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Joana und Steve, zwei Studenten aus Potsdam, geraten während eines Urlaubes auf Kreta in die Schicksalsfäden ihrer Vergangenheit. Über Träume, Visionen und Selbstanalysen versuchen sie die Erlebnisse zu verstehen und zu verarbeiten. Intrigen und Unwahrheiten verbauen ihnen dabei immer wieder eine klare Sicht der Dinge. Werden sie es schaffen?
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Veröffentlichungsjahr: 2014
Der Autor
Joachim Schmidt
Schreibt Bücher vom Diesseits und Jenseits.
Bisher erschienene Titel:
Hinter den Tapeten
Das Geheimnis des Ringinger Erdstalls
Leonard in der Wo-Anderswelt
Leonard und Anika in der Wo-Anderswelt
Der Kelch
Tomavic und die Zufälle
Der Rabe und die vier Außenseiter
Die Gezeitenfrau
Peter, Patricia und das Ulmer Münster
Joachim Schmidt
Das Schicksalsrad
Der unendliche Kreis des Lebens
www.tredition.de
Umschlaggestaltung, Illustration:
Joachim Schmidt (Privatarchiv)
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN:
978-3-7323-0696-1(Paperback)
978-3-7323-0697-8(Hardcover)
978-3-7323-0698-5 (e-Book)
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Vorwort
Immer wieder treten Fragen in den Vordergrund wie:
Warum passiert mir das schon zum wiederholten Male?
Warum habe ich bestimmte Vorlieben?
Wieso zieht mich immer derselbe Typ von Menschen an?
Warum besuche ich im Urlaub immer wieder das gleiche Land bzw. habe ich eine Vorliebe für ein bestimmtes Land? Warum liebe ich die Wärme?
Warum, warum, warum? Nicht immer lassen sich diese Fragen mit Erziehungs- und Umwelteinflüssen beantworten.
Das Schicksalsrad
Er rieb sich die Augen. Was war los mit ihm? Er fühlte sich losgelöst. Von was losgelöst? Eher frei wie ein Vogel. Aber die Erde hielt ihn dennoch fest. Wenn er ging, fühlte es sich an, als ob er über Watte ginge und doch, er stand auf dem Boden.
Stimmte etwas mit seinem Kopf nicht mehr? Seine Gedanken allerdings waren klar wie nie zuvor. Sollte er zum Arzt? Warum zum Arzt? Er war doch selbst Arzt oder nicht? Nein, wie kam er denn darauf, seine Profession war doch Lehrer! Es fiel ihm schwer, diese Realität zu akzeptieren, denn es drängten sich noch weitere Berufsbilder vor sein inneres Auge und gebärdeten sich, als ob sie real wären. Bäcker, Maurer, Architekt, Prediger, Akademiker, Forscher, Philosoph. Alles glaubte er zu sein. Er schaute sich um, musste sich völlig neu orientieren. Suchte etwas, an dem er sich, seine Gedanken und Erinnerungen festmachen konnte, doch sie kamen von überall und drangen in ihn ein.
Das Zimmer schien in Ordnung. Hier musste er wohl zu Hause sein. Langsam lief er zur Tür und öffnete sie, aber vor seinen Augen tauchte nicht die Treppe auf, die er geglaubt hatte sehen zu müssen, nein, ein Garten tat sich vor ihm auf, den er allerdings ebenso irgendwoher kannte. Vielleicht nicht ganz so gut, wie die zweistöckige Treppe, aber der Garten war ihm doch auch sehr vertraut. Er liebte ihn sogar, denn alles was hier wuchs, hatte er selbst angepflanzt.
Er ging wieder ins Zimmer zurück. Hier stimmte noch alles mit dem überein, was er nach dem Aufwachen vorgefunden hatte. Obwohl ihm das Zimmer, die Treppe und der Garten nicht direkt fremd vorkamen, so glaubte er doch an keinen wirklichen, engen Zusammenhang. Sie passten nicht zueinander, wie eine Wohnung mit einem ganz bestimmten Stockwerk und einem dazugehörigen Garten. Dieser Garten sowie diese Treppe schienen dem Zimmer augenblicklich nicht zugehörig.
„Mein Gott“, dachte er, „ich glaub, ich spinne. An was kann ich mich erinnern? Vielleicht träume ich nur einen Tagtraum? Einen Traum, aus dem ich wieder völlig normal erwache, in dem alles an seinem Platz steht, wo ich mich wieder zurechtfinde und weiß, was Priorität hat.“
Vorsichtig schwebte er empfindungsgemäß wieder aus seinem Zimmer auf die Terrasse in seinen ihm vertrauten Garten. „Irgendetwas funktioniert nicht richtig in meinem Gehirn“, dachte er und konnte sich dabei an so viel Vergangenes erinnern wie nie zu vor.
Seine Gedanken griffen nach einer Frau und zwei Kindern. Sie kannte er sehr gut und fühlte sich aufs Engste mit ihnen verbunden. „Das muss meine Familie sein, bei ihnen fühle ich mich zu Hause.“ Aber sie passten nicht zu diesem Garten. Er schaute sich um. Nichts, was auf eine Familie schließen ließ. Keine Gartenmöbel mit einer bestimmten Anzahl von Stühlen, die auf Mitbewohner hindeuten könnten.
„Ich muss zurück und mich wieder hinlegen, bestimmt ist alles nur ein sehr realistischer Tagtraum.“
Stunden später erwachte Steve wieder in seiner ihm total vertrauten kleinen Mansardenwohnung.
„Oh, verdammt, ich habe verschlafen, ich muss zur Uni!“ Flugs zog er sich seine bereitliegenden Klamotten über und rannte ungewaschen, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, setzte sich aufs Fahrrad und strampelte wie ein Verrückter los.
Er schaffte es gerade noch in den Saal, bis die Vorlesung begann.
„Ich möchte Sie heute mit dem Begriff >Wirklichkeit< vertraut machen und hoffe am Ende meiner Betrachtungen, dass auch Sie, meine liebe Studentenschaft, an dem, was Sie als Realität bezeichnen, etwas zweifeln werden.“ Steve dachte noch: „So ein Blödsinn, wo habe ich mich da nur eingetragen?“
Steve, ein ganz normaler dreiundzwanzigjähriger Student im sechsten Semester, studierte in Potsdam für das Lehramt Sport und Englisch an Gymnasien. Er lebte in einer kleinen, für seine Eltern noch erschwinglichen Mansardenwohnung, kam gut alleine zurecht, war aber kein totaler Einzelgänger.
Mit der S-Bahn hatte er eine gute Zugverbindung nach Berlin. Aber ihn zog es nicht wirklich oft dort hin. Zu viel Trubel, zu viele Touristen. Potsdam war für ihn überschaubarer, irgendwie auch ländlicher, ruhiger, er konnte hier besser arbeiten.
„Eigentlich ein guter Tag, die Sonne scheint, ideal, um auf dem Leichtathletik-Platz zu üben und zu trainieren“, sinnierte Steve während der Vorlesung, „aber was hat denn dieses Thema mit meinem Studium zu tun?“ Er schaute sich um. Irgendwie schien dieser Hörsaal anders. Viel kleiner und höher, auch die Bestuhlung, wie aus einer anderen Zeit. Er wusste, die Universität in Potsdam war in manchen Dingen schon noch hinten dran, aber so ein alter Hörsaal? Auch der Dozent mit diesem altmodischen Zwicker auf der Nase?
„Wir wissen“, begann dieser Mensch, „dass wir unsere Welt, wie alles, was wir sehen oder spüren, über unsere Sinne wahrnehmen und dass alles im Prinzip nur aus Atomen besteht, die um ihre Kerne kreisen und aus unerklärlichen Gründen zusammen gehalten, sinnvolle Einheiten bilden. Wir wissen aber auch, dass alles Lebendige und Sichtbare nach einer bestimmten Zeit stirbt bzw. sich wieder auflöst. Das eine früher, das andere später. Mich und Sie wird es sehr wahrscheinlich in hundert Jahren nicht mehr geben. Unsere Körper werden sich dem Gesetz der Auflösung beugen müssen und werden vermutlich deshalb wieder dorthin verschwinden, woher sie gekommen sind.“
„Was für ein Blödsinn, was hat das alles mit Sport zu tun?“, wollte sich Steve gerade erneut fragen, als sich dieser alte Mann plötzlich in den jungen, dynamischen Dozenten verwandelte und dieser über den biomechanischen Ablauf des Flosbury Flops dozierte.
Steve zwickte sich, rieb sich die Augen, schielte zu seinen Kommilitonen. Bis auf diejenigen, die am Abend zuvor zu wenig Schlaf abbekommen hatten, saßen die meisten doch recht konzentriert bei der Sache und schrieben mit. Auch der Hörsaal schien jetzt wieder der alte zu sein. Hatte er nicht heute Nacht schon ein merkwürdiges Erlebnis gehabt? Langsam gelangte die Erinnerung zurück.
Nach der Vorlesung suchte er seinen besten Freund auf. Robert studierte Psychologie und Steve beschrieb ihm, was ihm widerfahren war.
„Weißt du“, begann Steve, „das Verrückte ist, dass ich das Gefühl dabei habe, ich würde alles kennen.“
„Also, ich studiere ja schon seit einiger Zeit Psychologie und bin bestimmt mehr belesen, als so manch einer meiner Kommilitonen, aber für diese Geschichten gibt es kaum eine vernünftige Erklärung, außer, dass du vielleicht selbst ein bisschen überspannt bist. Vielleicht brauchst du mal eine richtig gute Frau im Bett.“ Schelmisch lächelte Robert ihm zu.
„Nein, Spaß beiseite. Ich denke, du solltest dich mal in esoterisch-spirituellen Bereichen umschauen, dort, wo man von Reinkarnationen spricht. Die würden dir sicher erklären können, dass du in vergangene Zeiten blicken kannst.“ Jetzt lachte Robert aus vollem Hals.
„Es gibt ja so manch Unerklärliches. Ab sofort gehörst du zu meinen First-Class-Klienten.“
„Du Spinner, bleib auf dem Boden. Irgendwas ist in meinem Hirn verklemmt und ich brauche einen guten Gehirnklempner.“ Jetzt lachten beide.
„Du kannst dich eigentlich nur selbst beobachten und wenn du willst, mit mir darüber reden. Ich informiere mich an höherer Stelle z.B., bei meinem Prof, der ist wirklich gut und kein Schmalspurpsychologe wie Freud oder Jung. Der war auch viel in Indien und hat sich dort bei Gurus kundig gemacht.“
„Dann dank ich dir fürs Erste. Muss jetzt auf den Platz und Runden drehen. Bis vielleicht heute Abendwenn du Zeit hast, könnten wir uns in unserer Stammkneipe treffen.“
„Gut Steve, hoffe es reicht mir bis 20 Uhr. Tschüss und grüß mir Joana, du weißt ja, ich flieg auf sie!“
Steve schnürte gerade seine Sprinterschuhe. Er liebte diese Schuhe mit den kleinen Spikes auf der Sohle. Zwar etwas teuer, dafür aber superleicht, feinstes Leder und ein leuchtendes Blau mit weißen Streifen. Plötzlich verspürte er einen Schlag im Genick. Erschrocken drehte er sich um und sah in das feiste, zornige Gesicht eines beleibten Mannes, der eine Lederschürze umgebunden hatte und sprach: „Da, du Nichtsnutz, damit du dir auch Mühe gibst, die Leder so miteinander zu verbinden, dass kein Schmutz durchkommen kann. Ich möchte von meiner werten Kundschaft keine Klagen hören, sonst wird es nichts mit einem Gesellendasein.“
Erst jetzt bemerkte Steve verwundert, dass er mit verschränkten Beinen auf einem Schemel saß, mit zwei zugeschnittenen Lederstücken und einer Ahle in der Hand. „Ja, ja, Meister, bin schon dabei, sie werden zufrieden sein“, hörte er sich sagen und wunderte sich, was das nun schon wieder war.
Die Sonne stand schon tief, als Steve auf das fertige Paar Schuhe in seinen Händen starrte. Jetzt nur noch einfetten und glänzen, dann konnten sie abgeholt werden. Steve fühlte sich wie ein Beobachter und gleichzeitig war er auch der Handelnde, der genau wusste, was zu tun war. Steve eins, der Besucher und Steve zwei, der Macher. Er hatte nicht das Gefühl, verrückt zu sein, viel eher erwachte in ihm eine Neugierde. „Ich befinde mich in einer anderen Zeit“, dachte er, „einer Zeit, die ich schon einmal erlebt habe.“ Während er noch die Arbeit seines Doubles betrachtete und das Gefühl hatte, er selbst habe die Schuhe hergestellt, vernahm er den hellen Zuruf einer jungen Frau. Ihr Gesicht strahlte unter ihren wilden, blonden Locken so sehr, dass es Steve 1 nicht verwunderte, wie Steve 2 darauf reagierte. Auch er strahlte und redete sie nur mit „hübsches Fräulein“ an.
Zwei Augenblicke später, Steve hatte seine Schuhe geschnürt, schüttelte er seinen Kopf, um sich von seinen Träumereien zu lösen. Was waren das nur für komische Einblendungen?
„Haben die tatsächlich etwas mit mir zu tun? Bin ich ihnen ausgeliefert oder kann ich sie willentlich beeinflussen? Aber wie sollte das gehen?“ Sich irgendetwas vorstellen und sich dazu etwas ausdenken, stellte für ihn kein Problem dar, aber sich so einzulassen, dass er das Gefühl bekam, sich tatsächlich auch an diesem ersonnenen Ort zu befinden, war etwas, was er nicht konnte.
Steve lief an diesem Tag persönliche Bestzeit. Früher hätte er sich darüber gefreut, denn mit dieser Zeit wäre er an einem der nächsten Vereinswettkämpfe garantiert Erster geworden. Jetzt aber fand er das kurz zuvor mit seinen Schuhen Erlebte wesentlich interessanter.
Steve zog sich in der Hoffnung die Schuhe aus, dass wieder etwas passieren würde, aber nichts geschah. Enttäuscht stellte er sich unter die Dusche. Heute fühlte sie sich wie ein kalter Wasserfall an. Er schauderte, öffnete die Augen und starrte nach oben. Tatsächlich, er stand unter einem Wasserfall. Er war nicht alleine. Mehrere Männer und Frauen schienen sich wie er zu waschen. Viele lachten und freuten sich über das, was sie getan hatten. Sie wuschen sich angetrocknetes Blut von ihren Körpern und setzten sich dann in einem Kreis vor dem Wasserfall auf Steine zusammen. Das vorbeifließende Wasser schillerte und gab blubbernde Geräusche von sich.
„Leute”, begann einer der Männer, dessen Kopf unter einem wilden Haarschopf steckte, „heute haben wir sie restlos aus unserem Gebiet vertrieben. Viele wurden getötet, aber dank unserem schlauen Penric kam niemand unserer Sippe um.“ Dabei schaute er zu Steve und alle anderen wandten sich ihm zu und murmelten Beifall. Auch Pera blickte ihn mit ihren großen Augen an. Er kannte diesen Blick, er war anerkennend und gleichzeitig auffordernd. Er nickte ihr zu, stand auf, nahm sie bei der Hand und führte sie hinter den Wasserfall.
*
Warmes Wasser rieselte über seine Kopfhaare und den Körper. Dadurch wurde ihm bewusst, dass er zurück war. „Das wird ja immer schlimmer. Diese Träume überfallen mich bei jeder Gelegenheit. Nur nicht, wenn ich es will.“
Der Tag verlief ohne weitere Ereignisse. Um 19 Uhr endeten die Spätvorlesungen. Steve radelte direkt zu Robert, den er leider nicht antraf.
Robert, ein Menschenkenner par excellence, saß gemütlich in einer Studentenkneipe und tauschte sich mit einer netten jungen Frau über Alltagsprobleme in der Uni aus.
„Weißt du, es wird für mich immer schwieriger, den ganzen Stoffmüll, den wir vorgesetzt bekommen, von wirklich Wichtigem zu trennen und wenn ich glaube, es bis zur nächsten Klausur geschafft zu haben, dann findet der Dozent unter dem von mir aussortierten Abfall bestimmt noch etwas Brauchbares und schon ist meine Eins am Ar….“
„Damit müssen wir einfach leben, Robert. Einmal haben wir mehr, das andere Mal weniger Glück. Denen kann man es nicht immer recht machen. Mir geht es da um kein Haar besser, obwohl alle glauben, ich sei eine Einser-Kandidatin.“ Plötzlich wurde regelrecht die Türe aufgerissen. Beide erkannten Steve und winkten ihm zu.
„Hallo Joana, hallo Robert, schön, dass ich euch gefunden habe“, er schaute dabei Robert sehr intensiv an, der sofort wusste, dass sich anscheinend wieder etwas mit Steve ereignet hatte.
„Willst du es uns erzählen?“ dabei zwinkerte er mit dem linken Auge, was so viel hieß wie: „Joana auch?“
„Wenn Joana sowas verträgt?“
„Keine Angst, sie ist zwar von der Fächerbesetzung her gleich wie ich, interessiert sich aber auch für Esoterik.“
„Also ich weiß nicht - das, was mir zu Zeit andauernd widerfährt, würde ich nicht Esoterik nennen. Ich komme mir mehr wie ein Zeitreisender vor, der in einem Film mitspielt, dann aber kurz darauf schon wieder abreißt. Gott sei Dank, denn ich wüsste nicht, wie ich von diesen Reisen wieder zurückfinden sollte.“
„Welche Gefühle empfindest du dabei?“ wollte Joana wissen, die sich sofort am Gespräch beteiligte.
„Gefühle sind, glaube ich, das Entscheidende bei diesen Erlebnissen.“
Während Joana ihr Wissen mitteilte und ihm dabei intensiv in die Augen schaute, stieg ein Gefühl der Nähe in Steve auf und gleichzeitig trug es ihn weit weg. An einen Ort, den er als ein herrschaftliches Gebäude bezeichnen konnte, denn alles um ihn herum war auf das Feudalste eingerichtet. Mittelalterlich geschreinerte Möbel, große, an der Wand hängende, von alten Meistern gefertigte Bilder und lange, mit Rüschchen besetzte Gardinen und… Joana, die ihm gegenüberstand und die auf den Namen Johanna reagierte.
„Es muss geheim bleiben, du darfst mit niemandem darüber reden, sie würden uns sofort an den Pranger stellen“, flüsterte sie.
Hannes nickte nur, alles würde er für diese Frau tun, er vergötterte sie. Sie genoss zwar auch andere Freundschaften als nur mit dem Stallburschen, der er war, aber ihre beidseitige Gesinnung, durch Zuneigung gestärkt, durfte sich trotzdem Liebe nennen.
„Sie gängeln, unterdrücken und pressen uns aus wie den Most aus den Äpfeln. So kann das nicht weitergehen.“
„Ich weiß, ich bekomme ja alles hautnah mit“, antwortete Johanna. „Gib mir noch etwas Zeit, dann weiß ich mehr und wie wir am besten dagegen angehen können.“
*
Steve bemerkte es erst, als Joanas Augenfarbe wieder von Grün auf Blau wechselte, dass er sich wieder in der Kneipe befand. Sein Gesicht errötete, als er plötzlich die reale Joana wieder vor sich sah, sich gefühlsmäßig allerdings noch nicht ganz distanziert hatte. Joana, die Steves Veränderung bemerkt hatte, rückte unruhig ihren Stuhl zurecht.
„Was ist mit dir?“ wollte sie wissen.
„Ach nichts, ich hatte da nur so einen Gedanken“, wollte er sich herausreden.
„Komm, sag schon, was ist los“, schaltete sich jetzt auch Robert ein.
„Nun, wenn ihr’s unbedingt wissen wollt“, dabei blickte er schuldbewusst Robert an.
„Joana und ich haben…“
„Was habt ihr?“ unterbrach ihn Robert.
„Während Joana zu mir sprach, befand ich mich mit ihr in einem Herrschaftshaus, so um das 13. - 14. Jahrhundert. Wir unterhielten uns über eine geheime Abmachung. Irgendetwas sollte in die Wege geleitet werden.“
Steve erzählte nichts über seine aufwallenden Gefühle gegenüber Joana. Das war ihm dann doch zu peinlich. Trotzdem reagierte Robert jetzt etwas konsterniert:
„Du willst damit sagen, dass du Joana aus einer anderen Zeit kennst?“
„Ja und nein, ich weiß doch nicht, ob ich mir das alles einbilde.“ Ohne das Gesagte zu beachten, wollte Joana wissen: “Und hast du noch mehr Informationen? Verschweigst du etwas?“
„Nein, ich habe nur…“
„Was hast du nur?“ mischte sich Robert, jetzt doch etwas eifersüchtig geworden, dazwischen.
„Ich habe nur, während ich in dieser anderen Welt war gedacht, wie kann das alles sein? Ich erlebte mich als der Steve von hier, nur in einem anderen Körper.“
„Ich glaube, du übertreibst ein bisschen. Joana und du in einer anderen Welt, willst du dir Sympathien von ihr abholen?“
„Robert bitte, was soll das?“ Erst jetzt bemerkte Robert, wo er da hineingeschlittert war und erwiderte daraufhin lächelnd:
„Das war nur ein Spaß“. Aber weder für Joana noch für Steve klang es überzeugend.
„Ich weiß, dass man mir nicht glaubt, wie könnte man auch, ich glaube mir ja selbst nicht, vielleicht ist mein Gehirn außer Kontrolle geraten und spinnt sich nun bei jeder Gelegenheit eine Geschichte, aber es fühlte sich alles so echt an“, fügte Steve noch an.
„Du musst dich einfach weiter beobachten, das ist alles zu wenig an Information. Vielleicht kannst du alte Gewohnheiten mit diesen Erlebnissen in Zusammenhang bringen.“
„Mir scheint, da, wo wir Menschen normalerweise eine Begrenzung zu unseren Erinnerungen erfahren, gibt es bei dir Auflösungserscheinungen“, meinte Joana.
„Vielleicht ist das so, aber wie stelle ich so einen Film an bzw. ab? Es gibt ja keinen Knopf, wie beim Radio oder Fernsehen.“
„Den musst du selbst finden“, antwortete Robert, unterschwellig immer noch leicht genervt. Steve war Roberts Stimmungswandel nicht entgangen. Er verabschiedete sich schnell unter dem Vorwand, noch für eine Klausur arbeiten zu müssen. Joana rief ihm nach:
„He, melde dich, wenn du mehr weißt, mich interessiert das Ganze.“ Steve nickte nur, als er in Roberts Gesicht einen fragenden Ausdruck erblickte und verschwand schnell aus dem Lokal.
„Diese ganzen Geschichten, die mir einfallen, fühlen sich alle so realistisch an, vielleicht rutscht mein Geist doch in eine andere Zeit, so wie es in einschlägigen Büchern beschrieben oder auch in phantastischen Filmen gezeigt wird. Es kommt mir so vor, als ob die jeweiligen Situationen, in denen ich mich befinde, Erinnerungen in mir wach rufen. Erinnerungen, die wie ein Film ablaufen.“ Und dann ging ihm ein Licht auf. Des Öfteren überkamen ihn Gefühle, die ihm glauben machen wollten, dass er bestimmte Situationen schon einmal oder ähnlich erlebt hatte. Sozusagen ein Déjà-vu. Hatten diese Gefühle einen Weg gefunden, die Mauer der Unwissenheit zu durchdringen und Altes sichtbar werden zu lassen? Noch am Abend rief ihn Joana an.
„Hey Steve, was war das heute Mittag, hatte das Tiefe oder wolltest du mir nur imponieren, wie Robert sagte?“ Steve, sofort in seiner Glaubwürdigkeit verletzt, erwiderte:
„Joana, glaubst du das wirklich? Es kostet mich viel Überwindung, so etwas überhaupt mitzuteilen, eben weil ich weiß, wie man gewöhnlich auf solche Aussagen reagiert.“
„Tut mir leid. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, als du mir deine Vision erzählt hast, überfiel mich selbst ein merkwürdiges Gefühl, als ob ich dich tatsächlich auch schon lange kennen würde. Können wir uns mal auf einen Kaffee treffen?“
„Gerne, aber ich möchte nicht zwischen dir und Robert stehen.“