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Die Liebe ist ein Phänomen und kann sich unter den Menschen vielfältig und deshalb oft nicht verständlich zum Ausdruck bringen. Die Vergangenheit des Autors Robin und der Diebin Juliana scheint unüberwindbar.Ihre Wege kreuzen sich auf die unterschiedlichsten Arten und ihre Begegnungen prägen sich trotz gegenteiliger Ansichten tiefer und tiefer.
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Seitenzahl: 154
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Der Autor
Joachim Schmidt
Schreibt Literatur zwischen Diesseits und Jenseits
Erschienene Werke:
Hinter den Tapeten, Das Geheimnis des Ringinger Erdstalls, Der Kelch, Leonard in der Wo-Anderswelt
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© 2014 Joachim Schmidt
Umschlaggestaltung, Illustration: Joachim Schmidt
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-7857-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Joachim Schmidt
Die Gezeitenfrau
Im Strom der Liebe
Vorwort
Nicht selten fühlt sich die Liebe im Alltag oder zwischen Partnern an, als wäre sie ein Gezeitenstrom. Nicht so regelmäßig, doch im Laufe eines Lebens fast so häufig.
Wo gibt es eine fortwährende Liebe ohne Unterbrechung? Gibt es sie überhaupt? oder sind wir Menschen mit dieser Vorgabe überfordert?
Doch eines scheint sicher: Liebesströme verändern sich und lassen sich verändern.
Die erste Begegnung
Hier sollte es passieren. Die zwei Kastanienbäume, die Kirche, der Brunnen, alles so, wie er es gesehen hatte. Außerdem spürte er, dass es demnächst geschehen musste. Völlig unbekannt war ihm, wer es durchführen würde. So unauffällig wie möglich platzierte er seinen schlanken Körper gegenüber dem Geschäft. Ihn fröstelte. So lange er zurückdenken konnte, wehte an dieser Stelle Wind. Hervorgerufen durch die Auf- und Abwinde zwischen den umliegenden Anhöhen rings um die Stadt. „Winter wie Sommer bläst dieser kühle, unangenehme Wind“, dachte Robin
Robin, Autor von Beruf, fragte sich, wer sich so früh am Morgen hier zu schaffen machen wollte. Nun gut, nur wenige Menschen passierten um diese Zeit diese Stelle und dann auch noch montags, das mochte ein Vorteil sein, aber in diesem Laden gab es doch nichts besonders Wertvolles. Uhren und Armbänder im Wert von vielleicht fünf-, sechshundert Euros. War es das wert?
Das Gitter vor den Schaufenstern verschwand quietschend nach oben, als ihm bewusst wurde, wie unnatürlich er sich postiert hatte. Wie war das doch gleich? Lasen Detektive nicht Zeitung, während sie beobachteten? Schnell lief Robin zum nicht weit entfernten Kiosk. Noch während er zurückjoggte, bohrte er ein kleines Loch durch die Blätter, um seiner Ansicht nach ganz professionell zu wirken. Auch durfte er sich nicht allzu sehr auf das Kommende fokussieren, denn dies, so wusste er aus eigener Erfahrung, könnte die beteiligten Personen vorzeitig alarmieren. Also schlug Rob den Sportteil auf. Montags interessierten ihn viele Ergebnisse aus der Region, die ihn jetzt gedanklich ablenken konnten.
Und Robins Interesse wurde abgelenkt, aber es verlagerte sich in Richtung Laden. Ein schön dekoriertes und stark durch Strahler beleuchtetes Juweliergeschäft mit Uhren, Armbändern, Ringen und Halsketten in der Auslage. Nichts was ihn wirklich interessiert hätte. Selbst das beleuchtete Aushängeschild schillerte in allen Farben und schien von Rubinen und Smaragden besetzt, eine richtige Aufforderung zum Anschauen und um eventuell in den Laden zu gehen. Dieses Funkeln und Glitzern beeindruckte ihn einfach nicht. „Ist doch alles nur Plunder“, flüsterte er.
Trotzdem wuchs seine innere Anspannung. Robin konnte sich nicht erklären, warum er sich so sicher war, denn nur wenige Bilder waren kurz vor dem Aufwachen auf seiner geistigen Internetseite erschienen. Vielleicht hatten sich auch nur Rudimente eines langen Traumes gezeigt? Nein, er war sich sicher, so sicher wie nie bei irgendeiner eigenen Traumanalyse.
Aus den Augenwinkeln nahm Rob Bewegungen war. Ein Mann schob sich in sein Gesichtsfeld. Sechs-Tage-Bart, abgegriffener Mantel, Krawatte, zerknitterte Hutkrempe. Sein negativ-positiv Profilraster sortierte ihn aus. Ein zweiter Mann folgte. Ein abgerissener Typ, mit gelöcherter, schmuddeliger Jeanshose, einem langen, speckigen Pferdeschwanz, dickbauchig. „Nee, der stiehlt, klaut, betrügt auf eine billigere Art, so etwas ist nicht sein Stil, dazu bräuchte er mehr Selbstvertrauen.“ Eine Frau folgte mit Einkaufskorb, blieb vor dem Schaufenster stehen, schaute zuerst verdächtig die Straße nach unten, dann wieder auf die Auslage im Schaufenster. Sie und Schmuckraub, Robin schmunzelte in sich hinein, obwohl als biedere Hausfrau getarnt, warum nicht?
Acht Mal hintereinander ertönte auf einmal die große Glocke des höchsten Kirchturms der Welt. Wie Paukenschläge klangen sie in seinen Ohren. Er drehte vorsichtig den Kopf und dann sah er sie. Diese Art von Begrüßung stand ihr eindeutig zu. Mittleren Alters, Stöckelschuhe, enganliegende Jeans, elegante Lederjacke, hochgesteckte Haare, bildhübsch, berauschend, faszinierend, umwerfend.
„Das darf nicht wahr sein.“ Robin zweifelte an seiner Wahrnehmung. „Keine maskierten Männer, knallharten Typen, die aus Autos stürmen, mit Äxten bewaffnet, um damit die Scheibe aus Sicherheitsglas zu zertrümmern? Nein, eine wunderschöne Frau, ein Model aus einer Zeitschrift. Vermutlich aus einer Welt der oberen Zehntausend.“ Robin konnte es nicht glauben, so etwas hatte ihm sein Traum nicht offenbart gehabt. Und er war ihr völlig gleichgültig, wie er so dastand, mit seiner gelöcherten Zeitung in der Hand. Sie würdigte ihn keines Blickes. Sehr selbstbewusst, mit sicherem Schritt, überquerte sie die Straße in Richtung Juweliergeschäft.
Genau genommen lief sie nicht. Geschmeidig, wie eine Wildkatze und hellwach, enteignete sie Meter für Meter dieses Gehsteigs ihren sonstigen Besitzern und machte ihn zu ihrem persönlichen Laufsteg, ihrem Terrain.
Dann, als ob sie durch das Lichterspiel des Schaufensters abgelenkt worden wäre, blieb sie plötzlich stehen, betrachtete die ausgelegte Ware und verschwand kurz darauf durch die Eingangstüre.
Seine, nun lächerlich wirkende, Tarnung stufte er spontan als nicht mehr wichtig ein und legte sie deshalb zusammen. Die Frau hatte keinerlei ängstliche oder vorsichtige Blicke ausgesandt, die ihre Absicht hätten verraten können. Rob klemmte also seine Zeitung unter den Arm, überquerte ebenfalls die Straße und versuchte im Schaufenster, über den ausgelegten Schmuck, durch den dahinter hängenden Vorhang zu schauen. Vergebens, nicht ein geringster Spalt, der die Neugier seiner Augen hätte befriedigen können. Also schlenderte er, nachdem er lange in das Fenster gestarrt hatte, bis zum Eingang weiter. Ohne auch nur den geringsten optischen Erfolg verbuchen zu können, vertiefte sich Rob wieder in seine aufgeteilte Zeitung, lief lesend in die Richtung weiter, aus der die Frau gekommen war.
Wie die Hufe eines Fohlens, klangen ihre Absätze in seinen Ohren. Nicht eilig, nicht langsam, einfach leicht und sicher, fest mit dem Boden verbunden. Warum sie? Eine selbstbewusste Schönheit auf Diebestour? Sie hätte bestimmt tausend Möglichkeiten ihr Geld anderweitig zu verdienen. Und dann, was hatte das Ganze mit ihm zu tun? Warum erschien ihm ihre Tat in einem Traum, wie ein Blick in die Zukunft? So viele Menschen betrügen tagaus, tagein auf der ganzen Welt, aber ausgerechnet sie musste es sein, die sich in sein Unterbewusstsein geschlichen hatte, warum?
Robin musste sich gedulden. Vielleicht fand er mehr über weitere Beobachtungen heraus. Die Gewissheit, dass direkt jetzt im Anschluss eine zweite Tat folgen würde, zwang ihn geradezu, ihr zu folgen. Ein kurzer Blick streifte seine Wange, zwang seinen Atem zur Kürze und sein Herz zu einer spürbar, intensiveren Arbeit, dann war sie vorbei. Für mehr als einen schrägen Blick, schien er ihr nicht wert gewesen zu sein, er Robin, mit seiner verwaschenen, grünen Öko-Jacke, seinen locker gekämmten, welligen Haaren, seiner langen, bebrillten, etwas scharfgeschnittenen Nase, mit der er schon oft bewiesen hatte, dass er auch psychische Problematiken bestens riechen und analysieren konnte.
Ihre Hüften leicht schwingend, glitt sie an ihm vorüber. Ihr dezentes Parfüm zog ihn, wie ein Sog hinter ihr her. Dieser Spur hätte er mit geschlossenen Augen folgen können. Doch dann entschied er sich für ein Cafe, von dem aus, er bestens ihr weiteres Vorgehen bewundern konnte. Rob sah es förmlich vor seinen Augen, wie das kostbare Armband, während sie die Verkäuferin in ein intensives Gespräch von Auge zu Auge verwickelte, blitzschnell den Besitzer wechselte und an dessen Stelle eine Kopie lag. Ein Schmuckstück mit falsch besetzten Swarovski Steinen. Viele Stunden des Trainierens musste es sie gekostet haben, um dieses Kunststück blind und so rasch durchführen zu lassen.
Sie schaute in ihre Tasche, aber wie das Leben so spielt, reichte ihr Bargeld leider nicht aus. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem zwinkernden Auge, das dem Verkäufer verriet, sie würde wieder kommen, vermutlich dann mit einem Scheck ihres Mannes, entschuldigte sie sich und verließ das Geschäft. Nichts hatte Robin wirklich gesehen und trotzdem war er sich sicher, dass sich alles so zugetragen hatte.
Keine fünf Minuten später erschien sie siegessicher, mit Stolz erhobenem Haupt, vor der sich schließenden Tür des Juweliergeschäftes. Sie verschwand im Bahnhof, wahrscheinlich für immer. Was für ein einmaliges Erlebnis für Rob, an diesem ungemütlichen, regnerischen Tag. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen die Polizei zu rufen. Warum verstanden es die Besitzer der Juwelenateliers auch nicht ihre Läden richtig abzusichern? Vielleicht zu geizig? Und überhaupt, diese Frau wäre in einem Gefängnis vollkommen fehl am Platz gewesen, so etwas konnte man der Öffentlichkeit bzw. den Männern nicht vorenthalten. Und wer sagte denn, dass der Besitzer dieses Ladens nicht selbst ein Betrüger war? Woher bezog er seine Waren? Verkaufte er sie nicht viel zu teuer? War hier alles legal?
Aber was sollte Robin nun tun? Warum das alles? Welch tiefer Sinn steckte hinter diesem für ihn einmaligen Schauspiel? Er selbst fühlte sich gegenüber diesen kriminellen Machenschaften völlig immun. Ehrlichkeit ging ihm über alles. So faszinierend diese Frau auch äußerlich auftrat, für ihn war sie tabu, niemals würde er sich auf so etwas einlassen. Der Charakter eines Menschen hatte für ihn in seinem Leben schon immer eine entscheidende Rolle gespielt. „Lass dich nie auf zwielichtige Dinge ein“, hatte Rob irgendwann einmal in seinem frühen Leben gelernt und begriffen. „Alles Schlechte und alles Gute kehrt immer wieder zu seinem Ursprung zurück.“
Während er vor sich hin sinnierte und eigentlich schon fast bedauerte, dass alles vorbei sein sollte, durchflutete ihn eine reiche Anzahl neuer Bilder. Bilder einer schönen, kulturell anspruchsvollen Stadt, mit jeder Menge an alten Kirchen, einem Dom und vielen frei herumstehenden Skulpturen. Besonders an einer Brücke hatte sein inneres Auge Gefallen gefunden. Auf ihr fand ein reges Treiben statt. Viele kleine Läden standen an ein steinernes Geländer geschmiegt. Einem Film ähnlich, zogen diese Momentaufnahmen in ihm vorbei.
Jetzt erst meldete seine, sich selbst bewusst gewordene Erinnerung. Florenz, es musste Florenz sein, was er da eben gesehen hatte. Zwar lag seine Begegnung mit dieser Stadt schon mehr als zwanzig Jahre zurück, aber an diese alte Vecchio-Brücke, die die Ufer des Arnos miteinander verband, erinnerte er sich dennoch genau. Wenn man einmal im Leben über diese Brücke gelaufen war, wird man sie ewig in Erinnerung behalten und sie sofort mit der Goldschmiedekunst und dem Kunsthandwerk des Mittelalters in Beziehung bringen. Diese Arbeiten werden dort seit mindestens 500 Jahren mit beträchtlichem Ansehen ausgeübt. „Ist das die Verbindung zu dieser Frau? Eine Brücke zur Kunst des Goldschmiedens?“ fragte er sich.
Deutlicher konnte die Aufforderung, sofort dorthin zu reisen, nicht ausfallen und nichts konnte ihn jetzt noch aufhalten. Er würde sie wieder treffen, diese stolze, hübsche, diebische Prinzessin. Sein Beruf als Schriftsteller würde es ihm erlauben, kurzfristig alles zu lassen und vielleicht verbarg sich sogar genügend literarischer Stoff für ein neues Buch hinter dieser ganzen Geschichte.
Florenz
Schon am Tag darauf, frühmorgens, stand Robin mit seinem geschulterten Rucksack auf dem Bahnhof. Die Fahrt von Ulm über München, Innsbruck, dann entlang des Gardasees in die Toskana, schien durch seine Erwartungshaltung bedingt unendlich in die Länge gedehnt, gleichzeitig auch immer wieder von vielerlei spekulativen Gedanken unterbrochen, sodass letztendlich seine Geduld nicht überstrapaziert worden war.
„Was weiß ich schon von dieser Frau? Sie hat sich einfach in mein Bewusstsein gedrängt. Dann stiehlt sie Schmuck auf eine Art, wie ich es niemals tun würde, selbst wenn es mir finanziell noch so schlecht gingeund gleichzeitig bewundere ich die Art ihres Vorgehens. Mut, Raffinesse, Kreativität vereinen sich in ihr“, dachte Rob. „Ist dies überhaupt möglich? Wo bleiben ihre gesellschaftlichen Werte, ihr religiöses Bewusstsein, ihr Gewissen, was letztendlich über Gut und Böse entscheidet? Diese Frau verkörpert das Gegenteil von mir und meinen Vorstellungen eines legalen, gesellschaftlichen Lebens.“
Wie fast immer auf seinen Reisen in den Süden, veränderte sich das Wetter hinter den Alpen radikal. Von einem schlechten Laune-Tief, wechselte es zu einer milden, sich wohlfühlenden, herzöffnenden Hochwetterlage.
Robin erreichte um 19 Uhr den Hauptbahnhof von Florenz, den „Statione Santa Maria Novella“. Von hier aus suchte er ein Hotel in der Nähe der „Ponte Vecchio“ Brücke, die den Fluss Arno überspannte. Nur die großen braun-gerollten Blätter der Platanen, die die Gehsteige säumten, riefen in ihm die spätsommerliche Jahreszeit ins Gedächtnis. Der milde, sanfte, abendliche Wind, verführte die Menschen dazu, im Freien in den Cafes zu sitzen, zum Promenieren zwischen den verglasten Touristenläden und Modekaufhäusern, zum Entlangspazieren marmorierter Fronten großer Banken und Geschäftshäusern. Fast wie im Sommer, herrschte hier ein reges Treiben. Die Touristen waren, wie schon damals vor zwanzig Jahren, weit in der Überzahl. Sie verursachten, das unruhige Leben, in dieser herrlichen Stadt. Wenn sich Rob diesen toskanischen Mittelpunkt nur seinen Einwohnern ohne Touristen vorstellte, dann konnte er sich ohne weiteres in die Zeit der großen Meister Michelangelo oder Leonardo da Vinci versetzen, denn überall fielen ihm Skulpturen und alte, reichlich verzierte Gebäude aus jener Zeit ins Auge.
Die Sonne hüllte das Wasser, die Häuser sowie die Brücke in eine orangene Aura und versank langsam hinter den Fassaden. Eine Augenweide ganz besonderer Art für Robin, die er genoss. Tief atmete er aus und ein.
Das Hotel Berchelli, in dem er eigentlich absteigen wollte, bot einen wunderbaren Blick auf den„ Ponte-Vechio“, eine der interessanten Brücken von Florenz. Täglich werden tausende Touristen von ihr angezogen. Sie besitzt ein reizvolles Flair, besonders für Menschen, die sich gerne mit wertvollen Schmuckstücken umgeben und bewundern lassen wollen. Aber auch für mehr kunstorientierte Stadtbesucher war es geradezu Pflicht, mindestens einmal diese Brücke zu überschreiten.
Viele mittelalterlich anmutende, zwei- bis dreistöckige hölzerne Läden säumten die Seiten der Brücke. In ihnen befanden sich oft Kunsthandwerker, Goldschmiede- und Juwelierwerkstätten. Vor 1570 waren Gerber und Metzger auf der Brücke angesiedelt gewesen, die die Wassernähe des Arnos nutzten, um ihren stinkenden Unrat ins Wasser zu werfen und ihn vom Fluss gleich abtransportieren zu lassen.
Die zweite Begegnung
Robin saß in Gedanken vertieft gegenüber einem kleinen Juwelierladen. Wie in Ulm, war er sich absolut sicher, dass sie hier wieder auftauchen würde. Vielleicht ließ sie sich noch Zeit oder machte sich ja noch in anderen Läden zu schaffen, um neue Swarovski-Steine für Ketten und Armbänder zu organisieren. Wenn Robin seine Arbeit beendet hatte trieb das Leben auch ihn von einer selbst erschaffenen Wichtigkeit zur nächsten. Diese Frau wusste Schmuckstücke auf eine bestimmte Art so zu kopieren, dass man, wie es auch Bildfälscher mit Werken alter Meistern taten, die man kaum von echten Gemälden zu unterscheiden vermochte. „Weshalb nutzt sie ihre Fähigkeiten nicht in einer eigenen, angemeldeten Werkstatt?“ Eine Frage, die er einfach nicht beantworten konnte.
Bestimmt benötigte die Schöne für die Herstellung ihrer Duplikate viel Zeit oder sie hatte bereits vorgearbeitet und vertrieb sich ihre Freizeit auf eine andere, angenehmere Weise.
Seine Sinne hatten sie bereits entdeckt. Magisch angezogen, wandte er den Kopf. Wie in vergangenen Zeiten bei einer schönen Wohlhabende hoch zu Ross, folgten ihr viele neidische Blicke, wie sie über die alte Brücke schlenderte und ihre Konkurrentinnen in den Schatten stellte.
Ohne von diesem Ego unterstützenden, prickelnden Spießrutenlauf groß Notiz zu nehmen, schritt sie, sich zwischen den Touristen durchschlängelnd, über die Brücke auf Robs „erträumten“ Laden zu. Ob auch ihr bevorzugtes Modegeschäft hier in Florenz angesiedelt war? Es würde zu ihrem Outfit passen, Markenware der berühmtesten florentinischen Modedesigner zu tragen.
Aber vielleicht war dies alles wirklich nur einer seiner Träume gewesen, den er womöglich noch immer träumte? Ein sogenannter Wachtraum? So etwas sollte es geben. Wenn man sich zwickte, spürte man sich trotzdem. Nein, nein, nein, diese Gerüche von gerösteten Mandeln und Kastanien, dieser modrige Geruch des Flusses, das alles konnte kein Traum sein. „Realität, nichts als Realität“, dachte er.
Dann ihr Blick, wie ein Schuss. Er traf ihn an seiner empfindlichsten Stelle. Sein Herzschlag verhielt sich kurz abnormal stockend, dann wieder sehr schnell. Nur einen winzigen Moment lang schienen sich ihre Augen zu verklären, als ob sie sich an etwas erinnern wollte, an etwas ganz Uraltes vielleicht? Die kleine Falte, die sich im gleichen Moment zwischen ihren Augen bildete, bestätigte seinen Gedankenblitz, dann war auch schon wieder alles vorbei. Nur ein leicht herber Duft, den er bereits kannte, streifte seine Nase.
Konnte es sein? Hatte sie ihn von ihrer kurzen Begegnung in Erinnerung behalten, oder gab es da etwas anderes zwischen ihnen, was sie verband? Eine nicht alltägliche Begegnung, von einer ganz besonderen Art war es zweifelsfrei, dessen war sich Robin sicher. Leider zu kurz, um Vergangenes an die Oberfläche des Bewusstseins zu schwemmen, zu kurz und haltlos. Gleich würde sie hier in diesem kleinen Laden verschwinden, ihre Umhängetasche von ihrem Inhalt befreit auf der Ladentheke entleeren. Aber es kam ganz anders.
Kaum hatte sie die Türe hinter sich geschlossen, drängte auch schon ein kräftiger, junger Mann mit derbem Gesichtsausdruck und einer schwarzer Lockenpracht in das Geschäft. Robins Gefühlswelt änderte sich schlagartig. Ihn fröstelte leicht. Hier stimmte etwas nicht. Er lehnte seinen Rucksack ans Geländer und schlenderte betont gelassen zum Laden. Aussichtslos, er konnte nichts erkennen. Die Gläserne Schauwand, zu sehr mit allem möglichen Krimskrams drapiert, vereitelte eine erfolgreiche Suche seiner Augen. Schnell begab er sich zur Seite des Ladens, in der Hoffnung von hier aus etwas in Erfahrung bringen zu können. Aus einem kleinen Fenster, das zu klein und zu hoch war, um durchklettern zu können, vernahm er ein leises Stöhnen. Dann ein lautes Türeschlagen und schnell wegeilende Schritte. Sofort schaute er um die Ecke, konnte aber nur noch eine dunkle Gestalt sehen, die zwischen den Touristen untertauchte. Hier war etwas ganz gewaltig faul. Das stank ja mehr zum Himmel, als dieser träg fließende, von allerlei Unrat angefüllte Arno. Alle Vorsichtsmaßnahmen fielen mit einem Schlag von ihm ab. Mutig betrat Robin den Laden. Er war leer. Im sich anschließenden Räumchen, vernahm er ein leises Scharren. Wie er erwartet hatte, lagen ein alter Mann, vermutlich der Goldschmiedemeister selbst, sowie die Schöne, gefesselt und mit Klebeband vor dem Mund, auf dem Boden.
Jetzt kam er sich natürlich schon ein bisschen wie ein Held vor, als er beide aus ihrer unglücklichen Lage befreite. Sie fand seinen Blick, ein zweites Mal. Merkwürdigerweise lächelte sie ein wenig. Spürte er da eine winzige ängstliche Verlegenheit? Oder nur eine verletzte Überheblichkeit? Sie bedankte sich nach ihrer Befreiung überschwänglich. Auch der alte Mann, nun von den unangenehmen Bändern über seinem Mundentledigt, raffte sich auf, setzte sich auf einen Stuhl und jammerte in einem fort:
„Mein Schmuck, mein ganzer Schmuck, alles weg, wer soll das bezahlen?“
„Sie sind doch sicherlich versichert?“
„Ja schon aber das verstehen sie nicht.“
„Bitte holen sie die Polizei.“