Fall of Legend - Meghan March - E-Book

Fall of Legend E-Book

Meghan March

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Beschreibung

Sie sollten sich nicht begegnen - Ihr Welten sollten nie aufeinandertreffen

Gabriel Legend und Scarlett Priest stammen aus zwei völlig verschiedenen Welten. Als Erbin einer der angesehensten Familien von New York wurde Scarlett von klein auf alles in den Schoß gelegt, was Legend sich sein Leben lang hart erkämpfen musste. Sie ist alles, was er verabscheut - und doch die Einzige, die jetzt Legends Imperium retten kann. Ein Business-Deal, mehr ist da nicht zwischen ihnen. Bis ein einziger Kuss ihre Welten erschüttert und alles in Gefahr bringt, was sie sich aufgebaut haben ...

"Dieses Buch hat alles, was ich mir von einer großen Liebesgeschichte wünsche! Meghan March hat mich mal wieder in ihren Bann geschlagen und mir mit jeder Seite den Atem geraubt!" Once Upon A Bookblog

Auftaktband der verboten-heißen LEGEND-Trilogie von NEW-YORK-TIMES-Bestseller-Autorin Meghan March

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Seitenzahl: 413

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

Die Autorin

Die Romane von Megan March bei LYX

Impressum

Meghan March

Fall of Legend

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

Zu diesem Buch

Gabriel Legend und Scarlett Priest stammen aus zwei völlig verschiedenen Welten. Als Erbin einer der angesehensten Familien von New York wurde Scarlett von klein auf alles in den Schoß gelegt, was Legend sich sein Leben lang hart erkämpfen musste. Sein Erfolg ist in Dunkelheit getaucht, während sie ein Leben im Rampenlicht führt. Sie ist alles, was er verabscheut – und doch die Einzige, die Legends Imperium retten kann. Denn seit es bei der Eröffnung seines luxuriösen Clubs zu einer Schießerei kam, bleiben die Gäste aus und sein guter Ruf als Legende des New Yorker Nachtlebens ist dahin. Beliebt und einflussreich wie kaum jemand sonst in der Stadt hat nur Scarlett die Macht, seinem Club wieder neues Leben einzuhauchen. Schon ein einziger Besuch von ihr im Legend würde genügen, und der Skandal wäre vergessen. Und um sein Unternehmen zu retten, ist Gabriel jedes Mittel recht. Egal wie unerträglich es für ihn ist, auf sie angewiesen zu sein. Egal wie sehr sie ihm von der ersten Sekunde unter die Haut geht und ihn mit jedem ihrer Blicke gefangen nimmt. Ihre Beziehung ist rein geschäftlicher Natur. Ein Business-Deal, nichts weiter. Bis ein einziger Kuss ihre Welten erschüttert und alles in Gefahr bringt, was sie sich aufgebaut haben …

1. KAPITEL

Scarlett

Mein Körper prallt mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden auf. Als ich die Augen öffne, begrüßt mich Dunkelheit.

Was zum Teufel geht hier vor?

Moment. Nein. In diese stockdunkle Umgebung mischt sich ein wenig Grau. Vielleicht sogar ein Lichtschimmer, der von irgendwo oberhalb meines Kopfes kommt?

Bin ich eingeschlafen? Aus meinem Bett gefallen?

Ich versuche mich aufzusetzen, aber ich kann mich nicht bewegen. Warum kann ich mich nicht bewegen? Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter, weil ich mir zu neunundneunzig Komma neun neun Prozent sicher bin, dass ich nicht eingeschlafen bin. Ich mache keine Nickerchen. Dafür habe ich keine Zeit.

Außerdem: Wenn ich ein Nickerchen machen würde, würde nicht »I’m Gonna Be (500 Miles)« von den Proclaimers aus meinen In-Ear-Kopfhörern dröhnen.

Moment. Ich war joggen. Ich habe nicht geschlafen. Warum zum Teufel kann ich mich also nicht bewegen? Ich winde mich und spüre etwas, das sich wie Teppichflor anfühlt, an meinen nackten Armen.

Ernsthaft, was in aller Welt geht hier vor?

Die Proclaimers verstummen für einen Augenblick, bevor das Lied wieder von vorne anfängt. In diesen wertvollen Sekunden der Stille fügen sich Puzzleteile zusammen, und das Blut, das durch meinen Körper rauscht, verlangsamt sich wie eiskaltes Wasser in einem beinahe vollständig zugefrorenen Fluss.

Oh. Nein. Nein. Einfach … nein. Das darf nicht wahr sein. Die Drohungen waren nicht echt. Sie haben mich nicht erwischt. Noch während ich versuche, es zu leugnen, meldet sich meine innere Stimme zu Wort und widerspricht allem, was ich glauben will.

Sie haben mich erwischt. Die Drohungen waren echt. Sie werden mich umbringen. Ich hätte auf Ryan und Christine hören sollen. Warum habe ich nicht auf sie gehört?

Weil ich solches Zeug nie ernst nehme, deswegen. Und jetzt … Mit hämmerndem Herzen dehne ich die Hände, und meine Fingerspitzen berühren … ist das wirklich ein Teppich?

Mein Magen rutscht mir in die Kniekehlen, als mir in all meiner Verwirrung klar wird, was hier los ist.

Ich bin in einen Teppich gerollt. Ach. Du. Heilige. Scheiße. Das darf nicht wahr sein.

Während die Proclaimers lautstark in meinen Ohren singen, huschen Schauer über meine Haut. Was war das? Eine sich schließende Tür? Sind das Schritte?

Dann folgt das Gemurmel von Stimmen. Ich versuche zu verstehen, was sie sagen, aber die Musik ist zu laut, bis …

… etwas gegen meine Seite stößt. Hat mich gerade etwa jemand getreten? Der Teppich dämpft zum Glück die Wucht des Tritts ein wenig.

Ich bin eine kluge Frau. Clever. Ich habe mein ganzes Leben in Manhattan verbracht und drei versuchte Überfälle überlebt. Ich bin kein zartes Pflänzchen, aber keiner der beiden Selbstverteidigungskurse für Frauen, an denen ich für wohltätige Zwecke teilgenommen habe, hat mich darauf vorbereitet, was ich tun soll, wenn ich in einen Teppich gerollt aufwache, entführt von jemandem, der mir vermutlich mehrmals mit dem Tode gedroht hat.

Die Proclaimers gehen dazu über, in ihrem Lied all die Dinge aufzulisten, die sie für die Frau tun würden, die sie lieben. Und das ist der Moment, in dem ich das Brüllen höre.

»Du hast was gemacht?«, schreit ein Mann laut genug, um mir die Luft aus der Lunge zu treiben. Er klingt wütend – und mächtig.

Vor Angst bricht mir der kalte Schweiß aus.

»Du hast gesagt, dass sie uns helfen könnte!« Eine andere, deutlich schrillere Stimme durchbricht den Gesang der Proclaimers, bevor das Lied wieder lauter wird und die beiden Männer übertönt.

Wer hat gesagt, dass ich helfen könnte? Bei was? Und wo? Mein Verstand rast, aber er ist träger als normalerweise, was auch kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass tonnenweise Angst auf ihm lastet und alles in mir danach schreit, wegzulaufen.

Wieder murmelnde Stimmen. Wieder tobt Verwirrung durch meinen Kopf.

Wobei soll ich helfen? Für wen? Bedeutet das, dass sie mich nicht umbringen werden? Denn ich würde heute wirklich gerne nicht umgebracht werden. Oder morgen. Oder überhaupt.

Dann setze ich mich in Bewegung und rolle los. Buchstäblich. Wie ein Felsbrocken, der auf die Seite kippt, wenn man dagegentritt.

Oh mein Gott. Oh mein Gott. Oh mein Gott!

Denk nach! Denk nach!

Mein Körper rollt schwankend weiter, bis mir schwindelig ist und mir die Kopfhörer aus den Ohren fallen. Helles Licht blendet mich, als ich mich aus dem Teppich befreie, auf dem Rücken lande und an die Decke starre.

Die Gerüche von Leder und Teppichreiniger steigen mir in die Nase, während ich mich blitzschnell aufrapple und dabei fast zur Seite kippe, so als hätte ich zu viel getrunken. Ich wirble herum und suche nach einem Ausgang, aber eine große Hand legt sich auf die nackte Haut meiner Schulter.

Seine Handfläche ist heiß, so als hätte er sie gerade aus einer Hosentasche gezogen oder vor wenigen Sekunden noch zur Faust geballt. Seine Berührung jagt ein Kribbeln durch meinen Körper bis in meine Fingerspitzen.

Wow. So was habe ich noch nie erlebt.

Ich zucke zurück und stolpere nach vorn, um mich an der Armlehne eines Ledersessels abzustützen. »Bitte bringen Sie mich nicht um. Womit auch immer ich Ihnen helfen soll, ich werde es tun.«

Mit gesenktem Kopf sage ich die Worte zu den Beinen in der zerrissenen Jeans, die zu einem Mann gehört, der ein paar Schritte von mir entfernt steht. Ich habe keine Ahnung, ob der Versuch, mit ihm zu verhandeln, eine gute Idee ist. Mein Selbsterhaltungstrieb hat das Ruder übernommen, also verhalte ich mich nicht mehr vernünftig.

Ich bereite mich innerlich auf einen Schlag oder einen verbalen Angriff vor, aber nichts davon geschieht. Abgesehen vom leisen Klang der Proclaimers, deren Musik aus meinen am Boden liegenden Kopfhörern dringt, erfüllt eine schwere Stille das Zimmer.

Ich warte darauf, dass sich der Mann in der zerrissenen Jeans in Bewegung setzt. Dass er auf mich zukommt. Dass er mich umbringt. Aber das tut er nicht.

»Verdammt.« Er spricht es leise aus, so als würde er vor sich hin murmeln und nicht wollen, dass ich es höre.

»Bitte«, flüstere ich, als ich endlich den Mut finde, aufzuschauen und mir den Rest des Körpers anzusehen, der zu den kräftigen Beinen in der zerrissenen Jeans gehört. »Bitte tun Sie mir …«

Ich verstumme, als ich in die blauesten Augen schaue, die ich je gesehen habe. Allein mit diesen Augen könnte er ein Vermögen machen. Hauptsächlich deswegen, weil sie sich in einem verdammt attraktiven Gesicht befinden, das aufgrund der leicht schiefen Nase und der weißlichen Narbe, die über einen seiner scharf hervortretenden Wangenknochen verläuft, gar nicht attraktiv sein sollte. Wirres dunkelblondes Haar hängt ihm in die Stirn, während er die Lippen zu einer barschen Linie zusammengepresst hat.

Diese Bestie, auch wenn sie umwerfend ist, wird mich umbringen.

Die Stimme in meinem Kopf spricht das endgültige Urteil, eine Schlussfolgerung, zu der sie gekommen ist, weil ich irgendwie tief in meiner Seele weiß, dass dieser Mann nicht davor zurückscheut, einem anderen Menschen Schmerz zuzufügen. Sein Körper strahlt eine dermaßen rohe, wilde Energie aus, dass ich beinahe anfange, mit den Zähnen zu klappern.

Wunderschön und brutal. So würde ich den Schnappschuss untertiteln, den ich gerade im Geiste von dem letzten Gesicht mache, das ich womöglich je sehen werde.

Das war’s. Ich hätte auf die Warnungen hören sollen. Aber das habe ich nicht getan. Das ist alles meine eigene verdammte Schuld.

Ich beiße mir auf die zitternde Lippe und straffe die Schultern, während sich in meinen Augen Tränen sammeln, Tränen, denen ich es nicht gestatten werde, über meine Wangen zu rollen.

Noch nicht.

Zuerst werde ich mit dem Sensenmann verhandeln.

2. KAPITEL

Legend

Ich werde ihn umbringen. Nach allem, was ich für ihn getan habe, werde ich ihn verdammt noch mal umbringen.

Ich stand bereits am Rande des Abgrunds, aber das war nichts im Vergleich hierzu. Es gibt keinen Ausweg.

Ich dachte immer, dass ich, wenn ich mal im Gefängnis landen würde, wie es mir alle immer prophezeit haben, wenigstens für eins meiner Verbrechen eingebuchtet werden würde. Aber nein. Ich werde fünfundzwanzig Jahre bis »lebenslänglich« bekommen, weil Bump die laut dem NYC Magazine einflussreichste Frau unter vierzig entführt hat – und sie ist gerade mal einunddreißig.

Herrgott noch mal. Zum. Teufel. Mit. Meinem. Leben.

Scarlett Priest – der Inbegriff des Unnahbaren in Blond – steht in meinem Büro im Legend, meinem neuen Club, der bereits schon wieder den Bach runtergeht. Sie mustert mich von Kopf bis Fuß, während sie vor Angst zittert. Zweifellos rechnet sie mit ihrem bevorstehenden Tod. Denn was zum Teufel soll eine Frau denken, nachdem sie jemand verdammt noch mal entführt hat?

Wut brennt in meinen Adern, und Bump macht einen Schritt in Richtung Tür, so als wolle er sich schleunigst in Sicherheit bringen. Wenigstens ist er klug genug, um zu wissen, dass er es dieses Mal noch schlimmer verbockt hat als je zuvor. Wenn Bump irgendjemand anderes wäre, würde ihn diese Aktion den Kopf kosten.

Also, was zum Teufel mache ich jetzt? Schadensbegrenzung. Falls das überhaupt möglich ist.

»Womit auch immer ich Ihnen helfen soll, ich werde es tun«, sagt sie erneut. Ihre Stimme bebt, aber die Worte kommen klar und deutlich über ihre Lippen. »Bitte bringen Sie mich nur nicht um.«

Was geht in ihrem Kopf vor? Ich habe keine Ahnung, warum sie mir anbietet, sich um mein Problem zu kümmern … es sei denn … Sie muss Bump gehört haben.

»Was haben Sie gehört?«

Sie reißt den Kopf zurück, als wäre der bloße Klang meiner Stimme abstoßend für sie. Ich kann mich nicht mal dazu durchringen, beleidigt zu sein. Sie sollte schreien und uns mit der Polizei, Gefängnis, dem FBI und dem Geld ihrer Familie drohen.

Ihre Zähne haben kleine Dellen in ihrer Unterlippe hinterlassen. Ihr Kehlkopf bewegt sich, als sie schluckt, und ich frage mich, warum ich jede ihrer verdammten Bewegungen, und sei sie noch so klein, wahrnehme.

Vermutlich weil ich jeden gottverdammten Tag an sie denken werde, während ich auf meiner Gefängnispritsche liege und von Freiheit und dem Leben träume, das wir haben würden. Ein großartiges Leben. Das Leben, das …

Ich verdränge diese Gedanken, als Scarlett Priest den Mund öffnet, um etwas zu sagen.

»Sonst habe ich gar nichts gehört. Nur die Proclaimers, die davon gesungen haben, dass sie fünfhundert Meilen gehen.«

Nun, da sie es erwähnt, kann ich die schwachen Klänge des Lieds »I’m Gonna Be (500 Miles)« hören, die aus den weißen Kopfhörern auf dem Marmorfußboden kommen.

Ich treffe eine spontane Entscheidung, die Sorte, die mir und Bump schon mehr als einmal das Leben gerettet hat. Ich habe in dieser Situation nur zwei Möglichkeiten, und da mir bei beiden eine Gefängnisstrafe droht, wenn es schiefgeht, kann ich ebenso gut versuchen, sie zu meinem Vorteil zu nutzen.

»Sind Sie so gut, wie die Presse es behauptet?«, frage ich und strecke eine Hand nach meinem Schreibtisch aus, um mir die Ausgabe des NYC Magazine zu schnappen, mit der dieser ganze Albtraum angefangen hat. Ich halte ihr die Zeitschrift hin.

Sie neigt das Kinn und erstarrt, als sie das Foto von sich auf der Titelseite erblickt. Es wurde bearbeitet, aber die echte Scarlett ist meiner Meinung nach sogar noch besser. Nicht dass meine Meinung momentan eine Rolle spielen würde.

Nach einer kurzen Pause hebt sie den Blick, um mit ihren grauen Augen einmal mehr in meine zu schauen.

»Ich bin besser.« Ihre Stimme ist ein heiseres Flüstern, aber in ihr liegt ein Hauch von stahlhartem Selbstvertrauen. Sie leckt sich über die rosigen Lippen und fügt hinzu: »Vor allem, wenn ich dadurch am Leben bleibe.«

Die Prinzessin aus dem Elfenbeinturm kann schnell und entschlossen reagieren. Gut zu wissen.

»Wissen Sie, wo Sie sind oder wer ich bin?«

Sie wendet den Blick ab und schaut sich in meinem Büro um. Als sie Bump zu ihrer Linken entdeckt, richtet sie die Augen ruckartig wieder auf mich.

»Nein und nein. Und nur fürs Protokoll: Ich bin in der Lage, umgehend alles zu vergessen, was ich vergessen soll. Ich könnte nämlich durchaus ein Diplom in Diskretion haben.«

Ihr Selbsterhaltungstrieb ist stärker als ihre Angst. Damit kann ich umgehen.

»Dann ist heute Ihr Glückstag, Scarlett. Ich gebe Ihnen die Chance, sich zu retten.« Im Stillen füge ich hinzu: Und mich.

3. KAPITEL

Scarlett

Mich zu retten?

Das Angebot klingt verlockend, vor allem aus diesem Mund mit den vollen Lippen in diesem gefährlich attraktiven Gesicht. Aber ist es zu gut, um wahr zu sein? Und was ist das für ein Akzent? Er klingt, als käme er aus dem Süden, auch wenn er kaum auffällt.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Sein Akzent spielt keine Rolle. Lebend hier herauszukommen schon.

Ich hebe das Kinn und sehe ihn abschätzig an, weil das am besten zu funktionieren scheint. Den Mann anzusehen bereitet keinerlei Mühe. Herr im Himmel. Ich bin noch nie im Leben einer so schroffen Pracht begegnet.

Hör auf, so was zu denken, und konzentrier dich darauf, verdammt noch mal hier rauszukommen, schnauzt meine innere Stimme.

»Woher weiß ich, dass das nicht irgendein Trick ist?«

Seine Miene bleibt vollkommen reglos. Es ist, als wäre sein Gesicht aus Stein gemeißelt. Abgesehen von … einem kaum wahrnehmbaren Zucken seines Kiefers, den er anspannt.

»Das können Sie nicht wissen. Aber Sie werden mir trotzdem zuhören.«

In den Worten liegt so viel Macht, dass ich praktisch spüren kann, wie sie mich umhüllt. Ich will auf einen der Ledersessel sinken und schützend die Arme um meinen Körper schlingen. Nein, ich will nicht auf den Sessel. Ich will vor seiner Unheil verkündenden Anwesenheit und all dem Chaos, das sie in meinem Körper entfesselt, zurückweichen und direkt zur Tür rennen. Allerdings ist da noch der andere Mann im Zimmer, dem es irgendwie gelungen ist, mich zu entführen, während ich von einem Fototermin nach Hause gejoggt bin. Ja, vermutlich werde ich nicht an ihm vorbeikommen.

Also klammere ich mich stattdessen an die eine Sache, die mir niemand nehmen kann – mein Draufgängertum. »Dann reden Sie. Ich habe an diesem Abend noch einiges vor, und man wird meine Abwesenheit schon bald bemerken.«

Mom wäre stolz auf meinen hochmütigen Tonfall und die unterschwellige Drohung. Sie brachte mir bei, dass Selbstvertrauen das wichtigste Accessoire ist, das man überhaupt tragen kann, und wenn man sich nicht sonderlich selbstsicher fühlt, ist man dazu verpflichtet, es zumindest vorzutäuschen.

Ich wünschte nur, dass sie noch da wäre, um mir das persönlich zu sagen. Ein schmerzliches Gefühl des Verlusts schießt durch meinen Körper, während ich meinen Gegner weiterhin anstarre.

Sein Kiefer zuckt wieder, und ich frage mich, ob das bedeutet, dass ich ihn verärgert habe. Das war nicht klug, Scarlett.

Er mustert mich mit diesen intensiven blauen Augen, als würde er versuchen, das Make-up auf meinem Gesicht zu durchdringen. Ich habe es nicht selbst aufgetragen. Meine Stylistin hatte mich für das Fotoshooting geschminkt. Und, nun ja, das Make-up war ursprünglich perfekt, aber das war vor dem Zwischenfall mit dem Teppich. Doch mein Aussehen ist mir momentan wirklich völlig egal. Wenn ich tot bin, wird es mir auch nicht mehr viel nützen.

»Die hat ganz schön Mumm.« Der Kommentar kommt von dem Kerl zu meiner Linken. Sein Akzent ist stärker, und die gedehnte Sprechweise weist eindeutig darauf hin, dass er aus dem tiefen Süden stammt.

Ein großer gestromter Hund liegt neben ihm auf dem Boden und … Du lieber Gott. Er sieht aus, als könnte er mich fressen. Zum Glück bewegt er sich nicht.

»Halt die Klappe, Bump«, sagt der Mann vor mir, der mich nach wie vor mit seinem Blick fixiert.

Bump? Was für ein Name ist denn bitte Bump? Ich muss mich das einfach fragen, aber die Frage verschwindet aus meinem Kopf, sobald der blauäugige Teufel vor mir in Richtung des Sessels nickt.

»Setzen Sie sich und hören Sie zu.«

Ich will protestieren, da ich es nicht schätze, wenn man mit mir redet wie mit einem Hund. Aber ich beschließe, dass es in dieser Situation klüger ist zu schweigen. Kaum ist mein Hintern auf dem Leder gelandet, beginnt er damit, mir ganz genau mitzuteilen, wie ich mich retten kann.

4. KAPITEL

Legend

Sie starrt von dem Ledersessel zu mir hoch, den Zoe, eine meiner Angestellten, ausgesucht hat, als wir den Club eingerichtet haben. Nach meinen ersten paar Entscheidungen in Bezug auf das Mobiliar beschloss Zoe, dass man mir die Inneneinrichtung nicht überlassen könne, da es hier sonst wie in einem französischen Bordell aussehen würde. Vermutlich hatte sie damit recht. Ich habe nicht unbedingt ein Gespür für Klasse.

Es heißt, dass man Geschmack nicht kaufen kann, und das ist verdammt richtig. Aber man kann ihn erlernen. Stück für Stück. Die Frau vor mir muss allerdings nicht das Geringste darüber lernen, was gut aussieht und was nicht.

Ihre Mutter war ein Haute-Couture-Model, dessen Namen sogar ich kannte, als ich den Artikel las. Verdammt, ich glaube, dass jeder Teenagerjunge von ihr träumte, während er sich einen runterholte. Sie bewegte sich damals in den obersten Kreisen der Modewelt, zusammen mit Cindy Crawford und Christie Brinkley. Das ganze Land trauerte, als sie vor etwa fünf Jahren starb.

Auch wenn Scarlett deutlich kleiner als ihre Mutter ist und definitiv nicht über die nötige Körpergröße für den Laufsteg verfügt, ist die Ähnlichkeit unverkennbar. Sie hat das gleiche blonde Haar, das das Markenzeichen ihrer Mutter war, die gleichen sturmgrauen Augen und Kurven, die niemals aus der Mode kommen werden.

Sie ist die Art von Frau, die mir vor der Eröffnung des Legend niemals begegnet wäre. Und nun ist sie eine meiner besten Chancen, den Laden zu retten. Wenn ich dem Club nicht wieder ein wenig Leben einhauchen kann, werde ich alles verlieren, wofür ich so lange hart gearbeitet habe. Jeder Penny, den ich habe – und eine ganze Menge Geld, das mir nicht mal gehört –, steht auf dem Spiel, weil ich dachte, dass ich auf keinen Fall scheitern könnte.

Und das werde ich nicht. Weil sie uns helfen wird.

Wenn ich an einen gütigen Gott glauben würde, würde ich jetzt anfangen zu beten. Aber er ist nie besonders nett zu mir gewesen, also bin ich daran gewöhnt, im Schützengraben zu hocken und die ganze Arbeit allein zu machen. Nur dass meine größten Bemühungen dieses Mal nicht reichen. Ich brauche etwas anderes. Oder jemand anderen. Ich brauche Scarlett Priest, auch wenn ich es hasse, überhaupt jemanden zu brauchen.

Also geht es jetzt verdammt noch mal los.

Ich lehne mich gegen die Kante meines Schreibtischs und verschränke die Arme vor der Brust. »Die Menschen folgen Ihnen. Sie gehen dorthin, wo Sie sie hinschicken. Sie kaufen das, was Sie ihnen empfehlen.«

Sie kneift die Augen zusammen. »Und?«

»Das hier ist das Legend.«

Sie blinzelt, als ich den Namen meines Nachtclubs ausspreche, so als würde er ihr nichts sagen. Verdammt. Wenn das der Fall ist, habe ich das Ziel – dafür zu sorgen, dass jeder in New York das Legend kennt – total verfehlt.

»Das Legend? Sie meinen … den Club, der erst vor Kurzem eröffnet hat? Und … wieder geschlossen hat?« Sie legt den Kopf schief und spricht die letzten Worte vorsichtig aus. Das könnte ebenso gut ein Schlag in den Magen sein.

Offenbar habe ich mein Ziel doch nicht verfehlt. Ich habe es komplett zerstört.

»Er ist nicht geschlossen«, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Sie hebt das Kinn an, und ihre gerunzelte Stirn signalisiert unverkennbar Neugier. Ich schätze, dass das besser als bloße Panik ist, vor allem wenn es dabei hilft, sie an Bord zu holen.

»Gab es da nicht eine Schießerei oder so was? Alle gingen davon aus, dass der Laden daraufhin sofort dichtgemacht wurde. Immerhin ist das eine ziemlich heftige Sache.«

Bump beschließt, sich erneut einzumischen, obwohl er eigentlich seinen verdammten Mund halten sollte. »Das war ein toller Eröffnungsabend. Bis jemand beschloss, Gabe alles zu versauen. Aber wir machen nicht zu. Deswegen sind Sie hier, Lady. Sie werden uns helfen und die Leute zurückholen.«

Ich zähle bis drei und zwinge mich, tief einzuatmen, aber der Kerl nagt an meinem letzten Geduldsfaden.

»Bump. Raus«, schnauze ich ihn an, und der Mann, der für mich einem kleinen Bruder am nächsten kommt, wirft mir ein freches Grinsen zu, das sich niemand anders erlauben könnte.

»Aber …«

Als er protestieren will, bringe ich ihn mit einem einzigen Blick zum Verstummen.

Der dürre Junge, den ich schon fast mein ganzes Leben lang kenne, schlurft auf die Tür zu, schlüpft hinaus und schließt sie lautlos hinter sich. Er wird draußen warten und dabei das Ohr an die Tür pressen wie ein Sechsjähriger, um alles mitzubekommen. Aber hoffentlich wird er den Mund halten, bis ich Scarlett Priest dazu gebracht habe, dem gewagtesten Vorschlag zuzustimmen, den ich je jemandem gemacht habe.

Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau richte, die mit ordentlich im Schoß gefalteten Händen dasitzt, muss ich einfach die äußerliche Ruhe bewundern, mit der sie ihre Angst verbirgt. Sie trägt ihre Selbstbeherrschung wie einen Schild.

Ich hatte keine Ahnung, dass das attraktiv sein kann, aber ich will verdammt sein, wenn es das nicht ist.

Außerdem lässt sie sich nicht die Gelegenheit entgehen, mich zu mustern. Sie betrachtet mich, als wäre ich einer der Tiger hinter den Käfigstäben des Bronx-Zoos. In ihren Augen liegt Angst, auch wenn sie die Fassung bewahrt. Sie ist nicht dumm. So viel ist sicher.

Während ich noch über meine nächsten Worte nachdenke, öffnet sie den Mund und kommt direkt auf den Punkt.

»Sie wollen, dass ich meinen Einfluss nutze, um die Leute zurück in Ihren Club zu holen, nicht wahr?«

Die Frau hat wirklich verdammt viel Mumm.

Ich hebe das Kinn an. »So was machen Sie doch, oder?«

»Nur auf Bestellung. Nicht wenn man mich entführt.« Sie reckt das Kinn vor, als wäre das nichts, worüber man diskutieren müsste, und zum Teufel mit mir, aber ich will sehen, wie sie sich ins Zeug legt.

Hör auf, Gabe. Lass es verdammt noch mal bleiben. Fünfundzwanzig Jahre bis »lebenslänglich«. Das steht hier auf dem Spiel. Vergiss das nicht, und reiß dich zusammen.

»Dann betrachten Sie das hier als eine Bestellung, Scarlett. Es sei denn, Sie können das nicht bewerkstelligen. Vielleicht sind Sie nicht so gut, wie Sie denken.« Ich füge die spöttische Bemerkung instinktiv hinzu. Ich habe so ein Gefühl, dass sich die Herzogin von Manhattan nicht gerne anzweifeln lässt. Damit kann ihr Ego vermutlich nicht umgehen.

Sie verzieht die Lippen zu einem Schmollmund, und ich verdränge den Gedanken daran, wie verdammt gut sie sich an meinem Schwanz anfühlen würden. Ha. Klar.Das spielt keine Rolle. Eine einflussreiche Frau aus der Fifth Avenue und ein zugezogener Kerl aus New Jersey, der ursprünglich aus einem Trailerpark in Mississippi stammt, passen nicht wirklich zusammen. Außerdem kann ich zu jeder Tages- oder Nachtzeit eine willige Frau finden. Damit hatte ich noch nie Probleme. Allerdings könnte keine von ihnen das bewirken, was Scarlett Priest bewirken kann.

Sie richtet sich in dem Sessel auf. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich sogar noch besser bin. Nur mache ich so was wie das hier normalerweise nicht.«

»Was meinen Sie damit?« Ich bin kurz davor, ihr alles anzubieten, was sie will, wenn sie mir nur verspricht, dass sie es versuchen wird. Ich bin verdammt noch mal verzweifelt, und das ist ein Gefühl, das ich hasse.

»Normalerweise lasse ich mich nicht entführen und rette dann jemandes Geschäft im Austausch dafür, dass er mich nicht umbringt. Also verzeihen Sie mir, wenn ich ein wenig unsicher bin, denn das ist alles noch neu für mich.« Das Geräusch ihrer Haut, die über das Leder gleitet, als sie die Beine verschränkt, schwirrt durch die elektrisch aufgeladene Luft.

Hör verdammt noch mal auf, ihre Beine anzustarren, Mann. Diese Frau mag einzigartig sein, aber sie ist nichts für dich.

Ich verlagere mein Gewicht und lehne mich wieder gegen die Kante des massiven Holzschreibtischs. Ich muss meine Worte mit Bedacht wählen. Ich brauche ihre Hilfe, also konzentriere ich mich auf die eine Sache, die sie dazu bringen wird, meinem Vorschlag zuzustimmen.

»Sie sollten sich lieber Sorgen um die Alternative machen. Diese Sache ist ein Kinderspiel für Sie. Geben Sie mir, was ich brauche, dann sehen Sie mich nie wieder. Nicht mal in ihren verdammten Albträumen.«

Sie beißt sich erneut auf die Unterlippe, und ich würde diese Lippe nur allzu gerne befreien.

Gottverdammt, sie sollte das wirklich nicht tun. Sie ist eine ganz neue Kategorie von »Verboten«. Und zwar die, bei der ich nicht mal darüber nachdenken darf, sie zu berühren. Egal was passiert.

Der Rest von mir bekommt diese Info nicht, und mein Körper spannt sich an, als sie sich vorlehnt.

»Was wäre für Sie denn ein erfolgreiches Ergebnis? Das muss ich wissen, bevor ich Ihnen eine ehrliche Antwort auf die Frage geben kann, ob es möglich ist oder nicht.« Sie löst die Hände voneinander und legt die perfekt manikürten Fingernägel um die hölzernen Enden der Sessellehnen, während sie erklärt, was sie damit meint. »Wenn Ihr Club an der Beatmungsmaschine hängt und bald jemand den Stecker ziehen wird, könnte das Ganze jenseits meiner Fähigkeiten liegen. Und ich werde mir bei dem Versuch, ihn zu retten, nicht den Arsch abarbeiten, nur damit Sie mich am Ende doch abmurksen, weil ich das Unmögliche nicht schaffen konnte.«

Es liegt mir auf der Zunge, ihr mitzuteilen, dass wir nicht die Mafia sind und keine Frauen abmurksen und dass Bump noch nie zuvor jemanden entführt hat, sondern nur helfen wollte. Aber ich kann ihr nicht verraten, dass es wirklich nicht seine Schuld ist, dass in seinem Oberstübchen nicht mehr alles richtig funktioniert. Denn das wären nur noch mehr Beweise, mit denen sie uns hinter Schloss und Riegel bringen könnte.

Wenn irgendjemand die Schuld für das, was Bump zugestoßen ist, auf sich nehmen muss, dann bin ich das. Deswegen halte ich den Mund und lasse Scarlett Priest das Schlimmste denken. Ich muss ihn beschützen – selbst wenn ich ihn am liebsten umbringen würde, weil er uns in diesen Schlamassel reingeritten hat.

Nur dass es nicht sein Schlamassel ist. Es ist mein Schlamassel, und ich werde alles wieder in Ordnung bringen. Also rede ich nicht länger um den heißen Brei herum.

»Ich muss Leuten, die mir Geld geliehen haben, alles zurückzahlen, sonst haben sie das Recht, sich alles zu nehmen, was ich besitze, um die Schulden zu begleichen. Ein erfolgreiches Ergebnis würde darin bestehen, dass ich diese Rückzahlungen tätigen kann und mir niemand wegnimmt, was mir gehört. Sie kommen einmal die Woche her – an den Samstagabenden – und bringen Ihre Freunde mit. Sie machen Selfies und posten, dass Sie hier sind. Sie sorgen dafür, dass im Club Betrieb ist, damit ich Geld verdienen und die Schulden zurückzahlen kann.«

»Einmal die Woche?« Sie hebt die Stimme und reißt die Augen auf. »Alle meine Follower werden merken, dass da etwas nicht stimmt. Ich gehe nie jede Woche in denselben Club. Höchstens jeden zweiten Samstagabend und nicht öfter als drei- oder viermal.«

Sie löst ihre verdammten verschränkten Porzellanbeine und überkreuzt sie dann wieder, und ich muss meine ganze Willenskraft aufbringen, um dagegen anzukämpfen, dass das Blut meinen Kopf verlässt und direkt in meine Lenden schießt.

Verhandelt sie gerade ernsthaft mit mir?

Bump hatte recht. Sie hat wirklich Mumm. Andererseits habe ich auf die harte Tour gelernt, dass man seinen eigenen Wert kennen muss. Scarlett Priest weiß eindeutig, was sie zu bieten hat, und ich bin beeindruckt, vor allem weil sie denkt, dass es bei dieser Verhandlung für sie um sehr viel mehr geht.

Ich beschließe, ihr auf der Mitte entgegenzukommen.

»Zwei Samstage hintereinander und danach jeden zweiten. Sie kommen her, bis ich sage, dass wir fertig sind.« Ich strecke ihr meine Hand entgegen. »Haben wir eine Abmachung?«

Sie atmet tief ein und hält für einen Augenblick die Luft an, bevor sie wieder ausatmet. Genau diese Art von kontrolliertem zenmäßigen Mist habe ich in meinem früheren Leben angewandt, um mich davon abzuhalten, vor einem wichtigen Kampf die Nerven zu verlieren. Das verrät mir auch, dass ich genau das bekommen werde, was ich haben will.

Dem Himmel sei Dank.

Was bedeutet, dass ich mich vielleicht bei Bump entschuldigen werde.

Vielleicht.

5. KAPITEL

Scarlett

Die Knöchel der Hand, die sich mir entgegenstreckt, sind vernarbt, so als hätte sich Gabriel Legend den Weg durchs Leben erkämpfen müssen. Er ist bedrohlich, roh und wie aus einer anderen Welt. Jede Bewegung, die er macht, wie er sich an den Schreibtisch lehnt bis dahin, wie er mir seine Hand hinhält, ist präzise, effizient und strahlt den Eindruck von unter Kontrolle gehaltener Macht aus. Die Männer, die sich in meinen Kreisen bewegen, können von einer solchen Ausstrahlung nur träumen.

Obwohl er sich mir nie vorgestellt hat, wusste ich genau, wer er ist, sobald er den Namen des Clubs erwähnte. Gabriel Legend hat sich in den letzten paar Jahren einen ziemlichen Namen gemacht.

Kelsey, die Frau, sie sich um meine Haare und mein Make-up kümmert, kennt immer den aktuellsten und verbotensten Tratsch über alles, was in der Stadt vor sich geht. Und Kelseys Bruder, Jon Pak, war ein großer Fan des illegalen Clubs, den Mr Legend früher betrieb. Jon ging ins Urban Legend, um zu trinken und sich die Kämpfe anzusehen oder selbst in den Ring zu steigen, und weigerte sich immer, Kelsey dorthin mitzunehmen, wenn sie ihn darum bat. »Das ist zu gefährlich«, sagte er. »Das ist kein Ort für Mädchen wie dich.«

Und dann war Jon sauer, als der Club ohne Vorwarnung zumachte. Eines Abends warteten die Leute in der Schlange, und ein Mann kam nach draußen und sagte: »Die Türen bleiben heute Abend zu und machen auch nie wieder auf. Ein neues Legend kommt. Dort werdet ihr hinwollen, falls ihr überhaupt am Türsteher vorbeikommt. Das werdet ihr nicht verpassen wollen.«

Ein paar Monate später machten Gerüchte über den neuen, teuren Club – und seinen Besitzer – in der ganzen Stadt die Runde. Das Legend.

»Haben wir eine Abmachung?«, fragt er erneut.

Ich reiße mich aus meinen Gedanken los und begegne seinem scharfen, eisigen Blick. »Habe ich eine andere Wahl?«

»Man hat immer eine Wahl, Scarlett. Ob einem die Möglichkeiten nun gefallen oder nicht.«

Meine Nackenhaare sträuben sich, als ich aufstehe, weil das so eine schwachsinnige Antwort ist. Auch wenn er genau genommen recht hat.

Ich könnte ihm sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll, und die Konsequenzen riskieren. Es besteht die Möglichkeit, dass er mich nicht umbringen wird. Vermutlich will er nicht den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen. Andererseits müsste man meine Leiche finden und wissen, was mir zugestoßen ist, um ihn hinter Gitter zu bringen. Will ich es wirklich riskieren, ihn wütend zu machen, wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass er nicht mal die Hälfte der Kraft bräuchte, die in seinem Körper steckt, um mir den Garaus zu machen?

Nein. Das will ich nicht.

Ich habe kaum richtig damit angefangen, die Dinge zu verwirklichen, die ich mir für mein Leben vorgenommen habe. Ich werde heute nicht sterben.

In diesem Moment treffe ich eine Entscheidung. Ich werde die Rettung des Legend als eine Herausforderung ansehen – und ich schrecke nie vor einer Herausforderung zurück.

Ich lasse meine Hand in seine schwielige gleiten. Ein weiterer Schock durchfährt mich, als ich ihn berühre, zudrücke und seine Hand schüttle, als würde ich das jeden Tag mit Leuten machen, die mich bedrohen.

Meine Stimme klingt selbstsicherer, als ich mich fühle, als ich sage: »Meinetwegen. Wir haben eine Abmachung.«

»Gut.« Sein Griff ist fest und unnachgiebig, und sobald ich zugestimmt habe, lässt er mich beinahe sofort wieder los. So als könnte er es nicht ertragen, mich auch nur eine Sekunde länger als nötig zu berühren. Er zieht seine Hand so schnell zurück, als hätte er sich verbrannt.

Schön zu wissen, dass er mich nicht berühren will. Ich schätze, dass ich in dieser Hinsicht sicher bin.

Diese Erkenntnis sollte mich begeistern, aber aus irgendeinem Grund klingt die Stimme in meinem Kopf, als wäre sie deswegen eingeschnappt. Ich bringe sie zum Verstummen. Sie ist eindeutig noch verwirrt, weil ich bewusstlos war, denn ich will auf gar keinen Fall, dass mich Gabriel Legend berührt. Richtig?

Trotzdem zucke ich ein wenig zusammen, als er bellt: »Komm wieder rein, Bump.«

Die Tür fliegt auf, und Bump, der Mann, der dafür verantwortlich ist, dass ich weiß, wie es sich anfühlt, in einen Teppich gewickelt zu sein, kommt ins Büro gestürmt.

»Ich habe dir doch gesagt, dass es funktionieren würde!« Er wirkt wie ein Kind, das viel zu viele Süßigkeiten gegessen hat, und hüpft förmlich auf und ab.

Legend geht nicht auf seine Äußerung ein. »Wo ist Q?«

»In einer Besprechung. Zoe hat nicht zugelassen, dass ich störe.«

Bumps Antwort löst einen finsteren Blick aus, der dafür sorgt, dass die Falten um Mr Legends Mund herum tiefer werden. Ich weiß nicht, wer Q ist, aber er oder sie ist eindeutig wichtig.

»Schön. Begleite sie nach draußen. Setz sie in ein Taxi. Sag kein einziges verdammtes Wort mehr, bis du wieder in meinem Büro bist. Verstanden?«

»Verstanden, Gabe«, erwidert Bump, während er sich mit einem fröhlichen Lächeln an mich wendet und mich in Richtung Tür winkt.

Ich schnappe mir mein Handy und die Kopfhörer vom Boden und werfe einen letzten Blick auf Gabriel Legend, der an seinem Schreibtisch Platz nimmt und seine Aufmerksamkeit bereits auf einen Papierstapel sowie den Laptop vor ihm richtet. Bevor ich sein Büro verlasse, macht er unmissverständlich deutlich, dass er meine Anwesenheit nicht mehr registriert.

Dieses Verhalten ist mir fremd, und meinem Ego gefällt es kein bisschen.

Die Beleidigung, dass er sich nicht von mir verabschiedet und mir noch nicht mal damit droht, dass er mich umbringen wird, wenn ich am Samstagabend nicht auftauche, geht mir nicht aus dem Kopf, während mich Bump durch Flure und dann in einen riesigen Raum führt, der mich an einen griechischen oder römischen Tempel erinnert. Er hat eine hohe Decke und wird von gewaltigen Säulen und durchscheinenden weißen Seidenvorhängen dominiert. Letztere hängen in den Ecken und wehen in den offenen Raum.

Selbst jetzt, völlig leer, ist der Club beeindruckend. Ich kann mir vorstellen, wie es hier aussieht, wenn alles voller Menschen ist, die tanzen und Champagner trinken oder auf den großen runden Plattformen entlang der Seitenwände Hof halten. Eine Empore mit einer massiven Balustrade verläuft einmal rund um den kompletten Raum. Ich vermute, dass das der VIP-Bereich ist, in dem Leute wie ich von oben die Menge beobachten können, ohne von ihr erdrückt zu werden.

Ich deute nach oben. »Wie viele VIP-Lounges gibt es?«

Bump bleibt stehen und dreht sich und sieht mich an. Sein Blick folgt meinem Finger nach oben. Er bewegt unschlüssig die Lippen, und mir fällt wieder ein, dass Legend ihm verboten hat, mit mir zu sprechen. Aber ich würde darauf wetten, dass er es nicht ertragen kann, nicht zu antworten.

»Viele. Aber ich gehe nie da rauf. Ich bin gerne in der Nähe der Musik.«

Seine Antwort ist nicht im Geringsten hilfreich. Ich schaue hoch und zähle die einzelnen Bereiche, die ich von hier unten aus erkennen kann. Ich schätze, dass es etwa ein Dutzend separate VIP-Lounges gibt, und wenn Legend klug ist, verfügt jede über eigene Servicekräfte und Sicherheitsleute. Vielleicht gibt es sogar einen separaten Ein- und Ausgang, damit jemand, der nicht gesehen werden will, unbemerkt kommen und gehen kann. Zumindest würde ich das so machen, wenn das hier mein Club wäre.

»Danke, Bump«, flüstere ich, während er weitergeht. Mein Gehirn arbeitet bereits einen Plan aus. »Ich werde am Samstag zwei davon brauchen, und wenn ich das nächste Mal komme, vier. Danach werde ich die komplette Ebene benötigen.«

Bump lacht schnaubend. »Alle Lounges? Ja, klar. Die waren nicht mal am Eröffnungsabend alle besetzt, bevor hier die Kugeln flogen.«

Ich wirble herum und begutachte die Stuckarbeiten und die Säulen. »Ich sehe keine Einschusslöcher.«

Wieder lacht er schnaubend. »Das ist zwei Monate her. Glauben Sie, dass Gabe auch nur zwei Tage vergehen lassen würde, ohne alles wieder in Ordnung zu bringen? Das können Sie vergessen. Nachdem die Bullen weg waren, kamen eine Menge Leute her, die alles repariert haben, damit es wieder wie neu aussieht.«

Ich kann mir vorstellen, wie Legend die Handwerkertrupps befehligte wie ein General, als es um die Wiederherstellung seines Clubs ging. Das muss für ihn die ultimative Beleidigung gewesen sein. Wahrscheinlich kann ich die Wut, die während der Renovierung seines Clubs in ihm gebrodelt haben muss, nicht mal erahnen.

Ernsthaft, der Mann sollte ein blinkendes rotes Licht auf dem Kopf haben und dazu ein Warnschild mit der Aufschrift: GEFAHR: MIT VORSICHT NÄHERN.

»Sie haben gute Arbeit geleistet«, murmle ich, während ich mich dem Ausgang zuwende.

»Die sind genauso herumgewirbelt wie Sie«, sagt Bump, der jede meiner Bewegungen beobachtet.

»Was meinen Sie damit?«, hake ich nach. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits will ich dieses Gebäude so schnell wie möglich verlassen, aber andererseits will ich auch jede Einzelheit über Gabriel Legend und seinen Club wissen, die ich in Erfahrung bringen kann. Natürlich nur, um ihm bei der Rettung seines Clubs helfen zu können.

Meine innere Stimme meldet sich zu Wort. Haha, das glaubst du doch wohl selber nicht.

»Die Gaffer. Die sind die Einzigen, die seitdem hergekommen sind. Sie wollten die Spuren des Massakers sehen. Aber hier gab es nichts zu sehen. Also sind sie wieder gegangen. Und wir waren so gut wie erledigt, bis ich Sie geschnappt habe.«

Zu hören, wie dieser Mann so beiläufig darüber redet, dass er mich entführt hat, sollte mir eine Heidenangst einjagen, aber das tut es nicht. Das muss immer noch die Wirkung des Adrenalins sein.

Bump plappert weiter, während wir auf den Ausgang zugehen, so als könnte er die Stille nicht ertragen, aber das stört mich nicht. Um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass er den Befehl seines Bosses nicht befolgt, weil ich auf diese Weise wichtige Informationen bekomme, die mir dabei helfen werden, die Bühne für das Comeback des Legend vorzubereiten. Schließlich mag jeder eine gute Comeback-Geschichte, nicht wahr?

Falls ich das schaffen kann.

Der Anflug eines Selbstzweifels schleicht sich an mich heran, aber ich bringe ihn zum Schweigen.

Nicht falls. Ich werde das schaffen.

Als Bump eine der gewaltigen Stahltüren am Haupteingang öffnet, blendet mich das Sonnenlicht, obwohl sich der Tag bereits dem Ende zuneigt. Für eine Sekunde fühle ich mich so durcheinander wie Aschenputtel, die vor ihrem Märchenprinzen davonläuft, bevor die Uhr Mitternacht schlägt.

Nur dass ich nicht Aschenputtel bin, und Gabriel Legend ist ganz bestimmt kein Märchenprinz. In einem Märchen wäre er der Bösewicht.

Eine Brise lässt meine zerzausten Haarsträhnen wehen und jagt mir einen Schauer nach dem anderen über die nackte Haut.

Er ist ein Bösewicht, Scarlett. Du hast nur eingewilligt, weil du keine andere Wahl hattest. Aber noch während ich das denke, weiß ich, dass ich mich selbst belüge.

Ich habe eingewilligt, weil ich Gabriel Legend wiedersehen will, und ich bin nicht bereit, mich mit den Konsequenzen dieser speziellen Erkenntnis auseinanderzusetzen.

Ich marschiere an die Bordsteinkante, vergesse Bump völlig und hebe eine Hand, um ein Taxi anzuhalten. Ich muss so schnell wie möglich von hier verschwinden. Sofort, bevor ich noch weitere schlechte Entscheidungen treffe.

Bump greift nach meinem Handgelenk und zerrt meinen Arm nach unten. »Gabe hat gesagt, dass ich Sie in ein Taxi setzen soll. Also rufe ich es auch.«

Er lässt mich los, steckt zwei Finger in den Mund und stößt einen schrillen Pfiff aus. Ein gelbes Taxi blinkt, um die Fahrspur zu wechseln, und kommt näher.

Schneller. Schneller. Ich wiederhole das Wort immer wieder in meinem Kopf und verspüre zunehmend den Drang, von hier wegzukommen. Ich reibe mir mit den Händen über die Arme, damit mir warm wird.

Ich trage lediglich ein Tanktop und Leggins. In diesem Outfit bin ich wie verabredet an der neuen Boutique meiner Kundin vorbeigejoggt. Jordy sollte Fotos von mir machen, damit er sie in den sozialen Medien posten kann, um mehr Leute in die Boutique zu locken.

Oh mein Gott. Ich erstarre, als mir der Gedanke kommt. Sie werden sich fragen, was mit mir passiert ist. Verfluchter Mist. Was soll ich ihnen erzählen? Was ist, wenn Jordy kein Foto machen konnte? Ich kann so nicht zurückkehren.

Das Taxi hält an der Bordsteinkante, und ich stürze darauf zu und strecke eine Hand nach dem Türgriff aus.

»Warten Sie einen Moment«, sagt Bump und packt erneut mein Handgelenk.

Ich wirble herum und starre ihn an. Sein schmales Gesicht mit dem hellbraunen Backenbart sieht wie das eines erwachsenen Mannes aus. Aber in seinem Tonfall und seinem Verhalten liegt etwas sehr Kindliches. Ich kann mir nicht vorstellen, was für eine Vergangenheit Bump hat, zumal ihm auf einer Seite des Kopfs ein Streifen Haare fehlt. Aber ich habe so ein Gefühl, dass sie recht bewegt sein muss.

»Was?«

All die Leichtigkeit und die gute Laune verschwinden und lassen den Mann zurück, der mich entführt hat. Wieder laufen mir Schauer über den Rücken, und sie haben nicht das Geringste mit der Brise zu tun, die durch die Stadt weht.

»Sie dürfen nicht darüber reden. Mit niemandem. Verstanden?«

»Bump …« Ich sage seinen Namen, während ich versuche, meine Hand zu befreien, aber sein Griff hat absolut nichts Kindliches an sich. In ihm liegt die Kraft eines ausgewachsenen Mannes.

»Nein. Sie hören mir jetzt zu. Gabe ist mein Bruder. Wenn Sie ihm oder dem Club schaden, werde ich Ihnen schaden. Haben Sie mich verstanden, Lady?«

Jegliche Naivität, die eben noch in seinem Tonfall lag, ist verschwunden. Er spricht seine Drohung mit der eiskalten Stimme eines hartgesottenen Mörders aus. Zumindest bis er die Lippen zu einem schiefen Grinsen verzieht.

»Außerdem denke ich, dass ich Sie mögen könnte, und ich will wirklich keiner Frau etwas antun. Also bringen Sie mich nicht dazu, okay?«

Ich schlucke den Speichel, der sich in meinem Mund gesammelt hat, herunter, während mir die Härchen auf dem Armen zu Berge stehen. Wenn er es mit einem Lächeln sagt, wirkt er irgendwie sogar noch bedrohlicher.

Ich beschließe, meine Erwiderung gefasst und voller Selbstvertrauen zu äußern. »Ich habe verstanden, Bump. Sorgen Sie dafür, dass die VIP-Lounges für mich reserviert sind. Sagen Sie Ihrem Bruder, dass ich am Samstagabend da sein werde.«

Er grinst breit und nickt dreimal. »Wir sehen uns, Scarlett. Passen Sie auf sich auf.«

Ich öffne die hintere Tür des Taxis und steige ein. Erst als ich im Wagen sitze, entlasse ich den Atem, den ich angehalten habe, aus meiner Lunge. Ich nenne dem Fahrer meine Adresse und lasse den Kopf gegen die Lehne sinken.

Herrgott. In was bin ich da nur hineingeraten?

Ich starre auf das Handy in meiner Hand hinunter.

Zwei neue Textnachrichten. Ein verpasster Anruf. Dutzende Benachrichtigungen in den sozialen Medien. Und doch … keine einzige Nachricht von Jordy, dem Fotografen, der bemerkt haben sollte, dass ich verdammt noch mal entführt wurde, oder irgendjemandem, der sich gefragt hat, was mit mir passiert ist.

Vermutlich stimmt es, was man sagt. Wenn alle auf einen Bildschirm starren, bemerkt niemand, was in der echten Welt geschieht.

6. KAPITEL

Legend

Die Zeitschrift verhöhnt mich von der Ecke meines Schreibtischs aus. Ich hatte nur die ersten paar Zeilen des Artikels gelesen, bevor ich zu Q ging, der seit fünfzehn Jahren mein bester Freund und mein Stellvertreter ist. Ich erklärte ihm, dass wir diese Frau – oder jemanden wie sie – bräuchten. Sie müsse ins Legend kommen und all ihre Freunde mitbringen, sonst wären wir innerhalb eines Monats erledigt.

Genau diese Unterhaltung bekam Bump mit, was dazu führte, dass er meine ganze Welt auf den Kopf stellte. Was zum Teufel hat er sich nur dabei gedacht, sie zu entführen?

Verdammt. Das wird mir Q ewig vorhalten. Er ist derjenige, der mir gesagt hat, dass wir mit Leichtsinn die Sache nicht regeln können, sondern geduldig und klug vorgehen müssen.

Aber mit Leichtsinn fühle ich mich immer noch wohler als mit Geduld, und das habe ich jetzt davon.

Das T-Shirt, das ich trage, fühlt sich am Hals viel zu eng an, als ich auf die Uhr schaue. Fünfzehn Minuten. So lange habe ich ungefähr noch, bis Qs Besprechung vorbei ist.

Meine Neugier gewinnt die Oberhand, und ich greife erneut nach der Zeitschrift. Dem Titelbild schenke ich keine Aufmerksamkeit, denn ich muss mir ihr perfektes Gesicht nicht länger als nötig anschauen. Scarlett Priest ist verflucht heiß, aber das ist mir egal. Das muss mir egal sein.

Das ist einer meiner Tricks – sämtliche Emotionen abblocken. Außerdem komme ich neuen Menschen in meinem Leben nie zu nah. Ich halte meinen Freundeskreis aus gutem Grund klein und erweitere ihn für niemanden. Vor allem nicht für eine Frau, die die Straßenseite wechseln würde, wenn ich ihr nachts auf dem Bürgersteig entgegenkäme.

Ich will ohnehin keine feste Frau in meinem Leben haben. Mir ist egal, dass das bedeutet, dass ich für den Rest meines Lebens mit spontanen Treffen und Verabredungen zum Sex zurechtkommen muss. Für mich funktioniert das. Gefühle für jemanden zu entwickeln ist gefährlich, und ich werde nie wieder in diese Falle tappen.

Ich blättere die erste Seite des Artikels auf und überfliege den Abschnitt, in dem es um ihre Mutter, die Model-Ikone, und die Marke House of Scarlett geht, die Lourdes Priest erschaffen und verkauft hat, bevor sie vor fünf Jahren an Krebs gestorben ist. Das ist echt ätzend, und ich habe plötzlich Mitleid mit Scarlett, weshalb ich umso schneller die nächste Seite aufschlage.

Und dann wünschte ich, dass ich es nicht getan hätte. Denn dort ist ein Bild von Scarlett und ihrem Freund abgedruckt.

Ich balle die Hand zur Faust. Ich sollte die verdammte Seite herausreißen. Dieser Kerl ist ein verdammter Idiot. Ich muss kein einziges Wort über ihn lesen, um zu wissen, dass ich recht habe. Das selbstgefällige Lächeln, das er auf dem Gesicht hat, während er seinen Arm um sie legt, sagt alles.

Sie ist sein Goldesel. Seine verfluchte goldene Eintrittskarte. Ich frage mich, ob ihr das klar ist …

Nein. Nein, das frage ich mich nicht. Weil es mir nicht wichtig ist.

Ich setze mich aufrechter hin und starre auf das Gesicht von Chadwick LaSalle jr. hinunter. Er sieht aus wie ein Hedgefondstyp, aber ein flüchtiger Blick auf die Bildunterschrift verrät mir, dass er einer der Vorstandsvorsitzenden des Pharmaunternehmens ist, das Scarletts Vater, Lawrence Priest, gehört.

Ja. Sie ist definitiv seine goldene Eintrittskarte.

Ich wette, dass sie zusammen nach Yale oder Harvard gegangen sind und gefeiert haben, wie es sich für Kinder reicher Eltern eben so gehört.

Ich selbst habe die Hochschulreife mit vierundzwanzig erlangt und mein Geld mit meinen Fäusten verdient, indem ich um mein verdammtes Leben gekämpft habe, bevor ich genug zusammenhatte, um meinen ersten Club aufzumachen. Ich bekam keine Schanklizenz, aber davon wollte ich mich nicht aufhalten lassen. Stattdessen habe ich die richtigen Leute bezahlt und losgelegt.

Geld regiert die Welt. Ich bin mir sicher, dass das auch Chadwick LaSalle jr. sehr bewusst ist. Verdammter Idiot.

Ich schlage die Zeitschrift zu und schiebe sie weg.

Dieser Mistkerl kann mir egal sein. Wichtig ist nur, dass ich meinen Club rette.

Denn ich habe auch noch etwas anderes gelernt: Wenn man all sein Geld auf illegale Weise verdient, will jeder einen Teil davon abhaben. Ich dachte, dass ich unantastbar wäre, wenn ich meinen Untergrundclub betreiben würde, aber das war nicht der Fall. Auf einmal war ich in jeglicher Hinsicht angreifbar. Vor langer Zeit habe ich mir geschworen, dass ich dieses Leben hinter mir lassen würde, und ich werde dieses Versprechen halten, selbst wenn es mich verdammt noch mal umbringt. Ich werde vollkommen sauber werden und mich an das Gesetz halten, und nichts, nicht mal eine verfluchte Schießerei während meines großen Eröffnungsabends, wird mich davon abhalten.

Nur dass ich jetzt etwas tun muss, das ich hasse – mich darauf verlassen, dass mich jemand anderes aus dem Loch ziehen wird, das ich selbst gegraben habe. Und dieser Jemand ist Scarlett Priest.

Ich habe die Angst in ihren Augen gesehen. So etwas kann man vor einem Schrottplatzhund wie mir nicht verbergen.

Aber das spielt keine Rolle. Angst ist gut. Ich hoffe, dass sie sie nicht überwindet.