Der goldene Fluss - Monika Dettwiler - E-Book
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Monika Dettwiler

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Beschreibung

Ein mittelalterlicher Kosmos am Ufer des Rheins: Mitreißend, anschaulich und präzise 1029 trifft die junge Ita zu ihrer Vermählung im Zürichgau ein. Doch ihr Bräutigam stirbt kurze Zeit später als kaiserlicher Heerführer. Sein kleiner Bruder, Eberhard von Nellenburg, wird mit fünfzehn Jahren Oberhaupt der ehemals mächtigen Familie. Wegen ihrer Mitgift und ihrer Verbindungen heiratet der Grafensohn Ita, die lesen und schreiben kann und sich auf die Heilkunst und Armenpflege versteht. Erst nach dem Tod ihres ersten Kindes verwandelt sich ihr gegenseitiges Mitgefühl in leidenschaftliche Liebe, die ein Leben lang andauern wird. Von einem Gelübde getrieben, baut Eberhard mit Ita Schritt für Schritt die Herrschaft der Nellenburger wieder auf. In Schaffhausen, einem verschlafenen Fischerdorf am Rheinfall, gelingt es den beiden, im aufblühenden Fernhandel des 11. Jahrhunderts ein einmaliges Wirtschaftswunder auszulösen. Trotz aller Rückschläge durch Überfälle und Hochwasser glauben sie an die Verwirklichung ihrer Vision: Ein eigenes Kloster mit Münster soll entstehen! »Ein großes Historiengemälde, eine anrührende Liebesromanze und die Geschichte der Frauen im 11. Jahrhundert.« Brigitte

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www.piper.de

 

ISBN 978-3-492-98399-0

© für diese Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2018

© Piper Verlag GmbH, München 2003

 

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: faestock; Phill Rodham; 100ker (alle shutterstock)

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

1 - Als der Brautwerber ‎…

2 - Eberhard tat sich schwer ‎…

3 - Der Kapellan war ‎…

4 - Am Abend bevor Eberhard ‎…

5 - Der Tod des Vaters ‎…

6 - »Ich habe Hunger«, ‎…

7 - Eberhards Seele war ‎…

8 - Ita wurde mehr und mehr ‎…

9 - Der Priester Liutpald hatte ‎…

10 - Als Eberhard mit ‎…

11 - Der Reichenauer Abt machte ‎…

12 - Auf der alten Straße, ‎…

13 - Der erste Winter ‎…

14 - Nach Eberhards Abreise ‎…

15 - Eberhard erlebte ‎…

16 - Am Laurentiustag ‎…

17 - »Ich will den Puppenspieler ‎…

18 - Die Pfalz von Pavia ‎…

19 - »Berno möchte ‎…

20 - Im Juni des Jahres 1040 ‎…

21 - Als Adalbert ‎…

22 - Nur Ebo war ‎…

23 - Als hinter ihrem Heim ‎…

24 - Die Fremden hatten ‎…

25 - Mitte Juli wurde ‎…

26 - Eberhard schaute ‎…

27 - Ita untersuchte ‎…

28 - Willibald war ‎…

Epilog

Personen des Romans

Worterklärungen

Literatur

Danksagung

 

Für Frank Flo Lorenz und für die RP

Für Kurt Bänteli und für Schaffhausen

1

Als der Brautwerber im Sommer des Jahres 1029 zur Burg von Kirchberg kam, war die Tochter des Grafen verschwunden. Liutpald, der vom Zürichgau hergereiste Priester und Lehrer des Bräutigams, ließ sich zunächst fürstlich bewirten.

»Wir werden am besten gleich die Heiratsbedingungen aushandeln«, schlug der Graf vor, als die Schüsseln abgeräumt waren. Immer wieder drehte er sich zur Tür um, aber seine Tochter kam nicht. So sprach er zunächst von Höfen und Ländereien südlich von Ulm, im Elsaß, am Bodensee, von Schmuck und Talenten.

Liutpald ging nicht auf die Mitgift ein. »Es ist zu bedenken, daß mein Herr, der Vogt Manegold von der Reichenau, große Pläne hat.« Herzog von Schwaben wolle er werden. Außerdem sei er ein Heerführer, jung, gesund, schön.

Die Verhandlungen kamen ins Stocken, als Liutpald nach der Braut fragte. Der Graf ließ den Haushofmeister rufen, der beteuerte, die Suche in der Burg gehe weiter. Schließlich zog der Hausherr ein Miniaturbild aus einer Schatulle hervor.

Liutpald warf nur einen flüchtigen Blick darauf. Statt eines Kommentars zählte er die Besitztümer seines Herrn auf. Das Bild reichte Liutpald dem Bruder des Bräutigams, der schüchtern neben ihm saß. Als er die Miniatur sah, strahlte Eberhard. Fasziniert starrte er auf das Mädchengesicht mit den weißen Zähnen.

Ita stand in einer Hütte am Waldrand von Kirchberg und redete auf die alte Frau ein. Vor ihnen lagen auf einem Holztisch Lilien, Rosen, Veilchen und andere Blumen. Ita hatte sie zerpflückt, zu Kränzen und Sträußen gebunden. Der Duft der Blumen überdeckte den Kohlgeruch, der von der offenen Feuerstelle herwehte.

»Du mußt Gefäße in verschiedenen Größen formen«, sagte Ita. »Ich möchte für jeden Strauß ein anderes haben.«

Die Alte murrte: »Du würdest besser in der Burghalle sitzen, wie es sich für eine wie dich gehört. Grafentöchter sollten nicht mit Gefäßen hantieren.«

»Die Edelfrauen sind anders als ich. Ich komme mir vor wie eine Stumme in einem Kreis von Schwätzerinnen. Seit Mutter nicht mehr lebt …« Ita legte der Alten die Hand auf die Schulter: »Du bist meine Freundin, Adelheid. Bei dir muß ich mich nicht schämen, wenn ich etwas sage.«

»Was willst du überhaupt mit all den Gefäßen?« wechselte Adelheid verlegen das Thema.

»Blumen kann man immer anders zusammenstellen. Ich spiele gern mit ihren Farben. In jedem Gefäß kommen sie neu zur Geltung.«

»So viele Vasen, wie du sie für deine Blumen brauchst, werde ich nie brennen können.«

»Nicht alle kommen in die Gefäße. Viele presse ich. Das gibt Bilder, die ich im Winter anschauen kann.«

Die Alte strich eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Stimme hatte einen bitteren Unterton: »So viel Arbeit für die Freude deiner Augen.«

»Wenn du nicht willst …« Ita ging mit gespieltem Trotz zur Tür. »Dann humple selbst hinaus und sammle deine Kräuter!«

»Sag das nicht. Ohne meine Heilmittel müßte ich verhungern.« Adelheid blickte aus den Augenwinkeln zu Ita hoch, die einen halben Kopf größer war als sie. »Wenn wir schon davon sprechen, könntest du mir etwas Minze holen?«

Ita öffnete den schiefen Fensterladen und schätzte den Sonnenstand ein. »Eigentlich müßte ich längst zu Hause sein«, murmelte sie im Hinausgehen. »Heute oder morgen wird der Brautwerber kommen.«

Ita war froh, daß die Alte sie nicht gehört hatte. Sie drehte sich um und winkte ihr zu. Adelheids zahnloser Mund verzog sich zu einem Lächeln.

Mit jedem Kraut, das sie in den Korb legte, regte sich Itas Gewissen heftiger. Sie mußte nach Hause gehen, aber sie wollte nicht. Vater will mich verschachern, dachte sie. Ob dieser Vogt mir gefällt, interessiert ihn nicht. Und er, Manegold? Was wird er an mir finden?

Ita stellte den Korb ab und beugte sich über den glatten Wasserspiegel einer Pfütze. Sie sah das zum Zopf nach hinten geflochtene braune Haar mit den hellen Strähnen, das Oval des Gesichts, die hohen Backenknochen. Ita hielt den Kopf schräg und betrachtete ihr Halbprofil. Unwillig klatschte sie mit der Hand in die Pfütze und brachte das Wasser in Bewegung. Die Nase mit dem leichten Bogen hatte ihr nie gefallen. Das Schönste an meinem Gesicht sind die Lippen, dachte Ita, und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse.

Plötzlich legte sich ein Schatten über ihre kauernde Gestalt, im Wasserspiegel rasten dunkle Farben durcheinander. Ita sprang auf.

»Dein Gesicht streicheln«, hörte sie eine Stimme hinter sich flüstern. Ita drehte sich um, erschrak, beruhigte sich. Es war nur Johannes, der Dumme aus dem Dorf, der kaum die Worte zusammenbrachte, um einen Satz zu formen. »Darf ich?«

»Ich muß nach Hause. Wichtiger Besuch.« Ita sprach freundlich wie immer, wenn sie Johannes begegnete. Doch diesmal drehte sie ihm den Rücken zu. Das verletzte den Mann, brachte ihn in Wut. »Ich will aber«, sagte er und packte ihren Arm.

Ita riß sich los, ließ den Korb stehen und rannte über Felder und Wiesen, vorbei an Sträuchern und Laubbäumen. Beim Sprung über den Bach stolperte sie und fiel hin, raffte sich auf, hetzte weiter, bis sie die hölzernen Palisaden und das Burgtor passiert hatte. Leise ging sie an der Halle vorbei in ihre Kammer. Ita warf sich erschöpft auf das Bett, mit dem Rücken zur Wand. Obwohl es Sommer war und tagsüber die Sonne durch das schmale Fenster in die Kammer schien, roch die Mauer nach Moder. Es gab keine Feuerstellen in den Schlafkammern. Im Winter kam nur von der Halle her etwas, aber nie genug Wärme nach oben.

Als ihr Herz weniger heftig klopfte, griff Ita nach einer losgelösten Haarsträhne. Dabei streifte ihre Hand das Kinn, sie fühlte Blut aus dem Mund fließen. Ita nahm den Handspiegel und öffnete die Lippen. Mit Schrecken sah sie ihr Spiegelbild. Die beiden Schneidezähne waren schräg zur Mitte abgebrochen. Wie Wolfszähne kamen sie ihr vor.

In diesem Augenblick stieß der Graf die Tür auf.

Ita ging ihm entgegen und bleckte die Zähne wie ein böser Hund. »Vater«, sagte sie, »es tut mir leid. Ich bin gestürzt.«

»Oh Gott«, seufzte Graf Otto von Kirchberg. »Da hat man endlich einen Brautwerber für seine Tochter im Haus, und sie kommt heim wie ein Krieger nach der Schlacht.«

Es klopfte, und der Burgkapellan trat ein. Er erfaßte die Situation sofort. »Die Verhandlungen sind abgeschlossen, Liutpald ist mit der Mitgift einverstanden«, redete er auf den Grafen ein. »Wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Zu einer solchen Partie, mit Verlaub, kommen wir nie wieder.«

»Vater, es tut weh. Ich glaube, die Lippen sind aufgeplatzt«, jammerte Ita. Sie wischte mit einem Tuch das Blut weg und hielt sich erneut den Spiegel vors Gesicht. »Nein, die sind unverletzt. Aber die Zähne …«

»Hat dir die Alte im Wald eine Salbe zur Blutstillung mitgegeben?« fragte der Graf. Ita nickte und holte das Heilmittel. Ihr Vater nahm etwas Salbe aus dem Topf und rieb sie sorgfältig in Itas Zahnfleisch ein.

Da klopfte es schon wieder. Ein Bediensteter starrte geflissentlich an der Grafentochter vorbei und sagte: »Die Herren unten warten. Sie werden ungeduldig.«

»Sag ihnen, meine Tochter ziehe sich um!« zischte der Graf. »Aber kein Wort von diesem Unfall.«

Als der Diener gehen wollte, hielt Otto ihn zurück: »Es wird dunkel. Schließt die Fensterläden in der Halle! Ihr dürft aber nicht alle Leuchter anzünden, höchstens jeden dritten. Und keine Kerzen auf den Tisch!«

»Eine Braut mit solchen Hauern will doch keiner«, klagte Ita, als sie mit ihrem Vater und dem Kapellan allein war.

»Mach dir keine Sorgen, Kleines. Mir geht es jetzt darum, den Heiratsvertrag abzuschließen. Die Zähne kommen schon wieder in Ordnung.«

»Glaubst du etwa, die wachsen nach?« schluchzte Ita.

»Der Brautwerber braucht sie ja nicht zu sehen«, bemerkte der Burgkapellan und ignorierte ihre Einwände. »Ita muß nur den Mund halten. Was eine Sechzehnjährige zu sagen hat, interessiert den Priester Liutpald ohnehin nicht.«

Ita drehte sich um. Sie wollte nicht mehr zuhören. Die Männer warteten vor der Kammer, während sie ihr Leinenkleid auszog. Es paßte nicht zu einer Grafentochter und war außerdem mit nasser Erde befleckt. Ihren schönsten grünen Rock zog Ita an und darüber eine Tunika aus feinem Stoff, die sie mit einer Kordel zusammenhielt. Der Zopf mußte so bleiben, wie die Kammerdienerin ihn am Morgen geflochten hatte.

Ita fühlte sich verletzlich wie ein Reh vor einer Reihe von Bogenschützen, als sie hinter ihrem Vater und dem Kapellan die düstere Halle betrat. Sie machte einen Knicks und schob die geschlossenen Lippen zu einem Lächeln nach oben.

»Schöner als auf dem Bild«, murmelte der vierzehnjährige Eberhard. Eine Prinzessin, dachte er. Nur eine Prinzessin hat solch goldene Strähnen im braunen Haar.

»Freut Ihr Euch, mit meinem jungen Herrn, dem Vogt Manegold, die Ehe einzugehen?« fragte Liutpald gemäß dem Zeremoniell der Brautwerbung. Ita schaute zu ihrem Vater und nickte. Der Priester wartete, lächelte ihr aufmunternd zu. Noch einmal nickte Ita, ihr Herz klopfte wild.

»Ist Eure Tochter stumm, Graf Otto?« fragte Liutpald.

Plötzlich ließ das Herzklopfen nach. Der verblüffte Gesichtsausdruck des Priesters brachte Ita zum Lachen. Da spürte sie wieder Blut zwischen den zusammengepreßten Lippen. Sie drückte ein Tuch auf den Mund und lief aus der Halle.

»Meine Tochter ist sprachlos, weil Ihr uns eine so hohe Ehre antragt«, überspielte der Graf die Situation und führte seine Gäste erneut zur Tafel. »Morgen oder übermorgen werdet Ihr sie sprechen hören. Ihr bleibt doch einige Tage?«

Als Liutpald abwinken wollte, fügte Otto hinzu: »Ich muß dem Bischof in Ulm meine Aufwartung machen. Wenn Ihr mich zu ihm begleiten möchtet?«

Drei Tage lang blieb der Graf mit dem Priester Liutpald in Ulm. Am ersten Morgen nach Itas Unfall wurde ein Heiler in die Burg gerufen. Da Ita keine Mutter mehr hatte, war eine Tante dabei, als der Mann ihre Zähne untersuchte.

»Wir müssen froh sein, wenn die nicht absterben«, sagte er. »Wenn Ihr einige Tage lang auf nichts Hartes beißt und nur Brei eßt, kann es sein, daß die Zahnwurzeln wieder anwachsen. In zwei Wochen werde ich nach Euch sehen.« Kein Wort von den abgebrochen Spitzen der Zähne!

Ita lief aus der Halle in den Garten und setzte sich zwischen den Mohnblumen auf einen Stein. Ein Strudel widersprüchlichster Gefühle erfaßte sie. Wahrscheinlich würde Manegold eine Braut mit Wolfszähnen nicht akzeptieren. Sie wäre zwar erleichtert gewesen, den unbekannten Bräutigam los zu sein, aber sie fühlte sich in ihrem Innersten verletzt. Nie mehr würde sie aussehen wie bisher, nie würde sie den Mund zum Gespräch oder auch nur zu einem Lächeln öffnen können. Bestenfalls zur Klosterfrau mochte sie noch taugen.

Und wenn ich doch zu Manegold gehen muß? dachte Ita. Ein unbekannter Ort noch weiter im Süden als der Bodensee, fremde Menschen und fremde Gedanken. Und ich bin nicht mehr ich mit diesen Zähnen. Als Hülle würde sie in den Zürichgau reisen, als Hülle mit Wolfszähnen. Zu einem Ehemann, der sie verachten würde vom ersten Tag an.

»Bist du tatsächlich stumm?« riß eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Der Knabe Eberhard stand neben ihr und zupfte sich verlegen am rechten Ohrläppchen. Plötzlich bekam er Angst vor seinem eigenen Mut. »Ich glaube, ich störe.« Er ging einige Schritte zurück, stolperte über eine Baumwurzel. Entschuldigend hob er die Achseln und wollte sich davonstehlen.

»Ich bin nicht stumm«, entfuhr es Ita. Sie hielt die Hand vor den Mund und wandte sich ab. »Außerdem bin ich eine Dame. Du solltest mich nicht so respektlos ansprechen.«

Als Eberhard vor Verlegenheit das Blut in den Kopf schoß, vergaß Ita ihre Zähne und lächelte ihm zu. Ungläubig starrte er auf ihren Mund.

Ita las die Enttäuschung in seinen Augen. »Ich bin gestern hingefallen. Aber eigentlich ist es mir egal«, sagte sie leise und war sich bewußt, daß dies nicht die Wahrheit war. »Ich wollte deinen Bruder ohnehin nicht heiraten.«

»Darf ich mir die Zähne ansehen?« fragte Eberhard. Er war nicht mehr verlegen. Itas Verletzlichkeit machte ihm Mut. Behutsam streckte er den Arm aus und schob Itas Lippen mit den Fingern nach oben.

Da schaute sie zum ersten Mal bewußt in das Gesicht mit dem dunkelblonden vollen Haar. An Eberhards Zügen stimmte etwas nicht. Die zutraulichen blauen Augen und die etwas zu groß geratene Knabennase paßten nicht zu den schmalen, entschlossenen Lippen. Aber als er den Mund zu einem Lächeln öffnete, stand alles wieder im Einklang.

»Hattest du früher sehr lange vordere Zähne?« wollte Eberhard wissen. Als sie nickte, fuhr er fort: »Mach dir keine Sorgen. Sie wackeln ein bißchen, wachsen aber wieder an.«

»Wie alt bist du eigentlich?« fragte sie abschätzig.

»Vier…, bald fünfzehn.«

»Ich bin nächstes Jahr auch ein Jahr älter als jetzt«, spottete Ita.

Als er die Augen schloß und sich am Ohrläppchen zupfte, bereute sie ihre spitze Bemerkung und fragte: »Wie willst du wissen, ob meine Zähne wieder anwachsen oder nicht?«

»Ich habe das auf der Insel Reichenau bei einem Klosterbruder gesehen. Er war gegen den Eisenteil einer Tür geprallt. Ein Mitbruder hat ihm mit einem Schleifstein die abgebrochenen Zähne wieder gerade gefeilt.«

»Wenn das so einfach ist … Aber ich möchte deinen Bruder trotzdem nicht heiraten.«

Eberhard grinste. »Er denkt da bestimmt anders als du. Wenn deine Zähne erst abgefeilt sind, wirst du wieder aussehen wie auf dem Bild. Ich will es meinem Bruder mitbringen.« Er griff sich an den Kopf. »Oh je, in der Aufregung gestern habe ich vergessen, daß wir Geschenke mitgebracht haben. Ich gehe sie holen und bringe sie in die Halle.«

Mit einem Paket und zwei flachen Holzstücken trat Eberhard wieder in den Burgsaal. Ita dachte nicht mehr an ihre Zähne, als sie eine golddurchwirkte Tunika aus der Verpackung nahm. Sie drückte die kostbare Seide an den Oberkörper und tanzte im Kreis herum. »Das wird mein schönstes Kleid sein«, sagte sie. »Ob das Gold mir steht?«

»Du hast grüngoldene Augen und goldene Haarsträhnen. Das Kleid wird dir stehen.«

»Und du bist ein Meister darin, Damen Komplimente zu machen.«

»Ich?« Der schwärmerische Ton war aus seiner Stimme verschwunden. Eberhard zupfte sich am Ohrläppchen und trat von einem Fuß auf den andern. »Die einzige Dame, die ich kenne, ist meine Mutter.«

Als Ita ihn nur schweigend musterte, fuhr er fort: »Sie heißt Hedwig. Sie ist mit dem Kaiser und mit einem Bischof verwandt.«

»Du meinst also, die Tunika wird zu meinem Haar passen?« lenkte Ita das Gespräch wieder auf ihr Geschenk.

»Ich habe noch nie solches Haar gesehen. Wie kommen die blonden Strähnen in deinen braunen Zopf?«

»Was du alles wissen willst! Also gut, wenn du mir das Spiel beibringst, verrate ich dir das Geheimnis.«

Eberhard nahm eines der beiden Brettspiele und legte es auf den Tisch. Er erklärte ihr die Felder und ihre Bedeutung. Er sprach von Hermann, dem Klosterschüler, der von Geburt an lahm war und doch Musik studierte und Spiele erfand. Als das Essen serviert wurde, saßen sie noch immer am Tisch und spielten. Ita lief aus dem Saal und aß ihren Gemüsebrei wie jeden Tag in der Küche.

Später, im Feld der Mohnblumen vor der Burg, sprach Ita von ihrer Liebe zu den Blumen. Ihr Vater habe die Samen der roten Blüten von einer weiten Reise mitgebracht. Sie verriet Eberhard das Geheimnis ihrer blonden Strähnen, erzählte von den Kamillenaufgüssen und den Tagen unter der Sommersonne in den Blumenbeeten.

Eberhard behielt sein Wissen über Itas abgebrochene Zähne für sich. Als er am vierten Tag mit dem Grafen und Liutpald auf die Jagd ging, stieg Ita allein an den Palisaden entlang in den Garten hinunter. Sie schaute hinauf zur Burg, als sähe sie sie zum letzten Mal. Nur die Halle und die Schlafkammern waren aus Stein gebaut. Alle anderen Gebäude hatte ihr Großvater aus Holz zimmern lassen. Im Garten beugte sich Ita zu den wilden Rosen hinunter, nahm deren Duft in sich auf, und sie dachte sorgenvoll an ihre Zukunft.

Am fünften Abend sagte der Graf, Ita könne nicht länger ihren Brei in der Küche essen. Sie müsse mit dem Priester Liutpald sprechen. Der sei ungeduldig geworden und wolle abreisen.

Ita ließ sich von der Kammerfrau frisieren. Das Haar floß nicht nach hinten in einen Zopf, sondern weich über ihre Schultern. Nur die Spitzen band die Dienerin zu einem kurzen Schwanz zusammen. Ita setzte sich in der düsteren Halle zwischen Liutpald und Eberhard.

Als der Priester mit Fisch und Bohnen seinen ersten Hunger gestillt hatte, sagte er zu Ita: »Da Ihr wieder essen könnt, seid Ihr bestimmt auch nicht mehr stumm.«

»Sie konnte immer sprechen«, fiel Eberhard ihm ins Wort.

»Ich war krank.« Ita wandte sich Eberhard zu, als sie sprach.

Der Priester stellte viele Fragen. Ob sie wisse, wo der Zürichgau liege. Nicht in der Nähe von Ulm, erklärte Liutpald, sondern weiter weg, südlicher als der Bodensee. Er fragte, wie sie zu ihrem Bräutigam reisen wolle, auf dem Pferd oder im Wagen.

Ita antwortete kurz und höflich. Immer wenn sie sprach, drehte sie den Kopf in Eberhards Richtung. Das Haar schirmte ihren Mund gegen Liutpald hin ab wie ein Vorhang. Wenn sie schwieg, lächelte Ita mit geschlossenen Lippen den Brautwerber an.

Am nächsten Morgen reisten Liutpald und Eberhard ab. Die Heiratsbedingungen würden mit Manegold und dessen Vater besprochen, erklärte der Priester dem Grafen. Man werde einen Boten schicken.

Ita fühlte sich nach der Abreise des Brautwerbers wie in einem Schwebezustand. Sie war nicht mehr wie früher, aber aus ihr war noch keine andere geworden. Sie wußte nicht, was sein würde. Das einzige Stückchen Zukunft, das mit ihr durch die Mohnblumenfelder gegangen war, saß auf einem Pferd und ritt dem fernen Bodensee entgegen.

2

Eberhard tat sich schwer mit dem Lesen. Sein Lehrer Liutpald hatte ihm vor vielen Monaten, als Eberhard erst dreizehn war, sogar das Schreiben beibringen wollen. Der Knabe weigerte sich, und sein Vater Eppo gab ihm recht. Wozu sollte ein Grafensohn schreiben lernen? Dafür gab es Klosterbrüder, Kapellane und Notare. Weil Eppo Graf im Zürichgau und Klostervogt von Einsiedeln war, wagte Liutpald nicht, ihm zu widersprechen. Seither hatte der Priester Mühe, den Schüler wenigstens einmal pro Woche in seiner Schreibstube zum Lesen zu bringen.

So mühsam wie nach ihrer Rückkehr aus Kirchberg hatte Liutpald seine Aufgabe noch nie empfunden. Eberhard buchstabierte, aber es gelang ihm schlecht, aus den Buchstaben Worte und aus den Worten eine Reihe zu bilden. Selbst der fertige Satz schwebte als Folge von Tönen in der Luft, ohne Sinn. Denn Eberhards Gedanken waren anderswo. Er dachte an die Burg des Grafen von Kirchberg, an die Halle mit den Wandteppichen. Und an Itas spitze Zähne.

Als er vom Hof her das Geräusch von Pferdehufen hörte, ging Eberhard ans Fenster. Er sah seinen Bruder Manegold und drei Gefolgsmänner von ihren Pferden steigen. Manegold, der Vogt der Reichenau, hatte die letzten Tage in der Pfalz seiner Abtei verbracht und Gerichtsverhandlungen geführt. Immer seltener kam er zum Haus seines Vaters im nordöstlichen Zürichgau.

Eberhard ignorierte die Ermahnungen seines Lehrers. Er blieb am Fenster stehen und sah in den Hof hinunter. Mit federndem Schritt kam sein Bruder Manegold auf das Tor zu. Er trug einen roten Umhang und grüne Beinkleider. Das Schwert baumelte fast bis zu den Stiefeln. Weil Manegold täglich austritt, war sein Gesicht braun gebrannt von der Sommersonne.

Mein Bruder ist zu vornehm für diesen Ort, dachte Eberhard. Er sah sich im Hof um. Das Haupthaus war einstöckig und nicht viel größer als die Wirtschaftsgebäude. Keine Palisaden, nicht einmal ein behelfsmäßig aufgeworfener Wall. Manchmal sprach Eppo mit Manegold und Eberhards zweitem Bruder Burkhard von der steinernen Familienburg, die er im Norden des Bodensees bauen ließ. Waren nur Monate oder schon Jahre vergangen, seit Eppo einem Baumeister den Auftrag erteilt hatte, auf dem Hügel im Hegau Stein auf Stein zu mauern, immer höher, bis ein Haus mit Halle und Wirtschaftsgebäuden entstand? Eberhard erinnerte sich nicht. Er hatte keine Ahnung, wie weit der Bau gediehen war, der den Familienbesitz gegen Nordosten hin absichern sollte. Noch nie war sein Vater auf den Gedanken gekommen, ihn zur Baustelle mitzunehmen.

Eberhard stand noch am Fenster, als Manegold mit seinem Vater Eppo die Schreibstube betrat. Die beiden Männer übersahen den Knaben und setzten sich zu Liutpald an den Tisch.

Der Priester berichtete von der Reise nach Ulm, von den Ländereien des Grafen von Kirchberg. Als er von der Tochter mit dem braungoldenen Haar erzählte, fiel Manegold ihm ins Wort. »Wie sind die Heiratsbedingungen?«

Liutpald stand auf und holte ein Schriftstück aus einer Schatulle. Er solle vorlesen, verlangte Manegold.

Als Liutpald fertig war, trat Eberhard an den Tisch und legte Itas Miniaturbild vor Manegold hin. Der warf einen kurzen Blick darauf und begann über den Wert der Mitgift Fragen zu stellen. Eppo wollte noch mehr wissen, bis der Priester den Besitz des Grafen von Kirchberg in allen Einzelheiten geschildert hatte.

»Nun, Eberhard?« fragte Manegold, nachdem alles besprochen war. Er strich seinem jüngsten Bruder mit den Fingern durch das dunkelblonde Haar und zupfte ihn am Nasenzipfel. Eberhards Körper war in den letzten Monaten hoch aufgeschossen, aber Manegold überragte ihn noch immer um eine Handbreit.

»Das Bild«, flüsterte Eberhard und wurde rot. »Du hast das Bild deiner Braut kaum angesehen.«

Manegold lachte. »Das ist nicht wichtig. Sie hilft mir, Herzog zu werden. Wenn das keine Ehe wert ist.«

Eberhard wollte von Itas goldbraunem Haar, von ihren Augen erzählen. Aber er schwieg.

»Du hast in den letzten Tagen genug studiert«, sagte Manegold. »Morgen darfst du mich zu einem Meierhof nördlich der Thur begleiten.«

Die Brüder ritten mit der Sonne im Rücken. Über Wiesen und Felder ließen sie ihre Pferde galoppieren, im Schritt durchquerten sie den Wald. Eberhard war glücklich, wenn er einen seiner Brüder begleiten durfte. Am liebsten ritt er mit Manegold. Der war nicht grimmig wie sein Vater und weniger schweigsam als sein anderer Bruder, Burkhard.

Von der Kuppe der Hügelkette aus sahen sie zur Mittagszeit die Thur und an ihrem Ufer die Mühle mit dem Steg. Manegold ritt seinen Begleitern voran zum Ufer. Der Fährmann brachte den Vogt mit dem Gefolge über den Fluß.

Vor dem Hof kam der Meier ihnen entgegen. Ehrerbietig ergriff er die Zügel von Manegolds Pferd und führte es vor den Haupteingang.

»Wollen die Herren essen oder trinken oder sich ausruhen?« fragte der Meier, als alle von den Pferden gestiegen waren. Manegold winkte ab. Man müsse weiterreisen. Er habe nur berichten wollen, daß die letzte Kuh des Meiers auf der Reichenau gestorben sei. Da jeder Meierhof für die Klosterküche eine Milchkuh liefern müsse, sei es an der Zeit, das verstorbene Tier zu ersetzen.

Manegold schwang sich in den Sattel. Da trat die Tochter des Meiers mit einer Magd aus dem Haus. Manegold stieg wieder ab, durchkämmte sich das dunkle Haar mit den Fingern. Er sah die Magd an, drehte sich zu Eberhard um und dann wieder zurück zur Magd. »Wann ist die Kuh für den Transport zur Reichenau bereit?« fragte er.

»Wann Ihr wollt«, sagte der Meier. Als der Vogt nichts entgegnete, schlug er einen jammernden Ton an: »Ich habe keine große Auswahl, Ihr könnt die Kuh gleich mitnehmen.«

»Es geht jetzt nicht. In zwei Wochen gibt es einen Viehtransport von Müllheim zur Reichenau. Da kann die Kuh mitgehen.« Manegold ging zur Tochter des Meiers. »Ich werde heute in vierzehn Tagen kommen«, sagte er leise. »Sieh zu, daß wir eine gute Mahlzeit bekommen.« Als sie »Ja, Herr« flüsterte, fügte Manegold mit einem Seitenblick auf die junge Magd hinzu, mit dem Vieh komme man nur langsam vorwärts. Wahrscheinlich werde er ihren Vater, den Meier, auch um Herberge bitten müssen.

Als er wieder im Sattel saß, drehte Manegold sich nochmals zum Meier um und stellte Fragen. Weshalb er fast keine Kühe habe, er, der reichste Meier weit und breit. Was der Jammerton solle.

»Wäre ich nur ein Bauer geblieben«, klagte der Meier. »Seit ich die Verantwortung für andere trage, habe ich Scherereien.«

»Fasse dich kurz, wir müssen weiter!«

»Seht Ihr den schwarzen Rauch hinter der Scheune denn nicht?« fragte der Meier. »Jemand hat am Vorabend den alten Viehunterstand bei der Eiche in Brand gesteckt und drei Milchkühe weggeführt.« Nur eine einzige sei zurückgeblieben, weil sie gerade kalbte und im Schuppen neben dem Haupthaus untergebracht worden sei.

»Wer?« fragte der Vogt drohend. »Wer hat ein Gebäude aus Klosterbesitz in Brand gesteckt?«

»Wir waren gestern auf den Getreidefeldern auf der anderen Seite des Hügels.« Der Meier zeigte mit der Hand in Richtung Süden. Er war aufgeregt und sprach laut. »Als ich zurückkam, sah ich sie davongaloppieren. Es waren die Horden des Kyburgers. Schon früher haben die Krieger des Herzogs Ernst …«

»Habt ihr ihn erkannt?« schnitt Manegold ihm das Wort ab. »Weißt du überhaupt, wie Werner von der Kyburg aussieht?«

»Er war es, Herr«, sagte der Meier stur und fügte hinzu. »Der Verlust wird mich schwer schädigen. Wenn ich vielleicht beim Herrn Abt um Nachlaß bitten dürfte.«

Manegold gab keine Antwort. Er galoppierte vom Vorplatz des Hofs und zügelte sein Pferd erst bei den Getreidefeldern. Im Schritt ritt er so nahe bei Eberhard, daß sich die Flanken ihrer Reittiere berührten. Das Gefolge hielt sich um zwei Pferdelängen zurück.

»Schon wieder Werner von der Kyburg«, sagte Manegold zu Eberhard. »Wird das denn nie aufhören? Werden seine Reiter die Bauern der Reichenau überfallen, bis alles zerstört ist?«

»Ich weiß nicht«, gab Eberhard schüchtern zurück. Er hatte keine Ahnung von den Horden eines Werner von der Kyburg. Wenn sein Vater manchmal mit Manegold und Burkhard über Angelegenheiten seiner Grafschaft Zürichgau oder der Vogteien sprach, wurde der Jüngste immer hinausgeschickt.

»Du solltest das aber wissen. Der ist wie die Pest.«

Eberhard ließ die Zügel fallen und griff sich mit der rechten Hand ans Ohr. »Ihr sagt mir ja nie etwas.« Seine Stimme klang vorwurfsvoll. »Obwohl andere mit fünfzehn bereits in den Krieg ziehen.«

Manegold ging nicht auf Eberhards Bemerkung ein. »Der Kyburger handelt nicht aus reiner Zerstörungswut. Er ist ein Vasall des Herzogs von Schwaben. Dieser Herzog Ernst rebelliert gegen seinen eigenen Stiefvater, den Kaiser Konrad …«

»Aber der Herzog hat sich dem Kaiser vor zwei Jahren unterworfen«, fiel Eberhard ihm ins Wort. Er hatte die Information von seinem Lehrer Liutpald aufgeschnappt. Er war stolz darauf und schlug einen gewichtigen Ton an.

Der Bruder kniff die Augen zusammen, bis nur noch dunkle Schlitze zu sehen waren. »Wenn ich spreche, schweigst du«, sagte er. »Ist das klar, ein für allemal?«

Eberhard nickte und machte sich am Sattel zu schaffen. Er fühlte sich klein und unbedeutend, wenn sein ältester Bruder ihn zurechtwies.

»Aber du hast recht. Der Kaiser hat die Kyburg vor zwei Jahren erobert, und Herzog Ernst hat sich ihm unterworfen«, fuhr Manegold freundlicher fort. »Ernsts Vasall Werner aber nicht, er ist entkommen. Seither steht er unter Reichsacht.«

»Heißt das, er besitzt nichts mehr?«

»Ja, er muß das Essen für sich und seine Gefolgsleute zusammenstehlen, wo er es finden kann.«

Dieser Werner von der Kyburg erfüllte Eberhards Gedanken, als sie an der Thur entlang nach Westen ritten. Konnte ein Vasall so ergeben sein, daß er den Ideen seines Herzogs selbst dann noch die Treue hielt, wenn dieser klein beigab? Von einer solchen Freundschaft hatte Eberhard nie gehört. Was er in seiner Umgebung auch aufschnappte, es ging meist um Verrat oder um immer andere Allianzen zwischen den hohen Edelleuten. Seine eigene Familie hatte stets mehrere Eisen im Feuer. Eberhard wußte nie genau, wer nun Freund war und wer Feind.

Manegold schien Eberhards Gedanken zu erraten. »Mach dir keine falschen Vorstellungen, kleiner Bruder. Es geht nicht um Freundschaft, sondern um Macht. Werner von der Kyburg ist mehr als doppelt so alt wie der zwanzigjährige Ernst. Der Vasall möchte seinen Herzog wie einen Knaben lenken und Vorteile für sich herausschinden.«

Jetzt hat Werner nichts mehr, weder Macht noch Burgen, dachte Eberhard, aber er schwieg, weil sie den Meierhof bei Müllheim fast erreicht hatten. Sie durchquerten satte Kornfelder, Eberhard erschien die Welt plötzlich wie aus Gold. Die Getreideernte hatte angefangen. Der Vogt brachte sein Pferd zum Stehen und gab seinen Gefolgsleuten Anweisungen.

Am Abend beriet sich Manegold mit Eppo und Burkhard. Eberhard stand neben der Tür, als der Vater und die Brüder am langen Tisch in der Halle zusammenrückten, während Schüsseln, Becher und Messer abgeräumt wurden. Eberhard solle bleiben, schlug Manegold vor, er sei nun bald fünfzehn. Eppo brummte etwas Unverständliches in seinen krausen, dunklen Bart. Ohne ein Wort zu sagen, nickte Burkhard und winkte Eberhard herbei. Manegold ergriff wieder das Wort. »Was hier gesagt wird, darf niemand erfahren.« Außerdem dürfe Eberhard nur zuhören, seine Meinung sei nicht gefragt.

Schweigend setzte Eberhard sich neben Manegold und hoffte, die Männer würden sich nicht anders besinnen. Er machte sich so klein wie möglich und verschränkte die Arme auf dem Tisch. Als sein ältester Bruder sprach, ließ er sich kein Wort entgehen.

Die Meier würden immer unverschämter, begann Manegold. Besonders …

Eppo bremste den Redefluß des Sohnes. »Das sind Kleinigkeiten«, sagte er mit rauher Stimme und hustete in den Ärmel, an dem er sich während des Essens den Mund abgewischt hatte. »Wir sollten jetzt über die Heirat sprechen. Bald müssen wir einen Boten nach Kirchberg schicken.«

»Wozu die Eile?« fragte Manegold.

»Du weißt, daß wir vom eingezogenen Gut des Kyburgers nichts bekommen haben. Wenn du daran denkst, Herzog von Schwaben zu werden, so müssen wir uns auf anderem Weg mehr Besitz verschaffen.«

Burkhard räusperte sich, wischte mit der Hand einen liegengebliebenen Hühnerknochen vom Tisch. »Wird Ernst denn als Herzog abgesetzt?« fragte er überlaut.

»Früher oder später wird er sich wieder mit dem Kaiser, seinem Stiefvater, überwerfen«, belehrte ihn Eppo. »Dann ist dein Moment gekommen, Manegold.« Der Blick des Vaters streifte Eberhard, der auf den Tisch schaute. »Wo ist denn die Urkunde?« schrie Eppo einem Diener auf der anderen Seite der Halle zu. Der Priester Liutpald solle mit dem Schreiben kommen.

Liutpald las das in Kirchberg aufgesetzte Dokument zweimal vor. Einige Worte wurden durchgestrichen und durch andere ersetzt. Hinter die Worte »meine Burg im Norden des Bodensees« kritzelte Liutpald mit der Feder in kleineren Buchstaben den Zusatz »die sich im Bau befindet«. Schließlich faltete Liutpald das Schreiben. Er versprach, am Morgen einen Boten auf die Reise zu schicken.

Als der Priester die Halle verlassen hatte, wechselten Eppo und Manegold zu Eberhards Enttäuschung das Thema. Er hätte Manegold gern von der Burg in Kirchberg erzählt, von Itas Blumen und Kräutern.

Man dürfe nicht zulassen, wie Werner von der Kyburg weiter den Zürichgau und den Besitz der Reichenau verwüste, sagte Manegold. Werner müsse aufgestöbert und vernichtet werden, nötigenfalls gebe es Krieg.

»Wo, auf der Kyburg etwa?« fragte Eppo mit bitterem Lachen. »Werners Kuhburg ist längst vom Kaiser eingezogen worden.«

»Man sagt, er habe auf dem Ütliberg im Südwesten von Zürich eine andere Festung erbaut.« Manegold zögerte, ehe er weitersprach. »Niemand weiß genau, wo das Versteck liegt.«

»Dann müssen wir es eben suchen.« Eppo hob den rechten Arm und drückte die Faust zusammen. »Burkhard kann zum Ütliberg reiten und Werners Treiben beobachten.«

Manegold nickte. »Wenn wir beweisen können, daß Werner weiterhin von einem Versteck aus das Land verwüstet, wird der Herzog sich von Werner lossagen müssen.« Der Reichenauvogt sah den bewundernden Ausdruck in Eberhards Augen. Er kniff die Augenlider zusammen, schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte: »Sollte Ernst aber weiter zu Werner stehen, so läßt der Kaiser ihn fallen, und die Herzogswürde wird frei für mich.«

Mit fiebriger Ungeduld ritt Eberhard hinter seinem Bruder Burkhard her. Weil sie nicht geradewegs in die Schlacht zogen, hatten die Krieger keine Panzertuniken angezogen. Fast alle führten aber Lanzen und Schwerter mit sich. Eberhard trug zum ersten Mal außer Haus sein Schwert am Gurt. Ab und zu suchte er mit der Hand den Knauf, um sich Mut zu machen. Er dachte an die vielen Übungsstunden. Auch den Umgang mit den Pfeilen hatte sein Waffenmeister ihn gelehrt.

Die Männer machten einen Bogen um Zürich und nahmen in Höngg Quartier, wo Graf Eppo Ländereien besaß. Eberhard konnte sich nicht satt sehen an der Sommerlandschaft, an den Weinbergen, den Feldern am Fluß. Vom Hönggerberg aus konnte er am Limmatufer die Abteikirche und die Pfalz erkennen, aneinandergereihte Häuser und daneben der Fluß mit der Brücke. In der Ferne, hinter Zürich, sah er den See in der Abendsonne.

Als es dunkel war, trank Burkhard mit den Kriegern Wein. Auch Eberhard, der sonst nur Wasser bekam, durfte mittrinken. Er leerte einen Becher und noch einen. Je lauter die Stimmen um ihn herum tönten, desto weniger verstand er ihren Sinn. Wenn er die Augen schloß, drehte sich alles, immer schneller, immer schneller. Er öffnete die Lider und träumte mit offenen Augen, ohne sich um die lärmenden Krieger zu kümmern. Freude, Furcht, feurige Erwartung. Ein derartiges Durcheinander von Glücks- und Angstgefühlen hatte er noch nie erlebt. Habe ich jetzt das Geheimnis des Kriegs kennengelernt, fragte sich Eberhard.

Am nächsten Tag verlor sich die Kriegserwartung im Nichts. Burkhard ließ die meisten Krieger und die Pferde am Fuß des Ütlibergs zurück. Mit Eberhard und drei Männern stieg er durch den Wald der Kuppe entgegen. Bäume, nichts als Bäume.

Burkhard bildete mit seinen Leuten eine lose Kette und durchkämmte den Wald erneut, bis sie zwischen den Tannen einen Bau entdeckten. Die Befestigung bestand aus einem einzigen gemauerten Raum und einem Unterstand für die Pferde. Burkhard verteilte seine Gefolgsmänner in sicherer Entfernung voneinander und schlich mit seinem Bruder zur Festung.

Eberhard klopfte das Herz bis zum Hals, als sie oben ankamen. Aber ein Blick in den Unterstand enttäuschte ihn. An der Holzwand waren nur drei Pferde angebunden. Sie gingen weiter bis vor das schmale Fenster des Hauptgebäudes. Aus der Halle waren Stimmen zu hören. Das ist keine Horde, die ganze Ländereien verwüstet, dachte Eberhard. Er konnte höchstens drei oder vier Stimmen voneinander unterscheiden.

Burkhard winkte ihm zu und ging neben der Mauer in die Knie. Eberhard stieg auf den Rücken des Bruders, richtete sich auf und spähte ins Innere. Er sah vier Männer Würfel spielen. Plötzlich lief alles so schnell ab wie ein Sommergewitter. Burkhard ließ alle Krieger holen, die sich rund um die Befestigung verteilen mußten. Es war leicht, die spielenden Männer zu überwältigen.

»Wo ist euer Herr, wann kommt er zurück?« fragte Burkhard.

»Wir haben ihn seit Wochen nicht gesehen«, sagten die Männer. Werner sei nach Norden gegangen, vermutlich nach Lothringen.

Burkhard glaubte ihnen nicht. Er ließ am Fuß des Bergs Posten aufstellen, die fünf Tage lang nach Werners Horden Ausschau hielten. Aber niemand kam.

Eberhard verspürte keine Enttäuschung, als sie ohne Kampf nach Hause ritten. Er war sogar erleichtert, daß sein Bruder den Burgmannen nichts angetan hatte.

Später dachte Eberhard über die Horden des Kyburgers nach. Er war sicher, daß etwas an der Geschichte nicht stimmte. Wie hatte Werner einen Meierhof im Thurgau verwüsten können, wenn er in Lothringen war?

3

Der Kapellan war auf Reisen, als Manegolds Bote das Schreiben nach Kirchberg brachte. Er mußte den Tausch einer Mühle gegen zwei Höfe in einer benachbarten Grafschaft in die Wege leiten. Itas Vater war ratlos. Er konnte nicht lesen. Auch seiner Tochter hatte keine der Burgdamen das Lesen beigebracht, denn die wußten selbst nicht, wie ein Buchstabe sich vom andern unterschied. Da der Graf von Kirchberg zu den korrigierten Heiratsbedingungen nicht unbesehen ja sagen wollte, reiste der Bote wieder ab. Man werde Bescheid geben, sobald der Kapellan zurück sei, sagte Otto. Und er fügte hinzu, die Antwort würde bestimmt ein Ja sein.

Über Itas Zukunft herrschte nun Gewißheit. Im Herbst würde sie in den Süden Schwabens reisen und die Frau des Reichenauer Vogts werden. Am liebsten wäre sie jeden Tag zur alten Adelheid gelaufen, um sich mit ihr zu beraten und einen möglichst ausgedehnten Abschied zu nehmen. Aber die Burgdamen hielten sie zurück. Entfernte Tanten und Basen kamen, um sie in das einzuweihen, was eine Braut erwartete, und um sie bei der Zusammenstellung der Aussteuer zu beraten. Ita schien, als wisse alle Welt von ihrer Hochzeit.

Graf Otto bestellte Händler nach Kirchberg, die Leinen, Wollstoffe, Seide und Pelze anboten. Er ließ für Ita zwei Paar Schnabelschuhe anfertigen, Kleider, Bettzeug aus Leinen. Er tauschte für sie goldenen Schmuck ein und eine Kette aus farbigen Steinen. Im Hof hatte der Burgschreiner alle Hände voll zu tun, robuste und doch feingeschnitzte Truhen für die Reise herzustellen.

Am dritten Tag nach der Abreise von Manegolds Boten kehrte der Burgkapellan zurück. Neben ihm ritt der Herr der benachbarten Grafschaft in den Hof. Ita stand am Fenster, als die beiden von ihren Pferden stiegen. Sie kannte den Nachbarn flüchtig, er war fast dreimal so alt wie sie und reich. Ita wußte, daß er eine spindeldürre Frau und fünf Kinder hatte.

Der Graf trug einen schwarzen Umhang über einer roten Tunika. Seine goldene Kette war so lang, daß sie fast den Schwertknauf berührte. Als die Männer aus ihren Sätteln stiegen, sah Ita, daß der Graf einen Kopf kleiner war als der mittelgroße Kapellan. Sein Gesicht konnte Ita nicht genau erkennen. Sie erinnerte sich an seinen Besuch im vergangenen Winter. Er hatte getrunken, seine platte Nase war rot angelaufen gewesen.

Stundenlang diskutierten Itas Vater und der Kapellan mit dem fremden Feudalherrn. Als der Besucher aus dem Hof ritt, rief Otto seine Tochter in die Halle. »Der Kapellan hat dem Nachbarn vom Brautwerber aus dem Zürichgau erzählt«, sagte er. »Da ist der Graf mit ihm auf den Friedhof gegangen und hat ihm das frische Grab seiner Frau gezeigt.« Nun brauche der Mann eine neue Gattin und eine Mutter für seine Kinder, und da man ohnehin aneinander grenzende Ländereien besitze …

Ita verstand und schüttelte den Kopf. »Weshalb hast du mich nicht gerufen?« fragte sie und bleckte die Zähne. »Wenn er mein Gebiß gesehen hätte, wäre er ohne Heiratsantrag wieder abgereist.«

»Ich weiß nicht, welchem Bewerber ich den Vorzug geben will«, sagte Otto mehr zu sich selbst als zu seiner Tochter. »Manegold könnte zu höheren Ehren kommen, aber unser Nachbar ist hier.« Der Graf drehte sich zum Kapellan um, ohne Ita zu beachten, die ihn unterbrechen wollte. »Er ist gewalttätig, das weiß jedermann. Wenn ich ihm Ita nicht gebe, überfällt er uns womöglich mit seinen Kriegern oder steckt meine Burg in Brand.«

»Und mit einem solchen Menschen willst du mich verheiraten, Vater?« Itas Stimme zitterte. Sie fühlte sich wie auf dem Weg zum Richtplatz.

Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich habe mich noch nicht entschieden. Das will gut bedacht sein.«

Was er dem alten Mann denn geantwortet habe, wollte Ita wissen. Otto sagte, der Bewerber wolle in zehn Tagen mit Geschenken wiederkommen.

Ita rannte aus der Halle, durch den Hof und das Tor, sie rannte am Wall vorbei zu den Blumenbeeten und ließ sich auf die Erde fallen. Die Farben der Mohnblumen und Lilien schimmerten durch ihren Tränenschleier wie ein Regenbogen, der alles verspricht und nichts hält. Sie stand auf und lief weiter, bis sie vor der Hütte der alten Heilerin stand.

Ita wartete. Sie biß sich auf die Lippen und kniff die Augen zusammen, um den Tränenfluß zu stoppen. Mit dem Hemdzipfel wischte sie sich die Augen und die Wangen trocken, ehe sie ohne zu klopfen die Tür aufstieß. Adelheid stand am Herd.

»Adelheid!« rief Ita. Als die Alte sich umdrehte und die Mundwinkel ihres Vollmondgesichts sich zu einem Lächeln nach oben zogen, stürzte Ita auf sie zu und warf ihr die Arme um den Hals.

»Jetzt will Vater mich mit einem alten Mann verheiraten«, schluchzte sie.

»Komm, erzähl!« Adelheid streichelte ihren Rücken und ihr Haar. Ihre Wärme und ihre Liebe strömten in Ita über. »Ist der neue Bewerber reicher als der andere?«

»Das ist es nicht.« Ita machte sich los und setzte sich vor dem Herdfeuer auf die Bank. »Vater hat Angst vor ihm. Er soll gewalttätig sein.«

»Du jedenfalls brauchst dich nicht zu fürchten«, beruhigte Adelheid sie. »Ein so hübsches Wesen weckt Zärtlichkeit, keine Gewalt.«

»Aber er ist alt und hat eine rote Nase. Er wird mich nicht gern haben, er …«

»Weißt du denn, wie der Vogt dich behandeln würde? Er ist jung, aber das hat nichts zu bedeuten.«

»Was hat überhaupt etwas zu bedeuten, Adelheid?«

»Den Mann kannst du dir nicht aussuchen, mein Liebes. Du weißt nicht, ob er dir Zuneigung schenken oder die Hölle auf Erden bereiten wird.«

»Weshalb soll ich denn überhaupt heiraten?«

»Weil es etwas gibt, das dich glücklich machen wird.« Als Ita nichts sagte, flüsterte Adelheid: »Wenn du ein Neugeborenes im Arm hältst, weißt du, was Liebe ist.«

»Wie kann ich ein Kind lieben, wenn ich seinen Vater verabscheue.« Ita mußte sich zwingen, neue Tränen zurückzuhalten. »Ich werde überhaupt nicht heiraten«, sagte sie. »Ich gehe ins Kloster. Da kann ich Waisenkinder liebhaben und überdies noch Kräuter anpflanzen.«

Am nächsten Morgen teilte Ita ihrem Vater mit, sie wolle ihr Leben Gott widmen und in ein Kloster eintreten. Der Graf lachte, winkte ab und ließ sie stehen. Da ging Ita zum Burgkapellan. Es tue ihm leid, daß er dem fremden Grafen von Itas Hochzeit erzählt habe, sagte der. Aber er habe nicht wissen können, daß der Feudalherr Witwer geworden sei. Und nach Kirchberg habe er ihn auch nicht eingeladen.

»Eine Ehe mit dem Vogt Manegold wäre vorteilhafter«, bekannte der Kapellan.

Ita seufzte auf. »Ich möchte auch lieber ihn, obwohl ich von hier weggehen müßte. Aber wie überzeugen wir Vater?«

»Wir könnten einen Boten in den Zürichgau schicken. Vielleicht kommt der Vogt mit den Kriegern seines Abts und holt dich.«

»Jetzt?« Ita erschrak. Sie öffnete die Lippen und strich mit den Fingern über ihre Zähne. Sachte wollte sie die Schneidezähne hin und her schieben. Sie bewegten sich nicht. Ita strahlte. »Die Wurzeln sind wieder angewachsen«, rief sie. »Der Heiler wird meine Zähne abfeilen können.« Als der Kapellan nichts mehr sagte, dachte Ita an ihren Vater. Würde der fremde Graf wirklich die Burg in Brand stecken, wenn Manegold sie holen käme?

Nachdem der Burgkapellan mit ihm gesprochen hatte, war Itas Vater einverstanden, den Vogt der Reichenau vom zweiten Bewerber um Itas Hand in Kenntnis zu setzen. Ein Bote ritt zu Manegold in den Zürichgau und kehrte zehn Tage später mit einer Antwort zurück. Man solle den fremden Grafen hinhalten, ließ Manegold ausrichten. Er werde Ita holen kommen oder einen Vertrauensmann mit einer Schar von Kriegern seiner Abtei schicken. Erst zu diesem Zeitpunkt solle Graf Otto dem Bewerber sagen, daß er sich für Manegold entschieden habe. Wenn Ita erst einmal verheiratet sei, werde der fremde Graf das wohl akzeptieren müssen. Manegold versprach, seine Krieger auch nach Itas Abreise in Kirchberg zu lassen, bis der Rivale sich beruhigt habe.

Ita war froh, den Witwer mit den fünf Kindern nicht heiraten zu müssen, aber glücklich fühlte sie sich nicht. Sie fürchtete sich vor ihrer Reise ins Ungewisse. Dann wieder begann sie zu träumen. Wenn sie allein im Garten war, dachte sie an Manegold. Er sah aus wie Eberhard, nur älter. Er war freundlich und gut wie Eberhard, aber ein Mann, kein Knabe. Mit der Zeit gewöhnte sie sich an ihr inneres Bild von ihm und glaubte, ihn schon ein wenig zu kennen.

Wenn Ita bei ihrem Vater oder bei Adelheid war, versuchte sie sich deren Gesichter, die Stimmen und Gesten genau einzuprägen.

»Ich schaue dich an und bewahre dein Gesicht in mir wie ein Bild«, sagte Ita zur alten Heilerin. Sie schloß die Augen und wollte Adelheids Züge auf der dunklen Innenseite ihrer Lider wiederfinden. Aber sie sah nichts. Je besser sie sich die vertrauten Züge merken wollte, desto weniger gelang es ihr. Später, später, wenn ich fort bin, wird es klappen, redete Ita sich ein.

Im Garten vor der Burg prägte Ita sich jeden Baum und jeden Strauch ein. Unruhig ging sie zu den Mohnblumen, legte Blumenkerne in Leinensäcklein, streichelte den Hund, sprach mit den Mägden, setzte sich in der Halle neben die Feuerstelle, stand wieder auf, setzte sich, stand auf und ging zur Waldlichtung, wo die Kräuter wuchsen.

Der Graf kam und ging wieder, weil Itas Vater ihn auf später vertröstete. Als das Korn geerntet war, ritten die Krieger der Reichenau mit ihrem Anführer in den Burghof von Kirchberg. Ita war enttäuscht, weil Manegold und Eberhard nicht dabei waren.

Am Nachmittag ging Ita zu Adelheid, um Abschied zu nehmen. Die Heilerin gab ihr getrocknete Kräuter und ein Amulett mit auf den Weg.

Nach dem Essen führte Graf Otto ein letztes Gespräch mit seiner Tochter. Er mußte in Kirchberg bleiben und dem Grafen die Wahrheit sagen, ihn beruhigen, von Gewalttaten abhalten.

An einem schwülen Augusttag, als es noch dunkel war, wurden die Wagen im Burghof beladen. Truhen mit der Aussteuer, Kleider, Bettücher, Schmuck und eine kleine Schatulle mit Münzen. Ita achtete nicht auf die Schätze. Der Vater umarmte sie kurz, vertraute ihr die Schlüssel der Truhen an und schob sie zu ihrem Pferd. Ita wollte ihm die Arme um den Hals legen, aber er hatte sich zum Anführer der Dienstleute umgedreht. Sie wußte nicht, vor wie vielen Jahren er sie zum letzten Mal in die Arme genommen hatte. So wie ihre Mutter es in der blassen Erinnerung jeden Abend tat. Ita fühlte Kälte um sich, obwohl die Luft im Burghof warm war. Die Tante und die ältliche Base, die auf der Bank eines Wagens dösten, würden ihr keine große Hilfe sein, und selbst der mit ihr reisende Heiler brachte ihr keinen Trost, denn er hatte ihre Wolfszähne noch immer nicht gerade gefeilt.

Im Damensattel ihrer Fuchsstute ritt Ita neben dem Burggeistlichen an den Palisaden entlang den Hügel von Kirchberg hinunter. Der Priester schaute in alle Richtungen, weil er befürchtete, Späher des Grafen könnten sie entdecken. Wenn jetzt der Nachbar mit bewaffneten Männern kommt, dachte Ita, wird er mich zwingen, seine Frau und die Mutter seiner fünf Kinder zu werden.

Auf dem Pfad zwischen den Feldern drehte Ita sich ein letztes Mal um. Sie sah die Burg im ersten Morgenschimmer, verschwommen, dunkel, verwoben mit der Nacht.

4

Am Abend bevor Eberhard seinen Bruder Manegold zur Reichenau begleitete, ging er die Mutter besuchen.

Hedwig sprach bei Tisch selten. Als Eberhard noch ein Kind war, hatte sie sich gegen Eppos Manieren und seine Ausdrucksweise aufgelehnt. Der Graf des Zürichgaus schrie von da an lauter und fluchte häufiger. Seither speiste Hedwig schweigend. Sie beriet sich nie mit ihrem Mann und führte den Großhaushalt, wie es ihr gefiel. Alle freien Stunden verbrachte sie in ihrer Gebetsstube. Dort wurde sie selten gestört. Eberhard machte an diesem Abend eine Ausnahme.

»Mutter«, flüsterte er. »Ich muß mit dir reden. »Er trat neben den Familienaltar, der aus einem Tisch, einem Tuch und einem mit Edelsteinen verzierten Kreuz darauf bestand. Hedwig hatte das Kruzifix von der Kaisermutter geschenkt bekommen, ihrer Tante. Eberhard nahm die Mutter am Arm und half ihr, aufzustehen.

»Meine Knie schmerzen.« Sie sah ihn prüfend an. »Suchst du etwas?«

»Komm, wir gehen im Freien spazieren. Es ist warm. Deinen Beinen tut etwas Bewegung gut.«

»Halt dich gerade, Eberhard!« sagte Hedwig, als er ihr durch das Haus voranging. »Zeig deinen Stolz.«

Sie spazierten zur Bank bei den drei Linden. »Worauf soll ich denn stolz sein?« fragte Eberhard. Er bereute seine Frage noch bevor sie ganz ausgesprochen war, weil sie der Mutter Gelegenheit gab, einmal mehr ihr Lieblingsthema auszubreiten.

Hedwig sprach von der Schwester ihrer Mutter, der Kaiserin Kunigunde, und von ihrer eigenen Mädchenzeit am wandernden Hof. Eberhard hatte die Geschichten so oft gehört, daß er sie auswendig kannte. Ergeben ließ er die Mutter reden. Wenn Hedwig über die vornehmen Verwandten sprach, war sie nicht aufzuhalten. »Du bist Kaiser Konrads Neffe zweiten Grades«, sagte sie. »Das ist Grund genug, stolz zu sein.«

Eberhard gab keine Antwort. Was hilft mir vornehmes Blut, wenn Vater mich immer noch wie ein Kind behandelt? dachte er. »Mutter«, sagte er schließlich. »Du weißt besser als ich, was im Reich passiert. Ist es möglich, daß Werner von der Kyburg nach Lothringen geflüchtet ist?«

»Was interessierst du dich für den geächteten Grafen?« Hedwigs Stimme hatte einen spitzen Unterton, der Eberhard weh tat. Er gab keine Antwort. Jetzt tut sie wieder vornehm, dachte er, als ob es ihr Verdienst wäre, die Base des Kaisers zu sein.

»Bestimmt könnte Werner in Lothringen sein«, sagte Hedwig nach einer langen Pause. Zu Eberhards Überraschung sprach sie ausnahmsweise sachlich wie zu einem Erwachsenen. »Dort haben sie gejubelt, als der Herzog Ernst sich gegen den Kaiser auflehnte. Weißt du überhaupt, daß Ernst und der Kyburger gemeinsam rebelliert haben?«

»Ich weiß es«, sagte Eberhard irritiert. Es schmerzte, daß Hedwig wieder das Kind in ihm sah, das von nichts eine Ahnung hatte. »Hast du das Bild von Ita gesehen?« wechselte er das Thema.

»Ja. Sie scheint hübsch zu sein. Hoffentlich wird Manegold nicht wie dein Vater.«

»Du verachtest ihn«, sagte er leise. »Hast du die Psaltergeschichte noch immer nicht vergessen?«

In jenem Winter war Eberhard acht Jahre alt gewesen. Er erinnerte sich genau. Hedwig war jede Nacht aufgestanden, um in ihrem Psalter zu lesen. Das ging über Wochen so. Eppo schimpfte am Morgen und befahl ihr, ihn nachts nicht zu stören. Aber Hedwig stand trotzdem auf. Sie schlich sich davon, wenn Eppo am lautesten schnarchte. Einmal erwachte er, schrie und schimpfte, nahm in seiner Wut den Psalter, polterte in die Halle, warf das Psalmenbuch in den Herd und schaufelte Glut darauf. Am Morgen kam Hedwig strahlend in die Halle. Sie schwenkte den Psalter wie eine Fahne und dankte dem Himmel für das Wunder. Ihr Buch habe das Feuer heil überstanden, triumphierte sie, Maria und die Heiligen selbst hätten das Pergament bewahrt. Eppo war so beeindruckt, daß er drei Nächte lang selbst aufstand, um zu beten. Aber das ging vorbei.

Eberhard war die Sache seltsam vorgekommen. Er hatte die Mutter oft beobachtet, wie sie ihren Psalter aus einer Truhe nahm. Früher hatten immer zwei Bücher da gelegen, nun sah er nur noch eines. Aber er sagte dem Vater nichts davon. Hedwig sprach so oft von ihrem Psalterwunder, daß viele im Zürichgau es ehrfürchtig weitererzählten …

Hedwig schwieg. Sie wollte nicht mit Eberhard über die Psaltergeschichte reden, weil sie am Ende doch den Kürzeren gezogen hatte. Eppo mied die Kirche und das Gebet wie früher, und sie durfte nur noch tagsüber in ihrem Psalter lesen. Alle hatte das Wunder frömmer gemacht, nur Eppo nicht.

»Weshalb verachtest du Vater?« wiederholte Eberhard und sagte nichts mehr vom Psalter.

»Eppo paßt nicht zu mir, Eberhard. Aber Leute wie wir müssen auf vorteilhafte Verbindungen achten. Da ist kein Platz für Gefühle. Glaub nur nicht, was die Geschichtenerzähler dir auftischen.«

»Die Liebe … «

»Träume.« Hedwig merkte, daß ihre Stimme hart klang, und hüstelte. Eberhard müsse sich wirklich gerader halten, wiederholte sie auf dem Rückweg. Und er müsse sich seiner Abstammung bewußt werden. Vielleicht werde sie ihn für einige Zeit an den Hof schicken.

Der Weg zum Fährmann an der Thur schien diesmal doppelt so lang. Manegold und Eberhard mußten sich der Geschwindigkeit des Viehs anpassen, das Knechte hinter ihnen hertrieben. Zweimal machten sie einen Umweg und besuchten entlegene Meierhöfe. Manegold mußte verhandeln, denn kein Bauer wollte eine Kuh herausgeben, ohne daß der Vogt ihm dafür einen Teil des Zehnten erließ. Als die ersten sieben Kühe beisammen waren, schickte Manegold zwei mit einem Diener nach Hause. Eberhard sah den Bruder fragend an, und der sagte, ein Vogt müsse schließlich auch leben. Mit den Gerichtsgebühren allein würde er nicht weit kommen.

Da ihm keine Antwort in den Sinn kam, erzählte Eberhard Manegold vom Gespräch mit der Mutter und daß Werner von der Kyburg nicht gleichzeitig Höfe im Thurgau verwüsten und in Lothringen sein konnte.

Ja, sagte Manegold, das habe er auch gedacht und seine Männer beauftragt, sich bei den Bauern in der Umgebung des niedergebrannten Viehunterstands umzuhören. Auch wäre es gut, im Meierhof einige Fragen zu stellen.

Als sie mit dem Vieh das Flußufer erreicht hatten, konnte der Fährmann nur die Reiter befördern. Das Vieh sei zu schwer, es müsse die Thur bei der Furt überqueren. Da es Abend war und die Furt weit entfernt lag, beschloß Manegold, im Hof am anderen Ufer auf die Herde zu warten.

Im Meierhof liefen alle durcheinander, als der hohe Besuch eintraf. Der Meier, seine Frau und die Tochter räumten ihre Schlafkammern. Mägde bespannten die Betten neu mit den gewendeten Leintüchern und warfen Decken darüber, die nur für den Vogt bestimmt waren und sonst in Truhen lagen. In der Küche, die auch als Halle diente, wurde Braten mit Rüben und Bohnen aufgetragen. Dazu gab es Fisch aus dem Fluß, frisches Brot und Honigplätzchen.

Weil der Meier nicht mit dem Wein geizte, tranken Manegold und die Gefolgsmänner Becher um Becher leer. Eberhard zögerte, aber als sein Bruder sagte: Komm, Eberhard, du bist jetzt ein Mann, du mußt mit mir trinken, da leerte er seinen Becher in einem Zug. Eberhard sah, wie Manegold nach der Hand der jungen Magd griff und ihr von hinten über den Rock strich. »Weiber versüßen das Leben mehr als Honig«, flüsterte Manegold ihm ins Ohr. Ein Gefolgsmann hörte die Bemerkung und grinste die Magd an.

»Komm, Brüderchen, wir wollen auch schlafen gehen«, sagte Manegold später. Das Gefolge hatte die Halle verlassen und auf dem Dachboden über dem Pferdestall Quartier bezogen. Der Vogt legte den Arm auf Eberhards Schulter und schob den Bruder aus der Küche. Den Rest des Weins und die Becher solle die Magd in die Kammer bringen, sagte Manegold zum Meier, der sich verbeugte und eine gute Nacht wünschte.

Eberhard war noch wach, als es klopfte und die Magd eintrat. Manegold fragte sie leise, ob sie beim Brand des Viehunterstands dabei gewesen sei und ob sie die Horden des Kyburgers gesehen habe. Während er sprach, zog Manegold die Magd an sich, strich ihr mit den Fingern über den Hals und über die Brüste. Nein, sagte die Magd, sie habe nichts gesehen. Manegold schob ihren Rock nach oben.

Irritiert drehte Eberhard sich mit dem Gesicht zur Wand und schloß die Augen. Er wollte auch nichts hören und zog sich die Decke über die Ohren. Aber dann drehte er sich geräuschlos zurück und hob die Decke leicht an, so daß eine Lücke entstand, durch die er spähen konnte. Er sah, wie Manegold die Magd umschlang und sich bewegte, schneller, immer schneller. Plötzlich wurde ihm heiß und er strampelte die Decke weg.

»Eberhard«, flüsterte Manegold später, als die Magd sich den Rock glatt strich. »Du bist jetzt ein Mann, es ist schön, die Haut einer Frau zu berühren. Eberhard, sie ist noch hier neben dir.«

Am Morgen lief die Magd Eberhard als erste über den Weg. Er schaute zu Boden und wurde rot. Durch die Türöffnung sah er Manegolds Männer aus dem Stall kommen. Die Magd zupfte ihn am Ärmel und zog ihn in die Küche. Eberhard war erstaunt, daß sie nicht verlegen wirkte. Sie habe frisches Brot gebacken und Schinken vorbereitet, sagte sie. Der Meier wolle dem Vogt alles auf den Weg mitgeben. Als sie allein mit Eberhard am Herd stand, flüsterte sie ihm zu:

»Da waren keine Krieger des Grafen von der Kyburg. Den alten Kuhunterstand hat der Meier selbst angezündet. Die Kühe waren gar nicht dort. Im Sommer bleiben sie auch nachts auf der Weide. Der Meier hat sie an jenem Morgen weggeführt zu einem Bauern. Damit er sie nicht dem Kloster geben muß.«

Eberhard war so verdutzt, daß er kein Wort herausbrachte. »Wohin?« stotterte er, als die Magd ihn herausfordernd ansah.

»Der Bauer hat eine Hufe Land nicht weit von der Hütte meines Vaters, gleich bei der Furt.« Sie zuckte die Achseln. »Wir sind Hörige.«

»Warum erzählst du mir das?«

»Du bist weniger ein Klotz als die anderen Männer. Du hast Respekt vor den Frauen.«

Eberhard dachte an die Nacht und lief wieder rot an. Er zupfte sich am Ohrläppchen. »Willst du hier weg?« fragte er.

Sie habe genug zu essen, sagte die Magd, nahm ein Blech auf und ließ ihn stehen.

Als Manegold das vermißte Vieh auf der Wiese eines Hörigen in der Nähe der Furt fand, war er so wütend, daß er den Meier mit Frau und Tochter vom Hof jagte.

»Deinen Vogt hast du belogen! Sei froh, daß ich dir das Leben lasse!« schrie er dem Meier nach, der ohne Habe abziehen mußte.

Eberhard hörte die Flüche seines Bruders und dachte, daß der Vater und Manegold einander glichen, nicht nur wegen des Barts und der schwarzen Haare.

»Könnte der Vater der Magd Meier werden?« fragte Eberhard. Seine Stimme klang unsicher, denn er hatte Angst, sein Bruder würde ihn abkanzeln.

Aber Manegold lachte. »Du bist zu weich für einen Mann. Weil eine Frau sich streicheln läßt, willst du ihr gleich die Sterne vom Himmel herunterholen.«

»Sie hat uns geholfen …«

»Den Meierhof kann das Kloster keinem unfreien Bauern anvertrauen.« Manegold dachte nach. »Vielleicht gebe ich ihm die Freiheit und lasse ihm trotzdem seine Hufe. Da muß er nicht mehr so hohe Abgaben leisten.«

Eberhard fühlte sich glücklich, als sie nach Müllheim ritten, um dort zwei weitere Kühe abzuholen. Sein Bruder hatte ihm zugehört und geglaubt, war auf seinen Rat hin zum Hörigen an der Furt geritten. Er hatte Eberhard gelobt, weil er den Betrug und die falschen Anschuldigungen des Meiers aufgedeckt hatte. Ich bin kein Sandkorn mehr, das im Fluß treibt, dachte Eberhard. Jetzt kann ich mit eigenen Kräften rudern, wohin ich will.

»Wir sollten auch nach Eschenz reiten, aber das liegt nicht am Weg«, unterbrach Manegold Eberhards Gedanken. »Ich muß erst mit dem Abt sprechen.«

Eberhard sagte nichts. Er ließ seinen Blick über die Felder schweifen, die mit ihren Weizenstoppeln nicht mehr golden schimmerten. Es sieht aus wie nach einer Schlacht, dachte Eberhard, obwohl er noch nie eine erlebt hatte.

»Wann gehen wir nach Kirchberg?« Eberhard zwang sich zu einem ruhigen Ton. Aber sein Herz klopfte so stark, daß er Angst hatte, Manegold könne es hören und sich über ihn lustig machen.

»Wir reiten nicht hin. Die Krieger der Abtei sind bereits zu Ita unterwegs. Ich habe ihnen einen guten Anführer mitgegeben.«

»Bist du denn nicht neugierig, sie kennenzulernen?«

»Eberhard …«, lachte Manegold und hob mahnend den Finger. »Sie wird noch früh genug mein Leben verändern. Hoffentlich tut sie nicht vornehm wie Mutter.«

Sie überquerten die Hügelkuppe und ritten zum Ufer hinunter. In der Ferne sah Eberhard den Untersee mit der Insel Reichenau. In Mannenbach bestiegen sie die Fähre. Ob alles Vieh zur Insel transportiert werden müsse, fragte er seinen Bruder. Nein, sagte Manegold, der größte Teil werde in Höfen am anderen Seeufer untergebracht, in Allensbach. All die Kühe wären zuviel für die siebzig oder achtzig Mönche des Klosters.

»Aus der überschüssigen Milch wird Käse gemacht, den das Kloster auf dem Markt in Konstanz anbietet oder gegen Baumaterial eintauscht«, erklärte Manegold, als die Fähre das Schilf am Inselufer durchpflügte. »Er hat die Bauwut, unser Abt, genau wie viele seiner Vorgänger.«

Während Manegold mit Abt Berno verhandelte, besuchte Eberhard den lahmen Klosterschüler. Er durchquerte die Kirche mit den Pfeilern und Steinbögen, zündete eine Kerze an und ging weiter, vorbei an der Treppe, die zu den Schlafsälen führte. Vom Gang aus sah er durch das Glasfenster die Tische im Scriptorium.