Deeper than Love - Meghan March - E-Book

Deeper than Love E-Book

Meghan March

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Beschreibung

Sie dürfen sich nicht lieben, denn ihre Familien sind für immer verfeindet

Seit Whitney Gable zurück in der Stadt ist, ist das Leben von Geschäftsmann Lincoln Riscoff nicht mehr dasselbe. Zu lebendig sind die Erinnerungen an ihre eine gemeinsame Nacht, die Lincoln für immer verändert hat, zu stark ist das Verlangen, Whitney wiederzusehen. Und als er ihr das erste Mal nach all den Jahren gegenüber steht, weiß er, dass er sie nicht noch einmal gehen lassen darf! Doch so tief ihre Gefühle füreinander auch sind - der Hass, der ihre Familien einst entzweite, scheint unüberwindbar. Und Whitney und Lincoln müssen sich entscheiden, ob es sich lohnt, für ihre Liebe alles aufzugeben ...

"Wer auf der Suche nach einer prickelnden Liebesgeschichte voller dramatischer Wendungen ist, wird Meghan March lieben! Ich bekomme nicht genug von ihrer Trilogie!" THE STAIRCASE READER

Band 2 der verboten heißen RICHER-THAN-SIN-Trilogie von NEW-YORK-TIMES-Bestseller-Autorin Meghan March

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Seitenzahl: 277

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

Die Autorin

Die Romane von Meghan March bei LYX

Impressum

Meghan March

Deeper than Love

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

Zu diesem Buch

Für Geschäftsmann Lincoln Riscoff stand das Familienunternehmen stets an erster Stelle. Den Erfolg von Riscoff Holdings, einer der einflussreichsten Firmen des Landes, in der Zukunft fortzuschreiben, war alles, was Lincoln jemals wollte. Doch seit Whitney Gable zurück in der Stadt ist, spürt er zum ersten Mal in seinem Leben, dass es Dinge gibt, die ihm wichtiger sind als seine Karriere: Whitney wiederzusehen, sie davon zu überzeugen, dass er einen großen Fehler gemacht hat, und sie dann nie mehr gehen zu lassen! Und als sie sich das erste Mal seit Jahren gegenüberstehen, ist da nicht nur die immer noch unglaubliche Anziehungskraft zwischen ihnen, sondern da sind auch tiefe Gefühle, die Lincoln noch nie zuvor gespürt hat. Er weiß, dass er diese zweite Chance mit Whitney nicht verstreichen lassen darf. Er ist bereit, alles zu riskieren und die eiserne Regel seiner Familie zu brechen, die besagt, dass ein Riscoff und eine Gable niemals zusammen sein dürfen. Doch als ein schreckliches Unglück geschieht, müssen Lincoln und Whitney sich fragen, ob sie wirklich bereit sind, für ihre Liebe alles aufs Spiel zu setzen, was ihre Familien aufgebaut haben …

1. KAPITEL

Whitney

Zehn Jahre zuvor

Ich fuhr mit Tante Jackie zum Krankenhaus und zitterte in meinen vom Regen durchnässten Klamotten, während sich mein Magen immer stärker zu einem festen Knoten verkrampfte. Sie hatte mir lediglich erzählt, dass es einen Unfall gegeben hatte, in den meine Eltern und Lincolns Vater verwickelt gewesen waren. Mehr wollte sie nicht sagen.

Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und sah Lincolns Scheinwerfer hinter uns aufleuchten. Sobald Jackie uns die Neuigkeit überbracht hatte, wäre ich fast zu ihm gelaufen, um Trost zu spenden und zu suchen. Doch das, was früher an diesem Abend passiert war, hatte zwischen uns alles verändert. Allerdings schienen der dämliche Streit und die wütenden Worte immer unwichtiger zu werden, je näher wir dem Krankenhaus kamen.

Es geht doch nichts über eine mögliche Tragödie, um einen dazu zu zwingen, aufzuwachen und zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Das Leben ist kostbar. Und es gibt für nichts eine Garantie.

»Was genau ist passiert?« Ich hatte das Gefühl, dass ich die Frage schon tausendmal gestellt hatte.

Meine Tante schaute kurz zu mir und richtete den Blick dann wieder auf die Straße. Die Scheibenwischer waren auf höchste Stufe eingestellt und taten ihr Bestes, doch sie musste trotzdem die Augen zusammenkneifen, um durch den strömenden Regen etwas erkennen zu können.

»Ich weiß es nicht. Sie wollten mir am Telefon nicht viel sagen.«

Der Knoten in meinem Magen zog sich noch fester zusammen, und ich legte die Arme um meine Taille, während ich zitterte. »Warum haben sie dich und nicht mich angerufen?«

»Ich habe dich auf der Fahrt zu dir immer wieder angerufen, bin aber jedes Mal direkt auf der Mailbox gelandet. Vermutlich konnte dich das Krankenhaus auch nicht erreichen.«

»Oh mein Gott! Mein Handy war ausgeschaltet«, flüsterte ich. »Weil …«

Jackie schaute wieder zu mir, sagte aber nichts.

Schuldgefühle zerfleischten mich. Ich habe mein Handy ausgeschaltet, und meine Eltern sind …

Ich zitterte heftiger. »Ich würde es doch wissen, wenn etwas wirklich, wirklich Schlimmes passiert wäre, oder? Sollte ich dann nicht etwas spüren? Irgendetwas ahnen? Es muss ihnen gut gehen, nicht wahr?«

»Reiß dich zusammen, Whit. Wir sind fast da.« Jackies Stimme, die normalerweise so stark und selbstsicher war, klang genauso mitgenommen wie meine.

Ich schaute wieder in den Seitenspiegel, weil ich so wenigstens etwas zu tun hatte. Alles war besser, als mir lauter entsetzliche Dinge auszumalen, die geschehen sein konnten.

Ich zwang mich dazu, mich auf die Scheinwerfer hinter uns zu konzentrieren. Lincolns Scheinwerfer. Er war zu mir gekommen, selbst nachdem er mich aus der Hütte geworfen hatte, und ich hatte keine Ahnung, warum. Ich dachte, dass er alles gesagt hätte, was er zu sagen hatte.

Nicht, dass irgendwas davon jetzt noch eine Rolle spielt. Denn meine Eltern und sein Vater sind in irgendeinen Unfall verwickelt gewesen. Zusammen.

Jackie fuhr mit dem Auto auf den Parkplatz des RISCOFF MEMORIAL HOSPITALund stellte es etwa hundert Meter vom Eingang zur Notaufnahme entfernt ab. Lincoln fuhr direkt bis zum Eingang vor und sprang aus seinem Wagen. Er stand neben dem Truck und starrte in meine Richtung.

Kaum hatte Jackie den Motor abgestellt, stürzte ich aus dem Auto und rannte los. Regen prasselte auf mich nieder, doch das war mir egal.

Ich muss es wissen.

»Whit, warte!«, rief Jackie, doch ich hörte nicht auf sie.

In meinem Kopf summte statisches Rauschen, und ich hatte nur einen einzigen Gedanken: Finde so schnell wie möglich heraus, was hier los ist.

Lincoln kam mir entgegen, als die automatischen Türen aufglitten. Er streckte einen Arm aus, ergriff meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. »Mir ist egal, was vorhin passiert ist. Ich lasse dich das nicht allein durchmachen. Mich kümmert nicht, was alle anderen sagen, und auch nicht, was du sagst.«

Die ganze Wut, die sich nach unserem Streit in mir aufgebaut hatte, war bereits von meiner Angst ausgelöscht worden. Ich nickte ein paarmal, konnte aber keine Worte finden, um etwas zu erwidern.

Er drückte meine Hand, und ich fand ein winziges bisschen Ruhe in dem Chaos aus Emotionen, das auf mich eindrosch.

Zusammen traten wir durch die Türen und in den Eingangsbereich der Notaufnahme. Alles war so weiß und hell – das komplette Gegenteil des Sturms, der draußen tobte.

Sobald uns die Frau am Empfangsschalter entdeckte, wurde sie blass. »Mr Riscoff, Ihre Familie ist gerade eingetroffen. Sie wartet in einem Privatzimmer auf Sie, Sir.« Sie schaute zu mir, hatte aber eindeutig keine Ahnung, wer ich war.

»Meine Eltern waren ebenfalls in den Unfall verwickelt. Die Gables.«

Lincoln drückte erneut meine Hand, während Jackie angelaufen kam und neben uns stehen blieb. Ihre Schuhe quietschten auf dem nassen Boden.

Die Frau schaute zwischen mir und Lincoln hin und her. »Oh! Okay. Ähm, wenn Sie sich bitte einfach setzen würden …«

»Mein Bruder und seine Frau, Clayton und Shelly Gable«, schnauzte Jackie sie an. »Wo sind sie? Ich habe einen Anruf erhalten, in dem man mir mitgeteilt hat, dass sie hier sind.«

Die Frau nickte, bevor sie nach ihrem Telefon griff. »Einen Moment, bitte. Ich werde sofort jemanden rufen, der herkommt, um Ihnen weiterzuhelfen.«

»Lincoln Bates Roosevelt Riscoff. Wie kannst du es wagen, mit ihr herzukommen? Sie darf keinen Fuß in dieses Krankenhaus setzen! Ich will, dass sie verschwindet!« Lincolns Mutter kreischte die Worte von einer offenen Tür in der Nähe des Eingangs zum Notaufnahmebereich aus. Sein Bruder Harrison klammerte sich an ihren Arm.

»Mutter, bitte beruhige dich. Du wirst noch …«

Mrs Riscoff verzog das Gesicht und brach schluchzend in Tränen aus. Harrison zog sie an seine Seite.

Lincoln schaute mich an und wirkte hin- und hergerissen. »Tut mir leid, ich muss …«

»Geh.« Meine Stimme zitterte, als ich seine Hand losließ. Ich hasste mich dafür, dass ich seine Stärke sofort vermisste.

Jackie legte einen Arm um mich.

»Tut mir leid«, sagte er noch einmal und ging dann zu seiner Familie hinüber.

Die Empfangsmitarbeiterin führte endlich ihr Telefonat. Ich versuchte, nicht Lincoln, sondern sie anzuschauen, was mir natürlich nicht gelang.

Lincolns Mutter streckte die Arme aus und legte eine Hand um seinen Arm, als würde sie ihn in Sicherheit bringen und dafür sorgen, dass er nicht zu mir zurückkehren würde. Sie zerrte an ihm, während Harrison sie in ein Zimmer neben dem Notaufnahmesymbol führte und die Tür hinter ihnen schloss.

»Wenn Sie bitte mit mir kommen würden. Hier drüben gibt es einen Raum, in dem …«

»Wo sind meine Eltern? Was ist mit ihnen passiert?« Die Fragen platzten aus mir heraus, weil ich nicht eine Sekunde länger warten konnte. Ich musste wissen, was los war.

»Es wird noch einen Augenblick dauern, bis der Arzt mit Ihnen sprechen kann. Bitte kommen Sie mit mir.« Sie führte uns zu einer Tür, die dem Zimmer, in dem Lincoln und seine Familie verschwunden waren, gegenüberlag.

Jackie und ich warteten gefühlt Stunden aneinandergedrängt auf einer blaugrünen Vinylcouch. Endlich öffnete jemand die Tür. Ein Mann in einem weißen Kittel erschien. Ich ging davon aus, dass es sich um einen Arzt handelte.

»Wo sind meine Eltern? Warum sagt mir niemand etwas?« Ich brauchte sofort Antworten, sonst würde ich vollkommen ausrasten und herumschreien wie Mrs Riscoff.

»Sind Sie Angehörige der Gables? Ich bin Dr. Frances.«

»Bitte sagen Sie uns irgendetwas«, erwiderte Jackie. »Wir sind beide völlig außer uns vor Sorge.«

Er nickte ernst. »Mr und Mrs Gable hatten an diesem Abend einen Autounfall. Wir kennen nicht alle Einzelheiten, aber …«

Wieder setzte das statische Rauschen in meinen Ohren ein. Ich konnte es an seinem Gesicht ablesen. Ich wusste, was er sagen würde.

»Oh mein Gott!« Meine Stimme brach, und ich schluchzte los. »Nein. Nein.«

Er schüttelte leicht den Kopf. »Wir haben alles getan, was wir konnten, aber wir waren nicht in der Lage, die beiden wiederzubeleben. Ihr Verlust tut mir wirklich sehr leid.«

Schmerz und Fassungslosigkeit überkamen mich, während mir die Tränen die Sicht nahmen. Sie können nicht tot sein. Das ist nicht möglich. Meine Lunge verkrampfte sich, und ich konnte nicht atmen.

»Nein. Nein. Nein.«

Jackie legte die Arme fester um mich und wiegte mich hin und her.

»Das kann nicht wahr sein. Das ist nicht wahr. Sie sind nicht …«

»Es tut mir leid, Whit.« Jackies Stimme brach. »So leid.«

»Ich werde Sie jetzt eine Weile allein lassen, und wenn Sie so weit sind, kann ich Sie, falls Sie möchten, zu ihnen bringen, damit Sie Abschied nehmen können.«

Abschied nehmen? Nein.

Bilder von ihren Körpern, mit Laken bedeckt, drängten sich in meinen Kopf, und ich stürzte auf den Abfalleimer zu, fiel auf die Knie und würgte.

»Ich kann das nicht.«

Jackie hielt mir das Haar aus dem Gesicht. »Es tut mir so leid, mein süßes Mädchen. Es tut mir so leid.«

Ich blieb auf den Knien, beobachtete, wie meine Tränen auf den schwarzen Plastikmüllbeutel tropften, und fragte mich, ob in meiner Welt je wieder etwas in Ordnung sein würde.

Dann dachte ich an meinen Bruder. »Oh mein Gott! Wir müssen Asa Bescheid geben.« Mein ganzer Körper zitterte. »Gott, wie soll ich es ihm sagen? Was soll ich ihm sagen?« Meine Tränen flossen heftiger, und Jackie half mir auf.

Kaum stand ich auf den Beinen, traf mich eine weitere Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Ich weiß nicht, was mit Lincolns Vater passiert ist.

»Oh mein Gott! Ich habe nicht nach Lincolns Vater gefragt. Ich muss wissen, ob er …« Ich eilte auf die Tür zu und wollte sie aufreißen, doch Jackie hielt mich zurück.

»Hör mir zu, Whitney. Wir müssen uns jetzt um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Und die Riscoffs müssen sich um ihre kümmern. Ich denke, es wäre das Beste, wenn du dich so weit wie möglich von diesem Kerl und seiner Familie fernhältst. Daraus kann niemals etwas Gutes werden.«

2. KAPITEL

Lincoln

Ich starrte auf das weiße Laken hinunter, das meinen Vater bedeckte.

Nein, nicht meinen Vater. Die Leiche meines Vaters.

Mein Vater war fort. Er lag nicht unter diesem Laken.

Ich wandte mich ab, um irgendetwas anderes anzustarren. Die Wand. Die stummen Maschinen. Die zusammengekauerte Gestalt meiner Mutter, die an der Schulter meines Bruders weinte. Sie hatte mich nur wenige Augenblicke nach meiner Ankunft von sich weggestoßen und sich dann wieder an ihn geklammert.

Irgendwie konnte ich mich nicht davon abhalten, immer wieder auf das Laken zu schauen.

Wie kann mein Vater tot sein? Ich hatte ihn doch vorhin noch gesehen. Vor wenigen Stunden. Er hatte mit einem der Praktikanten gelacht und ihm für irgendetwas, das der Junge getan hatte, anerkennend auf den Rücken geklopft. Und ich hatte plötzlich Neid verspürt.

Mein Vater hatte nie mit mir gelacht und gescherzt, als ich im Alter dieses Jungen gewesen war. Ich hätte alles dafür gegeben, um diese Art von Anerkennung in seinem Gesicht zu sehen. Stattdessen sah ich sein Gesicht so gut wie gar nicht mehr. Er war ständig geschäftlich unterwegs oder machte Überstunden im Büro.

Er brachte mir nicht bei, einen Baseball zu fangen. Er sah nie, wie ich im Internat einen Touchdown machte, weil er die Spiele nie in seinem Terminkalender unterbringen konnte. Er war nicht da, um mit mir über Mädchen und die richtige Anwendung von Kondomen zu reden. Das machten meine Freunde, und dann bläute der Kommodore es mir noch einmal ein, als ich älter war. Mein Vater … war in den Erinnerungen an die meisten wichtigen Augenblicke meines Lebens auffällig abwesend.

Ich erinnerte mich an die Woche, bevor ich erfuhr, dass ich nach Gable würde zurückkehren müssen. Das war nun schon ein paar Monate her. Mein Vater war wegen eines Meetings nach New York gekommen, und wir hatten in einem meiner Lieblingsrestaurants gemeinsam zu Abend gegessen. Er hatte meine Weinauswahl gelobt.

Und dann sofort die Kellnerin angebaggert.

Ich verdrängte diese Erinnerung ebenfalls und starrte in stummer Trauer auf das Laken, bis der Kommodore das Zimmer betrat. Ich hatte keine Ahnung, wo er gewesen war, doch von seiner Regenjacke tropfte Wasser.

Er warf einen Blick auf das Laken. Dann schaute er mich an. Meine Mutter. Meinen Bruder. Er durchquerte das Zimmer und ließ sich auf den Stuhl neben der bedeckten Leiche meines Vaters sinken. Es war das erste Mal, dass ich die Hand des alten Mannes so heftig zittern sah.

Er hob das Laken, schaute auf das Gesicht meines Vaters, schloss die Augen und ließ das Laken wieder sinken.

»Wie ist das passiert?« Die Stimme des Kommodores war rau und leise, wurde aber kräftiger und fordernder. »Wie zum Teufel ist das passiert?« Die Frage hallte im Zimmer wider und schallte bis in den Flur hinaus. Er bewegte ruckartig den Kopf hin und her und sah nacheinander mich, meinen Bruder und meine Mutter an.

»Das wissen wir noch nicht, Sir«, sagte ich.

Der Kiefer meines Großvaters zuckte. »Ich will sofort Antworten haben. Mein Sohn ist tot, und die Gables hatten etwas damit zu tun. Irgendjemand muss mir jetzt mitteilen, wie genau das alles passiert ist.«

Als er »Gables« sagte, zuckte ich zusammen, doch zum Glück betrat genau in diesem Augenblick der Arzt das Zimmer.

»Mr Riscoff? Sir, es tut mir so leid, dass ich bei Ihrer Ankunft nicht hier war. Ich war bei dem Mann, der zuerst am Unfallort eingetroffen ist. Die Polizei hat ihre Befragung beendet. Falls Sie möchten …«

»Bringen Sie ihn rein!«, donnerte der Kommodore.

Der Arzt nickte und verließ hastig das Zimmer.

Der Blick des Kommodores, der härter als Granit war, landete auf mir. »Ich hatte nicht vorgehabt, meinen Sohn zu überleben.«

Meine Mutter schaute auf. Ihr Gesicht war zu einer schmerzerfüllten Grimasse verzerrt. »Es hätte dich treffen sollen. Er hat gesagt, dass du ihn zurück ins Büro gerufen hättest. Deswegen ist er jetzt tot!«

Der Kommodore zog die Augenbrauen zusammen. »Wovon zum Teufel redest du?«

Meine Mutter streckte einen Finger aus und deutete immer wieder auf den Kommodore. »Er hat sich vorhin auf den Weg gemacht, während draußen der Sturm tobte, weil du nicht bis morgen auf irgendeinen Bericht warten konntest. Das ist deine Schuld.«

Im Gesicht des Kommodores zeigte sich ausschließlich Verwirrung, und das verriet mir alles, was ich wissen musste. Mein Vater musste heute Abend nicht arbeiten. Es gab keinen Bericht.

Er hatte meine Mutter angelogen. Wieder einmal.

Bevor der Kommodore etwas erwidern konnte, kehrte der Arzt mit einem Mann zurück, der feuchte Kleidung trug. »Das ist Mr Ainsley, ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr. Er …«

Der Kommodore stand auf. »Lassen Sie den Mann sprechen. Ich will von ihm hören, was passiert ist. Nicht von Ihnen.«

Der Arzt klappte den Mund zu und trat zurück.

»Ihr Verlust tut mir wirklich sehr leid.« Mr Ainsley nahm seine Mütze ab und schaute zu meiner Mutter. »Ma’am.«

»Reden Sie endlich!«, kreischte meine Mutter, und ich hatte schon Sorge, sie könnte ihm so große Angst einjagen, dass er aus dem Zimmer fliehen würde.

Ainsley nickte. »Ich war auf dem Weg nach Hause, nachdem ich einen Kumpel in der Bar abgeholt hatte, und bemerkte, dass das Geländer auf der Brücke defekt war. Ich dachte mir, dass man bei diesem Regen dort als Fahrer viel zu leicht die Kontrolle verlieren und von der Brücke stürzen könnte.«

»Welche Brücke?«, fragte ich, weil ich auf dem Weg von der Hütte zu Whitneys Elternhaus über eine Brücke gefahren war und nichts gesehen hatte.

»Downtown. Bridge Street.« Ich nickte, und er fuhr fort. »Ich habe angehalten, bin ausgestiegen, schaute über das Geländer und entdeckte eine Frau auf der Böschung. Sie bewegte sich nicht. Ich habe den Notarzt angerufen, mir meine Tasche geschnappt und bin nach unten geklettert. Dann habe ich die Autos gesehen. Beide waren in den Felsen verkeilt. Eins lag auf dem Dach.«

»Herrgott«, flüsterte der Kommodore und senkte den Kopf.

»Ich bin zu der Frau gegangen, weil sie zuerst das einzige Opfer war, das ich ausmachen konnte.«

»Zuerst?«

Ainsley nickte. »Ich habe ihren Puls gefühlt. Nichts. Sie hat auch nicht geatmet. Ich habe versucht, sie wiederzubeleben, aber ohne Erfolg. Ich bin bei ihr geblieben, bis die Sanitäter eintrafen. Als die Feuerwehr und die Rettungskräfte kamen, sind wir in den Fluss hinausgewatet. Dort haben wir die anderen gefunden.«

Mein Magen verkrampfte sich, als ich mir die Szene vorstellte, die er beschrieb.

»Mein Sohn muss einen Mercedes gefahren haben«, sagte der Kommodore mit heiserer Stimme.

»Ja, Sir. Ihn sah ich als Nächstes. Es tut mir leid, das sagen zu müssen …« Er verstummte und schaute zu meiner Mutter. »Sind Sie sicher, dass Sie das hören wollen?«

»Erzählen Sie es uns einfach«, sagte der Kommodore. »Wir müssen es wissen.«

Ainsley schaute wieder zu meiner Mutter und senkte die Stimme. Es wirkte beinahe so, als würde er hoffen, dass sie ihn nicht hören würde. »Mr Riscoff befand sich unter Wasser auf dem Beifahrersitz, als wir ihn fanden.«

Ich riss den Kopf hoch und starrte den Kommodore an. Ich war mir sicher, dass der Schock, den ich empfand, der gleiche war, der sich auf seinem Gesicht spiegelte.

»Auf dem Beifahrersitz?« Die Stimme meiner Mutter zitterte, und plötzlich hatte ich Angst, dass ich in dieser Nacht beide Eltern verlieren würde – meinen Vater durch einen Unfall und meine Mutter durch einen Herzinfarkt. »Wer saß denn dann am Steuer?«

Zum Glück umklammerte sie nicht ihren Arm und fasste sich auch nicht krampfhaft an die Brust, wie sie es normalerweise tat, wenn sie einen Anfall hatte.

Sie schaute hektisch von Ainsley zum Kommodore, dann zu mir und schließlich wieder zurück zu Ainsley. »Wer saß am Steuer?«, wiederholte sie, und ihr Tonfall wurde wieder schrill.

Ainsley schluckte. »Ich weiß es nicht mit Sicherheit, Ma’am. Der Fahrersitz war leer, und das Fenster war offen.«

Meine Mutter sprang auf.

»Mutter, bitte setz dich …« Harrison versuchte, sie zu beruhigen, doch sie ignorierte ihn.

»Er hat gesagt, er müsse arbeiten. Er wollte zur Arbeit.« Sie sagte es zum Kommodore, als würde sie hoffen, dass er in der Zeit zurückreisen und die Lügen meines Vaters zu Wahrheiten machen könnte. Ich wusste, dass mein Großvater das tun würde, wenn es ihm irgendwie möglich wäre.

Das Gesicht des Kommodores blieb ausdruckslos. Er hätte nichts sagen können, um das, was geschehen war, zu ändern. Das konnte niemand von uns.

Schließlich sprach mein Bruder das aus, was alle im Zimmer dachten. »Also ist sie aus dem Fenster geklettert … und hat ihn im Auto zurückgelassen, damit er …«

Jegliche Farbe, die noch im Gesicht meiner Mutter war, verschwand schlagartig, während sie verarbeitete, was Harrison gerade gesagt hatte. Sie sank zurück auf den Stuhl. »Diese Gable-Frau hat ihn umgebracht! Sie hat meinen Ehemann ermordet! Sie …«

Ich ging quer durchs Zimmer und ging vor ihr in die Knie. »Mutter, beruhige dich. Bitte.«

Sie spuckte mir ins Gesicht.

Schockiert taumelte ich zurück, blinzelte und wischte den Speichel weg. Meine Mutter hat mir gerade ins Gesicht gespuckt.

Niemand im Zimmer rührte sich, während ich aufstand.

»Wag es ja nicht, mit mir zu reden!« Die Stimme meiner Mutter nahm einen scharfen und tödlichen Tonfall an. »Du bist heute Nacht mit ihrer Tochter hier aufgetaucht! Es war schon schlimm genug, dass du den ganzen Sommer über mit diesem kleinen Gable-Flittchen herumgeschlichen bist. Aber heute Nacht mit ihr ins Krankenhaus zu kommen? Vermutlich warst du gerade mit diesem Abschaum im Bett, als ihre widerliche Mutter deinen Vater umgebracht hat!«

3. KAPITEL

Whitney

Als ich zwischen den Leichen meiner Eltern stand, hallten Mrs Riscoffs Worte von den Wänden der Notaufnahme wider wie Kugeln, die dafür gedacht waren zu verstümmeln, statt zu töten.

»Vermutlich warst du gerade mit diesem Abschaum im Bett, als ihre widerliche Mutter deinen Vater umgebracht hat!«

Sie zertrümmerten mich, vor allem deswegen, weil sie wahr waren. Zumindest wenn das, was uns der Polizist gerade erzählt hatte, stimmte.

Meine Mutter hatte eine Affäre mit Lincolns Vater gehabt.

Meine Mutter hatte am Steuer des Wagens von Lincolns Vater gesessen, als die Autos aufeinandergeprallt und beide von der Brücke gestürzt waren.

Tante Jackie stürmte zur Tür. »Ich werde diese alte Hexe eigenhändig umbringen, wenn sie auch nur noch ein Wort sagt!«

Mein Körper fühlte sich an, als würde er sich abschalten, ein System nach dem anderen. Mein Kopf konnte all das, was ihm heute Nacht entgegengeschleudert worden war, nicht verarbeiten. Meine Gefühle waren zerfetzt, vor allem nach dem Telefonat, das ich gerade mit meinem Bruder geführt hatte. Tante Jackie hatte ihm schließlich mitteilen müssen, was passiert war, weil ich es nicht geschafft hatte, die Worte auszusprechen.

Ich kann nicht noch mehr ertragen.

Taubheit breitete sich in mir aus, und ich hieß sie willkommen.

»Whit? Baby? Asa hat mir gesagt, dass du hier bist. Ich war schon fast in Gable, als er anrief.«

Die Stimme klang so vertraut, aber ich hatte das Gefühl, mich durch Schlamm kämpfen zu müssen, um sie zu erkennen.

»Was machst du hier? Wie bist du …?«, stotterte Jackie, während ich zu der Person aufschaute, die im Türrahmen stand.

Ricky.

Er richtete den Blick auf die beiden Leichen unter den Laken. »Verdammt! Verdammt!« Ricky bedeckte den Mund, als müsste er sich jeden Moment übergeben. »Scheiße, sie sind wirklich …«

»Was machst du hier?«, fragte ich und klang wie eine Zombieversion meiner selbst.

Er trat auf mich zu. »Gleich nachdem ich deinen Brief bekommen habe, bin ich ins Flugzeug gestiegen. Ich hatte einen elend langen Zwischenstopp, sonst wäre ich schon früher hier gewesen.« Er schaute wieder zu den Leichen. »Asa hat es mir gerade gesagt … Verdammt! Es tut mir so leid, Whit.«

Ricky kam zu mir und ging vor mir auf die Knie. Dann legte er beide Arme um mich und den Kopf auf meinen Schoß. Ich war zu starr, um zu reagieren. Ich verstand nicht, warum er hier war, aber vielleicht lag das auch daran, dass ich momentan überhaupt nichts verstand.

Ich ließ zu, dass Ricky mich festhielt, während er sich immer wieder bei mir entschuldigte.

»Sie sollten besser wieder gehen, Junge.«

Tante Jackie keifte jemanden an, und ich bewegte den Kopf ruckartig in Richtung Tür. Kurz bevor sie die Tür zuschob, fiel mein Blick auf gequälte grünbraune Augen.

Lincoln.

Ein neuer Sturm aus Emotionen tobte durch meinen Körper. Ich wusste nicht, wo die eine endete und die nächste anfing.

Schmerz. Trauer. Verlust.

Was heute Nacht zerbrochen war, konnte niemals repariert werden.

Eine Gable und ein Riscoff konnten niemals zusammen sein. Das würde das Schicksal niemals zulassen.

4. KAPITEL

Whitney

Gegenwart

»Was hast du getan?«

Der anklagende Tonfall in Lincolns Stimme – der Stimme, die mir gerade einen Neuanfang versprochen hat – zerfetzt mich.

»Wovon redest du?«

Er hält mir sein Handy direkt vors Gesicht. Die vernichtende Überschrift steht in fett gedruckten Buchstaben ganz oben.

RICKY RANGO WAR DER WAHRE RISCOFF-ERBE – SAGT DIE NACHLASSVERWALTERIN DES VERSTORBENEN ROCKSTARS

Ich reiße den Blick vom Handy los und schaue Lincoln an. »Du denkst …?«

»Ich weiß nicht, was ich denken soll, Whitney. Du warst seine Ehefrau. Du musst mir sagen, was zum Teufel hier vorgeht.«

Ich wünschte, das könnte ich. Ich lese die Überschrift erneut, bevor Lincoln das Handy sinken lässt. Jegliche Worte, die ich versuchen könnte auszusprechen, bleiben mir im Hals stecken.

Ich schaue zu ihm hoch und versuche immer noch, irgendetwas zu sagen, doch der Ausdruck auf Lincolns Gesicht verrät mir, dass das alles ohnehin keine Rolle mehr spielt. Er hat mich bereits vor Gericht gestellt und verurteilt. Schon wieder.

Heute dachte ich für einen Moment, dass ich vielleicht doch nicht verflucht bin.

Damit lag ich wohl falsch.

»Sag etwas. Irgendetwas«, verlangt er, während sein Handy erneut vibriert. Er wendet den Blick nicht von mir ab. Offenbar erwartet er, dass ich irgendeine Erklärung für ihn habe, aber ich kann ihm nichts liefern.

Ich habe es so satt, ständig irgendwelcher Verbrechen beschuldigt zu werden, die ich nicht begangen habe.

Ich ekle mich vor mir selbst, weil ich schon wieder zugelassen habe, dass das passiert. Ich bin die Einzige, die jemandem erlauben kann, mir dieses Gefühl zu geben, und ich habe die Nase voll davon.

Ich straffe die Schultern. »Ich habe dir nichts zu sagen. Absolut nichts.«

Er kommt auf mich zu und runzelt verwirrt die Stirn. »Dann …?«

Ich hebe eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, während hysterisches Gelächter in mir hochkocht und über meine Lippen kommt. Mir ist egal, ob ich verrückt klinge. Mir ist alles egal. Ich will nur noch von hier verschwinden, bevor er dafür sorgen kann, dass ich mich an einem Tag, der ohnehin schon schrecklich werden wird, noch schlechter fühle.

»Weißt du was?« Meine Stimme bricht, und ich räuspere mich.

»Was?«

»Ich weiß bereits, wie diese kleine Szene endet.« Ich wedle mit der Hand zwischen uns hin und her. »Also werde ich dir die Mühe ersparen. Du musst mich nicht rauswerfen, weil ich jetzt gehen werde.«

Ich wirble herum und eile auf die Tür zu. Meine Schuhe kann ich nirgends entdecken. Schon wieder. Gott, warum ist mein Leben eine einzige große Katastrophe, die sich immer und immer wieder wiederholt?

Ich ziehe die schwere Glastür auf. Im selben Augenblick packt Lincoln mein Handgelenk.

»Whitney, warte …«

»Fass mich nicht an!« Ich schüttle ihn ab und trete nach draußen. »Ich werde nicht mehr alles tun, was du von mir verlangst. Du vertraust mir nicht? Dann hast du es verdammt noch mal auch nicht verdient, irgendetwas von mir zu bekommen.«

Ich knalle die Tür hinter mir zu. Nach nur drei Schritten durch die Einfahrt fällt die ganze steife Haltung, die meine moralische Empörung in mir ausgelöst hat, von mir ab. Ich lasse die Schultern sinken, und Tränen strömen über mein Gesicht.

Jeder Schritt meiner nackten Füße auf dem Asphalt erinnert mich daran, dass ich es einfach nie lerne.

Aber dieses Mal werde ich daraus lernen.

Das schwöre ich mir hoch und heilig, während ich mich von Lincoln entferne und den ganzen wie auch immer gearteten Schwachsinn, den mir das Leben als Nächstes entgegenschleudern will, hinter mir lasse.

Allerdings erwarte ich nicht, dass mir das Leben so bald noch mehr Schwachsinn entgegenschleudern wird.

Als ich die letzte Biegung der Einfahrt erreiche, ertönt ein dumpfes Dröhnen.

Was in aller Welt ist denn jetzt los?

Kameras blitzen über mir und durch die schwarzen Stäbe von Lincolns Tor auf und fangen meinen Gang der Schande ein.

Nein. Nicht schon wieder.

Mein Magen rutscht mir in die Kniekehlen, als mich die Paparazzi, die sich dort versammelt haben, erkennen.

»Oh mein Gott!«

»Das ist sie!«

»Es ist Whitney Rango!«

Wie in Gottes Namen haben die Geier Lincoln so schnell gefunden? Wir sind nicht in L. A., und das sind keine Reporter vom Gable Miner.

Der Artikel, den er mir gezeigt hat, muss früh an diesem Morgen oder spät gestern Abend veröffentlicht worden sein, wenn sie jetzt schon hier sind.

»Whitney, sind Sie und Lincoln Riscoff zusammen?«

»Wussten Sie, dass Ihr Ehemann in Wahrheit ein Riscoff war?«

»Haben Sie Ihren Ehemann ermordet, damit Lincoln alles erben kann?«

»Wie lange läuft Ihre Affäre mit Lincoln Riscoff schon?«

Mit jeder weiteren Frage, die sie mir wie Dolche entgegenschleudern, will ich mich umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung laufen. Aber das kann ich nicht tun. Ich kann nirgendwohin, außer zurück zu Lincolns Haustür, und das lässt mein Stolz nicht zu.

»Stimmt es, dass Ihr Dad Lincolns Vater ermordete, als er versuchte, mit Ihrer Mutter durchzubrennen?«

Die letzte Frage ist wie ein Schlag in den Magen. Ich sollte nicht überrascht sein, dass sie diesen sensationellen Goldklumpen ausgegraben haben.

»Kein Kommentar«, sage ich und mache einen weiteren Schritt nach vorn.

Ein Stein bohrt sich in meine nackte Fußsohle, und ich springe zurück. Es ist, als wüsste mein Körper besser als ich, dass ich nicht durch dieses Tor treten und mich ihnen stellen kann. Aber welche Wahl bleibt mir?

Ein Escalade fährt langsam über die Gable Road heran und bleibt vor der Einfahrt stehen, die von den Presseleuten versperrt wird.

Toll. Jetzt fahren sie die großen Geschütze auf.

Ich stehe wie erstarrt da und spiele mit dem Gedanken, in den Wald zu laufen. Zumindest bis der Fahrer des Escalades das Fenster herunterlässt und den Leuten befiehlt zu verschwinden.

Die Reporter vor dem Tor hören nicht auf ihn. Der Escalade setzt ein Stück vor, und der Fahrer macht deutlich, dass er kein Problem damit hat, sie zu überfahren, wenn sie ihm nicht aus dem Weg gehen.

In diesem Moment wird mir klar, dass in dem Wagen nicht noch mehr Presseleute sitzen. Nur jemand, der den Namen Riscoff trägt, würde es wagen, jemanden am helllichten Tag und vor einer Menschenmenge mit Kameras zu überfahren. Man braucht ein ganzes Leben, um eine derartige Kaltschnäuzigkeit aufzubauen.

Das Tor schwingt auf, und überraschenderweise stürmen die Reporter nicht auf das Grundstück. Sie müssen über ausreichend Erfahrung verfügen oder zumindest mit den Konsequenzen des unerlaubten Betretens vertraut sein.

Der Escalade kommt neben mir zum Stehen, und das hintere Fenster wird heruntergelassen.

Der Kommodore.

»Ich will nicht wissen, warum Sie hier sind, aber steigen Sie ein.«

Ich stecke eindeutig in der Klemme. Das ist so typisch. Wem würde ich mich lieber stellen? Lincoln oder dem Patriarchen seiner Familie?

Ich erinnere mich an die Nacht, in der er mir aus dem Matsch in der Nähe der Hütte aufhalf und mich nach Hause fuhr. Der Kommodore war nicht so grausam, wie ich es erwartet hatte. Ich beschließe, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

Das ist für mich die einzige Möglichkeit, meinen Stolz zu retten und der Presse zu entkommen.

Ich gehe um den SUV herum und steige auf der anderen Seite auf den Rücksitz. Die Reporter brüllen mir Fragen hinterher, aber ich blende sie aus – eine Fähigkeit, die ich im Verlauf der letzten zehn Jahre perfektioniert habe, auch wenn ich nicht wusste, dass ich sie schon so bald wieder benötigen würde.

Als ich die Tür schließe, herrscht im Inneren erlösende Ruhe.

»Martin, bringen Sie uns nach Hause.«

Ich drehe ruckartig den Kopf herum und schaue den alten Mann an. »Ich werde Ihr Haus nicht betreten.«

Er zieht eine schneeweiße Augenbraue hoch. »Sie sind in meinem Auto. Sie gehen dorthin, wohin ich Sie mitnehme, Ms Gable.«

Ich öffne den Mund, um zu protestieren, doch er spricht einfach weiter.

»Denken Sie wirklich, die Presse hätte nicht längst herausgefunden, wo Ihre Tante wohnt? Niemand wird es wagen, auch nur einen Fuß auf mein Grundstück zu setzen. Ich würde jeden Eindringling eigenhändig erschießen.«

Das ist ein gutes Argument, auch wenn ich es nicht zugeben will. Ich biete ihm eine andere Lösung an.

»Bringen Sie mich zu Magnus. Dort wird mich ebenfalls niemand behelligen, sonst wird er auf die Leute schießen.«

Der Kommodore mustert mich. »Meinetwegen.«

Während Martin durch das Tor fährt, halte ich den Blick stur geradeaus gerichtet. Ich will die Reporter nicht anschauen, auch wenn sie mich durch die getönten Scheiben nicht sehen können.

»Würden Sie mir freundlicherweise erzählen, was zum Teufel hier los ist?«, bittet der Kommodore. »Denn wir haben es an diesem Morgen mit einem ziemlichen Chaos zu tun, und das liegt einzig und allein an der Behauptung der Nachlassverwalterin Ihres verstorbenen Ehemanns.«

»Sie haben den Artikel doch gelesen.«

»Und?«

Ich wende mich dem argwöhnischen alten Mann zu. »Ich vermute, dass Sie momentan mehr wissen als ich. Ich bin nicht Rickys Nachlassverwalterin.«

Er kneift die Augen zusammen. »Wer ist es dann?«

Ich bin ein wenig überrascht, dass er das nicht bereits weiß. Ich dachte, dass Kommodore Riscoff alles wüsste.

»Rickys Mutter.«

5. KAPITEL

Lincoln

»Verdammt!« Ich schlage mit der Hand gegen die Innenseite der Tür, durch die Whitney verschwunden ist, und weiß nicht, was zum Teufel ich von der ganzen Sache halten soll. Sie hat sich nicht verteidigt, und meiner Ansicht nach deutet das auf Schuld hin.

Aber das will ich nicht glauben. Das kann ich nicht glauben.