Eine lästige Leiche - Klaus Möckel - E-Book

Eine lästige Leiche E-Book

Klaus Möckel

5,0

Beschreibung

Es hatte alles so schön geklappt mit dem Überfall. Er hatte etwas Geld, sogar mehr als er brauchte, um die 3000 Euro Schulden zurückzahlen und war mit dem gestohlenen Auto ziemlich heiter auf den Autobahn-Parkplatz gefahren. Und nun das: Es gibt Momente im Leben, da stehst du wie vom Vorschlaghammer getroffen da, du siehst etwas und kannst es nicht begreifen, du willst die Situation erfassen und fühlst dich unfähig dazu, der Gedanke, der sich in deinem Kopf zu bilden sucht, entgleitet dir, eine Erklärung der Dinge findet sich schon gar nicht. So erging es Hacke, als er nun mit einer Hand die Klappe des Kofferraums anhob, um mit der anderen Jacke und Maske hineinzustopfen. Er riss die Augen auf, erstarrte dann, wurde innerlich ganz steif, brachte aber statt eines Schreis nur ein Krächzen heraus. Entsetzt schaute er ins trübe Kofferraumlicht und wollte es nicht wahrhaben. Das konnte nicht sein, das gab es nicht, das war völlig unmöglich! Ein bisschen Werkzeug für den Notfall hätte sich dort befinden müssen, ein Warndreieck, Verbandzeug, nicht aber das. Dieser gekrümmte Körper, diese notdürftig in eine Decke gewickelte Gestalt mit angezogenen Beinen, die halb auf dem Bauch lag und verkrustetes Blut am Hinterkopf hatte. Hacke schluckte kurz und schlug die Klappe wieder zu. Es war eine Instinktreaktion und das einzige, was er in diesem Moment fertigbrachte, um den Schock zu verdauen. Außerdem hatte sich ein dicker Kerl mit Bartgesicht aus den Polstern des gerade angekommenen Autos geschält und lugte herüber. Späherblicke konnte Hacke jetzt am wenigsten gebrauchen. Den nächsten Schock erlebt er, als er feststellt, wer der tote Mensch in seinem Kofferraum ist. Seine Lage hat sich entscheidend verändert. Und dann kommt ein gewisser Jakob Ahn von Helm ins Spiel, der nicht immer so hieß, kein echter Adliger war, dennoch seinen Namen mit Stolz trug und jetzt ein Problem mit alten Geschichten aus den Neunzigern hatte – scheinbar für immer abgehakt und unter „Kollateralschäden“ verbucht. Plötzlich aber werden die alten Geschichten wieder aktuell. Jakob Ahn von Helm wird bedroht. Er wird erpresst: Vor ein paar Tagen war ihm der Brief mit den Fotos auf den Tisch geflattert - ein ganz normaler weißer Umschlag mit einem absolut nicht normalen Inhalt - und kurz darauf kam die Geldforderung. Haben diese beiden Fälle etwas miteinander zu tun? Aber was? Der Dresden-Krimi „Eine lästige Leiche“ garantiert Spannung. Bis zum letzten Toten, Pardon, bis zur letzten Seite.

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Impressum

Klaus Möckel

Eine lästige Leiche

Ein Dresden-Krimi

ISBN 978-3-96521-602-0 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 2015 im Verlag Bild und Heimat Berlin

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

2022 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Erster Teil

1

Als Hacke den Wagen abgestellt hatte und im Schutz des kleinen Wäldchens auf das Gebäude zuschlich, ging ihm plötzlich der Spruch seines Vaters durch den Kopf: Mut zum Risiko. Mut zum Risiko, mein Junge, sonst gewinnst du nie was.

Der Spruch passte zu seinem Vorhaben, allerdings hatte sein Erzeuger es anders gemeint. Er war immer „ehrbar“ gewesen, wie die Mutter betonte. Ein bisschen verrückt, aber „ehrbar“, krumme Touren hatte er stets abgelehnt. Im Gegensatz zu mir, dachte Hacke und spürte das Schießeisen in seiner Tasche.

„Ehrbar“, na gut – bloß, was hatte es dem Alten gebracht. Extremsportler nannte er sich, war nach der Wende an den Küsten Portugals, Italiens, Mexikos herumgeturnt und von den Klippen gesprungen, wollte damit die große Kohle machen. Aber er blieb einer aus der dritten Reihe, und wahrscheinlich hatten ihn die Geldgeber noch um seine Prämien beschissen. Was übrig war, hatte er in neue Projekte gesteckt, das Risiko noch höher geschraubt. Bis es dann echt zu hoch war und der Sprung schief geriet. Mit dem Schädel voran in den Tod. Er hatte den Felsen zwar nur gestreift, aber bei diesem Kopfüber reichte das.

Es knackte im Gebüsch, und Hacke hielt argwöhnisch im Schritt inne. Aber alles blieb still, ein Tier vielleicht, das sich nun ängstlich ins Gras duckte. Ich tu dir nichts, dachte der Mann, wenn auch du mich in Ruhe mein Ding tun lässt. Mit der Hand nach der Pistole tastend, ging er weiter.

Hackes Vater war damals Anfang dreißig gewesen, nur wenig älter als er jetzt, doch er sah jünger aus. Was für ein Body! Schwamm drüber, es war schon eine Ewigkeit her und tat nicht mehr weh. Zumal er ihn als Kind kaum zu sehen bekommen hatte. Ständig unterwegs, ständig woanders, er kannte die Küsten bestimmt besser als seinen Sohn. Na gut, das lag an der Abstammung, er kam aus Wismar oben an der Ostsee, während die übrige Familie ihre Wurzeln im Mitteldeutschen hatte.

Nicht viel war Hacke von seinem Vater geblieben, außer ein paar Fotos und diesem Spruch, der sich ihm jetzt wieder mal aufgedrängt hatte. Zur Situation passend, doch zum falschen Zeitpunkt. Weg mit den Gedanken, er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren. Zumal es kein großes Risiko gab, die Sache war klar und sicher. Mut ja, den brauchte man, und er hatte ihn zusammennehmen müssen, um sich endlich aufzuraffen. Immer wieder hatte er gezögert, auf eine noch bessere Gelegenheit gewartet. Doch eine bessere Gelegenheit, an die Kohle zu kommen, gab es nicht. Und er brauchte das Geld!

Denn Hacke hatte Schulden. An die dreitausend Euro, weil er sich beim Wetten verzockt hatte, bei einem Mann namens Detlef Baum, genannt der „Direx“. Automaten und Karten, er liebte beides und konnte die Finger nicht davon lassen. Was sollte man aber auch machen, wenn man keine Arbeit fand. Keine jedenfalls, bei der man nicht für ein paar jämmerliche Kröten von morgens bis abends malochen musste. Zwei-, dreimal hatte er sogar schon gewonnen, einmal mehr als siebentausend Eier, aber das war bald wieder weg gewesen. Nun jedoch wollte der Direx nichts mehr rausrücken, im Gegenteil, er verlangte seine Dreitausend zurück. Obwohl das für ihn eine lächerlich kleine Summe war. Sonst würde er seine Jungs vorbeischicken, und die Jungs, das waren finstere Kerle, Muskelprotze, Brutalos, richtige Knochenbrecher. Nein, darauf durfte er sich nicht einlassen.

Inzwischen hatte Hacke das Gebäude erreicht. Er zog die Maske mit den Augenschlitzen aus der Tasche. Der Shop, die „Siedlerkiste“, lag am Ende des Ortes und hatte alles im Angebot, was die Leute auf die Schnelle brauchten. Das ging von Lebensmitteln, Getränken und Zigaretten bis zum Kochtopf und der Küchenuhr. Okay, damit machten die noch keine großen Geschäfte, auch nicht mit den Socken und Handtüchern, die in den Regalen lagen, aber es gab ja noch die Schuhe und die Kleidung, die ein bisschen mehr brachte, die Kosmetik, die Handys, den Gartenbedarf, die Kleinmöbel und vor allem den Klimperschmuck, der den Frauen gefiel. Wobei das Besondere die Handarbeit war: Ketten, Ringe, aber auch Stühle und Tischchen wurden von Handwerkern oder Künstlern der Umgebung gefertigt, die sich auf den Geschmack der Leute verstanden. Deshalb kam mancher Kunde aus den umliegenden Dörfern gern hierher, anstatt nach Dresden zu fahren, wenn er ein Geschenk, ein besonderes Stück für Haus und Garten suchte.

Der Laden brummte also, und heute, am Freitagabend, hatte er länger geöffnet. Jetzt, kurz vor neun, war allerdings, wie erhofft, nicht mehr viel los. Hacke beobachtete den Eingang. Ein Kunde verließ das Geschäft – wahrscheinlich der letzte an diesem Tag –, und gleich würde der lange, wuselige Verkäufer den Shop schließen.

Es war dunkel und regnerisch, die Dorfstraße menschenleer. Hacke streifte die Arbeitshandschuhe und die Maske über, holte die Pistole aus der Tasche. Er spähte durchs Schaufenster – nur der Verkäufer, mit einem Schlüsselbund in der Hand, war zu sehen. Sobald er drin fertig war, würde er die Rollläden herunterlassen und die Alarmanlage aktivieren. Sie hatten sich abgesichert, auch wegen der nahen Grenze.

Ein letzter Blick Hackes die unbelebte Straße hinab, dann öffnete er mit einem Ruck die Tür. „Das ist ein Überfall“, sagte er mit krächzender Stimme, ein Ton, der drohend und fremd klingen sollte, er hatte ihn eingeübt. „Wenn du meinen Anordnungen folgst, passiert dir nichts!“

„Was … wo… wollen Sie?“, stotterte der Mann erschrocken.

„Schließ die Tür ab, und lass die Rollos runter. Aber Vorsicht, keine Alarmknöpfe. Die Hübsche hier ist geladen!“ Ein Wink mit der Pistole dirigierte den Verkäufer zur Vorderfront.

„In der Kasse ist kaum Geld“, stammelte der Mann, der sich denken konnte, worum es ging, „die Scheine nimmt immer der Chef mit.“

Damit konnte er Hacke nicht verunsichern. Der Besitzer war seit drei Tagen weg, kam erst am nächsten Morgen zurück, das wusste er von Verena Schulz. Durch die kleine Schwatzliese, die auf ihn stand und ihn allzu gern im Bett gehabt hätte, war ihm ja erst die Idee mit dem Überfall gekommen. Sie war mit der Tochter des Ladenbesitzers befreundet, besuchte mit ihr eine Fachschule in Dresden. Verena war absolut auf dem Laufenden.

„Quatsch nicht! Wenn du weiter Märchen erzählst oder sonst Schwierigkeiten machst, schieß ich dir in die Beine.“ Er trat bewusst so brutal auf wie die Schläger vom Direx. Das zeigte auch Wirkung. Der Verkäufer hob abwehrend die Hände. „Ich mach ja, was Sie wollen.“

Als die Läden heruntergelassen waren, fühlte sich Hacke erst mal vor Überraschungen sicher. Keiner, der jetzt noch zufällig vorbeikam, konnte sehen, was hier vorging. Trotzdem hatte er es eilig. „Leer jetzt die Kasse aus, alles hier in die Tüte!“

Es kamen an die fünfhundert Euro zusammen, ein Anfang.

„Und jetzt der Tresor“, verlangte Hacke.

„Welcher Tresor? Wir …“

Hacke hob drohend das Schießeisen. „Los, nach nebenan.“ Er wusste Bescheid, hatte Verena ja mehr als einmal ausgehorcht. Natürlich war das kein Versteck, wo sie Zehntausend und mehr stapelten, der Besitzer brachte die größeren Summen immer schnell zur Bank oder deponierte sie zu Hause. Zudem wurden die dicken Rechnungen gerade wegen der vielen Einbrüche und Überfälle in neun von zehn Fällen mit Karte beglichen. Aber manche zahlten eben doch bar, und wenn der Chef nicht da war, blieb vorübergehend einiges im Geschäft. In dem Wandtresor im hinteren Raum. Und der Chef war, wie gesagt, unterwegs.

Der wuselige Verkäufer war jetzt gar nicht mehr wuselig, Hacke musste ihm jede Bewegung nachdrücklich abverlangen. Da der Mann aber Angst hatte, wagte er es nicht, die Kombination zu verweigern. Der Bandit vor ihm wusste zu gut Bescheid. So war der Safe schnell geöffnet, und zur Knete in der Tüte gesellten sich gut sechstausend Euro. Das stellte Hacke durchaus zufrieden. Er überlegte noch, ob er sich ein paar Handys oder andere Sachen aus dem Laden krallen sollte, ließ es aber sein. Die Polizei kannte seinen Namen, und so war es für ihn gefährlich geworden, das Zeug weiterzuverkaufen, man konnte ihm sogar auf die Spur kommen, wenn’s durch das Internet geschah.

Das Handy des Verkäufers freilich nahm er an sich, er hatte etwas Besonderes damit vor. Dann fesselte er den Mann an die Heizung im Klo, verklebte ihm auch den Mund, damit er nicht gleich losbrüllen konnte. Die Schlüssel nahm er mit, verließ den Laden durch die Hintertür und sperrte zu.

Hacke hatte sich vorgenommen, kaltblütig zu handeln: Er machte sich nicht sofort aus dem Staub, sondern überquerte die Landstraße und deponierte das Handy des Verkäufers sowie die Schlüssel im Papierkorb der nahen Bushaltestelle. Er hatte das vorher genau erkundet. Sollten sie es ruhig orten und glauben, er sei mit dem Bus weg, der in einer halben Stunde zum letzten Mal am Tag hier vorbeikam. Danach rannte er, damit Suchhunde die Spur nicht aufnehmen konnten, noch ein Stück auf der Straße und kehrte erst dann zu seinem Wagen zurück. Mut zum Risiko, schoss es ihm erneut durch den Kopf, jawohl, heute und hier hatte der Spruch hingehauen!

2

Der Ford stand einsam und unberührt im Schutz der Bäume, so wie er geparkt worden war. Hacke hatte ihn geklaut, aber die Nummernschilder ausgewechselt und zur Tarnung breite Streifen aus Folie an die Seiten geklebt. Nun hatte er es eilig, wegzukommen, er zog die Handschuhe ab, tauschte die Jacken, stopfte die dunkle, die er getragen hatte mitsamt der Maske unter den Sitz –  er nahm sich nicht die Zeit, den Kofferraum zu öffnen. Die Pistole wollte er in der Nähe haben, legte sie ins Handschuhfach. So sanft er es vermochte, startete er den Wagen und rumpelte los. Über den steinigen Weg in Richtung der besseren Landstraße, die er nach wenigen hundert Metern erreichte.

Er brauste dahin, und plötzlich überkam ihn eine große Heiterkeit. Alles hatte geklappt, war gelaufen wie am Schnürchen: Der Verkäufer war brav geblieben, so dass Hacke nicht gezwungen gewesen war, auch nur einen Schuss abzugeben; das Geld hatte sich, wie erhofft, im Tresor befunden. Ich kann den Direx bezahlen, dachte er, und behalte noch einiges über, ich hab für ein paar Monate ausgesorgt, das Zocken wird’ ich erst mal lassen. Oder nur um kleine Beträge spielen. Kleine Beträge, das kann nicht schaden.

Er schaltete das Radio ein, wählte einen Sachsen-Sender: „Musik zum Träumen“. Okay, träumen durfte er jetzt, wenn auch nicht gleich von Millionen. – Ob sich der Verkäufer inzwischen von seinen Fesseln befreit und die Bullen gerufen hatte? Kaum anzunehmen, die Heizung war fest in der Wand verankert, die Stricke um Hände und Beine würden einschneiden, wenn er daran zerrte. Wahrscheinlich hing der Lange bis zum Morgen fest, bis die ersten Kunden kamen oder der Besitzer. Unangenehm war seine Lage schon, das hatte Hacke ihm nicht ersparen können. Vielleicht bekam er schlecht Luft, wenn er eine Weile mit zugeklebtem Maul an der Heizung hockte. Na, er würde gewiss durchhalten, und frieren würde er auch nicht. Hacke hatte den Thermostat auf drei gestellt.

Er wollte nach Radebeul, dem Dresdener Vorort, der sich mit seinen Anhöhen und Weinbergen am rechten Ufer der Elbe hinstreckte. Dort, in der Wohnung seiner Mutter, kampierte er zurzeit wieder mal, seit einem halben Jahr etwa, nachdem er bei Rendy ausgezogen, besser gesagt, rausgeflogen war. Ständig hatte es Zoff wegen seiner Zockerei gegeben. Bei der Mutter war es nicht ganz so stressig, von ihr ließ er sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht in die Karten gucken. Trotzdem meckerte auch sie hin und wieder, weil er nie Geld hatte und nach ihrer Meinung nichts auf die Reihe brachte. Womit sie nicht ganz unrecht hatte, wie er sich widerwillig eingestand. Ich reich ihr diesmal ein paar Scheine rüber, dachte Hacke in einem Anflug von Großmut. Immerhin ist sie meine Mutter, hat’s ebenfalls nicht leicht und gibt mir ein Dach überm Kopf.

Er fuhr bei Burkau auf die A4, dann in westlicher Richtung. Inzwischen war es stockdunkel, aber es regnete nicht mehr, und Hackes Scheinwerfer gruben einen Tunnel in die Finsternis. Auf der Autobahn war um diese Zeit mäßiger Verkehr, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht waren die meisten Pendler inzwischen zu Hause. Das reizte ihn, das Gaspedal zu kitzeln; was hier an Tempo erlaubt war, wollte er gar nicht wissen. Auch die „Musik zum Träumen“ war ihm mittlerweile zu fade, so dass er einen anderen Sender suchte, einen mit wummernden Bässen. Doppellichter des Gegenverkehrs flirrten auf ihn zu, ein Scheinwerferpaar blendete ihn dermaßen, dass er für Sekunden, das Lenkrad krampfhaft umklammernd, blind fuhr. „Idiot“, schrie er, „mach die Fernleuchten aus!“ Verzweifelt betätigte er die Lichthupe.

Wieder sehend, wurde er langsamer, dachte an Rendy. Sie war eine tolle Frau, und er ärgerte sich, dass es ihm nicht gelungen war, sie festzuhalten. Ich war nicht hartnäckig genug, sagte er sich, hätte nicht so schnell aufgeben sollen. Im nächsten Moment freilich wurde er missmutig. Die Schlampe ist gleich zu Finn übergelaufen, hat mit sonst wem gepennt. Ich war ihr nicht gut genug, konnte ihr zu wenig bieten. Finn stand natürlich besser da, mit seinen Manieren und der Knete, die er mit seinem Trödel verdient.

Inzwischen näherte er sich der A13 und überlegte, ob er nicht nach Dresden reinfahren, in irgendeinem Nobelschuppen einkehren sollte, um eine Trulle abzuschleppen. Im „Sexy-Girl“ vielleicht. Oder sich von ihr abschleppen zu lassen, die Kohle hatte er ja. Aber er kannte sich, er würde womöglich nur herumhängen und später versacken. Außerdem, wo sollte der Wagen hin? Trotz der falschen Kennzeichen konnte ihn, wenn’s der dumme Zufall wollte, eine Streife entdecken. Nein, die Idee war nicht gut. Lieber erst beim Direx die Schulden begleichen. Morgen schon, obwohl es ihm um die Dreitausend mächtig leid tat. Na, vielleicht gab sich der alte Geizhals einstweilen mit der Hälfte zufrieden.

Ein Parkplatz in tausend Metern kündigte sich an, Hacke merkte, dass er pinkeln musste. Dringend, die Blase platzte fast. Fünfhundert, dann dreihundert Meter, er bog ein. Ob jemand den Raub mitgekriegt hatte? Natürlich nicht, was sollte der Quatsch. Raub, Räuber, wie das überhaupt klang. Als Kinder hatten sie Räuber und Gendarm gespielt, er erinnerte sich, dass ihn die anderen nie gekriegt hatten. Manchmal war auch er der Gendarm gewesen. Ein Witz, dachte Hacke.

Der Parkplatz war fast leer, zwei Trucks lediglich, deren Fahrer offenbar pennten, und ein Kleintransporter, um den ein Rudel Kerle herumstand. Hacke rollte vorbei, hielt ein Stück weiter vorn bei der Pinkelbude. Auch wenn es dunkel war und die Leute ihn nicht beachteten, schien es ihm besser, Abstand zu halten. So wenig auffallen wie möglich, das musste sein oberstes Prinzip sein.

Er sprang aus dem Wagen und schloss ihn ab. Das konnte er, weil er auch den Autoklau gut vorbereitet hatte. Mehrere Nachmittage hindurch hatte er die Parkplätze abgeklappert, um auf ein Fahrzeug zu stoßen, bei dem der Schlüssel steckte. Geklappt hatte es erst am dritten Tag. Zum Glück waren die Leute manchmal leichtsinnig, und es geschah ihnen recht, wenn sie ihren Untersatz loswurden.

Nachdem er sich erleichtert hatte, stand er noch einen Augenblick beim Wagen. Die Wolkendecke riss auf, es wurde etwas heller. Eigentlich müsste ich die Karre so bald wie möglich abstoßen, sagte sich Hacke, es ist nicht gut, ein Fahrzeug zu behalten, mit dem man einen Bruch gemacht hat oder einen Überfall. Auch wenn das kein Mensch ahnt … ahnen kann. Andererseits wär’s nicht übel, in den nächsten Tagen ein paar Spritztouren zu machen. Rüber zu den Tschechen, nach Prag oder in die Berge. Vielleicht kann ich Rendy überreden, mit mir zu kommen, jetzt kann ich ihr ja was bieten.

Er stieg wieder ins Auto, wollte starten, da fiel ihm ein, dass er die schwarze Jacke und die Maske doch lieber im Kofferraum verstauen, oder noch besser, gleich hier in einer Mülltonne entsorgen sollte. Doch als er die Sachen in der Hand hatte, rollte gerade ein großer Mercedes heran und schwenkte zwei Plätze neben ihm ein. Hacke verschob die Entsorgung auf später. Schnell öffnete er den Kofferraum.

3

Es gibt Momente im Leben, da stehst du wie vom Vorschlaghammer getroffen da, du siehst etwas und kannst es nicht begreifen, du willst die Situation erfassen und fühlst dich unfähig dazu, der Gedanke, der sich in deinem Kopf zu bilden sucht, entgleitet dir, eine Erklärung der Dinge findet sich schon gar nicht.

So erging es Hacke, als er nun mit einer Hand die Klappe des Kofferraums anhob, um mit der anderen Jacke und Maske hineinzustopfen. Er riss die Augen auf, erstarrte dann, wurde innerlich ganz steif, brachte aber statt eines Schreis nur ein Krächzen heraus. Entsetzt schaute er ins trübe Kofferraumlicht und wollte es nicht wahrhaben. Das konnte nicht sein, das gab es nicht, das war völlig unmöglich! Ein bisschen Werkzeug für den Notfall hätte sich dort befinden müssen, ein Warndreieck, Verbandzeug, nicht aber das. Dieser gekrümmte Körper, diese notdürftig in eine Decke gewickelte Gestalt mit angezogenen Beinen, die halb auf dem Bauch lag und verkrustetes Blut am Hinterkopf hatte.

Hacke schluckte kurz und schlug die Klappe wieder zu. Es war eine Instinktreaktion und das einzige, was er in diesem Moment fertigbrachte, um den Schock zu verdauen. Außerdem hatte sich ein dicker Kerl mit Bartgesicht aus den Polstern des gerade angekommenen Autos geschält und lugte herüber. Späherblicke konnte Hacke jetzt am wenigsten gebrauchen.

Der Dicke klickte mit der Fernbedienung und eilte zum WC. Dabei hielt er sich den Bauch, hatte wohl ein dringendes Geschäft zu erledigen, das ihn länger aufhalten konnte. Für einen Augenblick überlegte Hacke, ob er nicht mit dem fremden schnellen Wagen abhauen sollte. Aufbrechen, kurzschließen und weg, den Ford mit seinem schrecklichen Inhalt einfach zurücklassen. Aber abgesehen von der Wagensicherung, die bestimmt Schwierigkeiten machen würde, wären die Bullen in solch einem Fall schnell informiert und hinter ihm her. Wo sollte er sich dann verkriechen?

Der Kleintransporter mit der Reisegesellschaft fuhr fröhlich hupend an ihm vorbei auf die Autobahn. Dafür kam ein Landrover älterer Bauart und parkte neben ihm ein. Hacke stand noch immer wie vom Donner gerührt da und wusste nicht, was er tun sollte. War das Blut am Kopf der Person dort hinten nass oder trocken gewesen, war sie wirklich tot? Ein Mann, eine Frau? Die Klamotten und Haare passten auf beides, zumindest auf den ersten Blick, er hatte nur das gesehen, was die Decke freigab. Doch Hacke wagte nicht, genauer nachzuschauen. Nicht hier, bei all den Leuten, die ankamen oder wegfuhren. Er musste weiter, wahrscheinlich war dem oder der dahinten eh nicht mehr zu helfen.

Plötzlich merkte er, dass er noch immer die schwarze Jacke und die Tuchmaske in der Hand hielt. Wütend riss er die Tür auf, stopfte beides zurück unter den Beifahrersitz. Ich muss runter von der Autobahn, mir bleibt nichts anderes, als diese verdammte Fracht irgendwo loszuwerden, sagte er sich, im Wald, in einem Tümpel. Eine schöne Scheiße, aber was soll ich sonst tun? Zu den Bullen kann ich nicht!

Er klemmte sich hinters Lenkrad, startete. Drei Anläufe brauchte es, damit der Motor ansprang. Hundert Fragen wirbelten ihm durch den Schädel, aber erst als er wieder fuhr, gesellte sich eine ziemlich wichtige hinzu: wie dieser Mensch nämlich in seinen Wagen gekommen war?

Doch in seinem Kopf war Nebel. Wirrwarr herrschte, ein Glück, dass Hände und Füße mechanisch das Notwendige taten. Eins stand fest: Als er den Ford hatte mitgehen lassen, war der Kofferraum noch leer gewesen, bis auf das übliche zur Pflichtausrüstung gehörende Zeug – er hatte auf Paul Findeisens Waldgrundstück reingeguckt. Was aber war danach passiert? Er versuchte die wenigen Tage nach dem Autoklau durchzugehen, die einzelnen Stationen. Meist hatte der Ford bei Finn gestanden – hatte etwa der Kumpel mit der Sache zu tun? Das konnte einfach nicht sein!

Hacke hatte es nicht so vorgehabt, aber angesichts dieser kotzüblen Lage nahm er die Abfahrt am Flughafen und fuhr entgegengesetzt, in Richtung Waldteiche Moritzburg. Dort war Wald und Wasser, dort konnte er die Leiche bestimmt abladen. Mittlerweile hatte er den ersten Schreck überwunden. Er sah zwar nicht klarer, wurde aber von Minute zu Minute wütender. Die Schweine, wer hat mir das eingebrockt, will mir was anhängen? Gilt das überhaupt mir? Will man mir das in die Schuhe schieben, oder soll ich nur die Drecksarbeit machen? Beseitigen, was andere Verbrecher angerichtet haben? Jawohl, Verbrecher, sagte er sich, ein Mörder bin ich nicht. Mit Mord hab ich nichts am Hut!

Ein Feldweg führte von der Straße ab; weiter hinten dämmerte Wald. Hacke bog ein, hielt nach etwa hundert Metern an einer Hecke. Ein Blick nach rechts und links – nur Wiesen, Felder und Bäume. Er überlegte kurz, streifte, bevor er ausstieg, die Handschuhe über, die er schon beim Überfall getragen hatte. Er ging zum Kofferraum, zögerte aber eine Weile, er konnte sich nicht überwinden, die Klappe ein zweites Mal anzuheben.

Vielleicht sollte er den Wagen nebst Inhalt einfach im Wald stehen lassen und abhauen. Aber er musste wenigstens wissen, ob die Person da drin wirklich tot war. Er gab sich einen Ruck und öffnete. Diesmal war er auf den Anblick vorbereitet und schauderte nicht zurück. Nein, dieser Mensch lebte bestimmt nicht mehr! Er hatte offenbar einen mächtigen Schlag auf den Hinterkopf bekommen und pilgerte schon geraume Zeit im Jenseits.

Hacke war nicht besonders gläubig, aber er bekreuzigte sich. Tapfer fasste er die Leiche an und drehte sie, so gut es in dem engen Behältnis ging, auf den Rücken. Und da – er hatte nicht gedacht, dass es noch härter kommen könnte – traf ihn ein neuer Schock. Die tote Person war eine Frau, er sah es zunächst daran, dass sie so zierlich war und sich ihre Bluse über der Brust geöffnet hatte. Aber das war es noch nicht, was ihn niederschmetterte. Vielmehr kannte er diese Frau! Ziemlich gut kannte er sie, sehr gut sogar, warum hatte er es nicht eher bemerkt. Es war … nein, das konnte sie ganz unmöglich sein … und doch, es war … Rendy, seine ehemalige Freundin!

4

Diesmal ließ Bernd Erik Hackmann, ein passabel aussehender Endzwanziger mit abgebrochenem Sportstudium, der sich auch als Autoverkäufer, Reklameschreiber und Portier in einem Nachtklub versucht hatte und von allen nur Hacke genannt wurde, den Kofferraum offen. Rendy tot in diesem Auto, erschlagen, das war nicht nur unglaublich, es ging über seine Kräfte. Warum denn sie, dachte er, was hat sie getan, dass so etwas passieren konnte, und: Ich werde nie mehr mit ihr reden, sie in die Arme nehmen können.

Ja, er musste zugeben, dass er das immer noch gehofft hatte, trotz allem Zoff mit ihr und trotz ihres Schwurs, es sei ein für allemal vorbei. Tränen stiegen ihm in die Augen, liefen die Wangen herab. Er war sich nicht klar, ob er sie geliebt hatte, aber so ähnlich musste der Schmerz von Liebenden sein, die sich für immer trennen, es war ein Schmerz, der tief in die Brust schnitt. „Rendy“, flüsterte er, „mein süßes Mädchen, verdammtes Luder, warum machst du das, wer hat dir das angetan?“ Er setzte sich auf einen Stein am Wegrand und starrte einige Minuten vor sich hin. Ihm wurde klar, dass sich die Lage nun verändert hatte. Entscheidend verändert, denn er konnte Rendy nicht einfach irgendwo abladen, in einem Gewässer versenken oder in einem Loch verscharren. „Auf gar keinen Fall, das hast du nicht verdient“, sagte er laut.

Hacke griff zum Handy und wählte Finns Nummer. Während das Wartezeichen ertönte, fragte er sich erneut, ob der Kumpel etwas mit dem Mord zu tun haben könnte, doch er traute ihm das nicht zu. Seine Kunden bescheißen – Finn handelte mit allem möglichen Altkram –, die Steuern prellen, heiße Ware verhökern, ja, aber nicht das. Allerdings war er streitsüchtig und jähzornig, hatte ständig andere Weiber und ging ruppig mit ihnen um, wenn sie nicht wollten wie er. Außerdem hatte der Wagen bei ihm gestanden. Ich stelle den Wichser zur Rede, dachte Hacke, wenn er irgendwas damit zu tun hat, krieg ich’s heraus.

Es dauerte zwei Ewigkeiten, dann meldete sich eine verschlafene Frauenstimme: „Hallo, wer ist dran?“

„Ein guter Bekannter. Ich muss Finn sprechen.“

„Herr Findeisen schläft. Wissen Sie denn nicht, wie spät es ist?“

„Durchaus, aber es ist dringend. Wecken Sie ihn!“

„Ich weiß nicht … Ich … Können Sie nicht morgen noch mal?“, flötete die Stimme.

Finn war geschieden, seine Frau hatte es nur kurz bei ihm ausgehalten, es war also eine der üblichen Bräute. Er kannte die Sorte, brauchte keine Rücksicht zu nehmen, war auch nicht in der Stimmung dazu. „Hör mal, du Schnalle“, sagte er grob, „du zickst jetzt nicht rum, sondern holst ihn ans Telefon. Wenn das nicht in den nächsten zwei Minuten passiert, komm ich vorbei und schüttle euch aus der Kiste. Alle beide. Mit ‘ner Kalaschnikow.“

Zehn Sekunden später war Finn selber dran und knurrte: „Was ist denn los, zum Teufel? Wer spielt sich da so auf? Bin gerade erst eingepennt.“

„Mit wem bist du denn im Bett? Ich denke, du hast ‘ne Connection mit Rendy?“

„Bist du das, Hacke?“ Finn wurde ruhiger. „Geht dir immer noch deine Tusse im Kopf rum? Hast du gesoffen und glaubst, du musst um Mitternacht den Klotz markieren? Komm, lass mich schlafen.“ Er legte auf.

Finn hatte ihn wohl an der Stimme erkannt, das war nicht verwunderlich, und trotzdem, wieso war er gleich auf ihn gekommen. Der Mann hatte hundert Bekannte, die nachts anrufen konnten, er, Hacke, hatte das um diese Zeit noch nie getan. Außerdem hatte Findeisen falsch geklungen, als es um Rendy ging, irgendwie scheinheilig.

Hacke drückte die Wiederwahl und musste diesmal lange warten. In der Zwischenzeit marterten ihn die Gedanken – er fragte sich plötzlich, was ihn mit Finn eigentlich verband. Klar, der hatte, nicht zum ersten Mal, eine von ihm gestohlene Karre auf seinem Grundstück versteckt, und sie ließen öfter mal zusammen die Puppen tanzen. Wenn Hacke knapp bei Kasse war, half der andere mit kleinen Summen aus, allerdings nur mit kleinen Summen. Gut, Finn hatte auch schon Sachen im Internet vertickt, die Hacke bei nächtlichen Streifzügen durch schlecht gesicherte Wohnungen abstaubte. Sie kannten sich von der Truppe, wo Findeisen nicht gerade der Eifrigste gewesen war und für seine Ausreden bekannt, wenn es um unangenehme Aufgaben ging. Danach hatten sie sich aus den Augen verloren, aber eines Tages war er überraschend wieder bei Hacke aufgetaucht. Er hatte in Dresden illegal Container für Altkleider aufgestellt und brauchte jemanden, der sie leerte. Hacke hatte gerade sein Studium geschmissen und ließ sich auf die Sache ein. Ihm hatte es nicht viel gebracht, dem andern aber ein Kapital, mit dem er größere Geschäfte tätigen konnte.

Eigentlich hat er immer profitiert, wenn wir was gemeinsam gemacht haben, und Rendy hat er mir auch ausgespannt, dachte er gerade, als sich der andere überraschend doch noch meldete. Sonderbarerweise ohne Hacke anzublaffen.

„Also, was willst du genau von mir?“, fragte Finn. „Spuck’s schon aus, wenn du mich sowieso nicht pennen lässt.“

„Okay, aber schick erst deine Trulle aus dem Zimmer, das geht nur uns beide etwas an.“

„Du machst es spannend. Na, ich geh selber raus, muss sowieso pinkeln. Zu viel Dornfelder …“

Hacke hörte das Bett ächzen und wartete kurz ab. Dann sagte er: „Hör zu, ich bin hier in einer beschissenen Lage. Ich hab ‘ne Leiche bei mir.“

„Was?“, rief Finn. „Eine Leiche? Bist du verrückt? Das kann nicht dein Ernst sein. Und was heißt, bei dir? Im Auto? Wo bist du überhaupt?“

„Wo ich bin, ist im Augenblick egal“, erwiderte Hacke, „aber wieso kommst du aufs Auto?“

„Na, weil es nicht mehr auf dem Waldgrundstück steht. Ich war gestern dort. Wollte dir sowieso vorschlagen, es endlich abzustoßen. Die Sache wird mir zu heiß.“

„Das Auto brauch ich noch“, antwortete Hacke, „im Moment mehr denn je. Und was die Tote angeht, so wird es dir noch viel heißer werden.“

„Wieso mir? Was faselst du da überhaupt rum. Rufst du an, um Witze zu machen?“

„Ich mach keine Witze. Es ist eine Frau, und man hat sie erschlagen. Jetzt liegt sie in meinem Kofferraum.“

„Du hast eine Frau erschlagen?“, rief Finn. „Ich sag’s doch, du bist verrückt. Warum, um Himmelswillen? Wer ist es?“

„Nicht ich hab sie erschlagen“, sagte Hacke, „das hast du genau verstanden. Man hat sie mir in den Wagen gepackt, in das Auto, das in deinem Schuppen stand. Vielleicht warst ja du’s!“

Finn verstummte erst einmal, man hörte sein hektisches Keuchen. Dann murmelte er: „Du bist wirklich übergeschnappt. Warum sollte ich das tun? Warum sie dir ins Auto legen? Aber wenn wirklich stimmt, was du erzählst, sitzt du echt in der Scheiße.“

„Und du mit“, erwiderte Hacke. „Wenigstens genau so tief. Falls du es nämlich wirklich noch nicht wissen solltest: Die Tote ist Rendy, deine, unsere Rendy, und ich frag mich, wie sie in den Ford kommt.“

„Rendy“, wiederholte Finn, wie es Hacke schien, mehr erstaunt als erschüttert, „das kann nicht sein. Die war doch kürzlich erst noch hier, wir haben geredet, sie wollte ‘nen Onkel beerben, der gestorben war …“

„‘nen Onkel? Wo denn? Und was heißt kürzlich hier? Wann genau?“

„Vorgestern, nein, ich glaub am Dienstag. Sie hat auch erzählt, dass sie sich dann ‘ne eigene Wohnung leisten würde. Irgendwo an der Elbe. Sie wollte weg von dieser Milena, die kürzlich bei ihr eingezogen ist.“

„Ich weiß. Die beiden passten nicht richtig zusammen. Aber das ist jetzt sowieso egal.“ Hackes Stimme zitterte.

„Sie ist wirklich tot?“, brüllte Finn nun. „Das ist ja furchtbar! Aber ich sag’s noch mal, ich hab nichts damit zu tun.“

„Ich weiß nicht, ob ich dir glauben kann“, knurrte Hacke, „du hast sie mir ausgespannt, und ihr wart zusammen. Hast ja gerade erzählt, dass sie bei dir war. Wahrscheinlich habt ihr euch gestritten und du hast zugehaun. Ich kenn doch deine Wutanfälle. Aber wie auch immer, wir können das nicht am Handy klären. Nicht am Telefon, deshalb mach ich jetzt Schluss und fahr hier los. Und weißt du was? Ich bring Rendy zu dir. Zu dir ins Haus, dann reden wir Klartext.“ Bevor der andere eine Antwort geben konnte, legte er auf und schaltete das Handy ab.

Das Letzte war ihm spontan eingefallen, erst gegen Ende des Gesprächs. Ob er es tatsächlich so machen, die Leiche zu Finn fahren würde, wusste er noch nicht. Doch warum eigentlich nicht? Falls der andere an dem Mord beteiligt war, konnte man ihn damit vielleicht weich klopfen. Eine Konfrontation mit dem eigenen Verbrechen, das man vertuschen wollte! Mal sehen, wie er reagieren würde. Falls er aber keine Schuld hatte, sollte er wenigstens helfen, Rendy anständig unter die Erde zu bringen, schließlich war sie zuletzt seine Freundin gewesen. Ein Grab auf einem abgelegenen Waldfriedhof vielleicht, das man gemeinsam heimlich aushob. Letzter Dienst für die viel zu früh Verblichene.

Hacke trat erneut an den Kofferraum und versuchte, Rendy etwas vorteilhafter zu platzieren. Aber es war zu eng und der Körper starr, nicht einmal die Beine kriegte er ordentlich gerade. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht, das bleich war und ihn aus toten Augen anblickte. „Was schaust du mich so an“, seufzte er, „ich hab keine Schuld.“

Er wollte ihr die Augen schließen, doch selbst das gelang nicht. Die Leichenstarre war bereits eingetreten. Ärzte oder die Kripo konnten daraus in etwa auf den Todeszeitpunkt schließen – Hacke vermochte das nicht. Er begriff bloß, dass sie schon vor Stunden gestorben sein musste. Ernüchtert schloss er die Klappe wieder, er fühlte sich einsam und verloren.

Doch es kam noch schlimmer: Mit einem Mal wurde ihm klar, dass er soeben einen Riesenfehler begangen hatte. Er hatte Finn erschrecken und provozieren wollen, sich ihm in Wahrheit aber ausgeliefert. Was war, wenn der andere die Bullen anrief und ihnen mitteilte, ein gewisser Erik Hackmann aus Radebeul hätte ihm soeben erzählt, eine ermordete Frau im Kofferraum herumzukutschieren. Wenn er Typ und Kennzeichen des Wagens angab, womöglich anonym, damit man ihn selbst nicht mit dem Fall in Verbindung bringen konnte! Von dem Überfall wusste er freilich nichts, Hacke hatte es vorgezogen, den Plan für sich zu behalten. In solche Sachen wollte Finn, nach außen hin ein sauberer Geschäftsmann, nicht eingeweiht werden, das war ihm zu heiß.

Okay, demnach kannte Finn wenigstens Hackes momentanen Aufenthalt nicht. Trotzdem würde die Polizei bei einem solchen Anruf rotieren. Sie würden ihn suchen, Jagd auf ihn machen, ihn daheim abfangen wollen. Mutter, die nichts ahnte, würde zu Tode erschrecken. Dabei reichte schon das mit Rendy.

Wie soll ich beweisen, dass ich es nicht war, dachte Hacke, und wie blöd bin ich, die Sache Finn auf die Nase zu binden. Mein einziger Schutz ist, dass ich einiges über ihn erzählen könnte. Und dass sie zuletzt seine Freundin war, darauf würden sie bald kommen. Er könnte sich nicht so schnell herauswinden.

Ich fahre zu Finn, entschloss er sich, ich hab’s ihm angekündigt und werde es tun. Ich wird’ vorsichtig sein, genau prüfen, ob die Luft rein ist, bevor ich ihn zur Rede stelle. Wenn er nichts damit zu tun hat, in Ordnung, dann müssen wir herauskriegen, wer es war und gemeinsam eine Lösung finden. Wenn er sie aber erschlagen hat, vielleicht im Jähzorn, und es noch mir anhängen will, soll er das, verdammt noch mal, büßen!

5

Paul Findeisen, von seinen Bekannten und Freundinnen meist Finn genannt, war kurz vor dem Durchdrehen. Immer wieder wählte er dieselbe Nummer, wollte erzwingen, dass der andere ranging. Dabei hatte er längst begriffen, dass Hacke das Handy ausgeschaltet hatte und offenbar nicht mehr mit ihm reden wollte. Jedenfalls nicht am Telefon. So ein Wahnsinn, sagte er sich, dieser Looser bringt es tatsächlich fertig und kreuzt mit einer Leiche bei mir auf.

Er knallte den Hörer auf den Tisch und trat mit dem Fuß so heftig gegen das Stuhlbein, dass er vor Schmerzen aufschrie. Wenn ich wenigstens wüsste, wo der Verrückte steckt, dachte er. Vielleicht steht er in fünf Minuten vorn am Tor und klingelt. Macht mit Motorenlärm und Gehupe die Nachbarn wild, nur weil er mich in Angst und Schrecken versetzen will. So wie der drauf war! Gut, so blöd wird er wohl nicht sein, würde sich ja selber ans Messer liefern. Aber was will er von mir? Ich fass es nicht!

Von dem Krach war seine Bettfreundin aufgewacht und kam auf bloßen Sohlen verschlafen in die Küche getappt. Eine schmale Blondine mit beachtlichem Vorbau. In ihrem kurzen Nachthemd mit nichts drunter sah sie appetitlich aus. „Was ist denn los, Schatz“, maulte sie, „was machst du für’n Krawall? Hast du dir wehgetan? Ich spuck drauf, dann geht’s wieder weg. Was stellst du aber auch an um Mitternacht. Komm doch zurück ins Bett.“

Sie gähnte und reckte sich, so dass ihr Hemd noch ein Stück nach oben rutschte. Unter anderen Umständen hätte Finn auch zugegriffen, aber im Moment hielt er sich den schmerzenden Fuß und war mit den Gedanken ganz woanders. Als sie näher kam und an ihm herumzutatschen begann, stieß er sie mit dem Ellbogen weg.

„Au, du tust mir weh, was hast du denn plötzlich?“

„Jedenfalls weder Lust noch Zeit, dich zu vögeln“, sagte Finn grob. „Und überhaupt kann ich dich jetzt nicht mehr hier gebrauchen. Zieh dich an und verschwinde; ich ruf dich morgen an.“

„Verschwinden, um Mitternacht? Wohin? Wie redest du denn mit mir?“

Der Schmerz ließ nach, und Finn nahm sich die Zeit, den Fuß abzutasten. Anscheinend war nichts gebrochen, wenigstens das. Er beruhigte sich etwas: „Mach jetzt keinen Stress“, sagte er in friedlicherem Ton, „und tu einfach, was ich dir sage. Ich krieg nachher Besuch, und es ist besser für uns beide, wenn du nicht dabei bist.“

„Der Kerl an der Strippe vorhin?“ Die Blonde schmollte weiter, sie war echt verschnupft.

„Das geht dich nichts an. Mach jetzt hin.“

„Aber ihr könnt ja im Wohnzimmer oder hier in der Küche bleiben, während ich hinten weiterschlafe.“

„Nein! Ich will dich nicht im Haus haben“, erklärte Finn in harschem Ton. „Nicht in diesem Fall. Kapier das endlich!“ Sein Blutdruck stieg merklich.

„Und wie komme ich heim?“, protestierte die Frau. „Zu Fuß durch die Nacht? Bis zu mir sind’s zehn Kilometer.“

Finn zog eine Schublade auf und holte ein paar Scheine heraus. „Hier sind zweihundert Piepen. Das wird wohl fürs Taxi und deinen netten Besuch reichen. Ruf die Fuhre aber nicht erst in zwanzig Minuten.“ Er wollte ihr den Hörer geben, überlegte es sich jedoch. „Ach was, ich mach’s selber. Jetzt hau schon ab und spring in deine Klamotten. Der Wagen wird gleich da sein.“

Die Frau wollte immer noch nicht klein beigeben, doch ein grimmiger Blick Finns verschloss ihr den Mund. Sie schnappte das Geld und trollte sich. Um ihm zu zeigen, was er verpasste, hob sie im Hinausgehen das Hemd und zeigte ihr attraktives Hinterteil.

„Miststück“, knurrte Finn wider Willen beeindruckt, „man sollte dir … Er kam nicht mehr dazu auszusprechen, was man sollte, denn nun meldete sich der Taxidienst, so dass er seine Bestellung aufgeben konnte. Dann forderte er die Blonde durch die offen gebliebene Tür nochmals auf, sich zu beeilen, und zog sich selber an.

Zehn Minuten später war sie aus dem Haus, und Finn fragte sich, wie es weitergehen sollte. Er hatte keine Vorstellung, wo sich Hacke aufhielt: Da sein Kumpel das geklaute Auto dabei hatte, konnte er sonst wo sein. Wenn er allerdings von seiner Mutter aus angerufen hätte, wäre er inzwischen längst hier, mit dem Wagen brauchte man höchstens eine halbe Stunde.

Wo treibt sich dieser Mistkerl bloß herum, überlegte Finn. Als wir uns das letzte Mal sahen, tat er einigermaßen geheimnisvoll, aber ich hab nicht nachgehakt, hatte zu viel anderes im Kopf.

Erneut wählte er Hackes Nummer, doch genauso vergeblich wie vorher. Dann eben nicht, sagte er sich wütend, du willst mich unter Druck setzen, ich soll auf dich warten und zittern. Aber warum eigentlich, ich bin es ja nicht, der die Leiche im Kofferraum herumfährt. Ich sollte einfach den Bullen Bescheid geben. Sie würden dich hier erwarten, und dann erklär mal, wie du zu der Toten gekommen bist.

Dass es sich um Rendy handelte, berührte ihn durchaus, aber im Gegensatz zu Hacke hatte er sich nicht in dieses hübsche Mädchen verknallt, sie nur für kurze Zeit „übernommen“. So rechtfertigte er jedenfalls seine eher schwache Anteilnahme an ihrem Ableben vor sich. An jenem Abend nämlich, als sich die Schöne mit dem Kumpel zerstritten hatte, war sie völlig durch den Wind gewesen, und er hatte sie getröstet. Sie war nicht gleich mit ihm in die Kiste gegangen, aber später hatte er dann mit ihr geschlafen. Rendy hatte die Liaison vielleicht nicht unbedingt herbeigesehnt, aber es war eben passiert. Finn konnte manchmal sehr charmant sein. Dabei fühlte er sich gebauchpinselt, denn sie war schick, machte mehr her als die meisten in den Bars. Allerdings war sie auch störrisch, immer sollte es nach ihren Vorstellungen gehen. Deshalb hielt die Beziehung nicht lange, bei ihren Streitereien waren die Fetzen geflogen. Dass Rendy das passieren musste, ist zwar furchtbar, sagte sich Finn jetzt, aber bei ihrem Männerverschleiß könnte man es fast logisch nennen. Und im Grunde passte sie weder zu Hacke noch zu mir, sie war viel zu eingebildet.

Natürlich würde er die Bullen nicht anrufen, es war viel besser, die Sache in aller Stille und ohne Aufgeregtheit zu Ende zu bringen. Sollte Hacke ruhig kommen. Wenn er sich einigermaßen vernünftig verhielt, würden sie eine Lösung finden.

Aber Hacke traf nicht ein, und Paul Findeisen wurde wieder von Unruhe gepackt. Wenn er die Sache, die ihm nun doch an die Nieren ging, wenigstens mit jemandem besprechen könnte! Er überlegte, was er tun könnte, und ihm fiel Hackes Mutter ein. Vielleicht wusste sie, wo ihr Sohn steckte. Aber sollte er sie um drei Uhr nachts aus dem Schlaf holen? Ach was, die Frau wird’s verkraften, dachte er und wählte. Nervös trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte, während unendlich lange das Freizeichen ertönte. Als schließlich doch noch abgehoben wurde, war freilich nur hastiges Atmen zu hören.

„Frau Hackmann?“, fragte Finn. „Sind Sie das? Ich störe nur ungern …“, er wollte weitersprechen, doch da wurde wieder aufgelegt.

Sie war also da, hatte aber keine Lust, ein nächtliches Gespräch zu führen. Finn konnte die Frau verstehen, doch kam er ohne sie nicht weiter. Ich versuch’s trotzdem noch mal, sagte er sich.

Diesmal musste er noch länger warten, bis der Hörer abgenommen wurde. Um Hackes Mutter am Telefon festzuhalten, begann er schnell: „Entschuldigen Sie bitte, dass ich so aufdringlich bin, Frau …“

Eine Männerstimme schnitt ihm jäh das Wort ab. „Wer bist du, und was willst du um diese Zeit?“

Hatte Hackes Mutter Gäste? Sich vielleicht einen Kerl angelacht? Ausgeschlossen war es nicht, mit Ende Fünfzig sah sie noch recht passabel aus, und als Kellnerin schloss man schnell mal Bekanntschaft. Doch warum reagierte der so grob? Der späten Stunde wegen oder weil er besoffen war?

Finn erwiderte höflich: „Tut mir leid, das kann ich nur Frau Hackmann selber sagen.“