Stronger than Fate - Meghan March - E-Book

Stronger than Fate E-Book

Meghan March

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie dürfen sich nicht lieben, denn ihre Familien sind für immer verfeindert

Seit Whitney Gable zurück in der Stadt ist, ist das Leben von Geschäftsmann Lincoln Riscoff nicht mehr dasselbe. Die Anziehungskraft zwischen ihnen ist ungebrochen, die Gefühle füreinander sind stark wie nie. Sie wollen alles hinter sich lassen und einen Neuanfang wagen, doch dann stellt ein schwerer Schicksalsschlag ihre Liebe erneut auf die Probe. Denn als herauskommt, dass der Hass, der ihre Familien einst entzweite, womöglich auf einer Lüge basiert, ändert sich alles! Können sich Lincoln und Whitney vielleicht doch gegen das Schicksal stellen und gemeinsam glücklich werden?

"Meghan Marchs bemerkenswertestes Buch!" USA TODAY

Das große Finale der verboten heißen RICHER-THAN-SIN-Trilogie von NEW-YORK-TIMES-Bestseller-Autorin Meghan March

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 304

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Megan March bei LYX

Leseprobe

Impressum

Meghan March

Stronger than Fate

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

Zu diesem Buch

Seit Whitney Gable zurück in der Stadt ist, ist das Leben von Geschäftsmann Lincoln Riscoff nicht mehr dasselbe. Die Anziehungskraft zwischen ihnen ist ungebrochen, die Gefühle füreinander sind stark wie nie. Und diesmal sind sie auch bereit, für eine gemeinsame Zukunft alles hinter sich zu lassen und noch einmal von vorne zu beginnen. Doch dann zwingt ein schwerer Schicksalsschlag sie, in ihren Heimatort zurückzukehren – was mehr als nur ihre Liebe auf die Probe stellt. Denn der Tod von Lincolns Mutter verändert alles. Geheimnisse drängen ans Licht, Intrigen werden enttarnt, und Lincoln und Whitney müssen sich fragen, ob der Hass, der ihre Familien einst entzweite und die beiden auseinanderbringen sollte, womöglich nur einem Lügenkonstrukt entsprungen ist. Können Whitney und Lincoln sich vielleicht doch gegen das Schicksal stellen und die Fehde ihrer Familien ein für alle Mal beenden? Oder wird sich bestätigen, dass ein Riscoff und eine Gable tatsächlich nicht zusammen glücklich werden können?

1. KAPITEL

Whitney

Zehn Jahre zuvor

Meine Handflächen wurden klamm, während ich im Hinterzimmer der kleinen Kirche stand. Ich erinnerte mich weder an die Fahrt hierher noch daran, wie ich meine Alltagsklamotten aus- und dieses Kleid angezogen hatte.

Tatsächlich erinnerte ich mich sogar nicht einmal richtig daran, wie ich mir das Kleid ausgesucht hatte. Alles, was in den Wochen seit dem Autounfall meiner Eltern passiert war, war ein verschwommener Fleck gewesen.

Als ich den Blick zum Spiegel vor mir hob, erkannte ich kaum die Frau, die mich auf dem Spiegelbild anstarrte. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Selbst das Make-up, das ich mir heute Morgen ins Gesicht gekleistert hatte, konnte nicht verbergen, wie ich mich fühlte. Mein Gesicht wirkte schmal. Mein Magen war in letzter Zeit so verkrampft gewesen, dass ich mich zum Essen regelrecht hatte zwingen müssen.

Ich hatte darum gebeten, einen Augenblick lang für mich allein zu sein, bevor es Zeit wurde, mit dem Mann, den ich nicht heiraten wollte, vor den Altar zu treten. Und zum Glück hatten mich Jackie, Cricket und Karma alle in Ruhe gelassen. Nun stand ich schweigend in dem weißen Kleid da und fragte mich, wie zum Teufel es möglich war, dass ich es so weit hatte kommen lassen.

Ein Wort formte sich in meinem Kopf und wurde mit jeder Sekunde, die verging, lauter und lauter.

Lauf!

Ich wandte den Blick zu dem kleinen Fenster aus Milchglas über dem Schreibtisch des Pastors. Es war der einzige Ausweg aus diesem Zimmer, abgesehen von der Tür, die in die Kirche führte – wo es keine Möglichkeit gab, unbemerkt zu entkommen. Wenn ich das Kleid ausziehen würde, könnte ich vielleicht durch das Fenster passen …

Meine Füße bewegten sich, als hätten sie einen eigenen Willen, und brachten mich näher an das Fenster und die mögliche Freiheit heran.

Und was würde ich dann tun? Zu Lincoln laufen? Ihm erzählen, dass er alles verlieren würde, worauf er sein ganzes Leben lang vorbereitet worden war, weil ich mich nicht dazu hatte durchringen können, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte?

Die Tür öffnete sich mit einem leisen Klicken, bevor ich eine Entscheidung treffen konnte.

Ich wirbelte herum und erblickte Rickys Mom – die Frau, die allein dafür verantwortlich war, dass ich heute hier stand. Sie hätte mich selbst dann nicht wirkungsvoller beeinflussen können, wenn sie mir eine Pistole an den Kopf gehalten hätte.

Sie ließ den Blick vom Fenster und dann wieder zurück zu mir wandern. Als ich ihr grausames Lächeln sah, verkrampfte sich mein Magen noch mehr.

»Das Fenster? Ernsthaft? Das ist so dramatisch. Ich weiß, was du denkst, Whitney. Du musst nur zu ihm laufen, und der Prinz wird dich retten.« Ihr hartherziger grüner Blick wurde noch härter. »So funktioniert das nicht. Wenn er herausfindet, dass du sein perfektes kleines Leben und sein Erbe hättest retten können, es aber nicht getan hast, wird er dich für ein egoistisches Flittchen halten. Er wird dich für den Rest seines Lebens hassen. Willst du das?«

»Er könnte mich niemals so sehr hassen, wie ich dich hasse«, flüsterte ich.

»Ich mag dich auch nicht, aber solange mein Sohn sagt, dass du seine Eintrittskarte zu einem ruhmreichen Rockstarleben bist, werde ich mir ihm gegenüber jeglichen Kommentar über dich verkneifen.« Sie schaute wieder zum Fenster und schüttelte den Kopf. »Dieser Riscoff-Junge liebt dich nicht. Du bist einfach nur das erstbeste billige Flittchen, das er bei seiner Rückkehr in die Stadt fand, und warst leicht zu haben. Er hätte dich ohnehin schon bald fallen gelassen, sobald er genug von dir gehabt hätte. Und nun wird er zur nächsten Frau übergehen, sobald du weg bist.«

Ihre Worte versetzten mir einen rasiermesserscharfen Stich ins Herz. »Das weißt du nicht.«

»Ich weiß, dass den Riscoffs nur eine Sache wichtig ist – das Gewinnen.« Sie trat näher an mich heran, so nah, dass sie mit ihrem Körper den weißen Stoff des Rockteils meines Kleids zerknautschte. »Wenn er heute hier auftaucht, solltest du besser eine gute Show abziehen. Lass ihn glauben, dass du mit ihm fertig bist. Denn wenn du es nicht tust, werde ich ihn und seine Familie zerstören. Du wirst schon sehen.«

Das hämische, böse Lächeln, das sich auf Renees Gesicht ausbreitete, unterstrich ihre Aussage nur noch. Sie war verrückt genug, um das, was sie angedroht hatte, auch umzusetzen. Wenn ich das nicht bereits von Anfang an geglaubt hätte, wäre ich zu Lincoln gegangen.

Aber jetzt blieb mir nur noch eine Wahl. Gehorchen und beten.

»Ich bin hier, oder etwa nicht? Ich tue, was du willst.«

»Gut. Ich bin froh, dass du das begreifst.« Renee legte den Kopf schief, und ihre perfekt gestylte »Mutter des Bräutigams«-Frisur bewegte sich keinen Millimeter. Sie war eine hübsche Frau. Sie sah immer noch recht jung aus, wenn man bedachte, dass sie einen siebenundzwanzigjährigen Sohn hatte, aber um ihren Mund herum und in ihren Augen lag etwas Hartes und Verbrauchtes.

Dies war zweifellos der Tatsache geschuldet, dass Roosevelt Riscoff sie ausgenutzt und verbraucht hatte.

»Er würde dich verstecken, genau wie sein Vater mich versteckt hat, bis er dich irgendwann bezahlt, damit du über alles, was passiert ist, schweigst.«

Renees verbitterte Worte von dem Morgen, an dem sie mir ihr schmutziges kleines Geheimnis gebeichtet hatte, gingen mir wieder durch den Kopf. Gleich darauf folgten Lincolns Worte aus der Nacht, in der ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.

»Ich will mich um dich kümmern, Whitney. Lass mich das tun.«

Sosehr ich mir auch wünschte, dass ich hier stehen und Renee Rango sagen könnte, dass sie sich zum Teufel scheren soll, weil mich Lincoln niemals so behandeln würde, wie sein Vater sie behandelt hatte, konnte ich doch nicht leugnen, dass ich mich bereits von ihm distanziert hatte, weil er mir genau den gleichen Vorschlag gemacht hatte. Er wollte mir ein Haus besorgen. Meine Rechnungen bezahlen. Mir Geld geben, das ich ausgeben konnte. Mich verbittert und verbraucht zurücklassen, sobald er genug von mir hatte.

Egal was ich tat, es war ein Risiko. Ich wusste nur eins mit Sicherheit: Wenn ich diese Kirche verlassen würde, ohne Ricky Rango zu heiraten, würde Renee Rango alles zerstören, was Lincoln je wichtig gewesen war.

Das konnte ich nicht zulassen.

Ich würde zu der Entscheidung, die ich getroffen hatte, stehen – ich würde Lincolns Zukunft retten, indem ich Ricky heiratete.

Das bedeutete jedoch nicht, dass es mir gefallen musste.

Ich hob das Kinn und schaute Renee direkt ins Gesicht. »Geh mir aus den Augen. Ich will dich nicht mehr sehen, bis das hier vorbei ist.«

Ihre Lippen zuckten, und ihr Lächeln wurde sogar noch bösartiger. »Mir ist vollkommen egal, was du willst. Du wirst tun, was ich sage, oder dich den Konsequenzen stellen.« Sie ging zur Tür. »Ich werde dich jetzt allein lassen, damit du dich auf deinen … Auftritt vorbereiten kannst.«

Kaum hatte Renee das Zimmer verlassen, kam Tante Jackie hereingeschlüpft.

»Geht es dir gut, Whit? Du siehst noch blasser als vorhin aus.«

Ich wollte ihr alles erzählen, aber ich biss mir auf die Zunge, bis mir vor lauter Schmerz Tränen in die Augen stiegen.

»Kann ich ein Taschentuch haben?«

Tante Jackie runzelte die Stirn und griff nach der Schachtel auf dem Klavier neben dem Schreibtisch des Pastors. »Natürlich. Was ist los? Hast du es dir anders überlegt?«

Ob ich es mir anders überlegt habe?, wollte ich entgegnen. Ich habe das hier von Anfang an nicht gewollt. Aber ich sagte es nicht. Ich schüttelte einfach nur den Kopf und tupfte vorsichtig an meinen Augen herum.

»Du weißt, dass du dich richtig entschieden hast, nicht wahr, meine Süße? Ich weiß, dass du dachtest, dass das mit dir und diesem Riscoff-Jungen etwas Besonderes war, aber es hätte nicht mit einem weißen Kleid in einer Kirche und einem Eheversprechen vor deiner ganzen Familie geendet.«

Ich hob den Blick, um sie anzusehen. »Warum sagst du das? Wie kannst du das wissen?«

»Gables und Riscoffs nehmen zusammen nie ein gutes Ende.« Sie hielt inne, und ich fragte mich, ob sie an meine Mom dachte, weil sie mir heute die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf gegangen war.

Welchen Rat hätte mir meine Mutter gegeben? Ich würde es nie erfahren, … weil sie mit einem Riscoff gestorben war. Mein Magen rebellierte wieder, und dieses Mal brannte aufsteigende Galle in meiner Kehle. Tante Jackie schien es jedoch nicht zu bemerken und redete einfach weiter.

»Fehden dauern nicht einhundertsiebzig Jahre lang an, ohne dass sich auf beiden Seiten eine Menge Feindseligkeit ansammelt. Es würde sehr viel mehr als eine Liebesgeschichte im Stil von Romeo und Julia brauchen, um diese hier zu beenden. Ich weiß, dass du die Ausnahme von der Regel sein willst, Whitney. Das verstehe ich. Wirklich. Aber so naiv kannst du nicht sein. Er ist zu jung und zu leichsinnig, um deine Hoffnungen in ihn zu setzen. Du warst nur zufällig die erste Frau in Gable, die er sich ausgesucht hat. Das bedeutet nicht, dass du die letzte gewesen wärst. Darauf würde ich sogar wetten.«

»Aber …« Ich versuchte, sie zu unterbrechen und ihr zu erklären, dass sie Lincoln nicht so gut kannte, wie ich ihn kannte.

»Kein Aber, Kleines. Du bist klug genug, um es besser zu wissen. Bestenfalls wird er all deine Rechnungen bezahlen, damit du ihm zur Verfügung stehst, wenn er dich braucht, um ein wenig Dampf abzulassen. Aber du bist keine Mätresse, Whitney. Du bist besser als das. Warum solltest du dich von einem Mann kaufen lassen, wenn du einen guten Mann hast, der dort draußen vor dieser Tür wartet und dich heiraten und wie eine Königin behandeln will?«

Ich hasste den Vergleich, den sie anstellte, denn er befeuerte all die Unsicherheiten, die ich Lincoln und Renee zu verdanken hatte. Aber trotzdem … änderte das nichts an den Tatsachen.

»Ich liebe Ricky nicht.« Ich schaute Jackie an und rechnete damit, Entsetzen auf ihrem Gesicht zu sehen. Doch ich lag falsch. In ihrer Miene lag nicht der geringste Anflug von Schock.

»Du denkst nur, dass das eine Rolle spielt, weil du immer noch so unschuldig bist. Du musst ihn nicht lieben, um ihn als deine Möglichkeit zu benutzen, aus dieser Stadt rauszukommen. Er hat bereits ein Lied, das im Radio gespielt wird, und wir beide kennen den Grund dafür. Benutz deinen Verstand, Whitney. Wenn du ihm noch mehr Lieder fürs Radio verschaffst, dafür sorgst, dass das Geld reinkommt, und lernst, das Spiel zu spielen, wirst du für immer ausgesorgt haben. Das ist das beste Leben, das ich mir für dich hätte wünschen können. Vermassle es nicht wegen etwas so Dummem wie Liebe.«

Meine letzte Hoffnung, meinem Schicksal zu entkommen, verflüchtigte sich wie Regentropfen auf Wüstensand. In dieser Kirche gab es keine einzige Person, die mich verstehen würde, wenn ich durch den Haupteingang nach draußen liefe, statt vor den Altar zu treten und vor einem aufsteigenden Rockstar mein Ehegelübde abzulegen.

Doch selbst wenn ich es täte, würde das nichts ändern. Ich musste Ricky heiraten, um Lincoln zu retten.

Es war die einzig mögliche Entscheidung.

»Also, bist du jetzt bereit, das hier durchzuziehen?«

Ich werde niemals bereit sein, dachte ich, aber das spielt keine Rolle.

Ich schaute Tante Jackie erneut in die Augen. »Ich bin bereit«, log ich.

Meine Tante presste mir einen Kuss auf die Stirn. »Braves Mädchen. Deine Mama wäre stolz auf dich. Ich werde deinen Bruder holen, damit wir das hier hinter uns bringen können, bevor irgendetwas dazwischenkommt.«

2. KAPITEL

Whitney

Bei jedem Schritt, den ich durch den Mittelgang der Kirche machte, träumte ich davon, dass jemand hereingestürmt käme, um mich zu retten. Nicht jemand. Eine ganz bestimmte Person. Doch als mich Asa auf die Stirn küsste und an Ricky übergab, verkrampfte sich mein Magen wieder.

Niemand würde kommen, um mich zu retten, weil ich in diesem Szenario die Retterin war.

Ricky gab sein Ehegelübde ab, und der Pastor wandte sich an mich. Ich musste die richtigen Worte gesagt haben, denn er nickte zufrieden.

Das war der Moment, in dem es passierte.

Die Tür der Kirche flog auf, und alle wirbelten herum, auch ich.

Oh Herr im Himmel.

Doch Lincoln kam nicht hereingeschritten, um mich wie ein nobler Ritter davonzutragen. Er torkelte durch die Tür und trug Kleidung, die aussah, als hätte er eine Woche lang darin geschlafen. Sein Gesicht war mit dichten Bartstoppeln bedeckt, und seine Augen waren so blutunterlaufen, dass ich die Rötung aus mehreren Metern Entfernung sehen konnte.

»Ich erhebe Einspruch.« Die Worte klangen undeutlich, und es bestand kein Zweifel daran, dass er sturzbetrunken war.

Aus irgendeinem Grund traf mich diese Tatsache wie ein Schlag ins Gesicht. Mein nobler Ritter, mein Geliebter, mein Retter … tauchte hier vollkommen betrunken auf, um meine Hochzeit zu stören.

WeilichnichtdieArtvonFraubin,diemiteinemPrinzenaufeinemedlenRossindenSonnenuntergangreitet.IchbineineGable.

Als Renee Rango in den Mittelgang trat, wusste ich, dass ich schnell reagieren musste, bevor sie die Bombe platzen ließ und die Wahrheit ausplauderte, die sie benutzte, um mir ihren Willen aufzuzwingen.

Ich marschierte den Gang hinunter auf Lincoln zu. Um meiner Wut mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, konzentrierte ich mich auf die Tatsache, dass er hier betrunken aufgetaucht war.

»Du Arschloch. Wie kannst du es wagen?«

»Du kannst ihn nicht heiraten.« Lincoln konnte kaum aufrecht stehen, und seine Worte waren ein kaum zu verstehendes Gebrabbel.

In diesem Augenblick schoss mir eine Erinnerung in den Kopf – mein Dad, der sturzbetrunken auf meinem Schulball auftauchte, um meine Mom, die als Anstandsdame fungierte, aus der Turnhalle zu zerren, weil er dachte, dass sie mit einem meiner Mitschüler geflirtet hätte. Ich klammerte mich mit aller Macht an diese Erinnerung, obwohl Lincoln kein bisschen wie mein Vater war. Ich musste sie benutzen, um das hier echt wirken zu lassen.

Ich habe keine andere Wahl. Mit jeder Sekunde, die Lincoln in dieser Kirche stand, war Renee Rango einen Schritt näher daran, sein ganzes Leben zu zerstören.

»Ich weiß nicht, warum du denkst, dass du deine Meinung dazu äußern darfst, aber verschwinde verdammt noch mal von hier.«

Lincoln torkelte einen weiteren Schritt vorwärts. »Ich kann ihn kaufen und verkaufen.«

Warum musste er dieses Thema ansprechen? Warum muss es immer nur ums Geld gehen?

»Das. Ist. Mir. Egal. Denn mich kannst du nicht kaufen.«

Bevor ich meinen Satz beenden konnte, rauschten Asa und Ricky an mir vorbei und bugsierten Lincoln zur Tür der Kirche hinaus.

Ich kam nie dazu, meinen wahren Gedanken auszusprechen.

Meine Liebe ist umsonst.

3. KAPITEL

Lincoln

Gegenwart

»Mutter wurde vor einer halben Stunde im Krankenhaus für tot erklärt. Ein Herzinfarkt. Sie konnten sie nicht wiederbeleben. Du hast sie verdammt noch mal umgebracht. Ich hoffe, jetzt bist du zufrieden.«

Die beißende Stimme meines Bruders, die durchs Telefon schallt, zerfetzt meine Hoffnung, dass ich ihn falsch verstanden habe.

Das kann nicht wahr sein. Sie kann nicht …

»Ist das irgendeine kranke Aktion, die du hier abziehen …?«

»Du bist derjenige, der die Aktion abgezogen hat, großer Bruder, und das hier ist das, was du dafür bekommen hast. Gute Arbeit. Du bist der verdammte Sohn des Jahres. Mach dir nicht die Mühe, von dort, wohin auch immer du mit deinem Flittchen abgehauen bist, zurückzukommen. Mom würde dich hier ohnehin nicht haben wollen.« Harrisons Wut ist laut und deutlich zu hören, bevor er das Telefonat beendet und ich in der Stille zurückbleibe.

Whitney schaut mich an. Sämtliche Farbe ist aus ihrem Gesicht gewichen. »Oh mein Gott. Oh mein Gott. Das tut mir so leid. Ich hätte nicht …«

Ich hebe eine Hand, weil ich die Worte, von denen ich weiß, dass sie sie sagen wird, nicht hören will. Sie glaubt, dass sie nicht mit mir hätte kommen sollen. Dass ich mich nicht für sie statt für meine Mutter hätte entscheiden sollen. Dass nichts von alldem je hätte passieren sollen.

Fassungslosigkeit und Wut rauschen mit gleicher Heftigkeit durch meinen Körper. Ein Teil von mir denkt, dass das hier ein ausgeklügelter Plan von meiner Mutter und meinem Bruder ist, um mich zurückzulocken und mich davon zu überzeugen, Whitney aufzugeben. Doch der andere Teil … der andere Teil kann nicht glauben, dass ich nun nach meinem Vater auch meine Mutter verloren habe.

Ich kneife die Augen zu und hole zweimal tief Luft, während sich Bruchstücke aus Schuldgefühl, Schmerz und Selbstekel mit jedem hämmernden Schlag meines Herzens immer tiefer in mich hineingraben.

Ich bin dafür verantwortlich. Das ist meine Schuld. Meine Entscheidung hat ihr den Rest gegeben.

Als ich die Augen öffne, schaue ich auf den Ozean hinaus und konzentriere mich auf die tiefblauen Wellen, die sich an der Ufermauer brechen.

Aber ich finde keinen Trost in ihnen. Das Blue House wurde des Friedens beraubt, den es normalerweise bietet.

»Es tut mir so leid, Lincoln. So verdammt leid. Ich hätte niemals …«

Whitney fängt schon wieder an, doch dieses Mal lege ich die Arme um sie und ziehe sie an mich, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich halte sie ganz fest und wiege uns beide hin und her, während ich die schlechte Nachricht verarbeite.

Meine Mutter ist tot.

Der letzte Wunsch meiner Mutter bestand darin, Whitney und mich auseinanderzubringen, und sie leistete ihren letzten Widerstand auf eine Weise, die niemand hätte vorhersehen können. Wir dachten immer, dass sie uns nur etwas vorspielte, um uns zu manipulieren. Ihre Gesundheit war die Karte, die sie ausspielte, um uns unter Kontrolle zu halten, aber ihr Leben war nie wirklich in Gefahr gewesen – zumindest hatten wir das geglaubt.

Ich hätte nie gedacht …

Ich tue einen Atemzug nach dem anderen, aber diese ganze Situation fühlt sich vollkommen surreal an. Wie ein Streich, den mir Harrison spielt, weil er sauer auf mich ist. Aber selbst er würde wegen so etwas nicht lügen.

Meine Mutter ist tot.

Ich schüttle den Kopf, während ich mich im Stillen zerfleische. Es tut mir so leid, Mutter. Es tut mir leid, dass ich nicht der Sohn sein konnte, den du brauchtest. Es tut mir leid, dass du nicht das Leben bekommen hast, das du wolltest. Es tut mir leid, dass ich dir nicht dabei helfen konnte, deine Vergangenheit loszulassen und deine Verbitterung zu überwinden.

Ich beuge mich zurück und schaue auf Whitney hinunter. »Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, dass ich dich liebe. Das werde ich nicht tun.« Ich blinzle zweimal, während sich in meinen Augenwinkeln Tränen sammeln.

»Aber …«

»Du kannst das als Grund benutzen, um mich von dir wegzustoßen, und ich werde es verstehen, aber jetzt gerade brauche ich dich an meiner Seite. Kannst du das für mich tun?«

Whitney beißt sich auf die Unterlippe und runzelt angespannt die Stirn. Ein paar Sekunden lang rechne ich damit, sie würde mir sagen, dass sie das nicht tun kann. Dass sie sich dem, was gerade passiert ist, nicht stellen kann. Doch sie erstaunt mich auch jetzt wieder.

»Was immer du brauchst, Lincoln. Ich bin hier.«

Ich drücke sie fester an mich und lasse zu, dass meine Trauer auf mich eindrischt. Sie ist wilder und unberechenbarer als die Wellen, die vom Ozean herangerollt kommen, und ich weiß, dass sie jahrelang anhalten wird, wenn nicht sogar für immer. Der Tod meines Vaters veränderte den Verlauf meines Lebens und die Art, wie ich mein Leben führte. Nur die Zeit wird zeigen, wie der Tod meiner Mutter die Dinge verändern wird.

Sosehr ich mir auch wünsche, dass ich mich vor der Welt verstecken und so tun könnte, als wäre das alles nicht passiert, ist das nicht möglich.

Ich vergrabe meine Finger in Whitneys Haar und balle unsere beiden Hände zu einer festen Faust. »Wir müssen zurück.«

Sie nickt. »Ich weiß.«

»Wir kehren zusammen zurück.«

»Nur wenn du das willst«, erwidert sie.

Eigentlich will ich die Zeit zurückdrehen und eine Möglichkeit finden, meine Mutter dazu zu bringen, mich zu verstehen, und ihr klarzumachen, dass die Tatsache, dass ich mich in Whitney Gable verliebt habe, ein Grund zum Feiern und kein Skandal sein sollte. Aber das ist unmöglich, und nun kann ich nur noch nach vorne schauen und mich den Konsequenzen stellen.

Mit brummendem Schädel und dem Klang meines donnernden Herzschlags in den Ohren führe ich Whitney zurück zum Hubschrauber, während ich dem Piloten zuwinke, bevor er abheben kann. Er schaltet die Rotorblätter ab und zieht sein Headset vom Kopf.

»Sir?«

»Wir müssen zurück nach Gable. Ins Krankenhaus. Es hat einen Notfall gegeben.«

4. KAPITEL

Whitney

Als der Hubschrauber auf dem Landeplatz vor dem RISCOFF MEMORIAL HOSPITALaufsetzt, rebelliert mein Magen so sehr, dass ich befürchte, mich übergeben zu müssen. Mein Unwohlsein hat nichts mit dem Flug zu tun, sondern allein damit, dass das alles meine Schuld ist. Wenn ich gar nicht erst nach Gable zurückgekommen wäre … Wenn ich Lincoln abgewiesen hätte …

Ich bedaure so vieles, aber mir geht immer wieder das durch den Kopf, was er auf der Insel zu mir gesagt hat.

»Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, dass ich dich liebe.«

Egal wie unsensibel das klingt, ich kann mich auch nicht dafür entschuldigen, dass ich ihn liebe. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass mein erster Instinkt darin bestand, mich von ihm zurückzuziehen. Aber was würde das nützen? Trotz der Schuldgefühle, die mich zu ersticken drohen, weiß ich, dass Lincoln alles sogar noch viel intensiver empfindet. Wenn er mich wegen dem, was passiert ist, nicht wegstößt, wie könnte ich es dann wagen, ihm das anzutun? Das kann ich nicht.

Dies ist meine Chance zu beweisen, dass ich ihm zur Seite stehen und der Welt zeigen kann, dass wir zusammen stärker sind. Unsere erste Prüfung beginnt jetzt.

Lincoln lässt meine verschwitzte Hand los, um als Erster aus dem Hubschrauber zu steigen. Als er seine Hand ausstreckt, um mir beim Aussteigen zu helfen, ergreife ich sie und halte sie fest.

Vor dem Eingang sind Absperrungen errichtet worden, aber sie verhindern nicht, dass die Presseleute Fragen brüllen und die Kameras blitzen.

Ich tue so, als wäre ich blind und taub. Diesen Trick habe ich mir schon vor Jahren angeeignet. Auf diese Weise gehe ich stur geradeaus, setze einen Fuß vor den anderen und lasse die ganze Zeit über Lincolns Hand nicht los. Die Anspannung legt sich mit jedem Schritt fester um meine Brust, aber ich lasse mir nichts anmerken.

Ich erinnere mich, wie ich mich beim letzten Mal fühlte, als ich mich an seiner Seite exakt dieser Tür näherte. Ich hatte furchtbare Angst, dass etwas Schreckliches passiert sein könnte, aber ein Teil von mir hatte sich geweigert zu glauben, dass das möglich war. Dieses Mal wusste ich bereits, dass uns eine entsetzliche Tragödie erwartete.

Der Mann, den ich liebe, hat seine Mutter verloren, weil er sich für mich statt für sie entschieden hat.

Meinetwegen erlitt sie einen Herzinfarkt, der sie umbrachte. Oder besser gesagt, die Empörung, die sie meinetwegen empfand, löste die Tragödie aus.

Ich kann immer noch nicht ganz fassen, dass mich jemand so sehr hassen könnte, aber was ich fassen kann und was nicht, spielt keine Rolle. Es ist passiert, und nun ist es an der Zeit, sich den Konsequenzen zu stellen.

Sobald wir das Krankenhaus betreten, gleiten die Türen mit einem Zischen hinter uns zu. Abgesehen von einer Frau mit zwei Kindern und einem Mann, dessen Hand in ein Handtuch gewickelt ist, ist der Empfangsbereich leer. Zumindest bis Harrison durch die breiten Doppeltüren tritt, die zu den Behandlungszimmern der Notaufnahme führen. Sein Gesicht verzerrt sich vor Wut.

»Das soll wohl ein verdammter Witz sein. Ihre Leiche ist noch warm, und du bringst dein Flittchen mit ins Krankenhaus?«

Der Kommodore kommt hinter Harrison durch die Türen gerollt und versetzt ihm einen Schlag auf die Brust. »Hüte deine Zunge, Junge. Das hier ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort für so etwas.« Der alte Mann schaut Lincoln an. »Du musst dich schnell verabschieden. Sie müssen sie … verlegen.«

Ich lockere meinen Griff an Lincolns Hand, damit er vorangehen kann, doch Lincoln drückt meine Hand nur noch fester. Zusammen sind wir stärker, rufe ich mir in Erinnerung.

»Danke, dass ihr auf mich gewartet habt.«

Der Kommodore neigt den Kopf, und Lincoln geht mit mir an Harrison vorbei.

»Ich kann nicht glauben, dass er sie mit dort reinnimmt. Mutter würde …«

»Das reicht«, schnauzt der Kommodore, und Harrison verstummt tatsächlich. »Diese Familie hat schon genug verloren. Der heutige Tag ist der Trauer vorbehalten. Morgen kannst du deiner Wut freien Lauf lassen. Danach müssen wir alle versuchen, ein wenig Frieden zu finden.«

Meine Hand liegt fest in Lincolns, und ich folge ihm in das Zimmer, in dem seine Schwester neben einer mit einem Laken bedeckten Leiche sitzt. McKinley hebt das tränenüberströmte Gesicht, und wieder überkommen mich Schuldgefühle.

Lincoln lässt mich erst los, als McKinley von ihrem Stuhl aufsteht. Sie wirft sich ihrem großen Bruder in die Arme.

»Sie ist tot. Genau wie Vater. Es ging ihr gut … und dann war sie tot.«

Die gequälten Worte höhlen mich aus, bis meine Knie nachzugeben drohen. Ich trete zurück und habe vor, mich in der Ecke des Zimmers so klein wie möglich zu machen. Bedauern überkommt mich, während ich zusehe, wie sie den Verlust ihrer Mutter betrauern.

»Es tut mir so leid, Mac. So leid.«

»Ich weiß nicht, was passiert ist. Sie hat mit mir gestritten, und dann schien sie irgendwie komplett auszurasten … Dann brach sie zusammen, aber es war nicht so wie immer. Ich wusste, dass es dieses Mal wirklich schlimm war.«

Lincolns Züge verzerren sich vor Schmerz, und ich weiß, was er denkt. Sie hat unseretwegen mit McKinley gestritten.

»Tut mir leid, dass ich nicht hier war«, sagt er und drückt seine Schwester fest an sich, während sie sein Hemd mit ihren Tränen durchnässt.

Als ich das letzte Mal in diesem Krankenhaus war, war ich das Mädchen, das gerade zur Waise geworden war. Heute ist McKinley dieses Mädchen, und ich wünschte, sie müsste nicht die Trauer, die ich seit einem Jahrzehnt verspüre, ertragen.

Mit der Zeit mag es leichter werden, aber der Schmerz lässt nie ganz nach. Und die Schuldgefühle auch nicht. Herrgott, die Schuldgefühle. Ich weiß nicht, ob sie je vergehen, denn meine sind immer noch da.

Ein Geräusch ertönt im Flur, und wir schauen alle zur Tür, wo ein Mann in einem weißen Kittel den Kopf ins Zimmer steckt. »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Ich werde wiederkommen, wenn Sie … fertig sind.«

McKinley lässt Lincoln los und wischt sich über die Augen. »Wir sind fast so weit. Mein Bruder ist gerade eingetroffen, um sich zu verabschieden. Wir werden nicht mehr lange brauchen.«

Als der Mann verschwunden ist, richtet Lincoln seine Aufmerksamkeit auf das Laken.

McKinley schnieft. »Wir wollen ihre Organe und alles, was sonst noch jemandem helfen könnte, spenden, sofern das machbar ist, also müssen sie sie so bald wie möglich wegbringen. Wir haben so lange auf dich gewartet, wie es ging.«

Lincoln verzieht das Gesicht, und wieder weiß ich, was er denkt. Er wäre näher am Krankenhaus gewesen, wenn er nicht mit mir hätte davonlaufen müssen.

Wenigstens hat er nicht die einzige Chance verpasst, sich von seiner Mutter zu verabschieden. Das hätte ich mir nie verzeihen können. Eigentlich stehen die Chancen, dass ich mir irgendetwas von dem, was hier heute passiert ist, verzeihen kann, ziemlich schlecht. Egal was Lincoln sagt, das hier wird immer meine Schuld sein. Ihn zu lieben ändert nichts an der Tatsache, dass ich verflucht bin.

Lincoln greift nach dem Laken und hält inne. Er schaut über seine Schulter zu McKinley und mir. »Könntet ihr mir beide eine Minute geben? Ich … Ich wäre gern für einen Augenblick allein.«

»Natürlich«, sagt seine Schwester.

Ich nicke, weil meine Kehle so zugeschnürt ist, dass ich keine Worte hervorbringen kann.

Als ich auf die Tür zugehe, streckt Lincoln einen Arm aus, um nach meiner Hand zu greifen. »Ich komme gleich raus. Tut mir leid … Ich muss nur …«

Ich schlucke. »Ist schon gut. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich werde hier sein.«

5. KAPITEL

Lincoln

Ich lasse mich auf den Stuhl sinken, auf dem eben noch McKinley gesessen hat, und beuge die Schultern nach vorn. Tränen, die ich zurückgehalten habe, stehlen sich aus meinen Augen und laufen mir über die Wangen, um eine nach der anderen auf das weiße Laken zu fallen.

»Es tut mir leid, Mutter. Egal wie oft ich es sage, niemals wieder werde ich dir das mitteilen können.«

Ich hebe eine Hand, um das Laken anzuheben, aber meine Finger zittern. Sobald ich ihr Gesicht sehe, wird alles real werden, und das will ich gerade nicht glauben. Doch ich habe keine Wahl.

Als ich das Laken zurückziehe, bin ich darauf vorbereitet, wie anders sie aussieht, weil ich mich an meinen Vater erinnere. Die Schläuche und Zugänge, die sie bei dem Versuch benutzt haben, ihr das Leben zu retten, sind immer noch da.

Irgendwie hatte ich gehofft, dass ihr Gesicht gelassen und friedlich wirken würde, aber es ist schmerzverzerrt.

Ich bedecke sie schnell wieder und senke den Kopf.

»Tut mir leid, dass ich nicht der Sohn sein konnte, den du dir gewünscht hast. Tut mir leid, dass du dich vom Leben betrogen gefühlt hast. Tut mir leid, dass ich dich nie stolz machen konnte. Tut mir leid, dass ich dich nicht glücklich machen konnte. Es tut mir einfach alles so verdammt leid, Mutter.«

Die Tür geht auf, aber ich schaue nicht hinter mich, während der elektrische Rollstuhl hereingerollt kommt. Ich habe mit seinem Auftauchen gerechnet.

»Du hast ihr das nicht angetan, also wag es ja nicht, dir die Schuld dafür zu geben.« Der Befehlston des Kommodores kann seinen Worten jedoch keine Wahrheit verleihen.

Ich drehe mich um und blicke ihn an. Mein Großvater scheint innerhalb weniger Tage um fünf Jahre gealtert zu sein.

»Sie hat mich vor die Wahl gestellt, und ich habe mich nicht für sie entschieden. Wie könnte ich mir da nicht die Schuld geben?«

Mein Großvater rutscht auf seinem Rollstuhl herum. »Sie hatte nicht das Recht, dich vor eine Wahl zu stellen. Das war ihr letzter Versuch, dich zu manipulieren. Außerdem«, sagt er, während er eine Zeitung hinter seinem Rücken hervorzieht und sie mir hinhält, »hat ihr das hier den Rest gegeben, nicht du.«

Ich nehme die Zeitung und lese die Schlagzeile.

TOTER MILLIARDÄRSSOHN ALS BIGAMIST ENTLARVT

»Heilige Scheiße«, flüstere ich.

»Ganz genau. Du musst dich von deiner Mutter verabschieden und ihr all den Kummer, den sie dir im Leben und im Tod bereitet hat, vergeben. Dann wirst du aufstehen und mir dabei helfen, das zu retten, was noch von dieser Familie übrig ist, bevor Renee Rango uns alle in den Abgrund reißt.«

6. KAPITEL

Whitney

»Du warst das«, sagt Harrison zu mir, nachdem der Kommodore im Zimmer verschwunden ist. »Du bist genauso für ihren Tod verantwortlich wie er.«

Ich schaue ruckartig zu ihm, und McKinley, die neben mir steht, versteift sich.

Lincolns Bruder muss mir keine Schuldgefühle einreden. Ich verspüre bereits mehr als genug davon. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich von ihm einschüchtern lassen werde.

Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Wovon redest du da?«

Er holt eine Zeitung unter seinem Arm hervor und hält sie mir hin. Sobald ich die Schlagzeile lese, geben meine Knie nach.

»Oh mein Gott«, flüstere ich, während ich die Ränder zwischen meinen Fingern zerknülle, weil ich das Papier so fest umklammere.