Das unfassbare Leben des Hansi L. - Ingeborg Treml - E-Book

Das unfassbare Leben des Hansi L. E-Book

Ingeborg Treml

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Beschreibung

Hansi L. erzählt sein schillerndes, facettenreiches Leben: die Abenteuer seiner Kindheit auf dem Lande, die Ausbildung zum Koch, zwölf wilde Jahre bei der Seefahrt und die Zeit als Gastwirt verschiedener Häuser in Österreich. 'Sex and Crime' gehören ebenso dazu wie eine schwere Erkrankung, nach der er sich Schritt für Schritt in ein relativ normales Leben zurückkämpft.

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Manche Lebenslinien verlaufen einigermaßen gerade, andere gleichen einer Achterbahnfahrt. Mein Leben gehört definitiv zur letzten Kategorie.

Vorwort

Nach dem Tod und dem Begräbnis meiner Frau meinte mein Stiefsohn, ich sollte nicht lange allein bleiben, denn diese Leute würden schnell komisch. Also meldete ich mich bei einem Dating Portal an und absolvierte in ca. drei Monaten halbherzig vier dates. Allesamt entsprachen nicht meinen Erwartungen – wahrscheinlich suchte ich eine zweite Eva.

Als ich in der PNP etwas in den Kleinanzeigen suchte, stolperte ich über eine außergewöhnliche Anzeige. Eine Frau Ende 60, die sich Raumschiff nannte, suchte einen Captain Kirk im Weltall. Ich rief sie an, und sie war bereit, sich mit mir in einer niederbayrischen Kleinstadt zu treffen. Wie der Teufel es wollte, hatte das Lokal, das unser Treffpunkt war, Ruhetag. Ok. Also setzte ich mich auf eine Bank in der Nähe und harrte der Dinge. Kurze Zeit später schlenderte eine Frau an den Schaufenstern vorbei, und ich wusste sofort: das ist sie.

Ich denke: Wird sie mich ansprechen? Tatsächlich, sie fragt, „Warten Sie auf jemanden?“ „Ja, genau.“ Und schon war das Eis gebrochen. Wir suchten zum Mittagessen ein griechisches Lokal auf, das gleich nebenan war. Es folgte ein herrliches Gespräch. Sie erzählte mir, sie verreise gerne und würde auch Berichte darüber verfassen, die ihre Freunde und Bekannten mit Begeisterung lesen würden.

Vor dem Essen wurde uns ein Ouzo serviert. Sie erzählte sehr lebhaft und stieß dabei das volle Gläschen um. Es ergoss sich über den Tisch. Sie musste lachen und bedankte sich beim Kellner für das neue, das der ihr brachte. Von diesem Zeitpunkt an war mir diese Frau absolut sympathisch.

Als ich einen ihrer Reiseberichte gelesen hatte, kam mir eine Idee. „Warum schreibst Du nicht meine Lebensgeschichte?“ fragte ich sie. Ihre Antwort: „So was habe ich noch nie gemacht, aber ich könnte es versuchen – Schreiben ist mein Ding. Ich weiß nur nicht, ob das, was ich schreibe, Dir gefällt.“ Gesagt, getan. Ab diesem Zeitpunkt trafen wir uns alle paar Tage: ich erzählte, sie hörte zu und machte sich handschriftliche Notizen, die sie dann in den PC eintippte und mir zur Durchsicht schickte. Ich war begeistert. Ihre Freunde und auch ich waren verblüfft, mit welcher Energie sie an die Sache ranging. Und das vorliegende Werk ist dabei herausgekommen: der Bericht über ein pralles Leben, das unverblümt dargestellt wird und seinesgleichen sucht.

Ich bin dieser Frau unsagbar dankbar dafür, dass sie meinem Herzenswunsch nachgekommen ist und diese außergewöhnliche Lebensgeschichte zu Papier gebracht hat.

Hansi L.

Meine Mutter hatte mit der Familie gerade Gemüse auf dem Feld angepflanzt, als ihr gegen Mittag schlecht wurde und sie sich zuhause kurz hinlegen wollte. Als die Übelkeit zunahm, merkte sie, dass offenbar ihr viertes Kind vorschnell diese Welt kennenlernen wollte und schickte den Vater zur Nachbarin, da ihr diese bei der Geburt beistehen sollte. Im Grunde war ich ihr fünftes Kind, denn die ersten waren Zwillingsbuben gewesen, von denen der eine die Geburt nicht überlebte, meine ältere Schwester war die zweite, bevor wieder ein Junge kam, der nach ein paar Tagen in den Armen meiner Mutter starb, obwohl sie vorher noch mit ihm beim Arzt gewesen war. Dieser hatte sie mit den Worten: „Dem Kind fehlt nichts“ nach Hause geschickt.

Dann kam also ich. Aus ihren Erzählungen weiß ich, dass ich ein braver Säugling war, der sich allerdings intensiv für die Umgebung interessierte. Auch im Mutterleib soll ich schon lebhaft rumort haben.

Einige Jahre später brachte Mutter noch einmal ein Mädchen zur Welt, welches sie als „Unfall“ bezeichnete. Sie glaubte sich bereits im Wechsel, aber wer hätte die Frauen damals schon aufgeklärt?

Mein Vater war sehr streng: für ihn war Disziplin das A und O, und dementsprechend hat er uns Kinder erzogen - mit Drill und Schlägen, teils mit dem Gürtel, teils mit einem Kälberstrick, den er für den jeweiligen „Sünder“ auf einer Bank (der „Oma“-Bank, wie wir sie nannten) vor dem Haus zurechtlegte. Er hat uns nie gelobt, nie umarmt, er hat uns lediglich akzeptiert. Sein Wahlspruch Nummer 1 war: „Müde wirst du nicht vom Arbeiten, sondern vom vielen Fressen.“ Und Nummer 2: „Meine Hand biegt mir keiner, und wer sie biegt, der ist kein Kleiner.“

Die Mutter hätte zwar ihr letztes Hemd für uns Kinder geopfert, aber auch sie ging sparsam um mit Liebesbezeugungen und meinte, ihre Kinder mehr erziehen als lieben zu müssen.

Ihr Motto: „Mutter erfährt immer, was du gemacht hast.“

Mein Vater ist 1914 geboren worden, er hat quasi zwei Weltkriege miterlebt, hat als Knecht bei einem Bauern hart arbeiten müssen und ein karges, einfaches Leben geführt. Er war sparsam, fleißig und hat seine Kinder nach diesem Muster erzogen, das mehr aus Härte als aus gezeigter Zuneigung bestand.

Meine Mutter hatte im Vergleich dazu ein besseres Leben, ihr Vater verdiente gut als Bergmann und später als Brauerei-Arbeiter.

Im österreichischen Altenkirchen an der Klöva hatten wir eine kleine Landwirtschaft mit Enten und Hühnern, zwei Schweinen und drei Kühen. Einen Hund Rolfi gab es auch.

Mit meinen Geschwistern habe ich mich gut verstanden – trotzdem war ich jahrelang ein Bettnässer. Als meine Mutter mit einem Nachbarn darüber sprach, meinte der: „Schick ihn doch ein paar Tage in eine andere Familie, dann hört das bestimmt auf.“ Als ein weitschichtig verwandtes Ehepaar zu Besuch ist, spricht die Mutter das Thema an, und beide sind bereit, mich eine Woche zu sich zu nehmen. Onkel Ferdi will mir gleich das Schwimmen beibringen und geht täglich mit mir in das Salzburger Schwimmbad, wo ich, mit Schwimmflügelchen bewaffnet, versuche, das Wasser zu beherrschen. Dann nimmt er mir die Flügel ab und geht mit seinem Spazierstock am Beckenrand neben mir her; wenn ich untertauche oder Wasser schlucke und pruste, holt er mich mit dem Gehstock wieder aus der Tiefe. So konnte ich nach einer Woche tatsächlich schwimmen – und ins Bett gemacht habe ich auch nicht mehr.

Relativ schnell geriet unsere Gegend in den Sog des Fremdenverkehrs, und so beschloss mein Vater, drei Zimmer für Feriengäste herzurichten und „Urlaub auf dem Bauernhof“ anzubieten. Das lief sehr gut. Allerdings musste ich dafür in der „Selchkammer“ schlafen, die weiterhin als solche genutzt wurde. So hingen über mir und meinem Bett die Stücke Geräuchertes und verströmten ihr Aroma ins Zimmer – und auf mich. Kein Wunder, dass der Lehrer öfter an mir schnupperte und sagte: „Habt ihr schon wieder ein Lagerfeuer gemacht?“ Eigentlich roch ich immer wie ein Stück Geselchtes – der Geruch war nicht wegzubringen. Das Zimmerchen bot auch noch andere „Annehmlichkeiten“: die Doppelfenster waren alt und dichteten so wenig ab, dass ich bei Ostwind im Winter zähneklappernd im Bett lag und am Morgen eine Schneeschicht auf dem „Tuchent“ vorfand. Unsere Katze, die Minki, kratzte oft von außen am Fenster, und wenn ich ihr öffnete (was schwierig genug war bei dem verzogenen Holz), sauste sie blitzschnell unter meine Bettdecke – so haben wir uns gegenseitig gewärmt, oder ich bekam in Stoff eingewickelte Ziegelsteine ins Bett, die im Ofen heiß gemacht worden waren.

Außer Räuchern wurde auf dem Hof auch gebuttert – ich sehe heute noch die Oma vor mir, wie sie sich fingerdick die ranzige, stinkende Butter auf das Brot schmiert. Das hätte ich im Leben nicht essen können.

Mit fünf Jahren wurde ich schon eingeschult, ich war sozusagen ein „Früh-Zünder“ - durch mein reges Interesse an allem, was mich umgab, war ich bereits als Kind das, was man „flügge“ nennen könnte. Mutter hat unsere Freiheit nicht eingeschränkt, und so half ich schon in diesem Alter beim benachbarten Bauern mit. Seine Tochter, die Traudl, war ein Jahr jünger als ich und meine Freundin - auch sie hatten einen Hund, der hieß Tasso; das war ein Wolfshund.

Als wieder einmal Jauche ausgefahren werden musste, saßen der Bauer und ich auf dem Kutschbock hinter dem Pferd. Es scheut plötzlich, und ich falle rückwärts vom Bock und zwischen die Räder des Karrens; die Jauche schwappt über mich. Schon damals hatte ich Glück, dass nur der Odel und nicht die Räder über mich gekommen sind. Als ich nach Hause kam, meinte Mutter, ich sei in die Jauchegrube gefallen – und so stank ich einmal nicht nach Geselchtem, sondern nach Schlimmerem.

Das nächste Unglück nahte schon: die Nachbarsbäuerin klagte darüber, dass ihre Hühner die Eier überall in Hof und Scheune ablegten, daher suchten Traudl und ich nach Nestern, unter anderem auch auf dem Heuboden. Der Bauer hatte uns aber x-mal gewarnt, da nicht herumzukrabbeln, weil es gefährlich war. Ich entdecke ein Nest mit zehn Eiern und schreie noch voller Freude auf, als es kracht, und ich sechs bis sieben Meter tief durch den Heuboden stürze, direkt auf den Betonboden hinunter, wo gerade der Bauer zugange ist. Mit dem Hinterkopf knalle ich gegen die Riemenscheibe eines Motors und schlitze mir die Kopfhaut auf. Es blutet wie Sau. Der Bauer ist völlig verdattert und kann zunächst nicht reagieren. Ich sehe ihn, fürchte mich vor seiner Schimpfkanonade, springe auf und bin wie ein geölter Blitz draußen zum Scheunentor. Dabei hatte er mir nur helfen wollen.

Die Traudl war eine besondere Nummer: sie trug immer Stiefel. Die hatte sie noch dazu stets verkehrt herum an, der linke saß auf dem rechten Fuß und umgekehrt. Egal, wie oft man es ihr zeigte, am nächsten Tag waren sie wieder auf dem falschen Fuß. Eine Unterhose trug sie meistens nicht.

So saß ich eines Tages im Leiterwagen hinter dem Hoftor, als Traudl daherkam, und ihr Anblick mich auf eine Idee brachte: „Zeig mir doch mal, wie es bei dir untenrum aussieht.“ Sie war gleich dabei: „Dann lass uns Doktor spielen.“ Das taten wir dann auch ein paar Mal.

Im Nachbarweiler lebte ein großer, bulliger Mann namens Toni, der zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alt war; er hatte den schwarzen Gürtel in Karate und war Judomeister. Seine Muskelpakete waren beeindruckend; von Beruf war er Brauer. Er engagierte sich sehr in der Jugendarbeit und gab in der Turnhalle Unterricht in Selbstverteidigung für die kleinen Buben und Mädchen. Toni machte das ehrenamtlich und organisierte immer wieder auch Gemeinschaftserlebnisse wie Kartoffelklauben nach der Ernte mit Lagerfeuer, um sie darüber zu braten. Dazu zog er meist noch einen Leckerbissen aus seinem Rucksack wie Würstchen oder einen frischen Laib Brot. Wir liebten diese Abwechslung, und es hat sich auch positiv auf uns alle ausgewirkt. Ab der Hauptschule riss mein Kontakt zu ihm ab.

Als ich nach einigen Jahren wieder mal nach Hause kam, fragte mich meine Mutter,ob ich mich noch an den Toni erinnerte.

„Ja, selbstverständlich.“ „Stell dir vor, der hat mit über dreißig Jahren angefangen, Theologie zu studieren und ist katholischer Priester geworden.“ Da war ich platt. Ich erinnere mich gern an die Zeit mit ihm zurück; wir Kinder waren damals erst vier/ fünf Jahre alt.

Das Highlight des Bauernjahres war die Zeit des Dreschens: wenn der Mähdrescher auf den Hof kam, wurde nach getaner Arbeit gesoffen, was das Zeug hielt. Wir Kinder machten uns über die „Noagerl“ (Reste) in den Gläsern her und rauchten auch schon den ein oder anderen Zigaretten- oder Zigarrenstummel.

In unserem Dorf gab es ein Armenhaus für die alten Leute, die keine Verwandten hatten, die für sie sorgen konnten. Auf einer Bank davor saß stets der „Auinger“, ein kleiner Mann in den Achtzigern mit einem Kugelbauch, der immer sein Pfeifchen schmauchte. „Pfeifchen“ – was sag ich? Es war ein Kaliber von Porzellanpfeife, deren Schornstein fast immer qualmte. Wir, mein Freund Max und ich, setzten uns gern zu ihm auf die Bank, weil wir fasziniert waren von seinen Geschichten. Der Mann hatte beide Weltkriege miterlebt: den ersten als Soldat in Frankreich, den zweiten im Volkssturm. Er erzählte gern, und wir hörten ihm mit offenem Mund zu: es war – wie man heute sagen würde – eine win-win-Situation. Einmal meinte er: „Na, wollt ihr mal an der Pfeife ziehen?“ Ich versuchte es. „Nicht hineinblasen! Nimm einen ordentlichen Zug und inhalier den Rauch.“ Ich zog kräftig und gab die Pfeife an Max weiter. Innerhalb von wenigen Minuten bekam ich ein Grummeln im Bauch und rannte los. Ein WC war nicht in der Nähe; also gings schnurstracks hinter die Scheune. Ich schaffte es gerade noch, meine Hose runter zu ziehen, dann konnte ich aus drei Metern Entfernung „in die Flasche scheißen“. Max fegte kurz danach um die Ecke und schloss sich mir an. Da hockten wir nun in trauter Einheit und entleerten unseren Darm – den ganzen Tag war uns hundeelend. Als wir zum Auinger zurückkamen, meinte der augenzwinkernd: „Na, habt ihr euch am Donnerbalken festgehalten?“ Dass er uns durch diese Aktion vom Rauchen fernhalten wollte, wurde uns erst viel später klar. Eine lange Zeit hat dieses Erlebnis nachgewirkt, aber irgendwann kamen wir trotzdem zum Tabak. Eines Tages war der Auinger dann verschwunden, und es hieß, er sei gestorben. Das machte uns sehr traurig, denn er war für uns wie ein Opa gewesen.

Eines Tages wurde mein Vater krank, er hatte den ganzen Körper voller eitriger Pusteln. Als nichts half, musste er in die Stadt ins Krankenhaus. Meine Mutter wollte ihn zusammen mit mir besuchen. Sie nahm das Moped und fuhr mit mir zur Bahnstation; dann gings weiter mit dem Zug. Ich durfte nicht mit ins Krankenzimmer, sondern wurde im Kinderhort abgegeben, bis sie mich abholte.

Plötzlich setzt sich eins der anderen Kinder, ein Mädchen, auf meinen Schoß, und ich merke, dass es ein angenehmes Gefühl ist – ich hatte einen „steifen“, wusste aber damals mit ca. sieben Jahren noch nicht, wie mir geschah. Ich weiß nur noch, dass ich das Mädchen am liebsten nicht mehr herunterlassen wollte.

Bei der Zugfahrt zurück wurde es Nacht, es war mitten im Winter; der Regen war auf dem Boden gefroren, und es war spiegelglatt. Meine Mutter konnte das Moped nur schieben; mit der anderen Hand hielt sie mich eisern fest, als wir über die Brücke des Flusses mussten, der tosend unter uns hinweg floss. Sie wusste, wenn sie mich losließ, würde ich unweigerlich von den Fluten mitgerissen werden. Als sie stürzt, falle ich auch hin, denn sie lässt meine Hand nicht los. Sie sieht ein, dass wir so nicht über die Brücke kommen und kriecht zurück. Sie zieht ihren Mantel aus, legt die Strickweste ab, die sie darunter trägt, und zerreißt diese in mehrere Fetzen, die sie uns um die Füße wickelt; so schaffen wir es, hinüber zu kommen.

Als wir das nächste Mal den Vater besuchen wollen, beschließt sie, dass wir die vier Kilometer zur Bahnstation zu Fuß gehen und nicht das Moped nehmen. Davor hat sie mich richtig „fein“ gemacht, ich trage einen Anzug und sehe super aus. Das Gehen auf der Landstraße wird mir aber bald zu langweilig; daneben ist ein Graben, der mit einer Eisschicht überzogen ist. Da muss ich drauf. Meine Mutter schreit noch: „Nein!“, da bin ich auch schon eingebrochen und stehe bis zur Hüfte in der sprichwörtlichen Scheiße, denn es ist ein Abflussgraben. Es ist immer noch Winter, und an ein Mitnehmen des völlig verschmutzten Knaben ist nicht zu denken. So verfrachtet sie mich kurzerhand zum nächst gelegenen Bauern, dessen Frau sich um mich kümmert: mich säubert, mir Sachen ihrer Kinder anzieht, meine triefenden Klamotten wäscht und über dem Ofen trocknet. Mutter fährt in die Stadt und geht ins Krankenhaus, wo der Vater natürlich gleich nach dem Sohn fragt. Nachdem sie ihm die Geschichte erzählt hat, meint er nur: „Wenn ich nach Hause komme ….“

Als Mutter mich von der Bäuerin abholt, sagt diese zu ihr: „Nun ist es aber genug, du brauchst nicht noch weiter mit ihm zu schimpfen.“ Die Hose, die mir übergezogen wird, ist noch leicht feucht, und es ist bestimmt kein Vergnügen, im Winter damit mehrere Kilometer zu laufen.

Nach ca. sechs Wochen wird der Vater ungeheilt aus dem Krankenhaus entlassen. Sie konnten ihm nicht helfen. Das machte Vater so wütend, dass er beschloss, eine Rosskur an sich vorzunehmen. Er bestrich alle Eiterpusteln mit Jod - diejenigen, die er nicht erreichen konnte, musste die Mutter „behandeln“. Ich erinnere mich, dass er oft vor Schmerzen schrie, aber nach einigen Tagen war das Ekzem verschwunden.

Gelegentlich kam es vor, dass mein Vater mich auf dem Sozius des Mopeds mitnahm, um im Wald Pilze zu suchen. Dadurch lernte ich beizeiten, sie auseinanderzuhalten. An einem schönen Sonntagmorgen war es wieder so weit, ich war vielleicht sieben Jahre alt. Wir gingen durch einen Hohlweg, es war noch ziemlich früh. Auf einmal sieht er einen Steinpilz an der Böschung, er nimmt sein Messer heraus und greift nach dem Stiel des Schwammerls. Plötzlich schreit er auf, springt zurück, guckt auf seine Hand und sagt: „Jetzt hat mich eine Kreuzotter gebissen.“ Ich sehe gerade noch, wie die Schlange sich davon ringelt. Sofort schneidet mein Vater die Bisswunde kreuzförmig auf, saugt die Stelle aus und spuckt das Gemisch aus. Daraufhin sind wir sofort nach Hause.

Er meinte, es wäre nicht tragisch, aber gegen Abend bekam er Fieber und Schüttelfrost. Meine Mutter wollte schon den Krankenwagen rufen, aber Vater war dagegen. Außerdem gab es damals nicht überall ein Telefon, sie hätte zwei Kilometer zum Wirtshaus laufen müssen, um an eins zu kommen. Die folgende Nacht muss schlimm für ihn gewesen sein, aber zwei Tage später ging es ihm dann wieder besser.

Als Kinder machten wir alles, was es so an Vergnügungen gab: wir bastelten Drachen und ließen sie steigen, im Winter fuhren wir Ski und bauten eine Sprungschanze, und im Sommer gingen wir oft zur Pferdeweide, wo Haflinger und Shetland Ponys einträchtig grasten. Ein Shetland Pony hatte es mir besonders angetan, ein Schecke; ich ritt immer ohne Sattel oder Decke auf ihm. Wir machten Indianerspiele - teilweise mit den Pferden - und so bildeten sich allmählich Gemeinde-übergreifende „Banden“ heraus – es gab Kinder, mit denen man sich verstand, und andere, die man nicht leiden konnte.

Wir sind immer im Nachbardorf Ski gefahren, wo wir auch eine Sprungschanze gebaut haben, denn dafür hatte unser Dorf nicht die geeigneten Hänge. Dort war allerdings eine feindliche Bande beheimatet, die sich mit Wasser eine Eisbahn gebaut hatte. Als ich allein auf dem Heimweg mit meinen Skiern daran vorbeigehe, werde ich plötzlich mit Schneebällen beworfen, dann sogar mit Steinen. Die Übeltäter sind zwei Jungs und ein Mädchen. Da lege ich die Skier weg, steige über den Zaun und zerhacke mit einem Eisstock die Bahn. Ich drohe in die Richtung der anderen und zeige, dass ich damit zuschlagen würde, wenn sie über mich herfallen wollten. Dann gehe ich nach Hause.

Als wir beim Abendessen sitzen, klopft es an der Tür. Mutter öffnet, und da hören wir eine Stimme sagen: „Ist Gustl (mein Vater) da?“ „Ja.“ Da kommt der Vater eines dieser Jungen in die Küche und sieht mich: „Ah, da ist ja der Übeltäter.“ Vater fragt: „Was ist los?“ „Der da hat grundlos die Eisbahn zerpflügt.“ Augenblicklich dreht sich mein Vater zu mir um und haut mir sofort mehrere Watschen herunter. Der andere lacht hämisch.

Dass ich geohrfeigt wurde, ohne dass mein Vater auch nur einmal gefragt hat, ob das wahr ist, das habe ich ihm bis heute nicht verziehen.

Im Unterricht hatten wir eine Super-Lehrerin, das Frl. Arminger. Es war Winter, und sie stand mit dem Rücken am warmen Kachelofen, als sie beim Sprechen plötzlich die Augen verdrehte und umfiel. Alle Schüler waren in Schockstarre, keiner wusste, was zu tun war – keiner? Ich, der kleine Hansi, rannte die Treppe hinunter zum Schuldirektor und riss die Tür auf. Der untersetzte, korpulente Mann schaute mich über seine überdimensionale Hornbrille stinksauer an, was mir da einfiel, ihn einfach zu stören, aber als ich was von ‚Hilfe – Frl. Arminger‘ stammelte, erfasste er die Situation und eilte – so schnell er eben konnte – die Treppe mit mir hinauf. Er konnte sie wiederbeleben, und der gerufene Notarzt lobte meine Umsichtigkeit, denn ohne dieses schnelle Eingreifen hätte sie seiner Meinung nach nicht überlebt. Es handelte sich wohl um ein Blutgerinnsel.

Unser Klassenlehrer, Herr Birgmann, dagegen, hatte viel von einem Sadisten. Er war im Krieg als Aufseher im KZ gewesen und hatte die Angewohnheit, bestimmte männliche Schüler mit „Nachsitzen“ zu bestrafen. Während er Schularbeiten korrigierte, mussten die armen Buben mit dem Gesicht zur Wand stehen und beide Hände heben; darauf wurde ihnen ein schweres, eisernes Lineal gepackt, das sie nicht etwa nur fünf oder zehn Minuten, nein, eine halbe Stunde lang hochhalten mussten. Sobald er sah, dass einer in die Knie ging bzw. die Hände sinken ließ, trat er hinzu und hob die Arme des Kindes auf die „richtige“ Höhe bzw. packte ihm noch ein zweites oder drittes Eisenstück drauf. Er vollzog auch andere Strafen: z. B. mussten die Kinder eine halbe Stunde lang hüpfen wie die Häschen oder ebenso lang übereinander Bock springen. Mädchen ließ er nie nachsitzen, nur die fünf oder sechs Jungen, die er auf dem Kieker hatte.

Eines Tages ging Max, ein Musterschüler – sowohl vom Benehmen als auch vom Wissen her – der mein Freund war und mich immer abschreiben ließ, an meinem Elternhaus vorbei, wo mein Vater gerade mit der Kreissäge arbeitete und sich kurz zuvor in den Daumen geschnitten hatte. Diesen hatte er mit einem Handtuch umwickelt und einfach weitergearbeitet. Er fragte also Max: „Wo ist denn der Hansi?“ „Der muss wieder einmal nachsitzen“, war die Antwort. Dieses viele Nachsitzen kam meinem Vater spanisch vor, und so packte er das Moped und fuhr schnurstracks zur Schule. Er klopft an die Tür, Herr Birgmann ruft mit tiefer Stimme „herein“, und die Tür öffnet sich. Aus den Augenwinkeln erkenne ich meinen Vater. Als er uns aufgereiht an der Wand stehen sieht mit erhobenen Händen, die mit schweren Eisenstangen beladen sind, gehen ihm fast die Augen über. Er brüllt: „Was ist das denn?“ Ich kannte diesen Blick in seinen Augen: so schaute er immer, wenn er fünf Sekunden später explodierte. Bevor Birgmann einen Ton hervorbringt, drischt Vater mit der Faust auf den Katheder, wobei die Wunde wieder aufplatzt, und das Blut übers Pult und den Lehrer spritzt.

Ich lasse meine Arme sinken und sage zu meinen Kameraden: „Passt mal auf, jetzt gibt’s gleich tüchtig Haue.“ Und gebannt ergötzen wir uns an dieser absurden Situation. Bei meinen Leidensgenossen erkenne ich ein hämisches Grinsen im Gesicht nach dem Motto: „Jetzt kriegt dieser verhasste Lehrer mal richtig sein Fett weg.“

Der Feigling Birgmann sieht sein letztes Stündlein gekommen und springt auf. Mein Vater jagt diesen Sklaventreiber gnadenlos um das Pult herum, Hefte fliegen durch die Luft, Vater beschimpft ihn mit einem Schwall böser Worte, bis der Kinderpeiniger schließlich den Weg auf den Flur findet und laut um Hilfe ruft. Durch den Kampfeslärm alarmiert taucht der Direktor auf und versucht, die Situation zu entschärfen.

Inzwischen sind Herr Birgmann und das Klassenzimmer voller Blut, und jeder, der den Lehrer sieht, meint natürlich, mein Vater hätte ihn blutig geschlagen. Das führte sogar zu einer Notiz in der Lokalzeitung, aber es ließ sich beweisen, dass dem Pädagogen kein Härchen gekrümmt worden war. Kurz danach verschwand Lehrer Birgmann und ward nie mehr gesehen. Dafür bekamen wir einen neuen Magister, der keine sadistischen Anwandlungen hatte.

Ich kann nur sagen, dass ich bei dieser „Aktion“ richtig stolz auf meinen Vater war, was eigentlich nur selten vorkam.

Eines Tages schlenderten Max und ich so durch die Gegend, als wir am Waldrand zum Haus der Hedi kamen, die als Hexe im Dorf verschrien war. Sie lebte allein mit ihren Tieren, nämlich Ziegen, Hühnern, Schweinen und Kühen darin, ja, sie wohnte buchstäblich mit den Tieren zusammen. Kein Wunder, dass die Frau stank wie die Pestilenz persönlich, weshalb sie auch von allen Dorfbewohnern gemieden wurde. Max und ich kamen auf die glorreiche Idee, sie zu ärgern; wir packten ein paar Steine und warfen ihr mehrere Fensterscheiben ein. Danach rannten wir davon, ein Nachbar hatte uns aber gesehen, und als sie ihm ihr Leid klagte von den kaputten Scheiben, zählte er eins und eins zusammen und ging zu meinem Vater, um ihm von der Schandtat seines Sohnes zu berichten. Die erste Folge war natürlich, dass wir ordentlich Senge bekamen - auch Max kam nicht ungeschoren davon - dann kitteten die beiden Väter neue Scheiben in die Fenster ein, und als letztes folgte die für uns Jungs schlimmste Strafe: wir sollten uns bei der „Hexe“ entschuldigen. Danach war für alle die Tat „gesühnt“ - eine Anzeige bei der Polizei brauchte es nicht, man regelte solche Dinge unter sich.

Die Mädchen unserer Schule hatten eine Sparbüchse in Form einer Porzellan-Katze angelegt, in die sie ab und zu ein paar Schillinge oder Groschen warfen, mit denen sie irgendwann dem beliebten Fräulein Arminger ein Geschenk machen wollten. Eines Tages war diese Kasse verschwunden – und wer wurde verdächtigt, sie gestohlen zu haben? Ich natürlich, weil ich immer ein Rabauke war. Aber ich schwöre bei meinem Leben, dass ich nichts damit zu tun hatte. Der Vorfall wurde leider nie aufgeklärt.

Als Religionslehrer hatten wir den örtlichen Pfarrer, Herrn Thiele. Vor der Firmung fand eine schriftliche Prüfung statt, die er korrigierte; Ergebnis: ich wurde als einziger nicht zur Firmung zugelassen. Ich war ratlos, aber dann sagte er plötzlich: „Es gibt noch eine letzte Möglichkeit - du kommst zur mündlichen Prüfung ins Pfarrhaus.“

Ich gehe hin und beantworte die Fragen, so gut ich kann, dann muss er plötzlich auf die Toilette, die vom Büro aus sichtbar ist, und schließt die Tür nicht. Während er mir weiter Fragen stellt, holt er sich vor meinen Augen einen runter und stöhnt dabei wie ein Affe. Mir ist klar, dass da etwas nicht richtig ist. Als der Pfarrer zu seinem Schreibtisch zurückgeht, zieht er provozierend den Reißverschluss seiner Hose hoch und meint: „So, Hansi, was machen wir jetzt mit dir?“ Ich werde so wütend, dass ich die Bücher packe, die in Stapeln auf dem Tisch liegen und sie ihm entgegen schleudere. Dann renne ich davon und verstecke mich. Nach einiger Zeit gehe ich nach Hause und treffe dort meine Mutter, die mich nur ansieht und dann fragt, was los ist. „Nichts“. Ich gehe sofort auf mein Zimmer. Sie merkt, dass etwas vorgefallen sein muss, dass ich irgendwie verändert bin, bohrt aber nicht weiter nach.

In der letzten Religionsstunde vor der Firmung wirft der Pfarrer mir einen Schein hin, der meine Zulassung zum Sakrament ausweist.

Ein Bauer aus dem Dorf versorgte meine Eltern mit billigem Brennholz, denn bei uns wurde vorwiegend mit Holz geheizt. Eines Tages fragt er sie, ob sie nicht bereit wären, ihm beim Pflanzen von Fichten-Setzlingen zu helfen. Natürlich waren sie einverstanden. Bei der Brotzeit kam die Rede auf meine bevorstehende Firmung, und dass sie einen Firmpaten für mich suchten, da der „Auserkorene“, ein entfernter Verwandter von uns, im Knast saß. Er hatte seine Frau in flagranti mit einem Nebenbuhler erwischt und den Mann erschossen. Durch die Kürze der Zeit bis zur Firmung suchte besonders meine Mutter verzweifelt nach einem Ersatz. Da fiel ihr ein, dass der Bauer doch einspringen könnte, und sie bekniete ihn. Erst wollte er nicht, schließlich sagte er aber zu.

Für den Tag der Firmung hat mich meine Mutter mit einem ganz neuen Anzug ausstaffiert und richtig chic gemacht. Mein Pate Hans (die Namensgleichheit ist Zufall) fuhr mit seinem blitzenden Opel Kapitän vor, um mich abzuholen. Was war ich stolz, als ich vorne neben ihm sitzen durfte! Ohne die Begleitung meiner Eltern fuhren wir in die Stiftskirche St. Florian bei Linz – geradezu eine Weltreise für mich jungen Dorfburschen.

Das Firm-Geschenk war, wie damals üblich, eine schöne Uhr mit Lederarmband. Leider hatte ich nicht lange Freude daran, weil sie nicht wasserdicht war; denn als ich das nächste Mal baden ging, „überlebte“ sie es nicht.

Das absolute Highlight aber war das Mittagessen im Gasthaus: er führte mich aus, und ich durfte mir ein wahnsinnig leckeres Schnitzel bestellen. Danach ging es zurück nach Altenkirchen – dieser Tag war rundum gelungen und hat sich bis heute in meine Erinnerung eingebrannt.

Mein Bruder, der neun Jahre älter war als ich, hatte ein Moped, eine Maurersachs (ein blaues Puch Moped) und war dadurch mobil – so konnte er beispielsweise nach Obertauern ins Hotel Edelweiß fahren, wo die Beatles den Film „Help“ drehten. Er nahm mich dorthin mit, obwohl ich erst neun Jahre alt war – dort trafen wir auf kreischende Mädchen, die mit ihren BHs winkten, denn die Band hat sich nur an einem Nachmittag öffentlich gezeigt. Ich war mir dieser „Beatle-mania“ überhaupt nicht bewusst, aber mein Bruder fuhr voll darauf ab.

Daher wollte auch ich mir die Haare nicht mehr schneiden lassen und begann ein fürchterliches Geschrei, sobald meine Mutter auch nur die Schere in die Hand nahm. Ich habe mich standhaft gewehrt, bis meine Eltern es aufgaben, mich zu einem Kurzhaarschnitt zu bewegen. So sah ich schließlich aus wie ein Mädchen.

In der Schule wurden wir Buben ja getrennt von den Mädchen unterrichtet, unser „Herr Lehrer“ hatte die Jungs, seine Frau (dass sie seine Frau war, erfuhr ich erst viel später) hatte die Mädchen im anderen Raum. So nahm er mich eines schönen Tages an die Hand, klopfte an die andere Tür und sagte: „Fräulein, Sie haben eine neue Schülerin bekommen, das ist Johanna“. Sie, die in den Streich eingeweiht war, sagte: „Hallo, Johanna, setz dich dorthin auf den freien Platz neben Susi.“ Die beäugte mich misstrauisch, während das „Fräulein“ mit dem Unterricht fortfuhr. Nach zwei Stunden war der Spuk zu Ende, und ich durfte zurück in meinen Klassenraum. Von da weg bekam ich den Spitznamen Johanna, aber als das Buch „Josefine Mutzenbacher“ und der darauf basierende Sexfilm auftauchte, sagte ein Mädchen „Du bist nicht die Johanna, du bist die Josefine“, woraus mein bleibender Spitzname „Josy“ wurde, unter dem ich heute noch den Dorfbewohnern bekannt bin.

Das Dorfleben wurde stark geprägt von verschiedenen Vereinen: dem Schützenverein, der Feuerwehr, der Musikkapelle, dem Skiclub, den Eisstockschützen usw. Man konnte fast nicht umhin, sich in irgendeinem Verein zu engagieren. Da mein Vater Zither spielte - was er sich selber beigebracht hatte - sollte auch ich dieses Instrument lernen.

Durch den am Ort ansässigen Schuster erfuhr er, dass in der Musikkapelle ein Trommler gesucht wurde, und so lernte ich von dem Mann auch noch das Trommelspielen. Oft kam ich mehrmals in der Woche zu ihm, und während er seine Schusterarbeiten erledigte, musste ich nach Noten trommeln.

Wenn mein Spiel in seinen Ohren falsch klang, klopfte er mit der Ahle den Takt auf dem Notenständer und stauchte mich zusammen. Neben ihm lag immer eine Tüte „Firn-Zuckerl“, in die sich meine Hand des Öfteren verirrte. Am Ende des Unterrichts schaute er auf die Tüte und sagte, „mein lieber Mann, die Tüte hat aber heute wieder Schwindsucht“.

Als ich die Trommel so leidlich beherrschte, brachte er mich zur Musikkapelle, wo er die Pauke schlug. Die Probe war jede Woche am Freitag von 20 – 23 Uhr: ich war damals nicht älter als fünf oder sechs.

Mein erster „Auftritt“, d.h. dass ich offiziell mitspielen durfte, war beim Faschingsumzug, worauf ich mächtig stolz war.

Im Laufe der Jahre hat sich aus dieser Musikkapelle eine Fünf-Mann-Band formiert: zwei Gitarristen, ein Schlagzeuger, ein Tuba-Spieler, ein Sänger; manche beherrschten mehrere Instrumente, z. B. Querflöte, Posaune, Trompete, Klarinette, die je nach dem festlichen Anlass gebraucht wurden. Wir übten fleißig und wurden zu Hochzeiten, Taufen und Geburtstagen engagiert, der Lohn bestand aus freiem Essen und Trinken und ein paar Schillingen. Unser größter Auftritt kam, als wir ins Kolpinghaus eingeladen wurden. Wir haben mehrere Songs gecovert wie z. B. „Let’s dance“ und „The house of the rising sun“. Fritz, unser Sänger, hatte die gleiche Stimme wie Eric Burdon, und als wir dieses Lied zum Besten gaben, konnte man im Saal eine Stecknadel fallen hören.

Der Applaus war überwältigend. Eben dieser Fritz hat später eine Opernsänger-Ausbildung gemacht und begann eine Karriere an der Wiener Oper.

Im Jahr 1967 feierte die Musikkapelle Altenkirchen das 100jährige Jubiläum. Das sollte mit einem dreitägigen Fest von Freitag bis Sonntag gefeiert werden: ein Festumzug, ein Konzert am Dorfplatz, Dekoration im gesamten Ort, und als Highlight sollte eine Big Band namens Swing 71 eingeladen werden. Im Gasthaus spielten abwechselnd die Musikkapelle und die Big Band, und am Schluss beide zusammen. Mit meinen elf Jahren durfte ich neben dem Profi-Schlagzeuger der Band stehen und mitspielen. Der war ganz begeistert von meinem Spiel und sagte, „Du musst das ausbauen, weil du so begabt bist. Ich werde dich fördern.“ Ich war überglücklich, denn das Schlagzeugspielen machte mir viel Spaß, und die Aussicht, einmal in einer so großen Band spielen und die Welt bereisen zu können - ja, das wäre was für Hansi! Zuhause fragte ich meinen Vater: „Kaufst du mir ein Schlagzeug? Ich könnte auf die Musikschule in Linz gehen.“ Mein Vater antwortete: „Du hast wohl einen Vogel. Glaubst du, dass ich mir das Gedröhne Tag für Tag anhöre? Willst du mit den verlausten Typen durch die Welt ziehen? Die kommen mir nicht auf den Hof. Lern erst mal was Gescheites!“ Mutter sagte: „Nein, du wirst Koch, dann hast du immer was zu essen.“ Ich hatte nämlich im Alter von sechs Jahren im Wald Pilze gesammelt und sie dann in Abwesenheit meiner Eltern auf dem Ofen in der Pfanne gebraten. Während ich dabei war, kamen sie nach Hause, meine Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fragte: „Was machst du denn da?“ Sie war ganz verwundert, dass ich den Ofen allein angeheizt hatte und mir selber was kochte, und schon stand für meine Eltern mein künftiger Beruf fest. Und damit war das Thema vom Tisch. Wenn mein Vater „nein“ sagte, gab es keine Diskussion, geschweige denn eine Widerrede.

Was damals auch „in“ war und mich in seinen Bann schlug, waren die Schmöker-Hefte. So war ich verrückt nach Sigurd (der Ritter ohne Furcht und Tadel) und Falk (ein Westernheld).

Leider fehlte mir aber das Geld zum Kauf, denn diese Hefte gab es nur in Verbindung mit einem anderen Einkauf, sie selber waren unverkäuflich (ähnlich wie Lurchis Abenteuer beim Kauf von Salamander-Schuhen).Was blieb also übrig? Klauen - schlicht und einfach. Und so lungerten wir Buben oft im Laden herum, beguckten uns dies und das, und wenn der Ladeninhaber mit einem Kunden beschäftigt war, ließ man ein oder zwei Hefte „mitgehen“. Ich hatte ein besonderes Kleidungsstück: ich ging nur in Gummistiefeln einkaufen, und zwar trug ich die meines Bruders, die mindestens zwei Nummern zu groß waren - da ließ ich die Hefte hineingleiten - und schwupp! weg waren sie. Gelegentlich bekam ich aber auch einen echten Einkaufsauftrag: ich musste einen großen Salzhering für meine Mutter holen, aus dem sie dann Heringssalat für uns alle gemacht hat. Oder ich sollte eine Schachtel C für meinen Vater kaufen; das waren filterlose Zigaretten - bei diesen Gelegenheiten konnte man schon mal etwas abzweigen, wodurch man an ein Schmöker-Heft kam, und durch Tauschgeschäfte gelang es mir, in den Besitz der Nummern 1-100 (durchlaufend) zu kommen. Vor kurzem hörte ich von der Versteigerung verschiedener Nummern dieses Schmökers in New York, wo sie ein Vermögen einbrachten.

Als ich etwa zwölf Jahre alt war, erzählte uns ein Musikerkollege namens Gustl nach der Probe, dass der Vater einer Marketenderin (das war ein Mädchen, das zusammen mit einem anderen im Musikzug an der Spitze marschierte und ein Fässchen Schnaps zum Ausschenken umhängen hatte) auf seinem Bauernhof fast vor Ratten umkäme. Das war das richtige für uns: wir verabredeten mit dem Bauern einen bestimmten Abend, wo wir der Rattenplage Herr werden wollten. Ich stibitzte ein Flobert cal.22 aus dem Waffenschrank meines Vaters, die anderen eine Pistole oder ein Schrotgewehr aus dem Bestand ihres Altvorderen - und so marschieren wir auf den Bauernhof, als ob wir in den Krieg ziehen wollten. Der Bauer lässt einen Anhänger voller Mais auf dem Hof stehen, weil den die Ratten besonders gern fressen. Zunächst einmal dürfen wir uns stärken, es gibt ein paar Biere und eine kräftige Jause. Erst als es richtig dunkel ist, geht es los: der Bauer richtet einen Scheinwerfer auf den Anhänger, die sechs oder sieben Buben stellen sich drumherum auf, alle in Schussposition. Als die Ratten derart geblendet werden, springen sie vom Anhänger, und wir ballern los - ab und zu haben wir eine getroffen, auch die Hofhunde beißen die eine oder andere tot. Als ich meine Munition verschossen habe, wird mir von einem Kumpel eine Ersatzflinte angeboten. Unsere Gruppe teilt sich auf und verfolgt die Viecher. Ich gehe in den Heustadel und höre es plötzlich rascheln: aha, da sind sie! Ich schieße, was das Zeug hält. Als einer das Licht anmacht, sehe ich, was ich angerichtet habe: sechs kleine Katzen habe ich gemeuchelt. Das tut mir in der Seele weh! Der Bauer empfindet es als weniger schlimm, es gab eh zwölf davon!

Herbert hat einen alten Armee-Revolver aus dem 1.Weltkrieg dabei, für den es schon gar keine Munition mehr gibt, nur das, was noch in der Pistole steckt. Im Kuhstall sieht er, wie eine Ratte sich an der Wand verstecken will, ein anderer leuchtet mit der Taschenlampe drauf; Herbert schießt, und ein Querschläger schrammt dem anderen über der Augenbraue entlang – Herbert hat ihm quasi „einen Scheitel gezogen“. Es blutet wie verrückt, und an ein Doktor-holen ist nicht zu denken, so versorgt und verarztet ihn die Bäuerin selbst. Auch unsere Eltern durften nichts von dieser nächtlichen Eskapade mitbekommen.

Der Maurer Erich Lukas trank nach getaner Arbeit gern zwei, drei Bier im Gasthaus meiner Schwester. Gustl, ein Kamerad aus der Musikkapelle, und ich sahen sein Moped, wie es da so einsam vor dem Wirtshaus stand und uns gewissermaßen zu einer Spritztour einlud. So fuhren wir eine Zeitlang durch die Gegend und auf dem Rückweg ging uns sogar noch der Sprit aus, sodass wir das Vehikel die letzten fünfzig Meter schieben mussten. Am Wirtshaus angelangt wollten wir es abstellen, als die Tür aufgeht, und der Erich herauskommt. Er fängt an zu schreien, und wir geben Fersengeld. Gustl läuft auf den Acker zu, ich verstecke mich hinter dem nächstgelegenen Haus. Renn du mal durch einen frisch gepflügten Acker, wenn es am Tag zuvor geregnet hat! An mir läuft der Erich vorbei, aber den Gustl erwischt er, und als nächstes höre ich nur Klatschen und „au, au, aua“ – Gustl kriegt alle Prügel ab. Diesmal war ich ungeschoren davongekommen, aber Gustl hatte am nächsten Tag zwei blaue Augen.

Irgendwann kam derselbe Gustl auf die Idee, bei Marianne, einer der Marketenderinnen, die so alt war wie er und drei Jahre älter als ich, zu fensterln. Die hatte es ihm angetan, aber er brauchte mich als Deckung und Schutz, allein war er zu feige. In nicht mehr ganz nüchternem Zustand (wir mussten uns ja vorher Mut antrinken) gingen wir zu dem Bauernhof, wo sie daheim war; er kannte sich genau aus: wusste, wo eine Leiter stand, und welches ihr Kammerfenster war. Ich kletterte drei Sprossen hinter ihm hinauf. Ich höre ihn ans Fenster klopfen und leise „Marianne“ rufen, als plötzlich das Fenster aufgeht und eine barsche männliche Stimme ruft: „Ja, dir werde ich’s gleich geben!“ Gustl macht einen Salto rückwärts, reißt mich mit hinunter, und wir landen beide bis zum Hals im Misthaufen. Schnell rausgekrabbelt, aufs Moped und nix wie auf und davon! Als Mutter die stinkende, dreckige Wäsche sieht, schimpft sie auch noch mit mir. Der Vater von der Marianne aber sagt zu Gustl, als er ihn später im Wirtshaus trifft: „Wennst des nächste Mal kommst, nimmst die Tür und läutest vorher, gell!“

Die österreichische Kraftwerks-AG entnahm ihr Kühlwasser aus dem Fluss Klöva; das warme Abwasser wurde dorthin zurückgeleitet. Da entstand ein Sog, ein richtiger Strudel: wir