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Sie nehmen an einer Quizshow im Fernsehen teil, bei der Sie eine von drei verschlossenen Türen auswählen sollen. Hinter einer Tür wartet der Preis, ein Auto. Hinter den beiden anderen stehen Ziegen. Sie zeigen auf eine Tür, sagen wir, Nummer eins. Sie bleibt vorerst verschlossen. Der Moderator weiß, hinter welcher Tür sich das Auto befindet. Mit den Worten «Ich zeig Ihnen mal was» öffnet er eine andere Tür, zum Beispiel Nummer drei. Eine meckernde Ziege schaut ins Publikum. Er fragt: «Bleiben Sie bei Nummer eins, oder wählen Sie Nummer zwei?» Zwei Türen, hinter einer steckt der Gewinn. Also bleibt es sich gleich, welche gewählt wird, nicht wahr? Falsch. Nummer zwei hat bessere Chancen! «Mathematik kann sehr, sehr komisch sein. Speziell dort, wo ihre Ergebnisse unserer Eingebung komplett widersprechen wie im Ziegenproblem.» (Aus dem Vorwort zur Neuausgabe)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 252
Gero von Randow
Das Ziegenproblem
Denken in Wahrscheinlichkeiten
Vorwort zur Neuausgabe
Der Streit um das Ziegenproblem
«Ins Sommerloch gefallen …»
Erste Argumente
Hokuspokus, Außerirdische, Heuschnupfen
Wir lernen raten
Erste Begegnung mit der Wahrscheinlichkeit
Die Urformel
Die Multiplikationsregel
Was «ist» Wahrscheinlichkeit? (Teil I)
Technische Sicherheit
Die Tricks der Futurologen
Das Botenproblem
Die Additionsregel
Wir raten Risiken
Das Geburtstagsparadox
Tauchziegen, Prüfungsgremien, Pistolenschützen
Was «ist» Wahrscheinlichkeit? (Teil II)
Kopfnuss: Zomepirac
Das Ziegenproblem: zweite Runde
Der Vier-Fälle-Einwand
Verwandte des Ziegenproblems
Mein Irrtum
Welche Türen dürfen geöffnet werden?
Ist das Ziegenproblem unlösbar?
Irren ist menschlich
Der Geist ist faul
Denken in Ähnlichkeiten
Die Verfügbarkeitsfalle: Tanzstunden und Ehestreit
Simulationsirrtümer: Leckermäuler, Machos, Vorurteile
Das Gesetz der kleinen Zahl: Müslistatistik und Babyfolge
Rückkehr zum Mittelwert: Schöne Frauen, Fußballtrainer, Jetpiloten
Wie verbessere ich meine Lotto-Chance?
Alles im Griff: Lottospieler, Kapitäne, NASA-Cracks
Es kommt noch toller: Zeppeline
Was man hat, das hat man: Wein, Schokoriegel, Erbschaften
Die Pistoleros kommen
Das Ziegenproblem: dritte Runde
Vorsicht, Zahlen!
Der Durchschnittsmensch
Täuschende Häufigkeiten
Simpsons Paradox
Pseudo-Zusammenhänge
Die Zufallswanderung
Wer nicht sucht, der findet
Erst kombinieren …
Was ist Kombinatorik?
Pfadfinder in der Verfügbarkeitsfalle
Unser erstes Gesetz der Kombinatorik
Unser zweites Gesetz der Kombinatorik
Unser drittes Gesetz der Kombinatorik
Der böse rot-grüne Kopfzerbrecher
… dann schließen
Vorwärtsschlüsse: Totale Wahrscheinlichkeit
Rückschlüsse: Die universelle Formel der Wissenschaft
Die Erkenntnisformel des Thomas Bayes
Rückschlüsse in der Medizin
Ziegen im Weltraum
Intelligenz im All?
Das Ziegenproblem: vierte Runde
Widerlege dich selbst!
Selbstbestätigung: Strahlenrisiko, Vollmond, Parawissenschaft
Daten ohne Erklärungswert: Astrologie und Zahlenmystik
Dogmatische Wahrscheinlichkeit: Ist die Erde auch ganz bestimmt keine Scheibe?
Ein blindes Huhn findet auch einmal ein Korn
Das sichere Roulette-System
Der unsterbliche Affe
Der Erwartungswert des Seelenheils
Die Gewissheit des Unwahrscheinlichen
Das Ziegenproblem: letzte Runde
König Zufall – Herrscher ohne Land?
Die Monte-Carlo-Methode
«Seine Heilige Majestät der Zufall»
Computerzufälle
Zufallsgeneratoren
Gewimmel im Gas
Unordnung ist die Regel, Ordnung die Ausnahme
Warum verrinnt die Zeit?
König Zufall spricht zu uns
Im Zwergenreich
Nicht König, sondern Gehilfe
Die Welt als Ziegenproblem
Ein neues Ziegenproblem
Glossar
Literatur
Register
Gut zwölf Jahre ist es nun her, da das «Ziegenproblem» in Deutschland die Runde machte, und mit ihm dieses Buch. Ein Buch voller Formeln. Kann nicht gut gehen, warnten Freunde. Doch das Buch ist ein Dauerbrenner geworden. Was nicht wirklich daran liegt, dass in früheren Auflagen ein Bild des Autors mitgedruckt wurde. Sondern, ernsthaft, an der Schönheit der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Sie ist schön, weil sie erstens einfach ist, zweitens edel, drittens gut. Und da mag sich in den vergangenen zwölf Jahren vieles verändert haben – die schönen Formeln der Wahrscheinlichkeit sind die gleichen geblieben und deshalb heute so unterhaltsam und lehrreich wie eh und je.
Was ist anders geworden? Die Quizshows, beispielsweise. Vor allem aber hat sich hierzulande die Erkenntnis verbreitet, dass das mathematische Wissen der Deutschen unter aller Kanone ist. Der mathematische Schulunterricht gilt, Studien zufolge, als einer der blödesten in ganz Europa (auch das eine statistische Aussage; die hingebungsvollen Lehrer, die es ja auch gibt, sind ausdrücklich nicht gemeint). Und der Verfall mathematischen Wissens im Lande von Gauß und Einstein wirkt sich mittlerweile auf seine technische Leistungsfähigkeit aus. Erstens ganz direkt: Wer keinen Sinn für die mathematische Weltsicht hat, kann die heutige Biologie nicht begreifen, ebenso wenig Informatik oder Nanotechnik. Zweitens indirekt: Wer nichts von Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Statistik verstanden hat, dem kann man alles erzählen. Zum Beispiel, dass Handystrahlung krank macht. Nein, die Deutschen sind nicht technikfeindlich, sie sind aber technikfremd, will sagen: Sie haben keine Ahnung von Technik, wozu die Mathematikblindheit ihren Teil beiträgt.
Doch selbst wenn diese spezielle Form der Ignoranz keinerlei negative Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft des Landes hätte: Sie ist ein Armutszeugnis unserer Kultur. Doch da hilft kein Klagen. Sondern: Lachen!
Denn Mathematik kann sehr, sehr komisch sein. Speziell dort, wo ihre Ergebnisse unserer Eingebung komplett widersprechen, wie im «Ziegenproblem». Gäbe es doch viel mehr Lehrer, die das Komische an der Mathematik vermitteln können! Komisch nicht in dem Sinne, dass das Fach komödiantisch wäre. Aber es hat Witz. Es gibt Beweise, die Kapriolen schlagen. Es gibt Lösungswege, die hintenrum führen und das Problem auf überraschende Weise erledigen. Es gibt Beweise, die ganz harmlos mit Kleinkram anfangen und auf einmal eine ganze Welt in Frage stellen. Und komisch ist es allemal, wenn großartige Behauptungen mit ein wenig Mathe ad absurdum geführt werden können.
Es gibt Tiere, menschenähnliche Affen, die eine unserem Lachen verwandte Regung kennen. Doch erst der Mensch ist animal ridens, das lachende Tier (eine Erkenntnis des ernsten Aristoteles). Und weil er gerne lacht, sind ihm Künste wie die Mathematik besonders lieb.
Dieses Buch ist geschrieben worden, liebe Leserin, lieber Leser, damit auch Sie die Mathematik lieb gewinnen.
Gero von Randow, im Frühjahr 2004
Das ist vielleicht ein Gefühl, in Hunderten von Briefen als Spinner oder Dummkopf beschimpft zu werden!
Dabei hatte alles so harmlos angefangen.
An einem Samstag im Sommer saß ich abends spät im Garten, entkorkte eine Flasche und schlug den Skeptical Inquirer auf, mein Lieblingsblatt aus den USA: Wissenschaftler und Journalisten gehen darin den Behauptungen von Tischrückern, Gabelbiegern, Geistersehern und anderen Scharlatanen nach. Mich interessierte ein Artikel über die amerikanische Journalistin Marilyn vos Savant. Sie gilt als der Mensch mit dem höchsten Intelligenzquotienten der Welt, was immer das bedeuten mag.
Mit der Lösung einer Denksportaufgabe in ihrer Kolumne «Fragen Sie Marilyn» hatte sie eine Lawine hämischer bis empörter Leserbriefe losgetreten. Die Lösung, vorgestellt in der Zeitschrift Parade, widersprach nämlich der Intuition ihrer Leserschaft, darunter viele Mathematiker.
Ein Leser hatte folgende Aufgabe gestellt:
Sie nehmen an einer Spielshow im Fernsehen teil, bei der Sie eine von drei verschlossenen Türen auswählen sollen. Hinter einer Tür wartet der Preis, ein Auto, hinter den beiden anderen stehen Ziegen. Sie zeigen auf eine Tür, sagen wir Nummer eins. Sie bleibt vorerst geschlossen. Der Moderator weiß, hinter welcher Tür sich das Auto befindet; mit den Worten «Ich zeige Ihnen mal was» öffnet er eine andere Tür, zum Beispiel Nummer drei, und eine meckernde Ziege schaut ins Publikum. Er fragt: «Bleiben Sie bei Nummer eins, oder wählen Sie Nummer zwei?»
Zwei Türen, hinter einer steckt der Gewinn. Also bleibt es sich gleich, welche gewählt wird, nicht wahr? Falsch, sagt die IQ-Weltmeisterin, Nummer zwei hat bessere Chancen.
Da war es: das Ziegenproblem.
Irgendjemand spinnt hier, dachte ich beim Lesen. Die schlaue Dame, ihre Leser oder alle zusammen und ich vielleicht auch.
Nun war eine Entscheidung fällig: den geruhsamen Sommerabend mit Riesling fortsetzen oder Kopfzerbrechen mit Schreiber und Papier. Ich wählte das leichtere Vergnügen.
Am nächsten Morgen fiel mich das Ziegenproblem schon wieder an. Anstatt mich aus den Träumen sanft in den Tag zu leiten, ließ meine Phantasie Türen klappern, Ziegen meckern, Autos blinken. Erst unter der Dusche kam die Eingebung – die Frau hatte Recht!
Das konnte ich nicht für mich behalten (Berufskrankheit). Ich setzte mich also hin (am Sonntagmorgen) und schrieb einen kleinen Artikel für die Zeit, in dem ich das Ziegenproblem und dessen Lösung präsentierte. Am nächsten Tag fuhr ich in Urlaub.
Und so begrüßten mich die Leser-Zuschriften, als ich zurückkam: Der verehrte Herr von Randow sei «wohl ins Sommerloch gestolpert», «jeder normal begabte Zwölftklässler» könne schließlich begreifen, dass Frau Savants Rat «typische Laienfehler» enthalte, «haarsträubender Unsinn», «Quatsch» und «Nonsens», «absurd» und «abstrus» sei. Es sei «traurig, dass die Zeit so etwas überhaupt aufgreift». Die ganze Angelegenheit sei «peinlich», urteilte ein Mathematiker. Bestenfalls ein «Aprilscherz im Juli», schrieb ein Leser mitleidig, eher ein «Ärgernis», meinte ein anderer. Die alles dies zu Papier brachten, waren zum großen Teil Akademiker, einige mit einschlägiger Ausbildung in Statistik: Prof.Dr.-Ing., Dr. sc. math., Dr. med., Dr. jur. usw. usf. Sie schrieben auf Institutsbriefbögen, legten seitenlange Beweise bei, es kam sogar Post aus den Niederlanden, aus Italien, aus Togo. Zustimmende Briefe blieben rar.
Die Leserbrief-Redaktion wählte drei Briefe aus, die mich kritisierten, und ließ sie unter der Überschrift «Verquere Logik» drucken. Das mochte ich nicht auf mir sitzen lassen und schrieb einen zweiten Artikel. Wieder nahm ich für Frau Savant Partei – und entfachte den zweiten Sturm. Mittlerweile hatte der Spiegel die Geschichte aufgegriffen, gab ebenfalls Frau Savant Recht und bescherte sich die entsprechende Leserpost.
Das Ziegenproblem hielt offenbar viele Menschen in Atem. Feten platzten, und Ehepaare stritten sich. Professoren setzten ihre Assistenten an das Ziegenproblem, Mathe-Lehrer verwirrten ihre Schüler, Zeitungsredakteure erklärten sich gegenseitig für begriffsstutzig.
Ein Mitarbeiter eines Softwarehauses schrieb mir: «Bei uns verfügen viele über eine umfassende analytische Ausbildung (Informatik, Mathematik, Physik) und sind natürlich auf ihre Kenntnisse stolz. Verständlich also, dass das Ziegenproblem reizt. Wir haben die zur Verfügung stehenden analytischen Instrumentarien ausgepackt, Wahrscheinlichkeitsräume konstruiert, statistische Analysen durchgeführt usw. Ich erinnere mich an einen Freitagabend: Wir hatten in einer kleinen Gruppe bis gegen 19.00Uhr ein Projekt diskutiert und wollten eigentlich nach Hause gehen, als – in dieser personellen Konstellation zum wiederholten Male – das Gespräch auf das Ziegenproblem kam. Es war 21.00Uhr vorbei, als wir, eher erschöpft als vom Ergebnis befriedigt, das Feld räumten und mehrere beschriebene Metaplan-Wände zurückließen. Die Fronten waren hart, das Niveau recht hoch.» Es herrschte nicht gerade Saure-Gurken-Zeit: Bürgerkrieg in Jugoslawien, Putsch in Moskau, Probleme mit dem großen neuen Deutschland, Anschläge gegen ausländische Mitmenschen – aber Tausende diskutierten das Ziegenproblem, und das mit Leidenschaft.
In den USA war noch viel mehr los.
Ich zitiere von Seite eins der New York Times (21.7.1991):
«Die Antwort, wonach die Mitspielerin die Tür wechseln solle, wurde in den Sitzungssälen der CIA und den Baracken der Golfkrieg-Piloten debattiert. Sie wurde von Mathematikern am Massachusetts Institute of Technology und von Programmierern am Los Alamos National Laboratory in New Mexico untersucht und in über tausend Schulklassen des Landes analysiert.»
Marilyn vos Savant wurde unterdessen mit Spott überschüttet. «Unsere mathematische Fakultät hat herzlich über Sie gelacht», hänselte eine Professorin. «Es gibt schon genug mathematische Unwissenheit in diesem Land», beschwerte sich ein Akademiker bei der Zeitschrift Parade, «wir brauchen nicht den höchsten IQ der Welt, um diese Unwissenheit zu vertiefen. Schämen Sie sich!» Ein weiterer Leser vermerkte höhnisch: «Vielleicht haben Frauen eine andere Sicht mathematischer Probleme als Männer.»
Das Rätsel, das die Journalistin gelöst hatte, ist in der (vorwiegend männlichen) Denksport-Szene seit vielen Jahrzehnten bekannt und taucht immer mal wieder auf. In diesem Buch wird mehrfach begründet, warum Frau Savant Recht hatte. Wir fangen mit der Argumentation eines Lesers an:
«Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wagen hinter der erstgewählten Tür ist, beträgt 1/3.
Die Wahrscheinlichkeit, dass er hinter einer der beiden anderen Türen ist, beträgt somit 2/3.
Wenn ich nun erfahre, hinter welcher der beiden anderen Türen er nicht ist, weiß ich sofort die Tür, hinter der er mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 ist.»
Einige Leser wird dieses Argument bereits überzeugen. Das ist übrigens eine interessante Frage: Wer wird wann und warum von welchem Argument überzeugt? Einen absoluten Maßstab für «zwingende Logik» scheint es nicht zu geben; viele mathematische Beweise aus früheren Epochen würden heute als «nicht streng genug» verworfen werden. Fortschritt scheint also möglich zu sein: Die Anforderungen an das mathematische Schließen sind mit der Zeit gestiegen und nicht etwa laxer geworden. Im Verlauf dieses Buches werden gleichfalls immer strengere Begründungen für die Savant’sche Lösung auftauchen.
Weitere Fragen schließen sich an (freilich nur für die Leser, die bereits überzeugt sind; die anderen dürfen diese Seite später noch einmal aufblättern):
Warum haben sich derart viele Leute getäuscht – noch dazu einschlägig ausgebildete?
Wieso ließen sich viele von ihnen bis heute nicht überzeugen?
Weshalb sind sie so wütend?
Das sind übrigens die Fragen, die dieses Buch geboren haben. «Denken in Wahrscheinlichkeiten» ist mehr als nur ein mathematisches Thema. Es hat mit unserer Psyche und unserer Kultur zu tun. Dazu später mehr.
Es folgen weitere Argumente, alle aus Leserbriefen, denen die Idee zugrunde liegt, das Spiel mehrmals hintereinander zu spielen:
«In einem Drittel der Fälle fährt die Kandidatin gut mit der Strategie, an ihrer gewählten Tür festzuhalten. In zwei Dritteln der Fälle geht sie automatisch zum Gewinn über, wenn sie wechselt.»
Anders herum ausgedrückt:
«In zwei Dritteln der Fälle habe ich zuerst eine Tür ohne Auto gewählt, also ist Wechseln besser.»
Oder, vom Moderator her gedacht: Er sortiert eine Ziegentür aus der Menge der beiden verbleibenden Türen aus. In zwei von drei Fällen verbirgt die nichtgewählte verschlossene Tür den Gewinn.
«Man führe das Spiel beispielsweise mit hundert anstelle von drei Türen durch», schrieb Gerhard Keller aus Berlin. «Angenommen, die Kandidatin zeigt zu Beginn des Spiels auf Tür 8.Der Moderator muss nun laut Spielregel von den verbleibenden 99Türen 98 öffnen, hinter denen das Auto nicht steht. Neben Tür 8 bleibt also eine weitere, sagen wir Tür 57, geschlossen. Welche Tür wird die Kandidatin jetzt wohl wählen?» Dieser Fall zeigt das Prinzip sehr schön: Der Spielleiter sortiert die Nieten aus; da die gewählte Tür an dem Verfahren nicht teilnimmt (denn sie bleibt auf jeden Fall geschlossen), ändert sich einzig ihr Wert nicht.
Mein Lieblingsargument kommt von Stefan Sent aus Bonn: «Angenommen, es gibt zwei Kandidaten A und B.A bleibt immer bei der ersten Tür, B wechselt nach der Intervention des Moderators zur verbleibenden dritten Tür. Das Experiment findet 999-mal statt.» Was geschieht? Da A sich vom Moderator nicht beeinflussen lässt, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach um die 333Autos gewinnen. «Doch wo bleiben die fehlenden 666Autos? Sie können nur von B gewonnen sein. Somit hat B doppelt so viele Autos wie A gewonnen, also ist hinter der verbleibenden Tür tatsächlich mit doppelter Wahrscheinlichkeit ein Auto anzutreffen.»
Das Argument von Herrn Sent hatte ich in meinem zweiten Artikel zitiert, woraufhin folgende Zuschrift eintraf: «Die Begründung ist absurd, denn welcher Fernsehsender fände sich bereit, den gleichen Kandidaten 999-mal auftreten zu lassen?»
Ein Leser aus Bogotà (Kolumbien) kritisierte das 999er-Argument: «Wenn ich für das Spiel zwei verschiedene Versuchspersonen einsetzen möchte, dann muss ich mit jeder von ihnen getrennt die gleiche Zahl von Spielen machen. Die von Versuchsperson A nicht gewonnenen Autos kommen also nicht automatisch der Versuchsperson B zugute.» Gewiss, dann natürlich nicht. Aber die beiden können sehr wohl zusammen spielen: Ihre Erstwahl treffen sie gemeinsam (sie bestimmen beispielsweise die zuerst zu wählende Tür mit Hilfe eines Würfels), und B wechselt dann immer nach der Intervention des Moderators.
Das Experiment von Herrn Sent kann übrigens jedermann nachspielen. Darauf komme ich noch zurück.
Dennoch halten viele Leute daran fest, dies alles sei Hokuspokus. Ein Leser bemerkte viel sagend, es sei «keineswegs ein Zufall, wenn dies in einer Zeitschrift für Parapsychologie veröffentlicht wird, da angeblich durch bloßes unterschiedliches Fingerzeigen Gewinnchancen hinter verschlossenen Türen unterschiedlich verändert werden könnten». (Zur Ehrenrettung des Skeptical Inquirer wäre festzuhalten, dass er wohl eher als eine Zeitschrift gegen Parapsychologie anzusehen ist.)
Der interessante Punkt an diesem Einwand ist ein anderer: Die Intervention des Moderators verschiebt natürlich kein Auto – aber sie liefert eine Information über die verbliebene Tür, sodass die Kandidatin nun besser raten kann als zuvor.
Aus dem ehrwürdigen Trient erreichte mich ein Fax, in dem mich eine Gruppe von Forschern folgendermaßen zu widerlegen versuchte: Angenommen, Marilyn und Gero sind die Kandidaten. Marilyn wählt Tür eins, Gero wählt Tür zwei. Nun öffnet der Moderator Tür drei. Sollen jetzt sowohl Marilyn als auch Gero ihre Türen tauschen, um ihre Chancen zu erhöhen – Bäumchen, wechsle dich?
Die Crux dieser Variante: Sie folgt anderen Spielregeln. In diesem Spiel sortiert der Moderator keine Niete aus. Er kann stets nur die eine übrig bleibende nichtgewählte Tür öffnen. Nach der nun sinnlosen Intervention des Moderators bleibt keine nichtgewählte Tür mehr übrig, über die er die Mitspieler damit hätte informieren können.
Wenige Tage später erreichte mich ein zweites Fax der Trienter Wissenschaftler: «Die ‹intelligenteste Frau der Welt› hatte doch Recht.» Was jener Leser nicht glauben mochte, der mir folgende Nuss zu knacken gab:
Ein Ufo landet im Zuschauerraum, und ein Außerirdischer springt auf die Bühne. Er sieht eine offene Ziegentür und zwei geschlossene Türen. Wie stehen seine Chancen, wenn er Tür eins wählt oder Tür zwei? Fifty-fifty, oder nicht?
Das kommt darauf an, wie die Juristen immer sagen, bevor sie Fälle bilden.
FALL EINS: Der Außerirdische kann durch geschlossene Türen blicken. Diesen Fall betrachten wir hier nicht und überlassen ihn dem Skeptical Inquirer.
FALL ZWEI: Der Außerirdische hat bis zu diesem Moment nichts mitbekommen; dann darf er, weil ihm keinerlei Zusatzinformationen vorliegen, von gleichen Chancen bei Tür eins und Tür zwei ausgehen.
FALL DREI: Der Außerirdische hat alles mitverfolgt; dann ist er in keiner anderen Lage als die Kandidatin. Also sollte er wechseln, damit er bessere Chancen hat, vom Ufo auf das Auto umzusteigen.
Die Ufo-Variante des Ziegenproblems führt zu keinen neuen Lösungen, aber das damit verbundene Argument ist bemerkenswert: Der Argumentierende bildet einen Entscheidungsfall zwischen zwei Türen für einen vorurteilsfreien «objektiven Beobachter», dem er die eigene Denkweise einpflanzt. In juristischen Begründungen taucht dieser «objektive Beobachter» häufig auf, zum Beispiel als jemand, der «wie alle billig und gerecht Denkenden» urteilt. (Oft ist das nur «einer, der wie ich nach zehn Semestern Jura-Studium denkt».)
Wir können uns einen weiteren Mitspieler vorstellen, nämlich den Fernsehzuschauer, der anders als die Kandidatin tippt. Sie wählt Tür eins, er wählt Tür zwei.
Sollte der Fernsehzuschauer auf Tür eins wechseln, wenn der Moderator die Ziegentür Nummer drei öffnet?
Lieber nicht. Tür eins war für den Moderator tabu, denn sie wurde ja von der Kandidatin ausgesucht. Die Aktion des Moderators, eine Ziegentür aus dem Spiel zu werfen, beschränkte sich nur auf Tür zwei und Tür drei, lieferte also über Tür eins keinerlei Informationen. Die Wahl des Fernsehzuschauers schränkt die Intervention des Moderators nicht ein (von Tele-Telepathie sehen wir hier ab). Der Fernsehzuschauer sollte bei seiner Wahl bleiben; in etwa zwei Dritteln aller Fälle erlebt er das erhebende Gefühl, Recht behalten zu haben (noch ein Tipp: Er sollte, trotz der Siegesfreude, die Tüte mit den Chips lieber nicht anrühren – siehe Seite 103).
Der Kinderbuchautor Paul Maar, dessen Buch ‹Eine Woche voller Samstage› ein schönes Beispiel für das Schließen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten enthält1, zweifelte gleichfalls an der Savant’schen Lösung und ersann eine spannende Variante:
Die Kandidatin will «Ich wähle Tür eins» sagen, doch ein Heuschnupfenanfall zwingt sie zu niesen. In diesem Moment ruft eine vorwitzige Zuschauerin: «Tür zwei!» Der Quizmaster nimmt irrtümlich an, die Kandidatin habe Tür zwei gewählt, und öffnet Tür drei, die Ziegentür. Welche Tür soll die Kandidatin nun wählen?
Wenn sie alles mitbekommen hat, sollte sie sich für Tür eins entscheiden, denn der Moderator hat eine Ziegentür aus der Menge «Tür eins und Tür drei» aussortiert.
Ich vermute, dass einige Leser mittlerweile ungeduldig geworden sind, weil sie zwei messerscharfe Contra-Argumente in petto haben, die viel weiter reichen als alles, was bislang gegen Frau Savant vorgebracht wurde:
Das Zufallsargument: Frau Savant habe nur dann Recht, wenn der Moderator die Ziegentür vorsätzlich öffnete. Würde er sie rein zufällig öffnen, etwa versehentlich, dann verteilten sich die Chancen fifty-fifty.
Das Moderator-Argument: Das Problem sei, so wie es dargestellt werde, unlösbar, denn alles hänge von der Strategie des Moderators ab. Für die jedoch gebe die Fallbeschreibung keine Anhaltspunkte.
Dieses Argument haben vornehmlich Mathematiker und Philosophen vorgebracht. Für solche Gemeinheiten werden Mathematiker und Philosophen offenbar ausgebildet: Jemand stellt eine Frage – und die scharfsinnigen Leute antworten nicht, sondern «ent-fragen». Ob zu Recht, das werden wir freilich noch sehen.
Zunächst verschaffen wir uns ein paar Kenntnisse in Wahrscheinlichkeitsrechnung.