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Leseempfehlung für Drachenfans: Die Schule der magischen Wesen von Lucia Ashta - Seht gerne rein! Der finale Band von Amels Abenteuer Bist du bereit dich deinem Schicksal zu stellen? Amel hat Verbündete ins Dominion gebracht. Doch jetzt muss sie sich dem Krieg und seinen Schrecken stellen. Für Amel waren Drachen immer Freunde und Verbündete. Aber jetzt sieht sie, was geschieht, wenn Drachen Städte niederbrennen. Um der Zerstörung Einhalt zu gebieten, müssen Amel und ihre Verbündeten den Krieg gewinnen. Aber das könnte einen höheren Preis erforden, als Amel zu zahlen bereit ist.
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Seitenzahl: 470
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DIE DRACHENSCHULE
BUCH 5
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Hinter meinen geschlossenen Augenlidern nahm ich starkes Licht wahr. Mir war heiß und ich fühlte mich fiebrig.
Alles in Ordnung. Du liegst neben mir, so dass ich dich im Auge behalten kann. Du hast uns einen Schrecken eingejagt.
Wem einen Schrecken eingejagt? Ich konnte nichts sehen. Nur Licht und die Zweige eines Baumes, die sich im goldenen Sonnenlicht wiegten.
“Du bist wach! Ich dachte für einen Moment, wir hätten dich verloren.” Ephrettis Gesicht tauchte vor mir auf und sie lächelte mich - tatsächlich! - an, bevor sie sich zur Seite drehte und in ein Taschentuch hustete.
Ich versuchte, mich aufzusetzen, aber sie drückte meine Schulter nach unten.
“Das ist nicht nötig. Du kämpfst schon seit Tagen mit dem Fieber. Du brauchst deine Ruhe.” Sie sah schrecklich aus - blass und abgekämpft.
“Noch bin ich nicht tot”, sagte ich ironisch und versuchte erneut mich aufzusetzen.
“Hier, lass mich dir wenigstens helfen.” Ephretti reichte mir eine Hand. Peinlich berührt stellte ich fest, dass ich es ohne ihre Hilfe wahrscheinlich nicht geschafft hätte. Aber warum war sie überhaupt so erpicht darauf, mir zu helfen? Ephretti wirkte wie ausgewechselt.
Ohne sie wärst du tot. Sie ist an deiner Seite geblieben, seit du auf den Steinen zusammengebrochen bist, und sie hat sich geweigert, dass sich jemand anderes um dich kümmert, außer einem Weißen, den Lenora von den Rubininseln hierhergeschickt hat.
Ephretti brachte mich schließlich in eine aufrechte Position. “Ich hole dir etwas Wasser.”
“Das Wasser, das ich aus Baojang mitgebracht habe?”, fragte ich schwach.
Sie warf mir einen neugierigen Blick zu und schüttelte den Kopf.
“Ran hat es mitgenommen. Frag mich nicht, warum ihm das so viel bedeutet hat. Hier gibt es eine Quelle mit allem Wasser, das wir brauchen.”
Ich war nicht mehr süchtig nach Silla. Aber ich konnte mir gut vorstellen, wie Ran verzweifelt um mein Wasser verhandelt hatte. Zweifelsohne hatte Jalla ihn ebenfalls süchtig gemacht.
Sie bewegte sich, um das Wasser zu holen, und ließ mich zum ersten Mal sehen, was vor uns lag. Ich war überrascht, als ich sah, dass wir uns immer noch bei den Heilbögen befanden, auf dem Hügel oberhalb der bewaldeten Schlucht. Ich hatte das Gefühl, den Atem anzuhalten, als sich meine Augen weiteten, um die Szene unter uns aufzunehmen. Die Drachen waren immer noch da. Hunderte von ihnen. Meine Augen weiteten sich bei diesem Anblick und auch bei all den Menschen - fast tausend, wenn ich das richtig einschätzte. Sie besetzten die Wachtürme und arbeiteten zusammen mit den Drachen an der Ausbesserung der Steinstrukturen, bauten Brücken über den Riss in der Erde und errichteten behelfsmäßige Gebäude. Was um Himmels willen ging hier vor sich?
Es hat angefangen, als Lenora den Weißen geschickt hat.
Ich brauchte mehr Kontext.
Nachdem du die Drachen gerufen hast und sie unsere Feinde auf Drachenart besiegt haben, wurdest du ohnmächtig. Das war keine Überraschung. Zum Glück war Ephretti da. Sie hat die Gefangenen befreit und sie haben diesen Ort von unseren Feinden gesäubert. Und als Ran am nächsten Morgen ankam, um dich zu suchen, schickte sie stattdessen Lenora mit ihm zurück und ließ sie versprechen, bei den Rubininseln Halt zu machen und einen der Weißen Drachenreiter zu uns zurückzuschicken. Ich weiß nicht, wie sie den Weißen überzeugt haben, aber es ist ihnen gelungen.
Ran konnte sehr überzeugend sein. Es schien, als schuldete ich ihm etwas.
Und nachdem dieser Drachenreiter ankam, kamen irgendwann Fußtruppen nach. Anscheinend ist der Norden voller Flüchtlinge. Menschen, die versuchen, irgendwie zu überleben und ihre Familien vor dem Krieg zu schützen, versteckten sich in jedem Tal, jedem Wald und jeder Höhle in dieser Gegend. Zum Glück behält Ephretti den Überblick - sie versucht für jeden von ihnen eine Unterkunft zu finden. Sie setzt auch einige von ihnen für den Bau dieses Lagers ein. Sogar die Drachen, mit denen sie eigentlich nicht sprechen kann.
„Lass mich raten. Du hast dabei geholfen?”
Wie kommst du darauf?
Du magst arrogante Frauen.
Ich mag auch Menschen, die ihre Aufgabe in der Welt begriffen haben. Zumindest solange sie noch leben.
Mir wurde mulmig zumute, als ich Ephretti ansah. Wie meinte er das?
Denk nach, Amel. Was ist mit Bellerued und Tyalmae passiert?
Ephrettis Drachen waren von den Magiern getötet worden. Aber ich hatte Tyalmae mit Ephretti wiedervereint gesehen!
Nur Tyalmae. Nicht alle, die in den Bögen getötet oder verletzt wurden, wurden geheilt. Nur einige wenige. Und Bellrued gehörte nicht zu ihnen.
Ephretti hustete erneut in ihr Taschentuch, bevor sie sich neben mich setzte und mir einen Becher mit Wasser anbot. Ich schluckte schwer und eine Träne stieg mir in die Augen, als ich ihn annahm.
“Danke, Ephretti.”
“Ist mir ein Vergnügen. Trink, dein Körper muss sich dringend erholen.”
Ich gehorchte, aber mein Herz wurde schwer, als ich mich mit dem Gedanken auseinandersetzte, dass ich von einer Frau, die wahrscheinlich noch vor dem nächsten Vollmond sterben würde, liebevoll wieder gesund gepflegt worden war.
“Wie viel Zeit ist seit jener Nacht vergangen?”, fragte ich Ephretti.
Sie nippte an ihrem Wasser, bevor sie antwortete. “Fünf Tage. Nach dem, was Ran Woelran uns gesagt hat, sind Baojangs Armeen nur noch wenige Tage von hier entfernt. Ich habe Lenora mit ihm geschickt, um unsere Abmachung zu erfüllen. Sie wird für Jalla, den geflügelten Prinzen, arbeiten, aber sie wird insgeheim dem Dominion treu bleiben.”
„Du bist nicht gegangen?”
“Meine Zeit ist ... begrenzt.” Sie hustete erneut, aber ihre Miene blieb stark. Ephretti würde ihren Tod nicht einfach so hinnehmen. “Ich würde sie gerne sinnvoll verbringen.”
Ich war mir nicht sicher, was ich dazu sagen sollte. 'Es tut mir leid, dass du stirbst' schien nicht angebracht zu sein. Sollte ich es überhaupt erwähnen?
“Und du fandest nicht, dass es sinnvoll sei, Jallas Pläne zu untergraben?”
“Ich hielt es für sinnvoller, dir zu helfen.”
Es war schwer, meine Überraschung zu verbergen. Ephretti mochte mich nicht - zumindest dachte ich das.
Du kennst sie nicht so gut, wie du glaubst.
“Ich denke, wenn wir unsere Drachen nach Westen führen, können wir Vanika zurückerobern. Es wäre ein großer Sieg für das Dominion und gut für alle Menschen in der Gegend. Wenn wir unser Land Stück für Stück zurückerobern, können wir danach mit dem Wiederaufbau beginnen. Das ist etwas, wofür es sich lohnt, alles zu geben.”
Ich blickte sie an. Sie wirkte entschlossen.
Und das ist sie auch. Ich denke, ihr Ziel ergibt Sinn.
“Warum sollten wir den Kampf an einen Ort tragen, an dem gerade Frieden herrscht?”, fragte ich. „Sind wir dann nicht diejenigen, die unschuldige Menschen in Gefahr bringen?”
“Würdest du unter der Herrschaft des Dämmerungspaktes leben wollen? Freiheit lässt sich manchmal nur mit Blut erkaufen. Es ist besser, für die Wahrheit und die Freiheit zu sterben, als unter der Last der Lügen und des Bösen zu leben.”
Ich war nicht überzeugt, aber es gab noch andere Dinge zu bedenken. “Warum Vanika, wenn Cabradis näher ist? Ich würde lieber in den Süden gehen, um ehrlich zu sein. Vielleicht sogar zur Drachenschule. Wir müssen uns auf den Konflikt zubewegen, nicht von ihm weg.”
“Vanika ist ...”
“Habt ihr schon entschieden, wie es weitergeht?” Eine männliche Stimme meldete sich zu Wort, und ich drehte den Kopf, um zu sehen, wie ein Mann, etwa in den Vierzigern, hinter Raolcan hervortrat. Ich hatte es vorher nicht bemerkt, aber mein Drache und ich saßen unter einem Pavillon. Dahinter standen noch mehr solcher Pavillons. Ich konnte sie nicht gut erkennen und mir fehlte die Kraft, meine Augen zu fokussieren.
Der Mann trug Drachenreiterleder und einen weißen Schal um den Kopf. Um seine Taille und sein linkes Knie hatte er weiße Tücher gebunden, die mit Schriftzügen versehen waren, und an einem Riemen quer über seinen Körper hing ein breiter Beutel. Er trug eine dampfende hölzerne Schale.
“Du musst etwas essen”, sagte er zu mir und lächelte auf eine Weise, die sein ganzes Gesicht mit kleinen Fältchen füllte. Er blickte warm und sanft zu mir.
“Was steht auf deinen Tüchern?”, fragte ich schwach.
Er lehnte sich nahe heran und lachte. “Lenk nicht ab, iss die Suppe! Hier, Ephretti, du kannst sie füttern.”
“Ich…” Ephretti begann zu protestieren, aber er hob eine Augenbraue, woraufhin sie widerwillig die Stirn runzelte und mir einen Löffel anbot. Ich aß gehorsam, während der geheimnisvolle Mann sich neben mich setzte.
“Ich bin Dax Cloud, Drachenreiter der Weißen. Du hast eine Menge durchgemacht.” Dax strahlte eine elterliche Aura aus. “Nein, nein, Ephretti, sachte. Sie ist keine Scheune, in die du Heu schaufelst, sie ist ein Mensch.”
Ephretti verdrehte die Augen. “Ich weiß, Dax.”
“Du wusstest es nicht, als du sie letzte Nacht fast ertränkt hättest, als du ihr Wasser gegeben hast, oder als du sie so schlecht zusammengeflickt hast, dass ich ihr Leben nur knapp vor einer Infektion retten konnte. Ich dachte, du hast gesagt, es sei wichtig, dass sie nicht stirbt.”
“Ich möchte lieber nicht sterben”, stotterte ich, wobei Ephretti meinen offenen Mund zum Anlass nahm, mehr Suppe hineinzustopfen.
“Du wirst nicht sterben, aber du solltest auch nicht mit Ephretti nach Vanika abhauen.”
“Ich habe nicht viel Zeit”, sagte Ephretti mit finsterer Miene.
“Das wissen wir nicht mit Sicherheit”, sagte Dax.
Nicht? Ich dachte, es sei offensichtlich. Ihr Drache war tot. Sie hustete. Die Sache schien eindeutig.
Die Weißen suchen immer nach einem Weg dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Typisch.
Raolcan schnaubte hinter meiner Schulter.
“Trotz mürrischer Drachen, die mich anschnauben”, sagte Dax und warf Raolcan einen scharfen Blick zu, “wissen wir es wirklich nicht, Ephretti. Es gab nur sehr, sehr wenige Drachenpaare, die an einen Menschen gebunden waren. Ich erinnere mich, dass in den Aufzeichnungen nur ein einziges anderes Paar verzeichnet ist. Vielleicht gab es noch mehr - die Aufzeichnungen werden ungenauer, je weiter man zurückgeht. Aber wir wissen nicht, was mit einer Reiterin passiert, die einen ihrer zwei Drachen verliert.”
Ich runzelte die Stirn. Warum hatte Ephretti überhaupt zwei Drachen gehabt?
Sie sind Zwillinge. In der Drachenkultur bedeutet das, dass sie das Recht haben, alles gemeinsam zu tun. Wir würden sie niemals zwingen, sich zu trennen, selbst wenn einer den Menschen zugeteilt wird.
Sie haben also beide Ephretti adoptiert?
So könnte man es auch sehen.
Ich fragte mich, was sie in der Drachenschule davon gehalten hatten, als die beiden Drachen dort eingetroffen waren.
Sie waren überrascht, aber findest du nicht, dass es ganz nach Ephretti klingt, sich zwei Drachen zu schnappen, wenn sie die Gelegenheit dazu hat? Ich denke, wir sollten ihr helfen, diesen Angriff durchzuziehen, bevor sie stirbt. Das sind wir ihr schuldig.
Ephretti hustete etwas lauter als beim letzten Mal, als wollte sie ihren Zustand unterstreichen. “Ich habe alle Anzeichen, Dax. Und ich will nicht hustend zugrunde gehen. Ich will sterben, während ich die Dinge verteidige, die ich liebe.”
Dax winkte ab. “Vielleicht wird deine Verbindung mit Tyallmae den Auswirkungen von Bellrueds Tod entgegenwirken. Vielleicht aber auch nicht. Wir können nur abwarten.”
“Kannst du sonst nichts für sie tun?”, fragte ich und wehrte einen weiteren Löffel Suppe ab. Nach den paar Schlucken, die ich gegessen hatte, fühlte ich mich schon besser.
“Wir müssen sie sorgfältig untersuchen. Wenn der Verlauf ihrer Krankheit normal ist, kann ich nur helfen, Ephrettis Schmerzen zu lindern. Wenn es anders ist, werde ich es sorgfältig für unsere Unterlagen aufzeichnen, damit wir wissen, was wir beim nächsten Mal zu erwarten haben.”
“Zeichne meinen Tod nicht auf”, sagte Ephretti entsetzt. “Versprich es mir!”
“Beruhige dich”, sagte Dax.
“Versprich es!”
“Also gut”, beschwichtigte er sie.
Ephretti wirkte aufgebracht, als sie aufstand und die leere Schüssel umklammerte. “Ich muss das sauber machen.”
Als sie weg war, drehte ich mich zu Dax um. Mein Kopf war immer noch zu schwach, um ihn aufrecht zu halten, und ich musste mich an Raolcan lehnen.
“Wirst du wirklich aufhören, ihren Zustand zu dokumentieren?”
“Natürlich nicht.” Er hatte bereits ein kleines Buch und einen Bleistiftstummel aus seiner Tasche gezogen. “Aber das braucht sie nicht zu wissen.”
“Und wie lange wird es dauern, bis ich mich wieder bewegen kann?”
“Bis morgen solltest du wieder zu Kräften gekommen sein, wenn du deine Suppe isst und dich ausruhst. Du brauchst viel Ruhe.”
Ich sah zu, wie er eifrig in sein Buch kritzelte.
“Du hast mir nicht gesagt, was die Schriftzeichen bedeuten.”
Er blickte auf und lächelte. “Oh. Nun, die Schriftzeichen auf dem Leder sind wie alle Drachenreiter-Schriftzüge - Prophezeiungen, Symbole, Zeichen und gute Wünsche, die von denen in das Leder geschrieben wurden, die am Tag meiner Einweihung anwesend waren. Bei den Schals ist es anders. Ich habe immer Angst, meine Bücher zu verlieren.” Er tippte auf das Notizbuch, in das er gerade schrieb. “Darum bewahre ich die wichtigsten Heilformeln auch auf den Schals auf. Nur für den Fall.”
Er schrieb weiter, und die Sekunden wurden zu Minuten, bis ich den Mut fasste, die letzte Frage, die mir auf der Zunge lag, zu stellen.
“Und meine Beine? Werden sie heilen?”
“Wir werden sehen.”
Die nächsten Tage waren die schlimmsten meines Lebens.
Das Warten war unerträglich. Mich plagten alle möglichen Befürchtungen, die nur noch schlimmer wurden, weil ich nicht wusste, ob sie sich bewahrheiteten würden. Visionen von meinen Freunden erschienen schnell und heftig, aber sie waren zu kurz, um zu erkennen, was irgendjemand tat, außer zu marschieren, zu schleichen oder zu kämpfen.
Und völlig hilflos von Ephretti umsorgt zu werden, kratzte an meinem Ego.
“Halt still, sagte sie und fuhr mit einem Kamm grob durch mein Haar.
„Ich komme zurecht!”, protestierte ich, aber Ephretti ignorierte mich wie immer.
“Dax sagt, wir können dein Bein morgen untersuchen, und wenn es sich als geheilt erweist, denke ich nicht, dass uns noch etwas von der Reise nach Vanika abhält. Ein Überraschungsangriff wäre das Beste, denke ich.”
Ich hatte ihrem Vorhaben immer noch nicht zugestimmt, aber sie nahm mein Einverständnis als selbstverständlich hin.
“Du hast immer noch nicht erklärt, warum es Vanika sein muss”, sagte ich.
“Das Wichtigste zuerst, Ephretti”, sagte Dax nachsichtig. Es war seine ständige Anwesenheit, die mich davon abhielt, mein Bein auszuprobieren. Er schlief nur wenige Meter von mir entfernt und wachte auf, wenn ich mich auch nur rührte. Er war wie ein Gefängniswärter, eine Krankenschwester und eine Mutter in einem, und Ephretti war seine eifrige Schülerin.
Siehst du, warum ich die Weißen nicht mag? Sie leben für dich. Es ist erstickend.
“Wir haben so lange gewartet, wie wir konnten, Dax. Wenn sie verkrüppelt ist, müssen wir damit fertig werden. Sie ist die Einzige, die die Flöte spielen kann.”
Ich holte die Flöte aus der Satteltasche, die Ephretti neben mir abgelegt hatte. Ich hatte sie in den letzten Tagen intensiver untersucht. Ich wollte die Position des Arms nicht verändern - ich vermutete, dass er gerade auf Drachen eingestellt war, und wollte nicht vergessen, wo das war -, aber ich zeichnete eine Skizze der genauen Position in Talsans Buch. Dax hatte mir dafür einen Bleistift geliehen. Es wäre besser, wenn ich wüsste, wie man sie spielte, das stand fest. Ich drehte sie vorsichtig in meinen Händen und legte meine Finger auf die Löcher entlang des Schafts der Flöte.
“Übertreibe es nicht, Amel, wir haben letztes Mal ewig gebraucht, um die Drachen, die du gerufen hast, aus ihrem Bann zu befreien”, beschwerte sich Ephretti.
“Ich hatte nicht vor die Flöte zu spielen. Ich wünschte nur, ich wüsste, wie man eine Melodie spielt.”
“Hier.” Sie riss mir die Flöte aus den Händen, und einen Moment lang stockte mir der Atem, bis ich sah, dass sie den Arm nicht berührt hatte. “Es wird bei niemandem sonst funktionieren, oder?”
“Das glauben wir zumindest.”
“Okay, pass auf.” Ephretti hob die Lippen und stimmte eine unbeholfene Melodie an. Ich beobachtete sie genau und versuchte, mir jede Note zu merken.
“Lass es”, sagte Dax ohne aufzusehen. “Das klingt furchtbar.”
“Wenn du es besser kannst, nur zu”, forderte Ephretti ihn auf. “Wir werden die Flöte brauchen, wenn wir Vanika erobern und die Menschen dort befreien wollen. Du hast übrigens noch nicht gesagt, ob du mit uns kommst, Dax.”
“Wer sagt, dass das Volk von Vanika 'frei' sein will?” Dax blickte beiläufig von seiner Arbeit auf. “Hier, ich zeige dir, wie es geht.”
Er nahm die Flöte in die Hand und blies eine leichte, fröhliche Melodie. “Das hat mir meine Mutter beigebracht”, sagte er lächelnd.
“Kannst du es mir beibringen?”, wollte ich wissen.
Er lachte. “Nur wenn du garantierst, dass du keine Mückenwolke heraufbeschwörst. Hast du daran gedacht, dass dieser Arm vielleicht auch eine neutrale Einstellung hat?”
Daran hatte ich noch nicht gedacht. Vielleicht, wenn ich mich an die Zeit zurückerinnere, als sie im Kah’deem gelegen hatte...
“Wenn du einen Weg findest, sie auf neutral zu stellen, bringe ich dir bei, wie man spielt.”
“Und wirst du mit uns nach Vanika kommen?” Ephretti hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt, aber als sie versuchte, einen finsteren Blick aufzusetzen, überfiel sie ein Hustenanfall.
Dax hielt über seinen Notizen inne, seine Hand zitterte, während er sprach.
“Ich habe mir geschworen, niemals dorthin zurückzukehren. Ich war vor dem Fall der Stadt dort stationiert, wisst ihr. Oder vielleicht wisst ihr es nicht. In den Drachenhöhlen. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Ich hatte dort einen Freund namens Riv Kutter, mit dem ich zusammenarbeitete. Am Tag, als die Stadt fiel, war er nicht mit mir auf der Krankenstation. Als die Brände begannen ... als die Stadt schließlich fiel ... gab es so viele, die Hilfe brauchten. Ich verbrachte Tage damit, Überlebende aus den Trümmern zu bergen. Manchmal kamen wir zu spät. Menschen, die ich kannte. Kinder. Säuglinge. Ich ... ich hatte das Gefühl, dass etwas in mir zerbrach.” Er legte den Bleistift beiseite, als wäre er ihm zu schwer geworden. Er wischte sich mit einer Hand über die Stirn. “Ich fand Riv eines Nachts in dem behelfsmäßigen Lazarett, das wir eingerichtet hatten. Er hatte ein Messer. Er machte all die Arbeit zunichte, die ich an diesem Tag geleistet hatte, und nahm all die Leben, die wir gerettet hatten. Ich fragte ihn, warum. Warum sollte er so etwas tun?” Seine Stimme zitterte, und er fischte ein Taschentuch aus seiner Tasche.
Selbst Ephretti stand wie erstarrt da, mit einem Ausdruck tiefer Trauer im Gesicht.
“Als ... als getan war, was getan werden musste, barg ich die Tasche von seiner Leiche. Sie trug eine von einer Linie durchkreuzte Spirale.”
“Was befand sich darin?” Ephretti stellte sich auf die Ballen ihrer Füße, als wollte sie ihm den Rest der Geschichte herausreißen.
“Staub.”
Staub. Seltsam. Und doch ... Ifrits sind Staubdämonen, nicht wahr?
“Staub? Willst du dich über mich lustig machen? Hatte er noch etwas anderes bei sich?”, fragte Ephretti.
“Nur einen Wasserbeutel. Nichts Wichtiges. Als wir unsere Arbeit beendet hatten, bin ich zu den Rubininseln aufgebrochen und habe mir geschworen, nie wieder zurückzukehren. Ich kann diesen Ort nicht mehr sehen, ohne mich an die Dinge zu erinnern, die ich gesehen habe. Ich dachte, alle würden gehen, aber ... nun ja, die Menschen haben die Stadt wieder aufgebaut, so sagt man zumindest. Eine Barackenstadt aus Trümmern und Verzweiflung.”
„Also wirst du wegen deines Schwurs nicht mit uns gehen”, sagte Ephretti enttäuscht.
Dax' Antwort war leise aber klar. “Nein, deshalb werde ich mit euch gehen.”
Staub und Wasser. Wasser und Staub. Ich hatte das Gefühl, die Antwort auf dieses Rätsel zu kennen, als läge die Lösung direkt vor meinen Augen, aber obwohl ich die ganze Nacht darüber nachdachte, kam mir die Antwort nicht in den Sinn. In dem Abschnitt der Prophezeiungen, den ich gerade las, war von Wasser und Staub die Rede, aber es schien mir zu weit hergeholt, das auf diesen Fall zu übertragen. Dennoch kam mir die Passage nicht aus dem Sinn.
Ich meinte, eine neutrale Einstellung für die Flöte gefunden zu haben - oder zumindest war nichts mit Flügeln aufgetaucht, also schien es die neutrale Einstellung zu sein. Als ich an diesem Morgen aufwachte, fiel sie mir plötzlich wieder ein. Nachdem ich ein paar Mal vorsichtig hineingeblasen hatte, versuchte ich, die Melodie von Dax nachzuspielen. Es fiel mir schwer, geduldig zu bleiben, und es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben. Ich wollte sofort nach Süden fliegen, aber ich war mir nicht einmal sicher, ob ich mich auf Raolcans Rücken halten konnte, wenn meine beiden Beine kaputt waren.
Ich würde dich niemals fallen lassen.
Oder dass Raolcan mit nur einem Auge richtig fliegen konnte.
Ich bin mit einem Auge immer noch geschickter als jeder andere mit zwei.
Könnte er landen, wenn er sein Ziel nicht genau sehen konnte?
Im Ernst, das wird langsam beleidigend. Alles im Leben kostet etwas. Manchmal ist es Zeit. Manchmal ist es eine Verletzung. Manchmal ist es ein riesiges, klaffendes emotionales Loch in dir, das sich nie wieder füllt.
Ich wandte mich wieder meinen Bemühungen mit der Flöte zu. Mein Flötenspiel - oder meine Übung darin - machte es für Dax schließlich unmöglich zu schlafen, und ich beobachtete ihn heimlich, als er sich erhob, seine Sachen in Ordnung brachte und in die Büsche ging. Jetzt war meine Chance gekommen. Ich sah mich um, um mich zu vergewissern, dass mich niemand beobachtete, bevor ich vorsichtig meine Krücke von der Stelle nahm, wo Ephretti sie neben Raolcan abgelegt hatte.
Ich lehnte mich auf der einen Seite an die Krücke und auf der anderen Seite an Raolcan und drückte mich hoch. Meine Verletzung pochte schmerzhaft und fühlte sich - seltsam an? Es war, als zöge die Verletzung an allem, was sie umgab, als würde sie mich festhalten, damit ich mich nicht bewegen konnte und für immer hier sitzen blieb. Aber ich drückte mich vorsichtig hoch und weigerte mich, aufzugeben, so dass ich kniete und sowohl Raolcan als auch die Krücke festhielt. So weit, so aufrecht.
Nun kam der Moment der Wahrheit.
Langsam und vorsichtig schob ich mich auf mein verletztes Bein und zog eine schmerzverzerrte Grimasse, weigerte mich aber, mich davon aufhalten zu lassen. Mit Mühe schaffte ich es auf meine Füße. Ich stützte mich auf meine Krücke, keuchte und schnaufte. Ich würde wohl zwei Krücken brauchen. Das Bein hielt mich, aber es zitterte vor Anstrengung.
Ich blickte mich um und quietschte, als ich Dax entdeckte, der mich mit einem leeren Blick ansah. “Ich sagte doch, du sollst warten.”
“Ich musste es wissen.” Ich sprach leise, aber ich würde mich nicht entschuldigen. Ich hatte das Recht zu wissen, wie schlimm es war.
“Hier.” Er reichte mir mit einem Zwinkern in den Augen eine behelfsmäßige Krücke. “Es ist keine glänzende Drachenkopfkrücke mit einer versteckten Waffe darin, aber sie ist das Beste, was ich so kurzfristig organisieren konnte.”
“Danke.” Sein Lächeln erwärmte mich. Er hatte gewusst, dass ich es versuchen würde! Ich klemmte mir die andere Krücke unter den Arm und versuchte vorsichtig ein paar Schritte zu gehen. Ich konnte mich bewegen! Schmerzhaft? Ja. Steif und schmerzhaft? Ja! Aber ich konnte mich bewegen.
Ich spürte, wie meine Augen vor Erleichterung trieften, aber ich schniefte die Tränen weg. Ich wollte nicht, dass Dax mich mit Tränen in den Augen sah. Er betrachtete mich aufmerksam, als ich eine Runde um das Lager drehte. “Das wird schon”, sagte er schließlich. “Die Schwellung ist zurückgegangen, und die Wunde hat sich geschlossen, aber du wirst noch mindestens eine Woche lang Schmerzen haben. Du musst deine Kräfte wieder aufbauen. Und das bedeutet viel Ruhe.”
“Können wir heute abreisen? Es wird mindestens zwei Tage dauern, um dorthin zu gelangen.” Ephretti trat hinter dem Pavillon hervor und richtete im Gehen ihr Haar.
Dax nickte. „Es ist an der Zeit.”
“Wartet.” Ich legte so viel Nachdruck in meine Worte, wie ich nur konnte. Es schien zu wirken. Dax' Augenbrauen schossen in die Höhe und Ephretti runzelte die Stirn, aber sie blieb stehen und sah mich an.
“Cabradis liegt näher als Vanika. Croft und die Drachenschule liegen ebenfalls näher. Warum bestehst du so sehr darauf, dass wir nach Vanika gehen?”
Ephretti wirkte beleidigt. “Was macht das für einen Unterschied, solange wir der Sache dienen?”
“Ich werde im Süden gebraucht”, sagte ich ruhig, aber ich war immer noch angespannt. Ich war mir sicher, dass sie etwas verheimlichte.
“In Vanika hat alles angefangen.”
“Du willst Vanika aus sentimentalen Gründen zurückerobern?”
Sie schnaubte.
“Ephretti, wenn du mir keine ehrliche Antwort gibst, werde ich dich nicht begleiten.” Meine Stimme ruhig und sicher.
An ihren geschürzten Lippen und den zusammengezogenen Augenbrauen konnte ich erkennen, dass sie wütend war. Sekunden verstrichen, ehe sie endlich sprach.
“Ich habe einen Verdacht. Als ich in Vanika lebte, gab es Gerüchte, dass es unter der Stadt, im Boden, einen Durchgang ins Herz der Erde gibt. Ich dachte, wenn wir Vanika zurückerobern, könnten wir uns und den aus Baojang kommenden Armeen eine wochenlange Reise ersparen. Die Gerüchte besagten, dass der Durchgang einen sofort an einen Ort in der Nähe der Hauptstadt des Dominions bringen könnte. Wenn wir das schaffen - nun ja ...”
Die Erkenntnis traf mich wie ein Pfeil.
“Du willst die entscheidende Schlacht im Süden nicht verpassen”, sagte ich. „Du willst dort eintreffen, bevor ... bevor du stirbst.”
Dax räusperte sich. “Wir wissen immer noch nicht mit Sicherheit, dass sie stirbt.”
Ephretti verdrehte die Augen, aber dann nickte sie. “Ich dachte, es könnte eine Möglichkeit sein, deine Drachen viel früher dorthin zu bringen - vielleicht sogar unsere Verbündeten aus Baojang.”
Das ist brillant. Die Katakomben. Der perfekte Weg, um eine Armee schnell in Stellung zu bringen.
Ich zitterte. Ich hatte keine guten Erinnerungen an die Katakomben.
“Und?” Ephretti wippte hin und her, als könne sie meine Antwort gar nicht abwarten.
“Es ist ein guter Plan”, sagte ich schließlich. “Und wir wären dumm, wenn wir es nicht versuchen würden.”
Doch während Dax und Ephretti sich auf die Abreise vorbereiteten und ich auf dem Boden saß, Wasser schlürfte und mich ausruhte, überkam mich die Angst. Mein Bauch kribbelte zu sehr, um das Obst zu essen, das Ephretti mir brachte, auch wenn Dax darauf bestand. Vor meinem geistigen Auge tauchten immer wieder kleine Erinnerungsfetzen auf.
Die Katakomben waren kein Ort, an den ich zurückkehren wollte.
Ich richtete mich vorsichtig in meinem Sattel auf. Mir taten beide Beine weh, und wir hatten noch nicht einmal abgehoben. Ephretti hatte meine Sicherheitsgurte viermal überprüft - als könnte ich das nicht selbst - und jetzt versuchte ich zu ignorieren, dass sie ein weiteres Seil um mich band. Der Aufstieg auf Raolcan war noch schlimmer gewesen. Meine Arme waren zu schwach, um mich ganz nach oben zu ziehen, und als Ephretti eine Schulter unter mich schob und mich mit beiden Händen an meinem Hintern hochdrückte, fühlte ich mich, als wäre ich zwei Jahre alt. Angesichts dieser Demütigung lief ich hochrot an.
Das nächste Mal werde ich dir helfen. Ich glaube, ich schaffe das.
Ich war eine Drachenreiterin und kein Weizensack. Oder zumindest war ich mal eine gewesen.
“Halt still, wir wollen doch nicht, dass du während des Fluges runterfällst. Und du hörst besser auf, mit der Flöte zu spielen und machst sie bereit, um die Drachen zu rufen, damit sie uns folgen. Ich habe mit den Leuten hier gesprochen und sie für die Zeit, in der wir weg sind, vorbereitet, aber wir können diese wilden Drachen nicht hier lassen. Sie machen alle nervös und wir werden sie brauchen, um Vanika zurückzuerobern.”
Ich schaffte es, die Verärgerung zu unterdrücken, die sich in mir aufbaute, und sagte einfach: “Wie du meinst, Ephretti.”
Sie hustete und spuckte schwarzen Schleim auf den Boden, und ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Ich sollte freundlicher zu ihr sein. Sie versuchte nur ihr Bestes. Sie versuchte nur, ihrem Leben einen Sinn zu geben, solange sie noch am Leben war. Außerdem wäre es doch schön, wenn wir unsere Reise in den Süden um ein paar Tage oder sogar Wochen verkürzen könnten.
Konntest du dich damit anfreunden, wieder die Katakomben zu betreten?
Eine Erinnerung an das schreckliche Gefühl, mich an Raolcan zu pressen, während wir uns durch einen Tunnel schlängelten, überkam mich und ich erschauderte. Nein, ich konnte mich nicht damit anfreunden.
“Halt still! Ich muss diese Seile richtig anbringen, sonst scheuern sie!”
War Raolcan denn bereit, wieder in die Katakomben zu gehen?
Ich bin immer bereit für Abenteuer!
Tatsächlich?
Furcht ist die größte Sünde.
Dax trabte auf dem Rücken eines geschmeidigen weißen Drachens heran. Seine Haut schimmerte im Licht, gerade dünn genug, um mich an die Troglodyten zu erinnern, aber immer noch dick genug, um klar als Weißer erkennbar zu sein. Um seinen Hals kräuselte sich eine Mähne mit langen weißen Fransen, die im Wind wehten.
“Wie heißt dein Drache, Dax?”, fragte ich und bemerkte, dass er Tyalmae mit sich führte. Ephrettis Drache schien gesund und stark zu sein. Das war interessant, nicht wahr? Sie war krank, aber ihm schien es gut zu gehen.
“Idlosias”, sagte Dax mit einem Lächeln im Gesicht, als er den Hals des Weißen streichelte. Der Drache schien es nicht zu bemerken.
“Bist du bald fertig, Ephretti?”, fragte Dax.
“Nur noch ein Knoten”, sagte Ephretti und zog ihn so fest, dass ich angesichts des plötzlichen Rucks stöhnte. “Es müsste schon sehr viel passieren, um dich jetzt von Raolcan zu stoßen!”
Kaum war sie fertig, schoss Raolcan in die Luft.
Siehst du? Ich brauche keine zwei Augen!
Ich umklammerte seinen Sattel mit beiden Händen und versuchte, alle Zweifel aus meinen Gedanken zu verbannen. Er brauchte meine Gewissheit, dass alles gut ausgehen würde - genau wie ich seine. Ephretti und Dax erhoben sich hinter uns in die Luft, wobei Ephretti wild gestikulierte. Sie machte mich ganz nervös. Konnte sie nicht einen Moment lang entspannen?
Ich glaube, sie will, dass du in die Flöte bläst und den Drachen befiehlst, uns zu folgen.
Oh... Das ergab Sinn. Ich richtete den Arm der Flöte sanft aus, holte tief Luft und versuchte, die einfache Melodie zu spielen, die Dax mir beigebracht hatte. Unter uns verschwammen die Heilbögen und das kleine Lager - bis nur noch ein winziger Punkt davon in der grünen Landschaft zu erkennen war.
Während ich spielte, stiegen Hunderte winziger Pünktchen wie eine Staubwolke in die Luft. Ich beobachtete die bunte Wolke, wie sie sich zusammenzog und uns dann in einem pulsierenden Schwarm folgte. Die Melodie versetzte mich in einen fast tranceartigen Zustand, so dass ich - trotz meiner schrecklichen musikalischen Fähigkeiten - nur noch die Töne der Flöte wahrnahm.
STOPP.
Ich erstarrte, die Flöte immer noch an meinen Lippen. Ich schluckte und zog sie zurück in meinen Schoß. Was hatte ich getan, um die Aufmerksamkeit der Troglodyten auf mich zu ziehen? Der eisige Stich ihrer Stimme klang noch immer in mir nach.
Zu meiner Rechten gab mir Ephretti wütend Zeichen. Irgendetwas mit 'willst du uns umbringen', wenn ich sie richtig verstand. Ich blickte nach links und sah, wie Dax den Kopf schüttelte. Wir führten einen Schwarm von Drachen an, deren Augen glasig waren, als wären sie in Trance. Was bedeutete das? Raolcan? Hatte er eine Idee?
Er schwieg, und nach einem Moment wurde mir klar, warum. Tyalmae und Idlosias sahen ebenfalls aus, als flögen sie mit leerem Blick. Meine Hände zitterten leicht. Was, wenn ich einfach weitergespielt hätte? Diese Flöte besaß zu viel Macht. Sie sollte nicht in der Lage sein, den Drachen ihren freien Willen zu nehmen. Ich zitterte. Ich musste mit diesem Ding sehr, sehr vorsichtig umgehen. Es war viel zu gefährlich. Ich legte Raolcan entschuldigend eine Hand in den Nacken.
Was, wenn die Trogs mich nicht aufgehalten hätten? Wie hatten sie es denn überhaupt bemerkt? Sie hatten gesagt, dass sie mich beobachteten – taten sie das durch die Augen der Drachen oder auf eine andere Art und Weise? Es machte mich nervös, dass ich das Gefühl hatte, ständig beobachtet zu werden - aber auch ein bisschen weniger einsam. Wenigstens konnte ich nichts völlig vermasseln, wenn jemand zusah und in meinem Geist schrie, wenn ich einen Fehler beging.
Glücklicherweise hatten wir die richtige Richtung eingeschlagen, bevor die Trance eingesetzt hatte. Trotzdem war ich immer noch nervös, und diese Nervosität legte sich erst eine Stunde später, als Raolcan sich leicht schüttelte. Ich klammerte mich an den Sattel und war dankbar, dass Ephretti so gründlich mit den Seilen umgegangen war. Ich klapperte mit den Zähnen, als er mich anschubste, und mein verletztes Bein brannte vor Schmerz.
Das war heftig. Nächstes Mal vielleicht nur ein oder zwei Noten, hmmm? Die Flöte ist ... mächtig. Noch mächtiger, wenn es eine richtige Melodie ist, wie es scheint.
War er in Ordnung?
Alles bestens.
Es schien ihm gut zu gehen, aber ich hörte nicht auf, mir Sorgen um ihn zu machen, während wir den Rest des Tages flogen, oder als wir unser Lager auf den Hügeln hinter Cabradis aufschlugen. Von hier aus konnte ich die Himmelsstadt sehen, aber auch hier war eine der Spur der Verwüstung zu erkennen.
“Wir werden vier Stunden schlafen und dann wieder aufbrechen”, erklärte Ephretti, als wir landeten. “Hoffen wir, dass wir niemandem aufgefallen sind. Und dieses Mal sei vorsichtiger. Ich will nicht auf einem Drachen reiten, der nicht selbständig denken kann. Du bist ihre Führerin, nicht ihre Besitzerin.”
“Es war ein Fehler”, erwiderte ich und war ein wenig verärgert. Ephretti war einfach immer so ... von sich überzeugt und davon, dass das, was ich tat, nicht gut genug war. Seltsamerweise wollte ich sie deshalb umso mehr beeindrucken.
“Sattle Raolcan nicht ab,” befahl Ephretti. “Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen ein kaltes Abendessen zu uns nehmen und schlafen.”
Oh, danke der Nachfrage, Ephretti. Ja, ich kann mit einem Sattel schlafen, du hast ja so nett gefragt.
“Ich helfe dir runter”, sagte sie.
“Ich schaffe das schon selbst.” Mit der Hilfe von Raolcan.
“Du wirst die Wunde wieder aufreißen, wenn du nicht aufpasst”, sagte Dax, der neben Idlosias stand. “Lass sie dir helfen.”
Aber ich stieß ihre Hand weg, als sie sie mir entgegenhielt. Sie seufzte und holte eine kalte Mahlzeit aus ihrer Tasche, aber ihr Blick blieb auf mich gerichtet.
Ich löste die Seile und schlurfte zur Seite von Raolcans Rücken. Vorsichtig zog ich mein verletztes Bein über seinen Rücken und umklammerte seinen Hals, während ich zu Boden glitt. Ich rutschte schneller, als ich erwartet hatte, und schlug zu hart auf dem Boden auf. Ich stieß ein Keuchen aus und mein Kopf dröhnte. Das nächste Mal musste ich vorsichtiger sein.
Ephretti schüttelte den Kopf, aber niemand sagte etwas, als ich nach meinen Krücken und meiner Decke griff.
Die Gesellschaft an diesem Abend war ebenso wenig herzlich wie das Lager. Dax und Ephretti schwiegen, während wir unser kaltes Essen aßen, unser Wasser tranken und die kargen Zelte aufbauten. Ich lehnte mich gegen Raolcan und war froh über etwas Warmes in einer Welt voller Kälte, aber ich machte mir immer noch Sorgen um ihn, und ich machte mir Sorgen um die zerstörte, besetzte Stadt unweit von hier, und ich machte mir vor allem Sorgen wegen der Reise in die Katakomben.
Als wir Vanika erreichten, war ich vollkommen erschöpft.
Ephretti weckte mich nur drei Stunden, nachdem ich eingeschlafen war. Ich musste mich damit abfinden, dass sie mich auf Raolcan hievte - es gab keine Zeit für Einwände - aber es dauerte trotzdem lange, bis wir abheben konnten.
Ich zückte die Flöte und spielte diesmal etwas zurückhaltender und es gelang mir, die Drachen mit nur zwei Tönen zu rufen, anstatt sie in volle Trance zu versetzen. Aber der Flug durch die Nacht war lang und kalt. Wir näherten uns den Bergen, und der nahende Herbst hatte bereits Kälte mit sich gebracht. Ich brauchte einen Mantel. Es war inzwischen Nachmittag und wir befanden uns in den Ausläufern der Berge in der Nähe Vanikas an den Ufern eines kleinen Bergsees. Das Absteigen gelang mir diesmal besser, weil Raolcan mir half und seinen Hals ganz herabsenkte, so dass er mich mit seiner Schnauze stützen konnte, während ich mich herabließ.
Wir beobachteten Vanika. Es war eine Sache, darüber zu reden, eine Stadt zurückzuerobern, aber eine andere es tatsächlich zu tun.
Unsere einzige Hoffnung lag auf den Drachen. Es war schwer zu sagen, was sie von unserem Vorhaben hielten. Aber sie waren bisher an unserer Seite geblieben - das musste ein gutes Zeichen sein, oder? Ab und zu flogen ein paar weg, aber sie kamen immer wieder zurück.
Sie fressen. Die Bergschafe sind lecker, und auch einige Pferde haben sich in die Berge verirrt.
Im Ernst, er musste mit den Pferdewitzen aufhören.
Die Drachen sind zufrieden. Sie mögen die Idee, durch die Katakomben zu gehen. Viele von ihnen haben sie noch nie gesehen.
Er hatte ihnen davon erzählt?
Sie verdienen es, davon zu erfahren.
Und was hielten sie von der Idee, eine Menschenstadt anzugreifen?
Das tun wir normalerweise nicht mehr. Aber die Flöte ist mächtig.
Ich hatte angenommen, dass wir die Stadt frontal angreifen könnten, aber es sah nicht so einfach aus, wie es sich bei den Heilbögen angehört hatte. Die Stadt unter uns lag in Trümmern - ein riesiger Haufen zerstörter Gebäude und verworrener Strukturen. Zwischen den Trümmern standen verstreut Baracken und Behelfsbauten. Doch trotz des desolaten Zustands der Stadt streiften dunkle Gestalten durch den Teil, den wir sehen konnten, und Patrouillen umkreisten die Stadt. Männer auf Pferden und Bogenschützen waren auf den behelfsmäßigen Mauern stationiert. Von hier aus war es schwer, Kleidung oder Abzeichen zu erkennen, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es sich um eine Kombination aus Dämmerungspakt, Baojang und möglicherweise sogar einigen der Felsenkrieger handelte, mit denen wir uns schon einmal herumgeschlagen hatten.
Wir mussten uns dringend einen Überblick verschaffen.
“Wann greifen wir an?”, fragte Ephretti.
Ich gähnte. Aber ich fühlte mich nicht schläfrig. Ich fühlte mich angespannt und besorgt. Wir waren nicht die richtigen Leute für diese Aufgabe. Vielleicht sollten wir auf Jalla und ihre Armeen warten.
Jalla wird keine Rücksicht auf die unschuldigen Bürger der Stadt nehmen.
“Nicht heute Nacht”, sagte Dax und überredete Idlosias leise, ein kleines Feuer für seinen Tee zu entfachen. Die Flammen spiegelten sich in den Wellen des Sees. Wir sahen ihn an. “Was? Er wird sowieso Feuer speien, da kann er genauso gut Tee machen. Er kann sogar selbst etwas Tee haben, wenn er will. Idlosias? Tee?”
Idlosias schnaubte. Kein Tee für ihn.
Drachen stehen nicht auf trübes Wasser. Aber gegen eine gute Pferdebrühe haben wir nichts einzuwenden.
“Wir müssen mehr in Erfahrung bringen, bevor wir angreifen, sonst erleiden wir vermeidbare Verluste”, sagte ich. “Keiner von uns ist Rot. Wir sollten zumindest eine Art Plan haben, dem wir folgen können. Ich mache mir Sorgen, dass wir sonst mehr Schaden anrichten, als wir müssten. Sagtest du nicht, es gäbe hier in der Nähe eine Festung?”
“Gerdath”, sagte Ephretti. “Der Dominar ist nach dem Fall von Vanika für eine Weile dorthin geflohen. Ich war eine Zeit lang dort. Jetzt ist sie nur noch eine Ruine. Die Vorräte, die sie einst beherbergte, wurden mitgenommen.”
“Wir müssen also jemanden schicken, der sich in die Stadt einschleicht und die Informationen beschafft, die wir brauchen”, sagte Dax und notierte etwas in seinem kleinen Buch. “Und es darf kein Drache sein. Die fallen auf.”
Haha.
Ich beobachtete die Stadt, während er sprach, und wünschte, ich könnte sie besser sehen. Winzige Gestalten gingen trotz der Besetzung in der Stadt ein und aus - einige durften eintreten, andere wurden abgewiesen. “Ich kann mich als Händler einschleichen”, sagte Ephretti hustend.
“Weil niemand bemerken wird, dass du schwarze Galle spuckst”, antwortete ich trocken, während ich den Trümmerhaufen unter uns betrachtete. Wie konnten die Menschen dort noch leben? Wie konnten sie essen und Handel treiben? Wie sollten wir den Eingang zu den Katakomben unter den verfallenen Gebäuden und Trümmern finden?
“Du kannst noch weniger gehen”, wandte Ephretti ein. “Du kannst immer noch kaum laufen. Mir ist aufgefallen, dass du dich nicht weiter als ein paar Meter von deinem Drachen entfernst. Nicht einmal wenn…”
“Genug”, erklärte Dax sanft. “Sie heilt. Wir haben es bis hierher geschafft. Denken wir uns lieber einen Plan aus, als zu streiten, hmmm?”
Ich dachte nach. “Was wir brauchen, ist ein Bewohner dieses Ortes, der uns alle Fragen beantwortet.”
“Ha! Wäre das nicht schön!” Ephretti lachte.
Doch ich hatte keinen Scherz gemacht. “Wir sollten uns den Nachmittag über ausruhen und die Drachen jagen lassen, und am Abend schleichen wir uns dann an einen schwer einsehbaren Ort an der Straße und schnappen uns jemanden, der aus der Stadt kommt.”
“Und wie bringen wir ihn zum Reden?”, fragte Dax mit ernster Miene.
Ich zuckte mit den Schultern. “Wenn es nur ein Bürger und kein Soldat ist, wird er vielleicht reden wollen.”
“Und wenn es ein Soldat ist?”
“Wir haben hier Drachen, und deren Feuer reicht für mehr, als nur Tee zu kochen”, erklärte ich.
Einige von uns können Menschen recht gut überreden.
Dax nickte, aber Ephretti blickte stur. “Und wenn sie lügen?”, fragte sie. “Wenn wir an jemanden geraten, der uns verrät?”
“Nun, ich hoffe, dass du dir nicht so jemanden aussuchen wirst”, sagte ich sanft.
“Ich?”
“Ja, ich habe einfach angenommen, dass du ...” Ich ließ die Frage so stehen, weil ich wusste, dass sie nicht ablehnen würde.
“Ja, ich werde es tun. Du kannst es nicht tun und Dax wird es nicht wollen.”
“Gut”, sagte ich und legte mich neben Dax' Feuer. “Dann weck mich, wenn es dunkel wird.”
Raus aus den Federn.
Ich gähnte. Die Dämmerung hüllte den Wald ein, und im Schimmer des aufgehenden Mondes, nahm Ephretti ihre Schals ab und steckte sich die Haare zurück.
“Wünscht mir Glück”, flüsterte sie, bevor sie zwischen den Bäumen verschwand. Tyalmae würde sie in die Nähe der Straße bringen, damit sie nicht den ganzen Weg laufen musste, aber danach müsste sie schleichen.
“Vergiss nicht, dein Ziel gut auszuwählen”, sagte Dax. “Wähle jemanden, den man nicht vermisst, am besten jemanden niederen Standes, der den Vorfall nicht melden wird.”
“Und woran soll ich das alles erkennen?” Ephretti klang gereizt.
“Wenn du glaubst, dass du den Auftrag nicht erfüllen kannst …”
“Nein, nein, alles in Ordnung. Hör auf, mich aufzuhalten.”
Sie verschwand, bevor er antworten konnte, und sprang auf Tyalmaes Rücken. Oh, wie ich sie beneidete. Warum konnte ich nicht so mühelos laufen? Welche zynische Macht hatte entschieden, mich zum Krüppel zu machen und mir trotzdem so viel Verantwortung zu übertragen?
Ich dachte, du wärst fertig damit, dich in Selbstmitleid zu suhlen?
Ich hustete und ordnete meine Gedanken. Er hatte Recht. Uns leiteten ein Zweck und ein Ziel, und solange unsere Probleme uns nicht davon abhielten, hatten wir kein Recht, uns zu beklagen.
Ich bin nicht derjenige, der sich beklagt.
Nun gut. Ich hatte keinen Grund, mich zu beklagen.
“Möchtest du eine Tasse Tee? Ich werde nicht schlafen können, bis sie zurück ist”, fragte Dax.
“Sollten wir hier draußen Feuer machen? Werden die Leute das nicht merken?”
“Überall sind Flüchtlinge”, sagte er und deutete zum Horizont. Ich folgte seiner Hand und blinzelte, als ich bemerkte, dass ich winzige Lichter in der Landschaft erkennen konnte. “Sie können nicht alle überprüfen.”
Wenn sie jemanden schicken, um uns zu überprüfen, werde ich ihn fressen.
“Tee klingt gut”, sagte ich. Aber als Dax ihn zubereitet hatte, fühlten wir uns beide zu angespannt, um ihn zu genießen. Die Minuten zogen sich immer mehr in die Länge.
Es könnte die ganze Nacht dauern, bis sie die richtige Person findet. Nicht viele Menschen reisen nachts. Schon gar nicht während eines Krieges.
“Weißt du etwas darüber, wo in Vanika ein Tunnel in den Untergrund sein könnte?”, fragte ich Dax.
“Ich würde vermuten, dass er sich unter dem Sockel der Stadt befindet. Die Sockel sind aus Himmelsstahl. Wenn ich etwas verstecken wollte, würde ich es dort unterbringen. Alles andere wäre für jeden einsehbar.”
“Aber wo soll der Zugang überhaupt sein?”
Er zuckte mit den Schultern. “Es gibt Wege, um unter die Sockel der Städte zu gelangen. Versteckte Tore. Ich weiß nicht, ob sie groß genug für Drachen sind.”
Hmmmmmm.
Danach saßen wir beide schweigend da und grübelten.
Als Ephretti mit einem unsanften Ruck neben uns landete, war ich fast erleichtert über die Ablenkung.
Tyalmae schlug zu hart auf dem Boden auf und schlitterte durch die Bäume, bis er gegen einen davon stieß. Er schwankte unsicher, bevor der Baum laut krachend umstürzte. Tyalmae schüttelte sich, und Dax sprang auf und rannte über die Furche auf der Erde, um zu helfen. Ich zog mich mühsam an meinen Krücken hoch.
Keine Sorge, es geht ihr gut. Sie hat nur mehr abbekommen, als sie erwartet hat. Tyalmae ebenfalls.
Es dauerte nicht lange, bis Ephretti und Dax mit einer zappelnden Gestalt vor uns auftauchten. Ein grüner Schal war um seine Augen und ein weiterer um seinen Mund gebunden, seine Hände waren gefesselt, aber das hielt ihn nicht davon ab, zu bocken und in alle Richtungen auszuschlagen. Dax konnte leicht ausweichen, aber Ephretti bekam einen Schlag in den Bauch und einen weiteren ans Ohr ab.
“Würdest du endlich aufhören?”, fragte sie frustriert, während sie den Gefangenen neben mir zu Boden schubste.
Ich blieb sitzen. Körperlich konnte ich ohnehin nichts ausrichten, und vielleicht beruhigte es ihn, mich hier so ruhig sitzen zu sehen, wenn sie ihm die Augenbinde abnahmen.
“Ich bin überrascht, dass du es geschafft hast, ihn allein zu erwischen”, sagte Dax. “Der ist recht wehrhaft.”
“Ich habe ihn zu Tyalmae gelockt und er hat mir geholfen. Drachenkiefer sind stark.”
Tyalmae flucht immer noch, weil der Junge ihm einen Schlag auf die Innenseite seines Mauls verpasst hat. Sowas tut weh.
“Zeig mal, was du gefunden hast”, sagte Dax.
Dax nahm die Augenbinde ab, und der stechende Blick des Gefangenen ließ uns alle zusammenzucken.
Er war ungefähr so alt wie ich. Drahtig, aber muskulös. Mittelgroß. Grüne Augen, die schelmisch funkelten. Ein schief grinsender Mund. Er sah nach mehr Ärger aus, als wir erwartet hatten.
Ich mag ihn jetzt schon. Er hat einen unterhaltsamen Geist.
Sobald Dax den Knebel wegzog, begann der Junge zu reden. Er öffnete seine Augen, so dass sie weit und unschuldig wirkten.
“Ich stecke doch nicht in Schwierigkeiten, oder?”
“Hör zu…”, begann Ephretti, aber er unterbrach sie.
“Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen Entführern zuhören muss. Wenn ihr glaubt, dass ihr ein gutes Lösegeld für mich bekommt, schminkt es euch ab. Ich bin ein Einzelgänger. Es gibt niemanden, der für mich bezahlen wird.” Seine Miene veränderte sich leicht - nur ein wenig - als hätte er etwas begriffen. “Nicht, dass es niemandem auffallen würde, dass ich verschwunden bin. Sergeant Rickers von der Abwehr des Dämmerungspaktes wird es bemerken. Er geht jeden Tag auf Patrouille.”
“Wir haben keine Angst vor Patrouillen”, sagte Ephretti trotzig. “Und du wirst unsere Fragen beantworten!” Sie verdrehte die Augen. “Wir fangen mit einer einfachen Frage an. Bist du vom Dämmerungspakt?”
“Ihr macht euch keine Sorgen wegen der Patrouillen?” Seine Augen verengten sich, als er die Bäume absuchte. “Das bedeutet, dass ihr mehr als nur zu dritt seid. Warum sehe ich dann nur eine kranke Frau, einen alten Mann und einen Krüppel? Wo stecken die echten Drachenreiter?”
“Wir sind echte Drachenreiter!”, polterte Ephretti, aber Dax legte ihr eine Hand auf den Arm. Provokationen zu ignorieren gehörte nicht zu ihren Stärken.
“Alles, was wir wollen, sind Informationen von jemandem, der in der Stadt lebt. Alleine können wir sie nicht beschaffen”, sagte Dax ruhig. Er setzte sich vor den Jungen, und das Flackern des Feuers erhellte ihre Gesichter.
“Ich soll also wirklich glauben, dass ihr nur darüber plaudern wollt, wo man in Vanika am besten trinken gehen kann?”, fragte der Junge mit schiefem Grinsen. “Ihr habt mich entführt und gefesselt, weil ihr ein wirklich neugieriger Haufen seid und nur ein paar Fakten für einen Reiseratgeber wollt, den ihr gerade schreibt? Das kaufe ich euch nicht ab.”
“Fangen wir mit deinem Namen an”, sagte Dax.
“Torald.”
“Dein richtiger Name.”
“Das ist mein richtiger Name. Oder zumindest nennen mich alle so.”
“Gut”, sagte Dax. “Torald, kannst du uns etwas über die Stadt erzählen? Wie gut wird sie verteidigt und von wem?”
“Sergeant Rickers-”
Dax hob eine Hand. “Fangen wir mit der Wahrheit an. Gibt es Magier in der Stadt?”
Der Junge legte den Kopf schief. “Bevor ich Fragen beantworte, lasst uns über den Preis reden.”
“Der Preis ist deine Freiheit. Beantworte die Fragen richtig und wir werden dich freilassen. Versuchst du uns zu belügen, lernst du uns ein wenig besser kennen.”
“Ich hatte eher an Gold gedacht”, sagte Torald.
Dax seufzte. “Versuchen wir es noch einmal. Was ...”
“Gold.”
“Du kleine Ratte!”, rief Ephretti, die wie ein wütender Stier schnaubte. Sie schüttelte einen Finger unter Toralds Nase, so dass er den Kopf zurückziehen musste, damit er nicht getroffen wurde. Er wirkte eher belustigt als eingeschüchtert.
“Ist dir nicht klar, was wir mit dir anstellen könnten? Diese Drachen sind nicht zur Dekoration da! Wenn wir wollen, fackeln sie dich ab, das wird ein Spaß!”
Ich bezweifelte, dass das ein großer Spaß wäre. Aber Ephretti sah so aus, als würde sie sich tatsächlich darauf freuen.
“Ich habe es doch gesagt: Gold.” Im Schein des Feuers musterte er seine Nägel, als wären sie viel interessanter als Ephretti, aber ich hatte das Gefühl, dass er alles registrierte. Seine Mundwinkel hatten sich leicht verzogen, als Dax in einer Tasche nach seinem Bleistift griff, und entspannten sich erst, als Dax zu schreiben begann. Er suchte nach Waffen und wartete auf die richtige Gelegenheit.
Ich hatte schon früher Jungs wie Torald erlebt. Es gab einen Mann, der in der Nachbarstadt eine Fähre betrieb, und manchmal kümmerte sich sein Sohn um die Fähre, während er weg war. Er verlangte immer mehr als den veranschlagten Preis, und wenn jemand nein sagte oder drohte, es seinem Vater zu sagen, war die Fähre plötzlich für eine Stunde auf halber Strecke über den Fluss blockiert. Es war sinnlos, mit ihm zu feilschen. Man musste ihm geben, was er wollte, oder man biss sich die Zähne aus.
“Diese Art von Gold?”, fragte ich leise und zog eine von Jallas Münzen aus meiner Tasche.
Seine Augen verengten sich. “Wer bist du?”
“Ich bin diejenige, die dich fürs Reden bezahlt.”
Er lachte. “Das sieht nicht wie eine Münze des Dominions aus.”
“Sie stammt aus Baojang.”
Seine Augen funkelten, und er lächelte verschmitzt. “Ich habe auch etwas Wasser zu verkaufen, wenn ihr es braucht. Direkt aus Baojang.”
Ephretti schaute verwirrt, aber ich lachte. “Du hast also schon mit Prinzen aus Baojang zu tun gehabt, nicht wahr?”
“Nicht wirklich, obwohl einer Vanika besucht hat, bevor die Stadt gefallen ist. Rakturan, glaube ich, war sein Name. Er wollte eine besondere Frau heiraten.”
Ich lächelte. “Du lebst also schon lange in Vanika.”
“Vielleicht.” Er lächelte selbstbewusst. “Können wir vielleicht diese Seile abmachen? Sie scheuern.”
“Vielleicht.” Ich lächelte ebenfalls. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich wusste, was für ein Mensch Torald war. “Du bist der Typ Mann, der von allem ein bisschen weiß. Zum Beispiel, wie man Dinge findet, von denen sonst niemand weiß.”
“Dinge?” Er neigte den Kopf zur Seite und grübelte.
“Es gibt ein Tor, das in den Untergrund führt. Im zerstörten Sockel der Stadt.”
Selbst im Feuerschein konnte ich sehen, wie das Blut aus seinem Gesicht wich und seine Züge einen gequälten Ausdruck annahmen. “Davon weiß ich nichts.”
“Oder darüber, dass Staubdämonen es als Durchgang benutzen?”, fragte ich.
Er wurde noch blasser.
“Oder darüber, wer in der Ruinenstadt wirklich das Sagen hat und wo die Schwachstellen in den Verteidigungsanlagen liegen?”
Seine Miene wurde hart. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass wir seine Stadt zurückerobern wollten, aber das bedeutete nicht, dass er zum Dämmerungspakt gehörte. Wenn er den Fall von Vanika überlebt hatte, könnte ihn das sehr mitgenommen haben.
Das hat es. Er will so eine Schlacht nie wieder erleben.
“Aber ich wette, ein kluger Mann wie du weiß, dass eine Armee auf dem Weg hierher ist und dass sie Vanika mit Gewalt zurückerobern wird. Vielleicht denkt ein kluger Mann, dass er diesen zweiten Konflikt überleben könnte. Aber was ist mit seinen Freunden? Hast du Freunde, Torald?”
Er leckte sich über die Lippen. “Ein paar. Willst du damit sagen, du könntest sie beschützen?”
Sein Blick war angespannt, während er sprach. Jetzt feilschte er um etwas, das ihm wichtig war. Ich lächelte. “Wenn du uns richtig berätst und uns sagst, was wir wissen müssen, werden wir dir helfen sie aus der Stadt zu bringen.”
Er nickte langsam. “Ich denke, wir sind uns einig.”
Gute Arbeit mit den Freunden. Woher wusstest du, dass er Leute hat, die ihm wichtig sind?
Ich hatte es nicht gewusst. Aber geahnt. Vielleicht war es dieses Funkeln in seinen Augen, oder vielleicht wollte ich einfach nur so viele Zivilisten wie möglich retten, bevor wir angriffen.
Der Gedanke, eine Schlacht zu eröffnen, machte mich nervös.
Es dauerte Stunden, bis Torald uns alles gesagt hatte.
Überraschenderweise wusste er tatsächlich eine Menge über das Leben in der Stadt, seit sie besetzt worden war.
“Also”, sagte Dax und fasste alles zusammen. “Es leben noch etwa tausend Bürger in Vanika, die versuchen, zu überleben und zwischen den Trümmern eine neue Existenz aufzubauen, und eine Besatzungstruppe von ein paar hundert Mann. Sie werden von einem Kontingent von etwa einem Dutzend Magiern und etwa fünfzig Felsenkriegern angeführt. Sie haben eine Wache aufgestellt, einen zentralen Steinturm aus den Trümmern gebaut, um sie unterzubringen, und eine Ausgangssperre verhängt. Wenn wir den Besatzern den größten und den Bürgern den geringsten Schaden zufügen wollen, ist ein nächtlicher Angriff wahrscheinlich am besten, aber sie sind verstreut, so dass wir nicht einfach ein paar kritische Ziele zerstören können, um die Sache zu Ende zu bringen. Außerdem ist der Feind zusammen mit der Zivilbevölkerung untergebracht, so dass unsere Drachen ihr Feuer vorsichtig einsetzen müssen. Sie können nicht einfach jedes Gebäude mit feindlichen Soldaten in Brand setzen.”
“Ja”, sagte Torald und nippte an dem Tee, den Dax ihm zubereitet hatte. “Habt ihr etwas zu essen? Ich meine, der Tee ist gut - ich will mich nicht beschweren - aber ich könnte etwas Richtiges zu essen gebrauchen.”
Ephretti verdrehte die Augen - sie war immer noch nicht zufrieden mit Torald, aber sie fischte etwas Trockenfleisch und Beeren aus einem Lederbeutel für ihn. Sie behielt ihn im Auge und beobachtete pausenlos seine Hände. Vielleicht war sie immer noch verbittert darüber, dass Dax und ich darauf bestanden hatten, ihn loszubinden.
“Und du glaubst, du weißt, wo der Zugang ist.”
“Wenn es der ist, wo die Staubriesen hingehen, dann ja.” Er war immer noch nervös, wenn er über die Ifrits sprach. Er wollte uns nicht in die Augen sehen, wenn er das tat.
“Du magst sie nicht”, sagte Dax.
“Am Anfang waren wir neugierig auf sie.” Er kaute auf seinem Fleisch herum, hielt inne und starrte ins Feuer. “Eine Gruppe von uns, Jungs wie ich, wisst ihr?”
Dax nickte. “Leute, die auf der Straße leben. Straßenkinder.”
Tor runzelte die Stirn. “Ich bin kein Straßenkind. Ich bin zwanzig.”
“Du bist nicht zwanzig.”
“Na schön. Ich bin siebzehn.”
Dax schnaubte. “Seid ihr Diebe?”
Torald zuckte mit den Schultern. “Wenn du uns so nennen willst. Ich habe allerdings noch nie einen Menschen entführt.” Er warf Ephretti einen bedeutungsvollen Blick zu, und sie blickte finster zurück.
“Da war eine Gruppe von euch”, hakte Dax nach.
“Ja, wir waren neugierig, also haben wir versucht, einem von ihnen eine Falle zu stellen. Wir spannten dieses große Netz, das wir in den zerstörten Höhlen der Drachen gefunden hatten, und versuchten, den Dämon in eine Sackgasse zwischen den Trümmern zu treiben und das Netz über ihm abzuwerfen. Es ging ... schief.” Er räusperte sich. “Jimin und Relv ... nun, ich habe nicht mehr viele Freunde, seit ...”
“Seit du dachtest, es wäre eine gute Idee, einen Staubdämon einzufangen?”, beendete ich seinen Satz. Er war ein Narr.
Das sind wir alle von Zeit zu Zeit.
“Ja.”