Das Versprechen der Bienenhüterin - Laura Frantz - E-Book

Das Versprechen der Bienenhüterin E-Book

Laura Frantz

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Beschreibung

Seit Kindertagen kennen sich Magnus MacLeish und Lark MacDougall spielten sie jedoch früher Seite an Seite, so ist Magnus nun der Laird von Kerrera Castle und Lark dient ihm als Hüterin der Bienen, Kräuter und Pflanzen. Dann stirbt Magnus Ehefrau plötzlich – und Lark wird eine Mitschuld am Tod von Lady Isla zugesprochen. Magnus ist überzeugt, dass Lark unschuldig ist. Eine Strafe kann er aber nicht verhindern – steht er doch wegen der Nachwehen des Jakobitenaufstands von 1745 selbst vor Gericht. Sowohl Magnus als auch Lark werden als Diener in die amerikanischen Kolonien verbannt. Was wird sie dort erwarten? Und wie sollen sie damit umgehen, dass aus ihrer Kinderfreundschaft so viel mehr zu werden scheint? Der historische Liebesroman von der mit dem Christy Award ausgezeichneten Autorin Laura Frantz ist eine atemberaubende Liebesgeschichte aus Schottland, voller Authentizität, tiefen Gefühlen, Glauben und jeder Menge Outlander-Feeling, inspiriert von ihrer eigenen Familiengeschichte.

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LAURA FRANTZ

DAS Versprechen DER BIENENHÜTERIN

Roman

Laura Frantz

Die mit dem Christy Award ausgezeichnete Autorin hat eine Leidenschaft für alles Historische, insbesondere für das 18. Jahrhundert. In ihre Geschichten fließen oft schottische Themen ein, die ihr Familienerbe widerspiegeln. Sie ist eine direkte Nachfahrin von George Hume von Wedderburn Castle, Schottland, der wegen seiner Rolle im Jakobitenaufstand von 1745 in die amerikanischen Kolonien verbannt wurde und George Washington Vermessungsarbeit beigebracht haben soll.

Copyright 2019 by Laura Frantz.

Originally published in English under the title A Bound Heart by Revell, a division of Baker Publishing

Group, Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.

All rights reserved.

Die Bibelverse folgen den Übersetzungen Hoffnung für Alle, Schlachter 2000 und Lutherbibel 1912 und 1917.

Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®.

Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis.

Schlachter. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

Deutsch von Tabitha Krägeloh

© 2024 Brunnen Verlag GmbH Gießen

Redaktion: Alexandra Eryigit-Klos

Umschlagfoto: Baker Publishing Group

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Satz: Brunnen Verlag GmbH

Druck: Dimograf Sp z o.o., Polen

ISBN Buch 978-3-7655-2166-9

ISBN E-Book 978-3-7655-7860-1

www.brunnen-verlag.de

Meinem Urahn aus dem 18. Jahrhundert gewidmet, George Hume von Wedderburn Castle, Berwickshire, Schottland

Inhalt

Schottisches Wörterbuch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Schottisches Wörterbuch

Auld Reekie – Edinburgh

aye – ja

Bannock – kleines Fladenbrot aus Hafer- und Gerstenmehl

Croft – Bauernhütte

Crowdie – schottischer Frischkäse

Cullen Skink – eine Suppe aus Schellfisch, Kartoffeln, Zwiebeln und Milch

Doric – Dialekt aus dem Nordosten Schottlands

Kilt – Schottenrock; ein aufwendig gefalteter Wickelrock, der nur von Männern getragen wird

Laird – Landbesitzer, der in der schottischen Rangordnung unter dem Baron, aber über dem Gentleman steht

Lass – Mädchen

nay – nein

Plaid – Schulterdecke; Bestandteil der traditionellen schottischen Kleidung

Sporran – traditioneller schottischer Geldbeutel, Teil der Kilt-Ausrüstung

Sgian Dubh – traditionelles schottisches Messer, Teil der Kilt-Ausrüstung

Slàinte – Gesundheit, Prost (beim Anstoßen)

1

Kein Mensch gebietet je den Zeiten.

RobertBurns

Insel Kerrera, Schottland, 1752

Während die Sonne langsam hinter den Horizont glitt, lehnte Lark sich gegen die zerklüftete Klippe am Westufer der Insel. Das Meer breitete sich wie eine indigoblaue Decke vor ihr aus. Die Tölpel, die darin schwammen, wurden von den vielen schaumbedeckten Wellen hin und her geworfen. Larks Haar flatterte wie eine purpurrote Fahne im Südwind – so rot wie der edle Seidenstoff, der vorige Nacht an Land geschmuggelt worden war. Es waren gefährliche Zeiten, in denen der Schwarzhandel blühte, geprägt von zahllosen geheimen Treffen und Verabredungen im Mondschein, sandigen Schuhen und schlaflosen Nächten. Wie oft hatte Lark Gott bereits gebeten, dem Ganzen bald ein Ende zu bereiten?

An diesem stillen Maiabend waren jedoch die Mücken, die Lark bei Einbruch der Dämmerung stachen, das einzige Ärgernis – abgesehen von der stämmigen Jillian Brody, die in Lark hineinrannte und sie dabei fast von der Klippe stieß.

„Nimm dich in Acht, aye? Es sollen Steuereintreiber in der Nähe sein.“

„Ich hoffe es nicht“, hauchte Lark. Dann reckte sie den Hals, um den Blick über die weitläufige Landzunge schweifen zu lassen. Man konnte diesen Anblick nur als majestätisch bezeichnen. Lark würde Jillian nicht verraten, dass der attraktive Kapitän der Merry Lass ihr Herz höherschlagen ließ als die riskante Schmuggelei. Und dass sie sich bloß mitten in der Nacht herausgewagt hatte, um vielleicht einen Blick auf ihn oder sein Schiff zu erhaschen.

„Du bist aus einem andren Grund hier draußen als wir.“ Obwohl der Pfad sehr schmal und steil war, gelang es Jillian, sich breitbeinig hinzustellen und die Fäuste in die ausladenden Hüften zu stemmen. „Hab gehört, dass du dich geweigert hast, die Beute mit an Land zu bringen?“

„Ich hatte ein schlechtes Gewissen“, erklärte Lark. „Ich kann euch nicht beim Stehlen helfen, selbst wenn es den Armen zugutekommt.“

„Pah!“, fauchte Jillian. Der Nachtwind begann in einer seltsam klagenden Art zu heulen und erfasste die Zipfel ihrer karierten Schultertücher. „Du hältst dich wohl für was Besseres als wir anderen. Dann hau eben ab!“

Trotz des gehässigen Tons kam Lark der Aufforderung bereitwillig nach. Sie drehte sich um und eilte davon. Obwohl es beinahe Mitternacht war, lief Lark sicheren Schrittes den Pfad entlang. Es wurde erst spät dunkel, was den Schmugglern nur wenig Zeit ließ, ihre Arbeit im Geheimen zu verrichten.

Angespannt suchte Lark sich ihren Weg nach oben, während sie hin und wieder einen Blick über die Schulter auf den Strand hinab warf. Doch dieser lange, unbefriedigende Abend brachte keine Ware an Land und keinen gut aussehenden Kapitän nach Hause. Wenig später betrat Lark ein winziges Cottage, kaum größer als ein Kuhstall. Das bescheidene Steinhaus war schon immer ihr Zuhause gewesen. Nur Lark und ihre Großmutter wohnten hier und schürten das Torffeuer unter dem großen Kessel. Der Porridge und die Suppe, die sie darin kochten, schienen immer nach Rauch zu schmecken. Bevor Lark in ihr abgetragenes Nachthemd schlüpfte, wusch sie sich. Dann ließ sie sich erschöpft auf ihr Schrankbett in der Wandnische fallen.

Früh am nächsten Morgen stapfte Lark durch den Nebel zum Schloss von Kerrera, froh, wenigstens ein bisschen Schlaf bekommen zu haben.

Als sie das Gelände des Schlosses betrat, hätte Lark sich am liebsten in den ummauerten Garten geschlichen, um aus der Quelle zu trinken, die in einer felsigen Ecke aus dem Boden hervorsprudelte. Selbst in der größten Sommerhitze war das Quellwasser eiskalt. Die meisten Bediensteten durften den formalen Garten jedoch nicht betreten. Die Herrin von Kerrera Castle legte viel Wert darauf, dass ihre Angestellten unsichtbar blieben. Darum war die herrliche Gartenlaube ausschließlich Lady Isla und den seltenen Hausgästen von Kerrera vorbehalten.

Vorbei an den einfachen Kräuterbeeten des Küchengartens gelangte Lark in ihren geliebten Bienengarten. Hier hätte sie für immer bleiben können. Vor einer efeubewachsenen Ziegelmauer standen mehrere Bienenkörbe. Sie waren aus dicken Strohkränzen gefertigt und sahen wie goldene Kuppeln aus. Im unteren Bereich hatte jeder Korb ein winziges Türchen. Obwohl es früh am Morgen war, summten die Bewohner bereits eine lebhafte Melodie, während sie eifrig zwischen verlockenden Ringelblumen und würzigem Borretsch hin und her flogen. Im Sommer erwartete sie ein Festmahl aus Bienenkraut, Löwenmäulchen und Schmuckkörbchen. Und im August würde Lark dann einen oder zwei Bienenstöcke hinaus auf die Heide bringen, um den begehrten Heidehonig herzustellen, den der Laird so gerne aß.

Larks Blick schweifte zur Bienentränke, die sie vor ein paar Jahren aufgestellt hatte – ein angeschlagener, flacher Teller, der regelmäßig mit frischem Wasser gefüllt wurde. Lark hatte ein paar Kieselsteine vom Strand hineingelegt, damit die fleißigen Tierchen sich daraufsetzen konnten, um nicht zu ertrinken. Als Lark sich den Bienen näherte, schien ihr Summen lauter zu werden. Die Tiere spürten Larks Gegenwart und surrten melodisch, während Lark zwischen ihnen umherlief. Aber die Bienen mochten nicht jeden: Die Mägde umkreisten sie wohlwollend, während die Haushälterin nur gerade so geduldet wurde. Bei der Köchin wurden die Bienen wie wild und stachen zu. Der Laird von Kerrera Castle hingegen bewegte sich ruhig und respektvoll im Bienengarten, ähnlich wie Lark. Sie beide wurden von schmerzhaften Stichen verschont. Lark hatte sich immer gefragt, wie die Tierchen wohl auf Lady Isla reagieren würden. Doch die Frau des Lairds wagte sich so gut wie nie in die Nähe der Bienenstöcke.

Nachdem Lark sich vergewissert hatte, dass zumindest im Garten alles in Ordnung war, steuerte sie auf das Schloss zu.

„Da bist du ja, Lark.“

War sie etwa zu spät? Mistress Baird, die strenge Haushälterin, grüßte Lark nie. Stattdessen machte sie ihr ein schlechtes Gewissen. Glücklicherweise erklang in diesem Moment der erlösende Glockenschlag der Standuhr im Bedienstetenzimmer.

Nicht zu spät. Genau rechtzeitig.

Mistress Baird griff an ihre Chatelaine und löste den Schlüssel zum Destillierraum. Lark nahm ihn entgegen, murmelte ein Dankeschön und wandte sich zum Gehen. Dann lief sie über den Muschelpfad zu dem kleinen Steingebäude, das an die Orangerie des Schlosses grenzte. Ein paar Glasscheiben des Gewächshauses waren bei einem Sturm zerbrochen worden. Die wenigen Pflanzen, die jetzt darin aufkeimten, freuten sich schon auf den Sommer. Prächtig leuchtende Blüten zierten eine verglaste Ecke der Orangerie.

Die Tür des Destillierraums öffnete sich mit einem Quietschen. Der Geruch von feuchtkaltem Stein und kräftiger Pfefferminze schlug Lark entgegen – eine Erinnerung an ihre gestrigen Aufgaben. Lark griff nach einer Schürze, die an einem Haken hing, band sie um und machte sich dann an die Arbeit.

Wenig später trat sie durch die Hintertür in den Küchengarten, um Kräuter für ein Heilmittel zu sammeln. Als sie nach drinnen zurückkehrte, quoll der Korb an ihrem Arm fast über. Obwohl Lark die Zutaten für die Tinktur auswendig kannte, warf sie einen Blick in das Rezeptbuch, das offen auf einem Tisch in der Nähe lag.

„Guten Morgen, Lark.“ Erschrocken fuhr sie zusammen. Der Laird stand in der offenen Tür. Er trug maßgeschneiderte Kleidung aus Edinburgh und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

Der Laird kam nur selten hierher. Sie hatte ihn seit mindestens zwei Wochen nicht gesehen, da er die meiste Zeit an den Gerichtshöfen von Edinburgh verbrachte. Lark hatte anfangs sehr unter der Distanz gelitten, aber inzwischen hatte sie sich an den Schmerz gewöhnt. Früher hatten sich Lark und der Laird so nahegestanden wie Zwillinge. Larks Mutter war die Amme des Lairds gewesen. Nur hatte Lark damals nicht gewusst, dass er ein MacLeish war – der Laird von Kerrera Castle. Sie hatte ihn für den Sohn eines Bediensteten gehalten. Ein kräftiger, rotwangiger Bursche mit dunkelbraunen Haaren war er gewesen. Er hatte ebenso wenig gewusst, dass Lark nur die Tochter einer Bediensteten war. Sie waren gemeinsam entwöhnt worden und hatten zusammen laufen gelernt, bis sie wie junge Kälber über die Wiesen getollt waren.

Als Lark den Laird jetzt sah, ließ sie fast ihren Korb fallen. „Eure Lairdschaft –“

„Hör schon auf damit, Lark.“

Sonnenstrahlen füllten den Raum zwischen ihnen. Und eine unsichtbare Mauer der Zurückhaltung. Sie würde – konnte – ihn nie wieder Magnus nennen.

„Wir sind gestern spät angekommen. Ich habe dir eine Nachricht vorausgeschickt. Hast du sie nicht erhalten? Über das benötigte Tonikum?“

„Nein.“ Lark spürte, dass Magnus verzweifelt war. Seine stoische Gelassenheit konnte sie nicht täuschen. Wenn er hier war, musste etwas Schlimmes passiert sein.

„Zum Hades mit der Post“, stieß Magnus wütend hervor.

„Ganz ruhig“, sagte sie, wie in alten Tagen. Sie mochte es nicht, ihn so verärgert zu sehen.

Magnus blickte mit unverändert finsterem Gesicht zum Himmel auf. „Kerrera wird keinen Erben haben.“

Larks Herz setzte einen Schlag aus. Nicht schon wieder! Was sollte sie darauf erwidern? Sechs Fehlgeburten. Das war auch der Grund dafür, dass die Herrin so launisch war. Kerrera brauchte dringend ein Kind, einen Erben. Aber es war, wie Granny es sagte: Gegen einen verschlossenen Mutterleib gab es kein Heilmittel und keine Tinktur.

„Die Ärzte haben Lady Isla zur Erholung hierhergeschickt. Abseits vom Gestank und Lärm der Stadt.“

Larks Hände zitterten fast, als sie die Kräuter in ihrer Schüssel vermengte. Was für eine missliche Lage! Es war kein Geheimnis, dass die Herrin nichts für die westlichen Inseln übrig hatte. Sie fand Kerrera unzivilisiert. Abgelegen. Welten von ihrer Heimat Edinburgh entfernt. Und dennoch hatten die Ärzte sie zurückgeschickt.

Der Laird fuhr sich mit der Hand durchs ungekämmte Haar, während sein Blick jenseits der Schlossmauern auf dem Meer ruhte, das in der Morgensonne eher golden als blau glitzerte. „Was rätst du ihr?“

„Etwas Beruhigendes.“ Lark hob den Blick zu den Tonkrügen und Kännchen auf dem Regal über ihrem Kopf, während sie nachdachte. „Kamille. Lavendelöl. Zitronenmelisse.“

„Wie schnell kannst du ein Mittel fertig haben?“

„Manche Dinge brauchen ihre Zeit“, erwiderte Lark. „Sie wollen ja kein falsches Mittel bekommen. Außerdem habe ich mehr als eine Tinktur im Sinn.“ Lark knickste kurz, bevor sie an Magnus vorbeieilte, um ein Kraut zu holen, das sie vergessen hatte.

„Ich habe Vertrauen in dich, Lark“, sagte er, als sie in den Destillierraum zurückkehrte. „Vielleicht mehr als in die Ärzte von Edinburgh.“

„Vielleicht setzen Sie Ihr Vertrauen in die falsche Person.“ Lark sah ihm einen Moment zu lang in die azurblauen Augen, wenn auch nur, um die Tiefe seines Schmerzes zu ergründen. „Gebet ist oft das beste Heilmittel. Aber das hier sollte vorerst helfen.“ Sie reichte ihm ein kleines Glasfläschchen. „Die Zofe der Ladyschaft soll es in kochend heißes Wasser tauchen und dann eine Viertelstunde warten, bevor die Herrin es trinkt.“

„Was bewirkt es?“

„Es bringt den Schoß Ihrer Ladyschaft zur Ruhe.“ Lark errötete und nahm schnell die nächste Aufgabe in Angriff. Es war ihr unangenehm, über diese Dinge zu sprechen. Trotzdem fuhr sie fort: „Und es bringt ihren Zyklus wieder in Gang.“

Magnus sah sie erwartungsvoll und ohne eine Spur von Verlegenheit an. Aber er wirkte etwas verwirrt, gar enttäuscht. Hatte er gedacht, dass Lark seiner Frau ein Kind einpflanzen könnte?

Schließlich wandte Magnus den Blick ab. Während er das Gebräu in seiner Hand betrachtete, murmelte er bloß geistesabwesend: „Danke.“ Dann verließ er den Raum.

Den restlichen Nachmittag grübelte Lark über die schlechte Neuigkeit nach. Als sie den Destillierraum nach getaner Arbeit abschloss, wurde sie durch ein Rascheln dicht hinter ihr aus den Gedanken gerissen. Sie erschrak. Doch dann erklang eine ungeschliffene, aber vertraute Stimme hinter der Hecke und Larks Herzschlag beruhigte sich wieder.

„Halt dich heute Abend bereit. Die Merry Lass wird erwartet. Leg ein Bettlaken über euren Torfhaufen, sobald du die Bestätigung bekommst. Wenn die Luft rein ist, lasse ich das Licht leuchten. Aber sei vorsichtig. Es heißt, dass Steuereintreiber in der Gegend sind.“

Noch eine Schmuggelaktion? „Ich kann nicht –“

„Pscht! Stimmt es also, was ich gehört hab? Du wirst nicht mehr helfen? Der Captain verlässt sich auf dich!“

Lark seufzte, hin- und hergerissen zwischen ihrem Gewissen und ihrer Verpflichtung als Inselbewohnerin. Das Mindeste, was sie tun konnte, war, ein einfaches Laken auszubreiten, oder? Herr, vergib mir.

Nachdem sie ein zurückhaltendes Aye gemurmelt hatte, lief Lark über den Pfad die Klippe hinab. Die bloße Erwähnung von Steuereintreibern war genug, um sie erschaudern zu lassen.

„Die Merry Lass bringt also eine Ladung Salz, sagst du?“

„Nein, Granny, das habe ich nicht gesagt. Wir können es nur hoffen.“

„Gelobt sei Gott, wenn es so ist!“

Lark und ihre Großmutter saßen an ihrem kleinen Tisch vor dem verrußten Fenster, wo sie Brennnesselbrei und die letzten Bannocks mit Crowdie aßen. Die Aussicht von hier oben war atemberaubend, sogar für Granny, die schon so lange hier wohnte. Die bescheidene Croft, in der sie lebten, stand auf einem Felsvorsprung im Schatten von Kerrera Castle. Über ihnen thronte das Schloss, das mit seinen hellrosa verputzten Steinwänden und den vielen Türmchen und Erkern das beeindruckendste Bauwerk an der Küste war. Eine Landmarke für anlegende Schiffe.

„Wer ist der Kapitän der Merry Lass?“, fragte Granny.

Larks Magen schlug einen Purzelbaum. „CaptainMacPherson … RoryMacPherson.“

„Oh! Der Junge von Mad Dirk?“

„Aye, Granny. Nur ist er kein Junge mehr.“

„Ich nehme an, dass er einen Sack Salz für uns aufheben wird?“

Lark schluckte einen weiteren Bissen ihres Abendessens hinunter. Sie war die wiederholten Fragen ihrer Großmutter gewohnt. „Das ganze Dorf braucht Salz, um den nächsten langen Winter zu überstehen.“

„Der Laird wird uns schon nicht verhungern lassen“, sagte Granny zuversichtlich, während sie den Tee einschenkte. Für ihr Alter war ihre Hand erstaunlich ruhig. Als der Dampf die Luft zwischen ihnen trübte und Lark der Duft des Tees in die Nase stieg, bekam sie Gewissensbisse. Es war geschmuggelter irischer Tee, so wie auch das Salz geschmuggelt sein würde. „Der letzte Logger hat nur Whisky mitgebracht. Den können wir bloß als Medizin gebrauchen – oder um die Steuereintreiber zu benebeln.“ Salz hingegen war notwendig, um den Fisch, von dem sie lebten, haltbar zu machen. Und niemand konnte sich Salz oder Tee leisten, seit die britische Krone beide Waren mit ungeheuer hohen Steuern belegt hatte.

Granny trank einen Schluck. „Was gibt es Neues aus dem Schloss?“

Am liebsten hätte Lark diese Frage weit weggeschoben. „Lady Isla hat schon wieder ein Kind verloren.“

„Gott segne sie.“ Granny kniff ihre dunklen Augen zu winzigen Schlitzen zusammen. „Und den Laird.“

„Gibt es nichts, was ihnen helfen könnte, einen Erben zu bekommen?“

Ein abwesender Ausdruck trat in Grannys Blick. Gespannt wartete Lark, ob die Erinnerungen zurückkehren würden. Zu ihrer Zeit war Granny die Herrin des Destillierraums gewesen, während Larks Mutter als Amme gearbeitet hatte. „Es gibt zu viele dunkle Ecken in meinem schwachen Gedächtnis. Ich kann mich an vieles nicht erinnern.“

„Na ja, wenn dir irgendwann was einfällt …“ Lark hielt den Blick auf ihren Tee gerichtet. Sie wünschte, dass man Babys so einfach besorgen könnte wie Salz.

Wo mochte die Merry Lass jetzt sein? Selbst wenn sie sich anstrengte, konnte sie das Schiff nicht ausmachen. Mit ihren dunklen Segeln war die schwarz gestrichene Schaluppe in einer mondlosen Nacht so gut wie unsichtbar. Jetzt stand die Sonne wie ein Feuerball über dem westlichen Meer und warf ihre Strahlen auf die leeren Schüsseln und vollen Tassen auf dem Tisch.

Es war ruhig. Warm. Larks Blick schweifte zum Strand, wo sich bereits die ersten Schmuggler versammelten, um später die Waren an Land zu holen. Bald würde es dort unten nur so wimmeln von Pferden und Wagen sowie Frauen, die mit Knüppeln und Heugabeln bewaffnet waren, um die Waren auf dem Weg ins Binnenland zu begleiten.

Aber bevor die Merry Lass alle Segel setzen und auf den Strand zusteuern konnte, mussten Wachen postiert werden. Dann würde Lark eine Decke über den Torfhaufen breiten, während jemand anderes am Ufer das Lichtzeichen geben würde.

Bis auf ein paar Brandyfässer, die in einer Ecke standen, und die leeren Schlafplätze im Schatten der Felswand gab es nicht viel in der riesigen Meereshöhle. Es war mitten in der Nacht. Kaltes Wasser umspülte Larks bloße Füße und die Stiefelspitzen des Captains. Da die Flut bald einsetzen würde, hatten sie nur wenig Zeit zu reden. So wie immer. Keine Zeit. Wenige Worte. Eine große Enttäuschung.

„Also, Lass, was brauchst du? Ich höre.“ In seinen hohen Stiefeln, der karierten Hose und dem gestreiften Pullover sah RoryMacPherson wie ein Pirat aus. Pistole und Entersäbel hatte er ebenfalls in Reichweite. Rory spielte die Gefahr der Steuereintreiber zwar gerne herunter und verpasste ihnen Spottnamen, aber seine Wachsamkeit behielt er bei. „Keiner dieser Schätze darf in die Hände der Philister fallen, verstanden?“

Lark lächelte. Rorys Grinsen war ansteckend. Heute Nacht hatten die Freihändler, wie die Schmuggler sich nannten, die Steuereintreiber wieder einmal überlistet. Die Schmuggelaktion war ein voller Erfolg gewesen. 40 Kisten Tee. 30 Matten Tabakblätter. 80 Anker Brandy. 2 Fässer Feigen und Süßholz. Eine große Menge Salz. Und Hafer.

„Salz und Hafer“, erwiderte Lark. Granny würde entzückt sein. „Vielleicht noch Melasse.“

„Aye.“ Konnte er ihre Freude spüren? Ihre Zurückhaltung? Wie ein Pendel schwang Lark zwischen beiden Emotionen hin und her. Fast hätte sie noch Tee gesagt, aber sie fürchtete, gierig zu wirken.

„Tee?“, fragte Rory mit Nachdruck, als könne er ihre Gedanken lesen. „Ein paar Ballen oder eine ganze Kiste?“

„Ich kann keine ganze Kiste tragen –“

„Aber ich. Ich gehe sowieso in die Thistle. Du nimmst den Rest.“

Schwer beladen brachen sie auf. Doch Lark war stark und leichtfüßig. Sie lief häufig nachts den felsigen Pfad entlang, im schwachen Licht von Kerrera Castle. Bald würde die Flut ihre Fußspuren verwischen und die Merry Lass wieder aufs Meer hinaustragen – und mit ihr den gut aussehenden Captain.

Doch nun folgte Lark ihm erst einmal keuchend die Klippe hinauf. Ihr Schultertuch verrutschte bei jedem Schritt ein wenig mehr. Leider trübte der Gedanke an die bevorstehende Trennung Larks Vorfreude auf die gefüllte Speisekammer. Rory blieb nie lange. Jetzt lief er noch gesund und munter und mit sicheren Schritten vor ihr her, wobei er ab und zu einen Stein lostrat. Aber bald würde Rory wieder fort sein – nur noch eine geisterhafte Erinnerung. Lark schien es, als würde sie jedes Mal, wenn er ging, ein weiteres Stück von ihm verlieren, bis nichts mehr von ihm blieb als ein Nebel, der über dem Wasser schwebte.

Genauso hatte sie sich gefühlt, als der Laird geheiratet hatte. Magnus war ein so wichtiger Teil ihres Lebens gewesen, bis Isla ihm den Kopf verdreht hatte. Kurz darauf war Rory zur See gefahren. Beide Verluste hatten Lark innerlich zerrissen. Während die beiden Männer ihr Glück in der Welt machten, blieb sie immer die Gleiche, gebunden an die Croft und das Schloss.

Lark blickte auf, den Klang der tosenden Brandung in den Ohren. Heute Nacht leuchtete Kerrera Castle so hell wie eine Laterne über ihnen. Nach einem kurzen Blick nach unten hob Lark die Augen vom Pfad – und von Rorys breitem Rücken, der mit der Teekiste beladen war –, um zum größten Fenster des Schlosses hinaufzuschauen.

Die Silhouette des Lairds, Magnus MacLeish, hob sich deutlich vom hell erleuchteten Fenster ab. Er sah zu ihnen herunter. Lark widerstand dem Impuls, eine Hand zum Gruß zu heben. Seine hochgewachsene Silhouette war ihr vertrauter als der stämmige Schatten des Captains vor ihr. Doch Lark schaute eine Sekunde zu lang nach oben. Ihr Fuß rutschte ab. Ein Schmerz durchzuckte ihren Knöchel. Ein paar Kieselsteine kullerten lärmend den Hang hinab, sodass Rory sich zu Lark umdrehte und ihr einen mahnenden Blick zuwarf.

Wenn die Bedrohung durch die Steuereintreiber es zu riskant machte, die Schmuggelware ins Binnenland zu transportieren, wurde sie manchmal im Keller des Schlosses versteckt. Aber da heute Nacht keine Gefahr drohte, konnten Lark und Rory ganz offen mit ihrer Ladung herumlaufen. Keuchend richtete Lark sich auf, als sie den höchsten Punkt der Klippe erreichten und den Pfad verließen. Dann humpelte sie mit ihrem verstauchten Knöchel weiter.

„Bist du noch hinter mir, Lark?“

Sie hievte ihre Last auf die andere Schulter. Die Lederriemen gruben sich tief in ihren Rücken. „Gewiss.“

„Gewiss?“, warf er spöttisch über die Schulter. „Warum so hochtrabend, wenn ein einfaches Aye genügt hätte?“

Larks Wangen wurden heiß. Gut, dass die Dunkelheit ihre Röte verbarg. Diesen Ausdruck hatte sie Lady Isla in ihrem forschen, aristokratischen Ton sagen hören. Seitdem kam Lark das Wörtchen aye zu gewöhnlich vor, fast schon ordinär – so wie die alte Croft, die jetzt vor ihnen auftauchte. Obwohl das Mondlicht die Bauernhütte in ein vorteilhaftes Licht hüllte, war sie dennoch schlicht. Schmucklos.

Als sie dort ankamen, setzte Rory die Teekiste ab und auch Lark befreite sich von ihrer Last. Granny öffnete die Tür einen Spaltbreit. Obwohl ihr die meisten Zähne fehlten, lächelte sie breit. „Wer reichlich gibt, wird auch reichlich empfangen.“

Rory nahm ihre wohlwollenden Worte, die er sich hart erkämpft hatte, mit einer kleinen Verbeugung entgegen. Grannys gackerndes Lachen war von kurzer Dauer. Sie schien ihre Abneigung gegen den Captain nur dann zu vergessen, wenn er Schmuggelware brachte.

Wachsam schaute Lark sich nach lauernden Schatten um, als es zu regnen begann. Rory würde wohl nass werden auf dem Weg zur Thistle. Granny begann, die Waren nach und nach ins Haus zu schaffen, um sie in dem Loch unter der Kaminplatte zu verstecken, während Lark den Captain ansah. „Ich danke dir.“

„Ist das alles, was ich bekomme?“, erwiderte er.

Da sie Rorys Neckereien gewohnt war, versüßte sie ihren Abschied mit einem Knicks. Als Rory sich mit dem Hut in der Hand von Lark entfernte, konnte nicht einmal das fröhliche Pfeifen von Grannys Teekessel ihre Melancholie vertreiben.

„Irgendwann musst du mir von deinen Reisen erzählen. Ob die französischen Damen so hübsch sind, wie man sagt. Und wie grün Irland ist …“, rief sie ihm nach, doch ihre Stimme verlor sich in der feuchten Dunkelheit. Kein Wunder, dass Rory weiterwollte. Die Thistle stillte nicht nur seinen Durst. Es hieß, dass Rory die Tavernenmädchen umgarnte, indem er ihnen Seidenbänder und Spitze aus fernen Häfen schenkte. Lark hatte er noch keinen solchen Firlefanz mitgebracht, bloß Salz und Tee und Hafer. Diese Tatsache war wenig schmeichelhaft.

Aber was hatte Lark auch schon zu bieten? Es war ihr unmöglich, den Captain festzuhalten. Sie hatte kein Ale, zu dem sie ihn hätte einladen können. In letzter Zeit war Rory noch schweigsamer gewesen als der Laird. Obwohl er Lark nun etwas Aufmerksamkeit geschenkt hatte, blieb sie innerlich unruhig. Die Schmuggelei und alles, was damit zusammenhing, schnürte ihr die Luft ab.

Granny stand hinter Lark in der offenen Tür, als wollte sie ihren Abschied von Rory beaufsichtigen. „Trink deinen Tee, Lark.“

Seufzend gehorchte sie ihrer Großmutter.

2

Hafer: Ein Getreide, das in England an Pferde verfüttert wird, in Schottland dagegen an die Bevölkerung.

SamuelJohnson

Magnus lief durch die unbelichteten Korridore des Schlosses. Die Kerze in seiner Hand flackerte in der zugigen Luft von Kerrera. Es war kühl für Mai und der vergangene Winter war lang und hart gewesen. Die Dorfkinder, die in den kalten Monaten an Krankheiten und Mangelernährung gestorben waren, gingen Magnus nicht mehr aus dem Kopf. Sie standen ihm so deutlich vor Augen wie die windschiefen Kreuze auf ihren Gräbern im Kirchhof, die Magnus von seinem Studierzimmer aus sehen konnte. Hinzu kam sein eigener unerfüllter Kinderwunsch. Diese beiden Dinge bewirkten eine anhaltende Schwermut in Magnus. Er betete, dass das wärmere Wetter seine Stimmung heben würde.

Wie anders wäre es, wenn Kinderlachen durch die Gänge von Kerrera hallen würde! Sechs Babys in sechs Jahren. Magnus hätte alles dafür gegeben, sein halbes Dutzend am Tisch sitzen zu haben. Die Kinderstube wäre aus allen Nähten geplatzt. Aber er musste sich wohl damit abfinden, dass Kerrera immer leer und hohl widerhallend bleiben würde.

Seine Frau war schwach. Nicht, dass es ihr an Willenskraft gefehlt hätte. Isla war von höherer Abstammung als Magnus, was sich auch in ihrem Verhalten widerspiegelte. Aber sie war unfruchtbar. Unfähig, ein Kind auszutragen. Wenn man solche Schicksalsschläge doch nur vorausahnen könnte, bevor man Verträge abschloss und Verpflichtungen einging. „Bis dass der Tod uns scheide“ hatte plötzlich einen bitteren Beigeschmack. Aber Magnus würde seinen Schwur halten – den Bund, den sie eingegangen waren – und weiterhin für ein Wunder beten.

Als Magnus an Islas Tür vorüberging, trat er möglichst leise auf, um sie nicht zu stören. Sein Collie, der neben ihm herlief, stupste ihn mit seiner feuchten Hundenase an – ein tröstendes Gefühl.

Die Tür zum Schlafzimmer seiner Frau stand einen Spalt offen und ihre Stimme drang zu ihm heraus. „Magnus?“

Bevor er eintrat, bedeutete Magnus seiner Hündin Nareen, im Flur zu bleiben. Der Kerzenstummel in seiner Hand war fast vollständig abgebrannt, aber das war nicht weiter schlimm. Islas luxuriöses Zimmer, das mit Londons edelstem Mobiliar ausgestattet war, wurde von nicht weniger als einem Dutzend Kerzen auf Armleuchtern erhellt. Trotz der späten Stunde lag ein Buch geöffnet auf ihrem Schoß. Ein paar weitere Bände warteten auf dem Nachtschränkchen. Isla verbrachte ihre Tage und manchmal auch ihre Nächte mit Lesen, bis sich dunkle Schatten unter ihren Augen bildeten. Die Bibliothek von Kerrera schien eher Isla zu gehören als Magnus. Er war ein Mann der Tat, der sich um seine Pächter und seinen Besitz kümmerte und daher wenig Zeit hatte, um etwas anderes als die Bibel zu lesen.

„Isla.“ Magnus stellte sich an das Ende des enormen Betts, das er immer seltener mit seiner Frau teilte. Die Vorhänge waren halb geschlossen. Das Kaminfeuer wärmte ihm den Rücken, schaffte es aber nicht, die kalten Ecken des Schlosses zu erreichen. Islas Zofe war gerade mit irgendetwas beschäftigt, was Zofen eben taten.

„Ich kann nicht schlafen.“ Isla legte das Buch zur Seite, um ihre zwei Schoßhündchen zu streicheln, die links und rechts von ihr lagen. „Ich brauche mehr von dieser Tinktur. Von der Bienenfrau.“

„Von Lark?“

Als Isla ihm einen wütenden Blick zuwarf, bereute Magnus seine Sturheit. Er nannte die Bediensteten stets beim Namen, wenn auch nur, um seine Frau zu ärgern. Isla hingegen nannte die Angestellten immer nur nach deren Aufgaben. Das ärgerte ihn.

„Das Destillierraum-Mädchen, ja.“

„Hat deine Zofe dir die Tinktur nicht erst heute Morgen gegeben?“, fragte er.

„Gewiss. Aber das Fläschchen ist bereits leer. Es war so wenig. Kannst du nicht jetzt nach dem Mädchen schicken? Sie wecken lassen?“

„Nein.“ Er hatte Lark vor einer Stunde zuletzt gesehen, als sie schwer beladen den Klippenpfad heraufgekommen war. Das war gegen Mitternacht gewesen. Nun lag sie zweifellos im Bett, nachdem sie mit ihrer Großmutter einen Tee getrunken hatte. Sehnsüchtig dachte Magnus an seine Jugendzeit zurück, als er selbst noch an den Teekränzchen in der Croft teilgenommen hatte. Larks Großmutter, die frühere Herrin des Destillierraums, hatte Geschichten über Kerreras glorreiche Tage erzählt, als Magnus’ Vater und Großvater, die früheren Lairds, noch am Leben gewesen waren. „Sie ist morgen früh wieder im Destillierraum. Bis dahin wirst du dich gedulden müssen.“

Isla verzog das Gesicht. Widerrede war zwecklos. Sein Nein war ein Nein. „Lass sie aber eine großzügige Menge davon herstellen. Es soll mir nicht wieder ausgehen.“

Magnus wünschte Isla eine gute Nacht und steuerte dann auf die Wohnstube zu, die zwischen ihren beiden Schlafzimmern lag. Islas nächste Worte ließen ihn jedoch erstarren.

„Meine Zofe hat mir erzählt, dass die Freihändler heute Abend vor dem Gezeitenwechsel wieder am Strand waren. Stimmt das?“

„Heute Abend, aye.“ Warum fragte sie? Magnus sprach kaum darüber, was nach Einbruch der Dunkelheit geschah, obwohl er selbst manchmal beim Schmuggeln half. „Es ist alles gut gegangen. Die gesamte Fracht ist auf dem Weg ins Binnenland.“

„Letztes Mal wurden viele Waren in der Kirche versteckt.“

„Ein unverdächtiger Ort“, erwiderte er.

„ReverendBlackaby trinkt ziemlich viel für einen Geistlichen.“

„Wir haben alle unsere Gewohnheitssünden“, sagte Magnus ruhig.

Isla lehnte sich in ihren Stapel Federkissen zurück, während sie nervös an ihrem flachsblonden Zopf spielte. „Besser er baumelt am Galgen als der Laird von Kerrera Castle.“

Magnus machte eine abfällige Bewegung in Richtung der verhangenen Fenster. „Niemand wird am Galgen baumeln.“

„Nimm das nicht auf die leichte Schulter! Die Schlosskeller sind manchmal genauso voll wie die Kirche. Du verschließt die Augen vor den zweifelhaften Vorgängen –“

„Im Keller wurde zuletzt Salz gelagert. Und Hafer. Grundnahrungsmittel. Möchtest du, dass noch mehr kleine Kinder sterben? Noch mehr alte Menschen? Dass noch mehr Leute krank werden, weil sie nicht genug zu essen haben?“ Seine Stimme schwoll donnernd an und er hob den Kerzenstummel in die Luft. „Um das zu verhindern, nehme ich gerne ein kleines Risiko in Kauf.“

Wütend wandte Isla den Blick ab. Ihre allgegenwärtige Zofe schien ziemlich lange zu brauchen, um den Schmuck, den ihre Herrin beim Abendessen getragen hatte, ins Kästchen einzuräumen. Lauschte sie wieder einmal?

„Gute Nacht“, sagte Magnus barsch, während er daran dachte, dass der Reverend heute Nacht die doppelte Ration Schmuggelware zu den Häusern der Familien geschickt hatte, die im letzten Winter einen Angehörigen verloren hatten. Aber würde das den Schmerz der Hinterbliebenen stillen? Ihnen ihre Geliebten zurückbringen? Nein.

Mit einem schrillen Pfiff rief Magnus seinen Collie herbei, dann stieß er die Tür zu seinem Schlafzimmer auf. Die Wände des Turmzimmers waren mit Teppichen behangen, um die Wärme des Feuers zu halten. Magnus stellte sich vor den knisternden Kamin und verfütterte die restliche Kerze an die Flammen. Der Wind wurde stärker und trieb eine dunkle Rauchwolke in die antike Schlafkammer. Magnus störte das nicht. Es war der Geruch einfacherer Zeiten. Seiner Kindheit. Sorgloser Tage auf Kerrera.

Dann machte Magnus seinem Ärger Luft, indem er auf Gälisch vor sich hin flüsterte: „Es ist besser, im wüsten Lande zu wohnen denn bei einem zänkischen und zornigen Weibe.“

Nach diesen scharfen Worten kam Magnus ein anderer, gütigerer Bibelvers in den Sinn: Ihr Männer, liebt eure Frauen.

„Möchten Sie sich nun zurückziehen, Sir?“, fragte Brown, sein Diener, der in diesem Moment mit Magnus’ Bibel und einem Schlückchen Whisky in der Hand eintrat. Beides belebende Dinge, aber dennoch eine seltsame Kombination.

Als Brown wieder gegangen war, setzte Magnus sich auf seinen Lieblingssessel und streckte die Füße zum Feuer. Eine Windböe trieb eine weitere Rauchwolke in das maskuline Zimmer. Es war lange nach Mitternacht. Stockfinster. Magnus schlug die Psalmen auf und las auf Gälisch die heiligen Worte, die er fast jeden Abend seines Lebens als verheirateter Mann gelesen hatte:

Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk. Wie Pfeile in der Hand des Starken, also geraten die jungen Knaben. Wohl dem, der seinen Köcher derselben voll hat!

*

Ein halbes Maß Beinwell. Eine Prise Zitronenmelisse. Eine Handvoll Minze. Was musste als Nächstes geerntet werden? Wann würde die nächste Krankheit aufkommen? Lark war im Schloss aufgewachsen, an Grannys Seite, und hatte dabei viel gelernt. Sie wusste genau, welche Kräuter eine heilende Wirkung hatten und welche giftig sein konnten. Manche waren wie sanfte Freunde, mit anderen musste man vorsichtig umgehen. Es stand in Larks Macht, zu heilen oder zu schaden. Deswegen nahm sie ihre Aufgaben sehr ernst.

Lark war die Königin des Destillierraums und der Bienen. So hatte es der Laird einmal ausgedrückt. Er hatte Lark eines Tages im Bienengarten angetroffen, mit einer Kette aus Gänseblümchen auf dem Kopf und umgeben von Bienen. Die tief stehende Sonne hatte Lark von ihrem feuerroten Schopf bis zu ihren bloßen Füßen in goldenes Licht getaucht. Lark selbst konnte sich an jenen Augenblick kaum erinnern, aber Magnus hatte ihn nicht vergessen.

Nun, am Tag, nachdem die Merry Lass angelegt hatte, zermahlte Lark getrockneten Rosmarin mit Mörser und Stößel zu einem feinen Pulver. Der durchdringende Duft war wie ein herrliches Parfüm.

„Sind Sie beschäftigt?“

Lark wandte sich um. Es war Rhona, die Zofe der Herrin. Innerlich zuckte Lark zurück, wie sie es bei einer Kreuzotter getan hätte. Rhona sah Lark niemals direkt an. So wie Isla schaute sie stets an ihr vorbei, als könne sie sich nicht dazu herablassen, einer Bediensteten in die Augen zu schauen.

Darum war Lark bei Rhona immer kurz angebunden. Sie wollte ihre flüchtigen Treffen möglichst schnell hinter sich bringen. „Was brauchen Sie?“

Mit gerunzelter Stirn trat Rhona ein. „Nicht ich, sondern meine Herrin. Sie wünscht eine Weintinktur … etwas Stärkeres.“

„Stärker?“, fragte Lark zweifelnd. „Ich denke bereits über ein Heilmittel nach. Etwas, das wirklich hilft. Nicht Alkohol.“

Rhona trat an den Tisch heran – eine Platte aus Küsteneiche, die Lark als Arbeitsfläche diente – und ließ den Blick über die gepflückten Kräuter schweifen. „Was brauen Sie da zusammen?“

„Ein Rheumamittel. Abel, der Gärtner –“

„Der Gärtner? Ihre Herrin braucht Hilfe!“ Rhona verschränkte die Arme. „Haben Sie nichts anderes als ein Schlafmittel für sie? Etwas für den Mutterleib?“

Sechs Fehlgeburten. Lark biss sich auf die Lippe. Du verlangst Unmögliches. „Doch. Gebet.“

„Wollen Sie damit sagen, dass meine Herrin nicht fromm genug ist?“

„Ich weiß nur wenig über die Gewohnheiten Ihrer Herrin, da sie so zurückgezogen lebt.“

„Es geht ihr nicht gut genug, um ihr Schlafzimmer zu verlassen, außer um mit dem Laird zu speisen.“

Lark fuhr fort, Kräuter zu zerreiben und zu mischen. „Bewegen Sie Ihre Herrin zum Aufstehen. Geben Sie ihr einen Fingerhut Whisky zu ihrem Porridge. Satteln Sie ihre Stute und lassen Sie sie am Strand entlangreiten. Oder in der Frühlingssonne durch den Garten spazieren.“

Rhona grunzte abfällig. „Das ist also, was man hier auf der Insel tut? Das ist so … gewöhnlich.“

„Wenn man immer nur im Bett liegt, wird man schwach.“

„Sie haben also keine Kräuter? Kein Mittelchen? Sie sind die Herrin des Destillierraums. Schätzen Sie Ihre Stellung denn gar nicht?“

Lark schwieg, als Mistress Bairds hochgewachsene Silhouette in der Tür erschien. „Ihre Herrin klingelt nach Ihnen, Rhona. Und sie wartet nicht gerne.“

Während Lark begann, das fertige Rheumamittel in einen Beutel zu füllen, verschwand Rhona ohne ein Wort der Widerrede. Plötzlich hatte Lark Mitleid mit der Zofe. Rhona war zwar oft barsch und abweisend, aber sie hatte es auch am schwersten von allen Bediensteten. Ständig war sie Islas Launen ausgesetzt und entkam nur selten dem strengen Blick ihrer Herrin.

Mistress Baird trat näher und krempelte einen Ärmel hoch, um Lark ihren blassen Arm zu zeigen, der kürzlich noch mit einem roten Ausschlag übersät gewesen war. „Die Salbe, die du mir gegeben hast, wirkt ziemlich gut.“

Lark lächelte. „Es ist nichts als Öl, Hafer und Meersalz.“ Die Gaben der Natur waren schließlich nicht ihr Verdienst. „Sagen Sie Bescheid, wenn Sie mehr brauchen.“

„Ich denke nicht.“ Mistress Baird verschwand in einen kleinen Vorraum, um gemeinsam mit der Köchin die Inventur für den anstehenden Ball zu machen.

„Ein Viertelpint Brandy für den Kuchen des Lairds“, sagte die Köchin, während sie eine Liste abhakte. „Und einige getrocknete Johannisbeeren und Rosinen.“

„Vergessen Sie das Rosenwasser und die Zitronenessenz nicht“, erwiderte Mistress Baird. „Und reichlich Zimt.“

Indes kehrten Larks Gedanken zu dem Tag vor sechs Jahren zurück, als Isla auf Kerrera angekommen war. Alle Bediensteten hatten sich entlang der Zufahrt zum Schloss aufgestellt, um ihre neue Herrin zu empfangen. Jeder von ihnen hatte etwas in der Hand gehalten, das auf seine Tätigkeit hinwies. Die Köchin hatte einen Schneebesen umklammert. Die Pferdeknechte hatten Hufeisen und Reitpeitschen präsentiert. Der Butler ein kleines Silbertablett. Die Hausmädchen Staubwedel.

Lark hatte einen Strauß frischen Lavendel in der Hand gehalten – ein Symbol für Vornehmheit, Anmut und Eleganz. Die einfachen Stängel des Lavendels hatte Lark mit einem Seidenband aus der Mitgifttruhe ihrer Mutter zusammengebunden. Doch als sie den Strauß der Braut des Lairds hingestreckt hatte, war Isla einfach mit wehenden Röcken daran vorbeigerauscht.

„Mach dir nichts draus“, hatte Granny sie später getröstet. „Sie hat ihn vielleicht nicht gesehen. Überleg doch mal, was für ein Schauspiel das für sie war – eine Armee von Bediensteten und ein altes Schloss. Du weißt doch, dass sie zum ersten Mal auf der Insel ist.“

Gut, vielleicht hatte Lark sich zu viel erhofft. Sie hatte angenommen, dass die vornehme Dame ihre bescheidene Gabe annehmen würde. Doch es war Magnus gewesen, der letztendlich die Hand ausgestreckt und den Strauß entgegengenommen hatte. Das hatte Lark etwas besänftigt. Trotzdem schmerzte die Erinnerung immer noch.

„Wir werden für den Ball deine Hilfe brauchen, Lark.“ Die Köchin stand mit einer langen Liste am Tischende. „Fiona ist bei ihrem kranken Kind und Archie in Oban wegen der Totenwache für seinen Vater.“

Wieder einmal unterbesetzt. „Granny kann auch helfen, wenn du willst. Zumindest in der Küche.“

Die Köchin blickte nachdenklich drein. „Wir erwarten nicht weniger als hundert Gäste. Der Große Saal wird in diesem Moment vorbereitet. Es wird ein richtiges Festmahl geben. Der Laird hat Süßspeisen und Lebensmittel aus Glasgow bestellt.“

Larks Stimmung hob sich. Der Pächterball fand zweimal im Jahr statt. Manchmal schien es die einzige Gelegenheit zu sein, bei der die Leute glücklich waren. Satt. Frei von ihrer harten Arbeit. Obwohl der Ball für die Pächter, Bediensteten und Angestellten des Lairds war, half Lark gerne bei den Vorbereitungen. Die Freude, die der Ball brachte, war die zusätzliche Arbeit wert. Lark würde ihr bestes Kleid anziehen. Vielleicht einen Reel oder Jig tanzen. Es würde kleine Geschenke für jeden geben. Und der Laird würde den Ball beaufsichtigen.

Ob der Captain wohl kommen würde?

RoryMacPherson war ein guter Tänzer. Nicht so gut wie Magnus, aber wenigstens gab es zwischen ihm und Lark keine gesellschaftliche Hürde. Rory hatte keinen Titel außer den des Captains. Und er war unverheiratet. Hoffnung keimte in Lark auf. Befand sich der Captain noch auf Kerrera?

Mistress Baird und die Köchin verließen den Destillierraum, um die vierzehn Tage, die bis zum Ball blieben, voll auszunutzen. Zwei Wochen waren für Lark genug Zeit, um ein Kleid zurechtzumachen, Strümpfe und Strumpfbänder zu flicken, ihre Schuhe zum Schuster zu bringen und zu entscheiden, wie sie ihr widerspenstiges Haar tragen würde. Sich auf die Enttäuschung vorzubereiten, falls der Captain nicht kommen würde.

Und das beste Heilmittel für Lady Isla zu finden.

3

Mein Herz ist krank – doch sag’ ich’s nicht –, mein Herz ist krank um einen.

Robert Burns

Am nächsten Tag drehte der Wind nach Süden, verzögerte Rorys Abreise und trug den modrigen Geruch von Seegras und Salzwasser an Land. Träge ließ sich der Captain zwischen zwei Treibhölzern in den warmen Sand fallen und zog den Hut über die Augen. Hinter ihm lag das Küstenstädtchen Balliemore mit seiner einzigen Taverne, der Thistle. Der Ort bestand aus einigen wenigen Cottages aus braunem Stein und Schiefer, die entlang einer einzigen schlammigen, unwegsamen Straße standen.

Jenseits des Hafens mit seinen heruntergekommenen Fischerbötchen ragte eine Klippe empor, auf deren höchstem Punkt Kerrera Castle thronte. Früher hatte es noch ein zweites Schloss gegeben: GylenCastle, der Sitz des MacDougall-Clans. Heute war nur noch ein grauer Schutthaufen an der südwestlichen Spitze der Insel davon übrig. Gylen war belagert und niedergebrannt worden. Alles, was geblieben war, waren die Legenden und eine verwitterte Mauer.

Und Lark.

Immer, wenn Rory die Überreste des Schlosses sah, musste er an Lark denken. In ihrer Kindheit hatten sie oft in der Ruine gespielt. Vor allem Lark. Rory fragte sich wieder einmal, ob die Geschichten, die man sich erzählte, stimmten. Larks Vater war ein MacDougall gewesen, Spross eines alten Clans, der sehr mächtig gewesen war, bis die Zeit und die Umstände seinen Niedergang gebracht hatten. Dennoch war die Verbindung zwischen den MacDougalls und den MacLeishesirgendwie bestehen geblieben. Zumindest wusste Rory, dass Lark ein paar Privilegien genossen hatte, weil die Großmutter des Lairds mit den MacDougalls verwandt gewesen war.

Jahrelang war Lark mit dem Laird zusammen unterrichtet worden, bis er auf die Universität in Edinburgh gekommen war. Damals waren beide noch sehr jung gewesen. Lark hatte ihre eigene Stute im Stall gehabt. Durfte das Schloss betreten. Außerdem lag die Croft der MacDougalls in einer geschützten Mulde direkt unterhalb von Kerrera Castle. Sie war etwas größer als die Hütten im Dorf, aber dennoch schlicht. Larks Familie war schon lange Zeit im Dienst – entweder im Destillierraum oder in der Kinderstube –, obwohl Larks Mutter aus einer Familie einfacher Fischerleute stammte.

Rorys größtes Interesse galt jedoch der verschwundenen Brooch of Lorn – einer Brosche, die sich im Besitz von Larks Clan befunden hatte, als das Schloss niedergebrannt war. Früher hatten Rory, Magnus und Lark die Trümmer des Schlosses fieberhaft danach durchsucht. Rory konnte sich noch lebhaft an ihre Faszination erinnern. Die Geschichte von den MacDougalls und den Kriegen der Covenanters war tragisch. Die Brosche hatte einmal Robert the Bruce persönlich gehört, dem König von Schottland. Die kampflustigen MacDougalls hatten ihm aufgelauert und ihm den Mantel mitsamt der Brosche entrissen. Wenn Rory doch auch einen Schatz finden könnte! Dann wären seine Tage als Freihändler endlich vorbei.

Gestern war die Stimmung in der Thistle ausgelassen gewesen. Allerdings war mehr über den Verlust des Lairds geredet worden als über die Bedrohung durch die Steuereintreiber. Neuigkeiten aus dem Schloss verbreiteten sich immer wie ein Lauffeuer im Dorf. Sechs Babys. Sechs Erben. Laird MacLeish war weit und breit geschätzt. Er ging im Sommer wie im Winter mit dem einfachen Volk angeln und passte auf die Herden auf. Meistens sah man ihn jedoch auf seinem Hengst wie einen schwarzen Blitz über den Sandstrand reiten. Manchmal beehrte der Laird sogar die Thistle mit seiner Anwesenheit. Wenn er durch die niedrige Tür eintrat und dabei seinen schwarzen Schopf fast am Türsturz stieß, verstummten die dröhnenden Stimmen sogleich voller Respekt und mehr als ein Hut wurde gezogen.

Früher hatte Rory einmal geglaubt, dass sich alles, was der Laird anpackte, in Gold verwandelte – Felder und Herden und Geschäfte. Doch sein Privatleben schien verflucht zu sein. Sowohl seine Schwester als auch seine Mutter waren innerhalb von zwei Wochen an den Pocken gestorben. Dann war sein einflussreicher Vater im Kampf gefallen. Und jetzt hatte er auch noch eine unfruchtbare, wenn auch hübsche Braut.

„Hey! Warum liegt der Schiffskapitän mit der größten Beute, die Kerrera je gesehen hat, wie ein Sandaal am Strand herum?“

Glucksend setzte Rory den Hut auf, um Jillian Brody im gleißenden Sonnenlicht besser sehen zu können. Sie lief barfuß über den Strand.

„Du siehst aus wie eine Meerjungfrau“, sagte Rory schmunzelnd.

Jillian lachte. Sie war robust wie ein Mann und besaß nichts von Larks sanfter Anmut. Um ihre Anstellung als Küchenmagd beneidete sie niemand. Wahrscheinlich war sie auch jetzt gerade auf dem Weg ins Schloss.

„Was hast du da?“, fragte er, während er ihre ausgebeulten Taschen betrachtete.

„Na, jedenfalls nicht die Brooch of Lorn“, schoss Jillian zurück. Das erinnerte Rory daran, was man über sie sagte: Angeblich konnte Jillian die Gedanken der Insulaner lesen.

Mit einem verschlagenen Lächeln holte sie eine besonders schöne Muschel aus ihrer Tasche und streckte sie Rory hin. In diesem Moment trieb ihm der Wind Jillians Geruch in die Nase. Fast hätte er die Nase gerümpft.

Rory kramte eine Goldmünze aus seiner Tasche hervor. „Du brauchst ein neues Kleid. Für den Pächterball.“

Jillian nahm die Guinea entgegen und biss ungläubig darauf. „Du bist kein gewöhnlicher Seemann.“

„Nur einer, der nach einem harten Winter etwas Freude verbreiten will. Und wasch dich bitte, ja? Dass sich ein Mann in deine Nähe wagen kann …“

„Niemand will eine Spülküchenmagd.“

„Wenn du dich herausputzt, vielleicht schon.“

Jillians Lachen war unverändert fröhlich. „Du hast ein großes Herz, Captain, auch wenn du ein rastloser Herumtreiber bist.“

*

Als Lark den Deckel der Truhe hob, schlug ihr der Geruch von Staub und Lavendel entgegen. In der Truhe befand sich die Mitgift ihrer Mutter. Der Inhalt hatte so wenig mit Larks alltäglichem Leben zu tun, dass er nur selten ans Tageslicht kam. Doch Lark kannte jeden Gegenstand in- und auswendig. Und obwohl sie sich einmal geschworen hatte, das Hochzeitskleid ihrer Mutter für ihre eigene Hochzeit aufzubewahren, kam ihr dies nun wie nutzlose Träumerei vor.

„Oh!“, sagte Granny hinter ihr. „Du machst dich an Rosemarys Lieblingssachen zu schaffen.“

Plötzlich hatte Lark Bedenken. „Macht dich das traurig, Granny?“

„Ach was, ich bin doch nur noch einen Schritt vom Himmel entfernt. Bald werd ich Rosemary wiedersehen.“ Mit diesen Worten verließ sie das enge Schlafzimmer, um den Teekessel aufzusetzen.

Vorsichtig schüttelte Lark das Kleid aus, das dringend gebügelt werden musste. Und gelüftet. Wenigstens war ihre Mutter etwa gleich groß wie Lark gewesen.

Unter dem Kleid lagen ein Paar Seidenstrümpfe und Strumpfbänder, die mit den Jahren vergilbt waren, sowie ein Fächer aus Elfenbein, der Lark schon immer fasziniert hatte. In der Truhe befand sich sogar ein Halsband aus Süßwasserperlen. Die Perlen waren nicht milchig weiß, sondern hellrosa wie die Kletterrosen im Schlossgarten.

„Trink deinen Tee, Lark“, rief Granny herüber, als das Pfeifen des Kessels verstummt war.

Dank Rory duftete es im ganzen Haus nach dem feinsten verbotenen Tee. Der Captain behauptete, dass man diesen Tee auch am Königshof trank. Das Aroma ließ die bescheidene Croft und die angeschlagenen Tassen und Hornlöffel gleich viel vornehmer wirken. Angeblich war rund die Hälfte des Tees in England geschmuggelt. Dieser Gedanke beruhigte Larks Gewissen ein wenig.

„Der Tee reicht mindestens bis Silvester“, frohlockte Granny, während sie die Kaminplatte betrachtete, unter der die Waren versteckt waren. Dann nahm sie mit einem schwärmerischen Kommentar einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse. Larks Blick wanderte zu dem zerknitterten Kleid, das auf dem Bett ausgebreitet war. „Ich traue mich nicht, den alten Stoff zu bügeln. Was, wenn er vor meinen Augen zerfällt?“

„Überlass das mir. Ich habe das Kleid auch schon am Hochzeitstag deiner Mutter gebügelt. Und am Tag deiner Taufe.“

Die indirekte Erwähnung von Babys lenkte Larks Gedanken in eine andere Richtung. „Erinnerst du dich wirklich an kein Mittel, das Lady Isla helfen könnte?“

Granny seufzte schwer und ihre silbrigen Augen wurden nachdenklich. „Vielleicht fällt es mir ein, wenn ich morgen hoch ins Schloss gehe, um zu helfen.“

„Es wäre eine nette Geste, wenn wir der Herrin vor dem Ball ein solches Geschenk machen könnten.“

„Aye“, sagte Granny, während sie genussvoll einen langen Schluck trank. „Wir beten dafür.“

4

Sei glücklich, solange du lebst, denn tot wirst du für eine lange Zeit sein.

Schottisches Sprichwort

Im Morgengrauen des Sabbats lief Magnus am Rande der Klippe entlang zur Ruine von GylenCastle. Die Natur schien verrücktzuspielen – erst verwöhnte sie die Inselbewohner mit frühlingshaften Blau- und Grüntönen, dann hüllte sie wieder alles in ein winterliches Grau. Das Läuten der Kirchenglocken im Dorf schallte durch den kühlen Mainebel zu Magnus herauf.

Nun, da er wieder zu Hause war, würde seine Abwesenheit in der Kirche auffallen. Bestimmt tratschten die Leute bereits. Aber Magnus fühlte sich Gott einfach näher, wenn er außerhalb der Kirchenmauern war, wo er die Schönheit des Meeres, des Himmels und der Klippen bewundern konnte. Selbst wenn ihn das zu einem verlorenen Schaf weit abseits der Herde machte.

Er setzte sich auf einen kalten, harten Felsvorsprung. Nareen legte sich neben ihn. Glücklicherweise war es fast windstill. Bald zahlte Magnus’ Geduld sich aus: Der Nebel lichtete sich. Trotzdem blieb Magnus’ Gemütszustand unverändert. Genau wie seine Umstände.

Als er blinzelnd auf das endlose blaue Meer hinausschaute, sah Magnus ein paar Fischerboote auf der ruhigen Oberfläche treiben. Die Aussicht von hier oben blieb immer gleich. Alle Inselbewohner kamen in den Genuss der schönen Landschaft, egal ob arm oder reich. Die meisten auf Kerrera waren arm. Magnus hingegen hatte es nie an etwas gefehlt. Er litt bloß mit den anderen mit, sah ihren Mangel und wollte ihnen helfen. Die Dorfbewohner – insbesondere die Fischer – sahen ihn als eine Art Retter an. Aber Magnus erinnerte sie immer daran, dass er nicht auf dem Wasser laufen konnte. Das Wunder der Brotvermehrung überstieg bei Weitem seine Fähigkeiten.

Herr, interessierst du dich überhaupt für den Pächterball und die Waren aus Glasgow, die noch nicht angekommen sind? Für die Launen und Marotten meiner Frau? Das todkranke Kind meines Pächters? Die Schmuggelware in der Kirche? Meine eigene unablässige Unzufriedenheit?

„Vergib mir, Vater“, flüsterte er. „Du sorgst stets auf unergründliche Weise für uns.“ Er betrachtete die Ruine von GylenCastle. Die hohen, gebogenen Lanzettfenster waren nach wie vor sehr eindrucksvoll. Früher hatte Magnus einmal ein paar Verse über Larks Vorfahren geschrieben. In letzter Zeit ließ ihm das Leben jedoch keine Zeit für Poesie.

Dann sah Magnus durch einen Dunstschleier eine Gestalt mit einem Schultertuch und einem Korb in der Hand auf sich zukommen. Nareen richtete sich auf und wedelte freudig mit ihrem buschigen Schwanz.

„Du knurrst bei jedem außer Lark“, murmelte Magnus.

Lark war früh unterwegs an einem so kühlen Morgen. Wahrscheinlich wollte sie zur Südspitze der Insel, um die wenigen Verwandten zu besuchen, die sie dort hatte. Lark entfernte sich eigentlich nur am Sabbat hin und wieder vom Schloss oder der Croft. Ihre Lippen bewegten sich. Betete oder sang sie? Lark hatte eine wundervolle Stimme. Sie sah … fröhlich aus.

„Und was hat der Laird hier verloren, mitten im feindlichen Gebiet?“, fragte Lark, als sie Magnus erblickte.

„Hier ist es friedlicher als auf Kerrera Castle, feindliches Gebiet hin oder her“, erwiderte er grinsend. „Keine mühsamen Ballvorbereitungen. Keine dringenden Geschäfte.“ Neugierig beäugte er Larks Korb.

„Das sind nur Bannocks, frisch aus dem Ofen.“

„Von deiner Granny?“

„Ganz genau.“ Sie hob das grobe Leinentuch, dann reichte sie Magnus mit einem bereitwilligen Lächeln den wahrscheinlich größten Fladen aus dem Korb. „Sie können auch zwei haben, wenn Sie wollen.“ Lark holte einen weiteren Bannock für Nareen hervor.

„Was für eine Verschwendung! Nareen schmeckt doch kaum was“, rief Magnus aus, bevor er sein Fladenbrot verschlang. „Vielleicht ist das der Grund, warum sie dich nie anknurrt.“

„Im Gegensatz zu Ihnen.“

Magnus stieg die Hitze in die Wangen. „Es scheint dir nichts auszumachen.“

„Ich bin’s ja gewohnt. Schließlich bin ich mit Ihnen aufgewachsen. Der Laird kann tun, was er will. Nur wir einfachen Leute müssen auf unsere Manieren achten.“

„Es tut mir leid, Lass.“ Magnus meinte es ernst. Die Umstände machten ihn oft missmutig. Umso mehr freute er sich über einen seltenen Bannock.

„Wie geht es Ihrer Ladyschaft?“

„Unverändert.“

„Ich arbeite an einem Heilmittel. Ich habe es nicht vergessen. Granny denkt auch nach.“

„Isla vermisst Edinburgh.“ Und packte bereits, um dorthin zurückzukehren. Er hatte aufgehört zu zählen, wie viele Truhen seine Frau besaß. Aber nach sechs Jahren hatte er sich an all das Kommen und Gehen gewöhnt, an die vielen Reisevorbereitungen und die Pendelei zwischen ihrem Stadthaus in Edinburgh und dem Schloss. Es war kein Geheimnis, dass Isla das Inselleben hasste. „Wir werden wahrscheinlich nach dem Ball abreisen.“

„Ich hoffe, der Lady geht es gut genug, um teilzunehmen.“

„Ich kann nichts versprechen.“

„Und ich werde nicht weiter fragen.“ Lark nickte dem Laird zu, machte einen kleinen Knicks und ging dann ihres Weges. Nareen folgte ihr, den Korb mit den Fladen fest im Blick.

Magnus wollte das Gleiche tun. Lark folgen und ihrem einfachen Gesang lauschen. Doch er zwang sich, den Blick von ihr loszureißen und wieder aufs Meer hinauszuschauen, während er seine wintermüden Knochen von der Sonne wärmen ließ.

Nach einer Weile kehrte Nareen schwanzwedelnd und mit leuchtenden Augen zurück. Ja, Lark hatte diese Wirkung – auf Menschen und Tiere. Nach einer Begegnung mit Lark fühlte man sich einfach besser. Obwohl sie von den kriegerischen MacDougalls abstammte.

*

„Erzähl mir von deinem Kleid“, bat Catriona sehnsüchtig. „Ich habe nichts Schönes anzuziehen. Vor allem nicht mit meinem runden Bauch.“

Lark musterte ihre hübsche Cousine, die gerade wieder ein Kind erwartete. Sie sah drall und rosig aus. „So hübsch, wie du bist, brauchst du dich nicht rauszuputzen.“ Trotzdem wünschte Lark, sie könnte Catriona etwas Buntes nähen, um von ihrer Blässe abzulenken und ihren runden Bauch zu kaschieren. „Mutters Kleid ist alt. Granny will es bügeln, aber ich fürchte, dass es zerfallen wird.“

„Und welche Farbe hat es?“

„Blauer Brokat. Hellblau.“

„Passend zu deinen Augen. Nur leider keine Erbbrosche. Aber du hast den Perlenschmuck der Familie, oder? Und welche Schuhe ziehst du an?“

Lark streckte einen ihrer nackten Füße unter dem mit Rüschen besetzten Unterrock hervor. „Ich gehe am besten barfuß, da an meinen Schuhen ein Absatz fehlt und ich keine Zeit habe, zum Schuster zu gehen.“

Catriona lächelte. „Aye, das ist gut. Sonst bist du größer als die meisten Männer.“

Lark richtete sich auf, straffte die Schultern und nahm eine majestätische Pose ein, wie sie es bei Isla gesehen hatte. Isla war so hochgewachsen wie der Laird. Außerdem hatte sie eine vornehme, königliche Körperhaltung, die den Frauen der Insel fremd war. Das Einzige, was Isla fehlte, war eine Krone. Lark hatte sich lange gefragt, womit Isla wohl Magnus’ Aufmerksamkeit erregt hatte. Sicherlich war es das.

„Vielleicht solltest du auch den Kopf einziehen. Kein Mann will eine so große Frau.“

„CaptainMacPherson ist größer“, sinnierte Lark.

„Pah!“, erwiderte Catriona kichernd. „Aber nicht so groß wie der Laird. Er hat nordisches Blut, ich sag’s dir.“

Magnus war riesig. Wie ein Wikinger. Und seine Augen hatten ein außergewöhnliches Blau, das in einem bestimmten Licht silbrig wirkte. „Als Kleinkind hatte er ganz helles, fast weißes Haar. Aber dann ist es dunkel geworden.“

„Aber Saundras Haare sind flachsblond geblieben.“

Die beiden Cousinen schwiegen eine Weile, versunken in traurige Erinnerungen. Lark hatte nie aufgehört, Magnus’ Schwester zu vermissen. Saundra war so elfengleich gewesen, wie Magnus eindrucksvoll war. Und viel sanftmütiger. Ihr früher Tod hatte alle auf der Insel betroffen gemacht. Und Lark war es immer noch.

„Schluss damit“, sagte Catriona schließlich, während sie ihren runden Bauch streichelte. „Es ist Zeit für Geburten und Bälle, nicht für Totenwachen.“

Larks Stimmung hob sich. So mancher Pächterball war bereits der Anfang einer Romanze gewesen. Die Menschen auf Kerrera arbeiteten so hart, dass nur wenig Zeit für Vergnügen blieb. Darum gab es kaum eine Gelegenheit, jemanden kennenzulernen.

„Ich gehe jetzt besser nach Hause zu Granny.“ Als Larks Blick ein letztes Mal auf den Korb mit den Bannocks fiel, wurde sie wieder an Magnus und Nareen erinnert. Und an das Heilmittel, das sie für Lady Isla finden musste.

„Dann bis zum Ball, Catriona.“

Im Laufe der nächsten Woche ernteten die Köchin und Lark die Kräuter, die sie benötigten, um das Geflügel, den Hammel sowie die vielen anderen Gerichte für den bevorstehenden Ball zu würzen. Eine spürbare Aufregung lag in der Luft und ließ alle Inselbewohner fröhlicher wirken. Oder bildete Lark sich das bloß ein?

Sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie kaum bemerkte, wie die Köchin an der Gartenmauer innehielt. Doch als Lark das Klappern von Pferdehufen und einer Kutsche hörte, gesellte sie sich zu der älteren Frau. Durch die letzten Nebelschwaden des Vormittags konnte sie eine ganze Armee von Dienern erkennen, die Koffer in allen Formen und Größen zur Kutsche schleppten. Es schien, als wolle jemand Kerrera für immer verlassen.

Isla? „Ich kann es nicht fassen.“ Die Köchin schürzte nachdenklich die Lippen. „Und die hochmütige Rhona haut mit ihr ab. Ein Glück, dass wir die los sind!“

Erstaunt über den wortreichen Ausbruch der Köchin riss Lark die Augen auf.

„Fahren sie nach Edinburgh?“, flüsterte Lark.

„Aye. Wohin sonst? Und ausgerechnet heute, einen Tag vor dem Ball.“

Oh, Magnus. Ob er davon wusste? Bei ihrer letzten Begegnung in der Nähe der Ruine hatte er gesagt, dass er und Isla nach dem Ball aufbrechen würden.

„Und der Laird ist drüben in Balliemore und weiß wahrscheinlich von nichts“, mutmaßte die Köchin. Dann verschwand sie mit staksenden Schritten in Richtung Schloss und ließ Lark mit ihrem halb vollen Korb allein. Sosehr sie es auch versuchte, konnte Lark ihren Blick einfach nicht von Isla abwenden. Die große himmelblaue Feder auf ihrem Hut wurde fast abgeknickt, als sie durch die niedrige Tür in die Kutsche stieg. Rhona folgte ihr auf den Fersen. Sowohl die Herrin als auch ihre Zofe hielten je einen Mops auf dem Arm. Isla schien es sehr eilig zu haben – vielleicht, weil Magnus jeden Moment zurückkehren konnte?

Das Minzblatt, auf dem Lark herumgekaut hatte, schmeckte plötzlich bitter. Islas Abreise würde einen Skandal verursachen. Niemand auf Kerrera würde mehr Mitleid mit Isla haben wegen ihres kürzlichen Verlusts. Man würde ihre Abreise als Beleidigung auffassen – für den Laird, seine Pächter und die gesamte Insel.

Wie würde Magnus die Abwesenheit seiner Frau erklären?

So wie Lark ihn kannte, gar nicht.

Während die Kutsche die Zufahrt entlangrollte und dann nach Osten abbog, trat Granny aus dem Destillierraum. Hastig erklärte ihr Lark die Situation.

„Abgereist, sagst du?“ Grannys Stimme spiegelte Larks Sorge wider. „Aber mir ist gerade eingefallen, was Lady Isla helfen könnte. Brennnessel. Roter Klee und Wildhimbeere. Und ein bisschen Löwenzahn.“

„Das habe ich alles schon versucht, Granny.“ Das Bedauern in Larks Stimme hatte mehr mit Magnus’ Situation zu tun als mit Islas Zustand. Wenigstens hatte Lark getan, was sie konnte, während Isla auf dem Schloss gewohnt hatte. Ein halbes Dutzend Mittel hatte sie zubereitet, aber Isla hatte sie alle für nutzlos erklärt.

„Haferstroh … Wanzenkraut …“, murmelte Granny, während sie davontrottete.

Lark versetzte ihrem Korb einen verzweifelten Stoß. Rosmarin. Thymian. Eins von Larks Lieblingsgewürzen, Salbei, konnte so früh im Jahr nur im Gewächshaus geerntet werden. Magnus hatte darüber nachgedacht, die beschädigte Orangerie auf der Südseite des Schlosses zwischen der Küche und dem formalen Garten reparieren zu lassen. Lark und die Köchin waren begeistert gewesen, aber Isla hatte sich gegen die Kosten, den Staub und den Lärm gewehrt. Vielleicht war es einfach nicht der richtige Zeitpunkt für das Projekt. Es war auf jeden Fall der falsche Zeitpunkt für Islas Abreise.

Als das Rattern der Kutsche verklang, sah Lark den Laird unten über den Strand reiten. Ein heftiges Tauziehen begann in ihrem Innern. Sollte sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren und sich aus dem Privatleben der MacLeishes raushalten? Oder sollte sie ans Wasser hinunterrennen und Magnus die Neuigkeiten verkünden, damit er Isla folgen und sie zur Vernunft bringen konnte?

„So niedergeschlagen hab ich dich ja noch nie gesehen.“

Lark wirbelte herum, verblüfft, den Captain auf der anderen Seite der Gartenmauer zu sehen. Als Rory den Hut abnahm, fuhr der raue Küstenwind durch sein mittellanges Haar. Mit gereizter Miene schlug er nach einer Biene, die ihn verfolgte.

„Was führt dich hierher?“, fragte Lark so beiläufig wie möglich, während sie sich bückte, um einen Zweig Petersilie zu pflücken.

„Ein Treffen mit dem Laird. Bevor die Merry Lass wieder ausläuft, sind ein paar Reparaturen fällig.“

Reparaturen, die der Laird ohne Zweifel mitfinanzieren würde. Lark stellte den Korb ab, ging zu Rory