10,90 €
Bertram, auch Wolf genannt, erlebt zusammen mit seinem tierischen Freund Wölfchen die seltene Geburt eines pflanzlich-fleischlichen Kelches. In der Mitte dieses Kelches entwickelt sich eine einmalige Perle, die von Ehrrek, dem Oberhaupt eines Zwergenvolkes, illegal entwendet wird. Über eine schlaue Kröte gelangt die Perle wieder zu ihrer Geburtsstätte zurück. Dort allerdings will man sie so schnell wie möglich wieder loswerden, denn sie bedroht mit ihrer strahlenden Reinheit ein erst neu gegründetes Schattenreich. Tombruck, dem selbsternannten Anführer dieses Reiches, gelingt es mit Hilfe von schwarzen Perlen, dunkle Gestalten vom Jenseits in das Diesseits zu befördern. Diese negativ gepolten Figuren beschaffen sich Körper von psychisch unausgeglichenen, schwachen Menschen, um in ihnen zu leben. Zwerge, wie Menschen, suchen nach Möglichkeiten, dieser permanenten und immer größer werdenden Gefahr zu begegnen. Ein fast aussichtsloses Unterfangen wendet sich erst zum Guten, als es Wolfs Vater, Herrmann, sowie Ehrrek gelingt, gemeinsam eine unblutige Lösung zu finden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2014
www.tredition.de
Der Autor
Joachim Schmidt
Schreibt Literatur vom Diesseits und Jenseits.
Bereits erschienen:
Hinter den Tapeten,
Das Geheimnis des Ringinger Erdstalls,
Leonard in der Wo-Anderswelt,
Peter, Patricia und das Ulmer Münster.
Der Autor lebt heute mit Ehefrau und zwei Töchtern in einem Dorf bei Ulm.
Joachim Schmidt
Der Kelch
Die Vertreibung der Schatten
www.tredition.de
© 2014 Joachim Schmidt
Umschlaggestaltung, Illustration: Joachim Schmidt
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-7631-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Unsere Erde besitzt energetische Strukturen, die permanent auf uns und unser Leben einwirken. Nichts ist Zufall, alles passt und spielt auf eine gewisse Art und Weise, wie ein Puzzle ineinander und miteinander. Vieles ist für uns Menschen nicht erklär- oder sichtbar, denn es gibt eine unsichtbare und deshalb nur schwer begreifbare Welt, um uns herum. Wir sind in ihr und mit ihr verwoben. Die greifbare Welt wurde geschaffen, aber vermutlich nicht für immer, denn alles, was auf ihr lebt ist einer Vergänglichkeit unterworfen. Alles, unsere gesamte Umwelt, einschließlich Erde und Weltall streben deshalb vermutlich auf ein Ende zu.
Die universelle Welt ist ein Ausdruck unendlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Inwieweit der Mensch selbst an ihrer Erschaffung teilnimmt bzw. teilgenommen hat, wissen wir nicht. Wir können aber erahnen, dass er zumindest mitgewirkt hat und immer noch mitwirkt, wenn auch nicht immer sehr positiv.
Das Dunkle und das Helle zwei Gegenpole, die immer wieder aufeinander treffen. Sie müssen sein, denn nur sie können das Dasein der Welt erklären.
Der Kelch
Ein Buch „for all“
Keine Menschenseele konnte es ahnen, allenfalls ein weiser Zwerg oder ein weises Tier, denn der Mensch hatte sich schon zu weit von seiner eigenen Natur entfernt, als dass er es hätte bemerken können. Dieses Ereignis oder auch Wunder kann, wenn überhaupt immer nur zur selben Zeit, zur Lichtmess stattfinden, aber …
In einer von Wind und Kälte geschützten Höhle, dort, wo der Braunpelz seinen Winterschlaf hält, ereignete sich in dem Augenblick, als dieser erwachte, etwas ganz Außergewöhnliches. Seit Jahrhunderten war es nicht mehr geschehen. Nun aber sprachen alle Zeichen dafür, dass es wieder einmal eintreten würde. Es musste innerhalb eines Tages geschehen, während einer ganz bestimmten Zeitqualität.
Verpasste der Bär diesen ereignisreichen Zeitpunkt nicht, um nach dem Frühling zu schauen? War die Luft absolut von der Sonne geklärt, schien diese in einem bestimmten Winkel durch die drei mächtigen Eichen zu einer kleinen Stelle in der Höhle, lief das Wasser im Fluss auch kräftig genug, um überall die großen runden Kiesel zu benetzen, damit sie einen besonderen Klang erzeugen konnten, so waren die Voraussetzungen für dieses außergewöhnliche Geschehen beinahe geschaffen.
Aber nichts, gar nichts würde passieren, wenn auch nur das geringste Puzzleteilchen fehlen würde. Vermutlich würden wieder Jahre, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende vergehen, bis sich so eine günstige Konstellation für dieses Geschehen von neuem einstellte.
Jetzt zur Lichtmess aber, wo der aufsteigende Nebel der Sonne ein mystisches Kleid übergestülpt hatte, sodass der Wald aussah, als würde er von dampfenden Geistern durchzogen, blinzelte der schon deutlich schlanker gewordene Bär in einen feinen Sonnenstrahl, der durch ein kleines Loch ins Innere der Höhle fiel. Langsam, noch etwas steif erhob er sich, streckte alle Glieder so stark von sich, dass man deutlich hören konnte, wie sie knackten und verrichtete, während er zur Höhle hinausschaute, zum ersten Mal seine Notdurft.
Diese fiel, dem Himmel sei Dank, genau auf den richtigen Punkt, nämlich exakt dorthin, wo sich die göttlichen Energien zu verdichten begannen. Sie komprimierten sich nun zu einem kleinen Kern, auch Same genannt, der schon während er eine harte Schale um sich bildete, bereits eine Botschaft in sich trug, die nur noch eine ganz bestimmte Temperatur benötigte, um sie in das Leben auf der Erde zu übertragen.
***
„Hier sind die drei Eichen!“ riefen die drei Zwerge gleichzeitig.
„Und jetzt?“ fragte der Kleinste unter ihnen.
„Und jetzt setzen wir uns dort auf den Stein und beobachten, was passiert.“
„Und das soll‘s dann gewesen sein?“
„Du kleiner Ungeduld, habe ich nicht gesagt, dass wir warten müssen? Wir selbst können nichts tun. Wenn wir Glück haben, geschieht etwas ganz Außergewöhnliches. Wir erkennen es nur an seiner Einzigartigkeit, deshalb Ruhe jetzt, spürt in euch und beobachtet, wo es erscheint.“
Alles passte, wie mit der Stechuhr gemessen. Der Bär, der erkannt hatte, dass die Zeit zum Jagen bald günstiger sein würde, zog sich wieder in die Höhle zurück. Die noch ganz zart sprießenden Wurzeln des Samens, nun von der Wärme und den Mineralien des Bärendungs verwöhnt, holten sich die Kraft für das Werdende.
***
Zur gleichen Zeit, es war noch sehr früh am Morgen, erklomm der junge Sohn des Bergbauern den felsigen Berg hinter der Hütte. Nebelschwaden umsäumten die Baumwipfel und vom nahgelegenen Bach vernahm er das glucksend, schmatzende Geräusch des über die Steine strömenden Wassers. Er spürte den wieder erwachten, Leben spendenden Impuls der Natur ganz genau. Das helle Licht, das sich an diesem Tag ausgebreitet hatte, besaß eine andere Kraft, nicht wie die Kraft zur Winterzeit. Vermutlich verursachte diese neue Helligkeit, den Kick für das neue Wachstum in der Natur.
Irgendwie floss auch das Blut in den Adern des Bären leichter und gab ihm das Gefühl jünger, frischer und aufgeweckter zu sein als im vergangenen Jahr. Die Erde, das auf dem Boden liegende noch nicht zerfallene Laub, die gebrochenen Äste und die halbvermoderten, zum Teil schon verwitterten, alten Baumrümpfe von den Jahren zuvor, rochen intensiver, als ob die Erde durch sie ausatmen würde. Der Junge liebte und kannte diesen Geruch aus seiner 15-jährigen Lebenserfahrung. So viele Zeichen deuteten darauf hin, dass heute ein besonderer Entwicklungsabschnitt der Natur beginnen würde. Auch die Tiere, die ihm begegneten verhielten sich ganz anders, viel wacher, hellhöriger und manche waren schon bereit nach Partnern Ausschau zu halten.
Der Schnee ganz oben bei der Bärenhöhle lag nur noch an manchen Stellen. Dieses Jahr hatten die Bergbauern umsonst auf den meterhohen Schnee gewartet. Dafür hatte den Winter eine klirrende Kälte begleitet, die das ganze, im Herbst gesammelte und aufgeschichtete Holz zur Neige hatte gehen lassen.
Der Junge musste heute einfach früher als sonst aufstehen. Keine noch so dicke Pelzdecke konnte ihn mit ihrer kuschligen Wärme zurückhalten. Als ob jemand ein Feuer in ihm angezündet hätte, das jetzt munter vor sich hin züngelte, um das zu verbrennen, was sich in der kalten, bewegungsarmen Jahreszeit in ihm abgelagert hatte. Er würde einfach oben am Berg, wo wie jedes Frühjahr, viel gebrochene Äste und Zweige zum Feuermachen lagen, sammeln gehen. Seine Eltern würden sich freuen, wenn sie von ihrem Bett aus das knisternde, wärmende Feuer im Herd hören würden.
Er hatte bereits die Hälfte des Weges zurück gelegt, als er ein Rascheln von altem, gefrorenem Laub und leise Stimmen vernahm. Gewohnt, sich vor größeren Tieren und Elementarwesen in acht zu nehmen, versteckte er sich sofort hinter einem Felsen und zwängte sich vorsichtig, ohne unnötige Geräusche zu produzieren, in einen kleinen Felsspalt. Es dauerte nicht lange, bis drei kleine Wichtel, Nebelfetzen hinter sich herziehend, aus den wabernden, weißen Schwaden auftauchten, eifrig diskutierend ohne dabei ihre Umwelt zu beachten.
Wolf, so nannte man den Jungen, und sein Vater, Herrmann, waren die einzigen in der Familie, die diese Männchen sehen und hören konnten. Um die Gespräche dieser Wichtel besser zu verstehen, legte er seine zu Muscheln geformten Hände hinter die Ohren und vernahm mit großem Staunen, was sie zu diskutieren hatten. Es war nicht einfach, denn eigentlich sprachen sie nicht miteinander, weil jeder gleichzeitig seine Meinung äußern wollte.
„Glaubt mir, heute ist der Tag, auf den wir alle schon lange warten. Heute wird es passieren.“
„Ja“, unterbrach ihn der nächste, der Mond heute Nacht, hell und rund, der dichte, weiße Nebel, die Luft, ich spüre das Ereignis geradezu vibrieren.“
„Aber wo?“ meldete sich der dritte zu Wort. „Wo wird es und was wird geschehen?“
„Spürt in euch, Brüder, ich fühle, dass es oben am Berg in Erscheinung treten wird.“
„Nein, nein unten am Bach, dort vermute ich es, dort wo Moos und Wasser im Einklang stehen, ich kann euch den Stein zeigen, wo es geschehen wird.“
„Glaube ich nicht, kennt ihr die drei wilden Eichen“, widersprach der Älteste, „wenn ich dort Eicheln für die Tiere sammle, fühle ich meinen Körper wie von Magie umsponnen. Der Ort, den wir suchen befindet sich bestimmt dort ganz in der Nähe dieser Bäume. Vielleicht sogar in der Höhle des Braunen?“
„Schauen wir am besten zuerst dort nach“, meinte ein anderer Zwerg.
„Ich weiß nicht so recht“, stammelte der Kleinste, „ich glaube eher dort unten am …“ Wolf bekam Mitleid mit dem Wichtel, als plötzlich alle wieder von den Nebelschwaden verschlungen wurden.
„Was war das?“ dachte Wolf, „von welchem Ereignis sprachen die drei? Ich muss ihnen folgen.“ Auf Zehenspitzen, immer darauf bedacht, kein Zweiglein unter seinen Füßen zu zerbrechen, folgte er dem sich entfernenden Geflüster, das inzwischen immer mehr zu einem Streitgespräch auszuarten schien.
„Wir wollen den Ort finden, aber wenn ihr glaubt oben am Berg suchen zu müssen, dann seid ihr auf dem Holzpfad. Unten am Fluss, dort wird es passieren.“
„Wir haben uns, zwei zu eins, gegen dich entschieden, also gib endlich Ruhe, du weckst noch sämtliche Waldgeister auf und dann haben wir keine Zeit mehr zu beobachten.
Wolf lief nur nach Gehör, aber jetzt, als die Zwerge ohne zu sprechen den Hang nach oben hasteten, musste er sich auf sein Gefühl und seine Ortskenntnis verlassen. Die drei Bäume kannte er. Es stimmte, dort fühlte sich auch er immer sehr wohl und ganz besonders kräftig. Man konnte weit über das Tal, bis in die Ebene blicken, wo die kleinen Dörfer standen, in welche seine Eltern und er oft zum Tauschen und Verkaufen von Milchprodukten auf die Märkte gingen.
Mit riesenhaften Fratzen, deren Münder weit aufgerissen standen und ihren großen, aufgequollenen Augen, die auf ihn herab zu stieren schienen, krochen die weißen Schemen zwischen den kahlen Bäumen den Hang hinauf. Trotzdem war er froh, dass sich der Nebel immer wieder nach oben hin öffnete. Wolf hatte vor Nebelgeistern genauso wenig Angst, wie vor den Zwergen, Gnomen oder wilden Tieren, was nicht bedeutete, dass er keinen Respekt vor ihnen gehabt hätte. Seit Jahren wusste er, wie er sich in ihrer Nähe zu verhalten hatte. Er kannte ihre Gewohnheiten und respektierte sie und deshalb wurde auch er von ihnen toleriert. Ein bekanntes Heulen ließ ihn aufhorchen.
„Hier“, flüsterte der alte Zwerg mit dem weißen Bart, „hier auf diesen Stein werden wir uns setzen, mit dem Rücken gegeneinander und jeder beobachtet ganz genau, ob etwas Ungewöhnliches innerhalb seines Blickwinkels geschieht. Vor dem Tier, das ihr gehört habt, brauchen wir uns nicht zu fürchten, es ist
„Ja“, dachte Wolf, „du kennst meinen Freund, keiner heult so freundlich wie er, vermutlich hat er mich gewittert.“ Kaum ausgedacht, tauchte der Wolf auch schon aus dem Unterholz auf, winselnd und mit hoch erhobenem, wedelndem Schwanz, trabte er auf seinen Freund zu.
„Ruhig, ganz ruhig, mein Guter“, besänftigte ihn sein großer menschlicher Bruder. „Du musst jetzt ganz still sein. Ich verfolge die Zwerge, die haben was vor und ich möchte gerne wissen, was.“ Der Wolfshund spitzte die Ohren, als ob er verstehen könnte und vielleicht verstand er tatsächlich, denn er kannte den Bergbauernsohn schon, als Welpe. Durch eine Auseinandersetzung mit den Braunbären hatte er beide Eltern verloren und dieser Junge hatte ihn winselnd vor Hunger und ganz allein, im Wald gefunden, mit nach Hause genommen und ihn groß gezogen. Der Menschenjunge war zu seinem Tier-Vater geworden. Wenn er sich an ihn drückte und sich an seinen Beinen rieb, erkannte man, dass dieser Wolf alles für den Jungen tun würde, um ihn vor Gefahren zu schützen. Das war auch der Grund, warum Bertram von seinen Eltern und Freunden Wolf genannt wurde. Die Freundschaft mit einem Zwillingsbruder hätte nicht enger sein können, wenn man diese beiden zusammen beobachtete.
***
Während Wolf mit seinem treuen Vierbeiner den Berg bestieg, fand in der Höhle ein Ereignis statt, ohne dass es von den suchenden Augen der Zwerge gesehen werden konnte. Wie in Zeitlupe wuchsen kleine Wurzelfäden vom Kern in den Kot des Bären. Dort angekommen sogen sie Mineralien und Flüssigkeit, in das Innere ihrer Ummantelung. Hätte der Bär, bevor er sich zum Winterschlaf gelegt hatte, nicht eine Unmenge von Nüssen und besonders von den Eicheln der Eichbäume verspeist, wäre diese Aktion mit den feinen Wurzeln fehlgeschlagen. Der Kern wäre ohne diese spezielle Nahrung langsam aber sicher im Laufe der Zeit wieder abgestorben und niemand hätte gemerkt, welche einmalige Gelegenheit hier vorbeigezogen war. So aber setzte sich der Prozess des ungewöhnlichen Wachstums fort. Die aus den Mineralien und Nüssen gewonnene Stärke sowie die immer noch anwesende Sonnenenergie, brachten den Kern zum Explodieren. Ein winzig rotes Köpfchen wuchs zu einem Stängel mit einem embryonalen Kopf aus fleischigen Blättern heran, der sich wiederum in verschiedenen Richtungen aufspaltete und sich immer weiter ausdehnte. Glücklicherweise, muss man sagen, hatte diesen Vorgang niemand bemerkt, denn die Pflanze, sensibler als eine Mimose, die sich bei der kleinsten Berührung ihrer Blätter zusammenzuziehen vermochte, hätte sich sofort zu einer ganz gewöhnlichen Pflanze, weiterentwickelt, wäre sie in diesem Stadium gestört worden. So aber formte sie sich unter dem günstigen Einfluss umgebender Energien, zu einem einmaligen Gefäß mit blättrigen Armen, die sich zu einem fragilen Gebilde zusammenschlossen. Diese seltene Pflanze konnte man eigentlich überhaupt nicht als solche bezeichnen, denn sie war mit nichts vergleichbar und besaß auch mit nichts eine Ähnlichkeit. Sie löste in jedem Betrachter sofort ein Gefühl der Einmaligkeit aus.
Eine mystische Stimmung verbreitete sich, als wäre man augenblicklich mit einer anderen Welt konfrontiert. Zu all dem, begann es aus dem Inneren der Pflanze heraus zu leuchten.
Wolfs Freund trabte langsamer und duckte sich ganz flach auf den Boden. Er kroch beinahe und dies war ein Zeichen für Wolf jetzt ebenfalls ganz wachsam zu sein. Vorsichtig spreizte er das Unterholz auseinander, das zur freien Stelle mit den Eichen führte.
„Ah, hier sitzen sie“, flüsterte er seinem Freund ins Ohr. „Jetzt ganz, ganz leise, sie dürfen uns nicht entdecken.“
Die Sonne stand inzwischen schon deutlich höher und ihre Strahlen hatten den Nebel nach unten gedrückt und wärmten das dunkle Fell des Wolfes schon ganz erheblich. Dann erhob sich der große Zwerg plötzlich und forderte seine Kameraden auf ihm zu folgen. Alle drei schlichen auf Zehenspitzen in Richtung Höhle.
Je näher sie ihr kamen, umso deutlicher hörten sie das Schnarchen des Bären.
„Jetzt bloß keinen Fehler machen und den Braunen aufwecken“, dachte der Weißbärtige und beschwichtigte seine Kameraden, indem er seine Hände wieder und wieder flach in Richtung Boden bewegte. Anschließend deutete er mit seinem Zeigefinger auf den Höhleneingang und wisperte: „Dort drin geschieht es, ich spüre es deutlich.“ Dann sahen sie es alle gleichzeitig.
Die Pflanze oder das Lebewesen, von einem Lichtstrahl der Sonne beschienen, war schon beträchtlich gewachsen. Die Sonne half ihr das Blattgrün und andere Farben wie rot, gelb und blau zu produzieren und während diese sich miteinander vermischten, konnte man sie fast nicht mehr von ihrer Umgebung unterscheiden.
Nichts konnte das Wachstum nun mehr beeinflussen, auch die herannahenden Zwerge nicht.
Alles ging so leise vor sich, dass der braune Bär eigentlich nur sich selbst hätte stören können. Sein Schnarchen, das jedes Mal seinen Körper erzittern ließ, war so laut, dass sich niemand vor ihm fürchten musste, solange man es hörte.
Wolf und „Wölfchen“, so rief ihn sein Freund liebevoll, sahen auf diese Entfernung immer weniger und mussten jetzt, wollten sie wirklich wissen, was hier passierte, ihre Deckung aufgeben und sich den Zwergen nähern. Diese, vollkommen von dem, was sie sahen in Bann gezogen, bemerkten die beiden heranpirschenden „Wölfe“ überhaupt nicht, blieben nur voll Faszination vor dem, was da geschah stehen, um jede kleinste Veränderung beobachten zu können.
Die heranwachsenden Blätter entsprachen nicht der Form und Art von irgendwelchen Blättern irgendeiner anderen Pflanze, sie sahen viel eher aus wie fleischlich gewellte Pflanzentücher. Aber auch das Gewächs an sich, besaß eine völlig eigene Form. Teile von ihm erinnerten an Muschelschalen, die an bizarren Stängelgebilden hingen, die wiederum ein räumlich, fragiles Gerippe bildeten.
Aus der Sicht der Zwerge offenbarte sich dieses Kunstwerk, das kein Erdwesen zu erschaffen im Stande gewesen wäre, als ein prächtiger Kelch. Nur einer göttlichen Seele hatte es gelingen können, ein derartiges Pflanzenwesen so zu kreieren, dass dessen Farben ständig von grün-orange zu gelb-grün-violett, nach blau und rostbraun wechselten. In der Mitte des Kelches stülpte sich ein Gebilde nach oben, das entfernt an einen Blütenstempel erinnerte. Schaute man aber genauer hin, so konnte man ein komfortables, dreigeteiltes, winziges Bett, wie mit Samt beschlagen, erkennen.
Wolf und Wölfchen standen jetzt genau hinter den Zwergen, die immer noch, wie gebannt auf das Wunder vor ihren Augen starrten.