Das Siegel der Macht - Monika Dettwiler - E-Book
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Monika Dettwiler

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Beschreibung

Ein spannender historischer Roman um Kaiser Otto III., den ersten deutschen Papst Gregor V. und einen jungen Boten, der einen Mord aufklären will und dabei die Liebe seines Lebens findet.

Im Jahre des Herrn 996: König Otto III. zieht mit seinem Hofstaat über die Alpen, um in Rom die Kaiserkrone zu empfangen. Die Vorfreude auf die großen Ereignisse wird jäh unterbrochen, als ein Höfling des Königs in Verona von Unbekannten ermordet wird. Ottos Freund, der Königsbote Alexius, beginnt mit Nachforschungen, die ihn bald nach Rom führen, in die Hauptstadt der Christenheit. Dort besteigt gerade ein neuer Papst den Thron: Gregor V., der erste deutsche Papst der Geschichte.

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© dieser Ausgabe, Piper Verlag GmbH, 2019© by Weitbrecht Verlag in K.Thienemanns Verlag, Stuttgart Wien 2000© Piper Verlag GmbH, München 2000Covergestaltung: Favoritbüro MünchenCovermotiv: Didecs/shutterstock; 100ker/shutterstock; Chursina Viktoriia/shutterstock

 

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Inhalt

Cover & Impressum

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EPILOG

DANKSAGUNG

GLOSSAR

STAMMTAFEL DES OTTONISCHEN

KÖNIGS- UND KAISERHAUSES

LITERATURHINWEISE

FÜR RICHARD

 

Außerdem widme ich diesen Roman meinen FreundinnenGiovanna und Kathrin sowie meinen Söhnen Alessio undRenzo, die zu seinem Gelingen beigetragen haben.

PERSONEN

vor Ostern 996

 

Deutsches Reich

 

König Otto III.Brun von Wormsgau, sein Verwandter, HofkaplanAlexius, HöflingElana von der Fallsteinburg in SachsenWoldo, Bischof von ChurWitigowo, Abt des Klosters ReichenauMaurus, Mediziner auf der ReichenauKolumban, Mönch in Einsiedeln

 

Gallien (Frankreich, Burgund)

 

Gerbert von Aurillac, Erzbischof von ReimsAbbo, Abt von FleuryOdilo, Abt von ClunyAndreas, Prior im Kloster Peterlingen (Payerne)

 

Italien

Papst Johannes XV. Crescentius Nomentanus, Senator und Machthaber inRomLucilla, Schankwirtstochter in RomJohannes Philagathos, Erzbischof von Piacenza

1

Plötzlich schlug die Stimmung um. Eben waren die Höflinge des Königs noch gemütlich schwatzend unter dem Doppelbogen des römischen Stadttors von Verona durchgeritten. Als sie den Hauptplatz mit der gedrungenen Kirche erreichten, starrten die Leute ihnen feindselig entgegen.

Breitbeinig pflanzten sich Bauern und Handwerker vor den jungen Reitern auf. Einige prächtig gekleidete Landadlige traten aus ihren mit antiken Reliefbalken verzierten Palazzi, fingen Blicke von unschlüssig wartenden Kleinbürgern auf.

Carolus, Sigibert und Hodo bemerkten erstaunt, wie immer mehr Männer aus den Gassen zur Mitte des Platzes strömten. Der Höfling Alexius ritt eine Pferdelänge voraus und sah über die Menschenköpfe hinweg zum gewaltigen Amphitheater. Unter den Steinbögen sprangen Leute hin und her, warfen einander Lanzen und Schwerter zu. Wild gestikulierend stürmte der Haufen plötzlich aus dem Schatten der tausend Jahre alten Mauern auf den sonnenüberfluteten Platz mit dem monumentalen Brunnen.

Schlagartig erfasste Alexius die Absicht der bewaffneten Schar. Als er seine Freunde warnen wollte, war es zu spät.

»Fort mit den Fremden!«, übertönte eine schneidende Stimme das Menschengemurmel. »Niemand hat König Ottos Heer nach Verona gerufen.«

Ein Stück Lehm flog durch die Luft und verklebte sich in Hodos Bart. Wie durch unsichtbare Hand gelenkt, bildete das bäuerliche Fußvolk einen Ring um die deutschen Ritter. Mütter schoben ihre Töchter aus der Menge in die sicheren Hauseingänge, während aufgebrachte Männer sich immer dichter zusammenrotteten. Ein Betagter stieß Schimpfworte aus, jüngere Bauern hoben drohend ihre Fäuste. Willig teilte sich die Menschenschar, als die gepanzerten secundi milites sichtbar wurden. Die Männer mit Schwertern bahnten sich den Weg zu den jungen Höflingen. Hinter ihnen schrie und gestikulierte jene Horde, die sich im römischen Amphitheater gesammelt hatte.

»Unser König will keinesfalls ein Gemetzel«, rief Alexius seinen Begleitern zu. Er führte seinen nervös tänzelnden Fuchshengst dicht neben Carolus, sodass die Köpfe ihrer Pferde sich berührten. Leiser sagte Alexius zu seinem Freund: »Los, versuchen wir zu entkommen. Falls wir uns verlieren, wollen wir uns in der Schänke neben dem Tor der Abtei treffen.«

Carolus nickte, straffte die Beine in den Steigbügeln und gab seinem Rappen einen Schlag. Das Tier galoppierte an den hastig zurückweichenden Stadtbewohnern vorbei Richtung Kloster.

Sofort schloss sich der Menschengürtel um die drei zurückgebliebenen Ritter. Alexius war verzweifelt, als er Carolus aus den Augen verlor. Gewaltsam wollte er sein Pferd vorwärts treiben, aber niemand ließ ihn durch. Hass wogte dem entsetzten Höfling entgegen. Plötzlich rückte die Gefahr seine Sorgen um Carolus in den Hintergrund. Nun musste er an sich selber denken. Rund um ihn blitzten Schwerter im Sonnenlicht. Alexius hob seine Waffe und wehrte den Hieb eines gepanzerten Reiters ab. Erschrocken sah er, wie drei Waffen gleichzeitig auf ihn losschlugen. Instinktiv zuckte der Höfling mit dem Kopf nach hinten. Es gelang ihm, den Angriffen auszuweichen. Ein unberittener Handwerker benutzte den Augenblick und schlug mit seinem Stock auf Alexius ein. Betäubt griff dieser an seinen Mund, fühlte das warme Blut aus der verletzten Lippe fließen. Er riss sich die gelbe Mütze vom halblangen dunkelbraunen Haar und drückte sie gegen die Wunde.

Das Fußvolk wurde zurückgedrängt, als die gepanzerten Reiter unvermutet eine Gasse bildeten. Wiehernd bäumte sich Alexius’ Pferd, fand den Weg aus der Menge. Sigibert und Hodo ritten dicht dahinter. Die golddurchwirkten Bänder ihrer Beinkleider hingen in Fetzen hinunter.

Der Aufstand gegen die deutschen Ritter verebbte so schnell, wie er entstanden war. Unbehelligt lenkten die drei Gefolgsmänner des Königs ihre Pferde ans Ende des Platzes.

Sigibert drehte sich im Sattel um. »Wo nur Carolus bleibt? Könnt ihr ihn sehen?«

»Mach dir keine Sorgen! Wir haben uns beim Klostertor verabredet. Carolus erwartet uns bestimmt schon.« Alexius ritt seinen Freunden voran. Zwischen zwei gedrungenen Steinbauten fanden sie einen Durchgang. In der schattigen Gasse hinter dem Platz wurde es stiller um sie.

Die Schänke neben dem Tor des Klosters von San Zeno war ein alter Fachwerkbau mit Ziegeldach. Aus den Fensteröffnungen strömte der schwarze Rauch der offenen Feuerstelle, denn das Loch in der Decke war nur ein kläglicher Abzug. Grölende Stimmen dröhnten den Neuankömmlingen entgegen.

»Carolus ist noch nicht da. Ich kann seinen Rappen nirgends sehen. Warten wir lieber hier draußen auf ihn.« Alexius glitt aus dem Sattel. Da er seine Besorgnis nicht zeigen wollte, kehrte er seinen Freunden den Rücken zu. Er strich dem Fuchshengst beruhigend über die Nüstern und band ihn im Schatten der Klostermauer an einen Ring. Dann ging er zum Ziehbrunnen neben der Schänke, um frisches Wasser nach oben zu ziehen. Sorgfältig tupfte Alexius seine Wunde ab. Das kühle Nass tat gut. Unvermutet machte sich ein Schwächegefühl in seinen Beinen bemerkbar, er musste sich auf einen Steinbrocken neben dem Ziehbrunnen setzen.

Alexius richtete seine Augen nach oben und sah die Stadttürme von Verona, die sich rötlich vom blauen Himmel abhoben. Sie kamen ihm nach der überstandenen Gefahr viel bedrohlicher vor als am Tag ihrer Ankunft. Entmutigt ließ der Höfling seinen Blick an der massiven Klostermauer vorbei zu den Holzhütten neben der Schänke schweifen.

Sigibert und Hodo hatten ihre Pferde neben dem Karren des Wirts angebunden und traten zum Brunnen. Erleichtert stellte Alexius fest, dass der kräftig gebaute rothaarige Hodo keinen Kratzer abbekommen hatte. Sein grüner Mantel mit den kostbaren silbrigen Bordüren war zerrissen und wehte im Nachmittagswind. Hodo bespritzte sich das gerötete sommersprossige Gesicht mit Wasser, griff an seinen Hals. Der Torquis, sein liebster sächsischer Halsschmuck, war intakt.

»Schaut meine Beinkleider an«, schimpfte der zierliche Sigibert und fixierte seine zerfetzten gelben Hosen und die schmutzigen Stiefel. »Eigentlich schade, dass König Otto ausgerechnet in diesem Frühling in Regensburg beschlossen hat uns neu auszustaffieren.« Er wippte mit dem Kopf, machte die anderen auf seine golddurchwirkte Mütze aufmerksam, unter der die brünetten Locken hervorquollen. Sie kontrastierte gut zum blauen Mantel mit den roten Borten. Lachend klopfte Sigibert auf sein Schwert. Der verzierte Griff aus Gold wog mindestens drei Pfund. »Wenigstens haben die neuen Waffen heute gute Dienste geleistet.«

»Wir können froh sein, dass der Herrscher nicht mit uns ausgeritten ist«, warf Hodo ein. »Weshalb ist er eigentlich im Kloster geblieben?« Die Frage war an den achtzehnjährigen Alexius gerichtet.

»Während der Fastenzeit dehnt er die Gebetsstunden in die Länge und will nichts von Ausritten wissen. Wer sich in diesen Tagen wohl mehr dem Herrn zuwendet, der König oder sein frommer Vetter Brun?« Alexius lächelte seinen Freunden warmherzig zu. Er fühlte sich wohl in der Gesellschaft der Sachsen. Als Sohn eines byzantinischen Vaters und einer Grafentochter aus Reims war er überall zu Hause. Die zwei Jahre am deutschen Königshof hatten zu einer tiefen Freundschaft mit dem fünfzehnjährigen König Otto III. und dessen jüngsten Gefolgsleuten geführt. Alexius betrachtete es als Auszeichnung, dass er nun im Frühling des Jahres 996 mit dem Königshof nach Italien reisen durfte.

»Was sollte eigentlich der Aufruhr?« Sigibert warf seinen Freunden fragende Blicke zu.

»Das ist doch offensichtlich«, antwortete der bärtige Hodo. »Die Kleinbürger, Bauern und Berittenen waren sich vorhin alle einig. Sie haben uns angegriffen, weil sie den fahrenden Hof hassen.«

»Aber weshalb?«

»Weil der Bischof von Verona und seine Leute ganz vom deutschen Königtum abhängen. König Ottos Vetter, der Herzog von Kärnten und Markgraf von Verona, ist weltlicher Gerichtsherr der Stadt. Ein den Stadtbewohnern völlig Fremder, ein Teutone, darf anno Domini 996 hier Recht sprechen. Außerdem sind die Veroneser wütend, dass sich Hof und Heer aus ihren Getreidespeichern verköstigen.«

Alexius hörte nur mit halbem Ohr zu, ging vor dem Ziehbrunnen unruhig auf und ab. Weil die ungewöhnliche Frühlingshitze drückte, streifte er seinen violetten Mantel ab. Schließlich gab er seiner Ungeduld nach und fragte: »Wo Carolus nur so lange bleibt?«

»Gehen wir ihn suchen«, schlug Hodo vor, besann sich aber anders und blickte zum Himmel. »Nein, wir wollen noch etwas warten. Wenn der Schatten des Klostermauerturms den Brunnen erreicht, wollen wir uns einzeln auf den Weg machen.«

Nach kurzer Zeit fröstelte Alexius plötzlich. Er schüttelte den staubigen Mantel aus und befestigte ihn erneut mit der byzantinischen Agraffe, einem Erbstück von seinem Großvater. Um die Zeit zu vertreiben, nahm der junge Grieche das Gespräch wieder auf. Er richtete seine haselnussbraunen Augen auf Hodo. »Papst Johannes hat den König nach Rom gerufen. Aber werden wir dort willkommen sein?«

»Der Pontifex ist in Schwierigkeiten.« Hodo zog ein Honigplätzchen aus der Tasche, schob es in den Mund. »Deshalb hat er am Ende des letzten Sommers seinen Legaten über die Alpen geschickt. Papst Johannes hofft, dass König Otto ihm gegen seinen römischen Bedrücker Crescentius Nomentanus hilft.«

»Unsere teutonische Kraft wird den frechen Befehlshaber vernichten«, bemerkte Sigibert. »Otto muss Crescentius Nomentanus zeigen, wer der Herr Roms ist.«

»Schön! Wir reisen mit einem König nach Rom und werden als Gefolgsmänner eines Kaisers zurückkehren.« Alexius hatte einen sonnigen, offenen Charakter und suchte immer das Positive. Sie alle zweifelten keinen Augenblick daran, dass der Hilfeschrei Papst Johannes XV. gut in die Pläne Ottos passte. Die Krönung zum Kaiser in Rom würde dessen Herrscherposition nicht nur in Deutschland festigen. Der Heilige Vater wollte die Hand dazu reichen. Hatte Johannes nicht schon an Ostern 995 den König aufgefordert nach Rom zu kommen und die Kaiserkrone zu empfangen? Auch damals hatte der Papst eigene Probleme. Er brauchte die Unterstützung des Königs und der deutschen Bischöfe im Reimser Streit. Doch das war eine andere beunruhigende Geschichte. Alexius packte das Heimweh, er zwang sich, nicht an Reims zu denken.

»Zunächst wird unser königlicher Freund im nördlichen Italien zu tun haben.« Sigibert wusste gut Bescheid über die Regierungsaufgaben Ottos, war sein Vetter doch einer der angesehensten Hofkaplane. »Der Doge von Venedig hat gegen zwei örtliche Bischöfe Klage eingereicht.«

»Das passt genau zu den herrschaftlichen Wünschen«, warf Alexius ein. »Otto möchte sich enger mit Venedig verbinden. Wisst ihr, dass schon übermorgen der Sohn des Dogen in Verona ankommt, um das Sakrament der Firmung zu empfangen? Unser König wird Taufpate sein.«

»Die Geschenke für den Dogensohn liegen in zwei Truhen im Kloster bereit«, verriet Sigibert.

Plötzlich ertrug Alexius das gemütliche Geplauder nicht mehr. Mit Wucht schwang er sich auf und nahm seinen Fuchshengst am Zügel. »Wir müssen uns nun trennen und Carolus suchen«, sagte er ernst. »Ich gehe den ganzen Weg zum Amphitheater zurück.« Als die Freunde schwiegen, fuhr er fort: »Du, Sigibert, schaust am besten zuerst in unserem Quartier im Kloster von San Zeno nach und dann in den Gassen vor der steinernen Brücke. Könntest du bis zum Löwentor gehen, die Stadt beim Amphitheater überqueren und dem oberen Flusslauf folgen, Hodo?«

Gespannt machte Alexius sich auf den Weg. Mit gedämpfter Stimme rief er alle paar Schritte nach Carolus. Immer wieder kam der junge Grieche von der Straße ab und durchkämmte schmale Nebengassen. Vor einer Werkstätte traf er auf einen Schmied, der im Freien Eisenstücke abkühlte. Alexius fragte ihn und andere Passanten verzweifelt nach seinem Freund. Niemand hatte den prachtvoll gekleideten Sachsen auf dem Rappen gesehen. Mit jedem Schritt wurde die Stimmung des Höflings bedrückter. Einmal wäre er fast mit einem Müller zusammengestoßen, der zwei Mehlsäcke auf dem Buckel trug. In einer von Kot und Unrat stinkenden Gasse begegnete er zwei schäbig gekleideten Burschen, die seinen byzantinischen Schmuck anstarrten. Alexius bestieg rasch seinen Fuchshengst und griff mit der Hand an den Schwertknauf.

Als er die armseligen Hütten hinter sich hatte und an der Ruine des Bischofspalastes vorbeiritt, hörte der Grieche ein leises Stöhnen. Er band das Pferd an einen Pflock und betrat die mit Unkraut bewachsene Vorhalle des von den Ungarn zerstörten Steinhauses. Das Gebäude war unbewohnbar, seit dem Ungarnsturm residierten die Bischöfe von Verona im Kloster von San Zeno, wo auch der wandernde Königshof untergebracht war. Da er nach wenigen Schritten fast nichts mehr sehen konnte, ging Alexius zurück, um in der benachbarten Weberei eine Fackel auszuleihen.

Vorsichtig betrat der Höfling erneut die Aula, schob herausgebrochene Steinsplitter mit den Füßen zur Seite. Da war es wieder. Ein seltsames, fast unmenschliches Stöhnen. Als er einen zweiten, finsteren Innenraum erreichte, roch es nach Moder. Alexius schob sich behutsam vorwärts, trat auf etwas Weiches. Kreischend raste eine Katze davon.

Der junge Grieche hatte Atemnot, er glaubte zu ersticken. Frische Luft, stöhnte Alexius in Gedanken und wollte den Weg ins Freie suchen, als er die Gefahr fast körperlich zu spürten glaubte. Er kehrte in die Vorhalle zurück und lehnte sich an die schmierige, mit Moos bewachsene Mauer, um in der Stille zu lauschen.

Plötzlich erinnerte die Größe des Raums ihn an die Pfalzhalle von Aachen, an die sorglosen Stunden mit Carolus, das gemeinsame Würfelspiel, die Ausritte in den frühen Morgenstunden. In den ersten Wochen hatte Alexius sich am deutschen Hof einsam gefühlt. Der kindlich junge König Otto schien unnahbar. Sigibert war Fremden gegenüber schüchtern und Hodo beließ es bei gutmütig gemeinten Späßen. Bis Carolus von einer Botenreise an den Hof zurückkehrte. Der vornehme junge Sachse umhüllte ihn mit Freundschaft, seine spontane Offenheit wies Alexius den Weg zum Herzen des Königs. Seit er Carolus kannte, plagte ihn nur noch selten das Heimweh nach seiner Familie in Reims.

Alexius spürte, wie die Feuchtigkeit den dünnen Stoff seines Umhangs tränkte und kalt in seine Haut eindrang. Mit einem Ruck löste er sich von der Mauer und tastete sich weiter. Plötzlich hörte er ein ächzendes Geräusch. Es kam aus einem kleineren Raum gleich neben der Halle. Alexius trat ein und rief leise nach dem Vermissten. Ein ersticktes Stöhnen war die Antwort. Der Ritter drängte vorwärts, senkte die Fackel fast bis zum steinernen Fußboden. Carolus lag halb verkrümmt im eigenen Blut. Vorsichtig drehte Alexius seinen Körper um. Er nahm den Kopf des Freundes in den Arm und strich mit den Fingern sanft durch das verklebte goldblonde Haar.

»Carolus«, redete er auf den verwundeten Sachsen ein. »Nicht einmal der Bischof von Verona wird König Otto hindern können diese Tat zu rächen. Wenn die Mönche dich gesund gepflegt haben …« Alexius dachte plötzlich an die eigene Verletzung, griff nach dem Mund. Das Blut war bereits eingetrocknet. Im Kloster würde man die Wundränder zusammenfügen und ein Pflaster auflegen.

»Alexius … hol einen Geistlichen.«

Der junge Grieche untersuchte Carolus und erschrak, wollte wegrennen, nach einem Priester rufen.

»Nein … warte.« Ein Blutstrom ergoss sich aus Carolus’ Mund. Trotzdem packte er den Arm des Freundes.

»Du brauchst einen Priester, es geht um dein Seelenheil.« Alexius war bleich vor Schreck. Er wollte sich mit Gewalt losmachen, aber Carolus klammerte sich an seinen Umhang. Schwach klang die Stimme des Verletzten: »… mir aufgelauert. Sie haben … nach … meinem Namen gefragt.«

»Lass mich! Ich muss einen Priester rufen. Du brauchst jetzt mehr als alles den Leib des Herrn.«

»Nein.« Das Keuchen des Sachsen ging in kaum hörbares Flüstern über. »Alexius, es war der Antichrist.«

»Der …? Ich verstehe kein Wort. Was willst du mir sagen?«

Noch nie hatte Alexius sich so verloren gefühlt. Er wusste nicht, was er tun sollte.

»Geh … zum Bischof von Chur …, frag nach dem Brief… Schwör …, du musst herausfinden, wer dahinter steckt.« Der Kopf des Ritters sank nach hinten.

Verzweifelt rannte Alexius auf die Straße und schrie nach geistlichem Beistand. Als der Archipresbyter aus dem Kloster San Zeno herbeieilte, hielt er den Freund wieder im Arm.

Alexius betete, als es vorbei war. Erschöpft, aber erleichtert. Carolus hatte erst nach dem Sakramentsempfang sein Leben ausgehaucht.

2

»Nostrae auctoritatis paina concessisse …« Alexius legte das Pergamentblatt zur Seite und streckte sich auf dem Bett aus. Sein Zimmer in der vom Gotenkönig Theoderich erstellten Pfalz von Pavia war mit Bettvorhängen, Teppichen und bunten Kissen ausgestattet. Massive Holztruhen und der in die Steinwand eingelassene Kasten boten genügend Platz für die Garderobe. Seine goldenen Ringe hatte Alexius auf dem Tisch neben dem Bett deponiert, wo auch eine Wasserschüssel mit Tüchern bereitstand.

Ich bin Königsbote! Der Gedanke an die neue Aufgabe beschäftigte Alexius. Die Missi mussten sich vom Hof entfernen, waren auf ihren Reisen Gefahren ausgesetzt. Aber es ging nicht anders. Der Herrscher hätte seinen Freund und Höfling niemals allein in den Norden ziehen lassen. Seinem Königsboten musste er das Reisen erlauben. Sicher würde Alexius nicht lange darauf warten müssen, irgendein Dokument nach Schwaben zu tragen. Da der Weg nordwärts über einen der rätischen Pässe führte, würde er bald beim Bischof von Chur Halt machen können. Alexius fühlte seine Verpflichtung immer drängender. Carolus war ermordet worden und die Erklärung für die unheimliche Tat erwartete ihn im Churer Bischofspalast.

Die Freude über seine Ernennung zum Missus war quälender Unruhe gewichen. Alexius sprang vom Bett auf und ging zum Fenster. Sein Blick schweifte von den Dächern zur Stadtmauer mit den Türmen. Dahinter verlor sich der endlose Wald am Horizont. Von der Pfalz selbst war nichts zu sehen, denn die dicken Mauern schmälerten den Blickwinkel. Alexius war neugierig und lehnte sich weit hinaus. Links unten entdeckte er die Giebeldächer der Schule und des Ökonomiegebäudes. Überall sah man, dass die vor der Ankunft des Hofes von König Otto befohlenen Renovationsarbeiten im Gang waren. Von dem neuen Haus für die technischen Räume waren erst die Grundmauern gezogen. Verlassen standen zwei Flaschenzüge neben einem Haufen unregelmäßig geschnittener Steinblöcke. Auf der anderen Seite erkannte Alexius die Kirche mit den Bogenfenstern. Die Mauer entlang bewegte sich eine farbenprächtige Prozession auf das Portal zu.

Plötzlich wurde der ferne Gesang der Priester durch laute Stimmen übertönt. Unten in der Pfalzhalle gingen die Feierlichkeiten des Osterfests weiter. Alexius lächelte. Nach den Entbehrungen der Fastenzeit genoss Otto die Rückkehr zum fröhlichen Hofleben. Vor allem eine reichliche Tafel. Hundert Speiseplätze, verteilt auf mehrere Tische, standen in der mit Wandteppichen geschmückten Königshalle. Der Monarch speiste auf seinem erhöhten Podest. In angemessenem Abstand auf dem Ehrenplatz zu seiner Rechten ein italienischer Markgraf, zu seiner Linken der Hofkaplan Brun. Otto verehrte den frommen Sachsen mit den graublauen Augen, vor allem in seelischer Not wandte er sich am liebsten an ihn. Brun war Priester und zudem ein naher Blutsverwandter. Otto und Bruns Vater, der Herzog von Kärnten, pflegten als Vettern ein enges Freundschaftsverhältnis. Obwohl Otto erst fünfzehn Jahre zählte, war er eigentlich der Onkel des fünfundzwanzig Jahre alten Brun. Trotzdem galten sie als Vettern und empfanden das selber auch so.

Der Speisemeister hatte das Beste vom Schwein und vom Schaf in goldenem Geschirr aufgetischt. Dazu gab es Brot, Öl, Hülsenfrüchte und Wein. Die Getreidespeicher von Pavia waren randvoll und das wollten die städtischen nobiles dem König zeigen. Otto revanchierte sich mit dekorierten silbernen Bechern, die er als Gastgeschenke verteilte.

Im oberen Stock der Pfalz von Pavia bereitete sich der frisch ernannte Missus Alexius für einen Ausritt vor und trat auf den Gang hinaus, als plötzlich der König im Sternenmantel vor ihm stand. Otto war zartgliedrig und dunkelhaarig, sein Gesicht fein geschnitten. Die ungewöhnlich großen braunen Augen wurden durch buschige Brauen noch stärker betont. Mehr als bei den meisten Menschen waren sie der Spiegel seiner Seele. Häufig war Ottos Blick melancholisch, aber in glücklichen Augenblicken machten viele kleine Fältchen ihn strahlend. Wenn der König bei besonderen Gelegenheiten den mit goldgestickten Sternen übersäten Umhang trug, schien das esoterische Erbe seiner byzantinischen Mutter Theofanu die kraftvolle ottonische Abstammung zu überdecken.

»Leg den Mantel ab, Alexius. Du wirst nicht ausreiten. Ich muss mit du sprechen.«

»Ist die Tafel schon zu Ende?«

»Siehst du nicht, dass der König vor dir steht? Du bist vorzeitig weggegangen. Das ist nicht üblich in der Pfalzhalle.« Der gespielt ernste Ton konnte nicht über Ottos gute Laune hinwegtäuschen.

»Ich fühlte mich nicht gut. Die Ehre … die Nachricht von meiner Ernennung zum Boten war wohl zu viel.« Alexius kniete nieder. »Dank von ganzem Herzen. Immer werde ich dem ottonischen Herrscherhaus treu dienen.«

Otto zog den fast gleichaltrigen Missus am Arm durch den mit Fackeln gesäumten Gang ins Königsgemach. Es war dreimal so groß wie die Gästezimmer und roch trotz des lodernden Kaminfeuers nach Feuchtigkeit.

»Lass jetzt die Ehrerweisungen, Alexius. Nicht der Herrscher, dein Freund steht vor dir.« Der König setzte sich auf ein Kissen und winkte dem Höfling. Obwohl niemand zuhörte, dämpfte er seine Stimme. »Hast du das Gemälde bei dir?«

Der junge Grieche nickte. Er sprang auf, eilte in seine Kammer und kehrte mit einem kleinen goldgefassten Bild zurück.

Leidenschaftlich riss Otto es an sich. »Zoe, meine Prinzessin aus Byzanz«, flüsterte er, genoss verträumt die Einzelheiten des Porträts. Es zeigte ein weißhäutiges Mädchen mit großen Augen und starken Brauen. Der Glanz des blonden Haars harmonierte mit dem Ansatz eines glitzernden Seidenkleids.

»Sie ist schon achtzehn Jahre alt. Wird ihr ein jüngerer Ehemann gefallen?« Otto richtete die Frage mehr an sich selbst. Leise sagte er zu Alexius: »Dieses Bild muss unser Geheimnis bleiben. Niemand am Hof weiß, dass dein Großonkel Rotbertus es dir durch Eilboten aus Byzanz geschickt hat.«

»Weshalb ein Geheimnis? Was gibt es Natürlicheres als einen König, der mit Sehnsucht an seine Braut denkt?«

»Das ist es ja, Alexius. Zoe ist mehr als irgendeine Verlobte. Doch reden wir nicht von ihrem kaiserlichen Blut. Was hat Rotbertus von ihrer vornehmen Art erzählt? Zoe soll nicht nur hübsch sein, sondern auch stolz und leidenschaftlich. Erzähl, Alexius. Ich will es wieder und wieder hören.«

Der Höfling lächelte: »Onkel Rotbertus hat mit uns beiden gesprochen. Erinnert Ihr Euch nicht? Was könnte ich mehr wissen als Ihr?«

»Erzähle trotzdem! Deine Geschichten sind halbe Wirklichkeit.«

Freudig begann Alexius zu fabulieren: »Man sagt, dass Zoe längst Bescheid weiß über die Schönheit und Bildung ihres künftigen Mannes. Sie ist gelehrt und soll sich sogar im Zubereiten von Düften aus speziellen Kräutern und Hölzern auskennen.«

Otto hing an den Lippen seines Königsboten. Dann wich das euphorische Strahlen den Zweifeln. »Wird man einwilligen, mir Zoe als Gattin zu schicken? Sie ist eine kaiserliche Prinzessin.«

Alexius gab keine Antwort. Nur nicht die königlichen Hoffnungen zerstören! Vor zwei Jahren war die Brautwerbung am Hof verhandelt worden. Die treusten griechischen Gefolgsmänner der Ottonen rief man zur Diskussion herbei. Auch Alexius’ Großonkel Rotbertus und sein Vater Leon wurden eingeladen und nahmen ihn als Sechzehnjährigen auf die Reise mit. Das gemeinsame byzantinische Blut, ihre für Nichtgeistliche unübliche hohe Bildung führte zu einer spontanen Sympathie zwischen Otto und Alexius. Seither lebte der junge Grieche am Königshof.

Lebhaft waren die animierten Sitzungen in Alexius’ Erinnerung geblieben. Nach monatelangen Verhandlungen trat im Frühsommer 995 eine Gesandtschaft unter Erzbischof Johannes Philagathos die beschwerliche Reise nach Osten an. Sie musste für den König um eine byzantinische Prinzessin werben. Im Innersten zweifelte Alexius am Erfolg der Botschafter. Er kannte die byzantinischen Verhältnisse und wusste, dass für jenen Kaiser zu viel auf dem Spiel stand. Basileios II. selber war kinderlos, sein Bruder und Mitkaiser hatte nur zwei Töchter. Die Zukunft des byzantinischen Reiches war in Gefahr, wenn die erstgeborene Prinzessin den Ottonenherrscher heiratete. Was, wenn der zum Kaiser gekrönte Otto die Verbindung beider Reiche und vielleicht gar die Verlegung der Hauptstadt nach Rom verlangte? Nein, in Byzanz würde man sich hüten Zoe in den Westen zu schicken. Und Theodora, die zweite Tochter des Mitkaisers, war erst sieben Jahre alt.

»… auf das Leben in Byzanz verzichten.« Otto sprach weiter. Seine Augen leuchteten. Das Byzantinische Reich war für ihn eine mystische Welt, der Traum seiner Kindheit. Von seiner Mutter Theofanu kannte er die oströmische Geschichte besser als jeder andere Sachse. Wie oft hatte sie ihm von Kaiser Theodosius erzählt, nach dessen Tod es im Jahre 395 zur Reichsteilung gekommen war. Ein Sohn erhielt den Osten. Der andere regierte den Westen, aber dessen Nachfolger verloren Italien an die Goten. Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches erlebte der Osten seine Glanzzeit. Unter Kaiser Justinian gelang es Byzanz sogar, Italien mit Rom für zwei Jahrhunderte zurückzuerobern. In Konstantinopel, das wusste Otto von seiner Mutter, gab es immer noch prunkvolle Paläste und Parkanlagen, vor allem aber einen mächtigen Kaiser. Obwohl Ottos sächsischer Großvater und auch sein Vater vom Papst in Rom feierlich zu Kaisern gekrönt worden waren, beeindruckte den Fünfzehnjährigen das Herrschertum im fernen Byzanz viel stärker. Am liebsten schwärmte Otto vor Alexius von Griechenland, denn der Höfling teilte seine Begeisterung. Das Große, ewig Geheimnisvolle um Byzanz faszinierte beide und stärkte ihre Freundschaft.

»Du hörst mir nicht zu, Alexius. Wenn dein Onkel wieder bei uns ist, wollen wir uns alles noch viel ausführlicher erzählen lassen. Ich werde einen Hof schaffen nach dem Beispiel Konstantinopels. Seidene Stoffe, Bildhauerarbeiten, Gold …«

Ein Klopfen unterbrach die königlichen Träume. Durch einen jungen Notar bat Erzkaplan Willigis dringend um Audienz beim Herrscher. Das Anliegen des wichtigsten königlichen Ratgebers duldete keinen Aufschub.

Otto warf einen letzten Blick auf das kleine Bild und strich seinen Mantel glatt. Als er sich umdrehte, war der verträumte Zug um seinen Mund verschwunden. Unwirsch schob er den Notar zur Tür: »Los, gehen wir. Ich werde den Erzkaplan gleich persönlich besuchen. Kommst du mit mir, Alexius?«

In der Kanzlei ließ Willigis jegliche Formalitäten beiseite und sprach eindringlich zu Otto: »Eine Gesandtschaft des Senates von Rom wartet in der Eingangshalle. Papst Johannes XV. ist am Fieber gestorben. Man bittet Euch einen Nachfolger zu bestimmen.« Der Erzkaplan schwieg und wartete gespannt auf die Reaktion des Königs.

Die Mitteilung wirkte wie ein Schlag. Glücklicherweise war Otto mit Alexius und seinem väterlichen Ratgeber allein. Er ließ sich gehen. »Der Heilige Vater Johannes verstorben? Sind wir vergeblich nach Italien gereist? Was, wenn der neue Papst die Kaiserkrönung verhindern will?«

»Vergesst nicht, dass die Römer selbst Euch rufen. Aber kommt, wir wollen gleich mit der Delegation verhandeln.«

Der König folgte Willigis ohne ein weiteres Wort. Sie gingen in die Pfalzhalle, wo die Abordnung des Senates von Rom wartete. Diener hatten inzwischen die meisten Tische des Osterbanketts abgeräumt und am Ende der langen Halle aufgestapelt. Otto schritt mit Willigis auf das Podest zu. Langsam ließ er seinen Blick über die Delegation schweifen, die auf sein Kopfnicken hin näher rückte. Verschwitzt von der Reise strömten die Männer einen unangenehmen Geruch aus, einigen konnte man die nackte Angst aus den Augen ablesen. Unsichere Blicke kreuzten sich. Nervös trat ein jüngerer Delegierter von einem Fuß auf den andern. Als der Erzkaplan ihnen ein Zeichen gab, beugten sich die Römer vornüber, bis ihre Köpfe fast die Knie berührten.

Auf dem Podest vor den Italienern thronte nicht der schwärmerische Otto, den Alexius von romantischen Träumereien her kannte. Es war der künftige Kaiser, der im März unter Vorantragung der heiligen Lanze an der Spitze seines Heeres Regensburg verlassen hatte, um seiner Krönung in Rom entgegenzureiten. Gebieterisch erteilte Otto den Römern das Wort.

»Unser Heiliger Vater ist tot. Das Volk von Rom ist bereit sich dem König zu unterwerfen und ihm Treue zu schwören.« Demütig fielen der Sprecher und seine Begleiter vor Otto auf die Knie. »Der römische Senat bittet Euch einen Nachfolger für den Apostolischen Stuhl zu bezeichnen.«

»Wie ist Papst Johannes gestorben?« Der König war nervös und stand auf.

Der älteste Abgeordnete des römischen Senats war zuerst wieder auf den Füßen. Er wartete, bis der Rest der Delegation eine würdige Position eingenommen hatte. »Starkes Fieber hat ihn während Tagen geschüttelt. Das Ende war vorauszusehen. Seit fast einem Jahr litt er an Schwächeanfällen.«

Otto bemerkte Alexius, der mit der rechten Hand hin und her fuchtelte. Der Herrscher winkte ihn mit einer kaum sichtbaren Geste zu sich.

»Ich kenne den Mann mit der grünen Tunika«, flüsterte der Grieche, als sie etwas zur Seite traten. »Er heißt Sergius. Mit Vater habe ich ihn vor einigen Jahren in Rom kennengelernt. Es wäre gut, wenn wir allein mit ihm sprechen könnten.«

Minuten später standen Otto, Willigis und Alexius dem Gesandten im Scriptorium der Kanzlei gegenüber. »Berichtet uns alles«, forderte Alexius ihn auf. »Auch das, was der Senat uns nicht offen sagen will.«

»Ist Papst Johannes eines unnatürlichen Todes gestorben?« Bedenken schwangen in Ottos Stimme mit. Nervös nahm er eine Feder vom mit Dokumenten übersäten Schreibpult. Die ungeschickte Bewegung brachte einen Tintentropfen zum Fallen. Der Notar würde seine Mühe haben den Flecken mit der schrägen Feder wieder vom Pergament abzukratzen.

»Er ist einem Fieberanfall erlegen. Die Diagnosen aller Ärzte des Laterans stimmen überein.« Sergius’ Stimme klang fest. Niemand zweifelte an seinen Worten.

»Wann ist der Tod eingetreten?«

»In den ersten Märztagen.«

»Und der Senat berichtet mir erst jetzt?«

»Es haben sich … unvorhergesehene Vorfälle ereignet.«

»Wir möchten alle Einzelheiten kennen«, mischte sich Erzkanzler Willigis ins Gespräch. »Beginnt mit dem Todestag.«

»Ich muss weiter ausholen, wenn Ihr erlaubt. Nachdem Senator Crescentius Nomentanus sich mit Papst Johannes versöhnt hatte …«

»Es hat eine Versöhnung stattgefunden?« Willigis’ Stimme überschlug sich fast. »Eine solche Nachricht hat die Kanzlei niemals erhalten.«

»Im Frühling des vergangenen Jahres bedrängte Crescentius Nomentanus den Heiligen Vater so arg, dass dieser aus der Stadt fliehen musste. Deshalb schickte Papst Johannes im Sommer seinen Legaten an den Königshof und bat um Hilfe.«

»Ja, deshalb sind wir ja im späten Winter schon nach Süden gereist«, unterbrach Otto ungeduldig.

»Crescentius Nomentanus erkannte die Gefahr, die Euer Kommen für ihn bedeutete. Er söhnte sich mit dem Papst aus und ließ diesen wieder in Rom einziehen.« Johannes aber traute dem römischen Machthaber nicht mehr. Wer einmal verrät, steht mit dem Teufel im Bund. Der Papst fühlte sich zu nichts mehr verpflichtet und dachte nicht daran, seinen Hilferuf an Otto zurückzunehmen.

»Nach dem Tod von Papst Johannes Anfang März hat Crescentius jetzt eigenmächtig einen römischen Priester zum Nachfolger ernennen wollen. Dieser ist aber vom Senat und Volk nicht anerkannt worden.« Entschlossen widersetzten sich die Römer den Wünschen des Crescentius Nomentanus, denn das Heranrücken des Königs mit seinem großen Heer machte ihnen Angst. Senat und Volk von Rom schlugen sich auf die Seite des Stärkeren, baten Otto direkt um die Nominierung eines Kandidaten für die Papstwahl.

Der König hatte genug gehört. Im Eilschritt durchquerte er die Kanzlei und stieg zu seinem Gemach hinauf. Vor dem Kamin ließ sich der Fünfzehnjährige auf einen Stuhl fallen, stützte den Kopf auf die Hände und bat Gott um Hilfe. Die Erleuchtung kam fast sofort.

Triumphierend berief Otto am nächsten Tag seine Ratgeber und die Würdenträger des Hofes ein.

Offensichtlich gelangweilt hörte der Herrscher zu, wie in der Pfalz von Pavia stundenlang beraten wurde. Plötzlich stand er auf, hieß die Versammlung schweigen. Erwartete, bis ein Notar die italienische Delegation in die Halle geführt hatte, und setzte sich auf seinen Thron. Mit knappen Worten gab der König seinen unerschütterlichen Willen bekannt. Er vergab den Stuhl Petri wie irgendein deutsches Bistum.

Als der Name des künftigen Papstes über Ottos Lippen kam, ging ein Raunen durch die Pfalzhalle. Die deutschen Würdenträger sahen einander ungläubig an, Willigis erstarrte. Alexius, der neben Sergius und anderen Mitgliedern der italienischen Delegation stand, hörte die Römer tuscheln.

»Das muss ein Alptraum sein! Einen Heiligen Vater aus Sachsen hat es noch nie gegeben«, ereiferte sich ein betagter Senator, zu seiner Linken hörte Alexius einen dickbäuchigen Adligen raunen: »Früher gab es griechische und afrikanische Päpste, aber nie einen deutschen.«

Der König hörte das Murren der Delegation nicht, aber die Gesichter der Römer sprachen deutlich. Ohne sie zu beachten, zeigte Otto unverhohlen seinen Stolz und lächelte den versteinerten Würdenträgern zu. Er hatte ein gutes Gewissen. Seine Wahl war auf den frömmsten Menschen gefallen, den er kannte. Es spielte für den Herrscher keine Rolle, dass der Auserwählte erst fünfundzwanzig Jahre zählte und weder ein hoher Würdenträger noch Bischof war. Brun von Wormsgau musste seinen Weg nach Rom antreten.

3

Brun rannte und rannte über die Welt. Die Erde löste sich auf, er schwebte nach oben. In unerreichbarer Höhe ein blendender Strahl und die Donnerstimme. Du musst Jerusalem auf Erden bringen, der Sand der Zeit verrinnt! Bruns Augen ertrugen das gleißende Licht nicht mehr. Sein Blick richtete sich nach unten. Die Erde war glühend rot und zerstob in tausend Funken. Zurück blieb das schwarze, bodenlose Nichts. Grauen und Angst mischten sich mit dem Gefühl unendlicher Einsamkeit.

Schweißgebadet erwachte Brun von Wormsgau auf dem harten Lager im Lateranpalast in Rom. Sein Körper zitterte, der Atem ging rasselnd. Langsam vertrieb die Wirklichkeit den Schlaf. Brun konnte wieder klare Gedanken fassen. Ich bin auf dem Weg zum Apostolischen Stuhl, es ist vollbracht! Die Erinnerung wirkte beruhigend.

Brun streckte sich entspannt auf dem Bett aus und dachte an die turbulenten letzten Tage zurück: die dank häufigen Pferdewechseln im Eiltempo bewältigte Reise, seinen Einzug in Rom am ersten Maitag des Jahres 996. Der erste Gang durch den Lateran verschlug Brun fast die Sprache. Von außen hatte er den Komplex schon als Kind gesehen, aber die magische Innenwelt des seit Jahrhunderten von den Päpsten bewohnten Palastes übertraf seine Erwartungen. Endlose Säulenhallen, Böden aus sorgfältig zusammengesetzten Marmorstücken, mit schweren Stoffen behangene Wände, goldene Mosaike. Genauso prunkvoll wie die Säle war sein Schlafgemach. Feinste Betttücher, Stickereien an den Wänden, silberne Gefäße und Kerzenleuchter, wo er hinsah.

Während Brun seine Füße vor das Bett setzte und sich aufschwang, stieg ein Gefühl des Friedens in ihm auf. Gleichzeitig die Gewissheit. Der Alptraum wird nie wiederkehren! Wie oft hatte dieser ihn geplagt. In der ersten Nacht des Schreckens war er fast noch ein Kind gewesen …

Der dreizehnjährige Brun saß in der Wormser Domschule und umfasste mit beiden Händen eine Pergamentrolle. Gloriosissimam Civitatem Dei… Die Worte vom ruhmreichen Gottesstaat faszinierten den Schüler. Vergeblich hatten die Lehrer versucht sein Interesse auf andere Kirchenväter zu lenken. Im Unterricht tat Brun seine Pflicht, jede freie Minute aber galt den Schriften des Heiligen Augustinus. Da die Schule bereits geschlossen war, saß er an jenem grauen Septemberabend in einer Nische des Scriptoriums und sog die heiligen Worte in sich auf. Plötzlich hörte er aus dem angrenzenden Raum Stimmen.

»Das grässliche Morden in Rom nimmt kein Ende.« Sein Lehrer Balderich!

»Ein Monstrum sitzt auf Petri Stuhl«, antwortete eine Brun unbekannte Stimme.

»Der Papst vom aus Byzanz zurückgekehrten Bonifatius in der Engelsburg gefangen gesetzt, wo er elendiglich hat verhungern müssen! Die Christenheit wird nun von seinem Mörder geführt. Papst Bonifatius’ Verbrecherregiment wird den Apostolischen Stuhl in den Abgrund stürzen.«

Die Schritte verklangen im Gang vor dem Scriptorium. Der Schüler Brun war allein und erfasste nur langsam den Inhalt des Gesprächs. Er begann zu zittern, seine Augen starrten ins Leere.

Brun verdrängte die Erinnerungen und ging zum Becken neben seinem Schlafraum im Lateranpalast, um sich den Schweiß des Alptraums wegzuwaschen. Sorgfältig prüfte er die kostbaren Kleidungsstücke. Alles war bereit. Brun zog sich ohne fremde Hilfe für den großen Tag der Weihe an. Da es noch viel zu früh war, trat er unentschlossen ans Fenster. In der Ferne leuchtete im ersten Morgenlicht die Fassade der Marienkirche auf dem Esquilinhügel. Daneben viel kleiner das hohe Giebeldach von Santa Praxedis. Unwillkürlich kehrten Bruns Gedanken an den Alptraum zurück, eine unerklärliche Angst nahm ihm fast den Atem. In seinem Innersten wurden quälende Erinnerungen wach, die er längst vergessen glaubte …

Schon als Vierjähriger hatte Brun ein Gespräch über den grausamen Mord an Papst Benedikt aufgeschnappt. Seiner Mutter Judith gelang es nicht, ihn zu trösten. Damals erfassten kindliche Gedanken an Gott sein Innerstes. In der Einsamkeit band er zwei Winter später seine Arme an die Kordeln der Bettvorhänge, breitete sie aus. Gott im Himmel, wenn die Welt ein neues Opfer braucht, kreuzige mich wie den Herrn! Langsam reifte der Entschluss. Als Siebenjähriger durfte er in die Domschule von Worms eintreten, um sich auf das Priestertum vorzubereiten.

Auf dem Gang zu seiner Weihe dachte Brun nochmals an das Gespräch im Scriptorium von Worms zurück. In jener Septembernacht des Jahres 984 hatte ihn erstmals der grausige Traum geschüttelt. Das Alpdrücken wiederholte sich wieder und wieder, blieb ein Rätsel, bis Brun als Vierzehnjähriger mit seinem Vater nach Rom reiste. Als er in der Kirche der Heiligen Praxedis das Mosaik mit der blaugoldenen Mauer Jerusalems sah, erfasste er plötzlich den Sinn des wiederkehrenden Alptraums. Alles war klar. Gott hatte im Traum zu ihm gesprochen.

Jetzt bin ich auf dem Weg nach Sankt Peter. Jerusalem, den Gottesstaat auf Erden bringen! Brun schüttelte seine Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Zukunft.

Als der festlich gekleidete Kirchenfürst den Lateranpalast verließ, gab es keinen Brun von Wormsgau mehr. Papst Gregor V. stellte sich gefasst dem Klerus und Volk von Rom zur Wahl. Die Akklamation war nicht einstimmig. Nur eine Formsache, die den frommen und gebildeten Papst nicht kümmerte. Die gute Christenheit und allen voran die Äbte der Klöster von Cluny und Fleury würden zu ihm stehen. Während der feierlichen Weihe ließ Gregor sich nicht vom Glanz der Zeremonie und von den Ehrerweisungen blenden. Es waren kaiserliche Legaten, die ihn weihten. Im Namen König Ottos, seines Schutzherrn. Aber er, der erste deutsche Papst, war kein Hofkaplan mehr. Sein Interesse galt dem Frieden der ganzen Christenheit.

 

»Der Adel kommt uns mit dem Senat entgegen, das Volk von Rom tobt.« Alexius lenkte das Pferd in die Reihe der jüngsten Höflinge, sprudelte seinen Bericht heraus. Inmitten der vielen Menschen fühlte er sich glücklich. »Vom Hügel dort sieht man bis zur Porta San Peregrini. Die Menge strömt aus der Stadt.«

Langsam ritt Otto seinem Gefolge voran. Der deutsche Adel, der Klerus und das Heer rückten auf, als der Herrscher auf der Kuppe des Mons Gaudii den Arm hob. »Wir werden die Römer hier empfangen.«

Der König stieg vom Pferd und legte den Reisemantel ab. Neugierig entfernte er sich von seinem Gefolge und spähte in die Ferne. Die Luft war klar, der Meerwind wehte hoch oben am Himmel einzelne Wölklein ostwärts. Unter sich sah Otto die Stadt Rom ockergelb im Abendrot leuchten. Endlos zogen sich die gewaltigen antiken Mauern mit ihren Türmen und Stadttoren über die Hügel. Die Wiese zwischen dem Mons Gaudii und der Stadt war mit Menschen übersät.

Befriedigt kehrte Otto in den Kreis seiner Höflinge zurück. In einem improvisierten Zelt wurde ihm frisches Wasser gereicht, während die Knechte draußen sein Pferd abrieben. Sie befestigten neue silberne Trensen und legten dem Tier einen besonders fein gearbeiteten Sattel auf. Der König ließ sich einen golden durchbrochenen Seidenumhang bringen.

»Sind die Kanzlisten mit den Siegeln bereit?«, wandte er sich an seinen Gefolgsmann Hodo, während Alexius die Agraffe seines Umhangs schließen durfte.

»Sie waren schon in Ravenna fertig.«

Die herbeigerufenen Handwerker legten ihre Probestücke sorgfältig auf ein Tuch. Sie waren stolz. In Trier und in Essen, den Zentren der kirchlichen Schatzkunst, hatten sie das Anfertigen besonderer Siegel erlernt.

Offen bekundete der König seine Freude. Er drehte ein Muster und begutachtete beide Seiten. »Ausgezeichnet, ich will von jetzt an keine Kopf- oder Brustbilder mehr. Der Kaiser in ganzer Figur soll die Urkunden begleiten.« Das Siegel zeigte den Romanorum imperator augustus auf dem Thron, in den Händen den Stab und die Weltkugel. Ottos Blick glitt von den Handwerkern wieder zur langsam den Freudenberg heraufziehenden Menschenmenge. Ruhig bestieg er sein Pferd und ritt ihr entgegen.

Jetzt konnte man die vordersten Adligen bereits gut erkennen. Sie hatten ihre farbenprächtigsten Kleider angelegt. Neben den Pferden wurden Sänften mit vornehmen Damen getragen. Hinter ihnen drängten sich Kaufleute und Bauern, Handwerker und die Ärmsten der Armen, die sich von diesem Freudentag Almosen erhofften. Überall sprangen Kinder aufgeregt herum. Von der Stadt her bildete der Menschenstrom ehrfürchtig eine Gasse, um die Prozession der Priester durchzulassen. Der Wind trug ihren Lobgesang in abgehackten Wellen auf den Freudenberg.

An der Spitze der kirchlichen Würdenträger ritt auf einem Schimmel der geistliche Herr der sacra Roma, caput et domina mundi. Der Papst trug die Tiara und mit funkelnden Steinen besetzte Umhänge. Drei Pferdelängen vor dem König brachte er sein Reittier zum Stehen. Neben ihm verteilten sich Kerzenträger und Diakone, die schwere goldene Weihrauchfässer schwangen.

Demütig stieg der König vom Pferd und ging seinem Vetter zu Fuß entgegen. Vor dem weißen Zelter kniete er nieder und näherte seine Lippen den päpstlichen Schuhen. Es war keine Unterwerfung des Herrschers. Der tiefgläubige Christ Otto zeigte dem Papst seine persönliche Verehrung. Wortlos nahm er die Zügel des Schimmels und führte den Römern ihren Apostolischen Hirten entgegen. Das Volk jubelte, Fremde fielen einander in die Arme und schrien sich Worte des Friedens und der Hoffnung entgegen.

Alexius verlor Papst und König aus den Augen, als die italienische Delegation sich mit dem deutschen Gefolge vermischte und man gemeinsam der Porta San Peregrini entgegenzog. Aufmerksam blickte er um sich und beobachtete die römischen Vornehmen, die viel bunter gekleidet waren als die sächsischen Adligen. Plötzlich sprang der junge Grieche strahlend vom Pferd. Im Begleitzug Papst Gregors hatte er Gerbert von Aurillac erblickt. Der schon mehr als fünfzig Jahre alte Erzbischof von Reims saß kerzengerade im Sattel. Alexius sah, dass das Gesicht des Prälaten seit seiner Abreise aus Frankreich schmaler geworden war. Aber Gerberts Augen unter der hohen Denkerstirn hatten ihre altvertraute Gutmütigkeit nicht verloren.

»Gerbert, welche Überraschung!« Alexius nahm die Hand des gelehrten Erzbischofs, seine haselnussbraunen Augen leuchteten. »Werdet Ihr an der Kaiserkrönung teilnehmen?«

»Ja, aber vor allem warte ich auf die Synode. Alexius, ich bin von Feinden umgeben. Am liebsten würde ich nach Spanien zurückkehren und mich nur den Studien widmen.«

»Da wir von Feinden sprechen …«, begann Alexius. Seine Sorgen wischten die Freude des Wiedersehens weg. Ungeduldig wollte er sich dem einzigen nicht blutsverwandten Menschen zuwenden, dem er auch die intimsten Befürchtungen anvertrauen konnte. »Ein Todesfall lässt mir keine Ruhe. Mein Freund Carolus ist getötet worden.«

Gerberts schmale Augen strahlten Freundschaft aus. Seine Stimme war sanft. »Du brauchst mich, Alexius. Weißt du, wie gut mir das tut? Aber ein Kirchenfürst, wenn auch ein umstrittener, muss sich im Gefolge des Papstes bewegen. Übermorgen werden wir Zeit füreinander haben. Warte nach der Kaiserkrönung beim Pinienzapfen aus Bronze.« Die imposante Gestalt mit dem braunen Haarkranz verschwand in der Reitermenge.

Alexius sah den Gesichtsausdruck eines dunkel gekleideten Mannes nicht, der unmittelbar neben ihnen gestanden und aufmerksam den kurzen Wortwechsel mitverfolgt hatte, bevor er sich hastig abwandte. Der junge Missus war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Tief enttäuscht kämpfte er sich aus dem Gedränge. Sein Gefühl hatte nichts mit dem Rätsel um Carolus’ Tod zu tun. Ins ferne Spanien wollte Gerbert zurückkehren! Alexius würde seinen geliebten Lehrer aus Reims nie wieder sehen. Dem musste doch irgendwie abzuhelfen sein. Der Verstand des Griechen arbeitete fieberhaft. Natürlich. König Otto muss der Synode beiwohnen! Wenn er Gerbert disputieren hört, wird er ihn an den Hof rufen.

Die gute Laune war mit der neuen Hoffnung zurückgekehrt. Alexius lenkte seinen tänzelnden Fuchshengst aus der Reihe der Höflinge. Als Bote und Kundschafter des Königs durfte er es sich leisten, in die Stadt vorauszureiten. Im Schritt passierte er das Tor in der leoninischen Mauer und ritt auf die Basilika von Sankt Peter zu. Er wollte das Pferd anbinden und die Treppe hochsteigen, über die schon Generationen von Pilgern das strahlendste Gotteshaus der Welt betreten hatten. Auf der abgewetzten untersten Stufe besann er sich. Vielleicht brachte es kein Glück, wenn er vor der Kaiserkrönung am Grab des Apostels Petrus betete. Alexius kniete nieder und bekreuzigte sich. Er wollte sich auf seine innere Stimme besinnen, aber das war unmöglich. Fröhliche Lieder klangen vom Borgo bis nach Sankt Peter.

Unternehmungslustig wandte Alexius dem Vorhof der Kirche den Rücken zu und führte sein Pferd am Zügel in das belebte Quartier. Die Gassen waren von Schänken und Werkstätten gesäumt. Sogar im Freien wurden Weinbecher und Honigplätzchen feilgeboten. Der Einzug des deutschen Königs war zum Volksfest geworden. Alexius stellte erfreut fest, dass die Stadtbürger ihn mit Wohlwollen musterten, obwohl er festlich gekleidet war und mit seiner goldblau gestreiften Mütze auf die einfachen Leute wie ein Prinz wirken musste. Keine Spur der Feindseligkeit, die sie in Verona ins Unglück gestürzt hatte.

Bevor die düsteren Gedanken an Carolus wieder aufkommen konnten, brachte Alexius seinen Fuchshengst in einem Stall unter und betrat die nächste Schänke. Sie machte einen sauberen Eindruck, zwischen den neu gezimmerten Tischen gab es erstaunlich viel Platz. Der Qualm der offenen Feuerstelle zog gut durch das schräge Dach ab.

Fast sofort stellte der Wirt ihm Wein auf den Tisch. Hastig leerte Alexius den Becher, trank einen zweiten, und als sich eine wohlige Euphorie breit machte, sah er sich neugierig um. Der Höfling war in einer Schänke gelandet, in der sich abends die Handwerker und ihre Gesellen trafen. Fröhlich prosteten die Gäste einander zu und erzählten sich die Ereignisse des Tages. Ab und zu warf jemand einen verstohlenen Blick auf den vornehmen Fremden mit der hellen Haut und dem gewellten dunkelbraunen Haar. Alexius hörte das Plätschern der Stimmen, ohne sich um den Gesprächsinhalt zu kümmern.

Als die Tochter des Schankwirts vor ihm stand, glaubte Alexius wach zu träumen. Er konnte den Blick nicht mehr von ihr lösen.

Hinter einem Pfeiler äugte der rundliche Wirt hervor, beobachtete interessiert den Fremden. Wie selten verirrte sich ein Adliger in seine Schänke. Eines Tages würde es der Richtige sein. Das begehrliche Leuchten in den Augen des Besuchers entging ihm nicht.

Alexius gab sich keine Mühe die Augen von seiner Gastwirtin abzuwenden. Sie war höchstens fünfzehn Jahre alt. Glänzendes schwarzes Haar, ein zart geschnittenes Gesicht mit tiefblauen Augen. Der volle Mund passte zu ihren sinnlichen Formen. Geschmeidige Arme und pralle Brüste, von der Tunika nur schlecht verborgen.

Das Mädchen starrte ihn unverwandt an. So feine Herren hatte sie bisher nie in der Schankstube gesehen. Dieser war reich gekleidet und jung, hatte ein markantes Gesicht. Groß und schlank, aber zu feingliedrig für einen Krieger.

»Setz dich zu mir …« Alexius nickte ihr aufmunternd zu.

Sie sah ihn verständnislos an. Allzu stark unterschied sich das gelehrte Latein des Gastes von ihrem einheimischen Dialekt.

Langsam buchstabierte Alexius: »Komm, sitz … Wie heißt du?«

»Lucilla.«

»Solange ich in Rom bleibe, werde ich meinen Wein in deiner Schänke trinken, Lucilla.« Alexius behielt die Gewohnheit bei, jedes Wort deutlich zu sprechen.

»Wenn Ihr wünscht, Herr.« Die junge Römerin errötete, fixierte den Boden.

»Wir werden dem Herrn so gut dienen, wie wir können«, mischte sich Lucillas Vater ein. Die Tochter sprang auf, machte eine schnelle Verbeugung und verschwand im Hinterzimmer. »Schon morgen werdet Ihr vom besten Wein trinken, der im ganzen Latium zu finden ist.«

Alexius wollte ihr nachlaufen, den störenden Wirt beiseite stoßen. Doch er besann sich anders und zog eine Münze hervor, die er vor dem Gesicht des Mannes hin und her schwenkte.

»Ich bitte um Verzeihung für das Benehmen meines Töchterchens«, sagte der Gastwirt schleichend. »Lucilla ist keine fünfzehn Jahre alt, fast noch ein Kind. Sie weiß nichts von der Welt, von den … Männern.«

Der Königsbote verstand und ließ eine weitere Münze rollen. »Da wäre es vielleicht klüger, sie vor den Blicken der Trinkkumpane zu verbergen. Aber dein Wein ist wirklich gut. Nimm.«

»Der Zufall hat mein Töchterchen heute hierher geführt«, antwortete der Wirt unterwürfig und steckte das Geld in die Tasche. »Sonst sitzt sie bei der Mutter und stickt an den Stoffen für die Kaiserkrönung.«

Alexius entgegnete nichts. Geduldig wandte er sich seinem Becher zu. Neue Gäste drängten in die Gaststube und plauderten über die bevorstehenden Feierlichkeiten. Er schenkte ihnen keine Beachtung, fixierte weiter die Tür, hinter der Lucilla verschwunden war.

Als in der Schänke schon lange die Kerzen brannten, stand der Missus enttäuscht auf. »Morgen Abend werde ich wiederkommen.«

Der dienernde Wirt strahlte und schickte einen Burschen los das Pferd seines Gastes zu holen.

»Warte einen Augenblick! Ich will dir etwas geben.« Alexius trat aus der Schänke in die Dunkelheit und nahm seinen frisch gestriegelten Fuchshengst am Zügel. Dem wartenden Stallknecht drückte er eine Münze in die Hand. Vor den wachsamen Augen des Schankwirts griff der Missus unter die Satteltasche, brachte ein kleines rundes Fläschchen zum Vorschein. Sein Onkel Rotbertus hatte zwei Glasbehälter mit Duftstoffen zusammen mit Prinzessin Zoes Bild aus Byzanz geschickt. Vorsichtig legte der Missus das Kleinod in die fleischige Hand des Gastwirts.

Dieser musterte den jungen Fremden noch eindringlicher. Die vornehmen Kleider und der gutmütige Zug um die vollen jugendlichen Lippen wirkten doppelt überzeugend. »Ein Zaubermittel!«, zischte der Gastwirt durch die halb verfaulten Zähne. »Mein Herr, Eure Schönheit, Eure Jugend, Eure Manieren sind genug. Ihr braucht keine Magie, um das Herz einer jungen Frau zu erobern.«

Alexius winkte lachend ab. »Das sind nur Essenzen aus Blumenblättern und Hölzern aus dem fernen Griechenland, meiner Heimat. Lass morgen für deine Tochter einen Badezuber füllen. Gib einige Tropfen aus dem Fläschchen bei. Lucillas Duft wird mit ihrer Schönheit wetteifern.«

Ein hässliches Grinsen verzerrte das Gesicht des Schankwirts. Alexius packte sein Pferd beim Zügel und wandte sich ab. Nach ein paar Schritten besann er sich anders. Er hatte plötzlich Lust den geldgierigen Vater zu beeindrucken: »Die Verpflichtungen rufen. Ich gehöre zum Gefolge des Königs.«

4

Die sächsische Burgherrin Elana war froh, dass sie für ihren nächtlichen Abstecher in die vatikanischen Gärten einen dunklen Umhang mit Kapuze gewählt hatte. Als die Fassade von Sankt Peter hinter ihnen lag, warf sie einen prüfenden Blick auf ihre beiden Diener. Ricolf und Gerold trugen weite braune Mäntel, die fast bis zum Boden reichten. Niemand konnte darunter Schwerter und schon gar keine Schaufeln vermuten.

Elana ruhte sich einen Augenblick aus, schob eine widerspenstige blonde Locke unter den grauen Stoff zurück. Ein Blick Richtung Stadt zeigte ihr, dass niemand in der Nähe war. Auch auf der Rückseite der strahlendsten Kirche Roms hielten sich in dieser Nachtstunde keine weiteren Menschen auf. Das einzige Lebenszeichen kam von den wild im Wind flackernden Lichtern, die in weiten Abständen um das Gotteshaus verteilt waren. Die sechzehnjährige Sächsin wandte sich mit selbstverständlicher Autorität an ihre Gefolgsmänner und gab ihnen letzte Anweisungen. Dann drückten sich alle drei hintereinander eng an die Kirchenmauer, huschten lautlos weiter, der Außenseite der Apsis zu.

Glücklicherweise genügte das Mondlicht. Sie gingen sachte über den Steinboden, bis Erde unter den Schuhsohlen knirschte. Die junge Frau hielt nach der nächsten und übernächsten Fackel an der Mauer Ausschau und richtete ihren Blick auf den Schnitt der Steine darunter. Manchmal kniete sie nieder, betastete jede Ritze bis zum Boden. Nichts.

»Weiter«, flüsterte sie ihren Begleitern zu. Das Trio trat in die Dunkelheit zurück und näherte sich im Schatten der Bäume der nächsten Fackel. Der vierten, der fünften, bis Elana plötzlich Herzklopfen bekam. Ganz unten an der Mauer fühlte sie mit der tastenden Hand eine Nische. Vorsichtig zog sie einen schmalen länglichen Stein heraus und schob zwei Finger in den Spalt. Da, die Pfeilspitze, wie ihr Vater sie beschrieben hatte. Elana frohlockte und gab ihren Begleitern das Zeichen. Im Boden neben der Maueröffnung begannen sie mit ihren aus Sachen mitgenommenen Metallschaufeln zu graben. Während der Erdhaufen größer und größer wurde, setzte die junge Burgherrin sich auf einen trockenen Baumstrunk und wartete.

»Vater, ich habe es geschafft!« Elana flüsterte die magischen Worte immer wieder vor sich hin, bis ihre Gespanntheit in Erleichterung überging. Während sie den Männern bei der Arbeit zusah, kehrten ihre Erinnerungen zurück auf die Fallsteinburg in Sachsen. Noch keine zwei Jahre waren seit dem Tod ihres Vaters vergangen. Elana erinnerte sich an seinen letzten Tag, als sei es heute gewesen. Eigentlich wollte Graf Wilhelm auf die Jagd gehen, verschob dies aber auf den späteren Morgen. So nahmen sie wie oft im Hochsommer in ihrem kleinen Waldsee ein Bad, und auf dem Heimweg wurde über eine neue Truhe für den Burgsaal diskutiert.

Das Wachträumen vom Vater zauberte ein Lächeln auf Elanas Gesicht. Sie war damals erst vierzehn Jahre alt gewesen und doch betrachtete er es als eine Selbstverständlichkeit, alle wichtigen Burggeschäfte mit ihr zu besprechen. Seit dem frühen Tod seiner Frau hatte Graf Wilhelm sich daran gewöhnt, mit seiner Tochter wie mit einer Erwachsenen zu reden. Dies tat er auch auf dem Totenbett nach dem Jagdunfall.

Ein gedämpfter Ruf riss Elana aus ihren Gedanken. Hastig sprang sie auf und huschte zu den beiden immer noch ungestört mit ihren Schaufeln arbeitenden Männern.

»Schaut«, triumphierte der stämmige, flachsblonde Ricolf. Er winkte sie nahe zu sich heran. Als Elana sich hinunterbeugte, stieß er mit dem Holzstiel gegen einen harten Gegenstand. Das Herz der Sächsin begann wild zu klopfen. Sie bückte sich und schob mit der bloßen Hand die Erde zur Seite, bis etwas im Mondlicht aufglänzte. Das Metall fühlte sich rau und hart an. Wie zur Beschwörung ließ Elana einen Augenblick die Hand darauf, dann machte sie den Männern Platz. Gespannt wanderte ihr Blick von einer Schaufel zur andern. Aber trotz der fiebrigen Erwartung zwang die Erinnerung sie zurück nach Sachsen.

Auf dem Totenbett hatte der Burgherr Worte ausgestoßen, die für Elana lange keinen Sinn ergaben. Graf Wilhelm wiederholte sie immer wieder, klammerte sich an seine Tochter: »Glaub mir, es ist wahr. Ich gehörte damals als Bote zum Gefolge des Kaisers.«

Elana legte ihr Ohr fast auf den Mund des Verletzten und konnte die leise gehauchten Worte doch kaum verstehen.

»Schlaf jetzt, Vater. Du musst gesund werden.«

Bei diesen Worten schüttelte der Graf den Kopf, zwang sich lauter zu sprechen. »Bevor Otto, der Vater unseres jungen Königs, starb, schenkte er mir ein Kreuz mit Edelsteinen und wertvolle Juwelen. Ich habe alles mit einem Metallkästchen vergraben … Es war am Tag von Ottos Bestattung in Sankt Peter in Rom, als die Wirren ausbrachen.« Der Graf beschrieb ihr das Versteck. »Hol es, Elana, reise nach Rom!«

»Wir werden zusammen hingehen, Vater.«

»Nein, versprich mir das Kreuz zu holen, du musst es mit einem Häuflein geheiligter römischer Erde in die Kapelle der Fallsteinburg bringen. Versprich es!« Als Elana immer noch zögerte, fuhr er fort: »Es ist nichts Außergewöhnliches, wenn Edelfrauen nach Rom pilgern. Du wirst bald Herrin der Fallsteinburg sein und ein Gefolge haben. Versprich, dass du gehen wirst.«

Versprich es, versprich es, versprich es. Die Worte dröhnten immer noch in der Erinnerung, als die Sächsin zusah, wie ihre Diener das Kästchen aus dem Boden hoben. Das eingeritzte »W« auf dem Deckel beseitigte alle Zweifel. Zufrieden nickte die junge Frau.

Gerold wickelte das Kästchen in ein Tuch und nahm es unter den Arm.

Bevor sie den Dienern folgte, kniete Elana nieder, öffnete einen kleinen Beutel und häufte mit der bloßen Hand Erde hinein. Das Versprechen ist eingelöst, Vater. Du hast zwei Jahre warten müssen. Aber von jetzt an werde ich mit gutem Gewissen in unserer Kapelle beten.

Als sie Sankt Peter hinter sich gelassen hatten, konnte die Sächsin immer noch nicht glauben, dass die ganze Aktion ungestört abgelaufen war. Zur Sicherheit wies sie ihre Begleiter an einen Umweg durch ein belebtes Quartier zu machen. Erst später wollte sie zu ihrer Unterkunft zurückkehren. Obwohl sie es nicht erwarten konnte, den Deckel des Kästchens zu heben, folgte die wieder tief in ihren Kapuzenmantel eingehüllte Burgherrin geduldig ihren Begleitern durch die Gassen.

Die meisten Fensterläden der zwei- und dreistöckigen Häuser waren zugesperrt. Ab und zu wiesen Lichter den Weg zu einer Gaststube. Elana sah nicht viel von ihrer Umgebung, weil sie ständig auf den Weg achten musste. Die Gassen strotzten vor Schmutz, bei einer Schreinerwerkstätte musste sie spitzen Holzstücken ausweichen. Einmal wäre sie fast auf glitschigen Gemüseblättern ausgerutscht, die neben einem verlassenen Marktstand auf dem Boden lagen. Die meisten Passanten beachteten das Grüppchen nicht, sie waren auf dem Weg von einer Schänke zur andern. Angewidert streifte Elanas Blick zwei betrunken dahintorkelnde Männer, die sich gegenseitig stützten. Sie wollte hastig weitergehen, als diese in eine schmale dunkle Gasse einbogen und mit einem Reiter zusammenstießen. Die junge Burgherrin drückte sich an eine Hausmauer, schaute zu. Obwohl das Mondlicht kaum zwischen die Gebäude schien, sah sie auf den ersten Blick, dass der Reiter jung und sein Umhang mit glitzernden Goldfäden durchwirkt war.

Was nun geschah, kam ihr wie ein Alptraum vor. Plötzlich wankten die beiden Männer nicht mehr unsicher, sondern richteten sich auf und rissen mit ihren kräftigen Armen den jungen Reiter aus dem Sattel. Einer hielt den Schreienden fest, während der andere mit einem Stein auf ihn einschlug.

Elana wandte sich um und wollte ihren Begleitern nachlaufen. Zu ihrer Erleichterung waren diese nur ein Stück weitergegangen, kamen gerade unschlüssig wieder auf sie zu.

»Da, rettet den Mann«, schrie sie ihnen zu. Gewandt fing die Sächsin das Kästchen auf und umfasste die Schaufeln, welche ihr von Gerold und Ricolf hastig zugeschoben wurden. Ob die Werkzeuge als Waffen zu gebrauchen waren? Elana verwarf den Gedanken und wartete. Nervös drückte sie ihre Fäuste zusammen, bis sie schmerzten. Sie bedauerte es, kein Mann zu sein. Wie gern hätte sie jetzt ein Schwert oder wenigstens ein Messer geführt. Zwei gegen zwei standen sich vor ihren Augen in der dunklen Gasse gegenüber und sie war machtlos. Glücklicherweise hatten ihre Männer gute Schwerter.

Gerold und Ricolf konnten die nur mit Messern bewaffneten Angreifer nach kurzem Kampf von ihrem Opfer wegschleifen. Während sie mit vereinten Kräften den einen festhielten und ihm die Arme auf den Rücken drehten, gelang dem andern die Flucht. Er rannte um die nächste Hausecke und verschwand.

Elana ließ die Schaufeln fallen, drängte sich an den drei Männern vorbei und kniete neben dem bewusstlosen Reiter nieder. Er war jung, weniger als zwanzig Jahre alt. Behutsam strich sie ihm das blutverklebte dunkelbraune Haar aus der Stirn. Am Hinterkopf war die Haut geplatzt. Sie legte ihre Hand über seinen Mund. Der Atem ging regelmäßig, das Herz schlug. Aber die Wunde blutete. Elana stand auf und sah sich nach ihren Begleitern um. Sie waren damit beschäftigt, dem Angreifer die Hände auf dem Rücken zu fesseln. Kurz entschlossen riss Elana einige Stoffstreifen aus ihrem Kleid und faltete daraus einen Kopfverband.

»Wir wollen den gefesselten Halunken mitnehmen«, wandte sie sich in befehlsgewohntem Ton an ihre Diener und stand auf. »Kannst du den Verletzten tragen, Gerold?«

Der dunkelhaarige Hüne nickte, hob den Bewusstlosen behutsam auf. Langsam folgte er Ricolf, der den Gefangenen an einem improvisierten Strick hielt und vorwärts schob. Das Pferd trottete gehorsam hinter Elana her.