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"Das schwarze Messer" ist eine Kurzgeschichte und thematische Erweiterung von "Herr aller Dinge". Alain Whitstock II. hat eine besondere Schwäche für alte Gegenstände. Sobald er sie berührt, lösen sie eine so warme, wohltuende Schwere in ihm aus, dass er schier süchtig nach solchen Artefakten ist. Je älter sie sind, desto länger hält dieses Gefühl an. Bei einem Besuch in Japan findet er einen Schrein, zu dem ein schwarzes Messer zählt, Alain spürt schon von weitem, was für ein unglaubliches Alter diese Antiquität ausstrahlt. Wenn er dieses Messer zu seinem Eigen zählen könnte, würde es ihm jahrelang dieses wunderbare Gefühl bereiten. Welche Grenzen wird Alain überschreiten, um an das schwarze Messer zu gelangen?
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Seitenzahl: 23
Cover
Titel
Impressum
Das schwarze Messer
ANDREASESCHBACH
DAS SCHWARZE MESSER
BASTEI ENTERTAINMENT
Auszug der E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische AgenturThomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Copyright © 2011/2012 by Andreas Eschbach und
Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Stefan Bauer
Umschlaggestaltung: Manuela Städele
Titelbild: © shutterstock/Slava Gerj
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-8387-1802-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Neblige Kühle hing zwischen den Bäumen, als Alain Whitstock II. das von zwei Löwen aus grauem Stein bewachte Holztor durchschritt, das den Zugang zum Schrein darstellte, und der flach ansteigenden Treppe dahinter folgte. Es war noch früh am Morgen. Morgenstund hat Gold im Mund, dachte Alain Whitstock II., und der frühe Vogel fängt den Wurm.
Gleich darauf furchte er verärgert die Brauen. Das waren zwei der Lieblingssprüche seines Vaters gewesen. Dass er die nicht aus seinem Kopf bekam! Sein Vater war tot, er würde keinen Wurm mehr fangen, nie wieder. Und was sein Gold anbelangte, grenzte es an Schwerarbeit, es innerhalb eines Menschenlebens zurück unter die Leute zu bringen. Ein Glück, dass Geldausgeben etwas war, das man zu jeder Tageszeit tun konnte.
Es musste an der Stille liegen, dass ihm solche Gedanken kamen. Alles, was er hörte, waren seine eigenen Schritte, und irgendwo tropfte Wasser, leise, bedächtig, stimmungsvoll. Die Vorstellung, sich immer noch im Stadtgebiet von Tokio zu befinden, hatte etwas Irreales.
Die Treppe endete auf einem schlichten Platz mit einem Wasserbecken in der Mitte. Schöpfkellen aus Bambus warteten auf Gläubige, die sich rituell reinigen wollten. Alain ignorierte das Becken, schließlich war er Tourist, kein Shintoist. Er bezweifelte außerdem, dass es ihm als Anglikaner gestattet war, Rituale fremder Religionen auszuführen.
Sowieso war weit und breit niemand zu sehen. Er schien der einzige Besucher zu sein. Und wer immer das Gitter unten beim Zugang aufgeschlossen hatte, er hatte sich wieder verdrückt.
Tatsächlich hatte Alain bislang niemanden getroffen, der diesen Schrein kannte. Seitou-Jinjya? Die Rezeptionistin im Hotel hatte ihn nur mit großen Augen angesehen und sich, wie es Japanergerne taten, vieltausendmal für ihre Unwissenheit entschuldigt. Ja, das müsse ein Shinto-Schrein sein, und sie hatte bestätigt, dass man den Namen mit »Insel der Heiligen« übersetzen könne, bloß gehört hatte sie noch nie davon. Der Mann im Tourist Office hatte schlicht abgestritten, dass ein Schrein dieses Namens existiere. Auch der Taxifahrer war ratlos gewesen.
Aber Alain hatte einen Zettel mit der genauen Adresse griffbereit gehabt. Und so war er doch hierher gelangt.
Ironie des Schicksals, dass er das ausgerechnet seinem Vater verdankte, dachte Alain Whitstock II. und trat durch das Tor mit den zwei Querbalken. Denn er besuchte diesen Schrein nur aus einem einzigen Grund: um darin ein weiteres Stück seiner Rache an seinem Vater zu vollziehen.