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In einer fernen Zeit ... Schon seit je fertigen die Haarteppichknüpfer für den Kaiser Teppiche, die aus den Haaren ihrer Frauen bestehen. Von dem Erlös eines Teppichs kann eine ganze Generation der Knüpfer leben. Doch eines Tages landet ein Raumschiff auf der Welt, um dem Geheimnis der Haarteppiche auf den Grund zu gehen - einem Geheimnis, das alle Vorstellungskraft übersteigt.
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Seitenzahl: 377
Andreas Eschbach
Die
HAARTEPPICH-
KNÜPFER
Roman
Lübbe Digital
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes
Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG
Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH; 30827 Garbsen
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Titelillustration: Kim Hoang, Guter Punkt unter Verwendung von Motiven von © shutterstock und thinkstock
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Datenkonvertierung E-Book:
Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-1922-1
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Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlichder gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Die Haarteppichknüpfer
Die Haarteppichhändler
Der Haarteppichprediger
Der verlorene Haarteppich
Die fahrende Händlerin
Der Mann von anderswo
Der Steuererheber
Die Haarteppichräuber
Flötenfinger
Der Archivar des Kaisers
Jubad
Der Kaiser und der Rebell
Ich sehe dich wieder
Der Palast der Tränen
Wenn wir die Sterne wieder sehen
Die Rückkehr
Die ewige Rache
EPILOG
Knoten um Knoten, tagein, tagaus, ein Leben lang, immer die gleichen Handbewegungen, immer die gleichen Knoten in das feine Haar schlingend, so fein und winzig, dass die Finger zittrig wurden mit der Zeit und die Augen schwach von der Anstrengung des Sehens – und die Fortschritte waren kaum zu merken; wenn er gut vorankam, entstand in einem Tag ein neues Stück seines Teppichs, das vielleicht so groß war wie sein Fingernagel. So hockte er an dem knarrenden Knüpfrahmen, an dem schon sein Vater gesessen war und vor ihm dessen Vater, in der gleichen gebeugten Haltung, die alte, halbblinde Vergrößerungslinse vor den Augen, die Arme auf das abgewetzte Brustbrett gestützt und nur mit den Fingerspitzen die Knotennadel führend. So knüpfte er Knoten um Knoten in der seit Generationen überlieferten Weise, bis er in einen Trancezustand geriet, in dem ihm wohl war; sein Rücken hörte auf zu schmerzen, und er spürte das Alter nicht mehr, das ihm in den Knochen saß. Er lauschte auf die vielfältigen Geräusche des Hauses, das der Großvater seines Urgroßvaters erbaut hatte – den Wind, der ewig gleich über das Dach strich und sich in offenen Fenstern fing, das Klappern von Geschirr und die Gespräche seiner Frauen und Töchter unten in der Küche. Jedes Geräusch war ihm vertraut. Er hörte die Stimme der Weisen Frau heraus, die seit einigen Tagen im Haus lebte, weil Garliad, seine Nebenfrau, ihre Niederkunft erwartete. Er hörte die halbstumme Türglocke scheppern, dann ging die Haustür, und Aufregung kam in das Gemurmel der Gespräche. Das war wahrscheinlich die Händlerin, die heute kommen sollte mit Lebensmitteln, Stoffen und anderen Dingen.
Dann knarzten schwerfällige Schritte die Treppe zum Knüpfzimmer empor. Das musste eine der Frauen sein, die ihm das Mittagessen brachte. Unten würden sie jetzt die Händlerin an den Tisch einladen, um den neuesten Klatsch zu erfahren und sich irgendwelchen Tand aufschwatzen zu lassen. Er seufzte, zog den Knoten fest, an dem er gerade war, setzte die Vergrößerungslinse ab und drehte sich um.
Es war Garliad, die da stand mit ihrem enormen Bauch und einem dampfenden Teller in der Hand und wartete, bis er ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung erlaubte, näher zu treten.
»Was fällt den anderen Frauen ein, dich arbeiten zu lassen in deinem Zustand?«, knurrte er. »Willst du meine Tochter auf der Treppe gebären?«
»Ich fühle mich heute sehr gut, Ostvan«, erwiderte Garliad.
»Wo ist mein Sohn?«
Sie zögerte. »Ich weiß es nicht.«
»Dann kann ich es mir schon denken!«, schnaubte Ostvan. »In der Stadt! In dieser Schule! Bücher lesen, bis ihm die Augen wehtun, und sich Flausen in den Kopf setzen lassen!«
»Er hat versucht, die Heizung zu reparieren, und ging dann fort, um irgendein Teil zu besorgen, wie er sagte.«
Ostvan stemmte sich von seinem Schemel hoch und nahm ihr den Teller aus den Händen. »Ich verfluche den Tag, an dem ich zuließ, dass er in diese Schule in der Stadt geht. Hat Gott es bis dahin nicht gut mit mir gemeint? Hat er mir nicht fünf Töchter geschenkt und dann erst einen Sohn, sodass ich kein Kind töten musste? Und haben meine Töchter und Frauen nicht Haare in allen Farben, sodass ich überhaupt nicht färben muss und einen Teppich knüpfen kann, der einst des Kaisers würdig sein wird? Warum will es mir nicht gelingen, aus meinem Sohn einen guten Teppichknüpfer zu machen, damit ich einmal meinen Platz finde neben Gott und ihm helfen darf, am großen Teppich des Lebens zu knüpfen?«
»Du haderst mit deinem Schicksal, Ostvan.«
»Soll man nicht hadern mit so einem Sohn? Ich weiß schon, warum nicht seine Mutter mir das Essen bringt.«
»Ich soll dich um Geld bitten für die Händlerin«, sagte Garliad.
»Geld! Immer nur Geld!« Ostvan stellte den Teller auf das Fensterbrett und schlurfte zu einer stahlbeschlagenen Truhe, die geschmückt war mit einer Fotografie des Teppichs, den sein Vater geknüpft hatte. Darin lag das Geld, das vom Verkauf des Teppichs noch übrig war, verpackt in einzelne Schachteln, auf denen Jahreszahlen standen. Er nahm eine Münze heraus. »Nimm. Aber denk daran, dass das hier noch den Rest unseres Lebens reichen muss.«
»Ja, Ostvan.«
»Und wenn Abron zurückkommt, schickt ihn sofort zu mir.«
»Ja, Ostvan.« Sie ging.
Was war das nur für ein Leben, nichts als Sorgen und Ärger! Ostvan zog einen Stuhl ans Fenster und ließ sich darauf nieder, um zu essen. Sein Blick verlor sich in der felsigen, unfruchtbaren Einöde. Früher war er noch ab und zu hinausgezogen, um gewisse Mineralien zu suchen, die für die geheimen Rezepturen erforderlich waren. Einige Male war er auch in der Stadt gewesen, um Chemikalien oder Werkzeuge zu kaufen. Aber inzwischen hatte er alles beisammen, was er noch brauchen würde für seinen Teppich. Er würde wohl nicht mehr hinausgehen. Er war auch nicht mehr jung; sein Teppich würde bald fertig sein, und dann war es Zeit, ans Sterben zu denken.
Später, am Nachmittag, unterbrachen schnelle Schritte auf der Treppe seine Arbeit. Es war Abron.
»Du wolltest mich sprechen, Vater?«
»Du warst in der Stadt?«
»Ich habe Rußsteine gekauft für die Heizung.«
»Wir haben noch Rußsteine im Keller, genug für Generationen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Du hättest mich ja fragen können. Aber dir ist jeder Vorwand recht, um in die Stadt gehen zu können.«
Abron kam näher, unaufgefordert. »Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, dass ich so oft in der Stadt bin und Bücher lese. Aber ich kann nicht anders, Vater, es ist so interessant … diese anderen Welten … es gibt so viel zu lernen – so viele Arten, wie Menschen leben …«
»Ich will davon nichts hören. Für dich gibt es nur eine Art zu leben. Du hast von mir alles gelernt, was ein Haarteppichknüpfer wissen muss, das ist genug. Du kannst alle Knoten knüpfen, du bist eingeweiht in die Imprägnierungen und in die Färbetechniken, und du kennst die überlieferten Muster. Wenn du deinen Teppich entworfen hast, wirst du dir eine Frau nehmen, und ihr werdet viele Töchter haben mit verschiedenfarbigen Haaren. Und zur Hochzeit werde ich meinen Teppich vom Knüpfrahmen schneiden, umsäumen und dir schenken, und du wirst ihn in der Stadt an die kaiserlichen Händler verkaufen. So habe ich es mit dem Teppich meines Vaters getan, und so hat er es zuvor mit dem Teppich seines Vaters getan, und dieser davor mit dem Teppich seines Vaters, meines Urgroßvaters; so geht es von Generation zu Generation, seit tausenden von Jahren. Und so wie ich meine Schuld an dir abbezahle, so wirst du deine Schuld an deinem Sohn abbezahlen, und dieser wiederum an seinem Sohn und so fort. So war es schon immer, und so wird es immer sein.«
Abron seufzte gequält. »Ja, sicher, Vater, aber ich bin nicht glücklich bei dieser Vorstellung. Am liebsten möchte ich gar kein Haarteppichknüpfer sein.«
»Ich bin ein Haarteppichknüpfer, und deswegen wirst du ebenfalls ein Haarteppichknüpfer sein!« Ostvan zeigte mit einer erregten Geste auf den unvollendeten Teppich im Knüpfrahmen. »Mein ganzes Leben lang habe ich an diesem Teppich geknüpft, mein ganzes Leben, und von dem Erlös dafür wirst du einmal dein Leben lang zehren. Du hast eine Schuld an mir, Abron, und ich verlange, dass du sie an deinem Sohn wieder abbezahlst. Und gebe Gott, dass er dir nicht so viel Kummer macht wie du mir!«
Abron wagte nicht, seinen Vater anzusehen, als er entgegnete: »Es gibt Gerüchte in der Stadt, von einer Rebellion, und dass der Kaiser abdanken muss … Wer kann denn noch Haarteppiche bezahlen, wenn der Kaiser nicht mehr da ist?«
»Eher verlöschen die Sterne, als dass der Ruhm des Kaisers erlischt!«, dröhnte Ostvan. »Habe ich dir diesen Satz nicht schon beigebracht, als du noch kaum neben mir am Knüpfrahmen sitzen konntest? Glaubst du, irgendwer kann einfach daherkommen und die Ordnung umstoßen, wie Gott sie gefügt hat?«
»Nein, Vater«, murmelte Abron. »Natürlich nicht.«
Ostvan betrachtete ihn. »Geh jetzt und arbeite am Entwurf deines Teppichs.«
»Ja, Vater.«
Am späten Abend setzten bei Garliad die Wehen ein. Die Frauen begleiteten sie in das vorbereitete Gebärzimmer; Ostvan und Abron blieben in der Küche.
Ostvan holte zwei Becher und eine Flasche Wein, und sie tranken schweigend. Gelegentlich hörten sie Garliad im Gebärzimmer schreien oder stöhnen, dann geschah wieder lange Zeit nichts. Es würde eine lange Nacht werden.
Als sein Vater die zweite Flasche Wein holte, fragte Abron: »Was, wenn es ein Junge ist?«
»Das weißt du so gut wie ich«, erwiderte Ostvan dumpf.
»Was wirst du dann tun?«
»Seit ewigen Zeiten gilt das Gesetz, dass ein Teppichknüpfer nur einen Sohn haben darf, weil ein Teppich nur eine Familie ernähren kann.« Ostvan deutete auf ein altes, fleckiges Schwert, das an der Wand hing. »Damit hat dein Großvater meine zwei Brüder am Tag ihrer Geburt getötet.«
Abron schwieg. »Du hast gesagt, Gott hat diese Ordnung gefügt«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Das muss ein grausamer Gott sein, findest du nicht?«
»Abron!«, donnerte Ostvan.
»Ich will nichts zu tun haben mit deinem Gott!«, schrie Abron und stürzte aus der Küche.
»Abron! Bleib hier!«
Aber Abron rannte die Treppe zu den Schlafräumen hinauf und kam nicht mehr zurück.
So wartete Ostvan alleine, aber er trank nicht mehr. Die Stunden vergingen, und seine Gedanken verdüsterten sich. Schließlich mischten sich die ersten Schreie eines Kindes in die Schreie der Gebärenden, und Ostvan hörte die Frauen klagen und weinen. Er stand schwerfällig auf, als bereite ihm jede Bewegung Schmerzen, nahm das Schwert von der Wand und legte es auf den Tisch. Dann stand er da und wartete mit dumpfer Geduld, bis die Weise Frau aus dem Gebärzimmer kam, das Neugeborene im Arm.
»Es ist ein Junge«, sagte sie gefasst. »Werdet Ihr ihn töten, Herr?«
Ostvan sah in das rosige, zerknitterte Gesicht des Kindes. »Nein«, sagte er. »Er soll leben. Ich will, dass er Ostvan heißt, genau wie ich. Ich werde ihn das Handwerk eines Haarteppichknüpfers lehren, und wenn ich nicht mehr lange genug leben sollte, wird ein anderer seine Ausbildung abschließen. Bring ihn wieder zu seiner Mutter, und sag ihr, was ich dir gesagt habe.«
»Ja, Herr«, sagte die Weise Frau und trug das Kind wieder hinaus.
Ostvan aber nahm das Schwert vom Tisch, ging hinauf damit in die Schlafräume und erschlug seinen Sohn Abron.
Yahannochia rüstete sich für die alljährliche Ankunft des Haarteppichhändlers. Das war wie ein Erwachen für die Stadt, die den Rest des Jahres wieder regungslos unter der sengenden Sonne liegen würde. Es begann mit Girlanden, die hier und da unter den niedrigen Dächern auftauchten, und mageren Blumengebinden, die versuchten, die fleckigen Häuserwände zu verbergen. Von Tag zu Tag flatterten mehr der bunten Wimpel im Wind, der über die Firste fegte wie immer, und die Düfte, die aus den Töpfen dunkler Küchen drangen, sammelten sich schwer in den schmalen Gassen. Es galt, bereit zu sein für das Große Fest. Die Frauen bürsteten stundenlang ihr Haar und das ihrer reifen Töchter. Die Männer flickten endlich ihre Schuhe. Misstönend scheppernde Klänge übender Fanfaren mischten sich in das allgegenwärtige Raunen aufgeregter Stimmen. Die Kinder, die sonst still und traurig in den Gassen spielten, rannten schreiend herum und trugen ihre feinste Kleidung. Es war ein buntes Treiben, ein Fest der Sinne, ein fiebriges Warten auf den Großen Tag.
Und dann war es endlich so weit. Die Reiter, die man ausgeschickt hatte, kehrten zurück, preschten trompetend durch die Gassen und verkündeten: »Der Händler kommt!«
»Wer ist es?«, riefen tausend Kehlen.
»Die Wagen tragen die Farben des Händlers Moarkan«, berichteten die Späher, gaben ihren Tieren die Sporen und galoppierten weiter. Und die tausend Kehlen trugen den Namen des Händlers fort, er machte die Runde durch die Häuser und Hütten, und jeder wusste etwas dazu zu sagen. »Moarkan!« Man erinnerte sich, wann Moarkan das letzte Mal in Yahannochia gewesen war und welche Waren aus fernen Städten er feilgeboten hatte. »Moarkan!« Man stellte Vermutungen darüber an, woher der Händler kommen mochte, aus welchen Städten er Neuigkeiten mitbrachte oder gar Briefe. »Moarkan kommt …!«
Aber es dauerte noch zwei volle Tage, ehe der gewaltige Tross des Händlers in die Stadt einzog.
Zuerst kamen die Fußsoldaten, die dem Zug der Wagen voranmarschierten. Von ferne hatten sie ausgesehen wie eine einzige, riesige Raupe mit glitzernden Nackenstacheln, die entlang der Handelsstraße auf Yahannochia zugekrochen kam. Im Näherkommen erkannte man dann Männer in ledernen Rüstungen, die ihre Speere gen Himmel gerichtet trugen, sodass sich das Licht der Sonne gleißend auf den blanken Speerblättern fing. Müde stapften sie einher, die Gesichter von Staub und Schweiß verkrustet, die Augen dumpf und blicklos vor Erschöpfung. Alle trugen sie die farbigen Insignien des Händlers auf dem Rücken wie ein Brandzeichen.
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