Das Schwert der Drachen - Wolfgang Thon - E-Book

Das Schwert der Drachen E-Book

Wolfgang Thon

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Beschreibung

Sein Ziel ist die Macht – sein Weg bringt den Tod …

Drei Prophezeiungen bereiten die Menschen auf die bevorstehende Zeit der Verschmelzung vor. Doch sie widersprechen einander, und Magier, Auguren und Drachenpriesterinnen ringen darum, dass ihre Vision der Zukunft wahr wird. Dem Krieger Broll ist es allerdings egal, was von ihm erwartet wird. Ihm ist im Moment nur der Tod seines Nebenbuhlers wichtig. Denn Lay ist nicht nur ebenfalls Teil der Prophezeiungen. Er ist auch ein Konkurrent um die Hand der Drachenbraut von Alghor – und damit ein Hindernis auf Brolls Weg zur Macht.

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Seitenzahl: 971

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Wolfgang Thon

Das Schwert derDrachen

Die drei Prophezeiungen Zweites Buch

Roman

Originalausgabe

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März 2015 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung und -illustration: © Isabelle Hirtz, Inkcraft

Karten: Jürgen Speh

Redaktion: Peter Thannisch

Lektorat: Holger Kappel

Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-14384-8 V003

www.blanvalet.de

KARTE: DAS DRACHENREICH ALGHOR

Für

Margarethe.

HELLANDEN, BELPHORS FÄNGE, KLIPPEN AM NORDERMEER

RUNENSTÄTTE DES CLANS DER QUJELLN

Regungslos stand die Schamanin an der Stirnseite des Tisches mitten in dem niedrigen Raum, scheinbar unbeeindruckt von dem erregten Gebrüll der Männer um sie herum. Die Schreie und Beleidigungen brandeten ihr entgegen wie die Brecher des Nordermeeres gegen die Felsklippen von Belphors Fängen draußen vor den Lehmmauern des Langhauses.

Und ebenso unbeeindruckt, wie der weiße Stein den Wellen standhielt, schien die Frau die Wut der Nordlinge in dieser Runenstätte hinzunehmen. Sie starrte lediglich mit kreidebleichem Gesicht auf das Tuch vor ihr auf dem groben, aus Eisenholz gezimmerten Tisch, der fast die ganze Mitte des Raumes ausfüllte.

Die seltsam geformten Knochen, die auf dem schwarz gefärbten Stoff aus fein gesponnenen Samtfruchtbaumfasern lagen, schimmerten wie Wachs. Ihre Kanten und Spitzen waren vom häufigen Benutzen an den Enden abgeschliffen, aber die roten Symbole auf den gelblichen Oberflächen waren deutlich zu erkennen. Ihre Positionen zueinander und ihre jeweilige Ausrichtung gaben unzweifelhaft den Willen Belphors zu erkennen, wenn die auserwählte Tochter Lokhs, vertieft in die göttliche Trance, die Runen nach gründlicher Vorbereitung geworfen hatte. Der Runenwurf, mit dem nach altem Brauch der Kriegshäuptling der Nordlinge in seinem Amt bestätigt wurde, war endgültig, eine Willensbekundung Belphors selbst. Die Schamanin, die den Wurf ausführte, war nur das Werkzeug, dessen sich der Totengott Hellandens, die wichtigste Gottheit der Nordlinge, bediente. Auch wenn das Ergebnis dieses Wurfes, wie in diesem Fall, den Stammeshäuptlingen und Clansältesten missfiel.

»… niemals zulassen! Noch nie hat ein Weib auf dem Hohen Stuhl der …«

»… verwegen zu glauben, mein Clan würde sich einfach damit abfinden, dass sie sich des Hohen Stuhls der Häuptlinge bemächtigt, ohne auch nur …«

»… der Wurf muss wiederholt werden …«

»Hört auf!«

»… ihr gegen Egkhild? Immerhin ist sie eine Warkyria, und wir haben doch erlebt …«

»… gewiss ein Weib mit Haaren auf den Zähnen! Wir sollten uns nur fragen, ob die Tochter Lokhs bei diesem Wurf vielleicht ein wenig …«

»… selbst der tattrige Fridgart besser geeignet! Was verstehen Frauen schon vom Kriegführen …?«

»Haare auf den Zähnen? Die Warkyrien haben auch verdammt scharfe Klingen in ihren Scheiden, versteht mich da nicht falsch. Habt ihr etwa vergessen …?«

»… Lage erfordert einen starken Mann auf dem Hohen Stuhl, kein machtgieriges Weib, das …«

»HÖRTAUF, VERFLUCHTNOCHMAL!«

»… Nimgurd ist noch nicht ganz erkaltet, und ihr benehmt euch wie die Aashunde …!«

Mit keiner Regung ihres bleichen, weiß und rot geschminkten Gesichtes verriet die Frau, ob sie die schreienden und fluchenden Männer überhaupt wahrnahm. Den Blick starr auf die Runen gerichtet, schüttelte sie unmerklich den Kopf, als könnte sie immer noch nicht fassen, was sie da sah und gerade eben verkündet hatte. Fast zögernd streckte sie die Hand nach dem Tuch aus und fuhr behutsam mit den Fingern über die Knochen, ohne sie jedoch zu berühren. Dabei bewegte sie die Lippen, als flüsterte sie oder spräche ein stilles Gebet.

»HÖRTENDLICHAUFDAMIT!« Die heisere, barsche Stimme gehörte einem rotgesichtigen Mann mit Glatze, der seinen Worten Nachdruck verlieh, indem er auf die lange Bank sprang, auf der er bisher gesessen hatte. »Natürlich werden wir nicht zulassen, dass ein Weib das Erbe des großen Nimgurd antritt, selbst wenn es seine Schwester ist. Oder besser, gerade weil sie …«

»Ach ja? Wer hat dich denn nach deiner Meinung gefragt, Olbart?« Ein anderer Nordling erhob sich von seiner Bank, die an einer mit Fellen behängten Wand aus Lehmziegeln und Holz stand. Der Hüne brauchte nicht auf eine Bank zu treten, um Olbart zu überragen. »Wenn ich mich recht entsinne, hast du doch am lautesten beim Obersten Konzil in Hellgaart über Nimgurds Unfähigkeit lamentiert und behauptet, selbst Egkhild wäre besser als Kriegshäuptling geeignet als er!« Das beifällige Gemurmel der anderen bestärkte ihn. »Woher kommt denn dieser Gesinnungswandel? Du siehst dich wohl schon selbst auf dem Hohen Stuhl, hab ich recht? Bei Belphors Hörnern, das eine sag ich dir – eher ertrage ich ein Weib als einen weibischen Maulhelden wie dich!«

»Du denkst mit deinem Schwanz, Frerik, und entsprechend kurz gedacht sind deine Worte!«, fauchte Olbart gereizt zurück.

Einige Häuptlinge lachten, andere dagegen ballten die Fäuste, und einigen Hitzköpfen juckte es in den Fingern, nach ihren Waffen zu greifen. Aber bei den Zusammenkünften der Häuptlinge während des Runenwurfs, durch den sie in Zeiten von Not und Gefahr einen Kriegshäuptling auf den Hohen Stuhl hievten, war das Tragen von Waffen strengstens untersagt. So zerstritten und verfeindet die großen Clans und Stämme Hellandens auch waren und so eifersüchtig sie auch auf ihre Unabhängigkeit und jeweiligen Interessen achteten – hatten sie erst einen Kriegshäuptling bestimmt und wurde dieser von Belphor durch die Schamanin bestätigt, wurde die Wahl für gewöhnlich akzeptiert.

Diesmal jedoch war es anders. Die Frau seufzte, während die erregten Stimmen um sie herum immer lauter und die Atmosphäre zunehmend feindseliger wurde.

»Das Letzte, was Hellanden jetzt brauchen kann, ist, dass wir unsere Kräfte schwächen, indem wir uns auf einen Bruderzwist einlassen!«

Die Schamanin hob den Kopf und sah zu dem Sprecher hinüber. Sie zuckte zusammen, als sie den scharfen Blick bemerkte, mit dem er sie musterte. Im nächsten Moment glättete sich die Miene des Mannes wieder.

Branwulf Koldark deutete lächelnd auf die Frau. »Immerhin ist Frahnja eine Tochter Lokhs. Es scheint mir nicht klug, eine Tochter von Belphors Gefährten zu beleidigen, indem wir ihr unterstellen …«

»Pah! Sie ist nur eine Besessene, und sie hat schon Nimgurd …«

»… dass sie irgendwelche politischen Interessen vertritt und den Wurf der Runen beeinflusst hat, um einen ungerechtfertigten Anspruch auf den Hohen Stuhl zu unterstützen«, fuhr Branwulf unbeeindruckt fort. »Jeder von uns weiß, was eine solche Tat für Folgen hätte. Nicht nur, dass die entsprechende Person gepfählt würde, sie müsste sich noch dazu im Hellführ Belphors Zorn stellen.«

Er wandte sich an Olbart, der unter reichlich spöttischen Zurufen von der Bank stieg. »Hast du nicht selbst die Weisheit der Schamanin in höchsten Tönen gelobt, als Nimgurd dich zum Proviantmeister unserer Armee bestellte? Und hat deine Frau nicht Frahnja gebeten, den Segen Belphors zu beschwören, auf dass ihr endlich mit einem Kind beschenkt würdet?«

»Ein Geschenk, das Korgh von Rüngart überbracht haben soll!«, brüllte ein anderer Häuptling, und dröhnendes Gelächter brandete auf.

Olbart fuhr herum, krebsrot im Gesicht. »Für diese Beleidigung wirst du zahlen!«, schrie er wütend.

»Ha, das ist mir der Spaß wert zu sehen, wie dich der Schlag trifft!« Der Mann griff in seine Gürteltasche und zog eine Kupfermünze heraus, die er durch den Raum in Richtung Olbart warf. »Hier hast du einen Kronn. Das genügt als Wiedergutmachung. Schließlich weiß ganz Hellanden, dass deine Frau …«

»Schluss damit!«, schrie ein älterer Häuptling, erhob sich und schlug mit einem knorrigen Gehstock so fest auf den Tisch, dass die Humpen tanzten. »Das Schicksal von Hellanden steht auf dem Spiel, und ihr …!«

»Ganz recht, und wie es aussieht, hat Egkhild Belphors Gunst auf ihrer Seite«, unterbrach ihn Branwulf, immer noch lächelnd. Dann deutete er mit einem Arm auf die vielen leeren Stühle am Tisch. »Und offenbar auch die Unterstützung fast der Hälfte unserer Häuptlinge.« Er lächelte weiterhin, aber der Blick seiner schwarzen Augen wurde plötzlich eisig. »Unser Feind steht außerhalb unserer Grenzen, nicht innerhalb, vergessen wir das nicht. Wir haben gerade erst, durch die heimtückische Tat des Drachenfürsten von Alghor, unseren Kriegshäuptling verloren. Prakuhl hat dank der Tapferkeit unserer Männer seinen Verrat zwar augenblicklich mit dem Leben bezahlen müssen, aber wir können es uns nicht leisten, lange und unter viel Blutvergießen um Nimgurds Nachfolge zu streiten. Warten wir ab, welche Schritte Egkhild unternimmt, um Nimgurds Tod zu rächen.« Er deutete auf die Schamanin. »Versagt die Warkyria, können wir immer noch Lokhs Tochter auffordern, die Runen ein zweites Mal zu werfen.«

»Ich sage, sie soll es auf der Stelle tun!«, rief Olbart und deutete mit dem Finger auf Frahnja. »Es kann nicht mit rechten …«

»Und wenn sie noch so oft wirft, die Runen werden dich niemals als Kriegshäuptling bestätigen, weil wir dich niemals auf den Hohen Stuhl …«

Die Schamanin bückte sich und schob die Runen vorsichtig in die Mitte des gewebten Tuchs. Dann faltete sie sorgfältig die vier Ecken übereinander und band das Ganze mit einer ledernen Schnur zu einem Beutel zusammen. Den schob sie in die Tasche ihres Fellmantels und ging langsam zur Tür, ohne dass die Männer auf sie achteten. Sie zwängte sich durch die schweren Fellvorhänge, die als Abtrennung zu der winzigen Diele dienten, wo sie die pelzgefütterte Kapuze ihres schweren Fellmantels aufsetzte. Die Knochen, Metallplatten und Perlen an ihrem Mantel klapperten und klirrten leise, als sie die schwere Außentür öffnete und hinaustrat.

Draußen schien die eisige Luft einen unsichtbaren tödlichen Schleier über das von zähen Zweebüschen und eisenharten Rüppeln bewachsene Land gelegt zu haben. Der Blick der Schamanin glitt über die nächtliche Landschaft, die vollkommen ruhig anmutete. Nur Schneeadler wagten sich bei dieser Kälte nach draußen und gingen auf die Jagd nach Erdhunden. Langsam stieg die Frau den kurzen Weg von der schützenden Mulde, in der das Langhaus der Nordlinge stand, zu Belphors Fängen hinauf, wie die schroffen Klippen an der nördlichsten Küste Hellandens genannt wurden.

Tief unter ihr brach sich das Nordermeer an dem weißen Fels, rastlos und unermüdlich, wie es das schon seit Urzeiten tat. Hier draußen waren die erregten Stimmen aus dem Haus nicht mehr zu hören. Die Schamanin schloss die Augen. Ihr Atem gefror in der Luft und bildete eine dünne Schicht Eiskristalle auf dem Pelzbesatz ihrer Kapuze. Dann öffnete sie die Augen wieder und blickte auf das tosende Meer hinaus. Sie bewegte immer noch die Lippen, und ihr Blick richtete sich auf einen Punkt jenseits des Horizonts.

Dank der weichen Ledersohlen der mit kostbarem Weißbärenfell gefütterten Stiefel waren die Schritte des Mannes auf dem hart gefrorenen Boden nicht zu hören. Trotzdem schrak die Schamanin nicht zusammen, als seine Stimme plötzlich hinter ihr erklang.

»Was haben die Runen gesagt, Frahnja? Ich meine, was haben sie wirklich gesagt?«

Die Schamanin war froh, dass der schwere Fellmantel ihre schlanke Gestalt vollständig verhüllte und die Kapuze ihr Gesicht vor den Blicken des Mannes verbarg, sodass der Mann hinter ihr sicherlich nicht bemerkte, wie sie zusammenschrak. Sie wartete, bis die Erregung abflaute und sie ihrer Stimme wieder trauen durfte.

»Du bist also auch der Meinung, ich hätte gelogen, was Belphors …«

Branwulf Koldark unterbrach sie mit einem derben Lachen. »Was ist schon Lüge und was Wahrheit, wenn es um die Auslegung des Willens der Götter geht? Erst recht, wenn es sich um den Willen eines so unberechenbaren Gottes handelt wie …«

»Sprich seinen Namen nicht aus!« Frahnja fuhr zu ihm herum. »Nicht, wenn du ihn so wenig achtest.«

Branwulf wirkte einen Augenblick wie vor den Kopf gestoßen, dann aber hob er die Hände zum Zeichen der Unterwerfung. »Versteh mich nicht falsch, Frahnja. Du bist eine Tochter Lokhs, und selbstverständlich respektiere ich die Worte einer Tochter des Gefährten unseres größten Gottes.« Er neigte den Kopf, aber es lag keine Demut in dieser Geste, und er nahm den Blick dabei nicht von Frahnjas Gesicht. »Ich will auch keineswegs behaupten, du hättest die Runen falsch ausgelegt.« Er lachte. »Im Gegenteil, mir ist eine Frau wie Egkhild auf dem Hohen Stuhl des Kriegshäuptlings erheblich lieber als ein machtbesessener Intrigant wie Frerik oder ein ehrgeiziger Schwachkopf wie Olbart.«

»Nur, weil du glaubst, Egkhild besser in deinem Sinne beeinflussen zu können.«

Branwulf zeigte nun ein Lächeln, doch es erreichte seine schwarzen Augen nicht. »Ich ziehe es vor, mich als Ratgeber zu bezeichnen, und zudem biete ich meine Dienste der Zierde der Warkyrien nicht ungebeten an.«

Frahnja maß ihn verächtlich von Kopf bis Fuß und wandte sich dann wieder zum Meer um. Deshalb entging ihr das Aufblitzen mörderischer Wut in den Augen des Mannes. »Dann sag doch einfach, um was es dir geht, anstatt so geziert herumzuschwafeln.«

Branwulf trat dichter an Frahnja heran und warf einen Blick in die Tiefe. Sie standen kaum zwei Schritte vom Rand der Klippen entfernt, aber die Schamanin ließ sich nicht anmerken, ob sie die Nähe des Mannes als Bedrohung empfand. Branwulf verzog die Lippen und wich wieder einen Schritt zurück. Die Kapuze verbarg das Gesicht der Schamanin, deshalb konnte er nicht sehen, wie sie lächelte.

»Ich glaube dir, dass Belphors Wohlwollen auf Egkhild ruht …«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur die Runen gelesen und …«

»Genau!«, unterbrach Branwulf sie. »Aber ich habe dich beobachtet, Frahnja. Ich frage mich, was du in den Runen gelesen und offensichtlich nicht gesagt hast!«

Die Schamanin schwankte plötzlich, als wäre sie von einem Windstoß getroffen worden, dabei regte sich kein Lüftchen. Sie sagte etwas, aber so leise, dass der Mann es nicht hören konnte.

Er trat vorsichtig einen Schritt nach vorn, dann noch einen, während er auf den Abgrund schielte, und bog den Kopf zur Seite, um der Frau ins Gesicht sehen zu können. »Was war es? Was hast du noch gesehen?«

Sie holte bebend Luft, schien von einem fernen Ort zurückzukehren, als sie den Kopf drehte und ihn mit weit geöffneten Augen ansah. »Eine Flut.« Sie bewegte lautlos die Lippen, bevor sie weitersprach. »Ich habe eine Sturmflut gesehen.«

Branwulf verharrte einen Moment in seiner angespannten, etwas schiefen Haltung, bevor er sich mit einem hämischen Lachen aufrichtete und wieder zurücktrat. »Eine Sturmflut? Ist das alles? Hier sind Stürme so alltäglich wie …«

»Diese nicht. Sie kommt nicht vom Meer. Und sie bringt weder Regen noch Eis.« Die Stimme der Schamanin gewann bei ihren letzten Worten plötzlich an Kraft, und sie drehte sich zu dem Häuptling der Qujelln herum. Sie schien die Zähne zu fletschen, als sie fortfuhr. »Sie kommt von Süden und bringt Blut und Tod!«

Branwulf zuckte unwillkürlich vor der Frau zurück. Sie war eine Tochter Lokhs, eine Besessene, die über Kräfte verfügte, die das Fassungsvermögen eines normalen Menschenverstandes weit überstiegen. Aber er war schließlich ein Mann, und falls es hart auf hart kam, hatte er außerdem – wenn auch verbotenerweise – einen Dolch im Stiefel. »Eine Flut aus Blut und Tod?« Erneut stieß er sein derbes Lachen hervor. »Nun, um das zu verkünden, hättest du keine Runen werfen müssen. Nimgurd wollte Frieden mit Alghor, und das hat ihn das Leben gekostet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Egkhild damit so einfach abfindet. Eine Flut aus Blut und Tod, o ja. Aber diese Flut wird nach Süden branden! Das hättest du den Häuptlingen ruhig sagen sollen. Es hätte uns vielleicht diese erbärmlichen Streitereien erspart.« Er besah sich die Schamanin, die nur schweigend zurückstarrte, ohne sich zu rühren, und blickte dann noch einmal zum Rand der Klippen. »Na gut, wenn diese Flut nichts Schlimmeres als Tod und Blut anspült, überlasse ich dich jetzt deinem Tun, was auch immer das hier draußen sein mag.« Er schüttelte sich, wartete einen Moment, drehte sich dann um und ging zum Langhaus zurück.

»Schlimmeres als Tod und Blut?«, flüsterte die Schamanin, während sie ihm nachsah, wie er über den Rand der Mulde und dann zum Eingang des Hauses hinabstieg. »Oh, sie bringt etwas Schlimmeres, bei Belphors Feuern!« Sie wandte sich langsam um und trat wieder an den Rand der Klippe. »Etwas weit Schlimmeres«, murmelte sie und schloss erneut die Augen, während sie ihre Hände ausbreitete und sich auf ihre Litanei konzentrierte. »Sie bringt mir meinen Sohn zurück.«

BOUHSS, PROVINZ DES DRACHENREICHES VON ALGHOR,

NORDRAND DES GLUTKESSELS

»Bei allen verfluchten Sonnen – Sandläufer!« Der Karawanenführer riss heftig an den Zügeln seines Fefir, was die Echse zu einem boshaften Zischen und einem Schlag ihres mit harten Hornstacheln bewehrten Schwanzes veranlasste – der allerdings, eben wegen der üblicherweise tödlichen Wirkung eines solchen Schlages, auf klägliche zwei Armlängen gestutzt war. »Los, beeil dich! Die Sandschlitten und Lastechsen sollen sich zu einem Kreis aufstellen!« Der Mann rammte der jungen Frau, die neben ihm auf dem schmalen Doppelsattel der Echse hockte, so heftig den Ellbogen in die Seite, dass sie fast aus dem Sattel geflogen wäre.

»Bei Ganäas Titten, Khar, was soll das? Kannst du nicht gefälligst …?« Sie verstummte, hustete und spuckte, weil ihr Schal, den sie vor dem Gesicht trug, verrutscht war und der Wind ihr den feinen Sand in Nase und Mund trieb.

Der Angesprochene achtete nicht auf sie. Er hatte sich bereits im Sattel aufgestellt und spähte nach vorn. Fluchend sprang die junge Frau in den glühenden Sand hinab und machte sich auf den Weg zum Herrn der Karawane. Der war in seinem Sandschiff, einem Zelt, das man auf einem Gestell zwischen zwei dieser trägen, massigen Lastechsen aufgebaut hatte, vor dem ständigen Flugsand geschützt.

»Verdammt, bei Belphors Höllenfeuern! Und dann auch noch so verflucht viele! Und ausgerechnet hier!«, fluchte der Karawanenführer. Er wandte sich um, kehrte dem Wind damit den Rücken zu und zog das Tuch, das ihn vor dem Flugsand schützte, von seinem Gesicht. »Söldner hierher!«, brüllte er, so laut er konnte. »Die Söldner zu mir!« Bei diesen Worten winkte er einem Bewaffneten in der Mitte der Karawane zu. Der nahm das Signal auf, drehte sich um und gab jemandem hinter sich ein Zeichen.

»He, Makira!«, rief einer der Echsenreiter auf einer stinkenden, gereizt zischenden Lastechse der jungen Frau zu, als sie an ihm vorbeieilte. »Hat Khar dir etwa ein unsittliches Angebot gemacht? Komm, steig auf, ich mach dir ein noch viel dreckigeres. Du kannst auf meinem reiten …!« Er deutete vor sich auf den Sattel.

»Friss Sand, Dörrhirn!«, entgegnete die Frau. »Ich würde mich noch nicht mal darauf setzen, wenn er groß genug für mich wäre. Aber vielleicht sind die Sandläufer ja so gnädig und verfüttern ihn zusammen mit deinen Erbsen an die Wüstenflöhe!« Sie grinste kurz, als sich die Augen des jungen Mannes in dem schmalen Schlitz der Gesichtsmaske vor Angst weiteten.

»Sandläufer? Was? Hier? Wo …?«

Makira deutete zur Spitze der Karawane. »Irgendwo dort vorn. Khar hat sie entdeckt. Sie reiten vor dem Sturm. Wie immer.«

Damit lief sie rasch weiter durch den glühend heißen Sand zur Mitte der Karawane. Beim Laufen öffnete sich ihr Umhang und gab den Blick auf die Krummsicheln in ihrem Gürtel frei. Sie tastete danach, als würde es sie beruhigen, die rauen Ledergriffe zu fühlen.

»Bildet einen Kreis!«, rief sie den Echsentreibern zu, an denen sie vorbeikam. »Wir werden von Sandläufern angegriffen!«

Die Männern und Frauen reagierten zwar meist ungläubig auf ihre Worte, gehorchten aber Makiras Befehl und scherten mit ihren Lastechsen aus.

Als sie endlich das Wüstenschiff erreichte, stand der Karawanenbesitzer, Fasso Osh’b, auf der kleinen Balustrade vor den zurückgeklappten Zeltplanen des Eingangs. Offenbar hatte man ihn bereits in Kenntnis gesetzt. Auf seinem runden Gesicht zeichneten sich ungläubiges Staunen, aber auch Sorge ab.

»Saa’ar? Hier?«, fragte er, drehte sich um und blickte zur Spitze der Karawane, als könnte er die Sandläufer von seinem Standpunkt aus erkennen. Was er aber nicht einmal geschafft hätte, wenn er an der Spitze der Karawane geritten wäre. Fasso Osh’b war von außerordentlich kleiner Statur, so als hätte er im Alter von dreizehn Zyklen beschlossen, nicht mehr in die Länge zu wachsen, sondern in die Breite. Der Mann war rund wie eine Kugel. »Ist sich Khar wirklich sicher?« Die Stimme des Karawanenbesitzers war jedoch nicht die eines Jungen, ganz im Gegenteil. Sie klang tief und rau und strafte die weichen Gesichtszüge und die großen, unschuldig blickenden Augen Lügen. Immer, wenn Makira diese Stimme hörte, dachte sie an die Gerüchte, dass der Kaufmann bei seinen Geschäften über Leichen ging, und das im Wortsinne.

»Das hat er jedenfalls gesagt, Herr!«, erwiderte sie und trat auf dem glühend heißen Untergrund unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Es wurde Zeit, dass sie aus dem Sand herauskam. Aber Fasso dachte nicht daran, ihre missliche Lage zur Kenntnis zu nehmen.

»Wir befinden uns noch auf dem Territorium des Shetan. Normalerweise …«

Sie befanden sich tatsächlich am äußersten nördlichen Rand des Glutkessels, und die Sandläufer warteten mit ihren Überfällen für gewöhnlich, bis die Karawanen tiefer in den Glutkessel vorgedrungen waren. Denn dann konnten sie in aller Ruhe jeden, der bei dem Überfall entkam, jagen und zur Strecke bringen, bevor er einen Wachposten des Shetan von Bouhss erreichte. An Karawanen war kein Mangel, da diese Route der schnellste Weg nach Omarta war, der Hauptstadt der südlichsten und größten Provinz Alghors. Zudem führte sie an etlichen Kaffirs vorbei, Marktflecken mit Zisternen und Brunnen. Auf dem nördlichen Weg, durch die ausgedörrte Knochenwüste vor Omarta, waren die Reisenden der Bedrohung durch die alles Leben erstickenden Sandzyklone sowie Wassermangel ausgesetzt, und außerdem musste man ständig vor den mörderischen Raubechsen auf der Hut sein.

»Wieso greifen uns die Sandläufer überhaupt an?«

Da Fasso anscheinend zu sich selbst sprach, verzichtete Makira auf eine Antwort. Die Karawane war viel zu groß und wurde von so vielen Söldnern bewacht, dass das Risiko eines Überfalls eigentlich zu hoch war. Es sei denn natürlich, bei den Angreifern handelte es sich um ein ganzes Nest von Sandläufern. Für gewöhnlich jedoch überfielen sie in kleineren Gruppen von zehn oder fünfzehn Saa’ar, wie sie sich selbst nannten, kleinere Karawanen, die sich die sehr kostspielige Anwerbung von Söldnern nicht leisten konnten.

Fasso Osh’b hingegen konnte sich jeden Schutz leisten, den er nur wollte.

Er seufzte und schien Makiras Anwesenheit erst jetzt wieder gewahr zu werden. »Also gut! Die Söldner wissen bereits Bescheid.« Er winkte. »Geh und sammle alle Männer, die eine Waffe führen können. Nur für alle Fälle. Ich will keine Überraschung erleben, falls es sich um eine ungewöhnlich große Anzahl von Sandläufern handelt.«

Es war klar, dass Fasso vor allem an seine eigene Sicherheit dachte, denn eine Abteilung Söldner würde allein sein Wüstenschiff bewachen und sich keinen Schritt davon entfernen.

»Alle Männer?«, fragte Makira.

Fasso bedachte sie mit einem gereizten Blick und schlang den Umhang aus feinster Nesselseide fester um sein Gesicht, weil die Vorboten des heraufziehenden Sturms feinen Sand durch die Luft wirbelten. »Sagte ich das etwa nicht?«, fauchte er. »In einer solchen Notlage müssen wir alle kämpfen, und das Seite an Seite, ganz gleich, ob Söldner, Echsentreiber oder Mitreisender.«

Makira nickte, legte kurz beide Hände auf ihr Herz, machte dann kehrt und lief weiter, ans Ende der Karawane, während sich Fasso nach einem letzten besorgten Blick zur Spitze der Karawane in sein Zelt zurückzog. Während die Echsen von den Treibern in einen engen Kreis geführt wurden, bezogen sechs bis an die Zähne bewaffnete Söldner Position vor dem Zelt des Karawaneneigners. Aber das bekam die junge Frau schon nicht mehr mit. Sie war unterwegs zu einem der großen Sandschlitten am Ende der Karawane, der von einem Vierergespann Lastechsen gezogen wurde. Darauf befanden sich Lebensmittel für Menschen und Tiere, Schläuche aus Echsenhaut mit dem kostbaren Wasser und … ein weiteres, allerdings erheblich kleineres Zelt.

Sein Bewohner reizte ihre Neugier, seit sie im Kaffir von Gjorm zu der Karawane gestoßen war, und das umso mehr, als er sich nie blicken ließ, nicht einmal abends bei den Mahlzeiten. Ob er allein in seinem Zelt aß oder gar nichts zu sich nahm, wussten weder Makira noch die anderen Mitreisenden, und ebenso wenig konnte jemand sagen, warum Fasso ausgerechnet diesen jungen Mann mitgenommen hatte. Gewiss nicht, weil es ihn nach einem Gesellschafter verlangte, der ihm auf der langen Reise bis nach SanSibor, der Hauptstadt SanFiras, die Zeit vertrieb. Denn dieser Mitreisende hatte auch mit dem Herrn der Karawane bislang kaum ein Wort gewechselt.

Nun hatte Makira wenigstens einen Grund, das Zelt aufzusuchen und den jungen Mann aufzuscheuchen. Grinsend stieg sie über die herunterhängende Strickleiter auf den Sandschlitten und näherte sich dem Zelt.

Sie streckte die Hand aus, um den Vorhang aus schwerer Fettnessel vor dem Eingang des Zeltes beiseitezuschieben, sprang dann aber mit einem Satz zurück.

»Bei Belphors glühendem Auge!«, fauchte sie, als eine mit Mantel und Kapuze verhüllte Gestalt unmittelbar vor ihr aus dem Zelt trat. »Willst du, dass ich dich in Streifen schneide?«, fuhr sie den Mann an. Ihre Hände lagen auf den Griffen ihrer Krummdolche, aber das schien ihn nicht zu beeindrucken.

»Zu so etwas wärst du imstande?« Seine Stimme klang völlig unbekümmert, und seine Zähne leuchteten unter der Kapuze, als er lächelte. »Nun, aber dann solltest du dir das besser für unsere Feinde aufheben, findest du nicht?« Er legte den Kopf schräg und schien vollkommen entspannt.

Makira ärgerte sich, dass sie sich von dem Mann hatte überrumpeln lassen. Ja, er hatte sie sogar erschreckt. Ebenso missfiel ihr, wenn er sie offenbar nicht ernst nahm. Und irgendetwas an der Ruhe des Fremden flößte ihr auch Unbehagen ein. Sie verzichtete darauf, den Wortwechsel fortzusetzen. »Wir werden von Sandläufern angegriffen. Der Herr der Karawane will …«

Die Reaktion des Fremden überraschte sie ebenso sehr wie sein plötzliches Auftauchen.

»… dass wir kämpfen.« Er stieß zischend die Luft zwischen den Zähnen hervor. »Es wird also Blut fließen.« Er nickte, als hielte er ein Zwiegespräch mit sich selbst, und griff dann über seine Schulter. Nachdem er kurz an der Kapuze genestelt hatte, tauchte der Griff eines Schwertes neben seinem Kopf auf. »Gut. Wir sind bereit.«

Makira betrachtete den seltsam geformten Knauf des Schwertes. Auf den ersten Blick hätte es der Kopf einer Echse sein können. Nein, nicht der einer Echse. Es sah eher aus wie der Kopf eines … Ihr Blick zuckte zu dem Gesicht unter der Kapuze, wo nun dunkle Augen zu erkennen waren, und dann zu dem kleinen Zelt hinter ihm. »Wir?«

Der Mann lachte leise, als hätte Makira einen Scherz gemacht, dessen Pointe nur er verstand. »Verzeih, wie unhöflich von mir. Darf ich vorstellen?« Er deutete mit dem Daumen hinter sich, auf den Griff des Schwertes. »Blutbraut.«

ULCAR, HAUPTSTADT DES DRACHENREICHES VON ALGHOR

DRACHENPALAST, SAAL DER SCHWINGEN

Der Mann eilte mit wehenden Gewändern durch den düsteren Korridor des Palastes. Seine weichen Schuhe verursachten so gut wie keinen Laut auf dem von vielen Sohlen blank gelaufenen schwarzen Stein, seine Worte jedoch waren trotz seines angestrengten Keuchens deutlicher zu hören.

»Gewiss, Eminenz. Eure Weisheit in dieser Angelegenheit ist wahrhaft einzigartig, Eminenz. Natürlich, Eminenz, wie könntet Ihr auch in Eurem unbestechlichen Urteil fehlgehen … Es sei denn, freilich, dass Euch Anfir gerade zufälligerweise in Euren eminenten Hintern kriecht oder Euch den …«

Farael verstummte erschrocken, als er um eine Ecke bog und sich unvermittelt einer Schwingenabteilung Drachenkämpfer gegenübersah, die ihm im langsamen Trott entgegenkam. Wieso hast du sie nicht gehört, du Narr?, dachte er, während er zur Seite trat und dabei den Anführer verstohlen musterte. Hat er mich vielleicht gehört? Du musst aufpassen, verdammt, sonst landest du noch wie Akkad und all die anderen Anhänger des Fürsten im finsterstenVerlies des Palastes.

Der Anführer der Abteilung achtete jedoch nicht auf den jungen Auguren. Farael sah den Soldaten nach. Wahrscheinlich hat erWichtigeres zu tun, dachte er, seiner grimmigen Miene nach zu urteilen.Vielleicht müssen sie irgendwelche Dienstboten in den Kerker werfen, die imVerdacht stehen, sich den angeblichenVerschwörern gegen den Drachenthron angeschlossen zu haben. Oder sie sollen den Pöbel davon abhalten, dieVerliese zu stürmen und den Reichsverweser zu befreien. Oder ihn zu massakrieren, je nachdem. Farael seufzte und ging weiter.

Seit dem Tod des Drachenfürsten – oder der »heimtückischen Ermordung unseres geliebten Herrschers durch gewissenlose Meuchelmörder und Verschwörer aus Hellanden und Alghor«, wie es der Erste Fragende und Oberste der Kaste der Auguren, Druud OchNarjon, ausgedrückt hatte –, versuchte ebendieser, der Unruhe in Ulcar Herr zu werden. Unmittelbar nach dem Attentat hatte er die Amtsgeschäfte übernommen. Noch im »Roten Sand«, der Großen Ringarena von Ulcar, wo Prakuhl ermordet worden war, hatte er der entsetzten und aufgebrachten Menge versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die »wahren Schuldigen an dieser hinterhältigen Intrige ausfindig zu machen und sie mit aller Härte und ohne Ansehen der Person zur Rechenschaft zu ziehen«. Gleichzeitig hatte er den Einwohnern von Ulcar und der Bevölkerung von Alghor versprochen, die Drachenbraut »standesgemäß« mit dem Edlen von Ern zu verehelichen, »wie es der ehrenwerte Prakuhl de Prunfors für seine Tochter vorgesehen hatte, auf dass der Drachenthron nicht verwaise und das Drachenreich auch in Zukunft von einem starken Herrscher geleitet werde«.

Dumm war nur, dass Jolah, die eher widerspenstige Braut in spe, es vorgezogen hatte, sich ihrer »standesgemäßen« Heirat durch Flucht zu entziehen. Was natürlich niemand erfahren durfte. Farael verzog spöttisch die Lippen. Ebenso wenig wie die Wahrheit über dieses Attentat. Hätten die Zuschauer im Roten Sand die wahren Hintergründe geahnt, hätten sie Druud zweifelsohne auf der Stelle in Stücke gerissen und an die Raubechsen in der Arena verfüttert. Und den Möchtegern-Bräutigam Ryehl als Dessert gleich hinterhergeworfen. Aber Druud würde schwerlich verhindern können, dass bald die ersten Gerüchte aufkamen. Deshalb war Eile geboten, wenn er seine Pläne verwirklichen wollte.

Pläne, dachte Farael verbittert, in denen es für mich ganz offensichtlich keinen Platz gibt. Gewiss, er war zwar immer noch offiziell das Auge des Sehers und folglich der Zweite in der Rangordnung der Auguren. Und außerdem hatte Druud ihn mit dem sehr wichtigen Auftrag betraut, die Drachenbraut aufzuspüren. Aber Farael hatte schon lange vor dem Attentat gemerkt, dass er in der Gunst von Druud deutlich gesunken war. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen, dass Anfir den Obersten Auguren offenbar an den Eiern hat. Und Jolah aufzuspüren war eine undankbare und extrem heikle Aufgabe. Wie sollte er Erkundigungen über ihren möglichen Verbleib anstellen, wenn niemand erfahren durfte, dass sie überhaupt verschwunden war?

Der junge Augur bog um eine weitere Ecke in einen breiten, von Kandelabern in warmes Licht getauchten Hauptgang, an dessen Ende das dunkle, mit kostbaren Schnitzereien geschmückte Portal des Saales der Schwingen lag, des Thronsaales von Ulcar.

Jetzt ist nicht der richtige Moment für solche Gedanken, ermahnte sich Farael und atmete tief durch, als er sich der hohen Doppeltür mit den vier Wachsoldaten davor näherte. Konzentrier dich lieber und bereite dich auf das vor, was dich hier erwartet. Er machte sich keine Illusionen über den Grund, weswegen der Erste Fragende ihn hierherbestellt hatte.

Vermutlich wird er mich erneut demütigen, weil ich die Drachenbraut immer noch nicht gefunden habe, obwohl er mir schon heute Morgen den Auftrag dazu erteilt hat. Jedenfalls wird er ganz sicher nicht meinen Rat einholen oder mich in seine Pläne einweihen wollen. Er schluckte mehrmals, um den bitteren Geschmack im Mund und das Gefühl von Enttäuschung und Widerwillen zu unterdrücken. Wahrscheinlich braucht er nur ein frisches Gewand, weil er sich beim Essen bekleckert hat, und es ist gerade kein anderer Augur greifbar. Oder… Unwillkürlich krampfte sich sein Magen zusammen, und wieder hatte er einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Oder er jagt mich endgültig davon.

»Der Erste Fragende …«, begann er, doch weiter kam er nicht.

»Er wartet schon auf dich, Auge«, fiel ihm einer der Soldaten ins Wort. »Und zwar recht ungeduldig.« Der Mann grinste, und Farael stellte fest, dass es sich bei ihm nicht um einen Drachenkämpfer handelte, sondern er auf seinem Wappenrock das Symbol eines Hammers auf grünem Grund trug. Die Hämmer von Ern? Seit wann stellen die Soldaten des Edlen von Ern dieWache im Drachenpalast?

Es blieb ihm keine Zeit, sich noch weiter mit dieser Frage zu befassen, denn die beiden anderen Wachen hatten das äußere Portal geöffnet, und die beiden inneren Flügeltüren zum Saal der Schwingen standen bereits offen. Im Vorbeigehen bemerkte Farael, dass zwischen den beiden Doppeltüren sogar sechs Soldaten der Hämmer postiert waren, dann wurde seine ganze Aufmerksamkeit von der Szene auf dem Thronpodest in Anspruch genommen.

»Farael? Endlich, bei Belphors Hörnern!«, dröhnte es dem Auguren entgegen. »Wieso hast du so verdammt lange gebraucht? Hast du den Weg zum Thronsaal nicht mehr gefunden? Du bist das Auge des Sehers, verflucht! Du hast dich bereitzuhalten, damit du mir unverzüglich zu Diensten sein kannst, wenn ich dich brauche!« Druud OchNarjon, der Erste Fragende und Oberste der Auguren saß … auf der Drachenklaue, dem Thron der Drachenfürsten von Alghor, und zu seinen Füßen kauerte …

Der unvermeidliche Anfir, dachte Farael. Aber wenigstens kauert er zu seinen Füßen und nicht unter seinem Gewand.

»Gewiss, Herr«, beeilte er sich dann zu antworten. »Ich bin so schnell …«

»Zum Glück war Anfir in der Nähe, um mich zu führen. Ich weiß wirklich nicht, warum ich immer noch an dir als mein Auge festhalte, Farael! Du solltest deine Pflichten ein klein wenig ernster nehmen, mehr verlange ich ja gar nicht!« Druud OchNarjon legte den Kopf schräg, als sich Anfir aufrichtete und ihm etwas zuflüsterte. Dabei ließ er Farael nicht aus den Augen, und auf seinem jungen hübschen Gesicht malte sich unübersehbar Verachtung ab. »Ja, richtig. Wir haben wirklich Wichtigeres zu tun, als säumige Diener zu belehren.«

Diener? In Farael wallte Zorn auf, aber er riss sich zusammen und ließ sich nichts anmerken. Anfirs Blick war immer noch starr auf ihn gerichtet, und wie immer fühlte sich Farael in der Gegenwart dieses jungen Noviche entschieden unwohl.

»Gewiss, Herr«, murmelte er, nachdem er das Podest erreicht hatte. »Verzeiht meine …«

»Schon gut, schon gut.« Druud OchNarjon wedelte ungeduldig mit seiner knochigen Hand in der Luft herum. »Also, sprich, gibt es Neuigkeiten über den Verbleib von Jolah? Was sagen die Patrouillen? Du hast doch Patrouillen ausgeschickt, wie ich es dir befohlen habe?«

Farael ließ den Blick nicht von dem Noviche und nickte unwillkürlich. Als er daraufhin Anfirs höhnisches Grinsen bemerkte, musste er sich zusammenreißen. Noch war er das Auge des Sehers und nur Druud OchNarjon Rechenschaft schuldig – und nicht seinem Lustknaben oder was auch immer Anfir sein mochte.

»Gewiss, Eminenz«, gab er zurück, wobei er Anfir absichtlich weiter anstarrte. »Aber bis jetzt haben sie bedauerlicherweise …«

»Ah!« Der Erste Fragende hatte mit der Faust auf die Lehne des Throns geschlagen und sich dabei an der harten Kante wehgetan. »Mist, verdammt! Welcher Idiot hat denn diesen perversen Thron entworfen?«

Weder Anfir noch Farael unterbrachen ihr Blickduell, während sie einstimmig antworteten.

»Argholhar, Herr.«

»Der Erste der Drachenfürsten, Argholhar, Eminenz.«

»Das weiß ich selbst, du Narr!«, fauchte Druud, und Farael brauchte einen Moment, bis er begriff, dass der Oberste Augur nur ihn angesprochen hatte. »Sag mir, wieso die Patrouillen keine Spur von ihr gefunden haben! Sie ist noch ein verdammtes Kind, und es kann nicht so schwer sein, sie ausfindig zu machen. Auch wenn sie Hilfe von diesem dahergelaufenen Waisenknaben hatte!«

Farael hatte es satt, den starren Blick Anfirs zu erwidern. Sollte dieser Noviche seinen billigen kleinen Sieg genießen! Aber er musste sich dazu zwingen, den eigenen Blick abzuwenden. »Herr«, sagte er an Druud gerichtet, »ich fürchte, er war nicht der Einzige, der ihr geholfen hat. Meines Wissens ist auch Cassda’ra verschwunden, die Höchste Drachenpriesterin, und …«

»Ha! Diese Drachenpriesterinnen sind mir ohnehin schon lange …« Druud sprang von dem wie eine Drachenklaue geformten Thron auf und wäre fast gestürzt, weil er die Stufe vergessen hatte, die zu dem kleinen Piedestal hinaufführte, das den Thron noch ein wenig über das Podest erhob. Er ruderte mit den Armen, und Farael machte unwillkürlich Anstalten, ihm zu Hilfe zu eilen. Auch wenn er zu spät gekommen wäre. Verblüfft sah er, dass Anfir sich nicht anschickte aufzustehen, um den blinden Obersten Auguren vor einem Sturz zu bewahren. Doch im nächsten Moment schlug sein Erstaunen in reine Fassungslosigkeit um. Er beobachtete, dass Anfir wie vollkommen unbeteiligt seine Hand hob, in der er einen seltsam gebogenen Stab hielt, den er in Richtung des Ersten Fragenden hielt. Druud schlug mit einer rudernden Hand gegen den Stab und bekam ihn zu fassen.

»Danke, Anfir!«, stieß der Oberste Augur hervor, während er den Stab umklammerte und so sein Gleichgewicht wiederfand.

»Gewiss, Herr, stets zu Diensten.« Die weiche Stimme des Noviche passte so gar nicht zu seinem verächtlichen Lächeln und dem kalten Blick, der immer noch auf den jungen Auguren gerichtet war. Aber Farael hatte nur Augen für den Stab, den Anfir in seiner behandschuhten Rechten hielt.

Der Stab des Sehers!, dachte er. Aber… das ist das Zeichen des Auges, das Symbol meines Amtes und meiner Befugnisse, und es kann nur ein Auge geben!Was, beiBelphorsgespaltenem Schwanz…?

Erst als Druud weitersprach, richtete Farael seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Herrn. »Aber um das Problem der Drachenpriesterinnen kümmern wir uns später.« Er räusperte sich. »Entscheidend ist, dass die Drachenbraut gefunden wird, und zwar so schnell wie möglich.« Er hielt inne und wandte sich in Faraels Richtung. »Es ist von allergrößter Bedeutung, dass wir Jolah finden und sie mit Ryehl vermählen, das muss ich dir ja wohl kaum näher erläutern!« Als Farael nicht gleich antwortete, fügte er barsch hinzu: »Oder?«

»Nein … nein, natürlich nicht, Eminenz. Seid versichert, dass ich mein Möglichstes tun werde, um …«

»Ich hoffe, du lässt deinen Worten endlich Taten folgen! Bislang scheinst du alles andere als dein Möglichstes getan zu haben!« Er schnaubte verächtlich. »Dabei brauchst du nichts weiter zu tun, als fähige Leute auf ihre Spur zu setzen. Das kann doch nicht so schwer sein! Selbst Anfir wäre dieser Sache besser gewachsen.« Druud verstummte und senkte den Kopf, während der Noviche Farael weiterhin kalt musterte.

»Verzeiht, Eminenz, aber ich glaube kaum, dass ein Noviche …«

»Dir scheint nicht klar zu sein, in welch prekärer Lage ich … sich das Reich befindet!«, unterbrach ihn Druud. »Und was ich als Reichsverweser alles zu bedenken habe. Alghor muss einem Angriff Hellandens zuvorkommen. Die machtgierige Egkhild wird nicht zögern, den Tod ihres Bruders für ihre Zwecke zu nutzen, obwohl Nimgurd nur wegen seines heimtückischen Mordanschlags auf den Drachenfürsten zu Tode gekommen ist. Das Drachenreich wird nicht warten, bis die Nordlinge seine Grenzen überschreiten. Darum wird sich Broll kümmern, der jeden Augenblick hier eintreffen muss.« Er tastete hinter sich, bis er die Lehne des Drachenthrons fand, und ließ sich dann wieder auf den Sitz sinken. »Derweil wird Ryehl immer ungeduldiger und verlangt, dass endlich die Eheschließung mit Jolah vollzogen wird. Magabor hat offenbar sogar schon ein Kopfgeld auf den Entführer der Drachenbraut ausgesetzt, weil er wohl immer noch hofft, sich über sie den Drachenthron erschleichen zu können. Und die Magi wiegeln unter Führung von Sephist das Volk gegen mich … gegen den Thron auf, indem sie behaupten, meine Anklage gegen den Verräter, den ehemaligen Reichsverweser und Hexer Akkad da’al Akkadi, wäre eine üble Verleumdung und eine Verdrehung der Tatsachen!«

Was ja auch nicht ganz aus der Luft gegriffen…

»Ich kann diesen Angriffen nur wirkungsvoll begegnen, wenn ich dem Volk die Drachenbraut und ihren Bräutigam präsentiere, wie ich es angekündigt habe!«, fuhr Druud fort. »Also ist es von ebenso großer Bedeutung, Jolah zu finden, wie den Feldzug gegen Hellanden zu planen und die Macht der Magi ein für alle Mal zu beschneiden. Für das Zweite habe ich in Broll den geeigneten Mann, was Letzteres angeht …« Er streckte die Hand aus, und Anfir rückte nach kurzem Zögern ein Stück näher, sodass der Oberste Augur seine Hand auf die rotblonden Locken des Jünglings legen konnte. »Nun, wir werden sehen. Und was die Drachenbraut betrifft, hoffe ich sehr, dass du nicht versagst, Farael. Du kannst jetzt gehen, aber ich erwarte, dass du mir heute Abend Bericht erstattest. Und zu Anfirs Rolle …« Der Erste Fragende machte eine Pause und lächelte. »Er erweist sich in diesen schwierigen Zeiten zunehmend als eine wertvolle Stütze.« Farael schluckte, als Anfir ihn daraufhin eindeutig boshaft anlächelte. »Es hat zwar noch nie zwei Augen des Sehers gegeben, aber es war auch noch nie ein Erster Fragender gezwungen, die Rolle des Reichsverwesers und die des Obersten der Kaste der Auguren gleichzeitig auszufüllen. Ich nehme an, du bist erleichtert, Farael, dass Anfir dich unterstützt angesichts der zunehmenden Aufgaben, die sich dir stellen werden.« Druud schürzte verächtlich die Lippen. »Und die du ja schon jetzt kaum zufriedenstellend ausführst.«

»Gewiss, Eminenz«, murmelte Farael.

Ein zweites Auge des Sehers? Farael schaffte es nur mit Mühe, die Empörung in seiner Stimme zu unterdrücken.

»Zwei Augen sehen schließlich bekanntlich mehr als eines, wie man sagt«, fuhr Druud fort. »Und in diesen schweren Zeiten kann ich gar nicht genug Augen haben, wie ich dir ja vorhin schon sagte. Außerdem, wie sollte ich mich durch den Palast oder Ulcar bewegen, wenn du nicht da bist, um mich zu führen?« Er tätschelte Anfirs Kopf. »Ich halte diese Lösung, die übrigens Anfir vorgeschlagen hat, für ganz ausgezeichnet.«

Natürlich! Das hätte ich mir auch denken können! Dieser kleine, intrigante… Farael schluckte. Druud OchNarjon war blind, wie jeder Erste Fragende der Auguren. Der häufige Genuss des Drachengiftes, das den Obersten der Auguren erlaubte, die Fäden des Schicksals zu ertasten und die Antworten der Götter im Mund der Götter zu verstehen, hatte auch ihm das Augenlicht genommen. Der Stab war zwar ein Hilfsmittel, mit dem das Auge des Sehers den Ersten Fragenden führte, aber er war noch weit mehr als das. Vor allem war er Symbol des Ranges und der Macht des Auges und verlieh ihm die Autorität, im Namen des Obersten Auguren zu sprechen.

Wenn Anfir jetzt ebenfalls über einen solchen Stab verfügt, wird es nicht mehr lange dauern, bis er mir meine Stellung streitig macht. Ich muss mich beeilen…

Farael hütete sich allerdings, seine Empörung zu äußern – wozu ihn Anfirs Blick förmlich herausforderte. Farael ahnte, dass es nicht gut für ihn ausgehen würde, wenn er der Versuchung nachgab und sich bei Druud beschwerte. Im schlimmsten Fall würde der ihn am Ende noch auffordern, seinen eigenen Stab abzugeben. Und das kann ich auf keinen Fall riskieren. Nicht jetzt…

»Gewiss, Eminenz, eine … eine wirklich ausgezeichnete Idee Eures Noviche«, erwiderte er. Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ein wenig gequält klang.

»Schön, dass du das auch so siehst, Farael«, sagte Druud spöttisch. »Jetzt geh und führe meine Befehle aus. Wie gesagt, ich erwarte spätestens heute Abend deinen Bericht, wo sich diese aufsässige Drachenbraut versteckt hält.« Er seufzte und tätschelte Anfirs Kopf. »Ich hoffe wirklich sehr, dass du mich nicht enttäuschst. In deinem eigenen Interesse, wohlgemerkt.«

Farael hielt den Kopf gesenkt, als er sich umdrehte und zum Portal des Saales ging. Er hätte es nicht ertragen, Anfirs triumphierendem Blick noch einmal zu begegnen.

Die Soldaten an der Tür musterten ihn gleichgültig und ließen sich, wie er fand, recht viel Zeit, die innere Flügeltür zu öffnen, die sie nach seinem Eintritt geschlossen hatten. Nur einen Türflügel, nicht beide!, bemerkte Farael grimmig. Als wäre ich nicht würdig, durch das Portal zu schreiten, sondern müsste mich wie ein gewöhnlicher Bittsteller hindurchzwängen.Wären es Drachenkämpfer, würden sie mir mehr Respekt entgegenbringen!

Faraels Zorn über die Demütigung, die er hatte über sich ergehen lassen müssen, wuchs. Und es war eine Demütigung, ganz gleich, wie er es auch drehte und wendete. OchNarjon hat sich nicht einmal sonderlich viel Mühe gegeben zu verbergen, dass er mich zu einem besseren Laufburschen degradiert hat. Farael drängte sich wütend zwischen den Soldaten hindurch, die ihn unverschämt angrinsten, und wäre fast mit dem hochgewachsenen Mann zusammengestoßen, der im selben Moment durch das äußere Portal trat. Farael bemerkte kaum, dass die Wachsoldaten auf der anderen Seite für den Mann beide Flügel des Portals geöffnet hatten, denn er war zu sehr damit beschäftigt, ihm auszuweichen.

»Verdammt, könnt Ihr nicht …?«, fauchte er, als er mit der Schulter gegen den bronzenen Brustpanzer des Eintretenden stieß, verstummte jedoch augenblicklich, als er sein Gegenüber erkannte und den finsteren Blick des Mannes gewahrte.

»Schlecht gelaunt, Kerl?«

»Ich bin …!«, fuhr Farael hoch.

»… im Weg«, knurrte Broll und schob das Auge des Sehers ohne viel Federlesens – und auch, wie Farael in ohnmächtigem Zorn feststellen musste, ohne allzu viel Mühe – beiseite. »Dein Herr hat gepfiffen, und wie ein guter Kettenhund gehorchst du, hab ich recht?«

Die Miene des Anführers der Hämmer von Ern hellte sich auf, während er den jungen Auguren für seine Verhältnisse fast freundlich angrinste, dann marschierte er weiter durch das innere Portal. Farael entging nicht, dass die Wachen zackig salutierten, als er an ihnen vorbeischritt. Aber bevor er sich darüber aufregen konnte, verschluckte er sich fast, als er die Worte hörte, mit denen Broll den Ersten Fragenden, den Obersten der Auguren und amtierenden Reichsverweser, begrüßte.

»Ihr wolltet mich … sehen, OchNarjon?«

PROVINZ BOUHSS, NORDRAND DES GLUTKESSELS

Blut Blut Blut

»Nein, verdammt! Hör auf!«

BLUTTODDRAAKENBLUTBLUTTOD

Die Fäden schimmerten blutrot vor Lays Augen und vermischten sich mit der schemenhaften Gestalt eines Menschen. Eines Mannes, der auf einem Drachen ritt …

Blut Blut Blut

Lay spürte, wie Blutbraut in seinen Händen vibrierte, wie ihre Stimme in jeder Faser seines Körpers sang, wie sein Schwert ihn förmlich herumschwang …

Mit einem Rückhandschlag durchtrennte Lay den Hals des Rhaphta. Die Klinge zischte, als das ätzende Blut der Raubechse darauf zu verdampfen schien. Das Tier lief noch ein paar Schritte, brach dann zusammen, und der Sandläufer flog in hohem Bogen aus dem seltsam geformten, entfernt an einen Harnisch erinnernden Sattel, prallte auf einen roten Sandsteinfelsen und landete dann einige Schritte von Lay entfernt im Sand.

Blut Blut Blut

Du bist der Letzte! Lay war mit einem langen Satz neben dem Mann, der ihn mit seinen dunklen Augen anstarrte. Sie waren das Einzige, was die schwarze Feydakhin, die Kopfhaube der Sandläufer, von seinem Gesicht erkennen ließ. In seinem Blick lag keine Angst, nur Hass und ein fast trotziges Sichfügen in sein Schicksal, das gleiche Schicksal, das Lays Blutbraut bereits mehr als zehn anderen Kämpfern seines Nests bereitet hatte. Die Sandläufer waren als erbarmungslose und ausgezeichnete Kämpfer berüchtigt, und deshalb schienen sie zu akzeptieren, wenn sie auf einen ebenbürtigen Kämpfer trafen. Nur, dass Lay ihnen nicht nur ebenbürtig war.

»NEIN, bei Ayraks Feuern, du Monster! Wir wollen ihn lebend, verdammt! Hörst du nicht? HÖRSTDUMICHNICHT?HÖRAUF!«

Blut Blut Blut

Monster? Lay kniff die Augen zusammen und atmete tief durch. Die Spitze seines Schwerts schwebte leicht zitternd unmittelbar vor der Kehle des Sandläufers. Die Klinge schimmerte so strahlend und hell, als wäre sie gerade aus der Schmiede gekommen. Kein einziger Tropfen Blut klebte daran, kein Gewebe, kein Knochenstück. Und das, obwohl sie mehr als zehn Menschenleben beendet hatte.

Und dieses ganz offenbar ebenfalls beenden will, dachte Lay und holte noch einmal tief Luft. Die Fäden vor seinen Augen wurden golden und verblassten dann allmählich.

Ayrak? Ich bin sicher, dass es keinen Gott dieses Namens in SanFira gibt. Zanth’ras Unterricht im Monasterium war sehr gründlich gewesen. KeinWunder, schließlich war ich auch ihr einziger Schüler. Aber irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört. Oder habe ich ihn vielleicht gelesen? Richtig, im Okkultum der Drachenpriesterinnen…

»Schon gut.« Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren heiser und rau. »Ich hab’s ja gehört.« Er erwiderte den regungslosen Blick des Sandläufers und trat dann langsam zurück, ohne das Schwert zu senken. »Auch wenn ich nicht verstehe, was ihr von ihm …«

»Er ist verletzt und wehrlos!«, fauchte Makira und trat rasch zwischen Lay und den im Sand sitzenden Mann. Der riss seinen Blick von Lay los und drehte sich zu seinem Reittier um, das regungslos am Boden lag.

»Rraa.« Ein kehliger, erstickter Laut drang aus seinem Mund, gedämpft von der Feydakhin.

Ist das der Name dieser widerlichen Echse, oder ist es ein Schmerzenslaut? Lay wusste es nicht, und es interessierte ihn auch nicht sonderlich.

Der Kampf hatte ihn erschöpft. Der Kampf und …

Was ist mit mir los?, dachte er, während sein Blick zu seinem Schwert glitt. Die Blutbraut lag friedlich in seiner Hand, jedenfalls so friedlich, wie eine perfekt geschmiedete, grau schimmernde Klinge sein konnte, an der nichts, weder Blut noch Haut noch Knochen haften blieb und die sang, wenn sie Blut schmeckte.

»Was, verdammt noch mal, ist mit dir los?«

Lay riss den Blick von seiner Waffe und hob den Kopf, als die Frage, die er sich gerade selbst gestellt hatte, von einer atemlosen weiblichen Stimme laut wiederholt wurde. Dann erst nahm er die junge Frau wahr.

Makira. Er erinnerte sich an ihren Namen. Den hatte sie ihm genannt, als sie ihn beim Nahen der Sandläufer aus seinem Zelt hatte holen wollen. Unnötigerweise, dachte Lay, und sein Blick glitt wieder zu dem Schwert in seiner Hand. Blutbraut hatte ihn bereits vor dem Auftauchen der Feinde gewarnt. Obwohl»gewarnt« es wohl nicht so ganz trifft, dachte er grimmig. Frohlockt traf es wohl eher. Er schüttelte den Kopf und steckte die Klinge in die ebenfalls mattgraue schmucklose Scheide zurück.

Dann sah er die Frau an. Makira. Sie stand leicht vornübergebeugt vor ihm, die beiden Krummdolche noch in den Händen. Von den sichelförmigen Scheiden tropfte Blut, und sie selbst war ebenfalls über und über mit Blut besudelt.

Das ist das Problem, wenn man solcheWaffen führt, dachte Lay. Das Blut der Gegner versaut einem sämtliche Gewänder. Allerdings dürfte die Reinigung ihrer Garderobe nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. Sein Blick glitt von dem Gesicht der jungen Frau, über ihren braunen schlanken Hals zu den Lederfetzen, die ihre festen Brüste mehr schlecht als recht bedeckten, dann weiter zu ihrem nackten braunen Bauch, dem schmalen Lederschurz vor ihrem Schoß und der fast durchsichtigen Hose aus Nessel, die sie darunter trug und deren leuchtendes Rot von dunkleren Flecken, offenbar ebenfalls Blut, gesprenkelt war. Denn viel Stoff zumWaschen trägt sie ja nicht am Leib. Er musste unwillkürlich grinsen.

Ein scharfes Zischen veranlasste ihn, seinen Blick von den weichen Lederstiefeln an ihren Füßen zu den lodernden Augen in ihrem Gesicht zu lenken.

»Was ist denn?«, fragte er und verschränkte die Arme.

»Kann es sein, dass du mich … He!«

Lay war vorgesprungen, prallte gegen sie und riss sie zu Boden. Sie landeten im Sand, und im nächsten Moment zischte ein Dolch durch die Luft, etwa dort, wo Lay und Makira eben noch gestanden hatten.

»Was …?«, fauchte sie.

»Hierher!«, schrie eine heisere Stimme. Einige Gestalten tauchten aus dem heißen Staub auf, den der mittlerweile wieder abgeflaute Sandsturm immer noch aufwirbelte. »Wir haben einen Gefangenen!«

Makira blieb einen Moment regungslos unter Lay liegen. Ihre beiden Gesichter waren nur eine Handbreit voneinander entfernt. »Runter … von … mir«, zischte sie. »Sofort!«

»Keine Umstände, es war mir eine Freude, dir das Leben zu retten.« Lay grinste sie an und stemmte sich hoch. »Jederzeit wieder.«

»Du hast mir nicht das …!«

Lay kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern trat zu dem Sandläufer. Der Mann hatte sich offenbar bei dem Sturz von seinem … Reittier? Oder wie soll ich diesesVieh nennen? … ein oder vielleicht sogar beide Beine gebrochen. Das hatte ihn jedoch nicht daran gehindert zu versuchen, ihn umzubringen. Lay wusste, dass Makira recht hatte. Der Dolch hatte nicht ihr gegolten, sondern ihm. Der Mann schien ansonsten unbewaffnet zu sein. Außerdem litt er eindeutig Schmerzen, jedenfalls wenn die kehligen Laute, die er von sich gab, Schmerzenslaute waren.

Was sollten sie sonst sein?, dachte Lay.

»Los, Männer, packt ihn und bindet ihn.« Der Führer der Karawane, Khar, kam in Begleitung von drei Söldnern langsam auf sie zu, während der Sandläufer weiter seine heiseren Laute ausstieß.

»Er scheint verletzt und Schmerzen zu haben …«, begann Lay.

»Schmerzen?«, wiederholte Khar und warf dem jungen Mann einen verständnislosen Blick zu, während die Söldner den Sandläufer an den Armen packten und ihn unsanft vom Boden hochrissen.

»Er trauert um sein Rhaphta«, mischte sich Makira ein, die hastig aufgestanden war, als die Männer der Karawane und ein paar Söldner näher kamen. »Diese Männer sind viel zu stolz, um sich körperliche Schmerzen anmerken zu lassen.« Sie sah sich um. »Vielleicht trauert er auch um seine Nestbrüder.« Ihr Blick glitt wieder zu Lay. »Du kannst dich rühmen, dass du dir heute einen erbitterten Feind gemacht hast, der dich niemals vergessen und dich bis zum Ende deines oder seines eigenen Lebens jagen wird.«

»Weil ich ein paar seiner Kameraden getötet habe?« Lay runzelte die Stirn. »Sie haben uns angegriffen, schon vergessen?«

»Nicht deshalb.« Sie deutete mit einem Nicken auf die Leiche der Echse, aus deren schuppigem Hals immer noch ätzendes grünliches Blut zischend in den Sand troff. »Deshalb. Weil du sein Rhaphta geköpft hast. Etwas Schlimmeres kannst du einem Sandläufer nicht antun.«

»Tatsächlich?« Lay sah zu dem Mann, der ihn unentwegt mit brennenden Augen anstarrte, und seufzte. »Nun, das würde ich nicht sagen. Es gibt immer noch …« Er griff nach seinem Schwert, aber ein scharfes Zischen ließ ihn innehalten.

Makira hatte ihre Krummdolche gezogen und stand in leicht gebückter Angriffshaltung vor ihm. »Du wirst keinen unbewaffneten und hilflosen Gefangenen töten«, fauchte sie. »Jedenfalls nicht, wenn ich dabei bin.« Ihre dunklen Augen funkelten. »Man sollte meinen, du hättest deinen Blutdurst zur Genüge gestillt.«

Lay erwiderte nichts, sondern musterte die junge Sandfrau aufmerksam. Er war davon überzeugt, dass sie ihn angreifen würde, falls er tatsächlich versuchte, den Sandläufer zu töten. Was er eigentlich gar nicht beabsichtigte. Und genauso sicher ist, dass sie keine Chance gegen mich hat, dachte er. Ein Gedanke, der ihn allerdings nicht sonderlich mit Stolz erfüllte. Er hatte augenblicklich das leise Summen in seinem Kopf gespürt, als er die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt hatte, und nicht zum ersten Mal in diesen vergangenen Monaten schoss ihm die Warnung von Okh-ta durch den Kopf, der Schmiedin der Singenden Klingen.»Du formst das Schwert, und das Schwert formt dich. Und jedeWaffe lechzt nach Blut. Auch diese hier.« Damals, in der Schlucht der Schmiede, hatte er ihre Worte nicht so ernst genommen, aber mittlerweile hatte er seine Haltung diesbezüglich geändert. Okh-ta hätte mich ruhig ein wenig eindringlicher warnen können! Oder Korgh, verdammt! Er dachte an den Nordling, der ihm damals im Monasterium zweifellos das Leben gerettet hatte, als er ihn daran gehindert hatte, einfach loszustürmen und mit seinem lächerlichen Jagdbogen den Anführer der Hämmer von Ern anzugreifen. Er hatte den Tod von Theija und den anderen Bewohnern des Klosters rächen wollen, der einzigen Familie, die er je gehabt hatte. Bei dem Gedanken an seinen alten Gefährten schnürte sich ihm die Kehle zusammen. Er hätte nicht gedacht, dass ihm dieser nach Fischtran stinkende Kämpfer aus Hellanden einmal fehlen würde, aber genau so war es.

Und Jolah fehlt dir ebenfalls, gib es ruhig zu. Aber er hatte keine Zeit, sich irgendwelchen Sentimentalitäten hinzugeben. Denn offenbar hast du da jemanden aufgegabelt, der mindestens genauso streit- und herrschsüchtig ist wie die Drachenbraut.

Lay starrte immer noch die Sandfrau an, die unter seinem Blick langsam die Krummdolche sinken ließ, als spürte sie, dass Lay nicht vorhatte, noch mehr Blut zu vergießen. Jedenfalls im Augenblick nicht.

»Hab ich nicht«, sagte er.

»Was hast du nicht?«

»Es ist nicht mein Blutdurst«, antwortete Lay und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als er sah, wie sich zuerst Verwirrung und dann Argwohn auf Makiras Gesicht breitmachte, während ihr Blick von seinem Gesicht zu dem Schwertgriff glitt, der über seiner Schulter hervorragte.

»Es ist nicht …?« Die Sandfrau starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Wer, bei Ayraks Krallen, bist du?«

»Ja, wahrlich, junger Kämpfer, wer bist du?« Die dröhnende Stimme war eine Ablenkung, die Lay sehr willkommen war. »Und was führt dich hierher ins Land von Belphors Feuer? Ich muss schon sagen, so wie dich habe ich noch nie jemanden kämpfen sehen!«

»Ich …« Lay wendete sich um. Der Herr der Karawane stand vor ihm, genauer, er schwebte. Fasso Osh’b bot einen etwas grotesken Anblick, und Lay musste sich zusammenreißen, um nicht zu feixen. Der kugelförmige Karawanenbesitzer wurde von vier Söldnern seiner Leibwache in einer sonderbaren Konstruktion aus Lederbändern und Stöcken getragen, die entfernt an eine Kinderschaukel erinnerte. Offenbar wollte er seine für seine Körperfülle überraschend zierlichen Füße nicht dem heißen Sand aussetzen.

Lay senkte den Kopf, aber bevor er antworten konnte, trat ein anderer Mann vor, der neben den Söldnern hergegangen war. »Das kann man wohl sagen. Du bist ein verflucht guter Kämpfer!«

Es handelte sich um Praak, Hauptmann der Söldner in Fassos Diensten. Lay hatte ihn gesehen, als er in Druuhn, einem Marktflecken am Niederwai, einem der Haupthandelswege, die von Belphors Schlaf in Richtung Belphors Feuer führten, zur Karawane gestoßen war. Nachdem Jolah ihn verlassen hatte.

Er hatte sich Khar und Praak gegenüber als Ringfechter und erfahrener Schwertkämpfer ausgegeben, der zum Schutz der Karawane beitragen könnte und dafür sogar bezahlte. Mit dem Gold, das Jolah und Cassda’ra ihm überlassen hatten, und dank seiner Fähigkeiten in der Kunst der Versenkung hatte er Fassos anfänglich ablehnende Haltung ihm gegenüber zu seinen Gunsten ändern können. Praak aber hatte Lay verächtlich gemustert und ihn nicht zu seinen Leuten nehmen wollen, sondern ihm eine gesonderte Unterkunft auf dem letzten Lastschlitten in der Karawane zugewiesen, der ungegerbte Echsenhäute transportierte. Zum Glück hatte der Wind den elenden Gestank der Häute zumeist von Lays Zelt fortgetragen.

Offenbar habe ich meine wertvollen Dienste als gedungenes Schwert heute genügend unter Beweis gestellt!

Er sah, dass Fasso ihn immer noch aufmerksam betrachtete, und auch Praak musterte ihn scharf. Sie warteten offenbar auf eine Antwort. Und auf seinen Namen.

»Mir hat … mir … mir haben der … ständige Schnee und das Eis in … Hellanden nicht gefallen«, erklärte Lay rasch, während er fieberhaft nach einem passenden Namen für sich suchte. »Ich habe gehört, dass es hier in Belphors Feuer wärmer sein soll.« Er bemühte sich, ein gelassenes Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. »Und dass die Frauen hier hübscher sind und nicht nach Fischtran riechen.« Er warf Makira einen anzüglichen Blick zu, konnte jedoch wegen des ganzen Blutes auf ihrer dunklen Haut nicht erkennen, ob sie errötete. Aber ihre Augen glühten dafür umso deutlicher. »Was ja auch beides zutrifft.«

Fasso lachte, und selbst Praak verzog seine dünnen Lippen zu einem Grinsen. »Ein Nordling, hm?«, knurrte der Söldnerhauptmann. »Ich hab ja hier unten nur selten einen zu Gesicht bekommen, aber ich meine mich zu erinnern …«

»Von mir aus könnte er auch ein Dämon aus der Steinöde sein«, fiel ihm Fasso ins Wort. »Jedenfalls heiße ich dich in meiner Karawane willkommen, Nordling!« Fasso strahlte förmlich. »Hätte ich gewusst, wie geschickt du mit deiner Klinge umzugehen verstehst, hätte ich Praak angewiesen, dich zu seiner Rechten Hand zu machen.« Der Herr der Karawane klang geradezu begeistert. »Ich nehme an, du hast nichts dagegen, dich Praaks Kommando zu unterstellen? Immerhin kannst du so ein wenig von deinen Reisekosten …« Er bemerkte den neugierigen Blick des Söldnerhauptmanns und räusperte sich. »Also, jedenfalls dürfte es in der Unterkunft der Söldner weit weniger riechen als bei den Fellen.«

Fasso lachte dröhnend, und erneut schloss sich ihm Praak an. Aber der Blick, mit dem der Söldnerhauptmann Lay musterte, war hart. So ganz schien Praak von der Geschichte des jungen Schwertkämpfers nicht überzeugt zu sein. Sein Argwohn war jedoch nichts im Vergleich zu dem Misstrauen, das in Makiras Augen lag.

»Ich würde wirklich sehr gern deinen Namen erfahren«, sagte sie. »Du scheinst ihn nicht nennen zu wollen. Ist er dir vielleicht peinlich?«

Lay schluckte. »Mein Name?« Ja, du Idiot, dein Name!Was sonst? »Ich heiße …« Er sah die erwartungsvollen Blicke der Umstehenden und holte tief Luft. »Ich bin …« Du bist was? Ein Strohschädel? Ein Fischfass?

»Du bist …?«, ermunterte ihn die Sandfrau, aber ein Ruf von Khar unterbrach sie.

»Herr!« Der Anführer der Karawane trat zu der kleinen Gruppe. »Er hat geredet.«

Lay hätte vor Erleichterung fast aufgeseufzt.

Khar hatte den Sandläufer befragt, der von zwei Söldnern festgehalten wurde, während die rechte Hand des Söldnerhauptmanns – ein Mann mit einer dunklen, ledernen Haut und einem kahlen Schädel, der Lay irgendwie bekannt vorkam – seinen Krummsäbel an die Kehle des Gefangenen hielt.

»Herr, der Saa’ar hat gesagt, sie hätten im Auftrag des Shetan gehandelt.«

»Wie bitte?« Fasso Osh’b vergaß augenblicklich, dass Lay seinen Namen immer noch nicht genannt hatte, was diesem nur recht war. »Los, tragt mich zu diesem Sandläufer!«

Im Auftrag des Shetan?, dachte Lay. Mist! Kann es sein, dass jemand mitbekommen hat…?

»Du hast deinen Namen immer noch nicht genannt, und du bist kein Nordling«, sagte Makira. Offenbar hatte sie nicht vor, Lay so einfach vom Haken zu lassen.