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Alles, was mit Magie in Berührung kommt – egal, ob für einen Sekundenbruchteilwahrer Magie oder für jene Momente, die der Illusion auf den Bühnen der Welt gehören – wird irgendwann selbst magisch. So geht es auch Puschkin, dem weißen Kaninchen eines Zauberers in Montparnasse, das abseits der Vorstellung sein Leben im Zylinderkabinett verbringt – jenem Ort, an dem Tücher wie Schmetterlinge fliegen und Tauben zu Plastikrosen werden. Dort, wo die Schuhmaus alle Geschichten kennt und der Regenbär die Seerosen gießt, wo die Pikdame die Geheimnisse hütet und die Puschelwuschelohrenkatze ihr Unwesen treibt: Genau dort taucht eines Tages direkt vor Puschkins Hasennase ein winziges Mädchen auf, das einen Schlüssel im Rücken hat und sich nur bewegt, wenn man ihn dreht. Schnell wird klar, dass Eugenie, wie dieses Mädchen heißt, nicht in das Zylinderkabinett gehört, und so macht sich Puschkin mit ihr auf den Weg zum von allen gefürchteten Schmuckfrosch – der einzigen Hoffnung, die Eugenie noch zu haben scheint …
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Seitenzahl: 102
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Fabienne Siegmund
oder das Mädchen, das nicht dorthin gehörte
Copyright © 2019 Art Skript Phantastik Verlag
Copyright © 2019 Fabienne Siegmund
Art Skript Phantastik Verlag | Salach
Lektorat » Rohlmann & Engels
www.lektorat-rohlmann-engels.com
Gestaltung » Art Skript Phantastik Verlag
Illustration für Cover & Innenseiten: Martin Knipp
www.weltenreisen.de
Auch als Print erhältlich
Der Verlag im Internet » www.artskriptphantastik.de
Zitat aus Oliver Plaschka, »Die Magier von Montparnasse«, 2010 Hobbit Presse, J.G Cotta’sche Buchhandlung mit freundlicher Erlaubnis des Autoren
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Personen
sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Fabienne Siegmund, geboren 1980, flog schon als Kind liebend gerne auf dem Rücken eines Glücksdrachen über Phantasién oder sprang mit Begeisterung in literarische Kaninchenlöcher. Mit der Zeit wurden phantastische Geschichten mehr und mehr ihre Leidenschaft, und so begann sie irgendwann selbst damit, Welten zu bauen und Geschichten zu weben. Seit 2009 finden diese regelmäßig den Weg ins Universum der Bücher, so erschien unlängst beispielsweise »Der Zirkus der Einhörner«, ein illustriertes Märchen für Erwachsene. Ihr Herz für Kurzgeschichten lebt sie immer wieder als Herausgeberin von Anthologien aus. Ende 2015 war sie Mitbegründerin des Phantastik-Autoren-Netzwerk (PAN) e.V., in dem sie seit 2017 die Position der Schatzmeisterin übernommen hat.
weil ein »Danke« manchmal nicht genug ist.
von Oliver Plaschka
Eines der schönsten Dinge am Austausch mit anderen Schriftstellern ist die Art und Weise, wie bestimmte Ideen, Figuren und manchmal gar ganze Welten weitergereicht werden. Es ist ein magischer Moment, in dem man sich auch verletzlich macht, wenn man seine Geschichte jemand anderem öffnet, und staunend verfolgt, wie dieser Jemand die Geschichte weiterspinnt, den alten Schauplatz mit neuem Leben bevölkert. Es ist wichtig, dass man dem anderen vertrauen kann, und weiß, dass die eigene Schöpfung bei ihm oder ihr in guten Händen ist.
Fabienne ist ein solcher Mensch. Dass wir mit unseren Geschmäckern in der Fantasy am gleichen Strang ziehen, wurde mir spätestens klar, als sie mir eines Tages ihre alte, von Hand verfasste Abschrift der »Sonate des Einhorns« präsentierte. Für mich war es damals noch etwas Besonderes, dass überhaupt jemand außer mir die selteneren Bücher Peter S. Beagles kannte ₋ aber dass ich tatsächlich einmal jemanden traf, dessen Liebe zu ihnen ähnlich obsessive Züge trug wie meine, war ein Geschenk (ich selbst hatte mit vergleichbarem Aufwand eines seiner Gedichte vertont).
Einem weiteren von Peters Büchern, »Es kamen drei Damen im Abendrot«, schuldet mein zweiter Roman sehr, sehr viel: »Die Magier von Montparnasse« bedienen sich derselben Erzählsituation (wechselnde Ich-Erzähler, die sich in einer kleinen Herberge begegnen), und, wie ich glaube, auch Archetypen (der grantige Wirt, der ahnungslose Knecht, die verzauberte Schöne). Meine größte Eigenleistung war vielleicht nur, eine solche Geschichte im Paris der zwanziger Jahre anzusiedeln. Und ich hätte niemals erwartet, was für Wellen dieses Paris schlagen sollte.
»Die Magier von Montparnasse« bescherten mir nicht nur herzliche Leserbriefe und zahlreiche Kunstwerke, sie inspirierten auch andere Autoren, ihre eigenen Ausflüge in ein magisches Paris zu wagen, in dem jedes Lied, jeder Wein, jeder Flügelschlag Teil einer alten Erinnerung, einer großen Illusion ist, die den Traum der Stadt der Liebe und der Lichter von Generation zu Generation weiter befeuert. Ich selbst habe diesem Kosmos und seinen Bewohnern mittlerweile weitere Geschichten zur Seite gestellt.
In besonderer Weise aber sind es Fabiennes Geschichten, und gerade das »Zylinderkabinett«, das den Traum, der in den »Magiern« begann, weiterträumt. Es erzählt die Geschichte eines unscheinbaren Nebencharakters, des Kaninchens Puschkin, in der sprichwörtlichen Welt hinter der Welt, ehe sich diese für eine weitere Aufführung bereit macht: in den Tiefen des Kabinetts, das zwischen den Hüten sämtlicher Zauberer existiert, bis der Magier sein Kaninchen zu sich ruft, es aus dem Zylinder zieht, und es stolz wie Helios über den Rand seiner Welt treten und strahlen darf.
Ein gewagter Vergleich? Nicht für das Kaninchen eines Zauberers. Puschkin entstand aus dem Zusammentreffen einer Laune mit dem auf kuriose Weise adäquaten Namen eines wohl lange verschiedenen Haustiers, das ich nie kennenlernte. Fabienne aber hat aus ihm einen Helden gemacht - und ihm eine eigene Heimat gegeben. Ich danke ihr dafür, denn ich weiß, bei ihr ist er in guten Händen, und darf zeigen, wie sehr er zu strahlen versteht.
Wer das nicht glaubt, braucht nur seine Geschichte zu lesen.
Eine Geschichte, die, wie wir alle wissen, kein Ende kennt.
Oliver Plaschka, Mai 2018
Sie selbst wirkte eher besorgt über den luftigen Aufzug, und hatte Puschkin, unser weißes Kaninchen, an die Brust gedrückt, als wolle sie sich mit ihm wärmen.
Du siehst großartig aus, sagte ich, und dann sagte ich es noch einmal laut, weil ich vergessen hatte, dass sie mich nicht hören konnte, wenn ich so sprach.
Sie lächelte und kraulte das Kaninchen hinter den Ohren. »Er ist süß«, sagte sie. »Können wir nicht ihn statt der Schlange verwenden?«
»Es wäre ein arger Schlag für Königin Kleopatras Ruf, käme heraus, dass sie sich von einem Kaninchen beißen ließ«, sagte ich, und sie lachte.
»Keine Sorge.« Ich stand auf und nahm ihr das Tier vorsichtig ab. »Lass Cleo bei den Tänzerinnen, und geh zurück auf deine Position, bis ich bei dir bin. Ihn hier setzen wir in seinen Kasten, für seinen großen Auftritt.«
Oliver Plaschka,
»Die Magier von Montparnasse«
Blaue Augen starrten in eine Dunkelheit, die es nicht mehr wirklich gab, weil er sie erhellte, golden schimmernd und diamanten glitzernd.
Lange würde das Warten nicht mehr dauern, das wusste er, spürte es, weil die Tropfen, die die Wände wie Regen an Fensterscheiben herabliefen, anders aufschlugen als sonst.
Ein quäkendes Geräusch entstieg seiner Kehle und er schämte sich dafür.
Nicht mehr lange.
»Es wird dir nicht gelingen«, sagte eine Stimme tief in seinem Kopf, wo die Erinnerung an das, was war und nicht hätte sein sollen, eingesperrt war.
Ein zweites Quaken. Wütend und traurig zugleich.
Die Stimme lachte, wie auch ihre Besitzerin damals gelacht hatte. Und doch. Die Hoffnung starb zuletzt. Es würde nicht mehr lange dauern.
Bald, bald schon wäre das Warten zu Ende.
Aber die Stimme ließ nicht zu, dass er hoffte.
»Es geht nie vorbei«, flüsterte sie. Sein Mund öffnete sich für ein weiteres, tiefes Quaken.
Alles, was mit Magie in Berührung kommt – egal, ob nun für einen Sekundenbruchteil oder für jene Momente, die der Illusion auf den Bühnen der Welt gehörte –, wird selbst magisch: Die Tücher, die aus Ärmeln geschüttelt werden. Die weißen Plastikrosen, die sich in ebenso weiße Tauben verwandeln. Die Karten, die durch Hände tanzen. Die Münzen, die hinter Ohren hervorgeholt werden. Die Kaninchen, die aus Zylindern springen – einfach alles.
Puschkin wusste das. Er war ein Kaninchen, das von Zauberern aus einem Zylinder gezogen worden war, wieder und wieder, bei jeder Vorstellung. Zuerst war da nur das Gefühl einer Hand gewesen. Sie hatte nach ihm getastet, ihn am Nackenfell gepackt und aus der stillen Nacht in den grellen und lauten Tag gezogen. Danach ging es zurück in eine andere Nacht, in der weiches Heu, eine Möhre oder etwas Salat wartete.
Später war ein Bewusstsein dazugekommen.
Dass die Hände zu einem Mensch gehörten, und dass ihn die Hände eines anderen Menschen in die andere Dunkelheit brachten.
Wieder einige Tag-Nacht-Wechsel später unterschied er die Menschen in einen Mann und eine Frau und bald darauf begriff er, dass er Teil einer Show war – einer Illusion.
Und schließlich – als er den Trick begriffen hatte, in dem er verborgen unter einem schwarzbetuchten Tisch in einer Kiste steckte, in die der Zauberer durch den geöffneten Boden seines Zylinder griff – war da plötzlich noch mehr. Etwas, das nicht einmal die Menschen ahnten, die dort fröhlich mit Magie und Illusionen spielten.
Die Kiste, in der er darauf wartete, ins Rampenlicht gezogen zu werden, wo Applaus ihn empfing, war keine gewöhnliche Kiste, wie die Menschen dachten.
Sie war Teil einer Magie, war zugleich Eingang und Bestandteil von etwas, das die Wesen und Gegenstände, die von der Magie verändert worden waren, Zylinder-kabinett nannten.
Dorthin verschwand alles, was ein Zauberer gerade nicht brauchte oder vermisste. Benötigte er es wieder, war es auf einmal wieder da: das Tuch in einer Schublade, die Taube in ihrem Verschlag oder das Kaninchen in seinem Käfig.
Da niemand von dem Kabinett wusste, konnte auch niemand erklären, wie das möglich war.
Die Schuhmaus sagte, es wäre einfach die Magie.
Sie war die Hüterin des Zylinderkabinetts, sie kannte Wege und Geschichten und alles sonst, was dort bestand hatte und passierte.
Die Maus war schon immer da. Einige Spielkarten behaupteten, sie wäre nicht die gleiche, die zu Beginn dort gewesen war, sondern eine von vielen anderen, die auf die Erste gefolgt waren.
Puschkin erfreute sich an der Welt, die hinter der Kiste oder den Stäben seines Käfigs wartete, wenn er nicht aus einem Zylinder gezaubert wurde.
Glänzende Münzen hingen klingend am Himmel und sangen Lieder, die nur Zaubersterne zu singen vermochten.
Neben Puschkin gab es noch andere Kaninchen, die die Einsamkeit von Kiste und Käfig vertrieben und mit Ohrenwackeln, Nasewippen und Pfotenklopfen darüber diskutierten, wie wenig die Zuschauer auf sie achteten. Manchmal war auch die eine oder andere Häsin dabei, was immer aufregend war.
Bunte Schmetterlinge aus Stofftüchern und weiße Tauben flogen gemeinsam durch Gassen und Räume.
Spielkarten spielten miteinander die Tricks, die sonst mit ihnen gespielt wurden.
Und dann gab es noch die Dinge, die niemals auf eine Bühne gehört hatten: Der Stoffbär, der einmal von einem Jungen heiß und innig geliebt und dennoch in einer Kiste vergessen worden war, die zum Zylinderkabinett führte. Der Bär lebte nun an einem Teich und goss im Regen die Seerosen. Der Joker, den man nur einmal traf. Den Schmuckfrosch in seiner Grotte, der alles hasste und jeden lockte. Puschkin kannte längst nicht alle.
Die Schuhmaus hatte ihm mit ihrer Menschenstimme von ihnen erzählt, genau wie von vielen anderen Dingen. Von Tüchern, die durch Paläste geflogen waren, und Münzen, die auf dem Grund der Meere geschlafen hatten. Von Büchern, die von Kaninchen geschrieben worden waren, und von Liedern, die Tauben komponiert hatten. Von Fröschen, die einst böse Magier gewesen waren, und Bären, die erst geliebt und später weggeworfen worden waren.
Die Schuhmaus wusste auch, dass das Zylinder-kabinett überall und nirgends war und dass die Eingänge so einfach wie magisch waren: Kisten. Zylinder. Manteltaschen. Jackenärmel. Der Käfig eines Kaninchens.
Eben alles, worin ein Magier seine Sachen aufbewahrte.
Puschkin liebte das Zylinderkabinett. Die Gänge waren mal weiß wie sein Fell und manchmal so bunt wie die Tapeten der Zauberzimmer, aus denen das Kabinett gewachsen war. Hin und wieder waren sie zur selben Zeit weiß und bunt, genau wie es hier und da auch am gleichen Ort Tag und Nacht sein konnte. Das Licht war einfach da, und ebenso die Dunkelheit.
Es gab nichts, was es nicht gab, und gleichzeitig Dinge, die nicht sein konnten. So wie die Gestalt, die eines Tages in einem der Gänge stand.
Ein Mädchen war es, kaum kleiner als er. Sie stand auf einem Sockel und hielt die Arme mit gekreuzten Handgelenken über dem Kopf. Ihr Haar war lang und hell und wirkte beinah so strahlend golden wie die Sonne. Ihr Kleid war weiß und verschmolz mit der Umgebung.
Nie hatte ein Mensch das Zylinderkabinett betreten. Puschkin wusste das. Die Schuhmaus hatte es ihm erzählt.
Vorsichtig hoppelte er näher. Seine Nase wippte vor Aufregung schnell auf und ab.
Das Mädchen regte sich nicht. Puschkin hoppelte noch etwas näher.
Sie stand weiterhin reglos da.
Puschkin betrachtete sie mit wackelnden Schnurr-haaren. Was sollte er tun? Die Schuhmaus rufen? Aber sie konnte überall sein. Ihr Schuh hatte keinen festen Platz, er wanderte durch das Labyrinth, denn auch er hatte einem Zauberer gehört.
Puschkin kratzte sich hinter dem Ohr. Das half meistens, wenn er nachdenken musste. Als ihm trotzdem nichts einfiel, überwand er kurzerhand mit einem weiteren Hoppler die Distanz zwischen ihm und dem seltsam reglosen Mädchen.
Ihre Augen waren so blau, dass Puschkin meinte, in den Himmel zu schauen, den er manchmal durch ein Fenster sehen konnte, wenn die Zauberer sich ausruhten.
Sie zeigte keine Reaktion auf seine Anwesenheit. Auch nicht, als er sie vorsichtig mit der Nase berührte und an ihr schnüffelte.
Ihre Augen flackerten nicht einmal in seine Richtung.