriften Immanuel Kants, Miss Preston?«

Liliana schüttelte beschämt den Kopf. Sie ertappte sich dabei, den Mann mit offenem Mund anzustarren, und schloss ihn rasch wieder.

Gustav schien ihre Irritation zu bemerken. »Nun langweile die junge Dame doch nicht gleich mit deinen Philosophen, Levi.« Sein breites Lächeln wirkte einladend und freundlich. »Erzählen Sie, Miss Preston, wie lernte eine Dame wie Sie einen Herumtreiber wie unseren Finn kennen?«

Finlay drohte mit einem Finger. »Achte auf deine Worte, Gus.«