Projekt EagleWings - Sylvia Kaml - E-Book

Projekt EagleWings E-Book

Sylvia Kaml

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Beschreibung

Seit ihre Mutter verschwand, lebt Trish auf der Straße. Sie schnorrt, stiehlt und hat keine Zukunftsperspektive. Einzige Bezugsperson ist ihr Bruder Mike, der sich als Fahrradkurier durchschlägt. Eines Abends beobachtet Trish, wie Männer in dunklen Anzügen und mit seltsamen Tätowierungen auf dem Handrücken Jugendliche von der Straße ansprechen. Diejenigen, die ihnen folgen, sieht sie nicht wieder. Als einer dieser Männer auch zu ihr kommt und ihr eine bessere Zukunft verspricht, entscheidet sich Trish, mitzugehen. Doch das angepriesene gute Leben hat einen zu hohen Preis.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Projekt EagleWings
Sylvia Kaml
Impressum © 2025 Sylvia Kaml, Winsterstr. 67a, D-45481 Mülheim an der Ruhr
Alle Rechte vorbehaltenDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert oder in einem Abrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise übertragen werden.Lektorat: Dirk Paulsen, WesTextCoverdesign von: Sylvia Kaml via canva.comAutorenlogo: Hera N. HunterAutorenfoto: Andrea Rings
Sylvia Kaml
Dystopie
Kapitel 1
Der Himmel war orange. Kein Orange, wie man es von malerischen Sonnenaufgängen kennt oder von einer tiefstehenden Herbstsonne. Nein, ein künstliches, verwaschenes Orange, kalt, von Tausenden Neonleuchten, Autoscheinwerfern und Straßenlaternen erzeugt. Die schmutzige Aura einer Großstadt, die von den tiefhängenden Nachtwolken reflektiert wurde.
Trish lehnte an dem rostigen Geländer vor einem geschlossenen Geschäft und betrachtete das Fleckchen Himmel, was man zwischen den Hochhäusern erkennen konnte. Vielleicht war es aber auch nur aufsteigender Smog.
In der Einkaufsstraße vor ihr herrschte reger Betrieb, obgleich die meisten Geschäfte mittlerweile geschlossen und mit einem Eisengitter verriegelt worden waren. Die Menschen hetzten dennoch vorbei, als wollten sie zwanghaft beschäftigt wirken, als wäre ihnen Müßiggang zuwider. Oder sie versuchten nur zu verhindern, alleine in einer kleinen und engen Wohnung zu sitzen, den Computer als Alleinunterhalter und einem Wellensittich als einzigem Gesprächspartner. Dieses Szenario schien ihr wahrscheinlicher.
Die heutige Durchschnittsfamilie bestand aus einem Singlehaushalt mit Haustier, vorzugsweise Hund.
Trish biss auf ihren Daumennagel und betrachtete die Menschen, die an ihr vorbeieilten. Viele starrten dabei auf das Display ihres Smartphones, ohne ihr Umfeld wahrzunehmen. Die meisten würden wohl noch nicht einmal bemerken, finge es zu regnen an.
Aus einer Laune heraus spielte sie mit dem Gedanken, sich in der Mitte der Einkaufsstraße auf den Boden zu legen und zu beobachten, ob irgendjemand reagierte oder ob man einfach weiter stumm an ihr vorbeiginge. Doch sie entschied sich dagegen. Was würde es ändern?
Trish stand häufig hier und beobachtete die Menschen, die verschiedenen Typen, ihre Kleidung und ihr Verhalten, nur um nicht daran erinnert zu werden, wie alleine sie war. Allein wie fast jeder in der Millionenmetropole.
Diese Nacht glich vielen vorherigen. Sie stellte sich schon darauf ein, bis Tagesanbruch hier zu stehen und zu beobachten, wie der Fluss aus Menschen langsam dünner wurde und schließlich versiegte, je kälter es werden würde, so als wurden sie vom Wind fortgeweht wie eine Burg aus feinem Sand. Bis die Straße gegen drei Uhr morgens fast ausgestorben sein würde, nur um sich dann eine Stunde später wieder mit den ersten Arbeitern der Frühschicht zu füllen. Dann würden die ersten Büdchen öffnen und der Duft von Kaffee den sauren Gestank von Erbrochenem vertreiben. Ein neuer Morgen würde anbrechen. Wieder und wieder aufs Neue.
Die Nacht hingegen wirkte auf Trish stets wie eine fremde Welt, wie ein paralleles Universum mit eigenen Einwohnern, das denselben Raum einnahm wie der Tag, aber dennoch etwas ganz anderes war.
Während sie ihren Gedanken nachhing, fiel ihr auf, dass sie ein älterer Mann im dunklen, teuren Anzug auf der Straßenseite gegenüber beobachtete. Trish senkte die Hand, an deren Daumennagel sie gekaut hatte, und starrte trotzig zurück. Ihr war klar, dass der verschlissene Parka und die abgetragene Jeans sie obdachlos erscheinen ließen. Ihr war auch völlig bewusst, dass so ein reicher Schnösel nur zwei Dinge von ihr wollen könnte: sie von hier zu verjagen oder Sex.
Seine eher ruhige Bewegung und der musternde Blick ließen sie Letzteres vermuten. Der Mann setzte sich in Bewegung, um die Straße zu überqueren und in ihre Richtung zu gehen. Trish hielt seinem Blick weiter mutig stand. Er war viel älter als sie, bestimmt schon vierzig, mit dunklen Haaren und grauem Bart, aber nicht unattraktiv. Sie konnte sich Sex mit ihm sogar ganz gut vorstellen, natürlich nur gegen Geld. Und so wie der aussah, ziemlich viel Geld. Aber ohne solchen Sadomasomüll. Und nur mit Kondom! In diesem Punkt war sie konsequent. Aber das war wohl auch der einzige in ihrem Leben.
Als der Fremde nur noch ein paar Schritte entfernt war, hielt plötzlich ihr Bruder mit seinem Rad vor ihr.
»Hi Trish!«, grüßte er. Der feine Pinkel drehte schnell ab und ging wie zufällig in eine andere Richtung, bis er in der Menge verschwand. Mist.
»Was willst du, Mike?«, sagte Trish genervt. Er hatte mit seinem blöden Auftauchen vielleicht den Deal des Monats verpatzt!
»Ich bin durch für heute, magst du mit mir was essen gehen?«
Sie seufzte. »Das ist lieb gemeint, aber du kommst denkbar ungünstig gerade.«
Mikes Mimik wurde ernst. »Ich komme mal wieder auf die Sekunde genau richtig, ganz wie es mein Ruf ist«, sagte er eindringlich. »Wenn dir dein Leben lieb ist, bleib weg von diesen Typen!«
Trish stutzte. »Was meinst du?«
»Ich meine den Mann, der gerade auf dich zu gekommen ist. Du kannst froh sein, dass ich es noch rechtzeitig gesehen habe.«
Sie runzelte irritiert die Stirn. »Wieso? Was war das für ein Kerl?«
»Komm mit ins Bootshaus, ich erzähle dir, was ich weiß.«
»Gut. Ich esse aber nichts.«
»Wir können uns ja was teilen, ich schaffe dort eh kaum eine ganze Portion, kennst Ice ja.«
Trish nickte dankbar. Ihr Bruder ahnte wohl, dass sie ziemlich ausgehungert war. Sie wusste, dass auch er sich nur mehr schlecht als recht mit Kurierfahrten über Wasser hielt, und wollte ihm keinesfalls auf der Tasche liegen.
Mike kettete das Rad an das Metallgeländer, neben dem Trish gestanden hatte. Seine halblangen, braunen Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht und waren etwas heller als die ihren, aber seine Augen hatten dieselbe Farbe. Ein helles, gelbliches Grün. Bei Raumlicht wirkten sie manchmal wie unpolierte Nuggets aus Altgold. Auch war er nur wenig größer als sie und schien trotz seiner athletischen Figur immer schmaler zu werden.
»Viel Arbeit?«, fragte Trish, denn es war schon reichlich spät für Feierabend.
Mike nickte. »Das Kontingent pro Tag wird immer größer ohne höhere Bezahlung. Ich packe es kaum bis zum Abend, auch wenn ich um fünf Uhr morgens anfange.«
»Warum machst du den Scheiß mit?«
Mike verzog den Mund. »Weil es sonst ein anderer macht. Die stehen alle Schlange für die Jobs, die es ohne Schulabschluss gibt. Wenn ich nicht so gut wäre, hätte mein Boss die Aufträge längst jemandem gegeben, der noch weniger Kohle verlangt. Aber keiner von denen ist so schnell wie ich.«
»Bei deiner Fahrweise gehst du noch irgendwann dabei drauf! Du trägst nicht mal einen Helm.« Trish spürte einen Kloß in ihrer Kehle anschwellen. Wenn Mike etwas zustoßen würde, wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Er war ihr Zufluchtsort in dieser Welt. Die einzige Person, die real zu existieren schien.
Mike zuckte grinsend die Schultern. »Immerhin sterbe ich dann mit vollem Magen.« Er wurde ernst, als er in ihr besorgtes Gesicht sah, und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Die nächste Anschaffung wird ein Helm, versprochen! Das Fahrradschloss war einfach wichtiger.«
»Eigentlich müsste dein Arbeitgeber so etwas bereitstellen.«
»Warum sollte er? Wenn er nicht für Unfälle haften muss und für jeden Ausfall zwei weitere Fahrer in den Startlöchern stehen?« Mike presste die Lippen zusammen.
Die beiden setzten sich in der kleinen, heruntergekommenen Gaststätte an einen der ungepflegten Tische.
Das Bootshaus gehörte einem Kumpel von ihnen. Es war früher sicher einmal sehr gemütlich und liebevoll eingerichtet gewesen, mit viel Holz, Strand- und Leuchtturmschnickschnack, wie auf einem kleinen Segelschiff. Doch Zeit und Geldnot hatten auch hier ihre Spuren hinterlassen. Die Tische und Bänke waren abgenutzt und die wenigen noch vorhandenen Dekorationen kaputt. Auch das Essen war schon lange nicht mehr das Beste, aber wenigstens günstig und reichhaltig.
Isaac kam sogar aus der Küche, als er die beiden sah. Ein stämmiger, kleiner Mann mit Glatze, dunkler Haut und fleckiger Kochschürze.
»Na, spät Feierabend heute?«, fragte er Mike freundlich. »Das Übliche?«
»Das wäre super, Ice. Und eine große Limo, ich bin ziemlich kaputt.«
Isaac blickte fragend zu Trish, doch die zuckte mit den Schultern. »Für mich nur ein Glas Leitungswasser bitte.«
Ice schmunzelte. »Ich pack den Teller etwas voller und bring ein zweites Besteck, okay?«
Trish lächelte ihn dankbar an. Sie fühlte sich noch immer elend, dabei sollte sie doch längst über die Phase des Schämens hinweg sein. Aber diese ständige Erinnerung daran, wertlos zu sein und allen nur auf der Tasche zu liegen, war wie eine schwere Eisenkette auf den Schultern, die sie stetig weiter zu Boden drückte.
»Noch immer keinen Job gefunden?«, fragte Mike, als Isaac in der Küche verschwunden war.
Trish schüttelte den Kopf. »Ich hab die Suche aufgegeben.«
»Du kannst dich aber doch nicht jede Nacht dort hinstellen und hoffen, dass dich irgendwer mitnimmt!« In seiner Stimme klang eine deutliche Anklage mit, die Trish wie ein Schlag in den Magen traf.
»Das mache ich auch nicht!«, rechtfertigte sie sich. »Ich hoffe, dass einer ne Tasche offenstehen lässt oder Essen wegwirft. Das passiert oft genug. Gut, wenn mal so ein Kerl was Akzeptables anbietet, lehne ich nicht immer ab, aber ich hoffe nicht darauf.«
Mike presste die Lippen aufeinander. »Werde nicht gleich pampig, ich mache mir nur Sorgen.«
»Brauchst du nicht, bist ja nicht unsere Mutter, okay?« In ihrem Bauch schwelte noch immer die Wut wie bittere Säure. Nicht zuletzt deswegen, weil er mal wieder richtig mit seiner Vermutung lag. Sie hasste ihn in diesem Moment dafür, und noch mehr sich selbst.
Sie warf ihm einem bissigen Blick zu und hoffte, dass er nicht merkte, wie sehr diese Wunde schmerzte, in die er gestochen hatte.
Mikes Gesichtszüge wurden sanfter. »Seit wann hat die sich um uns gesorgt? Ich bin schließlich dein älterer Bruder, das reicht schon.«
»Halbbruder!«
»Weißt du das sicher?« Er lachte trocken auf. »Vielleicht hat Mutter ja mal ausnahmsweise zweimal denselben gehabt. Immerhin sehen wir uns ziemlich ähnlich.«
Das stimmte. Ihre anderen Geschwister unterschieden sich deutlicher von ihnen. Jerry war kleiner mit dunklerem Teint, braunen Augen und schwarzen Haaren, Ken breitschulterig und massiger. Ihre Schwester hatte zwar eine recht große Nase, aber eine Traumfigur und das Flair einer südländischen Schönheit, das musste Trish sich neidvoll eingestehen. Sie verzog den Mund bei der Erinnerung an diese egoistische Hexe. »Solange ich nicht zu nahe mit Kassy verwandt bin, ist mir alles egal.«
Mike lächelte schwach, doch Trish entging die altbekannte Sorgenfalte auf seiner Stirn nicht. »Ich möchte nur verhindern, dass du da in was hineingerätst. Das merkst du kaum, aber dann den Absprung zu schaffen, ist viel härter als du denkst. Ich weiß schließlich sehr gut, wovon ich rede.«
Trish atmete tief durch. Sie wusste, dass Mike es gut meinte, und wollte ihn nicht weiter anmotzen. Sie sah auf und ihn in die sanften, grünen Augen. »Ich lande nicht am Bahnhof, keine Sorge, Mike. Ich habe doch einen lieben großen Bruder, der auf mich aufpasst.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich brauche nur etwas mehr Zeit, ich finde schon was.«
Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu, beließ es aber dabei. Trish wusste, dass diese Worte ihn nicht überzeugt hatten. Nicht einmal sie glaubte ihnen.
»Was war das für ein Kerl eben?«, fragte sie schnell, um das unangenehme Thema zu wechseln. »Du wolltest mir doch davon erzählen.«
Mikes Mimik wurde so schlagartig ernst, dass es Trish gruselte. »Geh bloß nie mit einem von ihnen mit!«, sagte er in warnendem Ton und einem Blick, als würde er eine Gruselgeschichte am Lagerfeuer erzählen. »Es laufen mehrere von denen durch die Stadt, alle in schwarzen Anzügen und mit der gleichen Tätowierung auf dem Handrücken. Ich habe sie schon öfter beobachtet. Sie sprechen immer nur Jugendliche an, die obdachlos erscheinen. Viele gehen mit. Aber keinen Einzigen habe ich je wiedergesehen.«
Trishs Magen zog sich bei den Worten zusammen. »Das ist kein Scherz, oder?«
»Nein, darüber würde ich nie Witze machen, es ist die Wahrheit. Ich fahre so viele gleiche Routen, oft auch spät abends oder nachts. Ich weiß, wer wo abhängt, und ich schwöre dir: Alle, die ich mit diesen Anzugträgern weggehen sah, sind verschwunden! Und ich denke nicht, dass die denen eine Filmrolle in Hollywood vermittelt haben.«
Trish schluckte hart, doch der anschwellende Kloß in der Kehle löste sich nicht. Sie glaubte ihrem Bruder aufs Wort. Wenn er diesen Gesichtsausdruck hatte, war er weit von einem Scherz entfernt. »Also hast du mir eben vielleicht sogar das Leben gerettet.« Kaum waren diese Worte gesprochen, wurde ihr die Schwere bewusst. Hätte sie jetzt in diesem Moment vielleicht irgendwo ermordet in einem Waldstück liegen können?
»Sei bitte einfach vorsichtig, okay?«
Trish konnte nur nicken, ihre Kehle war wie ausgetrocknet.
Nach dem Essen holte Mike sein Rad.
»Ist dieser Domino da?«, fragte Trish leise. Sie war sich nie sicher, wie Mike auf diese Frage reagierte.
Ihr Bruder sah so schnell auf, dass es an ein Reh erinnerte, das eine Gefahr witterte. Trishs Schultern verspannten sich, doch er wurde nicht wütend, sondern schüttelte nur den Kopf. »Nein, der ist zum Glück noch auf Tour. Warum?«
Die Erleichterung löste ihre Anspannung. »Könnte ich vielleicht bei dir pennen? Die Mission ist sicher schon überfüllt.«
Mike lächelte. Trish fand, dass ihr Bruder unheimlich niedlich aussah, wenn er so schmunzelte, auch wenn sie das niemals laut sagen würde.
»Klar«, sagte er. »Das kannst du immer, wenn ich die Bude alleine habe. Ich muss aber los, sonst komme ich heute nicht mehr ins Bett. Laufen dauert zu lang und ich brauch echt jede Minute Schlaf.«
»Fahr nur, ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn du aus Müdigkeit morgen einen Unfall baust. Ich gehe einfach zu Fuß und wecke dich nicht, versprochen.«
»Okay, ich leg den Schlüssel unter die Matte. Die Tür am Haupteingang ist eh wieder aufgebrochen worden und hat noch kein neues Schloss. Pass auf dich auf!«
»Danke, auch fürs Essen.«
Er nickte ihr zu, stieg auf das Rad und fuhr davon.
Trish sah ihm gedankenverloren nach, als auch sie sich auf den Weg zu seiner Unterkunft machte. Sie war wirklich froh, einen solchen Bruder zu haben. Ihre anderen Halbgeschwister kümmerten sich nur um sich selbst. Ihr ältester Bruder Jerry war in einer Jugendstrafanstalt gelandet und Ken irgendwo untergetaucht. Darüber war sie nicht einmal unglücklich, denn Ken hatte seine jüngeren Geschwister ständig erpresst, beklaut und verprügelt. Gerade Mike hatte sehr unter ihm leiden müssen, auch wenn es ihm jetzt wahrscheinlich zugutekam, dass er Übung im Davonlaufen oder -fahren hatte. Paradoxerweise war es immer der nun inhaftierte Jerry gewesen, der ihnen beigestanden und sie vor allem zu beschützen versucht hatte.
Ihre ältere Schwester Kassy wollte Trish ebenfalls niemals wiedersehen. Diese Möchtegern-Prinzessin war schon immer von sich selbst eingenommen gewesen und hatte es schließlich geschafft und irgendeinem reichen Macker die Ehefrau ausgespannt. Jetzt lebte sie von seinen Kreditkarten und dachte nicht im Traum daran, den Geschwistern etwas abzugeben oder einen Job zu vermitteln. Sie ignorierte ihre Familie und schämte sich offen für sie. Trish hatte sie damals noch auf den sozialen Netzwerken verfolgt und gelesen, welche Lügen und Gemeinheiten sie über ihre Geschwister verbreitete. Kassy stellte sich als das arme, leidende Opfer dar, das sich für alle aufgeopfert hatte und zum Dank nur drangsaliert worden war. Ihre Geschwister wären nur neidisch und gönnten ihr den Erfolg nicht. Nun, Letzteres stimmte. Trish gönnte dieser Hexe ihren Reichtum kein Bisschen. Aber Kassy hatte im Spiel des Lebens gewonnen und konnte nun lachend mit den Fingern auf sie zeigen. Leider tat sie das auch höhnend bei jeder Gelegenheit.
Trish war diesbezüglich froh, kein Handy mehr zu besitzen. Sie wollte von dieser verlogenen Schlampe nichts mehr wissen.
Ihre Mutter war vor etwa vier Jahren verschwunden und hatte die Kinder einfach zurückgelassen. Sie war wahrscheinlich mit irgendeinem Typen durchgebrannt, der sie dann wieder schwanger sitzen lassen würde. Trish lebte noch einige Zeit mit Mike in der Wohnung, bis diese vom Vermieter geräumt wurde und sie abhauen mussten.
Sie war nicht mehr sauer auf ihre Mutter, denn sie wusste mittlerweile um deren Psychose und dass sie nicht in der Lage war, Verantwortung zu übernehmen oder eigenständig ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Doch zu Mitleid konnte sie sich auch nicht durchringen. Wenn man ihr eine Wahl gegeben hätte, wäre sie lieber nicht geboren worden.
Es war schon nach Mitternacht, als Trish endlich den Häuserblock erreichte, in dem Mike lebte. Er konnte sich keine eigene Wohnung leisten, daher wohnte er zur Untermiete bei Domino, einem widerlichen alten Kettenraucher und Gitarristen, der sich für einen Rockstar hielt. Er fuhr zum Glück die meiste Zeit des Jahres mit seiner Band im Wohnwagen durch das ganze Land und schmuggelte Drogen von einer Stadt zur nächsten. Dort spielte er dann in heruntergekommenen Kneipen für ein Trinkgeld, Bier und Essen, immer in der trügerischen Hoffnung, auf seine alten Tage doch noch entdeckt zu werden. Domino hatte mehrere kleine Wohnungen in verschiedenen Städten gemietet. Trish vermutete, dass er sie alle an Not leidende, hübsche Jungs günstig untervermietet hatte, die die Bude in Schuss hielten und ihm dafür zur Verfügung standen, wenn er vor Ort war.
Mike hatte ihre Vermutung nie bestätigt. Doch die Tatsache, dass er es immer vermied, sich mit ihr zu treffen, wenn Domino in der Stadt war, und seine sichtbare Erleichterung, wenn er wieder wegfuhr, sprachen Bände.
Sie schlich so leise wie möglich in das Einzimmerappartement, wusch sich im Bad und zog eins von Mikes T-Shirts an. Dann nahm sie sich die alte Decke und legte sich auf das verschlissene, verräucherte Sofa, das schon etliche Brandlöcher von Dominos Zigarillos aufwies. Ihr Bruder verschwendete zum Glück kein Geld an Kippen, sodass die Wohnung zumindest wieder ausreichend gelüftet war. Bevor sie einschlief, sog sie den Geruch des Sofas in sich ein. Auch wenn es im Grunde ein unangenehmer Muff war, löste er ein angenehmes und wohliges Gefühl aus. Hier auf diesem Sofa, in der Wohnung und Nähe ihres Bruders, fühlte sie sich immer so sicher und geborgen wie selten in ihrem Leben.
Sie erwachte kurz, als sie am frühen Morgen Mikes Wecker hörte, doch reagierte nicht darauf.
Als sie später von der tiefstehenden Herbstsonne geweckt wurde, war ihr Bruder schon längst fort zur Arbeit.
Trish erhob sich. Ihr stieg der wundervolle Duft von Kaffee in die Nase. Mike hatte die Maschine eingeschaltet gelassen. Sie lächelte, als sie den Zettel davor liegen sah: Nimm dir, was du brauchst.
Trish ging erst einmal unter die Dusche und genoss die Wärme und wie erfrischt sie sich danach fühlte. Für sie war das der pure Luxus. Sie musste sich zusammenreißen, sparsam mit dem Wasser zu sein, denn für die Nebenkosten kam ihr Bruder selbst auf. Sie trocknete ihre Haare mit dem Handtuch ab und überlegte kurz, den beschlagenen Spiegel abzuwischen, ließ es aber sein. Sie wollte nicht in das magere Gesicht mit den hoffnungslos blickenden gelbgrünen Augen schauen, das dann zum Vorschein kommen würde. Verschwommen gefiel sie sich besser. Es genügte, ständig die eigenen Hände mit den hässlich abgekauten Fingernägeln ansehen zu müssen.
Daran sollte sie arbeiten.
Doch wozu? Die Straße würde schon bald noch mehr Spuren an ihr hinterlassen. Und gutes Aussehen brachte ohne Geld und Job auf Dauer auch nichts.
Sie verscheuchte diese Gedanken wieder wie einen lästigen Mückenschwarm. Sie drehten sich nur im Kreis und führten zu nichts.
Nachdem sie ihre Kleidung wieder angezogen hatte, goss sie sich Kaffee in die weiße Keramiktasse mit dem leicht bizarren Hundekopf ein, aus deren Rand bereits ein kleines Stück herausgebrochen war. Es war sicher eine Billigmarke, aber duftete wundervoll. Sie fand auch eine Blechdose mit kleinen Zuckerpäckchen aus Papier. Alle unterschiedlich in Größe und Farbe, als hätte Mike sie von mehreren Cafés und Restaurants zusammengesammelt. Sie riss eins auf und ließ den Inhalt in ihre Tasse rieseln. Trish ignorierte bewusst den Kühlschrank, um nicht in Versuchung zu geraten, Mike etwas wegzuessen. Er tat schon genug für sie. Mit der Kaffeetasse in der Hand setzte sie sich ans Fenster und schaute in den Innenhof des Hochhausblocks. Er war trostlos und menschenleer. Nur ein paar halb verrostete Spielgeräte und ein seit langem unbenutzter, mit Gras überwucherter Sandkasten befanden sich dort, umringt von halb zerfallenen Holzbänken und braunen Hecken. Ja, auch Kinder gab es immer weniger in der Innenstadt, doch das war wohl auch gut so. Sie hatten ohnehin keine tollen Perspektiven, wenn sie in dieser Gegend aufwuchsen. Nicht nur bei Versicherungen oder Banken, nein, fast bei jedem Vorstellungsgespräch wurde man nach seiner Herkunft und dem Wohnumfeld eingestuft. Wer aus Sicht einer seelenlosen KI in der falschen Gegend wohnte, wurde einer geächteten Bevölkerungsgruppe zugeordnet und hatte danach kaum eine Chance, je wieder fair und objektiv beurteilt zu werden. Nach der berechneten Wahrscheinlichkeit waren solche Menschen asozial, ungebildet und neigten zu Kriminalität und Suchtverhalten. Keine der besseren Schulen nahm Kinder aus diesen Gruppen auf, wenn sie nicht überdurchschnittlich gute Noten mitbrachten, was bei den gebotenen Möglichkeiten kaum zu schaffen war. Trish hatte sich damit abgefunden, dass sie die ihr zugeteilte Schublade nie würde verlassen können, also versuchte sie es erst gar nicht.
Sie drehte die Tasse so, dass die scharfkantige Macke weit weg von ihren Lippen war, und trank den jetzt abgekühlten Kaffee. Der Zucker hatte sich am Boden gesammelt und der letzte Schluck war viel zu süß.
Sie stand auf, spülte die Tasse ab, malte noch ein Herz auf Mikes Zettel und ging dann wieder hinaus auf die Straße.
Ein unangenehmer Herbstwind stach durch das abgenutzte Futter ihres Parkas und sie spürte die Kälte bis auf die Knochen. Trish musste sehen, dass sie bis zum Winter eine dauerhafte Bleibe fand. Die Mission war dann widerlich überfüllt und sie hasste es, dicht gedrängt neben nach Schweiß, Kot und Alkohol stinkenden alten Männern und Frauen zu schlafen.
Dennoch ging sie erst einmal dorthin, um Essen zu schnorren. Die Mission lag in der Nähe des Bahnhofs, den sie ansonsten mied. Tagsüber war es dort zwar sicher und es boten sich auch viele Gelegenheiten, aber sie wollte mit diesem Ort nicht allzu vertraut werden. Ken war nachts immer dort gewesen und hatte Mike, wenn er ihn zu fassen bekam, mitgeschleppt und anschaffen lassen. Als Ken verschwand, blieb Mike. Hier traf er damals auch auf Domino. Bei aller Abneigung, die Trish gegenüber diesem alten Wichser hegte, rechnete sie ihm doch an, dass er Mike vom Bahnhof fortgeholt hatte. Auch wenn er den Jungen eigentlich nur für sich alleine wollte, hatte er ihn so vor den harten Drogen bewahrt und ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.
»Patricia! Wo warst du heute Nacht? Wir haben uns Sorgen gemacht!«, empfing sie die ältere, stämmige Missionspflegerin, als Trish sich mit einem Teller an der Schlange vor der Essensausgabe anstellte. Doch es klang monoton und auswendig gelernt, als wollte sie nur den Eindruck erwecken, besorgt zu sein. Denn ihr Blick sagte deutlich, dass sie davon überzeugt war, Trish hätte bestimmt wieder für Geld die Nacht in einem Hotelzimmer verbracht. Das hätte zwar durchaus sein können, war diesmal aber unzutreffend.
»Ich habe bei einer Freundin übernachtet«, antwortete sie mit fester Stimme. Lügen konnte sie gut, das hatte sie von klein auf gelernt.
Sie verriet außer ihrem Vornamen nichts Persönliches über sich und verhinderte so, nicht als Minderjährige von der Polizei in ein Heim gebracht zu werden. Natürlich war den Pflegerinnen klar, dass sie kein Zuhause hatte, doch die Mission versprach Anonymität, man wollte den Kindern helfen und sie nicht vertreiben. Man bot auch Nachhilfe und Berufsvorbereitungskurse an, doch Trish hatte daran kein Interesse. Das machte nur Hoffnung auf Unmögliches.
»Hast du Alkohol getrunken? Hauch mich mal an!«, sagte die Frau streng.
Trish seufzte. Wenn ein Minderjähriger alkoholisiert erwischt wurde, gab es erst dann etwas zu essen, nachdem er sich zuerst eine Standpauke angehört und noch einige Predigten über sich hatte ergehen lassen. Das waren fast die gleichen Zustände wie in einem Heim!
»Ich habe nichts getrunken. Es war schon spät, da hab ich bei besagter Freundin gepennt«, erzählte Trish genervt und hauchte die Pflegerin an. Sie bereute fast, bei Mike ihre Zähne geputzt zu haben. Gerne hätte sie der Schrulle einen fauligen Atem entgegengeworfen.
Trish hatte sich zwar manchmal von Männern einladen lassen, denn betrunken war das, was oft danach kam, besser zu ertragen, aber sie würde niemals ihr weniges Geld für Alkohol ausgeben. Sie achtete vor allem immer darauf, nie völlig die Kontrolle zu verlieren.
Die Pflegerin nickte und Trish setzte sich mit dem Essen an den Tisch neben die zwölfjährige Amelie, die eigentlich noch bei ihrer Mutter wohnte. Doch auch dort gab es zu wenig Geld, um die Tochter durchzufüttern.
Das Mädchen begrüßte sie mit ihrem schüchternen Lächeln. »Hallo Trish.  Wo warst du heute früh?«
»Ich habe gestern noch spät etwas mit Mike gegessen, da habe ich das Frühstück ausfallen lassen.«
»Dein Bruder verdient doch was. Kann er dir nicht aushelfen?«
»Nein, das würde ihn ruinieren. Er kämpft auch so schon ums Überleben«, antwortete Trish missmutig.
»Verstehe«, sagte Amelie. »Meine Mutter auch. Sie arbeitet Tag und Nacht und es reicht trotzdem kaum für die Miete.«
»Ich kann nichts von Mike verlangen, jeder von uns ist auf sich allein gestellt.«
Plötzlich stand die alte Pflegerin hinter ihnen und mischte sich prompt ein: »Keiner kann auf Dauer alleine sein, wir brauchen andere Menschen. Du nutzt doch auch deren Spenden hier in der Mission!«
»Nur weil ich muss und nur solange ich muss«, erklärte Trish fest. »Aber das hier ist auch eine Hilfe von vielen und von genau der Gesellschaft, die für meine Situation verantwortlich ist. Ich will keinem Einzelnen auf der Tasche liegen, der sowieso hart für seine Existenz ackern muss, schon gar nicht einem Menschen, der mir etwas bedeutet.«
Noch immer mit einer unterschwelligen Wut im Bauch verließ Trish die Mission.
Man gab ihr keine Chance und meckerte ständig an ihr herum. Was sollte sie denn noch tun? Die zufrieden zu stellen, war schlichtweg unmöglich. Das war alles so unfair!
Sie ging zum Park, da es hier um diese Zeit viele Spaziergänger gab, die vielleicht die ein oder andere Tasche unbeobachtet lassen würden. Aber auch, um sich abzulenken und den düsteren Gedanken zu entfliehen. Schon von Weitem drang der Geruch der Bäume entgegen und verdrängten die Autoabgase. So sehr sie den Winter fürchtete, so sehr liebte sie den Duft von feuchter Erde und Herbstlaub.
Als sie von der Straße durch das schmiedeeiserne Tor auf die Grünfläche trat, fiel ihr sofort ein Mann in schwarzem Anzug ins Auge, der nicht in das Bild des sonnendurchfluteten Parks passte. Hier gingen Pärchen in Freizeitklamotten spazieren oder Kinder rannten hinter einem Ball her, sammelten Kastanien oder trampelten mit ihren Gummistiefeln durch die Laubhaufen. Der Platz war auch zu weit vom Industriegebiet entfernt, um als Flaniermeile für Angestellte in deren Mittagspause zu dienen. Dieser schicke Typ passte hierher wie ein Rennpferd in den Streichelzoo.
Der Anzugträger unterhielt sich mit einer schmalen Gestalt. Ihr stockte der Atem. Sie ging langsam im Schutz der Bäume näher. Das war genauso ein Typ wie der, der letzte Nacht auf sie zugegangen war, nur ohne Bart und ein wenig kleiner. Sie registrierte die Tätowierung auf dem Handrücken, von der Mike gesprochen hatte. Es war etwas Buntes mit viel Rot, ein Vogel vielleicht.
Trish schoss das Blut in den Kopf. Die Worte ihres Bruders noch in Erinnerung war ihr erster Impuls, wegzulaufen, doch sie verharrte auf der Stelle. Das war kein Rennpferd, sondern ein Wolf, der die wuscheligen Kaninchen mit scharfem Blick beobachtete, bereit ein paar mit einem gezielten Schlag als Mittagessen zu verputzen. Sie sah, mit wem sich der Anzugträger unterhielt. Es war Malik, ein athletischer, großer Teenager mit langen, schwarzen Haaren und dunklen Augen, der mit Zaubertricks und Kunststücken auf der Straße sein Geld verdiente. Auch er war öfter in der Mission und wirklich nett. Immer höflich und nicht so rüpelhaft. Er ließ älteren oder Kindern stets den Vortritt.
Trish wurde heiß und kalt. Sie stand hinter der Hecke auf der von der Nacht noch feuchten Wiese und war unschlüssig, was sie tun sollte – ihre eigene Haut retten oder Malik warnen?
Sie hörte nicht, was gesprochen wurde, dafür war zu viel Betrieb im Park. Vögel zwitscherten, Kinder spielten laut und hinter ihr saßen fünf Frauen auf Picknickdecken und unterhielten sich laut über die Schulnoten ihrer Sprösslinge.
Die Mimik des Anzugträgers blieb geschäftlich und nichtssagend, Malik hingegen wirkte eher neugierig als ängstlich oder besorgt. Ohne Mikes Warnung hätte sie gedacht, dass die beiden alte Bekannte wären, die sich lange nicht gesehen haben und über das gegenseitige Befinden ausfragten.
Der Mann drehte sich nun zum Gehen und Malik schien ihm folgen zu wollen. Das löste ihre Erstarrung. Sie überlegte nicht, sondern rannte hinter der Hecke hervor auf den Kiesweg und auf die beiden zu.
»Malik!«, rief sie. Der Angesprochene blieb stehen und hob erstaunt die Brauen. »Malik! Warte!«
Der Anzugträger drehte sich ebenfalls um und seine dunklen Augen verengten sich verärgert, doch er ging nicht rasch fort, wie Trish gehofft hatte. Nicht so, wie sein Kumpel letzte Nacht. Verdammt. Es war heller Vormittag, es würden doch hoffentlich Leute aufmerksam werden, falls der Unbekannte Gewalt anwendete.
»Hey Trish«, begrüßte Malik sie lächelnd, als wäre alles normal. »Was ist los?«
»Ich muss mit dir reden, Malik, es ist dringend!« Sie sah aus den Augenwinkeln zu dem Fremden. Der finstere Blick schnürte ihr die Kehle zu.
Malik wirkte verwundert. »Hat das Zeit? Ich kann gerade nicht.«
»Es dauert nur ein paar Sekunden. Bitte!«, flehte Trish verzweifelt. Sie spürte ihren Herzschlag bis zum Hals pochen.
Der Anzugträger sah Malik scharf an. »Keine Verzögerung.«
Malik sah zu ihm, dann wieder zu Trish. »Wir treffen uns nachher hier im Park, okay?« Es klang beinahe entschuldigend.
Trish nahm all ihren Mut zusammen. »Wo bringen Sie ihn hin?«, schrie sie den Mann an. Ihr rasender Puls ließ ihre Stimme beben. »Ich habe gehört, dass alle, die mit Ihnen gehen, verschwinden.«
Malik schaute sichtlich überrascht zu ihr.
Der Anzugträger blieb völlig ruhig, doch der strenge Blick seiner dunklen Augen ließ Trish ängstlich zurückweichen.
»Menschen können nicht verschwinden«, erklärte er mit tiefer Stimme, die keinerlei Emotion verriet. »Sie ziehen nur woanders hin. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Mädchen! Dein Freund weiß genau, was er tut. Sollte er später noch den Wunsch haben, dich zu sehen, dann wird er es, doch ich bezweifle das.«
Trish war zu perplex und eingeschüchtert, um noch ein Wort über die Lippen zu bringen. Ihr gesamter Mut war aufgebraucht. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht und sie konnte nur stumm dastehen. Der Mann drehte sich um und ging weiter. Malik begleitete ihn, auch wenn seine Bewegungen nun weniger beschwingt wirkten als zuvor. Er drehte sich immer wieder zu ihr um.
Trish wollte sich noch nicht geschlagen geben. Sie wartete, bis das Duo durch das Tor und um die nächste Straßenecke gebogen war, dann folgte sie ihnen. Sie sah noch, wie beide in einen schwarzen Audi stiegen und davonfuhren.
◆◆◆
Die Begebenheit ging Trish nicht mehr aus dem Kopf. Wohin war Malik gebracht worden? Würde sie ihn wirklich niemals wiedersehen? Hatte Mike vielleicht übertrieben mit seiner Sorge?
Das Geschehen hatte etwas bei ihr in Gang gesetzt und sie aus der Lethargie geholt. Sie fühlte sich wacher und irgendwie auch handlungsbereiter, wie aus einem tiefen Schlaf aufgeweckt.
Sie ging an diesem Tag nach langer Zeit wieder zur Arbeitsagentur, ließ sich registrieren und meldete sich für die Jobsuche an. Sie wusste nicht, ob es die Angst vor den Anzugträgern war, doch sie wollte plötzlich nicht mehr obdachlos und für die Gesellschaft unsichtbar sein. Nicht auch noch mitgenommen werden und verschwinden.
Den Nachmittag verbrachte sie im Park, doch Malik tauchte nicht auf. Auch vermisste sie Emma, die sonst immer mit ihrem kleinen Hund auf der Bank hinter der steinernen Tischtennisplatte saß und jeden Passanten anschnorrte. Natürlich konnte das ein seltsamer Zufall sein, doch Trish fühlte sich unbehaglich. Es war fast so, als würde jemand eine Reinigung vollziehen und alle obdachlosen Kids einsammeln.
Zumindest boten sich ihr ein paar gute Gelegenheiten, um Portemonnaies aus offenen Taschen zu klauen. Bei dem schönen Wetter heute waren die Leute im Park abgelenkt, wenn sie entweder mit ihrem Partner spazieren gingen oder ihrem Hund hinterher sahen. Sie lief dann an ihnen vorbei, rempelte sie wie aus Versehen an oder fragte sie nach dem Weg. Fast immer ergab sich dabei eine Gelegenheit, unbemerkt in die Taschen zu greifen.
Trish stahl jedoch nie von Müttern mit Kleinkindern. Sie wollte das Leben der Kleinen nicht schwerer machen, als es heute und in diesem Stadtteil ohnehin schon war. Nur einmal konnte sie nicht widerstehen, eine Packung Müsliriegel aus einer offenen Wickeltasche mitgehen zu lassen, die Versuchung war einfach zu groß.
Nach einem erfolgreichen Nachmittag ging Trish zur öffentlichen Toilette des Parks und schloss sich in die Kabine ein. Dort holte sie die gestohlenen Geldbörsen aus den weiten Taschen ihres Parkas hervor, nahm das Bargeld heraus, das leider heutzutage immer weniger wurde, und warf alles andere in den Mülleimer. Vielleicht war ja die Reinigungskraft ehrlich genug, sodass die Leute ihre Karten wiederbekommen würden. So oder so, sie war diese Dinge los und somit war das nicht mehr ihr Problem.
Sie ließ im Supermarkt noch etwas zu essen mitgehen und ging dann zu Mike, doch er war nicht zuhause. Wahrscheinlich noch arbeiten. Sie wartete einige Zeit vor dem Wohnhaus, doch ihr Bruder tauchte nicht auf. Es wurde kalt. Trish fühlte sich noch einsamer als sonst. Sie rieb ihre klammen Hände aneinander, um sie zu wärmen, und bemerkte einmal mehr frustriert, wie hässlich ihre abgekauten Fingernägel aussahen. Sie konnte sich das einfach nicht abgewöhnen.
Resigniert wanderte sie zurück in die Mission und sicherte sich ein unbelegtes Bett. War es noch so früh oder schienen wirklich viel mehr Betten frei zu sein als sonst?
Auch der Aufenthaltsraum war weniger befüllt. Sie sah nur ältere Menschen, keinen einzigen Jugendlichen. Im Fernseher lief ein Nachrichtensender. Politiker versprachen Dinge, die sie nicht hielten, Weltmächte zankten sich wie kleine Kinder im Sandkasten oder taten beleidigt und eine weitere Razzia der Polizei gegen Extremisten, die immer mehr wurden, egal, von welcher Seite. Der berühmte Kampf gegen Windmühlen. Ihr fiel auf, dass der Pressesprecher der Polizei am Handgelenk tätowiert war. Nun, ein Tattoo war heute nichts Ungewöhnliches, auch nicht bei Beamten oder gar Politikern, aber auch hier sah es aus wie ein Vogel. Allerdings nicht rot und irgendwas mit Hakenschnabel. Gab es einen Trend bei den Anzugträgern dieser Welt, den sie nicht mitbekommen hatte? Oder war das nur Zufall?
Erst nach einer ganzen Weile wurde ihr bewusst, dass sie schon wieder an den Nägeln kaute.
Kapitel 2
Auch am nächsten Tag traf sie kaum ein bekanntes Gesicht im Park und Mike war ebenfalls nicht aufzufinden. War dieser ekelhafte Domino vielleicht wieder da? Er tourte doch sonst immer bis in den Januar hinein durch den warmen Süden. Ihre Besorgnis wuchs, dass die Männer in den Anzügen auch ihren Bruder mitgenommen haben könnten.
Der Tag schien ihr der längste und einsamste ihres bisherigen Lebens zu sein.
Gegen Nachmittag wurde sie von einer Gruppe Teenager angesprochen, ob sie Lust hätte, in einem Klub was trinken und abtanzen zu gehen, doch Trish lehnte freundlich ab. Es war eindeutig, dass die Typen sich etwas von ihr erhofften und sie hatte auch keine Lust, Drogen aufgeschwatzt zu bekommen.
Als sie am Abend mehr aus Gewohnheit auf dem Weg zu ihrem Platz in der Einkaufsstraße war, stellte sich ihr plötzlich einer der Anzugträger in den Weg. Trish blieb wie angewurzelt stehen und Adrenalin durchflutete sie. Ihr Puls raste. Sie konnte den Mann nur entsetzt anstarren. Es war derselbe, der ihr neulich in der Nacht begegnet war, der Ältere mit Bart. Sie wirbelte herum, wollte davonlaufen, doch der Fremde packte sie am Arm.
»Lassen Sie mich los oder ich schreie!«, rief sie erschreckt aus und wand sich panisch in dem Griff, kam aber gegen die enorme Kraft des Mannes nicht an. Sie keuchte.
»Ganz ruhig, Mädchen. Dir wird nichts passieren, ich will dir nur etwas vorschlagen«, sagte er mit tiefer, ausgeglichener Stimme, in der aber eine deutliche Autorität mitschwang.
Trish gab den Widerstand auf und ließ den Arm sinken. Sie spürte ihren Herzschlag bis zum Hals und ihr Brustkorb fühlte sich an, als würde er von einem Korsett zusammengedrückt, sodass sie kaum Luft bekam. Dennoch wusste sie, wenn sie keine Chance hatte. Bei solchen Kerlen hatte Widerstand keinen Sinn, es machte einige nur brutaler. Sie zwang sich, äußerlich ruhig zu bleiben. Sie musste ihn zu einer Unterhaltung bringen und Zeit schinden, um dem Kerl irgendwie zu entwischen. »Was ist mit meinen Freunden passiert?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Die, die Sie mitgenommen haben? Wo sind sie?«
Der Anzugträger lockerte seinen Griff, ließ sie aber nicht los. Seine breite Hand lag noch immer schwer auf dem Stoff des Parkas. »Denen geht es gut. Besser, als sie es sich je hätten träumen lassen. Wir sind Helfer.«
Trish beäugte ihn voller Misstrauen, gleichzeitig aber auch neugierig. Wäre das vielleicht doch eine Chance? Seriös wirkte der Kerl durchaus. Sie wollte gerne mehr hören.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, löste der Mann seine Hand und richtete sich auf.
»Wir wollen dir ein Angebot unterbreiten«, sagte er ernst.
Wir? Also gehörte er zu einer Gruppe. Eine Rockerbande wohl kaum, eine Sekte vielleicht? Sie betrachtete ihn mit verengten Augen. Er war groß, breitschultrig, hatte schwarze Haare, einen grauen Bart und dunkle Augen. Auf seinem rechten Handrücken war ein roter Vogel tätowiert, wie der Kopf eines Phönixes, der sich wohl weiter über den Unterarm erstreckte. Es war exakt dieselbe Tätowierung wie bei dem Typen, mit dem Malik mitgegangen war. Also gehörten sie zusammen und höchstwahrscheinlich zu derselben Gruppierung. Wer hatte sonst gleiche Tattoos? Das war doch normalerweise etwas sehr Individuelles. Sie kannte auch keine Musikgruppe mit solch einem Vogel, und wie begeisterte Fans oder gar Liebhaber mit Partner-Tattoo wirkten die beiden Anzugträger mit der ernsten Miene so gar nicht.
»Was wollen Sie von mir? Warum nehmen Sie die obdachlosen Jugendlichen mit?«, hörte sie sich ausrufen, bevor sie ihre Worte überdenken konnte.
»Wir möchten euch eine Zukunft geben. Wir sehen, wie geistiges und körperliches Potenzial in diesem Land einfach vergeudet wird und sprichwörtlich auf der Straße verrottet. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das zu unterbinden.« Es klang so monoton, als hätte er dieselbe Phrase schon hundertmal heruntergeleiert.
»Und wie?« Diese gestelzte Sprache ohne jeden Akzent oder Dialekt war ihr unheimlich. Es kam ihr vor, als würde sie mit einer KI reden.
»Begleite mich und du wirst es erfahren.«
Trish wich einen Schritt zurück. »Nein!«, sagte sie bestimmt. »Erst will ich wissen, was mit mir geschieht. Wo ist Malik? Wenn alles so harmlos ist, soll er mir das persönlich bestätigen.«
»Malik befindet sich frisch geduscht in unserer Einrichtung. Du kannst hier nicht mit ihm sprechen.« Die Stimme klang noch immer völlig gelassen, auch wenn seine Worte ihr eine Gänsehaut verpassten.
»Wissen Sie eigentlich, wie sich das anhört? Wie eine Entführung!«, rief sie aufgebracht.
»Ich kann dir garantieren, dass alles freiwillig ist und sein wird. Allen geht es gut.«
Trish war hin und her gerissen. Einerseits war sie neugierig und hatte nichts zu verlieren, andererseits konnte sie das warnende Magendrücken nicht ignorieren. Sie war schon lange nicht mehr naiv. Dieser Kerl konnte ohne Weiteres ein Menschenhändler sein und sie an einen Zuhälter verkaufen. Sie wünschte sich so sehr, Mike wäre jetzt bei ihr.
Sie blickte auf ihre abgenutzten Turnschuhe, die bereits Löcher im Bereich der Zehen hatten. Bei jedem Regen durchnässten ihre Füße und bald würde es noch kälter werden. Noch einen Winter wollte sie nicht durchstehen, aber deswegen ihr Leben riskieren? Alleine würde sie nicht mit diesem Kerl mit, dafür war er ihr zu unheimlich. »Ich gehe nur mit Ihnen, wenn mein Bruder mitkommen kann«, murmelte sie mehr zu sich selbst.
»Lebt er auch auf der Straße?«
Trish sah erschreckt auf. Sie hätte nicht gedacht, dass der Mann darauf eingehen würde. »Beinahe. Er schlägt sich gerade so durch, aber die Plackerei als Fahrradkurier wird ihn früher oder später umbringen.«
»Wie alt ist er?«
»Ein Jahr älter als ich. Achtzehn.«
Der Mann holte sein Handy hervor und tippte auf dem Display herum, dann sah er Trish an. »Michael oder Kenneth?«
»Michael«, antwortete sie. »Ken ist schon über zwanzig.« Hitze stieg ihr in den Kopf. Woher kannten diese Typen die Namen ihrer Brüder? Auf welchen Seiten suchte er da gerade? Sie selbst hatte nicht einmal einen Ausweis.
»Gut, er ist qualifiziert, im Gegensatz zu Kenneth. Wir holen Michael ab. Komm mit!«
Qualifiziert? Das klang nicht wirklich nach Menschenhandel, da nahm man doch in der Regel, was man bekam, oder? Und warum wäre Ken es nicht gewesen? In Trishs Hinterkopf läuteten noch immer schrill die Alarmglocken. Sie hatte keine Garantie, dass auch nur ein Wort von dem stimmte, was dieser Typ gesagt hatte. Andererseits hatte sie ihr bisheriges Leben so satt, dass die Chance auf Verbesserung eine fast unwiderstehliche Anziehung auf sie ausübte. Irgendwie käme sie schon wieder aus der Sache raus, wenn es sich als Falle herausstellte. Das hatte sie bisher immer geschafft. Vielleicht konnte sie wenigstens irgendwo im Warmen überwintern?
Die Neugier siegte. Sie ging mit.
Als sie dem Mann folgte, betrachtete sie seine Tätowierung aus den Augenwinkeln genauer. Ja, es war definitiv ein Phönix. Sie erkannte Flammen, die um den Vogelkopf züngelten. Es war ihr etwas unheimlich, einen so seriös wirkenden älteren Mann mit einem Tattoo zu sehen. Noch dazu dasselbe wie bei dem anderen Anzugträger, auch wenn der etwas jünger gewesen war. Irgendwie sah es zu sehr nach Mafia aus. Oder war das nur ein Überbleibsel einer Studentenvereinigung und die beiden arbeiteten nun zufällig im selben Konzern?
Sie erreichten einen schwarzen Mercedes mit getönten Scheiben und er öffnete ihr den Bereich zum Rücksitz. Trish stieg schweigend ein. Ihr Herz setzte kurz aus, als die Tür neben ihr unnötig fest zugschlagen wurde. Der Laut klang für sie wie ein genervtes »Na endlich«, auch wenn der Typ selbst keinen Hinweis auf eine Emotion zeigte. Sie saß verkrampft auf dem kalten, beigefarbenen Ledersitz und wagte kaum zu atmen. Ihr wurde bewusst, dass sie abgesehen von Mike niemand vermissen würde – ein obdachloser Teenager weniger auf der Straße, der allen nur auf der Tasche lag und ohnehin keine Zukunft hatte.
Es roch steril nach dem gestylten Duft eines kostspieligen Neuwagens. Hätte sie die Nase eines Hundes, was würde sie noch riechen? Angstschweiß? Blut? Wie viele Jugendliche hatten wohl vor ihr schon in dieser Limousine gesessen, ähnlich ängstlich und irritiert, und wo mochten sie jetzt sein? Getötet? Verkauft? Oder wirklich glücklicher mit Job, Geld und Zukunft?
Der Mann setzte sich hinters Lenkrad und betrachtete sie im Rückspiegel. »Anschnallen!«, befahl er harsch und Trish hantierte nervös mit dem Gurt, bis dieser mit einem eiskalten, metallischen Klicken einrastete. Es fühlte sich an wie eine Fessel. Sie beobachtete mit klopfendem Herzen, wie der Tätowierte die Adresse in das Navigationsgerät des Autos sprach. Es war die ihres Bruders Mike. Woher hatte er diese Information, ohne dass sie ihm etwas verraten hatte? Mike war in dieser Wohnung nicht offiziell gemeldet, sie lief unter Dominos Realnamen. An der Türklingel stand nur Beyer, den Vornamen kannte sie nicht. Ein enges Band schnürte sich um ihre Kehle und sie schimpfte sich selbst für diese Feigheit. Sie durfte nicht immer allem misstrauen und vor jeder Möglichkeit zur Verbesserung davonlaufen, ansonsten würde sie die Straße nie verlassen. Auch wenn dieser Mann alles über sie wusste, kann er es noch immer ehrlich meinen. Vielleicht war er Polizist oder Geheimagent und hatte schlichtweg Zugang zu einer Datenbank, die anderen verschlossen blieb? Sie dachte daran, wie ihre Mutter immer vor allem davongerannt war, sobald es unangenehm wurde. Sie durfte sich von dieser Prägung nicht beeinflussen und in denselben Abwärtsstrudel ziehen lassen.
Trotz des Versuchs, sich selbst Mut zu machen, krampfte sich Trishs Magen immer mehr zusammen, je näher sie Mikes Wohnung kamen.
»Er müsste gleich an seinem Wohnsitz auftauchen«, riss die monotone Stimme des Mannes sie aus ihren Gedanken. Trish stutzte und der Vorsatz, sich nicht mehr zu wundern, war vergessen. Woher zur Hölle wusste er das wieder? Mit einer modernen KI konnte man sicher auch Videos der Überwachungskameras auswerten, die hier überall zu Sicherheitszwecken installiert waren, und auch Kurierfahrer orten. Klar waren fast alle Orte kameraüberwacht, aber dass selbst die unterste Bevölkerungsschicht für irgendjemanden interessant sein könnte, hätte sie nie für möglich gehalten. Menschen wie sie besaßen weder Wert als Wähler noch als Konsumenten. Wer konnte ein Interesse daran haben, in diese Bevölkerungsgruppe zu investieren? Solch einen Aufwand für was? Man musste sich doch etwas versprechen dabei. Was erwartete man von ihnen im Gegenzug? Der Gedanke schnürte ihren Magen nur noch mehr ein.
Als der Mercedes vor dem altvertrauten Hochhausblock hielt, sah Trish, dass Mike tatsächlich gerade zur Wohnung radelte. Er stieg vom Fahrrad und betrachtete die teure Limousine neugierig, die so gar nicht in diese Gegend passte.
»Der Junge dort auf dem Rad sieht dir sehr ähnlich. Ist das dein Bruder?«, fragte der Fahrer.
Trish nickte. Der Mann stieg aus und sie beobachtete durch die getönte Frontscheibe, wie er auf Mike zuging. Sie sah, wie Mikes Augen sich ängstlich weiteten und er zurückwich. Immerhin war er es gewesen, der sie vor diesen Anzugträger gewarnt hatte. Trish konnte sich ausmalen, wie es in ihm aussah. Diesen Blick hatte sie zu oft an Mike gesehen, ob bei Ken oder Domino. Es brach ihr das Herz, ihn in diese Situation gebracht zu haben.
Flieh!, schrie sie in Gedanken. Lauf! Bring dich in Sicherheit!
Der Mann sagte etwas, das Mike zögern ließ. Ihr Bruder schaute skeptisch zum Wagen herüber und Trish ahnte, dass der Anzugträger ihm von ihrer Anwesenheit erzählt hatte. Man konnte sie im Inneren des Fahrzeugs durch die dunklen Scheiben sicher nicht deutlich genug erkennen.
Trish schnallte sich ab und versuchte, die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Hitze stieg ihr in den Kopf. Sie rüttelte panisch am Hebel und stemmte sich dagegen. Vergebens. Verflucht, die Kindersicherung! Gerade wollte sie nach vorne klettern und zur Fahrertür heraus, als sie sah, dass der Mann gemeinsam mit Mike zum Wagen kam.
Als sich die hintere Tür öffnete und Mike ebenfalls einstieg, fiel Trish ihm schluchzend in die Arme. Sie fühlte sich hilflos und elendig, als hätte sie ihren Bruder aus purem Eigennutz verraten und mit in die Hölle gezogen. Mike hielt sie schweigend fest, während der Mann völlig unbeeindruckt von der Szene die Tür verschloss und sich wieder auf den Fahrersitz begab.
»Anschnallen!«, sagte der Fremde mit einem erneuten Blick in den Rückspiegel.
Sie befolgten seine Anweisung. Trish schluckte den Kloß in der Kehle hinunter, wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab und hielt fest die Hand ihres Bruders. Sie wollte ihn nicht loslassen. Etwas zu sagen, schaffte sie nicht, ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Sie fuhren wieder los und nach einiger Zeit sprach Mike den Fahrer an. »Wohin bringen Sie uns?«, fragte er, sichtlich bemüht, einen festen Ton zu wahren. Trish kannte ihn zu gut, um das nicht zu bemerken.
»Das werdet ihr sehen, wenn wir dort sind.«
»Wie viele Jugendliche haben Sie schon entführt?« Trish bewunderte seinen Mut und die Kontrolle, in diesem Moment solche durchdachten Fragen zu stellen. In ihrem Kopf war nur haltloses Chaos.
»Keinen Einzigen«, antwortete der Mann. »Eine Entführung setzt voraus, dass man jemanden gegen seinen Willen an einen geheimen Ort bringt, um damit etwas zu erpressen. Und das war bisher bei keinem unserer Probanden der Fall.«
»Was ist ein Proband?«, flüsterte Trish, sie bebte noch immer.
Mike verzog den Mund. »Das schicke Wort für Versuchskaninchen«, zischte er.
»Woher weißt du so etwas?«
»Ein Kumpel von mir hat mal gegen Geld Medikamente getestet, da haben sie ihn auch so genannt. Nie beim Namen, immer nur Proband.« Er sah dabei skeptisch zu dem Fahrer, doch der ignorierte sie.
Sie fuhren auf ein großes, gesichertes Industriegelände und zu einem der vielen Gebäude. Trish versuchte, das riesige Firmenlogo auf dem Dach des vorderen Hochhauses zu lesen, doch es war in die andere Richtung ausgerichtet und sie fuhren zu schnell daran vorbei. Sie konnte lediglich einen roten Adler erkennen.
Der Wagen kam genau vor einem breiten Eingang zum Stehen. Zwei weitere Männer in schwarzen Anzügen liefen auf sie zu und öffneten die hinteren Türen.
»Geht mit ihnen«, befahl der Fahrer. »Da drinnen werdet ihr alles erfahren!«
Trish wechselte einen stummen Blick mit Mike und stieg dann zaghaft aus dem Auto. Ihr Bruder tat dasselbe. Die beiden Anzugträger flankierten sie, als wollten sie eine eventuelle Flucht verhindern. Der Mercedes fuhr wieder los. Trish schluckte und ihre kalte Hand fand erneut Halt suchend die ihres Bruders, der den Griff mit festem Druck erwiderte. Sie gingen eine Treppe aus grauem Beton entlang auf das höchste Gebäude des Komplexes zu. Es war ein moderner Bau mit verspiegelten Glasfronten, dessen Seitenflügel wie ein S geschwungen war. Auf der großen Glastür prangte erneut das Logo. Diesmal erkannte Trish einen roten Adler und den Firmennamen darunter: EagleWings.
Es wirkte eher wie ein Hotelkomplex und machte einen sterilen, aber einladenden Eindruck. Nichts deutete auf etwas Illegales hin.
Sie liefen fünf breite, in hellem Stein gehaltene Stufen hinauf vor die breite Glastür des Gebäudes, die sich beim Nähern automatisch öffnete. Das leise Zischen erinnerte Trish an das riesige Maul einer Schlange, die sie nun bei lebendigem Leib verschluckte. Die Tatsache, dass sich die Tür hinter ihnen wieder schloss, bestärkte das Gefühl nur. Ihr Herz klopfte wild, als sie eine große Lobby aus schwarzem Marmor betraten, auf der ein roter Teppich mit Lilienmuster ausgelegt war. Trish staunte mit offenem Mund über den Luxus, der sich ihr bot. Vor ihnen stand eine Art Empfangstresen: Ein massiver Marmorblock, hinter dessen Glasscheiben mehrere Personen in adretten weißen Blusen und Hemden saßen, die sie aber nicht beachteten. Gleich daneben befanden sich zwei Aufzüge. Rechts und links führten Gänge mit etlichen hellen Türen tiefer in das Gebäude hinein. Es roch steril nach Putzmitteln mit Zitrusnote und Klimaanlage.
Noch bevor sie sich von dem Eindruck erholen konnte, schritt ihnen eine dunkelhaarige Frau mit schwarzem Rock und heller Bluse entgegen. Sie trug eine kleine Handtasche aus weißem Leder über der Schulter und hielt ein iPad in den Händen. Ihr Gesicht hatte ostasiatischen Einfluss und wirkte mit der kleinen Nase und den vollen Lippen etwas puppenhaft, obwohl sie sicher schon Mitte dreißig sein musste. Sie lächelte die Neuankömmlinge freundlich an. Trish fiel auf, dass diese Frau keinen Phönix auf dem Handrücken hatte. Dennoch sah es so aus, als hätte auch sie ein Tattoo weiter hinten auf dem Arm, aber weniger bunt und auffällig. Durch die weiten Ärmel der Bluse konnte Trish es nicht genau erkennen.
»Nanu, zwei auf einmal?«, fragte die Frau mit ruhiger Stimme und blickte die beiden freundlich an. »Ihr braucht keine Angst zu haben. Mein Name ist Gerda, ich werde euch begleiten und alles erklären.«
Trish brachte kein Wort heraus, sie schaute der Frau nur in die braunen Augen und fühlte sich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Starr vor Schreck und unfähig, sich zu bewegen, obwohl alle Fasern ihres Körpers nach Flucht schrien. Sie verstärkte den Griff um Mikes Hand.
Ihr Bruder wirkte gefasster. »Was ist das hier?«, fragte er und hob herausfordernd das Kinn. »Was wollen Sie von uns?«
»Wir werden euch helfen, in dieser Gesellschaft wieder Fuß zu fassen«, sagte Gerda und schaute auf ihr iPad. »Ah, nun habe ich die Daten bekommen. Ihr seid Michael und Patricia Kramer, nicht wahr?«
Er nickte stumm. Trish regte sich nicht. Ihr fiel auf, dass diese Frau exakt dieselben Phrasen herunterbetete, wie der Anzugträger zuvor. Eine Antwort, die doch keine war.
»Ich werde euch in den Versammlungsraum führen, wo ihr euch etwas stärken könnt. Dort sind auch noch ein paar andere Freiwillige. In Kürze erfahrt ihr mehr.«
Freiwillige? Trish beobachtete ihren Bruder aus dem Augenwinkel. Mike bemerkte das und nickte ihr zu.
Als sie dieser seltsamen Frau den Marmorgang entlang folgten, hielt Trish noch immer die Hand ihres Bruders. Sie brauchte ihn als Rettungsseil in dieser unheimlichen Situation, die schön und beängstigend zugleich war. Mikes wärmende Finger in ihren zu spüren, gab ihr Kraft und bestätigte sie darin, dass sie nicht träumte.
Gerda führte sie zu einer weißen Doppeltür und in einen großen Saal. Das erste, das sie bemerkte, war der Geruch von Essen, der in ihre Nase drang und das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Die sieben oder acht andere Jugendliche in dem Raum beachtete sie kaum. Ihr Blick wurde wie magisch von dem reichhaltigen Buffet angezogen, das auf einem langen Tisch mit weißem Tuch ausgebreitet war: Ein Korb mit unterschiedlichen Brötchen, alle nur erdenklichen Beläge und auch silberne Behälter mit Deckel, die auf beheizten Platten standen und nach Rührei und Speck dufteten. Der Geruch raubte ihr beinahe die Sinne und ihr leerer Magen knurrte verlangend.
Trish ließ jede Zurückhaltung fallen. Sie löste sich von Mike und lief geradewegs zu dem verlockenden Essen, bevor es noch vor ihren Augen verschwinden würde. Es war ihr egal, was die anderen dachten, sie griff nach einem der Teller und begann, ihn mit den Leckereien vollzuladen. Zwischendurch stopfte sie sich gefüllte Paprika und Tomaten in den Mund.
Mike war auf einmal neben ihr und stieß sie unauffällig mit dem Ellbogen in die Seite. »Schau mal, ist das da nicht dieser Zauberer?«, raunte er ihr zu.
Trish sah auf und erkannte Malik und auch Emma zusammen mit einem anderen Jungen. Aber etwas war anders an ihnen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie es realisierte. Es war die Kleidung. Malik war stets schwarz angezogen gewesen und Emma hatte sich immer die buntesten Klamotten aus den Spendensäcken geholt. Die helle Kleidung, die alle außer ihr und Mike hier in dem Raum trugen, war elegant und sauber, aber es passte nicht ins Bild.
Was Trish jedoch beruhigte, war, dass Emma noch immer ihren kleinen Hund auf dem Arm hielt. Den hatte man ihr zumindest nicht genommen. Ein gutes Zeichen.
Sie merkte, dass Mike sie noch immer fragend anschaute. »Ja, das ist Malik«, sagte sie und spürte auch eine große Erleichterung. Die beiden lebten, waren wohlauf und nun würde sie sicher mehr erfahren. »Die Blonde neben ihm ist Emma. Ich kenne sie vom Park. Mensch, bin ich froh. Ich dachte schon, die sind alle verschwunden.«
»Sie sind auch verschwunden«, erklärte Mike trocken. »Nur sind wir es jetzt ebenfalls.«
Trishs Lächeln gefror. Erneut spürte sie, wie sich ihre Kehle einengte. »Es tut mir leid, dass ich dich da hineingezogen habe. Ich wusste nicht, ob sie dich auch holen würden, aber ich hatte solche Angst. Der Anzugträger hätte mich bestimmt so oder so entführt, und ich wollte nicht alleine sein.« Der Kloß schwoll an und ihre Augen begannen zu brennen. Auf einmal bekam sie keinen Bissen mehr herunter.
Mike legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Ist schon gut. Ich hätte keine Nacht mehr schlafen können, wenn du plötzlich nicht mehr da gewesen wärst. So wissen wir zumindest, wie es uns geht. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm. Abwarten. Lass uns was essen jetzt.«
Trish lächelte. Ja, wahrscheinlich wäre es für Mike schlimmer gewesen, wenn sie ihn nicht hätte kontaktieren können.
Sie wendete sich wieder dem Büffet zu. Es gab so viele verschiedene Dinge, dass Trish gar nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Einige der angebotenen Speisen hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie lud sich den Teller so voll, wie möglich, ohne daran zu denken, dass sie mehrmals gehen könnte.
Mit Essen und vollem Mund gesellten sie sich zu Malik und Emma, die mit einem asiatisch aussehenden Jungen an einem Stehtisch standen. Die helle Einheitskleidung, die hier alle trugen, sah durchaus elegant aus, aber auch befremdlich steril.
Malik hielt ein Glas Cola in der Hand und grinste, als sie nähertrat. »Ich hab mich schon gefragt, wann du hier auftauchst.«
Trish schluckte den letzten Bissen von dem gefüllten Blätterteig-Häppchen hinunter. »Hi Malik. Das ist mein Bruder, ich hab dir ja schon von ihm erzählt.« Sie wies auf Mike, der ebenfalls mit einem gefüllten Teller neben sie trat.
»Hi«, begrüßte Malik ihn.
»Du bist also Mike«, sagte Emma lächelnd. »Ihr seht euch echt ähnlich. Ich bin Emma. Das da ist Phil, er ist schon seit Montag hier.«
Das lässige Reden nahm ihr die Angst und Trish konnte endlich mit gutem Appetit weiter essen.
Nur Mikes Stirn wies noch immer skeptische Falten auf. »Wisst ihr schon, was die von uns wollen?«
Malik schüttelte den Kopf. »Wird wohl immer nur am Ende der Woche verkündet, also heute.«
»Aber es ist total cool hier«, schwärmte Emma aufgeregt. Sie schmiegte sich an das Hündchen auf ihrem Arm, das sofort ihr Gesicht leckte. Es hatte seidiges, rotbraunes Fell und war etwa so groß wie ein Chihuahua. »Wie in einem Luxushotel. Es gibt so viel Essen und auch Muffin haben sie versorgt. Jeder hier hat ein eigenes Zimmer mit Bad und bekommt neue Klamotten. Schau mal!« Sie zeigte auf ihre Kleidung und die hohen Stiefel und stellte sich in Pose. »Fancy, oder? So etwas mal zu tragen, hätte ich mir nie träumen lassen. Ich fühle mich wie ein Model.«
»Muss hier jeder dasselbe anziehen?«, fragte Mike mit verzogenem Mund. Er schien weit weniger angetan von ihrer Situation.
»Die Frauen haben die Wahl zwischen Hose oder Rock, es gibt aber nur diese Farben, eben in allen Größen«, erklärte Malik. »Ich denke schon, dass das so eine Art Uniform ist, um Zugehörigkeit zu demonstrieren. Mir gefällt’s nicht. Ich trage sonst immer schwarze Klamotten. Das war mein Markenzeichen und verträgt sich besser mit den Zaubertricks.«
»Immerhin sind helle Turnschuhe erlaubt«, ergänzte Phil. »In so altbackenen Lederschuhen fühle ich mich eingesperrt.«
»Das hat schon was Sektenhaftes, oder?«, argwöhnte Mike.
Trish fühlte erneut den Kloß in der Kehle anschwellen.
Sie stellte den noch halbvollen Teller auf einen der Stehtische ab. Auch wenn es ihr zuwider war, Essen zu verschwenden, bekam sie nichts mehr hinunter. Ihr Hunger war verflogen und ein ungewohntes Gefühl der Völle breitete sich aus. Einen Happen mehr, und ihr würde übel werden. Da waren die Augen wieder größer als der Mund gewesen, hätte die Missionsschwester ihr jetzt wohl pampig an den Kopf geworfen.
Bevor einer der anderen auf Mikes Anmerkung antworten konnte, trat Gerda vor die Anwesenden. Sie wartete, bis die Aufmerksamkeit aller auf sie gerichtet war. Trish ertappte sich dabei, erneut an ihrem Daumennagel zu kauen, und senkte die Hand schnell wieder. »Ihr fragt euch sicher, warum wir euch hergebeten haben«, begann Gerda.
»Hergebeten ist ja nett formuliert«, raunte Mike ihr zähneknirschend ins Ohr.
Trish erwiderte nichts, sondern starrte nur auf die Frau vor ihnen. Erneut hob sie den Daumen zum Mund und kaute auf der Nagelhaut.
»Ihr alle seid ohne eigenes Verschulden auf der Straße gelandet und dadurch als asozial und unnütz abgestempelt worden«, fuhr Gerda mit lauter aber nicht unfreundlicher Stimme fort. »In der Gesellschaft herrscht die Ansicht, Menschen aus einer unteren sozialen Gruppe könnten nie in eine höhere gelangen. Wir glauben nicht daran! Aus diesem Grund veranstalten wir hier eine Studie, die allen Kritikern zeigen soll, dass dem nicht so ist. Wir begannen damit, uns jeden Menschen genau anzuschauen und nicht nur seinen gesellschaftlichen Status, sondern auch sein Talent zu sehen. Bei vielen der ausgegrenzten Jugendlichen entdecken wir erstaunliches Potenzial. Ihr werdet hier also geschult und dann auf Talent, soziale Kompetenz und Intelligenz getestet. Ich bin davon überzeugt, dass ihr alle überdurchschnittlich abschneidet. Wenn ihr dann die auf eure Fähigkeiten genau abgestimmte Ausbildung vollendet habt, seid ihr wertvolle und anerkannte Mitglieder der Gesellschaft. Dann ist euch ein guter Job mit hohem Gehalt sicher.« Sie machte eine Pause und blickte beinahe triumphierend in die Menge, doch niemand sagte ein Wort. Alle standen nur stumm da und sahen Gerda mehr oder minder skeptisch an. Auch Trish war nicht überzeugt. Man hatte ihr bisher noch niemals irgendwelche Fähigkeiten oder Intelligenz zugesprochen. Was andere vielleicht als Kompliment empfunden hätten, klang in ihren Ohren eher suspekt.
Gerda lächelte verzeihend. »Zuerst werdet ihr zu einem unserer Ärzte gehen«, fuhr sie fort. »Keine Sorge, es ist eine ganz normale medizinische Untersuchung inklusive eines Bluttests. Falls ihr eine immunsuppressive Erkrankung habt, scheidet ihr für das Experiment leider aus. Ich danke euch für die Aufmerksamkeit.« Gerda deutete eine leichte Verbeugung an. Der Vortrag war beendet, doch der wohl erwartete Applaus blieb aus.
Ein Raunen erfüllte den Raum und auch die Vier steckten die Köpfe zusammen.
»Was haltet ihr davon?«, fragte Trish und kaute weiter auf dem Daumennagel.