Das Zeitalter der Helden 2 – Imperium - Richard Morgan - E-Book

Das Zeitalter der Helden 2 – Imperium E-Book

Richard Morgan

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Beschreibung

Ringil Eskiath ist auf der Flucht – auf der Flucht vor seiner Vergangenheit, seiner Familie und vor sich selbst. Yhelteth, die Hauptstadt des Imperiums, scheint zunächst ein sicherer Hafen für den raubeinigen Krieger zu sein, doch dann werden die Grenzen des Reiches von einem Feind bedroht, der älter und schrecklicher ist als alles, was Yhelteth jemals gesehen hat. Als die Stadt in Chaos und Schrecken versinkt, ist für Ringil die Stunde gekommen, in der er das tun muss, was er am besten kann: sich mit dem bloßen Schwert in der Hand dem Feind entgegenstellen. Dieser Roman ist bereits unter dem Titel »Das kalte Schwert« erschienen und wurde für diese Ausgabe überarbeitet.

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Seitenzahl: 840

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Das Buch

Ringil Eskiath – für die einen der beste Schwertkämpfer aller Zeiten, für die anderen ein abgehalfterter Haudegen – ist auf der Flucht: auf der Flucht vor seiner Familie, die ihn enterbt hat, vor den trelaynischen Sklavenhändlern, die ein unerhört hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben, und auf der Flucht vor sich selbst. Yhelteth, die Hauptstadt des Imperiums, scheint zunächst ein sicherer Zufluchtsort für Ringil zu sein, denn immerhin warten dort seine alten Weggefährten Archeth, mittlerweile Beraterin des Kaisers, und Egar Drachentöter auf ihn. Doch dann werden die Grenzen des Reiches von einem Feind bedroht, der älter und schrecklicher ist als alles, was das Imperium jemals gesehen hat. Als Yhelteth in Chaos und Zerstörung zu versinken droht, müssen Ringil, Archeth und Egar das tun, was sie am besten können: sich mit dem blanken Schwert in der Hand der Gefahr entgegenstellen …

DAS ZEITALTER DER HELDEN – Das furiose Fantasy-Abenteuer vom mehrfach preisgekrönten Bestsellerautor Richard Morgan:

Das Zeitalter der Helden 1 – Erwachen

Das Zeitalter der Helden 2 – Imperium

Das Zeitalter der Helden 3 – Dunkelheit

Der Autor

Richard Morgan wurde 1965 in Norwich geboren. Er studierte Englisch und Geschichte in Cambridge und arbeitete etliche Jahre als Englischlehrer im Ausland, bevor er sich entschloss, freier Schriftsteller zu werden. Seine Romane landen regelmäßig auf den internationalen Bestsellerlisten und wurden bereits mit dem Philip K. Dick Award, dem John W. Campbell Award und dem Arthur C. Clarke Award ausgezeichnet. Morgan lebt und arbeitet in Glasgow.

RICHARD MORGAN

DAS ZEITALTER DER HELDEN2 

Imperium

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe:

THE COLD COMMANDS

Deutsche Übersetzung von Alfons Winkelmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Überarbeitete Neuausgabe 05/2020 

Redaktion: Karin Will

Copyright © 2011 by Richard Morgan

Copyright © 2020 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-25462-9V001

Dieses Buch ist für V.,

die mir etwas gab, woran ich mich festhalten konnte.

»Ich sage dir, es ist kein Spaß, unten in der Stadt zu dienen.«

J. R. R. Tolkien, Die zwei Türme

Als sie hinter Hinerion in die Ausläufer des Waldes hinabkamen, sah Gerin die Luft in der Hitze über dem Buschland flimmern und wusste, dass die Entscheidung unmittelbar bevorstand.

Das war ihre letzte Chance; es ging um Leben oder Tod.

»Da draußen werden wir gebraten«, sagte er an diesem Abend zu den anderen, während sie aneinandergekettet dasaßen und auf ihr Essen warteten. »Habt ihr mitgekriegt, was die Antreiber gesagt haben? Noch mindestens sechs Wochen bis Yhelteth, immer nach Süden und bei jedem Schritt heißer. Meint ihr, diese Arschlöcher geben uns deswegen mehr zu trinken oder zu fressen?«

»Natürlich, du Idiot.« Tigeth, ein Stadtmensch, bleich und schwerfällig und anscheinend zu träge, um sich seine Freiheit um jeden Preis zurückzuholen, schnaubte, schniefte und schnäuzte sich zwischen den Fingern. Wie die Hälfte der Männer des Sklaventrecks hatte auch ihn eine Erkältung erwischt. Er schmierte den Schnodder am Boden ab und funkelte Gerin an. »Kapierste nicht? Die müssen uns verkaufen, wenn wir nach Yhelteth kommen. Wie wollen sie das anstellen, wenn wir’s nicht bis dahin schaffen oder bei unserer Ankunft bloß noch Haut und Knochen sind? Vielleicht bist du zu jung oder zu blöde, um das zu kapieren, Sumpffuß, aber es geht ums Geschäft. Tot sind wir nichts wert.«

Sumpffuß.

In einigen Vierteln Trelaynes war das eine Beleidigung, die sofort eine formelle Herausforderung und ein Duell auf den Brillin-Hügeln in der Morgendämmerung nach sich gezogen hätte. Anderswo wäre man einfach abgestochen und in den Fluss geworfen worden. Wie bei allem anderen in der Stadt waren die Prämissen dieselben, aber Wohlstand und gesellschaftliche Stellung entschieden, welches dieser Schicksale einen ereilte. Und ob flussaufwärts oder flussabwärts, Niederungen oder Slums am Hafenende – überall galt eine allgemeine Regel: Niemand in Trelayne würde die Bemerkung einfach so stehen lassen, er habe Blut der Sumpfbewohner in sich.

Gerin war in den Sümpfen aufgewachsen und hätte um keinen Preis in der Stadt leben wollen. Er ließ das Schimpfwort daher durchgehen, wie es seine Sippe getan hatte, solange er zurückdenken konnte.

Im Augenblick steht zu viel anderes auf dem Spiel.

»Hast du je die Fischerboote in den Hafen kommen sehen, Tigeth?«, fragte er gleichmütig. »Meinst du etwa, jeder Fisch im Netz schafft’s bis auf den Markt?«

Kettenglieder rasselten ungeduldig neben Gerin. Eine angespannte, ärgerliche Stimme ertönte in der anbrechenden Dunkelheit.

»Wovon redest du – Fisch?«

Ein weiterer Stadtbewohner. Gerin fiel der Name nicht ein, aber dieser Mann war hagerer und von der Arbeit erschöpfter als Tigeth. In den Wochen ihres Marschs hatte er kaum ein Wort gesprochen; wenn sie zur Rast anhielten, starrte er die meiste Zeit ins Leere, wobei seine Kinnlade arbeitete, als zermalmte er die letzten Reste eines Priems Kautabak zwischen den Zähnen.

Wie die meisten seinesgleichen schien er nach wie vor außerstande, die Tragweite dessen, was ihm angetan worden war, zu erfassen.

»Der redet nur Scheiße«, höhnte Tigeth. »Versteht es nicht besser. Ich meine, sieh ihn dir mal an! Er ist ein verkümmerter kleiner Sumpfbalg, genau wie alle anderen unten am Stovmarkt, die einem aus der Hand lesen oder für die Menge rumhampeln. Kann nicht lesen, kann nicht schreiben, und wahrscheinlich kann er nicht mal bis zehn zählen. Keine Ahnung vom Handel.«

Gerin lächelte kalt.

»Na ja, du und alle anderen in diesem Treck, ihr seid wegen eurer Schulden verkauft worden, also macht uns das wohl alle gleich.«

Mit einem Fluch stürzte sich Tigeth auf ihn. Ein kurzes, ohnmächtiges Rasseln von Ketten sowie ein allgemeines Protestgeschrei, als die Bewegung die anderen Männer mitzog. Der Hagere hielt ihn zurück, hielt die zuckenden Hände des Dicken ein paar Zentimeter vor Gerins Gesicht fest, bis Tigeth aufgab und wieder in sich zusammensackte.

»Bleib ruhig sitzen, du verdammter Saftarsch!«, zischte der Hagere. »Sollen die Antreiber über uns herfallen? Möchtest du wie Barat enden?«

Gerins Blick ging unwillkürlich zu den verbogenen leeren Fesseln, die sie nach wie vor mit sich trugen. Der große, zähe Barat, ein Zuhälter vom Hafenende, war genauso auf den Auktionsblock geraten wie Gerin – durch ein Urteil des Strafgerichtshofs. Im Falle des Luden war es darum gegangen, dass dieser einem Adligen die Kehle aufgeschlitzt hatte, als der etwas grob mit einem der Mädchen in den Slums umgesprungen war. Leider hatte besagter Adliger gute Verbindungen zu den Niederungen gehabt, woraufhin die Wache sich zur Abwechslung mal von ihrem lahmen, versoffenen Arsch erhoben, ein paar Fragen gestellt und einige unkooperative Köpfe eingeschlagen hatte. Jemand hatte geredet, und Barat war im Knast gelandet und hatte seinem hochgestellten Ankläger lieber ins Gesicht gespuckt, statt sich demütig zu ducken. Ergebnis: Sklaventreck. Das Übliche, das immer gleiche alte Lied der Stadt.

Barat, der Zuhälter, zeigte eine arrogante Verachtung für die Schuldsklaven, mit denen er zusammengekettet war, und verspottete sie die ersten drei Tage des Marschs so lange, bis es zu unbedachten Gewaltausbrüchen kam, die er dann mit der geübten Lässigkeit eines Kriminellen und einem höhnischen Grinsen abwehrte. Aus irgendeinem Grund hatte er Gerin zumeist in Ruhe gelassen, aber die Ketten waren so großzügig bemessen, dass er Hand an mindestens vier oder fünf andere Männer legen musste, bevor die Antreiber das Spektakel nicht mehr sportlich nahmen, sondern stattdessen wegen des entstandenen Chaos sauer wurden.

Am dritten Tag, bei der fünften oder sechsten Schlägerei, kamen zwei oder drei berittene Hüter und Eigner der Karawane die Reihe entlang, um nachzusehen, worum es bei dem Gezänk überhaupt ging. Einer davon war eine Frau, und als die Antreiber den Treck mit Tritten und Flüchen wieder in Reih und Glied gebracht hatten, winkte sie ihren Hauptmann zu sich, beugte sich im Sattel herab, sagte etwas zu ihm und schickte ihn, vor Ärger rot im Gesicht, wieder zu seinen Kollegen zurück. Gerin hatte nicht mitbekommen, was gesprochen wurde, aber er wusste, was kam. So wie er auch gemerkt hätte, wenn der Wind jenseits der Sümpfe sich drehte.

Er zog es vor, sein Wissen nicht mit Barat zu teilen, und der Lude war anscheinend zu blöde oder stur, um es von allein zu begreifen. Noch am selben Nachmittag zettelte er den nächsten Streit an.

Die Antreiber nahmen ihn sich beim Latrinenhalt am Mittag des folgenden Tages vor, direkt am anderen Ufer des Flusses von Parashal. Gleich vier waren es, Männer mit grimmigen, wettergegerbten Gesichtern, langen Holzknüppeln in den Händen und Augen, die wie Katzensilber glitzerten. Sie hielten ihn fest und zerteilten die Ketten mit den Bolzenschneidern, die sie alle wie Waffen an ihren Gürteln trugen. Die Unwiderruflichkeit dieser Handlung veranlasste den Luden, wie ein erschrecktes Pferd zu schnauben und um sich zu treten.

Aber da war es natürlich längst zu spät.

Sie zerrten den zappelnden und brüllenden Barat zu einem Wäldchen in der Nähe und prügelten ihn gemächlich zu Tode. Es war deutlich zu hören – feste, fleischige Schläge, wie wenn ein Schlachter Gelenke abhackte; hohe durchdringende Schreie, die bald in Flehen und Stöhnen übergingen; schließlich Stille, die noch schlimmer war, da die Schläge weitergingen. Gerin hatte mehr als genug an Brutalität erlebt, draußen im Sumpf und auf den Straßen von Trelayne; aber selbst ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, bis der Mann tot war.

Anderswo im Zug senkten weniger hartgesottene Männer – darunter auch Opfer von Barats Triezerei – den Kopf und starrten auf den Boden, auf dem sie saßen. Einer oder zwei schlugen sich die Hände vor den Mund wie Frauen, um sich nicht zu übergeben. Gerin brachte ein halbes verächtliches Grinsen zustande, bevor er merkte, dass er ebenfalls heftig zitterte.

Oder, redete er sich etwas leichtfertig ein, ich habe mich bloß bei Tigeth mit dieser Erkältung angesteckt, Hoiran sei verdammt!

Dann hörten die Geräusche auf, und die Antreiber kamen unter den Bäumen hervor, unter schallendem Gelächter und mit dem Grinsen gut genährter Wölfe. Ihre Knüppel trugen sie lässig wie Langwaffen. Einer ließ seinen Bolzenschneider in der anderen Hand hin und her pendeln und durch das kniehohe Gras streifen. Das Zangenende triefte von Blut, das hell glänzte, als die Mittagssonne darauf fiel.

Und später hatte sich das unausgesprochene Wissen auf die schweigenden Gefangenen herabgesenkt – wie ein neuer Gefährte mit grinsendem Totenschädel, der sie von nun an im Zug begleitete –, dass es anstelle Barats jeden von ihnen hätte treffen können.

»Ja, und apropos«, sagte Gerin grimmig zu ihnen, als Tigeth nach der Rüge des Hageren verstummt war. »Ihr glaubt, das sind die einzigen leeren Halsfesseln, die ihr zu sehen kriegt? Jeder Tag, an dem wir es nicht bis zum Markt in Yhelteth schaffen, ist bares Geld, das diesen Ärschen durch die Finger rinnt. Glaubt ihr, die werden stehen bleiben oder langsamer werden, wenn jemand die Hitze nicht aushält, wenn wir über die Ebene ziehen?«

»Sie müssen uns verkaufen!«, beharrte Tigeth gereizt. »Es liegt nicht in ihrem Interesse, wenn sie …«

»Sie müssen einige von uns verkaufen, mein lieber Herr Geschäftsmann. Genügend, damit es sich rechnet. Wie schon gesagt: Ihr glaubt doch nicht, dass es dem Kapitän des Fischkutters was ausmacht, wenn ihm beim Entladen ein paar Fische aufs Dock rutschen?«

»Wie alt bist du, mein Sohn?«, fragte jemand neugierig.

Gerin grinste in der Dämmerung wie ein Gassenjunge. »Fünfzehn. Und im Gegensatz zu dem, was der Herr Geschäftsmann da sagt, kann ich bis zehn zählen, und weiter. Ich zähle fünfunddreißig Sklavenzüge in dieser Karawane, mit jeweils zweiunddreißig Köpfen. Das sind elfhundertundzwanzig, weniger Barat, und ihr habt gesehen, was mit ihm passiert ist. Meint ihr wirklich, einer von uns ist das zusätzliche Wasser oder das Warten wert, während sie uns hier herumschleifen? Hier heißt es marschieren oder krepieren, Leute, und jeder ist sich selbst der Nächste. Ihr seid keine Bürger mehr, ihr seid Sklaven. Ihr fallt da draußen um, und sie geben euch vielleicht ein paar Tritte, um zu sehen, ob ihr wieder hochkommt. Und wenn nicht …« Er breitete die Hände in den Fesseln aus und zuckte mit den Achseln. »Schneiden sie euch los und lassen euch liegen, sodass ihr an Ort und Stelle krepiert.«

»Vielleicht stimmt das«, sagte der Hagere langsam. »Aber vielleicht glauben wir lieber, dass es jemand anders passiert. Verdammt, vielleicht passiert es jemand anders. Wir alle haben’s bis hierher geschafft.«

Von den kauernden Gestalten an der Kette kam zustimmendes Gemurmel. Nachdem es erstorben war, schaute der Hagere jedoch blicklos nach Süden. Er schien von seinen eigenen Worten nicht so recht überzeugt zu sein.

»Bin noch nie in ’ner Wüste gewesen«, sagte er zu niemand im Besonderen. »Hab so was noch nie gesehen.«

Jemand nieste heftig.

»Ich habe solche Märsche schon erlebt«, sagte ein anderer Mann, der weiter weg saß. Die eine Gesichtshälfte war albtraumhaft vernarbt. Schlecht verheilte Brandwunden, so schwer, dass man sogar im schwindenden Licht das gefurchte Narbengewebe erkennen konnte, wenn er den Kopf bewegte. »Im Krieg, auf dem Rückzug von Rajal. Der Junge hat recht. So läuft das. Sie haben die Verwundeten liegen lassen, wo sie hingefallen sind. Haben uns gezwungen, an ihnen vorbeizumarschieren. Wir haben gehört, wie sie uns nachgerufen, uns angefleht haben. Uns angebettelt haben, sie nicht den Echsen zu überlassen. Und damals waren wir nicht mal Sklaven, wir waren immer noch Bürger, wir waren Soldaten.«

Tigeth stieß einen Laut der Erschöpfung aus. »Ist nicht dasselbe. Das war ein Krieg. Es ist nicht dasselbe hier …«

»Was ist los, Dicker?« Der hagere Gefangene starrte Tigeth mit offener Abneigung an. »Glaubst du, dass dich irgendeine reiche yheltethische Witwe als Schreiber und Hausdiener kauft, nur weil du lesen und schreiben kannst? Hältst du dich für zu gut, um in den Minen zu arbeiten oder Steine zu schleppen, bis du umfällst?«

»Nö, dafür ist er einfach viel zu fett«, witzelte einer.

»Zu fett für ’ne Witwe und so«, sagte ein anderer. »Es sei denn, sie kauft ihn als Kissen.«

Allgemeines Gelächter, leise und gemein. Tigeth war hellauf empört.

»Er wird nicht mehr zu dick sein, wenn wir dort ankommen«, sagte der Veteran von Rajal ruhig. »Nach dem Marsch, der uns bevorsteht, wird er ebenso sonnenverbrannt, mit Blasen bedeckt und kaputt sein wie wir alle. Wenn er’s überhaupt schafft.«

Nach seinen Worten entstand eine Stille. Die Gefangenen sahen einander an, während sie die Botschaft verarbeiteten. Die meisten waren zweifellos gelegentlich brutal behandelt worden, seit sie gefangen genommen und verkauft worden waren. Vielleicht waren einige der jüngeren und hübscheren unter ihnen – wie Gerin – im Kerker vergewaltigt worden, genau wie die Frauen, die jetzt in separaten Trecks marschierten. Aber im Großen und Ganzen hatten sich diese Männer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass sie vielleicht sterben würden.

Ein schwacher, fiebriger Schauder überlief Gerin bei der Erkenntnis, dass er sich bis jetzt diesem Gedanken auch noch nicht gestellt hatte. Viele seiner verworrenen Fluchtpläne hatten in seiner Vorstellung ein schlechtes Ende genommen, aber seine eigene Auslöschung hatte nicht dazugehört. Er hatte sich verschiedene brutale Folgen ausgemalt, zusammenfantasiert aus den Ereignissen, bei denen er in der Vergangenheit Zeuge geworden war oder über die er Geschichten am Lagerfeuer gehört hatte. Er hatte seine Vergewaltigung in den Schuldnerzellen immer wieder durchlebt, hatte sich vorgestellt, dass ihm so etwas noch unzählige Male widerfahren würde. Er hatte sogar über der Möglichkeit gebrütet – und einen Schauder nicht unterdrücken können –, kastriert zu werden, was angeblich im yheltethischen Handel für männliche Sklaven nicht unüblich war.

Aber er hatte sich nie vorgestellt, dass sein Leben enden würde. Hatte nie wirklich geglaubt, dass er derjenige wäre, der losgeschnitten und zurückgelassen würde, bittend und bettelnd, während der Treck weiter durch die flirrende Wüste zog. Hatte nie geglaubt, er könne es sein, Gerin Trickfinger, fünfzehn Jahre alt, dessen Leben kaum erst angefangen hatte und der jetzt dort lag, zu schwach, um sich zu rühren, zu schwach für alles außer heiseren Gebeten zum dunklen Hof, zu Hoiran oder Dakovash, Kwelgrish oder Horchalat, Firfirdar oder jeden, verdammt, der dort draußen zuhören mochte. Flehende Bitten, die wie ein gefüllter Wassereimer an einem Seil durch schwache Finger hinab in den Brunnen zurücksausten, schwindende Hoffnung; Gebete um Rettung, dann Gebete darum, einfach gefunden zu werden, mochten es weitere Sklavenhändler oder Banditen sein; schließlich die schlichte Bitte, dass Durst und Hitze ihn töteten, bevor er das erste Pieken und zaghafte Zerren an seinem Fleisch spürte, wenn die Aasfresser seinen zuckenden Leib umkreisten und die Geier in Spiralen herabschwebten, um ihm die Augen auszuhacken …

Zitternd – diese verdammte Erkältung – sah er sich unter seinen Mitgefangenen um. Der Hagere schaute zu dem Veteranen von Rajal hinüber.

»Du, Narbengesicht. Meinst du, du schaffst es?«

Der Veteran schnitt eine Grimasse und überlegte. Wegen der Narben kein schöner Anblick. Gerin fielen die Statuen mit Stoßzähnen und Fängen ein, die er in den vom Kerzenschein erhellten Schatten des Hoiran-Tempels am Südtor von Trelayne gesehen hatte. Und es hieß, dunkle Geister würden von missgestaltetem und verstümmeltem Fleisch angezogen. Sein Vater hatte ihm einmal erzählt …

Das Narbengesicht zuckte die Achseln.

»Wahrscheinlich, ja. Aber man muss daran glauben. Sonst ist alles vorüber.«

»Genau.«

»Sieh mal«, sagte Gerin, der unbedingt das Aufwallen seiner eigenen Furcht abschütteln wollte. »Ich sag ja nicht, dass die meisten von uns nicht überleben würden. Darum ging es mir nicht.«

Der Veteran wandte ihm das verwüstete Gesicht zu und fixierte ihn mit seinem Blick. Nach Anbruch der Nacht war jetzt der lange, schimmernde, sichelförmige Rand des Bands deutlich zu erkennen, das sich aus den Wolken am Himmel herausschälte und ein weiches, ungleichmäßiges Licht auf alles warf, was der Dunkle Hof für notwendig erachtete, erfasst zu werden. Ein wenig von diesem Licht schien sich in den Augen des Mannes zu fangen und dort zu leuchten, als er Gerin ansah.

»Worum geht es dir dann?«, fragte er leise.

Es war merkwürdig, aber es war ein Gefühl wie bei der Schauspielerei, wie bei einem der kleinen Stücke eines Straßendramas, das er unten in Strov mit inszeniert hatte, um Publikum anzuziehen oder Mitgefühl bei Passanten hervorzurufen. Als ob es eine korrekte, feststehende Antwort auf diese Frage gäbe. Gerin hatte keine Ahnung, wie sie lauten mochte, und so sah er sich unter seinen Mitgefangenen um, die ihn anstarrten.

Er räusperte sich.

»Keiner von uns ist an die Wüstenhitze gewöhnt«, sagte er. »Und die Hälfte von uns schnieft und niest bereits. Wir werden krank und müde dahinstolpern. Wir haben ein paar Tage im Buschland mit den Rationen, die sie uns geben, und es spielt keine Rolle, wer überlebt und wer nicht, denn keiner von uns wird dann in der Lage zur Flucht sein. Dazu ist jetzt unsere letzte Chance.«

»Flucht?« Tigeth schnaubte phlegmatisch. »Du blöder verfluchter …«

Und der Überlebende von Rajal versetzte ihm eine Ohrfeige. Tigeth jaulte und taumelte unter der Wucht des Schlages. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber der Veteran starrte ihn grimmig an, und Tigeth überlegte es sich anders. Dann kehrte der Blick des vernarbten Mannes zu Gerin zurück. Er öffnete einladend die gefesselte Hand.

»Wenn du eine Idee hast, mein Junge, dann spuckst du sie wohl besser jetzt aus!«

Die Klinge hob sich, und einen Moment lang blitzte blendendes Sonnenlicht auf der Schneide. Dann kam sie auf ihn zu.

Egar, der Drachentöter, knurrte. Neigte den Kopf ein winziges Stück zur Seite und spürte den Stahl über die Haut kratzen. Mit äußerster Willensanstrengung hielt er seinen Hals an Ort und Stelle und starrte zur Decke des Barbiersalons hinauf.

Es fiel schwerer, als er in Erinnerung hatte.

»Seid unbesorgt, Mylord«, schnurrte der Barbier. Mit dem Daumen strich er den Seifenschaum von der Rasierklinge und schnippte ihn in die Schale. Setzte die Klinge in einem steileren Winkel an den eingeseiften Hals des Drachentöters und zog sie erneut hoch, wobei seine Stimme vor Konzentration angespannter klang. »Ihr seid jetzt in Yhelteth, gekrönte Königin der zivilisierten Städte. In diesem Stuhl haben Würdenträger aus allen Ecken und Enden der bekannten Welt gesessen. Alle sind mit unversehrter Kehle wieder gegangen.«

Egar fixierte ihn mit einem unheilvoll blickenden Auge nicht ganz einfach, wenn der Kopf in einem so unmöglichen Winkel geneigt war.

»Das ist nicht mein erstes Mal, wisst Ihr.«

»Nun ja, Mylord, es wird Euch freuen zu hören, dass wir dann schon zu zweit sind.« Wieder wischte der Barbier die Klinge sauber und kippte den Kopf seines Kunden auf die andere Seite. »Bleibt genau so. Vielen Dank. Obwohl ich mich nicht an das Vergnügen erinnern kann, Euer Wohlgeboren schon einmal bedient zu haben. Hat mich einer Eurer Brüder aus der Steppe empfohlen?«

»Meine Brüder aus der Steppe würden sich Ihre Preise kaum leisten können.«

Das stimmte – tatsächlich liefen die meisten Majak in Yhelteth ebenso bärtig herum wie daheim in den nördlichen Ebenen. Warum gutes Geld dafür ausgeben, sich Haar aus dem Gesicht schaben zu lassen, das in der folgenden Woche schon wieder nachwachsen würde? Warum es sich also überhaupt abschaben lassen? Hält die Sonne ab, stimmt’s? Kitzelt die Mädels, und dann wissen sie, dass sie mit einem Mann zusammen sind, nicht mit einem Knaben. Stutze ihn, wenn’s unbedingt sein muss, wenn die Haarvorschriften der imperialen Söldnertruppe, bei der du gerade angeheuert hast, es erfordern, ansonsten jedoch …

Der Barbier beugte sich vor und nahm, leicht die Stirn runzelnd, sein Werk in Augenschein. »Da muss ich leider widersprechen, Mylord. Tatsächlich hatte ich erst letzte Woche zwei Eurer Brüder hier drin. Junge Burschen, noch nicht lange in der Stadt, so wie die geredet haben.«

Egar knurrte. »Dann kriegen sie bessere Bezahlung als ich in ihrem Alter.«

»Vielleicht. Sie trugen die Uniform der Zitadellenwache, wenn ich mich recht erinnere.«

»Der verdammten Zitadelle?«

Ein rascher Blick zum Barbier, ob der sich durch diese Worte beleidigt fühlen könnte – in religiösen Dingen waren die Reichsbewohner seltsam. Sie hatten dieses Buch der Regeln zu beachten, das so unversöhnlich war wie einer ihrer Sesselfurzer vom Amt, und zeigten bei Verstößen dagegen wenig Sinn für Humor. Gewöhnlich hätte Egar einen Scheißdreck darauf gegeben, ob er sie beleidigte oder nicht, aber es schien unklug, einen Mann zu verärgern, der einem die Rasierklinge an die Kehle hielt.

»Na, ja …« Versunken in seine Aufgabe, verspürte der Barbier anscheinend keinerlei religiösen Eifer. Er zog die Klinge hoch bis unter Egars Auge, zurück zum Ohr, und die Striche waren so glatt und geübt wie die Stimme und die höflichen Plattitüden, die sie von sich gab. »Die Reihen der Heiligen Garde wurden im Krieg sehr stark dezimiert, Mylord. Das Märtyrertum hat viele vom rechten Weg einberufen.«

»Ja, nicht wahr.«

Egar hatte einige Märtyrerkampagnen während des Feldzugs in den Süden erlebt, und die hatten sogar seine abgestumpfte Söldnerseele zutiefst gekränkt. Männer und Knaben, einige davon kaum zwölf oder dreizehn Jahre alt, hatten ihre Leiber den Reihen der Echsen entgegengeworfen, den Namen der Offenbarung auf den Lippen. Die meisten konnten bestenfalls einen Hieb anbringen, bevor die Sklaven der Reptilien sie mit Klauen oder Zähnen niederrissen. Sie starben zu Tausenden kreischend draußen im Feld, während die befehlshabenden Hüter zuschauten und für den Sieg beteten.

Auf einem Felsvorsprung oberhalb des Gemetzels hatte einer der anderen majakischen Söldnerkommandanten neben Egar kopfschüttelnd auf die Erde gespuckt.

Und die nennen uns Berserker?

Aber so war Yhelteth eben. Es lullte einen mit seinen Rasuren und Bädern ein, seiner Bücherweisheit und seinem Gesetz; und dann, ganz plötzlich, wenn man es am wenigsten erwartet hätte, wurden die viel gepriesenen Insignien der imperialen Zivilisation beiseitegeworfen, wie das Tuch und der gebrannte Ton der Maske eines wohlhabenden Leprakranken, und man sah sich jäh dem grinsenden Entsetzen darunter gegenüber – einem gewalttätigen Stammesvolk, eitel in seiner eingebildeten Überlegenheit und seinem Glauben, die Vorherrschaft ausüben zu dürfen, wo immer es sie ausüben konnte.

Es zahlt sich nicht aus, zu viele Illusionen über uns zu hegen, hatte ihm Imrana einst nüchtern gesagt. Ohne das schwarze Volk wären wir wahrscheinlich nach wie vor eine Bande blutdürstiger Reiterstämme, die sich um Herrschaftsgebiete zankt.

Der Barbier vollendete sein Werk mit der Klinge, wischte Egar Gesicht und Hals mit einem feuchten Tuch ab und hielt eine brennende Wachskerze an seine Ohren, um die Härchen dort abzusengen. Es war ein schmerzhafter Vorgang – das Haar für den Bruchteil einer Sekunde in Brand setzen, mit der hohlen Hand gleich wieder ausschlagen; immer wieder –, aber Egar unterwarf sich der Prozedur stoisch und ohne jeglichen Protest. Er näherte sich rapide den vierzig und wollte nicht bei jedem Blick in den Spiegel daran erinnert werden. Ohren, aus denen Haar spross, Grau in Bart und Körperhaar, Falten auf der Stirn und an den Wangen, die sich zwar glätteten, wenn er seinen Gesichtsausdruck veränderte, jedoch niemals völlig schwanden; das alles häufte sich allmählich auf eine Weise, die ihm gar nicht gefiel.

Ebenso wenig gefiel ihm, dass diese Sache in seinem Kopf so großen Raum einzunehmen begann.

Draußen in der Steppe waren ihm die Veränderungen der letzten paar Jahre nicht weiter aufgefallen, weil die Majak außerhalb der Schamanerie nur wenig reflektierende Oberflächen nutzten. Aber nach seiner erneuten Rückkehr in die imperiale Stadt wurde Egar gezwungenermaßen daran erinnert, dass Yhelteth schöne Spiegel als Zeichen von Wohlstand und Kultiviertheit wertschätzte. Er mochte Wohnhäuser oder auch öffentliche Gebäude betreten – überall in Hallen und Empfangsräumen lauerte eine Vielzahl der unterschiedlichsten Schmuckexemplare an den unerwartetsten Stellen. Imranas Haus war besonders gut ausgestattet, weil es vermutlich ihrer Stellung am Hof und ihrem Verlangen entsprach, eine makellose äußerliche Schönheit zu bewahren. Am Ende, sagte sie etwas bitter eines Abends, als sie ihm gegenüber im duftenden Badewasser lag und ihn ansah, bin ich, trotz aller Klugheit, aller Kontakte und höfischen Verbindungen, nach wie vor eine Frau. Und ich werde an allen Höfen anhand dieser simplen Tatsache beurteilt, anhand meiner verdammten und verfluchten Proportionen, anhand dessen, wie erfreulich mein Anblick ist. Wangenknochen und Arschbacken sind mein Schicksal.

Ich glaube, du unterschätzt da einige andere Vorzüge. Seine Stimme wurde vor Lüsternheit zu einem trägen Knurren. Er streckte eine Hand aus, umfasste eine ihrer Brüste und strich mit dem Daumen über die Warze. Weigerte sich, auch nur annähernd so ernst zu reden wie sie. Für mein Auge ist alles von Kopf bis Fuß ziemlich erfreulich. Und auch für ein paar andere Organe, falls du es nicht bemerkt haben solltest.

Diese Worte brachten ihm ein schwaches Lächeln ein. Und – worauf er wirklich aus gewesen war – sie legte eine Hand auf seinen bereits anschwellenden Schwanz, der dick zwischen seinen Beinen im Badewasser trieb.

Ja, eine Wirkung, die – und da bin ich mir ziemlich sicher – jede aufgeschnürte Kneipennutte, die halb so alt ist wie ich, in ebenjenem Organ erregen könnte, wenn sie dich einfach nur streift. Du kannst dich nicht zurückziehen in das, was du mal hattest, Eg. Du musst im Hier und Jetzt leben. Und hier und jetzt bin ich alt. Praktisch eine alte Vettel.

Er schnaubte. Du bist noch keine vierzig, Frau!

Obwohl er insgeheim den Verdacht hatte, dass sie wahrscheinlich so alt war, wenn nicht sogar ein paar Jahre älter. Um die Wahrheit zu sagen, es war eine Sache, an die er nie viele Gedanken verschwendet hatte. Vor Jahren, bei ihrer ersten Begegnung, während der Krieg immer noch tobte und es keinen anderen sicheren Halt gab als den Tag, der einem geschenkt war –, na ja, damals lagen die Dinge anders. Dass Imrana eine Handvoll Jahre älter war als er, hatte ihr einen dunklen, exotischen Reiz verliehen, einen Wonneschauer hervorgerufen, den er von seinen eher gewöhnlichen Bordellbesuchen nicht gewohnt war. Alter und höfische Raffinesse waren das überwältigende Parfüm, das ihr anhaftete, ein aufsteigender, verrückt machender Duft, der ihn wie Patschuli oder Rosenöl betörte und einen rastlosen, unbestimmbaren Hunger in ihm aufsteigen ließ.

Jetzt, beim Gedanken daran, dass ihm das Alter ebenfalls zusetzte, erfüllten ihn ihre Gefechte an vorderster Front gegen denselben Feind mit größerer Besorgnis, als er sich eingestehen wollte.

Tja, Drachentöter. Das bereitet dir fast genauso viel Sorgen wie dieser Armleuchter mit seinem Wappen, den sie sich als Gatten geangelt hat. Und das möchtest du auch nicht gern zugeben, oder?

Ah, ja. Das.

Ja, das – Großoffizier Saril Ashant, von seinem Auftrag in Demlarashan zurück, wo er so standhaft und selbstsüchtig war, sich nicht von den Rebellen töten zu lassen, die er besiegen sollte. Ist stattdessen nach Hause gekommen, ruhmbedeckt, und hat als rechtmäßige Belohnung ein paar Wochen Fronturlaub verlangt, komplett mit nächtlicher ehelicher Zuneigung …

Lass gut sein, Eg!

»Wünscht Ihr noch etwas anderes, Mylord?« Der Barbier säuberte ihm jetzt völlig unnötig Kragen und Schultern. »Vielleicht eine Massage?«

Egar fand, dass er mit der brutalen Behandlung, die seine Ohren gerade erfahren hatten, für den heutigen Tag genug hätte. Und das Barbiergeschäft war ihm auf einmal zu klein. Er schüttelte den Kopf, riss sich mit einiger Anstrengung aus seinem dumpfen Brüten, erhob sich aus dem Sessel und fummelte nach seiner Geldbörse. Sah den großen, frisch rasierten Mann im Spiegel dasselbe tun. Der Anblick überrumpelte ihn wie stets – Scheiße, ist das viel graues Haar! Um etwas zu sagen, während er die Münzen hervorholte, fragte er: »Und diese Landsleute von mir, die kommen häufig her?«

»Regelmäßig, ja, Mylord.« Der Barbier nahm die dargebotene Bezahlung entgegen. »Habt Ihr eine Botschaft für sie?«

Der Drachentöter starrte grimmig in den Spiegel und kämpfte darum, nicht die jähe Erschöpfung durchschimmern zu lassen. Was würde er sagen? Welche Botschaft könnte er womöglich an junge Männer weitergeben, die von der gleichen idiotischen, unzerstörbaren Zuversicht besessen waren, wie er sie selbst empfunden hatte, als er vor ein paar Jahrzehnten in die Stadt gekommen war?

Genießt es, solange es schmeckt. So lange wird’s nicht sein, vielleicht?

Lasst euch gut für die Jahre bezahlen, die ihr hingebt?

Wenn sie sich regelmäßig im Palastviertel rasieren ließen, hatten sie diese Lektion bereits besser gelernt, als er sie lehren konnte.

Der Mann im Spiegel betrachtete ihn stirnrunzelnd. Der Barbier stand immer noch da. Hinter der verräterischen Erschöpfung stieg ein weiteres Gefühl wie Rauch auf; wie etwas, das zwar da, aber noch nicht zu greifbarer Gestalt geworden war. Er versuchte, es zu benennen – und versagte.

Stattdessen schüttelte er das Gefühl ab.

»Keine Botschaft«, sagte er und trat wieder hinaus in die sonnenhelle Straße.

Eine Weile lang ließ er sich treiben, ließ sich von dem Strom der Menschen durch das Palastviertel tragen und sich davon einlullen. Frauen in leuchtend gefärbten Gewändern kamen vorüber, wie Süßigkeiten, die allzu zahlreich waren, um sich für eine zu entscheiden, dazu der berauschende Duft des Parfüms. Sklaven und Bedienstete in der Livree dieses oder jenes Höflings gingen gebückt unter gepolsterten Sätteln, die fünf Fuß hoch beladen waren, oder – das waren die glücklichen – sie brachten eine versiegelte Nachricht von einem herrschaftlichen Haus zum anderen. Da ein Adliger, in seinem Kielwasser ein Gefolge, das ihn umschwärmte wie kreischende Seemöwen das Heck eines Fischerboots. Hier und dort die seltsamen Paare der Stadtwache, deren Kürasse viel zu hell in der Sonne blitzten. Bettler und Straßenpoeten, die nicht so schmutzig, missgestaltet oder störend waren, dass man sie fortschaffen musste.

Schwache Düfte von Obst und Blumen wanden sich von einem Markt ganz in der Nähe herüber. Dazu erklangen die abgerissenen rhythmischen Rufe der Verkäufer, die ihre Waren anpriesen.

Die Hitze war wie eine Decke. Straßenstaub wehte unter dem Getrappel der Füße auf.

Egar trieb über alles hinweg wie ein Schwimmer mit der Strömung – genoss eine Weile lang das immer noch stechend scharfe, durchdringende Gefühl der Freude, einfach hier zu sein, an diesen Ort zurückgekehrt zu sein, nachdem er geglaubt hatte, ihn niemals wiederzusehen. Aber letztlich brachte es nichts. Unausweichlich ging sein Blick hoch nach Westen, zu den stattlichen, baumbeschatteten weißen Herrenhäusern entlang des Hafenbergs. Zu einem bestimmten Haus sogar, mit der mosaikbesetzten Kuppel am südlichen Ende, wo sie ihm im Augenblick wahrscheinlich …

Komm schon, Drachentöter! Wirklich. Lass es gut sein!

Zu spät. Sein Blick blieb an dem Glitzern und Blinken der Kuppel hängen wie eine Klinge in einer vereisten Scheide. Er spürte, wie seine Stimmung in den Keller sank. Spürte den unvernünftigen Ärger aufflammen, wie stets.

… wahrscheinlich in diesem großen Bett den Schwanz lutschte …

Werd mal erwachsen, Eg! Du hast gewusst, dass du damit würdest leben müssen. Abgesehen davon – die Gerissenheit des Steppennomaden kehrte in seinen Verstand zurück, Relikt eines Mannes, von dem er sich manchmal fragte, ob er es noch immer selbst war – ist es viel zu knapp vor der Gebetsstunde für so etwas. Er ist ein frommes kleines Arschloch, vergiss das nicht. Das hat sie dir zumindest gesagt.

Wie zur Bestätigung dessen trieb der Ruf des Predigers von einem Turm irgendwo hinter ihm herab. Egar rang sich ein Grinsen ab, hinter dem er sich verstecken konnte, und behielt es bei. Die Erinnerung an Imrana war unauslöschlich mit dem klagenden Schmerz dieses Lauts fern am Horizont verbunden.

In den alten Tagen, als die Leidenschaft zwischen ihnen bei jeder Berührung aufgeflammt war, bei jedem bedeutungsvollen Blick, hätte ein Verstoß gegen die Stunde des Gebets sie entzündet wie eine mit Öl getränkte Kerze. Die Augen groß, die Lippen geöffnet, das Gesicht vor entsetztem Entzücken angespannt wegen dem, was er ihr antat, wann er es ihr antat. Hin und wieder fing er einen fernen Duft dieser Erinnerung aus jenen Tagen auf und wurde allein schon beim Gedanken daran knüppelhart.

Und später dann, als sie sich in dem Harnisch ihrer gegenseitigen Anziehung wohler fühlten, verbrachten sie nach wie vor postkoitale Abende draußen auf den Balkonen ihrer Räumlichkeiten, die schweißnassen Glieder miteinander verschlungen, horchten auf den Abendruf und sahen zu, wie die Sonne mit den Schichten aus Hitze und Staub über der westlichen Stadt verschmolz.

Sein Lächeln erstarb, wurde hässlich unter der Last der gegenwärtigen Ereignisse. Großoffizier, verdammter, oder nicht. Drachentöter, eines Tages solltest du einfach …

Er packte den Gedanken beim Kragen. Es reicht.

Er musste woanders hin. Eindeutig.

Die Gewohnheit lenkte seine Füße nach Süden und brachte ihn auf den Boulevard des Unbeschreiblich Göttlichen. Archeth war bestimmt noch nicht von An-Monal zurück, aber unterdessen konnte er mit Kefanin plaudern und Ishgrim anzügliche Blick zuwerfen, falls sie sich herabließ zu erscheinen. Und überhaupt und sowieso, ermahnte er sich selbst ein bisschen mürrisch, war es seine Aufgabe, auf alle ein Auge zu haben; das war die beschönigende Übereinkunft, die er und Archeth beibehielten – sein Platz als Langzeit-Hausgast bezahlte er, indem er informell für ihre Sicherheit sorgte.

Dass das kaum mehr bedeutete, als im Haus sichtbar zu sein, und sichtbar ein Majak, darüber wurde nie gesprochen. Auch nicht über die kleinen Beutel mit Silbermünzen, die regelmäßig in den Taschen seiner Kleidung steckten, wenn sie von der Reinigung zurückkam und in seinen Räumlichkeiten auslag.

Er drängte das Gefühl zurück, ein Haushund zu sein.

In Wahrheit lag der Überfall der Zitadelle auf Archeths Haushalt jetzt gut drei volle Jahreszeiten zurück, und angesichts des Ergebnisses erschien es eher unwahrscheinlich, dass dieselben Mächte es erneut versuchen würden. Menkarak und seinesgleichen hatten sich zurückgezogen. In diesen Tagen sah es so aus, als schwebte eine gewaltige Waage in einem heiklen Gleichgewicht am Himmel über Yhelteth und das eine hohle Messinggewicht hinge über dem Palast des Imperators und das andere über dem hohen Felsen und dem Bergfried der Zitadelle.

Niemand wollte dieses Gleichgewicht stören, wenn es sich eben vermeiden ließ.

Er verspürte sie erneut – dieselbe brodelnde Rastlosigkeit, vertraut, jedoch nicht fassbar.

Könntest natürlich auch nach einem richtigen Job suchen, Drachentöter.

Könnte er, und mit seinem Beinamen wären die Angebote gewiss nicht zu knapp; um Männer zu finden, die Drachentöter genannt wurden, musste man meistens auf die Friedhöfe gehen – es liefen nur noch wenige herum, und sie waren weit verstreut. Jedes Regiment in der Stadt hätte viel dafür gegeben, einen Drachentöter als Kommandanten oder gar Paradeoffizier zu haben. Aber ein Kommando, selbst eine Sinekure, würde Verantwortung mit sich bringen – er müsste Paraden beiwohnen sowie einhundert anderen langweiligen bebänderten Regimentsaffären der einen oder anderen Art, während er eigentlich lieber irgendwo auf einem sonnenbeschienenen Balkon Imrana ficken würde. Oder einen trinken oder mit Archeth herumhängen. Und ein echtes Kommando wäre noch schlimmer – wie die Dinge gerade lagen, würde er höchstwahrscheinlich südlich nach Demlarashan beordert werden, wo er das Abschlachten von noch mehr verblendeten, schlecht bewaffneten jungen Männern überwachen müsste, die irgendwie anscheinend beim letzten Krieg die Nase noch nicht voll davon bekommen hatten.

Der Krieg; die anschließenden Jahre als Klanherr auf der Steppe – es hing ihm immer noch nach. Es saß ihm jedes Mal im Magen und in der Kehle, wenn er daran dachte, wie das Gefühl, das man am Morgen hatte, wenn noch zu viel Essen und Wein von einem überbordenden Festmahl am Abend zuvor unverdaut waren. Es war ihm egal, ob er jemals im Leben noch ein Kommando bekäme oder nicht.

Er hatte einfach keine Lust mehr, Männern Befehle zu erteilen.

Sollen die Dummköpfe es zur Abwechslung doch mal selbst hinkriegen.

Er erreichte Archeths Haus in genau dieser Stimmung. Trat von der belebten Straße ein und blieb in den kühlen Schatten des Tors stehen, um sich den Schweiß von Hals und Stirn zu wischen. Die beiden dort stationierten jungen Wächter nickten ihm argwöhnisch zu. Argwöhnischer, als man erwarten würde, wenn man bedachte, dass er mehrmals beim Wachwechsel mit ihnen Würfel gespielt hatte.

Er setzte ein Grinsen auf.

»Alles in Ordnung, Jungs? Habt ihr Lady Archeth überhaupt schon zu Gesicht bekommen?«

Der Mann links schüttelte den Kopf. »Noch kein Wort, Mylord.«

Achselzucken. Dann also Kefanin.

Er überquerte die sonnenhellen Pflastersteine des Innenhofs, trat ins Haus und suchte eine Weile, bis er den Eunuchen schließlich in einem der Patios im Gespräch mit Ishgrim fand. Egar bekam nicht mit, worüber sie sprachen, aber seinem neidischen Blick schienen sie für eine junge Frau mit Ishgrims Proportionen und einem Mann ohne Eier viel zu gut miteinander auszukommen. Das Sklavenmädchen lachte und strich sich das lange, kerzenwachsfarbene Haar aus den Augen. Die Kurven ihres Körpers verschoben sich unwillkürlich in dem gelben Leinenkleid, strafften das Material an Hüfte und Brust. Kefanin vollführte eine komplizierte Geste mit beiden Händen, schüttelte ein rotes seidenes Taschentuch hervor und spreizte weit die Finger, sodass es dazwischen herabhing. Eine kleine Kaskade weißer Rosenblüten rieselte auf die steinerne Bank zwischen ihnen herab. Ishgrim holte überrascht Luft und klatschte wie ein kleines Kind in die Hände. Dadurch drückte sie ihre Brüste zusammen, sodass sie sich hoben, ganz und gar nicht wie bei einem kleinen Kind. Egar spürte ein Pulsieren in seinem Geschlechtsteil.

Nicht ganz das, was er jetzt brauchte.

Er machte sich durch ein Hüsteln bemerkbar.

»Hallo, Kef.«

Der Eunuch stand eilig auf. »Mylord!«

»Also keine Spur von Archeth?«

»Nein. Normalerweise hätte ich sie inzwischen zurückerwartet, aber …«

»Aber sobald sie da oben in diesem Haus voller Phantome ankommt, weiß niemand irgendwas, verdammt.« Es klang knurriger, als Egar beabsichtigt hatte. »Stimmt’s?«

Kefanin schürzte diplomatisch die Lippen.

»Möchtet Ihr eine Erfrischung, Mylord?«

»Nein danke.« Egar warf einen Blick auf Ishgrim hinab und überlegte nicht zum ersten Mal, wie Archeth sich dermaßen im Zaum halten konnte. Wenn das Mädchen seine Sklavin gewesen wäre – ein Geschenk des Imperators, nicht weniger, und eine bessere Legitimation konnte es kaum geben –, hätte er diese Kurven schon vor Monaten erobert, verdammt! Hätte sie entflammt wie einen Sturmhimmel in der Steppe, hätte ihr vor allem ein verdammtes Lächeln aufs Gesicht gezaubert statt dieses ständig gesenkten Blicks, den sie im Haus ständig beibehielt.

Ishgrim errötete und rückte unbehaglich auf der Steinbank hin und her.

»Wirst du’s ihm sagen?«, fragte sie mit dünner Stimme.

Schweigen. Egar ließ den Blick zwischen den beiden hin und her wandern. »Mir was sagen?«

»Es ist nichts, wirklich.« Kefanin wedelte abschätzig mit der Hand. »Nicht der Rede …«

»Mir was sagen, Kef?«

Der Hausverwalter seufzte. »Na gut. Anscheinend sind wir einem etwas größeren klerikalen Spiel mit dem Feuer ausgesetzt. Die Zitadelle möchte uns wieder mal an ihre Existenz erinnern.«

»Sie sind wieder da?« Egar war es beim Hereinkommen nicht aufgefallen, und bei dieser Erkenntnis beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl der Scham. Bist schon ein beschissener Wachhund, Eg! »Die Jungs am Tor haben keinen Pieps verlauten lassen, als ich reingekommen bin.«

Kefanin zuckte mit den Schultern. »Sie sind vom Palast ausgeliehen. Sie möchten keine unnötige Aufregung.«

Wieder dieses verdammte heikle Gleichgewicht! Egar fielen die argwöhnischen Blicke der Wachmänner ein. Er spürte, wie sich ein wildes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.

»Sie glauben, ich würde unnötig für Aufruhr sorgen?«

»Mylord. Ich weiß nicht, ob …«

»Überlass das mir, Kef.«

Seine Worte verloren sich hinter ihm, als er davonging. Jetzt ritt er auf einer aufwallenden Woge verschiedener Gefühle, in deren Mitte ebenjene vage vertraute Unruhe wohnte, die er nicht recht festmachen konnte. Er schritt durch die Zimmer und Flure des Hauses zurück. Über den grellen Innenhof. Unter der kurzen, kühlen Liebkosung des Torbogens hindurch, an den überraschten Wächtern vorbei – Arschlöcher –, wortlos. Wieder hinaus in das geschäftige Treiben und Getrappel der Straße.

Weil er jetzt genau hinschaute, waren sie leicht zu erkennen – da, unter einem der Akazienbäume, die in Zweierreihen mitten auf dem Boulevard gepflanzt waren. Die schlanke Gestalt in dem düsteren Gewand der Hüter sowie, ihn flankierend in der kühlenden Pfütze der Schatten, die unausweichlichen Schlägertypen; billige Massenware und professionell finstere Blicke, leichte Kettenhemden unter Chorhemden mit dem Wappen der Zitadelle, Kurzschwerter in Scheiden an der Hüfte.

Eine kurze Bewegung entstand, beide Männer legten die Hände an den Schwertgurt, als sie den großen Majak erblickten, der durch den Verkehr auf sie zugeschritten kam. Egar nickte in grimmiger Anerkennung und als Zeichen, dass er es bemerkt hatte, und dann baute er sich vor dem Hüter auf.

»Du stehst vor dem falschen Haus«, sagte er im Plauderton.

Das Gesicht des Hüters wurde rot vor Ärger. »Wie kannst du es wagen …«

»Nein, du hörst mir nicht zu.« Egar wahrte einen geduldigen, sanften Tonfall. »In der Zitadelle hat es offensichtlich ein Missverständnis gegeben. Pashla Menkarak hält dich nicht auf dem Laufenden. Hat er dir nicht gesagt, wie gefährlich es ist, unter diesem Baum zu stehen, als er dich hergeschickt hat?«

Unwillkürlich zuckte der Blick des Hüters zu den Ästen hinauf. Egar legte ihm liebenswürdig eine Hand auf die Schulter, knapp oberhalb des Schlüsselbeins, und grub den Daumen hinein. Der Hüter stieß ein ersticktes Winseln aus. Die Schlägertypen erwachten zu spät. Einer von ihnen hob eine fleischige Hand und packte Egars freien Arm.

»Das ist ein …«

Egar ließ die rechte Handkante herabsausen und spürte das Schlüsselbein des Hüters bei dem Hieb brechen wie ein Stück Feuerholz. Der Hüter schrie auf und brach grunzend zusammen. Inzwischen hatte sich Egar bereits dem Schläger zugewandt, der ihn gepackt hatte. Er drückte seine Hand mit einem Ringerkniff der Majak nach unten und rammte den Mann mit dem Gesicht voran gegen den Baumstamm. Der andere Schläger reagierte einen Herzschlag zu langsam und tat das völlig Falsche – er griff nach seinem Schwert. Egar drehte sich, die Schulter voran, dahinter sein volles Körpergewicht, nagelte den Schwertarm des Mannes auf der Brust fest und knallte ihm den Handballen gegen die Schläfe. Im letzten Augenblick hinderte ihn etwas daran, den Schlag mit voller Wucht auszuführen, und der Mann ging lediglich betäubt zu Boden.

Unterdessen war derjenige, den er mit dem Gesicht voran gegen den Baum gerammt hatte, immer noch auf den Beinen. Das Blut strömte ihm aus der gebrochenen Nase, und er hatte gleichfalls beschlossen, dass es an der Zeit war, den Stahl zu zücken. Er brachte das Schwert eine Handbreit aus seiner Scheide, und dann trat ihm der Drachentöter die Beine unter dem Leib weg. Unvermittelt ging er zu Boden. Egar stürzte sich auf ihn und versetzte ihm einen Tritt gegen den Kopf. Das schien zu genügen.

Hinter ihm kreischte nach wie vor der Hüter unter seinen Roben und trat um sich wie eine Art gestrandeter Mantarochen. Schaulustige begannen sich zu versammeln. Egar blickte die Straße entlang, ob Verstärkung käme, sah keine, positionierte sich sorgfältig und trat der Gestalt in der Robe hart in den Magen. Das Gekreisch wich einem abgerissenen Würgen. Egar brachte einen weiteren harten Tritt an, diesmal höher, und spürte einige Rippen unter seinem Stiefel brechen. Dann kauerte er sich neben den Hüter, packte ihn an der Kehle und zog ihn nahe zu sich heran.

»Sieh mal da rauf!«, sagte er finster und riss den Kopf des Mannes nach oben. »Gib acht, weil ich dir das nur einmal sage! Siehst du dieses Fenster? Zweiter Stock, drittes über dem Bogen? Das ist mein Zimmer. Es geht direkt auf die Straße, genau hierher. Nun ist mir die Vorgeschichte von deinen Leuten und der Dame dieses Hauses bekannt, aber eins sage ich dir: Sie ist mir scheißegal. Und noch wichtiger: Ich möchte nicht aus diesem Fenster blicken und sehen müssen, wie deine verdammte Visage mir die Aussicht versaut. Kapiert?«

Knurren durch zusammengebissene Zähne. »Ich habe ein gottgewolltes Recht …«

Egar schlug dem Mann den restlichen Satz aus dem Mund.

»Wir debattieren hier nicht über Rechte, mein Freund. Sehe ich etwa wie ein Anwalt aus? Es geht hier um eine höfliche und vernünftige Forderung von mir an dich und alle deine bärtigen Kumpels. Haltet euch verdammt noch eins von diesem Haus fern! Sag das deinem Menkarak, sorge dafür, dass er die Nachricht weiter verbreitet. Weil ich mich gezwungen sehe, jedem, der die Botschaft nicht kapiert, wehzutun, wahrscheinlich sogar sehr! Und wenn du jemals hierher zurückkommst …« Der Drachentöter bohrte dem Hüter den Zeigefinger unter das Kinn und hob das Gesicht näher zu sich. Sah ihm in die Augen, damit es auch hängen blieb. »Na ja, dann murkse ich dich ab. Verstanden?«

Dem Gesicht des Mannes nach zu urteilen, war die Botschaft angekommen.

Er stand auf und betrachtete die zuckenden Leiber auf dem Boden und die glotzende Menge, die sich versammelt hatte.

»Die Vorstellung ist vorüber«, sagte er brüsk. »Hier gibt’s nichts zu sehen.«

Und da war es, etwas in seinen Worten, ein Echo des schwer fassbaren Gefühls, das er den ganzen Tag über mit sich herumgetragen hatte – das jetzt aus den Schatten glitt und Gestalt annahm.

Langeweile, erkannte er leicht erschrocken. Drachentöter – du langweilst dich.

Später, als das Band nur noch gedämpft von einem Himmel schien, der sich immer weiter zuzog, und das letzte Licht des Tages zu einem orangefarbenen Glanz über den Bäumen im Westen verblasste, ließen die Antreiber Lagerfeuer errichten. Fünfunddreißig Sklaventrecks drängten sich in dem tief liegenden offenen Gelände gegen die zunehmende Kühle der Nacht aneinander. Gerin sah in unregelmäßigen Abständen die Feuer flackern und zählte – vier, nein, fünf bei den Sklaven und noch eines, ein kleineres, weiter draußen, wo die Aufseher ihre Zelte errichteten. Keines nahe genug, um mehr als einen schwachen Schein auf die Männer in seinem Treck zu werfen – hier und da ein Schimmer auf einigen wenigen blassen städtischen Gesichtern wie das von Tigeth oder ein unheimliches Glitzern in einem Auge, welches das Licht einfing, wenn jemand den Kopf drehte. Zumeist jedoch bildeten die Sklaven eine ungeordnete, diffuse Masse aus Schatten in der Düsternis.

In Gerins Hals kratzte es, und seine Augen tränten. Auf einmal fühlte er sich absurd schwach.

Er drängte das Gefühl zurück. Keine Zeit jetzt für so was.

Diejenigen Antreiber, die nicht mit den Feuern beschäftigt waren, begaben sich an die langwierige Aufgabe, ihren Schützlingen etwas zu essen und zu trinken zu geben. Allein oder zu zweit gingen sie unter den Sklaven herum und versetzten ihnen gelegentlich einen Tritt oder Hieb, damit sie Platz machten. Die für Gerins Treck zuständigen Männer waren anscheinend guter Laune – rau, aber herzlich –, als sie die Runde drehten, kalten Eintopf in die flachen Holzschüsseln klatschten, wobei sie sich halbwegs Mühe gaben, auch wirklich zu treffen, und das altbackene Brot austeilten, statt es ihnen bloß zuzuwerfen. Hier und da knurrten sie sogar barsch beschwichtigende Worte, wie man sie einem braven Hund zuteilwerden lässt. Gerin führte das auf Barats Abwesenheit zurück – da der Unruhestifter nicht mehr mit in Ketten lag, sondern irgendwo verrottete, war es vorbei mit der unwillkommenen Aufmerksamkeit seitens der Aufseher, und das war doch etwas Gutes. Jetzt konnten sie alle, Sklaven und Antreiber gleichermaßen, ganz pragmatisch die Reise friedlich beenden.

Gerin zwang Brocken des gallertartigen Eintopfs die Kehle hinab und knabberte an einer Brotkante. Er schluckte heftig, keuchte, schluckte erneut und …

Abrupt würgte er.

Würgen – zappeln – heftig in seinen Ketten um sich schlagen, sodass sich die Schellen an Hand- und Fußgelenken in die Haut gruben und die Männer um ihn herum voller Panik so weit zurückwichen, wie es ihre Fesseln erlaubten. Das Geschrei wogte hin und her.

»Was zum …«

»Pass auf, pass auf, er hat einen An…«

»Fieber! Es ist das Hustenfieber!«

»Bringt ihn verdammt noch mal von hier w…«

»Gift, Gift!«

»Fass den verdammten Narren nicht an!«

»Spuck’s aus, Mann. Spuck’s aus, verflucht!«

Und dann der neue Schrei, das neue Entsetzen. »Besessen, besessen! Der dunkle Hof hat ihn. Hoiran naht! Lasst euch nicht von ihm berühren, er wird die Ketten sprengen wie ein …«

»Hoiran! Hoiran! Seid demütig, es ist …«

»Hoiran geht um!«

»Zurück, weicht zurück …«

Die Antreiber trafen ein. Gerin erkannte sie kaum, da sein unsteter Blick nur Bruchstücke erfasste, während sein Hals nach vorn und zur Seite zuckte, nach vorn und zur Seite, nach vorn und zur Seite. Speichel sammelte sich in seiner Kehle – er hustete und spuckte ihn verzweifelt aus, spürte, wie er auf seinen Lippen schäumte. Eine schwach erkennbare Gestalt beugte sich über ihn, eine Faust sauste herab, traf ihn aber nicht richtig. Der Hieb prallte von der Seite seines Kopfs ab. Sein Rückgrat bog sich durch, er stieß ein Knurren aus, tief in der Kehle. Ein zweiter Antreiber trat zum ersten.

»Nicht so, du verdammtes Arschloch! Pack ihn am …«

»Ja, versuch du es doch mal, du …«

»Halt ihn bloß ruhig, ja!«

Jemand setzte sich breitbeinig auf Gerin und versuchte, ihn an den Armen festzuhalten. Er glaubte, das Gesicht des Antreibers der letzten Tage wiederzuerkennen – ergrauendes, schütteres Haar unter einer gestrickten Wollmütze, die Stirn gerunzelt und Besorgnis in den Augen. Seitlich hinter ihm sah ein weiteres, jüngeres, wütenderes Gesicht zu ihm herab. Tief im Anfall und mit Schaum vor dem Mund, erkannte Gerin, wie der zweite Mann eine Faust hob, in der ein Schlagring metallisch glänzte. Sah, wie sorgfältig der Antreiber den Winkel abschätzte. Der Hieb würde ihm das Gesicht zerschmettern.

Etwas Dünnes und Glitzerndes flog peitschenartig hinauf in die Nachtluft und fiel über dem Kopf des jüngeren Mannes herunter. Gerin wusste, dass es eine Kette war. Er streifte das in Strov einstudierte Krampfen ab wie einen Mantel, stemmte sich wütend gegen die Arme, die ihn nach unten drückten, nach oben und schmiegte sich an den Hals des älteren Antreibers wie ein Liebhaber.

Er biss tief zu und ließ nicht los.

Aufjaulend versuchte der Antreiber, ihn herabzuschlagen. Der stahlbeladene Hieb des jüngeren Mannes ging fehl und traf seinen Gefährten an der Schulter. Dann straffte sich die Kette und riss nach hinten. Gerin schloss die Kiefer über dem Hals des älteren Mannes und schlang die Arme um ihn. Die anderen Sklaven des Zugs scharten sich um sie, und nun konnte der Antreiber nicht mehr fliehen. Er stolperte jammernd umher, wollte sich mit den Ellbogen einen Weg bahnen. Schlug wild mit den Armen um sich, um Gerin loszuwerden. Inmitten des Durcheinanders bekam er einen Hieb auf den kahl werdenden Kopf, sodass sich die Wollmütze verschob, und dann war sie ganz verschwunden. Gerin ritt auf dem verzweifelt kämpfenden Mann, spürte, dass seine Nase von einem zufälligen Schlag blutete, achtete nicht weiter darauf, sondern bohrte und mahlte und schnitt weiter mit den Zähnen, arbeitete daran, dem Mann ein fransiges Loch in den Hals zu reißen. Haut, Sehnen, kleine Bröckchen zerfetztes Fleisch und da, da, die winzige, feucht pulsierende Röhre der Arterie. Er spuckte aus, ließ los. Der Antreiber stolperte zurück, die weit aufgerissenen Augen in dem schwachen Licht auf Gerin gerichtet, den Mund flehentlich geöffnet. Er schlug eine Hand auf die Wunde an seinem Hals, fühlte, was dort geschehen war, spürte den raschen Pulsschlag, mit dem ihm sein Leben durch die Finger rann. Stieß eine Art Stöhnen aus und stürzte brabbelnd zu Boden.

»Nehmt ihm seinen verdammten Bolzenschneider ab! Schnell!«, stieß der Veteran von Rajal durch die zusammengebissenen Zähne hervor, während er mit der Kette an der Kehle des jüngeren Antreibers sägte. Er hatte die Fäuste gehoben und die Kette doppelt gepackt, um den schlimmsten Zug an seinen Fesseln abzuschwächen – dennoch blutete er an den Handgelenken. Der Antreiber schlug und trat um sich, die Stiefel suchten verzweifelt nach Halt. Aber die matten Metallglieder waren tief ins Fleisch an seiner Kehle gedrungen, und die Augen traten ihm unmenschlich weit aus den Höhlen, und er würgte, erfüllt vom verzweifelten Wissen um den nahenden Tod. Gerin schoss heran, riss ihm den Bolzenschneider vom Gürtel. Er mühte sich mit dem ungewohnten Werkzeug ab, um seine Fußfessel zu greifen.

»Ihr Schweinehunde!« Ein schwerer Schlag auf seine Schulter. »Leg dich hin, du verdammtes Stück Sch…«

Gerin geriet ins Stolpern, ging jedoch nicht zu Boden. Der dritte, gerade eingetroffene Antreiber zog ihm erneut knurrend den Knüppel über, von der Seite. Diesmal fiel Gerin hin. Eine einzige Sekunde stand der Antreiber schwer atmend mit gehobenem Knüppel über ihm – und wurde von den anderen Männern des Trecks herabgezogen, bevor er zuschlagen konnte. Ein schreckliches Geheul ertönte von dort, wo er zu Boden gegangen war. Gestalten in Ketten drängten sich über ihm zusammen.

»Schneid mich los, mein Sohn. Rasch!«

Es war der hagere Mann, der ihm die Arme entgegenstreckte. Gerin zögerte einen Augenblick, dann schloss er den Bolzenschneider um die Fesseln des Mannes. Er drückte und drehte, und die Unterarme schmerzten vor Anstrengung. Einen Übelkeit erregenden Augenblick lang glaubte er, der Bolzenschneider würde nicht funktionieren. Dann verbog die Fessel und riss.

»Geschafft, geschafft!« Der hagere Mann sang fast. »Eisen, nach Gildenstandard, meine Fresse. Sieh dir mal den Scheiß an! Verdammt schludrige Schmiede da in Etterkal!«

Die zweite Fessel ließ sich fast ebenso leicht durchschneiden, und dann schnappte sich der Hagere den Bolzenschneider aus Gerins schweißnassem Griff. Er hob ihn wie eine Waffe. Gerin spürte, wie er einen trockenen Mund bekam.

»Komm schon!«, fauchte der Mann. »Streck die Hände aus!«

Er sprach wie sein Vater – benommen gehorchte Gerin. Der hagere Mann setzte den Bolzenschneider an, drückte ihn kraftvoll zusammen und trennte die Fesseln nacheinander auf. Fast ebenso schnell war er bei Gerins Füßen, dann seinen eigenen. Er riss die zerschnittenen Ketten herunter, richtete sich auf und lachte – ein jäher, grimmiger Freudenausbruch, dem etwas Animalisches anhaftete. Er schlug Gerin auf die Schulter, und Gerin ging unter der Gewalt des Schlags fast wieder zu Boden.

»Verdammt erstaunlich, mein Sohn. So was hab ich noch nie gesehen.«

Anderswo hatten weitere Männer die Bolzenschneider der beiden anderen Antreiber an sich gebracht und bemühten sich jetzt schimpfend und streitend, sich oder andere irgendwie im Dunkeln zu befreien. Der narbengesichtige Veteran aus Rajal erhob sich wie etwas Heraufbeschworenes vom Leichnam des Mannes, den er getötet hatte. Er zerrte seine Ketten von dem roten, rohen Loch der aufgerissenen Kehle des Antreibers weg und hielt sie hoch. Bei diesem Anblick lief Gerin ein Schauer über den Rücken. Der Veteran schüttelte ungeduldig die Kette.

»Wollt ihr die ganze Nacht da rumstehen und euch gegenseitig beglückwünschen?«, knurrte er und nickte hinüber zu der Sklavenkarawane, wo nun allgemeiner Aufruhr herrschte. »Uns bleiben nur ein paar Minuten, bevor jemand mit einem Schwert hier erscheint. Macht schon!«

Gerin folgte der Geste mit dem Blick und erkannte, dass der Mann recht hatte. Dunkle Gestalten huschten zwischen den in Unordnung geratenen Trecks hin und her und suchten nach der Quelle des Aufruhrs. Die meisten hielten Fackeln oder Scheite hoch, die sie eilig aus den Lagerfeuern gezogen hatten. In den freien Händen glänzten matt die gezogenen Klingen.

Der hagere Mann setzte den Bolzenschneider an die Fesseln des Veteranen an und schnitt sie ebenso mühelos durch wie die anderen zuvor. Der Veteran riss die Hände ungeduldig aus dem zerstörten Metall, dann beugte er sich herab und zog die Füße aus den durchtrennten Fußfesseln.

Hinter ihnen durchdrang ein Ruf die Nacht.

»Dort! Monkgraves Treck!«

»Sie sind … Holt sie euch! Sie sind frei! Verdammt, rein da und …«

Noch über die Fußfesseln gebeugt, drehte der Veteran den Kopf zu den Stimmen hin. Gerin sah, wie er das Gesicht zu einer Grimasse verzog und in sich hineinnickte. Dann richtete er sich vorsichtig wieder auf, rieb sich die befreiten Handgelenke, atmete tief ein und knurrte, als wäre er überrascht.

»Du machst dich besser aus dem Staub«, sagte er zu dem Hageren.

»Ich, du, aber …«

Der Veteran nahm ihm sanft den Bolzenschneider ab. »Mach schon! Nimm den Jungen mit, verzieht euch rasch unter die Bäume, solange ihr’s noch könnt.«

»Und du?«

Der Veteran deutete auf das Durcheinander, wo die anderen Männer versuchten, sich im Dunkeln zu befreien. »Mein Freund, wenn uns jemand nicht etwas mehr Zeit verschafft, ist das alles rascher vorbei als der Fick eines Priesters.«

»Dann bleibe ich auch.«

»Du warst im Krieg?«, fragte der Veteran ebenso sanft, wie er den Bolzenschneider an sich genommen hatte.

Der Hagere zögerte. Senkte den Kopf, schüttelte ihn langsam.

»Freigestellt«, erwiderte er. »Ich war … ich bin Schmied.«

Der Veteran nickte. »Hatte mir schon so was gedacht. Wie du das Eisen durchgeschnitten hast. Sieh mal, das ist keine Schande. Es können nicht alle den Stahl schwingen, weißt du, jemand muss das verdammte Zeug schließlich auch herstellen. Aber du hast Ahnung von deinem Fach.«

Geistesabwesend schwang er den Bolzenschneider und wog ihn in der Hand. Es klang wie eine Sense, die durch die Luft schnitt. Der Schmied starrte ihn an, und das vernarbte Gesicht des Veteranen verzog sich zu etwas, das vage einem Lächeln ähnelte. Er zeigte mit seiner frisch erworbenen Waffe in die Richtung, wo die Bäume sich zu einem Wald verdichteten.

»Macht schon, verschwindet, alle beide. Rüber zu den Bäumen!« Aus dem Lächeln wurde ein schreckliches Grinsen. »Ich komme gleich nach.«

Sie wandten sich von der Lüge ab, dem unmöglichen Versprechen auf seinem zerstörten Gesicht, und flohen.

Der Narbige sah ihnen nach. Gellende Flüche und ein Stolpern hinter ihm, als die ersten der Antreiber, die Schwerter schwingend und um sich tretend, sich ihren Weg durch die Revolte bahnten. Langsam erlosch sein Grinsen. Inmitten des Chaos aus Männern, die sich befreien wollten, die an ihren Ketten zerrten und nach Bolzenschneidern schrien, wandte er sich den Neuankömmlingen zu. Zwei Männer, beide schwangen Schwerter, einer trug eine Fackel. Der Veteran spürte einen Muskel zucken, tief unter dem Narbengewebe seines Gesichts.

»Du da!« Der erste Antreiber erblickte ihn, hob die Fackel und sah genauer hin. Zeigte mit seinem Schwert. »Runter auf deine verdammten Knie! Sofort!«

Ungeachtet des Schwerts war der Veteran mit drei raschen Schritten die Distanz bei ihm, und bevor der Antreiber begriff, was vor sich ging, stand er so dicht vor ihm, dass die Waffe zu nichts mehr nutze war. »Wir haben sie zurückgelassen«, sagte er, als würde er einem Kind etwas erklären.

Eine Bewegung, kaum zu erkennen, wie der Flügelschlag eines Falters – der Bolzenschneider, der auf Kopfhöhe traf.

Der Antreiber stolperte zur Seite, das Gesicht von dem Hieb aufgerissen, ein Auge verschwunden, die Augenhöhle eingedrückt. Die Fackel flog Funken speiend davon. Der Antreiber heulte unartikuliert auf, ließ das Schwert fallen und sank auf die Knie. Der Veteran hatte sich bereits seinem Begleiter zugewandt. Der zweite Mann bekam den zurückschwingenden Bolzenschneider ins Gesicht. Entsetzt prallte er zurück, und Blut tröpfelte aus den Wunden. Er hielt das Schwert wie einen Zauberstab gegen Dämonen vor sich. In dem unbeständigen Schein der herabgefallenen Fackel kam der Veteran knurrend heran.

»Befehle«, sagte er zu dem verständnislosen Antreiber und hackte ihm mit dem Bolzenschneider in den Kopf, einmal, zweimal, bis er hinfiel. »Sie haben uns dazu gezwungen, sie im Stich zu lassen.«

Einen Augenblick lang stand er wie eine Statue zwischen seinen beiden gefallenen Gegnern. Er sah sich in dem flackernden Fackelschein um, als würde er gerade erwachen.

Der zweite der bewaffneten Antreiber lag hinter ihm, den Kopf zur Seite gedreht, der Schädel zertrümmert. Der erste stützte sich auf die Knie und einen zitternden Arm und versuchte, das zerschmetterte Gesicht mit der anderen Hand zusammenzuhalten. Weinend, faselnd. Der Veteran entdeckte das Schwert des Mannes, knurrte und ließ den Bolzenschneider fallen. Er hob das Schwert auf, schwang es einige Male, nahm es dann in beide Hände, fuhr rasend schnell herum und ließ es auf den Hals des verwundeten Antreibers herabsausen. Ein ganz passabler Henkerstreich – die Klinge zerteilte das Rückgrat und den größten Teil des Halses und warf den Mann flach zu Boden. Der Veteran spannte seine Muskeln an, zog die Klinge mit geübter Präzision wieder heraus und blickte einen Moment lang auf sein zerstörerisches Werk.

»Wir haben sie noch meilenweit hinter uns schreien hören«, sagte er zu dem Leichnam des Mannes.