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Im Herzen einer verregneten Stadt, in den Schatten bröckelnder Altbauten, begegnen sich zwei alte Rivalen: Der angesehene Professor Neugold und der heruntergekommene, einst brillante Erfinder Watermann. Ihre gemeinsame Vergangenheit ist von Verrat und gestohlenen Ideen geprägt. Doch als Neugold eine neue bahnbrechende Entdeckung wittert, die Watermann in seiner heruntergekommenen Werkstatt verborgen hält, beginnt ein gefährliches Spiel aus Misstrauen, Macht und Wissenschaft. Welches Geheimnis verbirgt sich hinter dem mysteriösen Stromzellverfahren? Und wie weit wird Neugold gehen, um seinen Ruf zu retten? Ein fesselnder Thriller über die Grenzen der Wissenschaft und die dunklen Seiten des menschlichen Ehrgeizes.
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Seitenzahl: 69
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Klaus Möckel
Das Stromzellverfahren
ISBN 978-3-68912-126-6 (E-Book)
Das Buch erschien 1986 im Verlag Das Neue Berlin (Blaulicht Heft 252).
Das Titelbild wurde mit KI erstellt.
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Es regnete. Neugold zog die abgewetzte Lederjacke enger um die Schultern und die flache Kordmütze tiefer in die Stirn. Er fühlte sich unbehaglich in seiner Kleidung, aber er hatte die älteren Sachen mit Absicht aus der Tiefe der Schränke hervorgeholt. In dieser Gegend brauchte niemand etwas von seinem geachteten Rang und dem Professorentitel zu wissen.
Eine enge, vorsintflutlich gepflasterte Straße, zusammengedrückte Altbauten, von denen der Putz bröckelte. Neugold wusste natürlich, dass es solche Viertel gab, doch er hatte lange Zeit keinen Fuß hierher gesetzt. Sein Haus lag im Grünen, sein Institut im Zentrum, wo in den letzten Jahren viel Neues entstanden war. Höchstens, dass die Betriebe, mit denen er der Praxis wegen Verbindung hielt, zum Teil in ähnlich verrußten und alten Gebäuden untergebracht waren.
Ein Hoftor, daneben kaum lesbar die Nummer 12, hier musste es sein. Rechts, das zweite Seitengebäude, hatte Watermanns geschiedene Frau gesagt, und der Professor folgte ihren Angaben.
Früher ist man mit Pferden über solche Höfe geritten, dachte er flüchtig, als er an einer Mauer ein Wagenrad angenagelt sah. Als Schmuck unter einem Fenster. Jetzt gab es statt der Ställe Garagen und ein verbeultes Auto. Doch die beiden Hausflügel schienen bewohnt. An einigen Fenstern waren Gardinen angebracht.
Unten, gleich an der ersten Tür, ein Aluminiumschild: I. Watermann. Einen Augenblick zögerte Neugold, noch konnte er zurück. Aber er hatte sich die Sache lange genug überlegt und ausreichend Gründe für diesen Besuch. Oder Versuch, wie man es immer betrachtete.
Auf sein Klopfen hin kam keine Antwort, dann, beim zweiten Mal, ertönte ein Brummen. Neugold nahm es als Aufforderung einzutreten, und öffnete vorsichtig die Tür. Fine kleine, halbdunkle Diele, an die sich ein offenbar größerer, besser erleuchteter Raum anschloss. „Hallo“, sagte der Professor und versuchte sich zu orientieren. Zunächst blieb alles still, dann erwiderte eine knurrige Männerstimme: „Wer ist da?“ Ohne Antwort zu geben, durchschritt Neugold nun entschlossen die Diele und trat in die Türöffnung. Betont forsch sagte er: „Ein seltener Gast.“
Der Raum bekam nicht nur durch ein Fenster Licht, sondern auch von einer Stehlampe. Gleichzeitig war er jedoch von bläulichem Zigarettenrauch erfüllt, der nur durch die Tür abziehen konnte, die Neugold jetzt mit seiner Gestalt blockierte. Auch nach Alkohol roch es. Der Professor brauchte nicht lange zu überlegen, weshalb. Neben einer Liege, auf der sich ein Mann in Trainingshose und gestreiftem Hemd halb aufgerichtet hatte, um dem Besucher entgegenzusehn, stand eine zu zwei Dritteln geleerte Schnapsflasche.
„Du“, sagte Watermann mit einer vor Ungläubigkeit japsenden Stimme, „das gibt es nicht.“
„Es stimmt schon“, erwiderte der Gast.
„Du wagst es, hierher zu kommen?“
„Was heißt wagen? Nach all den Jahren. Einer musste ja den ersten Schritt tun.“
Der andere setzte sich nun richtig auf, er nahm die Beine von der Liege. Obwohl er dabei an die Schnapsflasche stieß, machte er keinerlei Anstalten, sie wegzustellen. Er schniefte verächtlich: „Es gibt keine Gründe für einen ersten Schritt.“
„Wirklich nicht? Wenn ich mir anschaue, wie du hier lebst. Ein so begabter Mann.“
„Ich lebe, wie ich lebe. Anständiger als mancher hochdekorierte Pseudoentdecker.“
Neugold seufzte und schüttelte betrübt den Kopf. „Immer noch der alte Groll. Aber wir sollten endlich vernünftig miteinander sprechen. Darf ich mich setzen?“
„Besser, du gehst wieder. Ich möchte wissen, weshalb ich dich nicht hinauswerfe.“
„Darf ich mich setzen?“, wiederholte der Professor.
„Ja doch. Nimm dir einen Stuhl. Du nimmst dir sonst ja auch, was du willst. Und ohne zu fragen!“
Neugold zog sich einen Stuhl heran - auf der gepolsterten Sitzfläche lag Staub. Er wedelte ihn mit dem Jackenärmel herunter und ließ sich auf der Kante nieder. Sein Blick glitt durch den Raum, blieb an einigen Zeichenblättern auf dem dunkelbraunen Schreibtisch hängen, dem offenbar wertvollsten Möbelstück in der sonst eher schäbig ausgestatteten Stube. „Du bist ungerecht“, sagte er. „Ich nehme nicht nur, ich gebe auch.“
„Du gibst?“ Watermann lachte höhnisch. „Mir kommen gleich die Tränen. Was für ein Menschenfreund. Aber lassen wir die fruchtlose Diskussion. Weshalb hast du diesen Canossagang unternommen? Er muss dir doch schwer gefallen sein. Was willst du?“
„Du irrst dich, wenn du von einem Gang nach Canossa sprichst. Ich will keine Abbitte tun. Es stimmt zwar, ich hab deine Arbeiten damals eingesehn und fand meine Forschungen bestätigt, aber im Grunde war ich weiter als du. Es war deine Tragik, dass du der gleichen Sache nachgingst wie ich.“
Der Mann im gestreiften Hemd setzte die Flasche an und nahm einen tiefen Zug. Mit einer ungläubigen, bitteren Geste presste er beide Hände an den Kopf. „Nein, das ist nicht möglich“, sagte er mehr zu sich als zu dem anderen, „weshalb höre ich mir das an. Leimröhren-Neugold, er bestiehlt mich, er nimmt mir das Patent, ach was, Patent, den Lebenssinn, er baut sich mit meiner Erfindung eine glänzende Karriere auf, LR bei Plaste, bei Textilien, bei Schaumstoffen, LR im Haushalt, in der Industrie, im In- und Ausland, LR überall, der große, der bedeutende, der LR-Gelehrte, und dann, nach fünfzehn Jahren, sucht er den Entdecker der umwälzenden Neuerung auf, den eigentlichen Erfinder, um ihn zu verhöhnen und ihm die Lüge erneut ins Gesicht zu schleudern. Aber ich weiß doch, wie es war, Neugold, wenigstens mir gegenüber könntest du ehrlich sein. Ein einziges Mal im Leben!“
„Es tut mir furchtbar leid“, erklärte, jetzt ein wenig ungeduldig, der Professor, „doch du irrst dich kolossal. Es war, wie ich sage. Das Gericht damals hat es bestätigt. Völlig unbeteiligt warst du nicht, das gebe ich zu. Und schon unserer alten Freundschaft zuliebe hätte ich dich gern in die Anerkennung miteinbezogen. Aber du warst ja so unvernünftig, wolltest alles.“
„Ich wollte, was mir zustand!“
„Du warst nie ein Realist“, sagte Neugold, und als der andere erneut aufbrausen wollte. „Nein. nein, reg dich nicht gleich wieder auf. Du hast mir mehr als einmal erklärt und auch geschrieben, wofür du mich hältst, jetzt lass mich einmal meine Meinung zu deiner Person sagen. Du hast etwas Genialisches. Watermann, wirklich, ich hab dich deswegen immer bewundert und bin aus diesem Grund hier. Aber du bist ein Narr und Romantiker, hast deine Niederlage damals nie verwunden, weil du an der Realität vorbeilebst. Anstatt dem Praktiker die Hand zu reichen, den Anteil zu nehmen, der zu bekommen war, hast du alles ausgeschlagen. Du hättest neue Dinge in Angriff nehmen, mich vielleicht trotz allem überflügeln können, wenn du nüchtern überlegt und dir Verbündete gesucht hättest. Doch nein, du hast dich in dieses Loch zurückgezogen und bist zum Säufer geworden. Die einzige Verbündete, deine Frau Angelika, hast du auf diese Weise aus dem Haus getrieben. Du verdienst deinen Lebensunterhalt, indem du die Knöpfe irgendwelcher Automaten drückst. Den lieben langen Tag. Und wenn mich nicht alles täuscht, ist der Zeitpunkt nahe, da dich deine Sauferei hindert, selbst dieser Tätigkeit nachzugehen.“
Die letzten Sätze hatten Watermann offenbar getroffen, er war ruhiger geworden. „Du hast mit Angelika gesprochen?“
„Ja, ich hab sie kürzlich im Theater getroffen.“
„Wie geht es ihr?“
„Anscheinend gut. Aber viel kann ich nicht dazu sagen. Sie hängt wohl immer noch an dir.“
„Du bist ein Lump und Betrüger“, sagte Watermann, „ich bleib dabei. Aber einiges an deinen Worten stimmt, ich bin ein Versager. Und dass du mit Angelika geredet hast, weckt Erinnerungen. Also heraus mit der Sprache, was willst du wirklich?“
Neugold überhörte die Beleidigungen, wenn auch mit innerer Wut. Er zwang sich der Sache wegen zur Ruhe. „Ich sagte schon, ich will nicht, dass dein Talent verkommt, ich möchte dir eine Chance geben.“
„Jetzt, nach fünfzehn Jahren?“
„Zwischen uns stand diese Sache. Ich habe lange gebraucht, um mich zu meinem Angebot aufzuraffen.“
Watermann erhob sich. Er wollte die Schnapsflasche erneut ansetzen, unterließ es jedoch. Er schob sie hinter eine Schrankecke. Nach einigem Nachdenken brummte er: „Nein, ich will dir sagen, wie es sich verhält. Du möchtest deinen Ruf aufpolieren. Die Leim-Geschichte ist inzwischen überholt, hat sich totgelaufen. Sie hat ihre Dienste getan, für ein Leben reicht die eine Erfindung nicht. Man leitet ein Institut und braucht Erfolge. Wenigstens hin und wieder. Du stehst unter Erfolgszwang. Das Ministerium will etwas Neues sehn. Dir aber ist noch nie was Eigenes eingefallen.“
„Du willst mich kränken“, erwiderte Neugold, „doch es gelingt dir nicht. Immer wieder schreiben die Zeitungen über unsere Arbeit. Erst kürzlich gab es einen ausführlichen Artikel in einer unserer größten Illustrierten.“
„Ich leiste vielleicht wenig, aber ich verfolge deine so genannten Forschungen. Aus Interesse, du verstehst. Ihr tretet auf der Stelle. Lange wirst du die Öffentlichkeit nicht mehr täuschen.“
„Selbst wenn es sich verhielte, wie du glaubst, selbst wenn mir nichts einfiele – ich habe einen großen Mitarbeiterstab!“
„Gesichtslose, denkunfähige Leute. Du hast sie ausgewählt nach deinen Maßstäben, herangezogen, damit sie deine Geschäfte betreiben. Nichts Eigenes ist von ihnen zu erwarten, du weißt es.“