Das Weihnachtswunder - Angelika Schwarzhuber - E-Book
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Das Weihnachtswunder E-Book

Angelika Schwarzhuber

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Beschreibung

Die schönsten Wunder geschehen, wenn es schneit!

Singlefrau Kathi arbeitet als Sekretärin in der Werbeagentur WUNDER. Dort heimsen andere regelmäßig die Lorbeeren für ihre kreativen Erfolgsideen ein. Ein neuer Auftrag führt sie mit dem Fotografen Jonas zusammen. Auf der Weihnachtsfeier der Agentur vermasselt es sich Kathi durch ein Missverständnis so sehr mit ihm, dass Jonas denkt, ihr liege nichts an ihm. Zudem gerät ihr Job in Gefahr. Unglücklich verlässt Kathi die Party und stürzt im dichten Schneetreiben. Als sie aufwacht, ist ein Mann über sie gebeugt, der sich als ihr Schutzengel vorstellt. Er will Kathi auf wunderbare Weise dabei helfen, endlich ihr Glück zu finden …

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Seitenzahl: 384

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Buch

Kathi Vollmer arbeitet in der Werbeagentur WUNDER. Die hübsche, etwas mollige Singlefrau ist in ihrem Job äußerst engagiert und kreativ – jedoch ziemlich selbstunsicher. Und so ernten meist Kollegen und Vorgesetzte das Lob für Kathis ungewöhnliche Erfolgsideen. Jonas Hager ist als Fotograf ein viel beschäftigter Künstler. Als er Kathi in der Agentur zum ersten Mal sieht, ist er sofort gefesselt von ihrer reizenden Ausstrahlung. Doch Kathi kann sich nicht vorstellen, dass ein so toller Mann wie er auf sie stehen könnte. Auf der Weihnachtsfeier der Agentur tritt Kathi in ein Fettnäpfchen nach dem anderen, und durch ein Missverständnis kommt es auch noch zu einem Streit mit Jonas. Niedergeschlagen verlässt sie die Party. Sie stapft durch den dichten Schnee nach Hause und stürzt dabei unglücklich. Als sie wieder zu sich kommt, ist ein junger Mann über sie gebeugt. »Ich bin dein Schutzengel«, stellt er sich lächelnd vor. »Und ich bin hier, um dir dabei zu helfen, deinen größten Herzenswunsch zu erfüllen.«

Autorin

Angelika Schwarzhuber lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt an der Donau. Sie arbeitet auch als erfolgreiche Drehbuchautorin für Kino und TV, unter anderem für das mehrfach mit renommierten Preisen, unter anderem dem Grimme-Preis, ausgezeichnete Drama »Eine unerhörte Frau«. Zum Schreiben lebt sie gern auf dem Land, träumt aber davon, irgendwann einmal die ganze Welt zu bereisen.

Von Angelika Schwarzhuber ebenfalls bei Blanvalet erschienen:Liebesschmarrn und ErdbeerbluesHochzeitsstrudel und ZwetschgenglückServus heißt vergiss mich nichtDer WeihnachtswaldBarfuß im Sommerregen

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Angelika Schwarzhuber

Das Weihnachtswunder

Roman

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Copyright © 2018 by Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Redaktion: Alexandra Baisch

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Alexander Kolomietz; cobalt88; Leszek Glasner; Subbotina Anna; PixieMe; kavalenkau; encierro)

LH ∙ Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-22588-9V002www.blanvalet.de

Für meine sieben Tanten:Marianne, Irmgard, Rosemarie, Katharina, Maximiliane, Lotte und Christa

»Einen neuen Roman zu beginnen ist wie der Aufbruch zu einer Reise. Ich kenne zwar das Ziel und einige der Mitfahrer, aber welchen Weg genau ich nehmen und wie viele Figuren mich auf dieser Reise tatsächlich begleiten werden, wird sich erst herausgestellt haben, wenn ich das Wort Ende schreibe.«

Angelika Schwarzhuber

Kapitel 1

Freitag, 14. Dezember

Es war, als ob ich gleichzeitig in eiskaltem Wasser tauchen und durch glühende Lava fliegen würde. Fast blind im gleißend hellen Licht, ruderte ich hilflos mit den Armen, bis der Schmerz in den Schulterblättern mir den Atem raubte. Doch ich biss die Zähne zusammen und tat keinen Mucks, während ich darauf wartete, dass es endlich aufhörte.

»Hab ich dich nicht gewarnt?«, hörte ich eine allzu bekannte Stimme durch das ohrenbetäubende Dröhnen aus Sturm und Donnerhall.

»Und wenn es noch tausendmal schlimmer wäre, würde ich es auf mich nehmen«, antwortete ich in Gedanken.

»Ich weiß«, sagte Uriel und lachte plötzlich. »Du Sturkopf wolltest es so.« Dann wurde seine Stimme wieder ernst. »Denk nur immer daran, was ich dir gesagt habe. Sobald du ihr verrätst, wer du wirklich bist, wird das dein letzter Tag dort sein, dann musst du wieder zurück.«

»Sie darf also wissen, wo ich herkomme und was ich bin, aber nicht, dass ich ihr …«, wollte ich antworten, doch in diesem Moment endete meine Reise. Mit dem Gesicht voran landete ich in einem Schneehaufen.

Die plötzliche Stille war irritierend nach dem Lärm, den ich die letzten Stunden hatte ertragen müssen. Ich hob den Kopf, schnappte nach Luft und wischte mir den Schnee von den Wangen, bevor ich blinzelnd die Augen öffnete. Obwohl es dunkel war, nahm ich jede Kleinigkeit um mich herum wahr. Auf dem Rand eines zugeschneiten Brunnens saß eine Katze, deren weißes Fell mit dem Schnee zu verschmelzen schien, und beobachtete mich aus funkelnden hellblauen Augen. Offenbar war ich nicht allzu interessant, denn plötzlich begann sie, sich in aller Seelenruhe das Fell zu putzen.

Langsam rappelte ich mich hoch. Die Schmerzen, die bis zur Landung schier unerträglich gewesen waren, lösten sich in Luft auf. Ob es sich auch so anfühlt, wenn man geboren wird?, fragte ich mich, während ich vorsichtig meinen schlanken Körper streckte, der in genau denselben Kleidern steckte, die ich damals getragen hatte: schwarze Jeans, weißes T-Shirt, darüber ein rotes Sweatshirt mit Kapuze und Turnschuhe. Bequem waren die Klamotten ja, aber bei dem, was ich vorhatte, hätte ich nichts dagegen gehabt, etwas modernere und der Jahreszeit entsprechende Sachen zu tragen. Und ein wenig dezenter hätte sicherlich auch nicht geschadet. Wenigstens war mir nicht kalt. Schneeflocken, die inzwischen wie kleine Federn vom Himmel schwebten, lösten sich in meinen dunklen Haaren auf, ohne sie nass zu machen.

Neugierig sah ich mich um. Ich befand mich auf dem alten Südfriedhof, nur wenige Hundert Meter von dem Ort entfernt, der mein Ziel war. Hier in der geweihten Erde des ältesten Zentralfriedhofs in München hatten in den letzten Jahrhunderten zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur, Geistlichkeit, Wirtschaft und Politik ihre letzte Ruhestätte gefunden. Schon längst war der Bestattungsbetrieb eingestellt, und der zugeschneite Friedhof wirkte wie ein verwunschener kleiner Park inmitten der großen Stadt.

»Na, Luna? Heute schon eine Maus gefangen?«, rief ich der Katze zu. Das Tier hörte auf, sich zu putzen, kam zu mir gelaufen und rieb seinen Kopf hingebungsvoll an meinem Bein. Als ich mich bückte, um sie hochzuheben, verschwand sie jedoch eilig hinter einem verwitterten Grabstein mit einer überdimensional großen Engelsfigur. Ich lächelte. Im Gegensatz zu den Menschen können Tiere uns Engel hören und sehen, hatte Uriel mir vor meiner Abreise erklärt. »Aber wie soll ich Kathi denn helfen können, wenn sie mich nicht sehen kann?«, hatte ich ihn naiv gefragt. Der Erzengel hatte nur die Augen verdreht, wie er es immer tat, wenn man ihm Fragen stellte, die er wohl seit Anbeginn der Zeit schon unzählige Male hatte beantworten müssen. »Wenn es so weit ist, dann wird es sich fügen. Denn sie kann dich durch ihr Herz sehen«, hatte er mir am Ende dann doch noch mit auf den Weg gegeben.

Das Schneetreiben war inzwischen stärker geworden, und es wurde Zeit, mich auf den Weg zu machen. Ohne eine Spur zu hinterlassen, stapfte ich über tief verschneite Wege zwischen Bäumen und Gräbern und verließ den Friedhof durch das Tor am Stephansplatz. Es war schon nach Mitternacht, und die weißen Pagodenzelte des Weihnachtsmarktes hatten längst geschlossen. Nur wenige Menschen tummelten sich auf den Straßen, und alle schienen es eilig zu haben, nach Hause zu kommen. Gerade als ich in eine kleine Seitenstraße einbiegen wollte, spürte ich einen Schwindel, der mich wanken ließ. Ich blieb stehen und versuchte, mein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Waren das womöglich noch Auswirkungen meiner harten Landung? Mit zitternder Hand fuhr ich mir durch die Haare.

»Geht es Ihnen nicht gut?!«

Ich erstarrte fast zur Salzsäule, als ich die Stimme erkannte. Ich drehte mich um. Kathi stand etwa fünfzehn Meter von mir entfernt und sah mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Misstrauen an. Aus meiner Kehle kam kein Wort, so sehr berührte es mich, sie endlich vor mir zu sehen.

»Brauchen Sie Hilfe?«

Ich schüttelte den Kopf, doch ich wankte erneut. Entschlossen kam Kathi auf mich zu. Da durchdrang ein empörtes Jaulen die Nacht, gefolgt von Kathis Schrei. Luna jagte wie der Blitz davon, fast unsichtbar im Schnee. Und Kathi lag am Boden. Rasch eilte ich zu ihr und kniete mich neben meine bewusstlose Tochter, die über die Katze gestolpert war, als sie mir hatte helfen wollen.

»Kathi? Bitte Kathi, mach die Augen auf! Bitte wach auf!«

Kapitel 2

Eine Woche vorher

Sorgfältig überprüfte Kathi, ob sie den Herd ausgemacht hatte.

»Aus. Aus. Aus. Aus«, murmelte sie und deutete dabei mit dem Finger auf jede einzelne Herdplatte. Zur Sicherheit schoss sie noch ein Handyfoto. Dann erst war sie beruhigt. Aus dem Regal nahm sie eine Blechdose mit Plätzchen und steckte sie in ihre große Umhängetasche. Ein Blick auf die Uhr an der Wand verriet ihr, dass sie noch reichlich Zeit hatte. Trotzdem würde sie sich gleich auf den Weg machen. Man konnte ja nie wissen, was einen unterwegs womöglich aufhielt. Und heute durfte sie auf keinen Fall zu spät kommen.

Im kleinen Flur zog sie einen Haargummi aus der Hosentasche ihrer Jeans und band die langen kastanienroten Naturlocken zu einem lockeren Dutt zusammen, den sie unter einer weißen Mütze versteckte. Dann schlüpfte sie in ihre blaue Winterjacke, schlang den weißen Schal um den Hals, den ihre Mutter zusammen mit der Mütze gestrickt hatte, und ging ins Treppenhaus. Fünf Sekunden später sperrte sie die Tür noch mal auf und vergewisserte sich, dass auch der Heizlüfter im Badezimmer aus war. Sicherheitshalber zog sie noch den Stecker, bevor sie die Wohnung endgültig verließ.

Schneller als sonst eilte sie die zwei Stockwerke nach unten.

»Hallo, Herr Pham«, grüßte sie ihren Nachbarn, der gerade seine Zeitung aus dem Briefkasten fischte. Pünktlich wie ein Uhrwerk täglich um halb acht.

»Guten Morgen, Anemone«, grüßte er mit einem Lächeln, das wie immer direkt aus seinem Herzen zu kommen schien. Kathi fühlte sich jedes Mal gut, wenn sie dem aus Vietnam stammenden Mann begegnete, der die Angewohnheit hatte, Menschen nach Pflanzen zu benennen, denen sie seiner Ansicht nach ähnelten.

»Sie sind eine Anemone«, hatte er ihr vor fast zwei Jahren an dem Tag gesagt, als Kathi den letzten Umzugskarton in ihre neue kleine Wohnung geschleppt hatte und bereits ziemlich außer Atem gewesen war.

»Eine Anemone? Ich?«, hatte sie verblüfft gefragt und dann gelacht, da sie sich selbst eher als Pfingstrose oder Hortensie eingeordnet hätte. Gewächse eben, deren Blüten voluminöser waren und ihre mollige Figur treffender zum Ausdruck brachten.

»Oh ja!«, hatte Herr Pham gesagt und mehrmals bestätigend genickt. »Eine Anemone. Und mit Verlaub gesagt, das ist eine meiner Lieblingsblumen.«

Kathi hatte zuerst angenommen, dass das ein plumper Anmachspruch sein musste. Bis sie erfahren hatte, dass Herr Pham als Biologe im Zoo arbeitete. Dort sorgte er für die Auswahl und Hege von einheimischen wie exotischen Pflanzen, um eine artgerechte Haltung der Tiere zu gewährleisten, bei der das natürliche Umfeld aus dem jeweiligen Herkunftsland berücksichtigt wurde.

»So früh heute schon?«, fragte er.

»Ja. Es ist ein wichtiger Tag für mich, drücken Sie mir bitte die Daumen, Herr Pham.«

»Jeder Tag ist wichtig, liebe Anemone«, sagte er salomonisch. »Aber für den heutigen wünsche ich dir ganz besonders viel Glück. Und hab viele schöne Momente.«

»Danke. Sie auch.«

Sie öffnete die Haustür und wollte gerade auf den Bürgersteig treten, da jagte Luna zwischen ihren Beinen ins Haus und Kathi musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht zu stolpern.

Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Herr Pham die Katze hochhob, die nicht nach dem Mond benannt worden war, wie Kathi zuerst vermutet hatte, sondern nach einer besonderen Sorte Hibiskus mit großen weißen Blütenblättern, die in der Mitte ein kleines rotes Auge hatten. Lunas Augen waren hellblau, aber im Zwielicht funkelten sie manchmal geheimnisvoll rötlich. Und so passte der Name perfekt, wie Kathi fand.

»Na, meine hübsche Luna, wo hast du dich denn wieder herumgetrieben?«, fragte Herr Pham sanft und kraulte sie hinter den Ohren. Luna schloss zufrieden die Augen und begann laut zu schnurren.

Kathi trat auf die Straße und bemerkte sofort, dass sie viel zu warm angezogen war. Der Himmel war wolkenlos und die Luft so lau wie an einem Frühlingstag, obwohl die Sonne noch gar nicht richtig aufgegangen war. Und das am Nikolaustag! Kathi lockerte den Schal und zog sich die Mütze vom Kopf. Sie überlegte kurz, ob sie laufen oder die U-Bahn nehmen sollte. Eigentlich hatte sie sich ja vorgenommen, mehr für ihre Figur zu tun, aber sie wollte nicht völlig verschwitzt im Büro ankommen. Ach, sie würde einfach morgen zu Fuß gehen.

Als sie kurz vor acht das Büro der Werbeagentur Wunder betrat, rechnete sie nicht damit, schon jemanden anzutreffen. Normalerweise war sie immer die Erste. Die anderen kamen selten vor neun, halb zehn Uhr zur Arbeit. Doch jetzt herrschte bereits eine ungewohnte Geschäftigkeit.

»Wo ist denn der verdammte Kaffee?«, kam es aus der kleinen Büroküche. »Hier findet man ja gar nichts.«

Kathi hängte ihren Mantel rasch in die Garderobennische und eilte zur Küche. Dort öffnete Stefan, der Praktikant, auf der Suche nach frischen Bohnen für den Kaffeevollautomaten eine Schranktür nach der anderen.

»Warum nimmst du nicht einfach die hier?«, fragte Kathi und drückte ihm eine bunte Dose in die Hand, die im Regal genau über der Maschine stand. »Und was machst du überhaupt schon hier?«

»Die Frage ist eher, warum du jetzt erst kommst? Schließlich ist das dein Job und nicht meiner«, maulte Stefan und gab ihr die Dose zurück. Kathi seufzte. Sie hatte wirklich versucht, den Praktikanten zu mögen, doch Stefan machte es ihr überaus schwer. Auch alle anderen Mitarbeiter der Agentur waren inzwischen von seinem Benehmen genervt. Stefan war der Sohn eines alten Geschäftsfreundes von Karl Wunder und hatte deswegen die begehrte Stelle ergattert, die für ihn mit einer gewissen Narrenfreiheit verbunden war, was er schamlos ausnutzte. Keiner wollte es sich seinetwegen mit dem Chef der Agentur verderben, und das wusste er auch.

»Die sind schon alle im Besprechungszimmer und warten!«

»Was?« Kathi schaute ihn verdattert an. »Aber der Termin war doch um zehn.«

»Vielleicht liest du mal die Mail, die Sybille gestern geschickt hat.«

Rasch zog Kathi ihr Handy aus der Hosentasche und überprüfte den E-Mail-Eingang. Definitiv keine Mail von Sybille!

»Die wollen sofort einen Latte, drei Cappuccinos und einen einfachen Schwarzen«, sagte er und verdrückte sich aus der Küche.

»Drei Cappuccini heißt das! Cappuccini!«, rief Kathi ihm hinterher und schüttete bereits frische Kaffeebohnen in das Mahlwerk des Kaffeeautomaten.

Genau sieben Minuten später betrat sie mit einem Tablett das Besprechungszimmer.

»Guten Morgen«, grüßte sie in die Runde. Doch die drei Männer und zwei Frauen am Tisch nahmen keine Notiz von ihr. Sie waren alle in die Präsentationsmappen vertieft und blätterten durch das hochwertig gestaltete Konzept für die Werbekampagne. Kathi hätte jeden Satz auswendig aufsagen, jedes Foto bis ins kleinste Detail beschreiben können, denn Idee und Umsetzung dafür stammten von ihr. Das war auch der Grund, warum sie heute so nervös war. Sybille Benes, Creative Director der Agentur, hatte ihr versprochen, den Chef und die Kunden darauf hinzuweisen, dass Kathi, die eigentlich als Sekretärin beschäftigt war, das Konzept für diese Kampagne ausgearbeitet hatte. Umso weniger verstand sie, warum Sybille sie nicht über die Terminverschiebung informiert hatte. Sicher ein Versehen, dachte sie.

Da Kathi Karl Wunders Vorliebe für Latte kannte, und Sybille eher sterben würde, als unnötige Kalorien in Form von Milch oder gar Zucker zu sich zu nehmen, konnte sie, ohne nachzufragen, die drei Cappuccini an die Leute der Münchner Kreditbank verteilen, für die sie die Werbekampagne ausgearbeitet hatten.

»Danke, Kathi«, sagte Sybille. Endlich hatte sie die Sekretärin wahrgenommen. »Und lass doch schon mal die Leinwand für den Beamer runter, damit wir uns das Video ansehen können.«

Kathi nickte. Während sie alles für die Präsentation des Werbefilms vorbereitete, versuchte sie gleichzeitig, aus den Mienen der Kunden schlau zu werden. Doch ihren Pokergesichtern konnte sie nichts ablesen.

»Wir sind gespannt«, sagte Edgar Ried, ein braungebrannter Endvierziger mit schlohweißen, kurz geschnittenen Haaren und stechend blauen Augen. Er war Chef der Marketingabteilung der Bank und hatte bereits zwei Vorschläge von Konkurrenzfirmen abgelehnt. Wochenlang hatte Kathi hauptsächlich herauszufinden versucht, was diesen Mann begeistern konnte. Dann endlich war sie auf die richtige Spur gekommen. Hoffte sie zumindest. Kathis Wangen glühten vor Aufregung. Sollte der Kunde zufrieden sein, könnte ihr Wunsch in Erfüllung gehen, und Sybille würde sich dafür einsetzen, Kathi zukünftig ganz offiziell eigene kleine Werbeprojekte zu überlassen.

»Dann legen wir mal los«, sagte Sybille und startete den Film über ihr Tablet.

Kathi stand ganz hinten im Besprechungszimmer. Sie verfolgte nicht das Geschehen auf der Leinwand, sondern beobachtete aufmerksam die Gesichter der Zuschauer. Der Werbefilm dauerte exakt zweiundvierzig Sekunden und zeigte das attraktive Model Cindy Fischer, das sich vor der Kulisse eines traumhaften Strandes rückwärts von einem Boot ins Wasser fallen ließ. Sie tauchte vorbei an Haifischen, löste sich aus einer Wasserpflanze, die sich um ihre Beine geschlungen hatte, wich einer Muräne aus und barg schließlich aus dem Wrack am Meeresgrund eine kleine Truhe, die halb im Sand versunken war. Sie hievte die Kiste an Bord. Erst jetzt sah man einen sympathisch aussehenden Mann im Anzug, barfuß und mit hochgekrempelten Hosenbeinen, der am Bootsrand saß, einen bunten Schirm in der Farbe der Münchner Kreditbank in der Hand, mit dem er sich gegen die Sonne schützte. Die rassige Taucherin zog Schnorchel und Taucherbrille ab und öffnete ungeduldig die kleine Kiste. Bis auf Sand und Muscheln war sie leer. Der Mann drehte sich lächelnd zur Kamera und sagte direkt an den Zuschauer gewandt: »Wenn Sie mal wieder vergeblich nach einem Schatz gesucht haben – kommen Sie lieber zu uns. Wir machen Ihr Vermögen – Münchner Kreditbank.«

Nachdem die letzten Töne der Musik des Videos verklungen waren, bemerkte Kathi, dass sie die Luft angehalten hatte, und sie atmete tief durch. Doch nicht nur sie war gespannt auf eine Reaktion von Edgar Ried, auch alle anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Langsam schlich sich ein Lächeln in sein Gesicht, das zu einem ausgewachsenen Grinsen wurde. Das muss doch ein gutes Zeichen sein, dachte Kathi und zupfte am Saum ihres Pullovers.

»Sie haben Cindy bekommen«, sagte Ried begeistert, und in diesem Moment wusste Kathi, dass ihr Plan aufgegangen war. Der Marketingleiter war selbst ein begeisterter Hobbytaucher und vor allem ein großer Fan von Cindy, wie Kathi nach intensiven Recherchen herausgefunden hatte. Sie hatte Sybille davon überzeugen können, die Ausgaben für die Gage des Models zu riskieren, um die Chancen zu erhöhen, den Auftrag für das Werbepaket in Millionenhöhe zu ergattern.

»Großartig. Einfach großartig«, schwärmte Ried, und seine beiden Begleiter nickten nun ebenfalls begeistert.

Kathi konnte ihr Glück kaum fassen. Das war der Moment, auf den sie schon so lange gewartet hatte. Ihr Mund wurde vor Aufregung ganz trocken, und sie war kurz davor, sich Sybilles Wasserglas zu schnappen und es leer zu trinken.

»In der Präsentationsmappe war von Cindy aber nicht die Rede«, merkte Edgar Ried an.

»Diese Überraschung wollten wir uns zusammen mit dem Film aufheben«, sagte Karl Wunder und strich zufrieden über seinen grau melierten Vollbart.

»Überraschung absolut gelungen«, lobte Ried.

»Natürlich wird Cindy auch für die endgültigen Werbefotos zur Verfügung stehen«, meldete sich nun auch Sybille zu Wort.

»Großartig. Und dann auch noch diese super Unterwasseraufnahmen – einfach großartig«, wiederholte Ried, und seine beiden Mitarbeiter nickten wieder.

»Das haben wir Sybille zu verdanken, die Ihre Vorstellungen so fabelhaft in ein großartiges Konzept umgesetzt hat, Herr Ried«, lobte Karl Wunder sein – wie er stets betonte – bestes Pferd im Stall.

Kathi spürte ein leises Flattern im Magen, als Sybille Karl und den Kunden lächelnd zunickte. Gleich würde sie den Leuten sagen, wer eigentlich dafür verantwortlich war. Jetzt kam Kathis großer Augenblick. Sybille räusperte sich.

»Ich bin sehr glücklich, dass der Spot so gut ankommt, aber ich muss zugeben …«

Kathi straffte die Schultern und drückte den Rücken durch. Ihre Wangen brannten vor Aufregung.

»Dass das Lob für dieses Projekt uns allen gebührt. Denn wir haben alle ganz wunderbar zusammengearbeitet. Und das ist ja auch das Konzept der Agentur Wunder – Zusammenarbeit.«

Es dauerte einen Moment, bis Kathi realisierte, was Sybille da eben gesagt hatte. Diese vermied es tunlichst, Kathi anzusehen.

»Und immer ist sie so bescheiden, dabei wissen wir doch, dass du die Beste bist«, sagte Karl.

»Ach, Karl. Ich danke dir für deine Worte«, entgegnete Sybille alles andere als bescheiden.

»Ich freue mich schon auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit, Frau Benes«, sagte Ried mit einem äußerst charmanten Lächeln.

Noch immer wartete Kathi darauf, dass Sybille die Sache klarstellte und ihnen mitteilte, sie, Kathi, sei für den Werbespot verantwortlich.

»Ach, sagen Sie doch bitte Sybille«, antwortete diese jedoch stattdessen.

»Und ich bin Edgar.«

Sie nickten sich lächelnd zu.

»Auf eine wundervolle Zusammenarbeit, Edgar.«

Das durfte doch nicht wahr sein! Sybille konnte das doch nicht einfach so stehen lassen! Kathi musste das klarstellen. Jetzt oder nie! Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. Doch sie schaffte es nicht, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen.

»Kathi«, sagte Sybille. »Der Champagner! Hol doch mal gleich eine Flasche und fünf Gläser.«

Wie?

»Eine wird da aber nicht reichen«, bemerkte Ried jovial, und alle lachten.

»Aber …«, begann Kathi.

»Wir wollen jetzt gleich mal anstoßen, nicht wahr?«, fiel ihr Sybille sofort ins Wort.

»Gibt es vielleicht auch was zu Knabbern dazu?«, fragte Ried.

Was zu Knabbern?

»Klar. Unsere Kathi hat ja immer irgendwo etwas zum Naschen versteckt«, bemerkte Karl. »Vor allem Nüsschen in allen Variationen.«

Erst jetzt schienen alle die Sekretärin zur Kenntnis zu nehmen und wandten sich ihr zu. Mit einem Mal hatte Kathi die Aufmerksamkeit, die sie sich gewünscht hatte, allerdings nicht für das, was sie sich eigentlich erhofft hatte.

»Nicht wahr, Kathi? Und vielleicht gibt es ja auch diese superleckeren Wasabi-Cashewkerne, die du letztes Mal hattest.«

»Ja, aber eigentlich …«

»Kathi!«, setzte Sybille nach. »Wir wollen doch unseren Kunden nicht warten lassen. Oder hat schon wieder jemand unsere ganzen Vorräte aufgefuttert?«

Kathi schluckte. Sie vermeinte die Gedanken der Leute in ihren Blicken lesen zu können.

Ich kann mir schon vorstellen, auf welcher Hüfte sich die Naschereien angesammelt haben … Von nichts kommt schließlich nichts … Wie kann man nur so wenig Selbstbeherrschung haben … Gut, dass ich nicht dick bin … Eine Diät würde der sicher guttun.

Kathi spürte, wie noch mehr Blut in ihre Wangen schoss, und verließ mit hochrotem Kopf eilig das Besprechungszimmer.

Kapitel 3

Irgendwie war es Kathi gelungen, ihre Scham und vor allem ihre Enttäuschung hinunterzuschlucken und sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen. Sie servierte Champagner und zwei verschiedene Sorten Nüsse, von denen sie tatsächlich immer einen Vorrat in der Schreibtischschublade hatte, und ging hinaus, bevor alle auf die zukünftige Zusammenarbeit anstießen.

Noch immer konnte sie das Verhalten von Sybille nicht fassen, die, ohne mit der Wimper zu zucken, die Lorbeeren für ihre Arbeit eingeheimst hatte. Dabei hatte sie, Kathi, und nicht etwa Sybille sehr hart dafür gearbeitet und das Konzept noch dazu außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit erstellt. Sie hatte sich nach Feierabend dafür Zeit genommen, damit ihr niemand vorwerfen konnte, sie würde ihre eigentlichen Aufgaben in der Agentur vernachlässigen. Allerdings hatte so auch niemand mitbekommen, dass sie mit der Ausarbeitung des Konzepts betraut war.

Inzwischen war es kurz nach elf, und die Kunden hatten leicht beschwipst die Agentur verlassen. Karl hatte sich mit Sybille in sein Büro zurückgezogen, um noch einige vertragliche Details zu besprechen.

Kathi stand in der Kaffeeküche und räumte Tassen und Gläser in den Geschirrspüler. Sie hatte definitiv den Moment verpasst klarzustellen, dass sie das Konzept entwickelt hatte, hoffte jedoch, dass Sybille es dem Chef gegenüber zur Sprache brachte. Wie unter Zwang stopfte sie sich die übrigen Erdnüsse in den Mund. Der salzig-nussige Geschmack tröstete sie für einen Moment.

»Ist deine Diät schon wieder vorbei?«

Ertappt drehte sich Kathi um. Hinter ihr stand Sybille.

»Erdnüsse sind richtige Kalorienbomben!«, setzte sie noch hinzu.

»Ich hab heute noch nichts gegessen«, verteidigte sich Kathi mit vollem Mund und schluckte dann hastig.

»Du musst ja selbst wissen, was du tust.«

Sybille holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Leitungswasser.

»Äh, Sybille. Warum hast du vorhin nicht gesagt, dass es mein Konzept ist?«, konnte sich Kathi nun nicht mehr zurückhalten und versuchte, dabei nicht vorwurfsvoll zu klingen. Sybille konnte unglaublich charmant sein. Wenn sie wollte. Gleichzeitig war sie aber auch unbeherrscht und jähzornig. Ihre Stimmung konnte innerhalb von Sekunden umschlagen, und dann war es am besten, nicht in ihrer Nähe zu sein.

Sybille nahm einen Schluck, bevor sie sehr ruhig antwortete.

»Jetzt hör mal zu, Kathi. Die Münchner Kreditbank hat für diesen Auftrag bereits zwei renommierte Agenturen in die Wüste geschickt, weil Edgar Ried mit ihren Vorschlägen nicht zufrieden war. Zum Glück war er heute begeistert. Doch kein Mensch weiß, wie er reagiert hätte, wenn ich ihm gesagt hätte, dass das Konzept nicht von einem unserer Marketingleute, sondern nur von einer einfachen Sekretärin stammt.«

Einfache Sekretärin?

Bevor Kathi protestieren konnte, redete Sybille schon weiter.

»Die Verträge sind noch nicht unterschrieben. Und wir wollen doch nicht riskieren, dass er denkt, wir nehmen ihn als Kunden nicht ernst genug? Was, wenn deswegen am Ende doch noch was schiefgeht, weil er an unserer Kompetenz zweifelt?«

»Aber wieso sollte er daran zweifeln«, fragte Kathi. »Er war doch total zufrieden.«

Sybilles hellgraue Augen verengten sich.

»Und wer bitte schön hat sich auf dieses Wagnis eingelassen? Wer hat dir und deinem Vorschlag Vertrauen geschenkt?«, fragte sie. »Was glaubst du wohl, was passiert wäre, wenn die Sache schiefgegangen wäre und Karl wüsste, dass ich das zugelassen habe? Dann würde jetzt mein Kopf rollen, nicht deiner!«

»Aber …«

Plötzlich änderte sich Sybilles Miene, und sie bemühte sich wieder um einen freundlichen Tonfall.

»Aber glücklicherweise ging ja alles gut. Wir werden jetzt abwarten, bis die Verträge unter Dach und Fach sind, und dann werde ich Karl darüber informieren, wie sehr du dich für dieses Projekt engagiert hast. Das ist es doch, was du willst, nicht wahr?«

Kathi nickte, auch wenn sie nicht wirklich glücklich über diesen Vorschlag war. Doch womöglich hatte Sybille recht. Der Kunde war zufrieden, ihr Vorschlag war angekommen, jetzt musste nur noch der Vertrag unterzeichnet werden. Vielleicht war sie einfach zu ungeduldig.

»Oder hast du das Gefühl, dass wir beide in Zukunft nicht mehr zusammenarbeiten können?«, wollte Sybille wissen.

»Natürlich nicht …«

Bevor Kathi ausführlicher darauf eingehen konnte, klingelte das Firmentelefon, das sie vorhin neben der Spüle abgelegt hatte.

»Jetzt geh schon ran!«, forderte Sybille sie auf. »Und komm nach meinem letzten Termin heute Nachmittag bitte in mein Büro und erzähl mir von deiner Idee für den neuen Kinderjoghurt, ja?«

Kathi nickte versöhnt. Sybille verschwand aus der Küche, und Kathi meldete sich am Telefon.

»Werbeagentur Wunder. Sie sprechen mit Kathi Vollmer«, sagte sie freundlich.

»Hallo, Frau Vollmer«, tönte eine sympathische Stimme am anderen Ende der Leitung. »Hier ist Jonas Hager. Tut mir leid, aber ich stecke noch im Stau, und das Navi zeigt eine halbe Stunde Verspätung an.«

»Kein Stress, Herr Hager. Die Models sind auch noch nicht da.«

»Okay. Falls sie vor mir kommen, kontrollieren Sie doch bitte, ob sie geschminkt sind, und falls ja, sorgen Sie dafür, dass sich alle für die Fotos abschminken. Dann verlieren wir später nicht unnötig Zeit.«

»Mach ich gern.«

»Danke. Dann bis gleich.«

»Bis gleich.«

»Und Frau Vollmer?«

»Ja?«

»Nach unseren vielen Telefonaten freue ich mich darauf, Sie endlich persönlich zu treffen.«

»Ich mich auch«, antwortete Kathi und spürte, wie ihre Wangen mit einem Mal ganz heiß wurden. Sie hatten wegen mehrmaliger Terminänderungen in den letzten beiden Wochen tatsächlich öfter miteinander gesprochen. Dabei war ihr angenehm aufgefallen, wie entspannt Jonas Hager stets geblieben war, auch wenn er seine Termine mehrmals hatte umlegen müssen. Meistens reagierten gut gebuchte Fotografen nicht so verständnisvoll wie er.

Als Kathi sich gerade wieder an ihren Schreibtisch im Foyer des Büros gesetzt hatte, brachte der Paketdienst eine Lieferung.

»Ah! Endlich! Die Weihnachtsdeko«, sagte Kathi erfreut. »Die Sachen hätten eigentlich schon vor einer Woche eintreffen sollen.«

»Unten sind noch drei Pakete«, murmelte der Mann, dem man ansah, wie eilig er es hatte.

»Ich komme mit und helfe Ihnen«, bot Kathi an und begleitete ihn nach unten.

Zehn Minuten später öffnete Kathi das erste Paket und holte glitzernde goldene Weihnachtssterne in verschiedenen Größen und Weihnachtsgirlanden heraus.

»Muss das mit dem Weihnachtskram wirklich sein?«, hatte Karl Wunder gefragt, als Kathi vor ein paar Wochen mit dem Anliegen auf ihn zugekommen war, das Foyer der Agentur für die Adventszeit zu schmücken.

»Aber du weißt doch, warum Geschäfte ihre Läden zu Ostern oder Weihnachten passend dekorieren«, setzte Kathi an. »Damit schaffen sie die Emotionalität, die zum Kaufen anregen und für gute Stimmung sorgen soll. Und wir haben doch im Dezember einige wichtige Verhandlungen, wie die Werbekampagne für den Hersteller von Fertighäusern. Häuser werden für Familien gebaut. Weihnachten ist das Fest der Familie. Der Kunde wird das Gefühl haben, dass wir verstanden haben, worum es ihm geht, und dass er bei uns gut aufgehoben ist. Die Weihnachtsdeko kostet uns jetzt vielleicht ein paar Hundert Euro, aber sie wird sich bestimmt vielfach auszahlen und …«

»Schon gut, schon gut«, hatte Karl ihren Redeschwall unterbrochen. »Besorg einfach, was du brauchst. Aber übertreib es nicht, okay?«

»Klar«, hatte sie versprochen und sich diebisch darüber gefreut, dass sie ihn im Grunde mit seinen eigenen Argumenten hatte überzeugen können.

Kathi stieg auf die Trittleiter, um den ersten Stern an einer Schiene neben dem Lampenschirm über dem riesigen orangen Ledersofa im Foyer zu befestigen. Als er endlich da hing, wo Kathi ihn haben wollte, betraten die drei Models für das Shampoo-Casting die Agentur. Sie waren vom Typ her sehr ähnlich und hatten alle dichtes, dunkelbraunes Haar, wie der Kunde es gewünscht hatte.

Kathi stieg von der Leiter, begrüßte sie und nahm die Models rasch unter die Lupe. Soweit sie das beurteilen konnte, war keine von ihnen geschminkt, was auf echte Profis schließen ließ, die wussten, wie es lief. Gerade Neulinge in diesem Geschäft machten immer wieder den Fehler, top gestylt bei Castings aufzukreuzen, was nur dann Sinn machte, wenn es ausdrücklich verlangt war.

»Der Fotograf wird sich ein paar Minuten verspäten. Setzen Sie sich doch bitte.« Kathi deutete auf das Sofa. Die drei jungen Frauen nahmen Platz und schlugen ihre himmellangen Beine übereinander. Innerlich seufzte Kathi bei diesem Anblick. In Anwesenheit von Models nahm sie jedes ihrer überflüssigen Pfunde noch deutlicher wahr. Da half auch kein Baucheinziehen oder Rückendurchdrücken. Da konnte sie beim besten Willen nicht mithalten. Im neuen Jahr werde ich abnehmen!, rief sie sich ihren festen Vorsatz ins Gedächtnis und fühlte sich damit zumindest ein klein wenig besser.

Bevor sie den nächsten Stern befestigte, bot sie den jungen Frauen Kaffee und Wasser an, und dabei fiel ihr ein, dass sie noch die selbst gemachten Plätzchen in der Tasche hatte. Eigentlich wollte sie das Gebäck zur Besprechung mit den Leuten der Münchner Kreditbank servieren, was sie wegen des vorgezogenen Termins dann aber völlig vergessen hatte. Als sie den Deckel der Blechdose öffnete, zog ein feiner Duft von weihnachtlichen Gewürzen, Butter, Schokolade und Nüssen in ihre Nase. Sie stellte die Plätzchendose auf den Tisch.

»Ach, ich liebe Weihnachten. Für mich ist das die schönste Zeit im Jahr«, schwärmte sie. »Der Duft der Kerzen, die glitzernde Dekoration und selbst gebackene Plätzchen. Ihr könnt euch gerne bedienen«, sagte sie und nickte zur Blechdose, während sie wieder die Trittleiter nach oben stieg und eine silbern funkelnde Girlande um den futuristischen Lampenschirm wickelte. »Greift ruhig zu.«

Als hätten sie diese Choreografie vorher einstudiert, schüttelten die Frauen energisch den Kopf und hoben abwehrend die Hände, als hätten sie Angst, Kathi könnte ihnen das Gebäck gegen ihren Willen in den Mund schieben.

»Aber gern doch!«

Die Stimme kannte sie bereits. Und jetzt hatte sie endlich auch ein Gesicht dazu. Jonas Hager, der Fotograf, war gerade hereingekommen und fischte sich einen Zimtstern aus der Blechdose.

»Ich liebe Plätzchen«, sagte er und schob sich das Gebäck in den Mund, während er Kathi mit strahlenden türkisblauen Augen zuzwinkerte. Keine Ahnung, woraus sie geschlossen hatte, dass er älter sein musste. Der Mann, der jetzt unter ihr stand, war schätzungsweise erst so um die fünfunddreißig.

Bei seinem Anblick verlor Kathi auf den schmalen Stufen das Gleichgewicht und konnte sich gerade noch festhalten, doch die Trittleiter wackelte gefährlich. Reflexartig trat Jonas zu ihr und hielt sie an der Taille fest, damit sie nicht herunterfiel.

»Das ging ja noch mal gut!«, rief er, hielt sie aber weiter fest. Kathi spürte, wie ihr Gesicht mit einem Schlag vor Verlegenheit brannte. Und die Stellen, an denen seine Hände lagen, brannten noch mehr. So etwas Peinliches war ihr nicht passiert, seit sie vor einem halben Jahr im Supermarkt auf einer Bananenschale ausgerutscht war.

»Passt schon!«, sagte sie ein wenig zu laut und stieg von der Trittleiter, bemüht, nicht noch mal ins Wanken zu kommen. Dabei konnte sie gar nicht stürzen, denn der Fotograf hielt sie weiterhin fest, bis sie sicher unten angekommen war.

Als er sie endlich losließ und vor ihr stand, stellte sie fest, dass er fast einen Kopf größer war als sie und sie den frischen Duft seines Aftershaves mochte.

»Danke, Herr Hager«, murmelte sie und unterdrückte den Wunsch, ihren glühenden Wangen Luft zuzufächeln.

»Jonas bitte. Schließlich habe ich dir gerade das Leben gerettet«, sagte er und grinste sie fröhlich an, während er sich durch die dunkelblonden Haare fuhr. »Kathi, oder?«

»Genau! Und das sind Petra Bend, Linnea Hebelsberger und Alina Kon, die Models für das Shampoo-Casting«, versuchte sie, seine Aufmerksamkeit von ihr auf die Models zu lenken.

Jonas begrüßte die Frauen und entschuldigte sich für sein Zuspätkommen. Dann wandte er sich wieder an Kathi.

»Selbst gemachte?«

»Wie?«

»Die Plätzchen. Hast du die alle selbst gebacken?«

»Nein, äh, ja, also nein«, stotterte sie herum. Was war nur los mit ihr? Normalerweise ließ sie sich nicht so schnell aus der Fassung bringen. »Die meisten Sorten sind von meiner Mutter und meiner Tante Lotte, nur die Marzipanplätzchen, die Schokokugeln, das Spritzgebäck und die Spitzbuben habe ich selbst gemacht«, erklärte sie schließlich.

»Ach, du stehst auf Spitzbuben?«

»Ja. Die mag ich am liebsten.«

»Spitzbuben sind aber auch besonders lecker.« Schon wieder dieses freche Zwinkern.

Flirtet der Fotograf etwa mit mir? Ach was! Er ist einfach nur höflich.

»Darf ich noch mal?«

»Was?«

»Noch ein Plätzchen?«

»Aber klar doch!«

Er griff ein weiteres Mal in die Dose und hielt sie dann den Models hin.

»Ihr müsst unbedingt probieren. Diese Zimtsterne … hm«, schwärmte er. Doch wieder schüttelten die Damen nur den Kopf, und er stellte die Dose zurück.

»Kathi!?« Stefan kam aus dem Büro der Buchhaltung und klatschte ihr einen dicken Pultordner auf den Schreibtisch, der so von Belegen überquoll, dass einige davon herausrutschten und auf den Boden flatterten. »Da. Die Ablage. Ich mach jetzt Mittag.«

Er nahm seine Jacke von der Garderobe.

»Hey! Du hast da was verloren!«, machte Jonas ihn aufmerksam.

Doch Stefan zuckte nur mit den Schultern und verließ die Agentur.

Seufzend bückte sich Kathi und sammelte die Belege ein.

»Was ist das denn für einer?«, fragte Jonas und wollte ihr helfen, doch sie winkte ab.

»Der Praktikant … Ich mach das schon, danke.«

»So ein Verhalten solltest du dem nicht durchgehen lassen.«

»Ich weiß«, murmelte sie. Doch sie hatte keinen blassen Schimmer, wie sie Stefan dazu bringen sollte, sich besser zu benehmen.

»Ich begleite euch jetzt rüber ins Studio, okay?«, sagte sie zu Jonas. »Sybille kommt dann gleich.«

»Stimmt. Ich bin ja nicht zum Plätzchenessen hier, sondern soll ein paar Fotos machen.« Er grinste wieder. »Dann legen wir mal los«, sagte er in Richtung der drei Frauen, die sich inzwischen leise unterhalten hatten und jetzt aufstanden.

In diesem Moment betraten zwei ältere Damen die Agentur.

»Guten Tag«, grüßte Kathis Mutter Erika in gewohnt lautem Tonfall. Lotte folgte ihr auf dem Fuß und nickte allen freundlich zu.

»Mama! Tante Lotte?! Was macht ihr denn hier?«, rief Kathi überrascht.

Erika sah auf die silberne Armbanduhr an ihrem Handgelenk. »Es ist Mittag. Hast du vergessen, dass wir heute einkaufen wollten?«

Das hatte Kathi tatsächlich völlig vergessen.

Die zwei Frauen waren Schwestern, in Bezug auf Erscheinungsbild und Charakter jedoch so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Erika war eine ziemlich korpulente Frau, die durch ihren konservativen Kleidungsstil und eine opulente Frisur – ähnlich der von Liz Taylor an ihren schlechtesten Tagen – älter wirkte, als sie mit ihren knapp sechzig Jahren war. Die schlanke Lotte hingegen trug am liebsten legere Kleidung wie Jeans und bequeme Pullis. Der frech geschnittene Kurzhaarschnitt ließ die zurückhaltende Frau mit dem feinen Humor zudem deutlich jünger erscheinen, obwohl sie zehn Jahre älter war als Erika. Auf den ersten Blick hielt kaum jemand die beiden für Schwestern. Doch ein markantes Grübchen in der rechten Wange, und vor allem das ungewöhnliche Violett ihrer Augen verrieten, dass die beiden verwandt sein mussten. Auch Kathi hatte diese seltene Augenfarbe geerbt.

»Guten Tag«, grüßte Jonas und nickte den beiden Damen freundlich zu, bevor er noch ein weiteres Plätzchen stibitzte.

Erika schaute ihn prüfend von oben bis unten an.

»Guten Tag«, sagte Lotte.

»Ein ganz großes Kompliment – die Plätzchen sind megalecker. Sie schmecken wie die von meiner Mutter.«

»Das freut mich«, bemerkte Lotte und lächelte. »Greifen Sie ruhig ordentlich zu.«

Das ließ er sich nicht zweimal sagen.

»Komm jetzt Kathi, wir haben viel vor heute«, drängelte Erika indes.

»Das ist jetzt irgendwie ganz schlecht, Mama. Ich hab hier noch zu tun.«

»In deiner Mittagspause? Aber wir sind extra deswegen heute in die Stadt gekommen!«, protestierte ihre Mutter. Sie und Lotte wohnten zwar nur eine halbe Autostunde von München entfernt in einem Häuschen auf dem Land, doch für Erika war es nach wie vor ein besonderes Ereignis, wenn sie zum Einkaufen in die Stadt fuhren.

»Erst muss ich Jonas und die Damen ins Studio bringen, Mama. Geht ihr doch schon mal vor. Ich komme nach, so schnell ich kann.«

»Aber was! Kathi! Wenn deine Mutter und deine Tante schon mal da sind.« Kathi hatte gar nicht bemerkt, dass Sybille aus ihrem Büro gekommen war.

»Ich bin ja jetzt hier, geh du ruhig shoppen. Und du darfst dir auch gern eine Stunde länger nehmen, damit ihr genügend Zeit habt«, flötete sie ungewohnt entgegenkommend und wandte sich dann an die jungen Frauen und Jonas.

»Hallo zusammen. Freut mich Herr Hager.«

»Hallo auch«, sagte er.

»Ich bin … Sybille Benes. Aber sagen Sie doch einfach Sybille, ja?«

Jonas nickte ihr zu.

»Gern. Und ich bin Jonas.«

»Schön. Folgen Sie mir doch bitte alle ins Studio.«

»Jo. Dann packen wir es an«, sagte Jonas und nahm seine Fototasche, die er vorhin auf dem Sofa abgestellt hatte. Dann drehte er sich noch mal zu Kathi um.

»Ich hoffe, du hebst mir noch ein paar Plätzchen auf.«

Kathi nickte.

»Klar.«

»Danke. Bis später.«

»Bildhübsche Frauen!«, bemerkte Erika, als alle den Flur entlang in Richtung des kleinen Fotostudios der Agentur verschwanden. Dann sah sie zu ihrer Tochter. »Aber denk dir nichts, du hast auch deine Qualitäten, Kathi.«

Kapitel 4

Kathi zwängte sich in der Umkleidekabine in ein beiges Kleid mit Blumenprint.

»Das ist viel zu eng!«, rief sie nach draußen.

»Lass mal sehen!« Schon riss ihre Mutter den Vorhang zur Seite. »Das ist doch nicht schlecht! Sicher gibt es das auch eine Nummer größer.«

»Ach ich weiß nicht, Erika«, meinte Lotte. »Ich finde, das Muster steht Kathi gar nicht so gut.«

»Ach was! Blumen kann man immer tragen. Oder den Hosenanzug dort.« Sie nickte zu einem Kleiderständer.

Eine Verkäuferin, die Kathi zu ihrer Altersgruppe zählte und auf etwa Ende zwanzig schätzte, brachte den braunen Hosenanzug.

»Den haben wir leider nur in Größe 46«, sagte sie. »Ich denke nicht …«

»Der ist doch schön!«, unterbrach sie Erika und nahm ihr den Anzug aus der Hand. »Und so zeitlos. Genau das Richtige. Schlüpf mal rein«, forderte Erika ihre Tochter auf, die wenig begeistert war. Erika nahm der Verkäuferin den Kleiderbügel aus der Hand und drückte die Sachen ihrer Tochter in die Hand.

»Aber …«

»Jetzt mach schon, wir haben noch so viel zu erledigen.« Sie wandte sich wieder an die Verkäuferin. »Haben Sie auch Bademoden? Wissen Sie, meine Schwester Lotte und ich haben eine zehntägige Karibikkreuzfahrt gewonnen und müssen uns da noch ein wenig ausstaffieren.«

»Karibik? Wow! Beneidenswert – das ist ja cool. Aber natürlich haben wir da was.«

Kathi schlüpfte inzwischen in den Hosenanzug, obwohl sie wusste, dass er nicht passen würde. Und tatsächlich konnte sie locker aus der Hose schlüpfen, ohne den Knopf zu öffnen und die Ärmel der Jacke reichten ihr weit bis über die Fingerspitzen.

»Und?«, fragte Erika und zog den Vorhang zur Seite. Kathi drehte sich zu ihr.

»Das geht ja gar nicht!«, bemerkte Lotte.

»Sie bräuchten den mindestens eine Nummer kleiner, wenn nicht sogar zwei. Aber in der passenden Größe hab ich ihn leider nicht mehr da.«

Gott sei Dank!

»Die Schneiderin kann das ja ändern«, schlug Erika vor.

»Was ist denn mit dem roten Kleid da hinten?« Kathi deutete zu einem Ständer, an dem ein zauberhaftes Etuikleid hing.

»Rot? Für eine Firmenweihnachtsfeier? Also das geht ja mal gar nicht«, protestierte Erika sogleich.

Inzwischen war der Blick der Verkäuferin mitleidig geworden. Tante Lotte wandte sich etwas zur Seite und verdrehte die Augen.

»Haben Sie denn nichts anderes für mich?«, fragte Kathi leicht resigniert.

»Doch. Warten Sie, ich glaube mir fällt da noch was ein.«

Fünf Minuten später kam Kathi in einem schwarzen Jerseykleid in Wickeloptik aus der Umkleidekabine.

»Also wirklich!«, protestierte Erika. »Bei dem Ausschnitt sieht man ja bis zum Bauchnabel!«

»Der Ausschnitt ist gerade richtig, für die schöne Oberweite Ihrer Tochter«, widersprach die Verkäuferin geduldig. »Aber falls das stört, habe ich den hier.« Sie drapierte Kathi einen hauchzarten türkisfarbenen Seidenschal um den Hals, der sowohl mit ihren rotbraunen Locken, als auch mit ihren ungewöhnlich violetten Augen harmonierte.

»Wunderschön siehst du aus, Kathi«, schwärmte Lotte. »Da werden deine Kollegen und die Kunden aber Augen machen!«

»Das finde ich auch«, bestätigte die Verkäuferin. »Und die Größe passt perfekt.« Sie zwinkerte Kathi zu.

Kathi betrachtete sich im Spiegel. Klar, sie war keine zarte Elfe, aber dieses Kleid schmeichelte ihrer Figur und ließ sie sogar ein klein wenig schlanker aussehen, wie sie fand. Oder lag das vielleicht nur am Spiegel? Schließlich ging es ihr oft so, dass sie sich im Laden gefiel, doch daheim sah sie in den neuen Sachen mindestens fünf Kilo schwerer aus.

»Ich würde ja eher das beige Kleid mit Blumenmuster oder den Hosenanzug nehmen«, meinte Erika, »aber wenn ihr unbedingt meint … Wenn, dann aber nur mit dem Tuch!«

Nachdem sie schon nicht mehr damit gerechnet hatte, ein passendes Kleid zu bekommen, das die Zustimmung ihrer Mutter bekam, die es ihr zu Weihnachten schenkte, atmete Kathi auf. Das ist das letzte Mal, dass ich mit ihr einkaufen gehe!, schwor sie sich.Allerdings sagte sie sich das schon seit Jahren.

Die nächste Stunde verbrachten sie hauptsächlich damit, einen Badeanzug für Erika zu finden. Als sie schließlich das Kaufhaus mit den Einkäufen verließen, erhaschte Kathi den erleichterten Blick der Verkäuferin, die jetzt vermutlich erst einmal eine längere Pause brauchte.

»So langsam sollte ich wieder zurück ins Büro«, sagte Kathi, als sie durch die weihnachtlich dekorierte Fußgängerzone in Richtung Marienplatz gingen. Das schöne Wetter von heute Morgen hatte angehalten, und es herrschten fast frühlingshafte Temperaturen.

»Schade, dass wir nicht mehr Zeit haben«, bedauerte Tante Lotte. »Aber wir sehen uns ja noch vor unserer Abfahrt.«

»Wenn ich am Dienstag Hansi bei euch abhole, kann ich euch zum Flughafen bringen«, bot Kathi an. »Ich habe im Büro schon Bescheid gesagt, dass ich früher gehen muss.«

Hansi war Erikas Wellensittich, den Kathi zu sich nehmen würde, solange die beiden Damen verreist wären.

»Ach, das ist ja lieb von dir, Kathi«, sagte Lotte.

»Dann können wir uns auch das Taxi sparen!«, sagte Erika freudig.

»Wann genau fliegt ihr?«, fragte Kathi.

»Die Maschine geht um 20.50 Uhr«, sagte Lotte.

»Irgendwie ist mir gar nicht wohl dabei, wenn wir fast zwei Wochen so weit weg sind von dir«, sagte Erika. »Du warst noch nie so lange allein, Kathi.«

»Mama! Ich bin 28! Außerdem bin ich sonst auch die ganze Woche über hier allein in München und habe es bisher überlebt«, entgegnete Kathi etwas genervt. Ihre Mutter war nicht nur unglaublich bestimmend, sondern auch eine ziemliche Glucke.

»Und wie du weißt, finde ich auch das nicht gut! So ganz einsam in dieser kleinen Wohnung, für die du ein Vermögen bezahlst. Dabei hättest du bei uns im Haus so ein schönes großes Zimmer und einen Garten.«

»Es gefällt mir aber in meiner Wohnung, und außerdem arbeite ich hier in der Stadt.« Kathi hatte keine Ahnung, wie oft sie diesen Satz schon gesagt hatte. Doch sie wusste ganz genau, was ihre Mutter jetzt gleich entgegnen würde. Und Erika enttäuschte sie auch diesmal nicht.

»Die schöne Stelle in der Gemeindeverwaltung hast du ja aufgeben müssen.«

»Mama!«

»Jetzt lass doch die Kathi einfach mal das tun, was sie gern machen möchte, Erika«, mischte sich nun Lotte ein, und Kathi bedachte sie mit einem dankbaren Blick. Schon von klein auf hatte sie ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer Tante gehabt, die sie besser zu verstehen schien als ihre eigene Mutter. Manchmal wünschte sich Kathi, sie würde sich bei Erika besser durchsetzen. Doch sie fühlte sich ihrer Mutter gegenüber verpflichtet, die Kathi allein großgezogen hatte, wie sie immer besonders betonte, wenn Kathi versuchte, sich endlich etwas abzunabeln. Dann bekam Kathi ein schlechtes Gewissen und bemühte sich redlich, es ihrer Mutter recht zu machen, als eine Art Wiedergutmachung für das Opfer, das sie gebracht hatte.

»Aber wenigstens sind wir pünktlich zu Weihnachten wieder zurück«, riss Erika ihre Tochter aus den Gedanken. »Dann kannst du deinen Weihnachtsurlaub bei uns verbringen, Kathi. Da machen wir es uns die zwei Wochen richtig schön gemütlich.«

Kathi warf Lotte einen kurzen Blick zu. Nur ihre Tante wusste, dass Kathi am ersten Weihnachtsfeiertag für eine Woche zu ihrer besten Freundin Claudia nach London reisen wollte. Bis jetzt hatte sie immer einen Grund gefunden, weshalb sie ihrer Mutter noch nichts davon erzählt hatte. Sicherlich würde sie mehr als enttäuscht sein, die Feiertage ohne ihre Tochter verbringen zu müssen.

»Darüber reden wir nach eurem Urlaub, Mama«, sagte Kathi nur und ärgerte sich über sich selbst, dass sie sich nicht traute, ihrer Mutter reinen Wein einzuschenken. Aber jetzt, so kurz vor der Abreise in den Urlaub, war der Zeitpunkt natürlich auch nicht gerade optimal.

»Na ja, wenn wir bald in der Karibik sind, sollten wir schon dringend mal planen«, gab Erika zu bedenken. »Der Sauerbraten muss ja mindestens eine Woche vorher eingelegt werden. Kathi, vergiss das bitte nicht.«

»Wir kochen dieses Jahr einfach was anderes, Erika. Und jetzt halten wir dich nicht länger auf, Kathi. Nicht dass du wegen uns noch Probleme mit deiner Chefin bekommst.«