Das verzauberte Puppenhaus (Villa Holunder) - Patricia Schröder - E-Book

Das verzauberte Puppenhaus (Villa Holunder) E-Book

Patricia Schröder

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Beschreibung

Mia kann es kaum abwarten: Morgen ist ihr Geburtstag und dann bekommt sie endlich das lang ersehnte Computerspiel "City of Dolls". Umso geschockter ist sie, als ihre Familie ihr ein echtes Puppenhaus überreicht. Mit dabei ist ein geheimnisvoller Brief, aus dem einige Holunderbeeren und -blätter rieseln. Mias verschollene Tante Rikka bittet Mia darum, gut auf das Puppenhaus "Villa Holunder" aufzupassen, und macht einige merkwürdige Andeutungen. Mias Neugier ist geweckt. Und als es dann auch noch geheimnisvoll raschelt und die kleinen Puppenhausbewohner wie von Geisterhand ihre Position wechseln, wird Mia klar, dass sie und ihr neuer Freund Luca gerade in ein großes Abenteuer hineinschlittern. Eine zauberhafte Geschichte mit ganz besonderen Hingucker-Seiten: Aufwendige Foto-Collagen lassen die Villa Holunder tatsächlich zum Leben erwachen!

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Seitenzahl: 220

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PATRICIA SCHRÖDER

Das verzauberte

Puppenhaus

eISBN 978-3-649-64326-5

© 2022 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Hafenweg 30, 48155 Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

Text: Patricia Schröder

Fotografie: Leonie Ebbert

Bildbearbeitung, Layout und Umschlaggestaltung: Britta Paus, unter Verwendung vonMotiven von www.shutterstock.com auf den Buchseiten 8, 11, 15, 16, 22, 23, 25, 32, 33, 46, 48, 56, 57, 72-75, 80, 81, 122, 131, 138, 139, 159, 174, 175, 178, 183, 192, 194, 199 sowie auf dem Cover

Lektorat: Maren Jessen / Sara Falke

Satz: Britta Paus / FSM Premedia GmbH & Co. KG

www.coppenrath.de

Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN 978-3-649-63658-8.

Inhalt

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

Über den Autor

KAPITEL 1

in dem es umgetauschteGeburtstageund echteHERZENS-wünschegeht

Stell dir vor, du hättest morgen Geburtstag. Du würdest 10 Jahre alt werden, und das würde bedeuten, du wärst endlich nicht mehr 9.

Du würdest das schon ewig lange ersehnte Handy bekommen, vielleicht sogar einen eigenen Läppi. Oder wenigstens ein Tablet. Ja, ja, schon gut! Ich weiß natürlich auch, dass manche von euch lieber ein Pony hätten, ein Mountainbike oder eine Dauerkarte für den Lieblingsfußballverein. Doch das alles hatte Mia im Grunde ja schon.

Okay, das Pony gehörte nicht ihr, sondern ihren Großeltern. Die wohnten fast zweihundert Kilometer entfernt und Mia war immer nur in den Sommerferien, zu Ostern und an Weihnachten dort. Aber immerhin. Das Mountainbike hatte sie bereits zu ihrem neunten Geburtstag bekommen. Dabei hatte Mia es sich damals eigentlich gar nicht richtig gewünscht. Ihr altes Fahrrad tat es schließlich noch, auch wenn man damit nicht besonders flink über dicke Hubbel und durch Matschpfützen sausen konnte.

Tja, und was die Dauerkarte für den Fußballverein betraf: Die wäre schon eher etwas für Jonas gewesen.

Mias kleiner Bruder war nämlich ein riesengroßer Fan von Marco Reus und dem BVB.

Dummerweise war es bis nach Dortmund aber noch weiter als zu den Großeltern, weshalb Jonas die Bundesligaspiele nur ab und zu im Fernsehen anschauen konnte.

Vor zwei Monaten war er in die erste Klasse gekommen und bis zu seinem siebten Geburtstag dauerte es noch genau vier Monate. Lustigerweise waren Mia und er beide an einem Vierten geboren. Mia am 4. Oktober und ihr Bruder am 4. Februar.

„Das ist voll ungerecht“, maulte Jonas, der heute ausnahmsweise auf einem Matratzenlager in Mias neuem Dachbodenzimmer schlafen durfte. Zornig knuffte er sein Kopfkissen. „Du hast immer im Fast-noch-Sommer Geburtstag und ich nie.“

„Das ist nicht ungerecht, sondern Tatsache“, erwiderte Mia.

So wie die Herbstferien, die vor drei Tagen begonnen hatten. Oder ihr Umzug in dieses alte efeuberankte Fachwerkhaus am Stadtrand letzten Samstag.

„Und Tatsachen lassen sich nun mal leider nicht ändern“, fuhr sie fort. „Außerdem haben wir jetzt nicht Sommer, sondern Herbst.“

„Aber gerade ist es fast genauso heiß wie im Sommer“, jammerte Jonas. „Du hast immer schönes Wetter. Und ich habe immer Regen oder Schneematsch.“

„Dafür machst du an deinem Geburtstag tolle Unternehmungen“, sagte Mia. „Zum Beispiel kegeln.“

„Laaangweilig!“, stöhnte Jonas.

„Oder Kino“, zählte Mia weiter auf.

„Auch blöd, wenn es nur blöde Filme gibt“, meckerte Jonas.

Mia verdrehte die Augen. Sie konnte es nicht leiden, wenn ihr Bruder so motzig war.

„Das letzte Mal bist du mit deinen Freunden im Erlebnisbad gewesen“, sagte sie.

„Na gut“, lenkte Jonas ein. „Das war wirklich ziemlich cool.“

Er setzte sich auf und schlug so lange auf sein Kissen ein, bis es wieder schön platt war. Dann schnappte er sich seinen Stoffdino namens Dino, kuschelte ihn in seine Arme und drehte sich mit dem Rücken zu Mia. Sie sollte nämlich auf keinen Fall sehen, dass er sich einen der plüschigen Nasenhöcker in den Mund schob und daran herumnuckelte.

„Trotzdem will ich mal tauschen“, nuschelte er.

Mia verschränkte die Arme unter ihrem Kopf, pustete einen Schwall Luft in Richtung Zimmerdecke und überlegte.

„Abgemacht“, sagte sie schließlich. „Nächstes Jahr kannst du gerne schon im Oktober feiern. Und ich hole meinen Geburtstag dann im Februar nach.“

„Echt?“ Jonas ließ Dino los und schoss wie ein Stehaufmännchen in die Höhe. „Aber dann musst du doch irre lange auf deine Geschenke warten!“

„Egal“, sagte Mia und lächelte still in sich hinein.

Ab morgen würde sie sowieso nie wieder neue Geschenke brauchen. Na ja, nie wieder war vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber zumindest erst mal nicht und eben nicht superdringend.

Denn morgen würde sie endlich ein eigenes Tablet bekommen und – was noch viel wichtiger war – dazu das angesagteste Computerspiel aller Zeiten: city of dolls. Das war Englisch und bedeutete „Stadt der Puppen“. Ihre Freundinnen Neomi und Larissa besaßen es bereits. Sie spielten es jeden Tag stundenlang und sprachen über kaum etwas anderes mehr.

„Ich habe Gabriella gestern einen Hundesalon eingerichtet“, hatte Neomi letzten Freitag auf dem Nachhauseweg von der Schule erzählt.

„Wow! Das mach ich auch“, hatte Larissa geantwortet. „Aber erst mal kriegen Tom und Lilly das ganze Bad in Gold. Das sieht bestimmt total krass aus!“

„Ninas Eltern mögen ihrs auch nicht mehr“, hatte Neomi daraufhin eifrig erklärt. „Ich baue ihnen heute einfach das ganze Haus um, damit Nina endlich ein eigenes Zimmer kriegt. Mit allem Pipapo.“ „Supi!“, hatte Larissa gejubelt. „Das kannst du dann online bei mir in der City kaufen. Meine Tante hat mir nämlich das Zusatzgame mit dem Möbelgeschäft geschenkt. Ich muss es nur noch installieren.“

Mia war schweigend neben ihren Freundinnen hergelaufen und hatte wieder mal nicht mitreden können.

Klar hatte sie in den letzten Wochen ab und zu neben Neomi oder Larissa daheim am PC gehockt und zugeschaut, wie die Freundinnen ihre „Sssitties“ aufbauten. Wie sie Wohnungen und Läden einrichteten und sich immer neue Puppenmenschen und Plüschtiere ausdachten, die darin lebten und arbeiteten.

Manchmal hatte Mia sogar versucht, eigene Ideen einzubringen. Zum Beispiel hätte sie es gut gefunden, wenn Larissa in ihrer Stadt einen großen Park oder einen Zoo angelegt hätte. Und Neomi hatte sie vorgeschlagen, in ihrem Kaufhaus nicht nur Klamotten und Geschirr zu verkaufen, sondern auch Blumen und Bücher.

Doch die Freundinnen hatten jedes Mal den Kopf geschüttelt.

„Ich mag keine Parks“, hatte Larissa gemeint. „Da muss man ja die ganze Zeit draußen sein.“

Und Neomi hatte geknurrt: „Jetzt halt mal die Klappe, Mia. Ich weiß schon, was ich tue. Wünsch du dir doch dein eigenes city of dolls.“

Und das hatte Mia dann auch getan. Ganz oben und sowieso als Einziges hatte es auf ihrem Wunschzettel gestanden:

*1 Laptop oder ein Tablet

*1x city of dolls

*plus vielleicht noch das Zusatzspiel Park und Zoo

(aber nur, wenn es nicht zu teuer ist)

Sicherheitshalber hatte Mia noch „Echte Herzenswünsche“ daruntergeschrieben.

„Ist dir wirklich egal, wann du Geburtstag feierst?“, fragte Jonas leise.

„Mhm“, antwortete Mia ebenso leise.

Morgen würde sie der glücklichste Mensch im Universum sein. Und dafür hätte sie ihren Geburtstag sogar dreimal hintereinander ganz ausfallen lassen. Mindestens.

Als Mia die Augen aufschlug, war es schon hell im Zimmer. Jonas und Dino hatten ihr Matratzenlager bereits verlassen. – Na, klar, die beiden waren ja immer früh auf! Fast hätte Mia sich noch einmal umgedreht und ein bisschen weitergedöst, aber dann fiel ihr ein, dass sie ja Geburtstag hatte! Tataaa! Mia sprang so schnell aus dem Bett, dass ihr schwindelig wurde. Sie hechtete zur Tür, flitzte durch den angrenzenden Dachbodenraum und stieg, so schnell sie konnte, die beiden Treppen bis ins Erdgeschoss hinunter. Dort blieb sie wie angewurzelt stehen. Wieso bloß war es so unfassbar still im Haus? Waren Mama und Papa etwa noch gar nicht wach, um ihr zu gratulieren?

Mia wartete kurz, bis der Schwindel vom Zu-schnell-aus-dem-Bett-Springen vorbei war, und stapfte dann weiter ins Wohnzimmer. Manchmal war der Gabentisch nämlich da aufgebaut. Zum Beispiel, wenn die Geschenke sehr groß waren oder es besonders viele davon gab. Für einen läppisch kleinen Läppi und ein bis zwei Computerspiele wäre das allerdings überhaupt nicht nötig gewesen, fand Mia – und stutzte. Da war nämlich wirklich nichts.

Im Wohnzimmer sah alles ganz normal aus. Kein Gabentisch, kein Geburtstagskuchen, kein sonst was.

Mia rannte in den Flur zurück.

„Mamaaa!“, rief sie. „Habt ihr etwa meinen Geburtstag verpennt?“

Niemand antwortete. Stattdessen ertönte über ihr im ersten Stock ein Kichern, dem leises Fußgetrappel folgte. Es hörte sich nach ziemlich vielen Füßen an. Jonas konnte es also nicht gewesen sein. Zumindest nicht allein.

„Mensch, Mama!“, sagte Mia und auf einmal musste sie lachen. Erleichtert stürmte sie ins Obergeschoss zurück. „Wo seid ihr denn?“

„Hie-hier!“, kam es aus Jonas’ Zimmer.

„Oh Mann!“ Mia rollte mit den Augen. „Ihr habt Verspätung!“, rief sie, während sie über die Schwelle hüpfte.

„Oder du Verfrühung“, erwiderte die Stimme ihres Vaters.

Von ihm selbst allerdings oder Mama war keine Spur zu entdecken.

Dafür stand mitten im Zimmer etwas Riesiges. Es war so breit wie Jonas’ Lego-Bau-Tisch und fast so hoch, wie Mia lang war.

Und es war unter einem matt glänzenden pinkfarbenen Bettlaken versteckt. Ein bisschen sah es so aus wie ein Himbeereisberg. „Was ist denn hier los?“, platzte es aus Mia heraus.

Ihr Blick fiel auf den dunklen verstrubbelten Haarschopf ihres Bruders. Jonas war in sein Bett gekrochen, hatte sich die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen und prustete dumpf in sie hinein.

„Happy Birthday to you … happy Birthday to you …“, fing jemand an zu singen.

Es klang total schräg. So als ob dieser Jemand noch sehr viel üben müsste. Mia vermutete, dass es sogar zwei Jemande waren, und damit lag sie goldrichtig. Denn in diesem Moment tauchten die hochroten Köpfe ihrer Eltern hinter dem Himbeereisberg auf.

„Was ist das?“, unterbrach Mia deren schiefen Gesang und pikste mit dem Finger in das Bettlaken.

Dahinter fühlte es sich ziemlich hohl an.

„Etwas super, super Tolles“, sagte Frau Meister, Mias Mutter.

Sie strahlte über das ganze Gesicht und in ihren schokobraunen Augen funkelte es erwartungsvoll.

Oh nein! Mia rutschte das Herz in die Pyjamahose. Plötzlich hatte sie das verdammt ungute Gefühl, ganz schnell mal etwas richtigstellen zu müssen.

„Ihr wisst aber schon, dass ich mir einen Läppi gewünscht habe, oder?“, fragte sie mit wackelweicher Stimme.

„Öhm … ja …“, antwortete ihre Mutter.

„Das hier ist aber etwas viel Besseres“, behauptete Thomas Meister.

„Ein Riesenläppi“, gackerte Jonas. Seine Bettdecke wogte über seinem Mund auf und ab und sein Plüsch-Dino purzelte in hohem Bogen aus dem Bett. „Damit kann Mia ausrechnen, wie viele Jahre eine Rakete von Amerika bis in die nächste Galaxie unterwegs ist.“

„Pah!“, machte Mia und dachte: hoffentlich nicht!

Ihr war jetzt schon ganz schlecht. Dabei sollte es noch viel schlimmer kommen.

„Nun zieh schon endlich das Laken herunter!“, quiekte ihre Mutter.

Obwohl es gar nicht sie war, die Geburtstag hatte, hörte sie sich total aufgeregt an.

Unschlüssig starrte Mia auf den pinken Bettlakenzipfel, der direkt vor ihr herunterhing. Vielleicht hatten ihre Eltern den Läppi und das city of dolls-Spiel ja einfach bloß extrem lustig verpackt.

Na gut, dachte Mia. Sie ergriff den Zipfel mit beiden Händen, kniff die Augen zu und zog … und zog … und zog … bis etwas raschelnd vor ihren Füßen zu Boden fiel.

Dann machte Mia ihre Augen wieder auf – und wäre fast in Ohnmacht gefallen.

KAPITEL 2

in dem es einespannendeGeschichteum eineverschwundeneGROSSTANTEund einengeheimnisvollenBRIEF gibt

Was ist das denn für ein Mörderteil?“, stieß Mia entsetzt hervor.

„Ähm … lass mich raten …“, meinte ihr Vater. Er reckte seinen Hals und machte komische Verrenkungen um das Mörderteil herum. „Ein Puppenhaus?“

„Sehr witzig!“, brummte Mia. „Jedenfalls … Das habe ich mir ganz bestimmt nicht gewünscht!“

„Ich weiß“, sagte ihre Mutter, „aber schau es dir doch erst einmal richtig an“, versuchte sie ihre Tochter zu besänftigen.

Mia presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Sie hatte bereits mehr als genug gesehen. Noch nie zuvor in ihrem Leben war sie so bitter enttäuscht gewesen. „Mama, ich bin jetzt zehn!“, schluchzte sie los.

Ein Puppenhaus hätte sie sich vielleicht vor drei oder vier Jahren gewünscht, als sie noch ein sehr kleines Mädchen gewesen war. Ein Barbie-Haus. Oder eins von Playmobil. Auf jeden Fall ein modernes! Dieses hier aber war nicht nur völlig unmodern, sondern auch uralt. Stinkig hätte Larissa wahrscheinlich gesagt.

Okay, bei ihr musste allerdings auch immer alles möglichst frisch gekauft oder zumindest blitzsauber sein. Jedes Teil, das nicht mehr neu roch oder vielleicht schon zehnmal gewaschen worden war, wurde in Larissas Familie gnadenlos aussortiert. Ihre Mutter arbeitete in einer Kinderboutique und brachte Larissa ständig neue Klamotten mit und die Lieblingsbeschäftigung von ihrem Vater war Putzen. Manchmal saß Herr Lamberto sogar spätabends noch mit dem Staubwedel vor dem Fernseher und fuchtelte herumschwirrende Fusseln aus der Luft.

Mia mochte sich gar nicht vorstellen, wie Larissa heute Nachmittag reagieren würde, wenn sie dieses Puppenhaus zu Gesicht bekam. „Das muss weg!“, sagte sie, während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. „Sofort!“

„Und wohin, bitte schön?“, wollte ihr Vater wissen.

Seine dunklen Augenbrauen hatten sich über der Nasenwurzel zusammengeschoben, was ihn nicht gerade fröhlich aussehen ließ. Im Gegenteil: Es hatte den Anschein, als würde er jede Sekunde explodieren.

„Keine Ahnung“, sagte Mia trotzdem.

„Zum Beispiel in den Keller. Oder …“

„Das ist leider nicht möglich, Schätzchen“, mischte ihre Matter sich ein. „Dieses Puppenhaus hat deiner Großtante Rikka gehört. Sie hat es dir vererbt.“

Vererbt? Abermals schüttelte Mia den Kopf.

„Die wohnt doch in Amerika“, sagte sie.

„Ich kenne sie überhaupt nicht!“

„Aber Tante Rikka dich“, gab ihre Mutter zurück.

Inzwischen waren sie und ihr Mann hinter dem Puppenhaus hervorgekommen. Beide trugen die gleichen gelb-grün karierten Schlafanzüge. Darin und mit ihren dunklen Haaren und den schokobraunen Augen sahen sie fast wie Zwillinge aus.

„Bevor Tante Rikka nach Amerika ausgewandert ist, hat sie uns besucht“, erzählte Frau Meister. „Damals warst du fast drei Jahre alt.“

„Und jetzt bin ich zehn“, betonte Mia noch einmal. „Ich spiele nicht mehr mit Puppenhäusern! Schon gar nicht mit so einem!“, bekräftigte sie und zeigte auf das dreistöckige Monsterteil.

Vier Zimmer hatte es, eine Küche, ein Bad und einen Flur, von dem aus eine Treppe in die obere Etage hinaufführte. An den Wänden klebten vergilbte Streifentapeten und alles war total altmodisch eingerichtet – mit lauter Möbeln und Dingen, die es in den Shoppingcentern von city of dolls garantiert nicht zu kaufen gab.

„Ist Tante Rikka denn tot?“, fragte Jonas plötzlich mitten in die angespannte Stille hinein.

Seine Eltern warfen sich einen kurzen Blick zu. Beide holten tief und geräuschvoll Luft. Schließlich antwortete Frau Meister:

„Na ja, ehrlich gesagt, wissen wir es nicht genau.“

„Hä?“ Mit einem Satz sprang Jonas aus dem Bett. „Und wieso vererbt sie Mia dann ein Puppenhaus? Das geht doch nur, wenn man tot ist. Weil … sonst wäre es ja ein Geschenk.“

„Da hast du vollkommen recht, mein Sohn.“ Herr Meister wuschelte Jonas durch die vom Schlaf zerzausten Haare.

„Vielleicht ist es das ja auch … ein Geschenk“, meinte seine Frau nachdenklich. „Zumindest hoffe ich das, denn es würde bedeuten, dass Tante Rikka noch lebt und wir uns keine Sorgen mehr um sie machen müssen.“

„Aber dann hätte sie es doch dazuschreiben können“, fand Jonas.

„Das hat sie ja auch“, sagte seine Mutter. Sie sah zwischen Mia und deren Bruder hin und her und seufzte leise. „Die Sache ist wirklich verzwickt.“

„Oh Mann! Ich kapier das alles nicht!“, stöhnte Mia.

Sie ließ sich auf Jonas’ Schreibtischstuhl fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte das Puppenhaus finster an.

„Also …“, begann ihr Vater. „Die Sache ist so: Wir haben seit einem halben Jahr nichts mehr von Tante Rikka gehört. Auf Mamas Briefe hat sie plötzlich nicht mehr zurückgeschrieben. Wenn wir bei ihr angerufen haben, hat sie nicht abgenommen, und auf ihrem Handy hat sich immer nur die Mailbox gemeldet.“

„Oma Henni war schrecklich verzweifelt“, fuhr Mias Mutter fort. „Sie hat Tante Rikka nämlich auch nicht mehr erreicht. Und deshalb ist sie im Sommer kurzerhand in die USA geflogen, um persönlich nach ihrer Schwester zu schauen.“

„Aber dann hätte Oma Henni doch ihre Leiche gefunden!“, rief Jonas. Mit einem aufgeregten Funkeln in den Augen sah er seine Mutter an. „Und? Hat sie?“

Alles, was mit Leichen zu tun hatte, fand er seit Neuestem ungeheuer spannend.

„Nein, zum Glück hat sie das nicht“, erwiderte Birgit Meister. „Allerdings konnte Oma Henni mit einer Freundin von Tante Rikka sprechen. Und die hat ihr erzählt, dass eure Großtante Anfang des Jahres ganz plötzlich verreisen musste. Tante Rikka hat ihrer Freundin Geld gegeben und sie gebeten, sich um ihre Blumen zu kümmern und die Miete für ihre Wohnung weiterzubezahlen.“

„Ach so“, sagte Jonas. „Und wann kommt Tante Rikka wieder zurück?“

„Das wissen Mama und Papa doch nicht, du Döppi“, blaffte Mia. „Sonst würden sie ja nicht denken, dass sie vielleicht tot ist.“ Wow! Was für ein tolles Thema für ihren zehnten Geburtstag!

„Ach so“, sagte Jonas noch einmal. „Dann ist sie wohl einfach verschwunden.“

Sein Vater nickte. „Tja, sieht ganz so aus“, murmelte er beklommen.

„Bestimmt hat sie sich verknallt“, spekulierte Jonas weiter. „Und weil ihr Liebster ein Agent ist, musste sie mit ihm untertauchen.“

Mia verdrehte die Augen. „Mann ey!“, knurrte sie. „Was hast du denn für Filme geguckt?“

„Gar keine“, verteidigte Jonas sich und zeigte ihr einen zweifingerigen Doppelvogel. „So was weiß man doch!“

„Schluss jetzt!“, sagte seine Mutter energisch. „Mia hat Geburtstag und an Geburtstagen wird nicht gestritten! Sie soll sich doch freuen.“

„Mia freut sich aber nicht, weil sie ein dummes Puppenhaus geschenkt gekriegt hat“, entgegnete Jonas. „Und wenn sie es leider, leider nicht haben will, können wir doch auch eine Garage für meine Porsches daraus machen.“

„Zuerst muss Mia den Brief von Tante Rikka lesen“, erwiderte Frau Meister. „Dann sehen wir weiter.“

Sie zog einen rosafarbenen Umschlag hinter ihrem Rücken hervor und hielt ihn Mia mit einem ermunternden Lächeln entgegen.

„Hä?“, machte Jonas. „Ich dachte, Tante Rikka schreibt keine Briefe mehr.“

„Ihre Freundin hat ihn zusammen mit dem Puppenhaus geschickt“, erklärte sein Vater. „Tante Rikka hat ihn vermutlich also schon vor einigen Monaten verfasst.“

„Ach sooo!“ Jonas zog eine Professor-Grimasse. „Capiiito!“

„Fein“, sagte seine Mutter. „Ich schlage vor, jetzt putzen du, Papa und ich uns erst mal die Zähne. Danach kümmern wir uns um das Geburtstagsfrühstück.“

Und weil Mia keine Anstalten machte, den Brief an sich zu nehmen, legte Birgit Meister ihn mit einer nachdrücklichen Geste neben das Lesebuch auf den Schreibtisch.

„Papa und ich haben ihn nicht geöffnet“, raunte sie ihrer Tochter zu. „Schließlich ist er an dich gerichtet. Aber wenn du ihn nicht liest, müssen wir es tun.“

Dann macht es doch!, lag es Mia auf der Zunge zu antworten. Im letzten Moment verkniff sie es sich. Stattdessen starrte sie angestrengt auf die dunkelrot lackierten Fußnägel ihrer Mutter.

Die Luft zwischen ihnen beiden britzelte geradezu, so als ob sie elektrisch aufgeladen wäre.

Warum habt ihr mir eigentlich nichts geschenkt, sondern nur Tante Rikka?, wollte Mia am liebsten fragen, aber auch das brachte sie nicht heraus.

„Das verstehst du doch, oder?“, hakte ihre Mutter nach. „Wenn in dem Brief irgendetwas darüber steht, was mit Tante Rikka passiert ist, dann müssen wir das wissen!“

Mia guckte weiter nach unten und nickte. Klar mussten sie das.

„Na gut“, sagte Birgit Meister. „Ich denke, das Frühstück wird in ungefähr einer Viertelstunde fertig sein.“

„Okay“, krächzte Mia. Sie wartete noch, bis ihre Mutter aus dem Zimmer gehuscht war und die Tür hinter sich zugezogen hatte, dann erst griff sie nach dem Brief.

Der Umschlag war nicht ganz gleichmäßig rosa, sondern an den Rändern schon ein wenig ausgeblichen. Aber er roch gut. Süß und irgendwie auch ein bisschen würzig. Mia kannte den Duft, sie kam nur gerade nicht darauf, woher.

Eine Briefmarke gab es nicht, aber in einer hübschen, schwungvollen Schrift stand:

Mit drei Ausrufezeichen!

Mia hielt für einen Moment den Atem an. Plötzlich kam es ihr so vor, als hätte ihr jemand aus einer schon ewig vergangenen Vergangenheit geschrieben. Na gut, eigentlich war es nicht irgendjemand, sondern ihre Großtante – was es jedoch nicht weniger gruselig machte! Immerhin war Tante Rikka unter ziemlich geheimnisvollen Umständen verschwunden. Niemand, nicht einmal ihre Freundin in Amerika, wusste, wo sie war.

Mia spürte, wie ihr eine Gänsehaut über den Rücken prickelte. Sie war bereits drauf und dran, vom Stuhl aufzuspringen und den Brief ihrer Mutter zurückzugeben, aber dann blieb sie doch sitzen. Ihre Neugier war einfach größer.

Warum hatte Tante Rikka, mit der sie nie etwas zu tun gehabt hatte, ausgerechnet ihr einen Brief geschrieben, bevor sie verschwand? Und wieso nur hatte sie ihr dieses schreckliche Puppenhaus vermacht?

Kurz entschlossen schnappte Mia sich die Schere aus der Stiftebox und schnitt den Umschlag an der ausgeblichenen Seite auf. Der Brief, den sie hervorzog, war ebenfalls rosa. Als Mia ihn auffaltete, rieselten ein paar kleine vertrocknete dunkle Beeren und weiße Blümchen heraus und landeten auf ihrer Pyjamahose. Sie verströmten diesen süßlich-würzigen Duft, den Mia bereits durch den geschlossenen Umschlag gerochen hatte. Und plötzlich wusste sie wieder, woher sie ihn kannte.

Holunderblüten!, schoss es ihr durch den Kopf. Na klar! Diese kleinen weißen Blümchen waren Holunderblüten. Sie wuchsen auch im Garten ihrer Großeltern. Oma Henni machte jeden Sommer Sirup daraus. Und im Herbst Marmelade aus den schwarzen Beeren.

Komisch eigentlich, dass der Brief nicht für sie ist, dachte Mia. Schließlich war Oma Henni Tante Rikkas Schwester und außerdem erwachsen. Wenn ihre Großtante tatsächlich in Schwierigkeiten steckte, würde Oma Henni ihr doch viel eher helfen können als sie – ein Kind von gerade mal zehn Jahren!

Wieder schüttelte Mia den Kopf, dann holte sie tief Luft und fing an zu lesen.

Liebe Mia,

zunächst einmal möchte ich dir ganz herzlich zu deinem 10. Geburtstag gratulieren. Du bist jetzt schon ein richtig großes Mädchen, und das ist auch der Grund dafür, dass ich dir schreibe.

Wenn dich diese Zeilen erreichen, werde ich schon eine ganze Weile fort sein. Bitte sage deiner Mama und deiner Oma, dass sie sich keine Sorgen machen sollen. Ich liege zwar nicht gerade am Strand und schlürfe Orangenlimonade, und ich bin auch nicht ganz freiwillig dort, wo ich jetzt bin, aber es geht mir gut.

Das Puppenhaus habe ich dir geschickt, weil ich glaube, dass du gut darauf aufpassen wirst. Es ist nämlich ein ganz besonderes Puppenhaus. Das sieht man aber erst auf den zweiten Blick.

Mein Vater hat es gezimmert und meine Mutter war für die Einrichtung und die Bewohner zuständig. Als Kind habe ich viel damit gespielt, auch deshalb sieht es inzwischen ein wenig abgenutzt aus. Trotzdem hatte ich selbst als erwachsene Frau noch immer viel Freude daran. Ich habe es übrigens „Villa Holunder“ genannt.

Liebe Grüße von deiner Tante Rikka

KAPITEL 3

in demMiasichkomischeGEDANKEN machtund doch nochein WUNSCH inErfüllunggeht

Wenn du an Mias Stelle wärst … Wüsstest du dann eigentlich, wie du mit dieser ganzen Sache umgehen solltest? Fändest du Tante Rikkas Brief eher spannend oder eher unheimlich? Und was die Villa Holunder betrifft … Hättest du dich über ein solches Puppenhaus gefreut?

Ich selbst besaß als Kind übrigens ebenfalls eins. Und ganz ähnlich wie bei Tante Rikka hatten meine Großeltern es gebaut und eingerichtet. Es war allerdings etwas kleiner und längst nicht so besonders. Denn die Villa Holunder hatte es wirklich in sich. Aber das konnte Mia zu diesem Zeitpunkt ja noch überhaupt nicht ahnen. Und deshalb war sie ein wenig hin- und hergerissen. In einer solchen Situation hilft es manchmal, wenn man sich eine Liste macht, in die man alle Plus- und Minuspunkte einträgt und gegeneinander abwägt. Doch dafür hatte Mia leider keine Zeit. Bis zum Frühstück blieben ihr nämlich noch gerade einmal sechs Minuten. Und die verbrachte sie damit, die Villa Holunder etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Eigentlich hatte Mia erwartet, dass das Puppenhaus alt und muffig riechen würde. Aber das tat es nicht. Im Gegenteil: In der Puppenküche duftete es so herrlich wie in der Bäckerei, in der sie und ihre Schulkameraden sich morgens vor der Schule manchmal noch schnell ein Rosinenbrötchen oder eine Laugenbrezel kauften.

Als ob in dieser kleinen Puppenhausküche gerade jemand ein Brot gebacken hätte!, dachte Mia.

Flüchtig berührte sie den kleinen altmodischen Herd mit den geschwungenen Füßen. Er fühlte sich tatsächlich ziemlich warm an. Aber das kam wohl vom Sonnenlicht, das durchs Kinderzimmerfenster direkt auf das Puppenhaus fiel.

An der hellen Fliesenwand lehnte ein winziger Wischmopp. Gleich daneben stand ein knallroter Putzeimer, der in etwa die Größe eines Eierbechers hatte. Ein zarter Zitronengeruch stieg Mia in die Nase. Seltsam, dachte sie. Wo kam der denn jetzt schon wieder her? Doch nicht etwa aus dem kleinen Putzeimer!

Mia wollte sich gerade darüber beugen, als in ihrem eigenen Oberstübchen ein Licht ansprang. Na klar, Mensch! Das musste Mama gewesen sein! Bevor sie das pinkfarbene Laken über dem Puppenhaus ausgebreitet hatte, hatte sie garantiert alles darin super gründlich sauber gemacht. Wahrscheinlich hatte sie sogar die ganzen Möbel und die ollen Teppiche mit diesem Spray eingesprüht, das wie von Zauberhand üble Gerüche verschwinden ließ.

Sehr gut, Mama! Ein Lächeln zupfte an Mias Mundwinkeln. So würde ihr wenigstens nicht sofort schlecht werden, wenn sie ihre Nase nun etwas tiefer in die einzelnen Zimmer steckte.

Die Küche mit dem alten Herd, der altmodischen Standuhr, dem runden blauen Holztisch und den unzähligen kleinen Töpfen und Pfannen nahm fast die Hälfte des Erdgeschosses der Villa Holunder ein. Sogar einen kleinen kupfernen Wasserkessel und eine echte funktionstüchtige Waage gab es. Neben der Küche befanden sich der Flur mit einer Garderobe, an der eine blaue Jacke mit roter Kapuze hing, und die Treppe, die ins zweite Stockwerk führte. Direkt gegenüber befand sich die Tür zum Wohnzimmer.

Mia bestaunte den alten Fernseher, der die Form eines Kartons hatte, und das Regal voller Bücher, deren Rücken zum Teil mit goldenen Buchstaben beschriftet waren. Außerdem gab es ein Sofa aus blauem Samt und einen Schaukelstuhl, in dem ein Mann mit grauen Haaren saß. Auf seinen Knien lag ein dickes Buch. Sofort kam Mia der lustige Gedanke, dass er gerade darin gelesen hatte.